Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

Ursprung erzählten, wissen wir nur negativ, sofern, daß
ihnen die Sage von der Lydischen Colonie ganz fremd
war. Diese Annalen waren eine Priestergeschichte, wie
die Indischen Puranen, und, wie sie Etrurien als das
erwählte Lieblingsland der Götter betrachteten 56), war
es natürlich, daß sie sich rühmten Urbewohner zu seyn.
Die Römer vernachläßigten sie gänzlich: Varro scheint
nur sich daraus haben dollmetschen zu lassen, doch lagen
sie wohl der Tyrrhenischen Geschichte des Kaisers Claudius
zum Grunde.

Nie haben die Etrusker das ganze cisalpinische Gal-
lien inne gehabt. Westlich erstreckte sich ihre Gränze nur
bis an den Ticinus, wo damals Ligurer wohnten, die von
den Galliern über den Padus zurückgedrängt wurden.
Südlich von diesem Strohm bis gegen Parma war das
Land auch von Ligurern bewohnt, oder durch Sümpfe un-
bewohnbar. Die Umbrer fanden die Gallier noch im Besitz
einer weitläuftigen Landschaft am Niederpadus. Aber um
den Athesis erhielten sich etruskische Städte bis zur römi-
schen Zeit: Verona nennt Plinius eine rhätische Stadt,
Mantua tuskisch. So haben Städte dieses Volks dem
innigsten und dem kunstvollsten der römischen Dichter das
Daseyn gegeben. Von den tuskischen Städten dieser Ge-
gend welche, ohne Zweifel mit den genannten beiden,
zwölf, wie südlich von den Apenninen, waren, kennen wir
noch Hatria, ehemals eine große Handelsstadt, die dem

56) Vegoja in den Fragmenten der Goesischen Agrimensoren,
p. 258. Scias mare ex aethere remotum. Cum autem Jup-
piter terram Hetruriae sibi vindicavit, etc.

Urſprung erzaͤhlten, wiſſen wir nur negativ, ſofern, daß
ihnen die Sage von der Lydiſchen Colonie ganz fremd
war. Dieſe Annalen waren eine Prieſtergeſchichte, wie
die Indiſchen Puranen, und, wie ſie Etrurien als das
erwaͤhlte Lieblingsland der Goͤtter betrachteten 56), war
es natuͤrlich, daß ſie ſich ruͤhmten Urbewohner zu ſeyn.
Die Roͤmer vernachlaͤßigten ſie gaͤnzlich: Varro ſcheint
nur ſich daraus haben dollmetſchen zu laſſen, doch lagen
ſie wohl der Tyrrheniſchen Geſchichte des Kaiſers Claudius
zum Grunde.

Nie haben die Etrusker das ganze cisalpiniſche Gal-
lien inne gehabt. Weſtlich erſtreckte ſich ihre Graͤnze nur
bis an den Ticinus, wo damals Ligurer wohnten, die von
den Galliern uͤber den Padus zuruͤckgedraͤngt wurden.
Suͤdlich von dieſem Strohm bis gegen Parma war das
Land auch von Ligurern bewohnt, oder durch Suͤmpfe un-
bewohnbar. Die Umbrer fanden die Gallier noch im Beſitz
einer weitlaͤuftigen Landſchaft am Niederpadus. Aber um
den Atheſis erhielten ſich etruskiſche Staͤdte bis zur roͤmi-
ſchen Zeit: Verona nennt Plinius eine rhaͤtiſche Stadt,
Mantua tuskiſch. So haben Staͤdte dieſes Volks dem
innigſten und dem kunſtvollſten der roͤmiſchen Dichter das
Daſeyn gegeben. Von den tuskiſchen Staͤdten dieſer Ge-
gend welche, ohne Zweifel mit den genannten beiden,
zwoͤlf, wie ſuͤdlich von den Apenninen, waren, kennen wir
noch Hatria, ehemals eine große Handelsſtadt, die dem

56) Vegoja in den Fragmenten der Goeſiſchen Agrimenſoren,
p. 258. Scias mare ex æthere remotum. Cum autem Jup-
piter terram Hetruriæ sibi vindicavit, etc.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0098" n="76"/>
Ur&#x017F;prung erza&#x0364;hlten, wi&#x017F;&#x017F;en wir nur negativ, &#x017F;ofern, daß<lb/>
ihnen die Sage von der Lydi&#x017F;chen Colonie ganz fremd<lb/>
war. Die&#x017F;e Annalen waren eine Prie&#x017F;terge&#x017F;chichte, wie<lb/>
die Indi&#x017F;chen Puranen, und, wie &#x017F;ie Etrurien als das<lb/>
erwa&#x0364;hlte Lieblingsland der Go&#x0364;tter betrachteten <note place="foot" n="56)">Vegoja in den Fragmenten der Goe&#x017F;i&#x017F;chen Agrimen&#x017F;oren,<lb/><hi rendition="#aq">p. 258. Scias mare ex æthere remotum. Cum autem Jup-<lb/>
piter terram Hetruriæ sibi vindicavit, etc.</hi></note>, war<lb/>
es natu&#x0364;rlich, daß &#x017F;ie &#x017F;ich ru&#x0364;hmten Urbewohner zu &#x017F;eyn.<lb/>
Die Ro&#x0364;mer vernachla&#x0364;ßigten &#x017F;ie ga&#x0364;nzlich: Varro &#x017F;cheint<lb/>
nur &#x017F;ich daraus haben dollmet&#x017F;chen zu la&#x017F;&#x017F;en, doch lagen<lb/>
&#x017F;ie wohl der Tyrrheni&#x017F;chen Ge&#x017F;chichte des Kai&#x017F;ers Claudius<lb/>
zum Grunde.</p><lb/>
          <p>Nie haben die Etrusker das ganze cisalpini&#x017F;che Gal-<lb/>
lien inne gehabt. We&#x017F;tlich er&#x017F;treckte &#x017F;ich ihre Gra&#x0364;nze nur<lb/>
bis an den Ticinus, wo damals Ligurer wohnten, die von<lb/>
den Galliern u&#x0364;ber den Padus zuru&#x0364;ckgedra&#x0364;ngt wurden.<lb/>
Su&#x0364;dlich von die&#x017F;em Strohm bis gegen Parma war das<lb/>
Land auch von Ligurern bewohnt, oder durch Su&#x0364;mpfe un-<lb/>
bewohnbar. Die Umbrer fanden die Gallier noch im Be&#x017F;itz<lb/>
einer weitla&#x0364;uftigen Land&#x017F;chaft am Niederpadus. Aber um<lb/>
den Athe&#x017F;is erhielten &#x017F;ich etruski&#x017F;che Sta&#x0364;dte bis zur ro&#x0364;mi-<lb/>
&#x017F;chen Zeit: Verona nennt Plinius eine rha&#x0364;ti&#x017F;che Stadt,<lb/>
Mantua tuski&#x017F;ch. So haben Sta&#x0364;dte die&#x017F;es Volks dem<lb/>
innig&#x017F;ten und dem kun&#x017F;tvoll&#x017F;ten der ro&#x0364;mi&#x017F;chen Dichter das<lb/>
Da&#x017F;eyn gegeben. Von den tuski&#x017F;chen Sta&#x0364;dten die&#x017F;er Ge-<lb/>
gend welche, ohne Zweifel mit den genannten beiden,<lb/>
zwo&#x0364;lf, wie &#x017F;u&#x0364;dlich von den Apenninen, waren, kennen wir<lb/>
noch Hatria, ehemals eine große Handels&#x017F;tadt, die dem<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[76/0098] Urſprung erzaͤhlten, wiſſen wir nur negativ, ſofern, daß ihnen die Sage von der Lydiſchen Colonie ganz fremd war. Dieſe Annalen waren eine Prieſtergeſchichte, wie die Indiſchen Puranen, und, wie ſie Etrurien als das erwaͤhlte Lieblingsland der Goͤtter betrachteten 56), war es natuͤrlich, daß ſie ſich ruͤhmten Urbewohner zu ſeyn. Die Roͤmer vernachlaͤßigten ſie gaͤnzlich: Varro ſcheint nur ſich daraus haben dollmetſchen zu laſſen, doch lagen ſie wohl der Tyrrheniſchen Geſchichte des Kaiſers Claudius zum Grunde. Nie haben die Etrusker das ganze cisalpiniſche Gal- lien inne gehabt. Weſtlich erſtreckte ſich ihre Graͤnze nur bis an den Ticinus, wo damals Ligurer wohnten, die von den Galliern uͤber den Padus zuruͤckgedraͤngt wurden. Suͤdlich von dieſem Strohm bis gegen Parma war das Land auch von Ligurern bewohnt, oder durch Suͤmpfe un- bewohnbar. Die Umbrer fanden die Gallier noch im Beſitz einer weitlaͤuftigen Landſchaft am Niederpadus. Aber um den Atheſis erhielten ſich etruskiſche Staͤdte bis zur roͤmi- ſchen Zeit: Verona nennt Plinius eine rhaͤtiſche Stadt, Mantua tuskiſch. So haben Staͤdte dieſes Volks dem innigſten und dem kunſtvollſten der roͤmiſchen Dichter das Daſeyn gegeben. Von den tuskiſchen Staͤdten dieſer Ge- gend welche, ohne Zweifel mit den genannten beiden, zwoͤlf, wie ſuͤdlich von den Apenninen, waren, kennen wir noch Hatria, ehemals eine große Handelsſtadt, die dem 56) Vegoja in den Fragmenten der Goeſiſchen Agrimenſoren, p. 258. Scias mare ex æthere remotum. Cum autem Jup- piter terram Hetruriæ sibi vindicavit, etc.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/98
Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/98>, abgerufen am 24.11.2024.