Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Jenes alte Recht, dem diese Eintheilung angehörte,
ist ganz untergegangen. Aber eine andre, ihre Haupt-
klassen durch äußere Form bezeichnend, hat sich in den
Agrimensoren erhalten: den unverständlichsten und am
meisten vernachläßigten Schriftstellern der römischen Lit-
teratur, der sie auch eigentlich nicht mehr angehören
als der unsrigen Bücher ungebildeter Männer über Ge-
genstände des ganz täglichen Lebens. Aber nichts ge-
winnt durch den Verlauf der Zeit an Werth wie solche
Schriften: technologische des Alterthums wären jetzt
schätzbarer als nur nicht vortreffliche Dichter. Auch diese,
welche jedem Römer, der den Beruf ihrer sonderbaren
Kunst nicht übte, ganz gleichgültig seyn mußten, da
wohl jeder anschaulich einen Begriff von ihren Grund-
regeln hatte, sind für uns mit Recht der Gegenstand
eines mühsamen Studiums. Denn es lohnt sich wohl,
und nur durch sie ist es zu erlangen, jene Form zu ken-
nen wodurch die Römer das zum Eigenthum vom Ge-
meingut abgesonderte Land bezeichneten, und seine ein-
zelnen Theile mit unveränderlichen Gränzen umschrie-
ben: eine Form älter als die Stadt, und die, dem
Anschein nach eine gezwungene und hinfällige Künsteley,
mit der innern Kraft römischer Institutionen, den Un-
tergang des westlichen Reichs um ein halbes Jahrtau-
send überlebt hat.

Diese Form, von den Etruskern gebildet und auf
ihre Aruspicin gegründet 11), war, wie es scheint, auch

11) Hyginus de limitib. p. 150. fragm. de limitib. p. 215.
ed. Goesii.

Jenes alte Recht, dem dieſe Eintheilung angehoͤrte,
iſt ganz untergegangen. Aber eine andre, ihre Haupt-
klaſſen durch aͤußere Form bezeichnend, hat ſich in den
Agrimenſoren erhalten: den unverſtaͤndlichſten und am
meiſten vernachlaͤßigten Schriftſtellern der roͤmiſchen Lit-
teratur, der ſie auch eigentlich nicht mehr angehoͤren
als der unſrigen Buͤcher ungebildeter Maͤnner uͤber Ge-
genſtaͤnde des ganz taͤglichen Lebens. Aber nichts ge-
winnt durch den Verlauf der Zeit an Werth wie ſolche
Schriften: technologiſche des Alterthums waͤren jetzt
ſchaͤtzbarer als nur nicht vortreffliche Dichter. Auch dieſe,
welche jedem Roͤmer, der den Beruf ihrer ſonderbaren
Kunſt nicht uͤbte, ganz gleichguͤltig ſeyn mußten, da
wohl jeder anſchaulich einen Begriff von ihren Grund-
regeln hatte, ſind fuͤr uns mit Recht der Gegenſtand
eines muͤhſamen Studiums. Denn es lohnt ſich wohl,
und nur durch ſie iſt es zu erlangen, jene Form zu ken-
nen wodurch die Roͤmer das zum Eigenthum vom Ge-
meingut abgeſonderte Land bezeichneten, und ſeine ein-
zelnen Theile mit unveraͤnderlichen Graͤnzen umſchrie-
ben: eine Form aͤlter als die Stadt, und die, dem
Anſchein nach eine gezwungene und hinfaͤllige Kuͤnſteley,
mit der innern Kraft roͤmiſcher Inſtitutionen, den Un-
tergang des weſtlichen Reichs um ein halbes Jahrtau-
ſend uͤberlebt hat.

Dieſe Form, von den Etruskern gebildet und auf
ihre Aruſpicin gegruͤndet 11), war, wie es ſcheint, auch

11) Hyginus de limitib. p. 150. fragm. de limitib. p. 215.
ed. Goësii.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0396" n="380"/>
        <p>Jenes alte Recht, dem die&#x017F;e Eintheilung angeho&#x0364;rte,<lb/>
i&#x017F;t ganz untergegangen. Aber eine andre, ihre Haupt-<lb/>
kla&#x017F;&#x017F;en durch a&#x0364;ußere Form bezeichnend, hat &#x017F;ich in den<lb/>
Agrimen&#x017F;oren erhalten: den unver&#x017F;ta&#x0364;ndlich&#x017F;ten und am<lb/>
mei&#x017F;ten vernachla&#x0364;ßigten Schrift&#x017F;tellern der ro&#x0364;mi&#x017F;chen Lit-<lb/>
teratur, der &#x017F;ie auch eigentlich nicht mehr angeho&#x0364;ren<lb/>
als der un&#x017F;rigen Bu&#x0364;cher ungebildeter Ma&#x0364;nner u&#x0364;ber Ge-<lb/>
gen&#x017F;ta&#x0364;nde des ganz ta&#x0364;glichen Lebens. Aber nichts ge-<lb/>
winnt durch den Verlauf der Zeit an Werth wie &#x017F;olche<lb/>
Schriften: technologi&#x017F;che des Alterthums wa&#x0364;ren jetzt<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;tzbarer als nur nicht vortreffliche Dichter. Auch die&#x017F;e,<lb/>
welche jedem Ro&#x0364;mer, der den Beruf ihrer &#x017F;onderbaren<lb/>
Kun&#x017F;t nicht u&#x0364;bte, ganz gleichgu&#x0364;ltig &#x017F;eyn mußten, da<lb/>
wohl jeder an&#x017F;chaulich einen Begriff von ihren Grund-<lb/>
regeln hatte, &#x017F;ind fu&#x0364;r uns mit Recht der Gegen&#x017F;tand<lb/>
eines mu&#x0364;h&#x017F;amen Studiums. Denn es lohnt &#x017F;ich wohl,<lb/>
und nur durch &#x017F;ie i&#x017F;t es zu erlangen, jene Form zu ken-<lb/>
nen wodurch die Ro&#x0364;mer das zum Eigenthum vom Ge-<lb/>
meingut abge&#x017F;onderte Land bezeichneten, und &#x017F;eine ein-<lb/>
zelnen Theile mit unvera&#x0364;nderlichen Gra&#x0364;nzen um&#x017F;chrie-<lb/>
ben: eine Form a&#x0364;lter als die Stadt, und die, dem<lb/>
An&#x017F;chein nach eine gezwungene und hinfa&#x0364;llige Ku&#x0364;n&#x017F;teley,<lb/>
mit der innern Kraft ro&#x0364;mi&#x017F;cher In&#x017F;titutionen, den Un-<lb/>
tergang des we&#x017F;tlichen Reichs um ein halbes Jahrtau-<lb/>
&#x017F;end u&#x0364;berlebt hat.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;e Form, von den Etruskern gebildet und auf<lb/>
ihre Aru&#x017F;picin gegru&#x0364;ndet <note place="foot" n="11)">Hyginus <hi rendition="#aq">de limitib. p. 150. fragm. de limitib. p. 215.<lb/>
ed. Goësii.</hi></note>, war, wie es &#x017F;cheint, auch<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[380/0396] Jenes alte Recht, dem dieſe Eintheilung angehoͤrte, iſt ganz untergegangen. Aber eine andre, ihre Haupt- klaſſen durch aͤußere Form bezeichnend, hat ſich in den Agrimenſoren erhalten: den unverſtaͤndlichſten und am meiſten vernachlaͤßigten Schriftſtellern der roͤmiſchen Lit- teratur, der ſie auch eigentlich nicht mehr angehoͤren als der unſrigen Buͤcher ungebildeter Maͤnner uͤber Ge- genſtaͤnde des ganz taͤglichen Lebens. Aber nichts ge- winnt durch den Verlauf der Zeit an Werth wie ſolche Schriften: technologiſche des Alterthums waͤren jetzt ſchaͤtzbarer als nur nicht vortreffliche Dichter. Auch dieſe, welche jedem Roͤmer, der den Beruf ihrer ſonderbaren Kunſt nicht uͤbte, ganz gleichguͤltig ſeyn mußten, da wohl jeder anſchaulich einen Begriff von ihren Grund- regeln hatte, ſind fuͤr uns mit Recht der Gegenſtand eines muͤhſamen Studiums. Denn es lohnt ſich wohl, und nur durch ſie iſt es zu erlangen, jene Form zu ken- nen wodurch die Roͤmer das zum Eigenthum vom Ge- meingut abgeſonderte Land bezeichneten, und ſeine ein- zelnen Theile mit unveraͤnderlichen Graͤnzen umſchrie- ben: eine Form aͤlter als die Stadt, und die, dem Anſchein nach eine gezwungene und hinfaͤllige Kuͤnſteley, mit der innern Kraft roͤmiſcher Inſtitutionen, den Un- tergang des weſtlichen Reichs um ein halbes Jahrtau- ſend uͤberlebt hat. Dieſe Form, von den Etruskern gebildet und auf ihre Aruſpicin gegruͤndet 11), war, wie es ſcheint, auch 11) Hyginus de limitib. p. 150. fragm. de limitib. p. 215. ed. Goësii.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/396
Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/396>, abgerufen am 22.11.2024.