lichen Geschlechtes also kann der Forderung der höchsten Vollendung der weiblichen Bildung durchaus keinen Ab- bruch thun; vielmehr, da der Beruf für jeden Men- schen nur das ist, wozu er ihn macht, so muß auch jener weibliche Beruf aufhören, kleinlich zu seyn, sobald unsre Erziehung die Geistesbildung des Weibes zu der Veredlung erhebt, durch die sie auch ihren Beruf zu veredeln im Stande ist.
Aber schon hierinn ist ein wesentlicher Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Bildung zu beobach- ten, der häufig übersehen wird. Bei dem Knaben ist die Bestimmung zu irgend einem Berufe nie zweifelhaft, und obgleich die freie Bildung darauf mit Recht keine unmittelbare Rücksicht nimmt, so bricht sich doch an der Aussicht auf bestimmte Verhältnisse, die seiner war- ten, das Unbestimmte der Ausbildung seiner Anlagen im Erziehungsunterricht. Bei dem Mädchen dagegen, wenn jener Berufskreis nicht anerkannt wird, fehlt alle Berufsbestimmung überhaupt, und eben deshalb läuft dann auch die Ausbildung der weiblichen Anlagen im Erziehungsunterricht, ohne Richtung und ohne Gränze, ins Unbestimmte aus. Daher dann auch die Unsicher- heit im weiblichen Erziehungsunterricht, daß man nicht recht weiß, was man will. Man unterrichtet und bil- det, ohne zu wissen wozu noch wohin; und man hält sich in dieser Verlegenheit zuletzt -- zum größten Un- glück! -- lediglich an das allgemeine unbestimmte Ideal eines geistreichen Weibes, das nicht bloß durch Witz und durch Kunst, sondern sogar durch
Anwendung der allgemeinen Grundſaͤtze ꝛc.
lichen Geſchlechtes alſo kann der Forderung der hoͤchſten Vollendung der weiblichen Bildung durchaus keinen Ab- bruch thun; vielmehr, da der Beruf fuͤr jeden Men- ſchen nur das iſt, wozu er ihn macht, ſo muß auch jener weibliche Beruf aufhoͤren, kleinlich zu ſeyn, ſobald unſre Erziehung die Geiſtesbildung des Weibes zu der Veredlung erhebt, durch die ſie auch ihren Beruf zu veredeln im Stande iſt.
Aber ſchon hierinn iſt ein weſentlicher Unterſchied zwiſchen maͤnnlicher und weiblicher Bildung zu beobach- ten, der haͤufig uͤberſehen wird. Bei dem Knaben iſt die Beſtimmung zu irgend einem Berufe nie zweifelhaft, und obgleich die freie Bildung darauf mit Recht keine unmittelbare Ruͤckſicht nimmt, ſo bricht ſich doch an der Ausſicht auf beſtimmte Verhaͤltniſſe, die ſeiner war- ten, das Unbeſtimmte der Ausbildung ſeiner Anlagen im Erziehungsunterricht. Bei dem Maͤdchen dagegen, wenn jener Berufskreis nicht anerkannt wird, fehlt alle Berufsbeſtimmung uͤberhaupt, und eben deshalb laͤuft dann auch die Ausbildung der weiblichen Anlagen im Erziehungsunterricht, ohne Richtung und ohne Graͤnze, ins Unbeſtimmte aus. Daher dann auch die Unſicher- heit im weiblichen Erziehungsunterricht, daß man nicht recht weiß, was man will. Man unterrichtet und bil- det, ohne zu wiſſen wozu noch wohin; und man haͤlt ſich in dieſer Verlegenheit zuletzt — zum groͤßten Un- gluͤck! — lediglich an das allgemeine unbeſtimmte Ideal eines geiſtreichen Weibes, das nicht bloß durch Witz und durch Kunſt, ſondern ſogar durch
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Anwendung der allgemeinen Grundſaͤtze ꝛc.
lichen Geſchlechtes alſo kann der Forderung der hoͤchſten
Vollendung der weiblichen Bildung durchaus keinen Ab-
bruch thun; vielmehr, da der Beruf fuͤr jeden Men-
ſchen nur das iſt, wozu er ihn macht, ſo muß auch
jener weibliche Beruf aufhoͤren, kleinlich zu ſeyn, ſobald
unſre Erziehung die Geiſtesbildung des Weibes zu der
Veredlung erhebt, durch die ſie auch ihren Beruf zu
veredeln im Stande iſt.
Aber ſchon hierinn iſt ein weſentlicher Unterſchied
zwiſchen maͤnnlicher und weiblicher Bildung zu beobach-
ten, der haͤufig uͤberſehen wird. Bei dem Knaben iſt
die Beſtimmung zu irgend einem Berufe nie zweifelhaft,
und obgleich die freie Bildung darauf mit Recht keine
unmittelbare Ruͤckſicht nimmt, ſo bricht ſich doch an
der Ausſicht auf beſtimmte Verhaͤltniſſe, die ſeiner war-
ten, das Unbeſtimmte der Ausbildung ſeiner Anlagen
im Erziehungsunterricht. Bei dem Maͤdchen dagegen,
wenn jener Berufskreis nicht anerkannt wird, fehlt alle
Berufsbeſtimmung uͤberhaupt, und eben deshalb laͤuft
dann auch die Ausbildung der weiblichen Anlagen im
Erziehungsunterricht, ohne Richtung und ohne Graͤnze,
ins Unbeſtimmte aus. Daher dann auch die Unſicher-
heit im weiblichen Erziehungsunterricht, daß man nicht
recht weiß, was man will. Man unterrichtet und bil-
det, ohne zu wiſſen wozu noch wohin; und man haͤlt
ſich in dieſer Verlegenheit zuletzt — zum groͤßten Un-
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Ideal eines geiſtreichen Weibes, das nicht
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Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/355>, abgerufen am 18.02.2025.
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