plebejischer Altconsul des vorigen Jahrs, mit der Die- tatur bekleidet. Daß ihn der Plebejer M. Popillius ernannt habe, ist außer Zweifel: es ist die erste unzwey- deutige Spur daß der Dictator von dem Consul er- nannt, nicht bloß proclamirt ward. Wahrscheinlich hatte das Volk auf tribunicischen Antrag die höchste Gewalt verordnet, und dem Consul die Ernennung aufgetragen. So sehr erbitterte es die Patricier dem zweyten Stand auch die dictatorische Majestät mitgetheilt zu sehen; so gefühllos für das Heil der Republik waren die, in de- ren Seele der ihnen hingegebene Geschichtschreiber, in den früheren Zeiten, den Volkstribunen Hochverrath vorwirft, wenn sie Aushebungen verwehrten deren ei- gentlicher Zweck nur war das Volk zu ermatten und vom Forum zu entfernen; so schamlos versäumten sie das Vaterland über ihre Standesanmaaßungen, daß der Senat, als das etruskische Heer bis an die Salinen, nahe an der Mündung der Tiber, vorgedrungen war, dem plebejischen Dictator alle Mittel eine Armee zu bil- den verweigerte 96). Der Krieg aber ward gegen den Feind geführt welcher vor zwey Jahren dreyhundert ge- fangene Römer geopfert hatte. Unter solchen Herrschern war Rom verlohren, wenn nicht der Geist des Volks, und die Freyheit welche es schon üben konnte, ihre Sünden unschädlicher gemacht hätten. So wie, -- als Faction und Neid dem großen Scipio die Mittel versagten das Vaterland, wie er es mit prophetischer Gewißheit verheissen konnte, zu retten und zu rächen, und ihm
96) Livius VII. c. 17.
plebejiſcher Altconſul des vorigen Jahrs, mit der Die- tatur bekleidet. Daß ihn der Plebejer M. Popillius ernannt habe, iſt außer Zweifel: es iſt die erſte unzwey- deutige Spur daß der Dictator von dem Conſul er- nannt, nicht bloß proclamirt ward. Wahrſcheinlich hatte das Volk auf tribuniciſchen Antrag die hoͤchſte Gewalt verordnet, und dem Conſul die Ernennung aufgetragen. So ſehr erbitterte es die Patricier dem zweyten Stand auch die dictatoriſche Majeſtaͤt mitgetheilt zu ſehen; ſo gefuͤhllos fuͤr das Heil der Republik waren die, in de- ren Seele der ihnen hingegebene Geſchichtſchreiber, in den fruͤheren Zeiten, den Volkstribunen Hochverrath vorwirft, wenn ſie Aushebungen verwehrten deren ei- gentlicher Zweck nur war das Volk zu ermatten und vom Forum zu entfernen; ſo ſchamlos verſaͤumten ſie das Vaterland uͤber ihre Standesanmaaßungen, daß der Senat, als das etruskiſche Heer bis an die Salinen, nahe an der Muͤndung der Tiber, vorgedrungen war, dem plebejiſchen Dictator alle Mittel eine Armee zu bil- den verweigerte 96). Der Krieg aber ward gegen den Feind gefuͤhrt welcher vor zwey Jahren dreyhundert ge- fangene Roͤmer geopfert hatte. Unter ſolchen Herrſchern war Rom verlohren, wenn nicht der Geiſt des Volks, und die Freyheit welche es ſchon uͤben konnte, ihre Suͤnden unſchaͤdlicher gemacht haͤtten. So wie, — als Faction und Neid dem großen Scipio die Mittel verſagten das Vaterland, wie er es mit prophetiſcher Gewißheit verheiſſen konnte, zu retten und zu raͤchen, und ihm
96) Livius VII. c. 17.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0442"n="426"/>
plebejiſcher Altconſul des vorigen Jahrs, mit der Die-<lb/>
tatur bekleidet. Daß ihn der Plebejer M. Popillius<lb/>
ernannt habe, iſt außer Zweifel: es iſt die erſte unzwey-<lb/>
deutige Spur daß der Dictator von dem Conſul er-<lb/>
nannt, nicht bloß proclamirt ward. Wahrſcheinlich hatte<lb/>
das Volk auf tribuniciſchen Antrag die hoͤchſte Gewalt<lb/>
verordnet, und dem Conſul die Ernennung aufgetragen.<lb/>
So ſehr erbitterte es die Patricier dem zweyten Stand<lb/>
auch die dictatoriſche Majeſtaͤt mitgetheilt zu ſehen; ſo<lb/>
gefuͤhllos fuͤr das Heil der Republik waren die, in de-<lb/>
ren Seele der ihnen hingegebene Geſchichtſchreiber, in<lb/>
den fruͤheren Zeiten, den Volkstribunen Hochverrath<lb/>
vorwirft, wenn ſie Aushebungen verwehrten deren ei-<lb/>
gentlicher Zweck nur war das Volk zu ermatten und<lb/>
vom Forum zu entfernen; ſo ſchamlos verſaͤumten ſie<lb/>
das Vaterland uͤber ihre Standesanmaaßungen, daß<lb/>
der Senat, als das etruskiſche Heer bis an die Salinen,<lb/>
nahe an der Muͤndung der Tiber, vorgedrungen war,<lb/>
dem plebejiſchen Dictator alle Mittel eine Armee zu bil-<lb/>
den verweigerte <noteplace="foot"n="96)">Livius <hirendition="#aq">VII. c.</hi> 17.</note>. Der Krieg aber ward gegen den<lb/>
Feind gefuͤhrt welcher vor zwey Jahren dreyhundert ge-<lb/>
fangene Roͤmer geopfert hatte. Unter ſolchen Herrſchern<lb/>
war Rom verlohren, wenn nicht der Geiſt des Volks,<lb/>
und die Freyheit welche es ſchon uͤben konnte, ihre<lb/>
Suͤnden unſchaͤdlicher gemacht haͤtten. So wie, — als<lb/>
Faction und Neid dem großen Scipio die Mittel verſagten<lb/>
das Vaterland, wie er es mit prophetiſcher Gewißheit<lb/>
verheiſſen konnte, zu retten und zu raͤchen, und ihm<lb/></p></div></body></text></TEI>
[426/0442]
plebejiſcher Altconſul des vorigen Jahrs, mit der Die-
tatur bekleidet. Daß ihn der Plebejer M. Popillius
ernannt habe, iſt außer Zweifel: es iſt die erſte unzwey-
deutige Spur daß der Dictator von dem Conſul er-
nannt, nicht bloß proclamirt ward. Wahrſcheinlich hatte
das Volk auf tribuniciſchen Antrag die hoͤchſte Gewalt
verordnet, und dem Conſul die Ernennung aufgetragen.
So ſehr erbitterte es die Patricier dem zweyten Stand
auch die dictatoriſche Majeſtaͤt mitgetheilt zu ſehen; ſo
gefuͤhllos fuͤr das Heil der Republik waren die, in de-
ren Seele der ihnen hingegebene Geſchichtſchreiber, in
den fruͤheren Zeiten, den Volkstribunen Hochverrath
vorwirft, wenn ſie Aushebungen verwehrten deren ei-
gentlicher Zweck nur war das Volk zu ermatten und
vom Forum zu entfernen; ſo ſchamlos verſaͤumten ſie
das Vaterland uͤber ihre Standesanmaaßungen, daß
der Senat, als das etruskiſche Heer bis an die Salinen,
nahe an der Muͤndung der Tiber, vorgedrungen war,
dem plebejiſchen Dictator alle Mittel eine Armee zu bil-
den verweigerte 96). Der Krieg aber ward gegen den
Feind gefuͤhrt welcher vor zwey Jahren dreyhundert ge-
fangene Roͤmer geopfert hatte. Unter ſolchen Herrſchern
war Rom verlohren, wenn nicht der Geiſt des Volks,
und die Freyheit welche es ſchon uͤben konnte, ihre
Suͤnden unſchaͤdlicher gemacht haͤtten. So wie, — als
Faction und Neid dem großen Scipio die Mittel verſagten
das Vaterland, wie er es mit prophetiſcher Gewißheit
verheiſſen konnte, zu retten und zu raͤchen, und ihm
96) Livius VII. c. 17.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/442>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.