Wissenschaft und Gelehrsamkeit! glänzen soll. Gerade dadurch aber geht dem weiblichen Erzieher die Tramon- tane ganz verloren, und er kann keinen andern Punkt finden, sich wieder zu orientiren, als wenn er zu der Frage zurückkehrt: welches die eigentliche Bestim- mung des Weibes sey?
Es ist noch aus einem andern Grunde, der aber mehr die Erziehung selbst, als den Erziehungsunterricht betrifft, von großer Wichtigkeit, an diese Frage zu er- innern. Nur dadurch, daß die Mutter ihre Töchter den häuslichen Kreis schon von dem frühsten Alter an als ihre eigentliche Bestimmung ansehen und achten lehrt, kann sie ihnen auch für ihre Bildung die rechte Stimmung und Richtung geben. Lernt das Mädchen jene Bestimmung nicht ehren, wird es sogar durch Lehre und Beispiel der Mutter veranlaßt, sie zu verachten und als ein längst veraltetes Vorurtheil der Urgroßah- nen von sich zu weisen: so weiß es entweder gar nicht mehr, was es will; wie die Mutter es ebenfalls nicht weiß und (nachdem die einzig gültige Ansicht verworfen ist) auch nicht wissen kann; oder, was noch nachthei- liger ist, es nimmt sich eben jenes unbestimmte Ideal weiblicher Bildung zu seiner Bestimmung, und greift in beiden Fällen unsicher in den Kreis der Bildungsmittel ein, wechselt damit nach Laune, und treibt nichts mit der Stätigkeit und mit dem vollen Ernst, die mit dem Gedanken an eine unabänderliche Berufsbestimmung sich von selbst verbinden.
Vierter Abſchnitt.
Wiſſenſchaft und Gelehrſamkeit! glaͤnzen ſoll. Gerade dadurch aber geht dem weiblichen Erzieher die Tramon- tane ganz verloren, und er kann keinen andern Punkt finden, ſich wieder zu orientiren, als wenn er zu der Frage zuruͤckkehrt: welches die eigentliche Beſtim- mung des Weibes ſey?
Es iſt noch aus einem andern Grunde, der aber mehr die Erziehung ſelbſt, als den Erziehungsunterricht betrifft, von großer Wichtigkeit, an dieſe Frage zu er- innern. Nur dadurch, daß die Mutter ihre Toͤchter den haͤuslichen Kreis ſchon von dem fruͤhſten Alter an als ihre eigentliche Beſtimmung anſehen und achten lehrt, kann ſie ihnen auch fuͤr ihre Bildung die rechte Stimmung und Richtung geben. Lernt das Maͤdchen jene Beſtimmung nicht ehren, wird es ſogar durch Lehre und Beiſpiel der Mutter veranlaßt, ſie zu verachten und als ein laͤngſt veraltetes Vorurtheil der Urgroßah- nen von ſich zu weiſen: ſo weiß es entweder gar nicht mehr, was es will; wie die Mutter es ebenfalls nicht weiß und (nachdem die einzig guͤltige Anſicht verworfen iſt) auch nicht wiſſen kann; oder, was noch nachthei- liger iſt, es nimmt ſich eben jenes unbeſtimmte Ideal weiblicher Bildung zu ſeiner Beſtimmung, und greift in beiden Faͤllen unſicher in den Kreis der Bildungsmittel ein, wechſelt damit nach Laune, und treibt nichts mit der Staͤtigkeit und mit dem vollen Ernſt, die mit dem Gedanken an eine unabaͤnderliche Berufsbeſtimmung ſich von ſelbſt verbinden.
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Vierter Abſchnitt.
Wiſſenſchaft und Gelehrſamkeit! glaͤnzen ſoll. Gerade
dadurch aber geht dem weiblichen Erzieher die Tramon-
tane ganz verloren, und er kann keinen andern Punkt
finden, ſich wieder zu orientiren, als wenn er zu der
Frage zuruͤckkehrt: welches die eigentliche Beſtim-
mung des Weibes ſey?
Es iſt noch aus einem andern Grunde, der aber
mehr die Erziehung ſelbſt, als den Erziehungsunterricht
betrifft, von großer Wichtigkeit, an dieſe Frage zu er-
innern. Nur dadurch, daß die Mutter ihre Toͤchter
den haͤuslichen Kreis ſchon von dem fruͤhſten Alter an
als ihre eigentliche Beſtimmung anſehen und achten
lehrt, kann ſie ihnen auch fuͤr ihre Bildung die rechte
Stimmung und Richtung geben. Lernt das Maͤdchen
jene Beſtimmung nicht ehren, wird es ſogar durch Lehre
und Beiſpiel der Mutter veranlaßt, ſie zu verachten
und als ein laͤngſt veraltetes Vorurtheil der Urgroßah-
nen von ſich zu weiſen: ſo weiß es entweder gar nicht
mehr, was es will; wie die Mutter es ebenfalls nicht
weiß und (nachdem die einzig guͤltige Anſicht verworfen
iſt) auch nicht wiſſen kann; oder, was noch nachthei-
liger iſt, es nimmt ſich eben jenes unbeſtimmte Ideal
weiblicher Bildung zu ſeiner Beſtimmung, und greift in
beiden Faͤllen unſicher in den Kreis der Bildungsmittel
ein, wechſelt damit nach Laune, und treibt nichts mit
der Staͤtigkeit und mit dem vollen Ernſt, die mit dem
Gedanken an eine unabaͤnderliche Berufsbeſtimmung ſich
von ſelbſt verbinden.
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Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/356>, abgerufen am 18.02.2025.
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