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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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blik verantwortlich gemacht ward. Es wird erzählt diese
hätte den Entschluß gefaßt, bey wirklicher Schuld, durch
den angenommenen Schein der Ruhe eines ganz arglo-
sen Bewußtseyns zu entwaffnen; überzeugt daß ihre Be-
theurungen und Rechtfertigungen verachtet werden wür-
den. Das römische Heer welches Camillus, ohne Ve-
liträ weiter zu drängen, sogleich gegen Tusculum führte,
fand auf dem Lande und in der Stadt, wo es durch
offene Thore einrückte, die Ruhe und die Geschäftigkeit
des Friedens; die Soldaten in den angewiesenen Quar-
tieren die Gastfreundschaft alter Bundesgenossen. Die-
ses Vertrauen habe die Römer erstaunt und gerührt,
der Tusculanische Senat, angewiesen sich nach Rom zu
begeben und sich zu rechtfertigen, habe nicht nur Ver-
zeihung gefunden, sondern bald nachher wäre Tusculum
das Bürgerrecht ertheilt worden. Gern möchte man
mit den alten Geschichtschreibern diese tiefe Klugheit des
unbesonnen in einen bösen Handel gerathenen Schwachen,
und den Edelmuth des Mächtigeren, dem unbedingt
vertrauenvolles Hingeben die zur Strafe erhobne Hand
gefesselt hätte, bewundern; wenn nicht die Unbefangenheit
des Staats und des Volks, da keine Anklage vorher-
gegangen zu seyn scheint, vielmehr das Ansehen wahrer
Schuldlosigkeit der tusculanischen Republik trüge, was
auch einzelne ihrer Bürger gefehlt haben mochten. Hatte
auch Camillus eine Niederlage abgewandt, einen Sieg
durfte Rom sich wohl nicht anmaaßen, auch wird ihm
kein Triumph zugeschrieben. Im nächsten Jahr wenig-
stens (375) erschienen die Pränestiner vor den Thoren

blik verantwortlich gemacht ward. Es wird erzaͤhlt dieſe
haͤtte den Entſchluß gefaßt, bey wirklicher Schuld, durch
den angenommenen Schein der Ruhe eines ganz arglo-
ſen Bewußtſeyns zu entwaffnen; uͤberzeugt daß ihre Be-
theurungen und Rechtfertigungen verachtet werden wuͤr-
den. Das roͤmiſche Heer welches Camillus, ohne Ve-
litraͤ weiter zu draͤngen, ſogleich gegen Tusculum fuͤhrte,
fand auf dem Lande und in der Stadt, wo es durch
offene Thore einruͤckte, die Ruhe und die Geſchaͤftigkeit
des Friedens; die Soldaten in den angewieſenen Quar-
tieren die Gaſtfreundſchaft alter Bundesgenoſſen. Die-
ſes Vertrauen habe die Roͤmer erſtaunt und geruͤhrt,
der Tusculaniſche Senat, angewieſen ſich nach Rom zu
begeben und ſich zu rechtfertigen, habe nicht nur Ver-
zeihung gefunden, ſondern bald nachher waͤre Tusculum
das Buͤrgerrecht ertheilt worden. Gern moͤchte man
mit den alten Geſchichtſchreibern dieſe tiefe Klugheit des
unbeſonnen in einen boͤſen Handel gerathenen Schwachen,
und den Edelmuth des Maͤchtigeren, dem unbedingt
vertrauenvolles Hingeben die zur Strafe erhobne Hand
gefeſſelt haͤtte, bewundern; wenn nicht die Unbefangenheit
des Staats und des Volks, da keine Anklage vorher-
gegangen zu ſeyn ſcheint, vielmehr das Anſehen wahrer
Schuldloſigkeit der tusculaniſchen Republik truͤge, was
auch einzelne ihrer Buͤrger gefehlt haben mochten. Hatte
auch Camillus eine Niederlage abgewandt, einen Sieg
durfte Rom ſich wohl nicht anmaaßen, auch wird ihm
kein Triumph zugeſchrieben. Im naͤchſten Jahr wenig-
ſtens (375) erſchienen die Praͤneſtiner vor den Thoren

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[303/0319] blik verantwortlich gemacht ward. Es wird erzaͤhlt dieſe haͤtte den Entſchluß gefaßt, bey wirklicher Schuld, durch den angenommenen Schein der Ruhe eines ganz arglo- ſen Bewußtſeyns zu entwaffnen; uͤberzeugt daß ihre Be- theurungen und Rechtfertigungen verachtet werden wuͤr- den. Das roͤmiſche Heer welches Camillus, ohne Ve- litraͤ weiter zu draͤngen, ſogleich gegen Tusculum fuͤhrte, fand auf dem Lande und in der Stadt, wo es durch offene Thore einruͤckte, die Ruhe und die Geſchaͤftigkeit des Friedens; die Soldaten in den angewieſenen Quar- tieren die Gaſtfreundſchaft alter Bundesgenoſſen. Die- ſes Vertrauen habe die Roͤmer erſtaunt und geruͤhrt, der Tusculaniſche Senat, angewieſen ſich nach Rom zu begeben und ſich zu rechtfertigen, habe nicht nur Ver- zeihung gefunden, ſondern bald nachher waͤre Tusculum das Buͤrgerrecht ertheilt worden. Gern moͤchte man mit den alten Geſchichtſchreibern dieſe tiefe Klugheit des unbeſonnen in einen boͤſen Handel gerathenen Schwachen, und den Edelmuth des Maͤchtigeren, dem unbedingt vertrauenvolles Hingeben die zur Strafe erhobne Hand gefeſſelt haͤtte, bewundern; wenn nicht die Unbefangenheit des Staats und des Volks, da keine Anklage vorher- gegangen zu ſeyn ſcheint, vielmehr das Anſehen wahrer Schuldloſigkeit der tusculaniſchen Republik truͤge, was auch einzelne ihrer Buͤrger gefehlt haben mochten. Hatte auch Camillus eine Niederlage abgewandt, einen Sieg durfte Rom ſich wohl nicht anmaaßen, auch wird ihm kein Triumph zugeſchrieben. Im naͤchſten Jahr wenig- ſtens (375) erſchienen die Praͤneſtiner vor den Thoren

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/319>, abgerufen am 22.11.2024.