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Allgemeine Zeitung, Nr. 2, 2. Januar 1872.

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[Spaltenumbruch] lichen, durch den Polarstern (obgleich er nicht genau in der Himmelsaxe liegt) be-
zeichnet, so wird die Verbindungslinie eines Punktes der nördlichen Halbkugel
mit dem Pole (wegen dessen unendlicher Entfernung) zur Erdaxe parallel sein.
Wenn man ferner die Winkel vergleicht welche diese Verbindungslinien für ver-
schiedene Punkte der Erdhälfte mit der Horizontalebene dieser Punkte einschließen,
so findet man daß diese Winkel, die sogenannten Polhöhen, um so größer werden,
je näher die Punkte auf der Erdoberfläche dem Erdnordpole liegen, je größer also
ihre Entfernung vom Aequator ist. Eine weitere einfache geometrische Betrach-
tung lehrt daß Polhöhe und geographische Breite eines Ortes (der Neigungs-
winkel der Lothlinie des Ortes gegen die Ebene des Aequators) gleich groß sind,
so daß man also letztere durch die erstere messen kann; und endlich sieht man auch
sofort ein daß der Unterschied der geographischen Breiten zweier Punkte eines Me-
ridians der Krümmungswinkel des zwischen diesen Punkten gelegenen Meridian-
bogens ist.

Die vorliegende astronomische Aufgabe wird also durch Messung von Pol-
höhen erledigt. Was die geodätische anbelangt, so wäre die directe Längenmes-
sung des gegebenen Meridianbogens die unmittelbarste, schon im Alterthum ver-
suchte Lösung; allein dieses Verfahren ist, wegen der Hindernisse die sich seiner
Ausführung entgegenstellen, immer kostspielig und ungenau, oft aber auch un-
möglich. Es war daher ein glücklicher Gedanke des niederländischen Mathema-
tikers und Physikers W. Snellius die Länge eines Erdbogens mittelbar dadurch
zu messen daß er die beiden Endpunkte dieses Bogens durch ein zusammenhängen-
des Netz von Dreiecken verband, und hieraus die Bogenlänge berechnete. Sind
nämlich in einem solchen Dreiecksnetz eine Seite, die Grundlinie und alle Winkel
sehr genau gemessen, so lassen sich die Längen sämmtlicher Dreiecksseiten und die
gegenseitige Lage aller Eckpunkte des Netzes mit Hülfe trigonometrischer Rechnun-
gen leicht bestimmen. Wird dann noch der horizontale Neigungswinkel einer Dreiecks-
seite gegen die Mittagslinie, das Azimuth dieser Seite, gemessen, so findet man
damit auch das Azimuth jeder anderen Seite und schließlich die Länge des Meri-
dianbogens zwischen den äußersten Punkten des Dreiecksnetzes ebenfalls durch
Rechnung. Die Gesammtheit aller dieser Operationen nennt man eine Triangu-
lation: ihrer Einführung verdanken die geodätischen Messungen unserer Zeit eine
mit Recht bewunderte Präcision.

Gradmessungen welche auf der Voraussetzung einer kugelförmigen Erde be-
ruhten, sind in der Zeit von 250 v. bis 1680 n. Chr., welche man als die erste
Periode der Gradmessungen bezeichnen kann, mehrere gemacht worden, doch sind
nur vier erwähnenswerth: die erste, zu Anfang dieser Periode von Eratosthenes
aus Kyrene, zwischen Alexandria und Syene (dem heutigen Assuan), ausgeführt,
stellte wichtige Gesichtspunkte für dergleichen Unternehmungen auf; die zweite,
welche im Anfang des neunten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung von den Ma-
thematikern des Chalifen Mamun in der Ebene von Tadmor und Sindschar am
Arabischen Meerbusen unternommen wurde, liefert den Beweis daß die Vorstel-
lung von der Kugelgestalt der Erde bei den Arabern nicht verloren gegangen war,
wie im Abendlande während des Verfalls des Römerreichs und der Völkerwande-
rung; die dritte, von dem Professor Willebord Snellius in Leyden im Jahr
1615 zwischen Alkmaar und Bergen-op-zoom ausgeführt, brachte uns die für alle
Zeit gültigen Principien der höheren Geodäsie; während die vierte, welche Picard
in den Jahren 1669 und 1670 zwischen Paris und Amiens unternahm, dadurch
merkwürdig ist daß sie einen entscheidenden Einfluß auf die Entdeckung des Gra-
vitationsgesetzes durch Newton ausübte und dadurch die zweite Periode der Grad-
messungen mit vorbereiten half, welche man von 1680 bis zum Beginn der euro-
päischen Gradmessung (1860) erstrecken kann.

Nachdem nämlich durch Newton und Huyghens aus theoretischen Gründen,
welche auf der Axendrehung der Erde und der dadurch in ihrer Masse erzeugten
Schwungkraft beruhten, die Behauptung aufgestellt war: daß die ideale Erdgestalt
keine vollkommene Kugel sein könne, sondern ein Ellipsoid sein müsse, das entsteht
wenn man eine halbe Ellipse um ihre kleine Achse dreht, handelte es sich darum
diese Behauptung durch wirkliche Messungen am Erdkörper festzustellen. Wäh-
rend also in der ersten Periode der Gradmessungen für alle Geodäten die Gestalt
der Erde unzweifelhaft feststand, und nur deren Größe zu suchen war, spielten in
der zweiten Periode die Untersuchungen über die Form unseres Planeten eine nicht
minder wichtige Rolle als jene über seine Dimensionen. Der Newton'schen Auf-
stellung gegenüber, daß die Erde ein Ellipsoid und zwar ein an den Polen abge-
plattetes sei, vertrat der Astronom Cassini in Paris, auf Grund unrichtiger Mes-
sungsresultate die er bei Fortsetzung der Picard'schen Messung erlangt hatte, die
Ansicht daß dieses Ellipsoid nicht an den Polen, sondern nur am Aequator abge-
plattet sein könne. Ueber die Frage: ob die Erdgestalt sich mehr mit der Form
einer Pomeranze oder einer Citrone vergleichen lasse, stritten sich die Gelehrten
diesseits und jenseits des Canals länger als ein halbes Jahrhundert, bis endlich
die französische Regierung dem Streite dadurch ein Ende machte daß sie im Jahre
1735 zwei Gradmessungen anordnete, eine unter Bouguer und Condamine am
Aequator in Peru und eine unter Maupertuis und Clairaut in der Nähe des Po-
larkreises in Lappland.

Warum diese Gradmessungen in so weit von einander entfernten Ländern ge-
macht werden mußten, ergibt sich aus folgender Betrachtung. Denkt man sich den
Raum um den Mittelpunkt eines Kreises in 360 gleiche Winkel oder Grade getheilt,
so sind die Kreisbögen welche je einen Grad messen alle einander gleich, weil der
Kreis durchaus gleiche Krümmung besitzt. Betrachtet man dagegen die Wege auf
einer Ellipse zwischen zwei Senkrechten (Normalen), die mit einander einen Winkel
von einem Grad bilden, so ist klar daß die Bögen welche je einen Grad abschließen
an Länge verschieden, und zwar am Ende der großen Axe kleiner sind als am Ende
der kleinen Axe, weil dort die Ellipse stärker gebogen ist als hier. Wenn nun die
ideale Erdgestalt ein an den Polen abgeplattetes Umdrehungsellipsoid, also ein
Körper ist der durch Drehung einer Ellipse um ihre kleine Axe entsteht, so ist jeder
Meridian der Erde eine solche Ellipse, und es sind dessen Gradbögen am Aequator
nothwendig kleiner als jene am Polarkreise; sie nehmen überhaupt vom Aequator
bis zu den Polen stetig an Größe zu. Es galt also durch die von der französischen
Regierung angeordneten Gradmessungen diese theoretische Schlußfolgerung oder
[Spaltenumbruch] die gegentheilige, welche aus der Cassini'schen Theorie sich ergab, zu bestätigen.
Das Ergebniß dieser großen wissenschaftlichen Expeditionen, welche der Regierung
von Frankreich stets zum Ruhme gereichen werden, fiel zu Gunsten der Newton'-
schen Behauptung aus, und es begann nun eine neue Reihe von Gradmessungen
welche die Gestalt der Erde durch Aufsuchung ihrer Abplattung, d. i. des Unter-
schieds zwischen dem äquatorialen und polaren Durchmesser oder der großen und
kleinen Axe, festzustellen suchten. Es war von nun an nicht mehr gleichgültig auf
welchem verticalen Durchschnitt der Erde man eine Gradmessung vornahm; man
mußte jetzt Gradmessungen auf einem Meridian und auf einem Parallelkreis, oder
Breiten- und Längengradmessungen, unterscheiden.

Das Princip einer Breitengradmessung ist von dem einer Gradmessung auf
einer kugelförmigen Erde nicht verschieden: es handelt sich auch hier um Messung
der Polhöhen an den Endpunkten des vorliegenden Meridianbogens und um die
Längenbestimmung dieses Bogens durch Triangulation; nur die Berechnungen
werden wegen der elliptischen Form der Meridiane und der hieraus entspringenden
Ungleichheit der Grade schwieriger. Was die Bestimmungen von Polhöhen be-
trifft, so sollen sie nach den Beschlüssen der dritten allgemeinen Conferenz nicht
bloß an allen astronomischen Punkten erster Ordnung, als welche die Sternwarten
gelten, sondern auch an möglichst vielen Punkten zweiter Ordnung vorgenommen
werden. Hiebei wird es für besonders wünschenswerth erachtet daß dergleichen Be-
stimmungen theils durch Messung der Höhenwinkel von Fixsternen in der Nähe des
Meridians (Circummeridianhöhen), theils durch Beobachtung von Sternen im
ersten Vertical (d. i. in einer lothrechten Ebene senkrecht zum Meridian) ausgeführt
werden.

Eine Längengradmessung ist theilweise eine neue Aufgabe. Zwar handelt
es sich auch hier wieder um die Bestimmung eines Centriwinkels zwischen zwei
Punkten eines Parallelkreises und um Messung der Länge des Bogens zwischen
diesen Punkten; es zerfällt also auch diese Aufgabe in einen astronomischen und
einen geodätischen Theil, und dieser letztere wird, wie bei der Breitengradmessung,
durch Triangulation erledigt. Aber die astronomische Bestimmung eines Parallel-
kreisbogens beruht auf ganz anderen Grundlagen als die Messung eines Meridian-
grades, und diese neue Grundlage wurde erst dadurch gewonnen daß der brittische
Reichsastronom Flamsteed, ein Zeitgenosse Newtons, die Umdrehungsgeschwindig-
keit der Erde als Winkelmaß zu benützen lehrte.

Es ist eine unbestreitbare Thatsache daß sich die Erde mit vollster Gleichför-
migkeit um ihre Axe dreht, und demnach der Sternenhimmel sich mit derselben
Gleichförmigkeit um die ins Endlose verlängert gedachte Erdaxe, welche dann
zur Himmelsaxe wird, zu drehen scheint. Die Zeit einer wirklichen ganzen Um-
drehung der Erde oder einer scheinbaren des Sternenhimmels, einen Sterntag,
theilen unsere Uhren in bekannter Weise in Stunden, Minuten und Secunden ab,
so daß jedem Zeittheil ein bestimmter Drehungswinkel oder, da alle Winkel durch
Bogen gemessen werden, ein bestimmter Bogen entspricht, z. B. 1 Zeitsecunde 15
Bogensecunden u. s. w. In diesem Sinn ist die Uhr ein Meßinstrument der Stern-
warten geworden. Sie kann aber für sich allein keinen Winkel angeben, sondern
nur in Verbindung mit einem in der Nichtung des Meridians aufgestellten Fern-
rohre, dem Passagen-Instrument, welches den Augenblick bezeichnet wo ein be-
stimmter Stern durch den Meridian des Beobachtungsortes geht. Denkt man sich
nun auf zwei Punkten eines Parallelkreises der Erde je ein solches Instrument und
eine genaue astronomische Uhr aufgestellt, und bemerkt daselbst die Zeiten welche
beim Durchgang eines und desselben Sternes durch das Passagen-Instrument statt-
finden, so gibt der Zeitunterschied sofort den Winkel an welchen die Meridian-
ebenen der Beobachtungsorte an der Erdaxe mit einander bilden, da, wie be-
merkt, einer Zeitsecunde fünfzehn Bogensecunden entsprechen. Ist auf diese Weise
der Winkel und geodätisch der zugehörige Bogen des Parallels gefunden, so ergibt
sich durch Division der Bogenlänge mit dem in Graden ausgedrückten Centriwinkel
sofort die Länge eines Grades des betreffenden Parallelkreises. Diese Grade wer-
den selbstverständlich für jedes Parallel um so kleiner, je größer dessen geographi-
sche Breite ist, weil die Halbmesser der auf der Erdaxe senkrecht stehenden Parallel-
kreise mit dem Cosinus jener Breite sich ändern.

In neuester Zeit, die der elektro-magnetischen Telegraphie eine so hohe
Vollendung gab, war es natürlich dieselbe bei der Bestimmung der Meridian-
differenz oder des Zeitunterschiedes zu benützen welcher zwischen den Eintritten
eines und desselben Sterns in die Meridiane der Endpunkte eines Parallelbogens
stattfindet; es geschieht dieß mit Hülfe von registrirenden Apparaten, welche auf
den Uhren der Beobachtungsstationen die Zeitmomente des Eintritts bekannter
Fixsterne in die Axenrichtungen der Passagen-Instrumente angeben: man kann
folglich an der Uhr jeder Station die beobachtete Zeitdifferenz ablesen welche dem
gesuchten geographischen Längenunterschiede beider Stationen entspricht. Da die
Geschwindigkeit des elektrischen Stromes keine unendlich große ist, und in Folge
der Trägheit der Receptivapparate die Markirung eines und desselben Moments
auf beiden Stationen ohne einen kleinen Fehler nicht vor sich geht, so muß bei
telegraphischen Längenbestimmungen hierauf Rücksicht genommen werden, mehr
noch aber auf die persönlichen Fehler der Beobachter, d. i. auf deren ungleiche Be-
fähigung in der Auffassung eines und desselben Moments durch Auge oder Ohr
(die persönliche Gleichung). Es ist hier nicht der Ort auf die Art der Fehlerbestim-
mung und die Ausgleichung der Fehler näher einzugehen; es genüge die Bemerkung
daß die Genauigkeit der telegraphischen Längenbestimmungen etwa 0,02 Secunden
in Zeit oder 0,3 Secunden in Bogen beträgt.

In Bezug auf geographische Längenbestimmungen hat die dritte allgemeine
Conferenz ausdrücklich festgestellt: daß jede astronomische Station, ob Sternwarte
oder ein anderer wichtiger Punkt des astronomisch-geodätischen Netzes, nach wenig-
stens drei Richtungen mit umliegenden Stationen verbunden werde, so daß für die
Längendifferenz jeder Station mindestens drei Werthe aus directen Messungen er-
halten werden. Ferner sollen die Längenbestimmungen nur auf directe telegraphi-
sche Verbindung der Beobachtungsstationen sich gründen, und alle optischen Signale
(z. B. Pulverblitze oder Blickfeuer), sowie Zeitübertragungen durch Chronometer,
ausgeschlossen werden, da diese Hülfsmittel der geographischen Längenbestimmung
keine hinreichend genauen Refultate liefern. Endlich hat es die Conferenz für

[Spaltenumbruch] lichen, durch den Polarſtern (obgleich er nicht genau in der Himmelsaxe liegt) be-
zeichnet, ſo wird die Verbindungslinie eines Punktes der nördlichen Halbkugel
mit dem Pole (wegen deſſen unendlicher Entfernung) zur Erdaxe parallel ſein.
Wenn man ferner die Winkel vergleicht welche dieſe Verbindungslinien für ver-
ſchiedene Punkte der Erdhälfte mit der Horizontalebene dieſer Punkte einſchließen,
ſo findet man daß dieſe Winkel, die ſogenannten Polhöhen, um ſo größer werden,
je näher die Punkte auf der Erdoberfläche dem Erdnordpole liegen, je größer alſo
ihre Entfernung vom Aequator iſt. Eine weitere einfache geometriſche Betrach-
tung lehrt daß Polhöhe und geographiſche Breite eines Ortes (der Neigungs-
winkel der Lothlinie des Ortes gegen die Ebene des Aequators) gleich groß ſind,
ſo daß man alſo letztere durch die erſtere meſſen kann; und endlich ſieht man auch
ſofort ein daß der Unterſchied der geographiſchen Breiten zweier Punkte eines Me-
ridians der Krümmungswinkel des zwiſchen dieſen Punkten gelegenen Meridian-
bogens iſt.

Die vorliegende aſtronomiſche Aufgabe wird alſo durch Meſſung von Pol-
höhen erledigt. Was die geodätiſche anbelangt, ſo wäre die directe Längenmeſ-
ſung des gegebenen Meridianbogens die unmittelbarſte, ſchon im Alterthum ver-
ſuchte Löſung; allein dieſes Verfahren iſt, wegen der Hinderniſſe die ſich ſeiner
Ausführung entgegenſtellen, immer koſtſpielig und ungenau, oft aber auch un-
möglich. Es war daher ein glücklicher Gedanke des niederländiſchen Mathema-
tikers und Phyſikers W. Snellius die Länge eines Erdbogens mittelbar dadurch
zu meſſen daß er die beiden Endpunkte dieſes Bogens durch ein zuſammenhängen-
des Netz von Dreiecken verband, und hieraus die Bogenlänge berechnete. Sind
nämlich in einem ſolchen Dreiecksnetz eine Seite, die Grundlinie und alle Winkel
ſehr genau gemeſſen, ſo laſſen ſich die Längen ſämmtlicher Dreiecksſeiten und die
gegenſeitige Lage aller Eckpunkte des Netzes mit Hülfe trigonometriſcher Rechnun-
gen leicht beſtimmen. Wird dann noch der horizontale Neigungswinkel einer Dreiecks-
ſeite gegen die Mittagslinie, das Azimuth dieſer Seite, gemeſſen, ſo findet man
damit auch das Azimuth jeder anderen Seite und ſchließlich die Länge des Meri-
dianbogens zwiſchen den äußerſten Punkten des Dreiecksnetzes ebenfalls durch
Rechnung. Die Geſammtheit aller dieſer Operationen nennt man eine Triangu-
lation: ihrer Einführung verdanken die geodätiſchen Meſſungen unſerer Zeit eine
mit Recht bewunderte Präciſion.

Gradmeſſungen welche auf der Vorausſetzung einer kugelförmigen Erde be-
ruhten, ſind in der Zeit von 250 v. bis 1680 n. Chr., welche man als die erſte
Periode der Gradmeſſungen bezeichnen kann, mehrere gemacht worden, doch ſind
nur vier erwähnenswerth: die erſte, zu Anfang dieſer Periode von Eratoſthenes
aus Kyrene, zwiſchen Alexandria und Syene (dem heutigen Aſſuan), ausgeführt,
ſtellte wichtige Geſichtspunkte für dergleichen Unternehmungen auf; die zweite,
welche im Anfang des neunten Jahrhunderts unſerer Zeitrechnung von den Ma-
thematikern des Chalifen Mamun in der Ebene von Tadmor und Sindſchar am
Arabiſchen Meerbuſen unternommen wurde, liefert den Beweis daß die Vorſtel-
lung von der Kugelgeſtalt der Erde bei den Arabern nicht verloren gegangen war,
wie im Abendlande während des Verfalls des Römerreichs und der Völkerwande-
rung; die dritte, von dem Profeſſor Willebord Snellius in Leyden im Jahr
1615 zwiſchen Alkmaar und Bergen-op-zoom ausgeführt, brachte uns die für alle
Zeit gültigen Principien der höheren Geodäſie; während die vierte, welche Picard
in den Jahren 1669 und 1670 zwiſchen Paris und Amiens unternahm, dadurch
merkwürdig iſt daß ſie einen entſcheidenden Einfluß auf die Entdeckung des Gra-
vitationsgeſetzes durch Newton ausübte und dadurch die zweite Periode der Grad-
meſſungen mit vorbereiten half, welche man von 1680 bis zum Beginn der euro-
päiſchen Gradmeſſung (1860) erſtrecken kann.

Nachdem nämlich durch Newton und Huyghens aus theoretiſchen Gründen,
welche auf der Axendrehung der Erde und der dadurch in ihrer Maſſe erzeugten
Schwungkraft beruhten, die Behauptung aufgeſtellt war: daß die ideale Erdgeſtalt
keine vollkommene Kugel ſein könne, ſondern ein Ellipſoid ſein müſſe, das entſteht
wenn man eine halbe Ellipſe um ihre kleine Achſe dreht, handelte es ſich darum
dieſe Behauptung durch wirkliche Meſſungen am Erdkörper feſtzuſtellen. Wäh-
rend alſo in der erſten Periode der Gradmeſſungen für alle Geodäten die Geſtalt
der Erde unzweifelhaft feſtſtand, und nur deren Größe zu ſuchen war, ſpielten in
der zweiten Periode die Unterſuchungen über die Form unſeres Planeten eine nicht
minder wichtige Rolle als jene über ſeine Dimenſionen. Der Newton’ſchen Auf-
ſtellung gegenüber, daß die Erde ein Ellipſoid und zwar ein an den Polen abge-
plattetes ſei, vertrat der Aſtronom Caſſini in Paris, auf Grund unrichtiger Meſ-
ſungsreſultate die er bei Fortſetzung der Picard’ſchen Meſſung erlangt hatte, die
Anſicht daß dieſes Ellipſoid nicht an den Polen, ſondern nur am Aequator abge-
plattet ſein könne. Ueber die Frage: ob die Erdgeſtalt ſich mehr mit der Form
einer Pomeranze oder einer Citrone vergleichen laſſe, ſtritten ſich die Gelehrten
dieſſeits und jenſeits des Canals länger als ein halbes Jahrhundert, bis endlich
die franzöſiſche Regierung dem Streite dadurch ein Ende machte daß ſie im Jahre
1735 zwei Gradmeſſungen anordnete, eine unter Bouguer und Condamine am
Aequator in Peru und eine unter Maupertuis und Clairaut in der Nähe des Po-
larkreiſes in Lappland.

Warum dieſe Gradmeſſungen in ſo weit von einander entfernten Ländern ge-
macht werden mußten, ergibt ſich aus folgender Betrachtung. Denkt man ſich den
Raum um den Mittelpunkt eines Kreiſes in 360 gleiche Winkel oder Grade getheilt,
ſo ſind die Kreisbögen welche je einen Grad meſſen alle einander gleich, weil der
Kreis durchaus gleiche Krümmung beſitzt. Betrachtet man dagegen die Wege auf
einer Ellipſe zwiſchen zwei Senkrechten (Normalen), die mit einander einen Winkel
von einem Grad bilden, ſo iſt klar daß die Bögen welche je einen Grad abſchließen
an Länge verſchieden, und zwar am Ende der großen Axe kleiner ſind als am Ende
der kleinen Axe, weil dort die Ellipſe ſtärker gebogen iſt als hier. Wenn nun die
ideale Erdgeſtalt ein an den Polen abgeplattetes Umdrehungsellipſoid, alſo ein
Körper iſt der durch Drehung einer Ellipſe um ihre kleine Axe entſteht, ſo iſt jeder
Meridian der Erde eine ſolche Ellipſe, und es ſind deſſen Gradbögen am Aequator
nothwendig kleiner als jene am Polarkreiſe; ſie nehmen überhaupt vom Aequator
bis zu den Polen ſtetig an Größe zu. Es galt alſo durch die von der franzöſiſchen
Regierung angeordneten Gradmeſſungen dieſe theoretiſche Schlußfolgerung oder
[Spaltenumbruch] die gegentheilige, welche aus der Caſſini’ſchen Theorie ſich ergab, zu beſtätigen.
Das Ergebniß dieſer großen wiſſenſchaftlichen Expeditionen, welche der Regierung
von Frankreich ſtets zum Ruhme gereichen werden, fiel zu Gunſten der Newton’-
ſchen Behauptung aus, und es begann nun eine neue Reihe von Gradmeſſungen
welche die Geſtalt der Erde durch Aufſuchung ihrer Abplattung, d. i. des Unter-
ſchieds zwiſchen dem äquatorialen und polaren Durchmeſſer oder der großen und
kleinen Axe, feſtzuſtellen ſuchten. Es war von nun an nicht mehr gleichgültig auf
welchem verticalen Durchſchnitt der Erde man eine Gradmeſſung vornahm; man
mußte jetzt Gradmeſſungen auf einem Meridian und auf einem Parallelkreis, oder
Breiten- und Längengradmeſſungen, unterſcheiden.

Das Princip einer Breitengradmeſſung iſt von dem einer Gradmeſſung auf
einer kugelförmigen Erde nicht verſchieden: es handelt ſich auch hier um Meſſung
der Polhöhen an den Endpunkten des vorliegenden Meridianbogens und um die
Längenbeſtimmung dieſes Bogens durch Triangulation; nur die Berechnungen
werden wegen der elliptiſchen Form der Meridiane und der hieraus entſpringenden
Ungleichheit der Grade ſchwieriger. Was die Beſtimmungen von Polhöhen be-
trifft, ſo ſollen ſie nach den Beſchlüſſen der dritten allgemeinen Conferenz nicht
bloß an allen aſtronomiſchen Punkten erſter Ordnung, als welche die Sternwarten
gelten, ſondern auch an möglichſt vielen Punkten zweiter Ordnung vorgenommen
werden. Hiebei wird es für beſonders wünſchenswerth erachtet daß dergleichen Be-
ſtimmungen theils durch Meſſung der Höhenwinkel von Fixſternen in der Nähe des
Meridians (Circummeridianhöhen), theils durch Beobachtung von Sternen im
erſten Vertical (d. i. in einer lothrechten Ebene ſenkrecht zum Meridian) ausgeführt
werden.

Eine Längengradmeſſung iſt theilweiſe eine neue Aufgabe. Zwar handelt
es ſich auch hier wieder um die Beſtimmung eines Centriwinkels zwiſchen zwei
Punkten eines Parallelkreiſes und um Meſſung der Länge des Bogens zwiſchen
dieſen Punkten; es zerfällt alſo auch dieſe Aufgabe in einen aſtronomiſchen und
einen geodätiſchen Theil, und dieſer letztere wird, wie bei der Breitengradmeſſung,
durch Triangulation erledigt. Aber die aſtronomiſche Beſtimmung eines Parallel-
kreisbogens beruht auf ganz anderen Grundlagen als die Meſſung eines Meridian-
grades, und dieſe neue Grundlage wurde erſt dadurch gewonnen daß der brittiſche
Reichsaſtronom Flamſteed, ein Zeitgenoſſe Newtons, die Umdrehungsgeſchwindig-
keit der Erde als Winkelmaß zu benützen lehrte.

Es iſt eine unbeſtreitbare Thatſache daß ſich die Erde mit vollſter Gleichför-
migkeit um ihre Axe dreht, und demnach der Sternenhimmel ſich mit derſelben
Gleichförmigkeit um die ins Endloſe verlängert gedachte Erdaxe, welche dann
zur Himmelsaxe wird, zu drehen ſcheint. Die Zeit einer wirklichen ganzen Um-
drehung der Erde oder einer ſcheinbaren des Sternenhimmels, einen Sterntag,
theilen unſere Uhren in bekannter Weiſe in Stunden, Minuten und Secunden ab,
ſo daß jedem Zeittheil ein beſtimmter Drehungswinkel oder, da alle Winkel durch
Bogen gemeſſen werden, ein beſtimmter Bogen entſpricht, z. B. 1 Zeitſecunde 15
Bogenſecunden u. ſ. w. In dieſem Sinn iſt die Uhr ein Meßinſtrument der Stern-
warten geworden. Sie kann aber für ſich allein keinen Winkel angeben, ſondern
nur in Verbindung mit einem in der Nichtung des Meridians aufgeſtellten Fern-
rohre, dem Paſſagen-Inſtrument, welches den Augenblick bezeichnet wo ein be-
ſtimmter Stern durch den Meridian des Beobachtungsortes geht. Denkt man ſich
nun auf zwei Punkten eines Parallelkreiſes der Erde je ein ſolches Inſtrument und
eine genaue aſtronomiſche Uhr aufgeſtellt, und bemerkt daſelbſt die Zeiten welche
beim Durchgang eines und desſelben Sternes durch das Paſſagen-Inſtrument ſtatt-
finden, ſo gibt der Zeitunterſchied ſofort den Winkel an welchen die Meridian-
ebenen der Beobachtungsorte an der Erdaxe mit einander bilden, da, wie be-
merkt, einer Zeitſecunde fünfzehn Bogenſecunden entſprechen. Iſt auf dieſe Weiſe
der Winkel und geodätiſch der zugehörige Bogen des Parallels gefunden, ſo ergibt
ſich durch Diviſion der Bogenlänge mit dem in Graden ausgedrückten Centriwinkel
ſofort die Länge eines Grades des betreffenden Parallelkreiſes. Dieſe Grade wer-
den ſelbſtverſtändlich für jedes Parallel um ſo kleiner, je größer deſſen geographi-
ſche Breite iſt, weil die Halbmeſſer der auf der Erdaxe ſenkrecht ſtehenden Parallel-
kreiſe mit dem Coſinus jener Breite ſich ändern.

In neueſter Zeit, die der elektro-magnetiſchen Telegraphie eine ſo hohe
Vollendung gab, war es natürlich dieſelbe bei der Beſtimmung der Meridian-
differenz oder des Zeitunterſchiedes zu benützen welcher zwiſchen den Eintritten
eines und desſelben Sterns in die Meridiane der Endpunkte eines Parallelbogens
ſtattfindet; es geſchieht dieß mit Hülfe von regiſtrirenden Apparaten, welche auf
den Uhren der Beobachtungsſtationen die Zeitmomente des Eintritts bekannter
Fixſterne in die Axenrichtungen der Paſſagen-Inſtrumente angeben: man kann
folglich an der Uhr jeder Station die beobachtete Zeitdifferenz ableſen welche dem
geſuchten geographiſchen Längenunterſchiede beider Stationen entſpricht. Da die
Geſchwindigkeit des elektriſchen Stromes keine unendlich große iſt, und in Folge
der Trägheit der Receptivapparate die Markirung eines und desſelben Moments
auf beiden Stationen ohne einen kleinen Fehler nicht vor ſich geht, ſo muß bei
telegraphiſchen Längenbeſtimmungen hierauf Rückſicht genommen werden, mehr
noch aber auf die perſönlichen Fehler der Beobachter, d. i. auf deren ungleiche Be-
fähigung in der Auffaſſung eines und desſelben Moments durch Auge oder Ohr
(die perſönliche Gleichung). Es iſt hier nicht der Ort auf die Art der Fehlerbeſtim-
mung und die Ausgleichung der Fehler näher einzugehen; es genüge die Bemerkung
daß die Genauigkeit der telegraphiſchen Längenbeſtimmungen etwa 0,02 Secunden
in Zeit oder 0,3 Secunden in Bogen beträgt.

In Bezug auf geographiſche Längenbeſtimmungen hat die dritte allgemeine
Conferenz ausdrücklich feſtgeſtellt: daß jede aſtronomiſche Station, ob Sternwarte
oder ein anderer wichtiger Punkt des aſtronomiſch-geodätiſchen Netzes, nach wenig-
ſtens drei Richtungen mit umliegenden Stationen verbunden werde, ſo daß für die
Längendifferenz jeder Station mindeſtens drei Werthe aus directen Meſſungen er-
halten werden. Ferner ſollen die Längenbeſtimmungen nur auf directe telegraphi-
ſche Verbindung der Beobachtungsſtationen ſich gründen, und alle optiſchen Signale
(z. B. Pulverblitze oder Blickfeuer), ſowie Zeitübertragungen durch Chronometer,
ausgeſchloſſen werden, da dieſe Hülfsmittel der geographiſchen Längenbeſtimmung
keine hinreichend genauen Refultate liefern. Endlich hat es die Conferenz für

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[19/0011] lichen, durch den Polarſtern (obgleich er nicht genau in der Himmelsaxe liegt) be- zeichnet, ſo wird die Verbindungslinie eines Punktes der nördlichen Halbkugel mit dem Pole (wegen deſſen unendlicher Entfernung) zur Erdaxe parallel ſein. Wenn man ferner die Winkel vergleicht welche dieſe Verbindungslinien für ver- ſchiedene Punkte der Erdhälfte mit der Horizontalebene dieſer Punkte einſchließen, ſo findet man daß dieſe Winkel, die ſogenannten Polhöhen, um ſo größer werden, je näher die Punkte auf der Erdoberfläche dem Erdnordpole liegen, je größer alſo ihre Entfernung vom Aequator iſt. Eine weitere einfache geometriſche Betrach- tung lehrt daß Polhöhe und geographiſche Breite eines Ortes (der Neigungs- winkel der Lothlinie des Ortes gegen die Ebene des Aequators) gleich groß ſind, ſo daß man alſo letztere durch die erſtere meſſen kann; und endlich ſieht man auch ſofort ein daß der Unterſchied der geographiſchen Breiten zweier Punkte eines Me- ridians der Krümmungswinkel des zwiſchen dieſen Punkten gelegenen Meridian- bogens iſt. Die vorliegende aſtronomiſche Aufgabe wird alſo durch Meſſung von Pol- höhen erledigt. Was die geodätiſche anbelangt, ſo wäre die directe Längenmeſ- ſung des gegebenen Meridianbogens die unmittelbarſte, ſchon im Alterthum ver- ſuchte Löſung; allein dieſes Verfahren iſt, wegen der Hinderniſſe die ſich ſeiner Ausführung entgegenſtellen, immer koſtſpielig und ungenau, oft aber auch un- möglich. Es war daher ein glücklicher Gedanke des niederländiſchen Mathema- tikers und Phyſikers W. Snellius die Länge eines Erdbogens mittelbar dadurch zu meſſen daß er die beiden Endpunkte dieſes Bogens durch ein zuſammenhängen- des Netz von Dreiecken verband, und hieraus die Bogenlänge berechnete. Sind nämlich in einem ſolchen Dreiecksnetz eine Seite, die Grundlinie und alle Winkel ſehr genau gemeſſen, ſo laſſen ſich die Längen ſämmtlicher Dreiecksſeiten und die gegenſeitige Lage aller Eckpunkte des Netzes mit Hülfe trigonometriſcher Rechnun- gen leicht beſtimmen. Wird dann noch der horizontale Neigungswinkel einer Dreiecks- ſeite gegen die Mittagslinie, das Azimuth dieſer Seite, gemeſſen, ſo findet man damit auch das Azimuth jeder anderen Seite und ſchließlich die Länge des Meri- dianbogens zwiſchen den äußerſten Punkten des Dreiecksnetzes ebenfalls durch Rechnung. Die Geſammtheit aller dieſer Operationen nennt man eine Triangu- lation: ihrer Einführung verdanken die geodätiſchen Meſſungen unſerer Zeit eine mit Recht bewunderte Präciſion. Gradmeſſungen welche auf der Vorausſetzung einer kugelförmigen Erde be- ruhten, ſind in der Zeit von 250 v. bis 1680 n. Chr., welche man als die erſte Periode der Gradmeſſungen bezeichnen kann, mehrere gemacht worden, doch ſind nur vier erwähnenswerth: die erſte, zu Anfang dieſer Periode von Eratoſthenes aus Kyrene, zwiſchen Alexandria und Syene (dem heutigen Aſſuan), ausgeführt, ſtellte wichtige Geſichtspunkte für dergleichen Unternehmungen auf; die zweite, welche im Anfang des neunten Jahrhunderts unſerer Zeitrechnung von den Ma- thematikern des Chalifen Mamun in der Ebene von Tadmor und Sindſchar am Arabiſchen Meerbuſen unternommen wurde, liefert den Beweis daß die Vorſtel- lung von der Kugelgeſtalt der Erde bei den Arabern nicht verloren gegangen war, wie im Abendlande während des Verfalls des Römerreichs und der Völkerwande- rung; die dritte, von dem Profeſſor Willebord Snellius in Leyden im Jahr 1615 zwiſchen Alkmaar und Bergen-op-zoom ausgeführt, brachte uns die für alle Zeit gültigen Principien der höheren Geodäſie; während die vierte, welche Picard in den Jahren 1669 und 1670 zwiſchen Paris und Amiens unternahm, dadurch merkwürdig iſt daß ſie einen entſcheidenden Einfluß auf die Entdeckung des Gra- vitationsgeſetzes durch Newton ausübte und dadurch die zweite Periode der Grad- meſſungen mit vorbereiten half, welche man von 1680 bis zum Beginn der euro- päiſchen Gradmeſſung (1860) erſtrecken kann. Nachdem nämlich durch Newton und Huyghens aus theoretiſchen Gründen, welche auf der Axendrehung der Erde und der dadurch in ihrer Maſſe erzeugten Schwungkraft beruhten, die Behauptung aufgeſtellt war: daß die ideale Erdgeſtalt keine vollkommene Kugel ſein könne, ſondern ein Ellipſoid ſein müſſe, das entſteht wenn man eine halbe Ellipſe um ihre kleine Achſe dreht, handelte es ſich darum dieſe Behauptung durch wirkliche Meſſungen am Erdkörper feſtzuſtellen. Wäh- rend alſo in der erſten Periode der Gradmeſſungen für alle Geodäten die Geſtalt der Erde unzweifelhaft feſtſtand, und nur deren Größe zu ſuchen war, ſpielten in der zweiten Periode die Unterſuchungen über die Form unſeres Planeten eine nicht minder wichtige Rolle als jene über ſeine Dimenſionen. Der Newton’ſchen Auf- ſtellung gegenüber, daß die Erde ein Ellipſoid und zwar ein an den Polen abge- plattetes ſei, vertrat der Aſtronom Caſſini in Paris, auf Grund unrichtiger Meſ- ſungsreſultate die er bei Fortſetzung der Picard’ſchen Meſſung erlangt hatte, die Anſicht daß dieſes Ellipſoid nicht an den Polen, ſondern nur am Aequator abge- plattet ſein könne. Ueber die Frage: ob die Erdgeſtalt ſich mehr mit der Form einer Pomeranze oder einer Citrone vergleichen laſſe, ſtritten ſich die Gelehrten dieſſeits und jenſeits des Canals länger als ein halbes Jahrhundert, bis endlich die franzöſiſche Regierung dem Streite dadurch ein Ende machte daß ſie im Jahre 1735 zwei Gradmeſſungen anordnete, eine unter Bouguer und Condamine am Aequator in Peru und eine unter Maupertuis und Clairaut in der Nähe des Po- larkreiſes in Lappland. Warum dieſe Gradmeſſungen in ſo weit von einander entfernten Ländern ge- macht werden mußten, ergibt ſich aus folgender Betrachtung. Denkt man ſich den Raum um den Mittelpunkt eines Kreiſes in 360 gleiche Winkel oder Grade getheilt, ſo ſind die Kreisbögen welche je einen Grad meſſen alle einander gleich, weil der Kreis durchaus gleiche Krümmung beſitzt. Betrachtet man dagegen die Wege auf einer Ellipſe zwiſchen zwei Senkrechten (Normalen), die mit einander einen Winkel von einem Grad bilden, ſo iſt klar daß die Bögen welche je einen Grad abſchließen an Länge verſchieden, und zwar am Ende der großen Axe kleiner ſind als am Ende der kleinen Axe, weil dort die Ellipſe ſtärker gebogen iſt als hier. Wenn nun die ideale Erdgeſtalt ein an den Polen abgeplattetes Umdrehungsellipſoid, alſo ein Körper iſt der durch Drehung einer Ellipſe um ihre kleine Axe entſteht, ſo iſt jeder Meridian der Erde eine ſolche Ellipſe, und es ſind deſſen Gradbögen am Aequator nothwendig kleiner als jene am Polarkreiſe; ſie nehmen überhaupt vom Aequator bis zu den Polen ſtetig an Größe zu. Es galt alſo durch die von der franzöſiſchen Regierung angeordneten Gradmeſſungen dieſe theoretiſche Schlußfolgerung oder die gegentheilige, welche aus der Caſſini’ſchen Theorie ſich ergab, zu beſtätigen. Das Ergebniß dieſer großen wiſſenſchaftlichen Expeditionen, welche der Regierung von Frankreich ſtets zum Ruhme gereichen werden, fiel zu Gunſten der Newton’- ſchen Behauptung aus, und es begann nun eine neue Reihe von Gradmeſſungen welche die Geſtalt der Erde durch Aufſuchung ihrer Abplattung, d. i. des Unter- ſchieds zwiſchen dem äquatorialen und polaren Durchmeſſer oder der großen und kleinen Axe, feſtzuſtellen ſuchten. Es war von nun an nicht mehr gleichgültig auf welchem verticalen Durchſchnitt der Erde man eine Gradmeſſung vornahm; man mußte jetzt Gradmeſſungen auf einem Meridian und auf einem Parallelkreis, oder Breiten- und Längengradmeſſungen, unterſcheiden. Das Princip einer Breitengradmeſſung iſt von dem einer Gradmeſſung auf einer kugelförmigen Erde nicht verſchieden: es handelt ſich auch hier um Meſſung der Polhöhen an den Endpunkten des vorliegenden Meridianbogens und um die Längenbeſtimmung dieſes Bogens durch Triangulation; nur die Berechnungen werden wegen der elliptiſchen Form der Meridiane und der hieraus entſpringenden Ungleichheit der Grade ſchwieriger. Was die Beſtimmungen von Polhöhen be- trifft, ſo ſollen ſie nach den Beſchlüſſen der dritten allgemeinen Conferenz nicht bloß an allen aſtronomiſchen Punkten erſter Ordnung, als welche die Sternwarten gelten, ſondern auch an möglichſt vielen Punkten zweiter Ordnung vorgenommen werden. Hiebei wird es für beſonders wünſchenswerth erachtet daß dergleichen Be- ſtimmungen theils durch Meſſung der Höhenwinkel von Fixſternen in der Nähe des Meridians (Circummeridianhöhen), theils durch Beobachtung von Sternen im erſten Vertical (d. i. in einer lothrechten Ebene ſenkrecht zum Meridian) ausgeführt werden. Eine Längengradmeſſung iſt theilweiſe eine neue Aufgabe. Zwar handelt es ſich auch hier wieder um die Beſtimmung eines Centriwinkels zwiſchen zwei Punkten eines Parallelkreiſes und um Meſſung der Länge des Bogens zwiſchen dieſen Punkten; es zerfällt alſo auch dieſe Aufgabe in einen aſtronomiſchen und einen geodätiſchen Theil, und dieſer letztere wird, wie bei der Breitengradmeſſung, durch Triangulation erledigt. Aber die aſtronomiſche Beſtimmung eines Parallel- kreisbogens beruht auf ganz anderen Grundlagen als die Meſſung eines Meridian- grades, und dieſe neue Grundlage wurde erſt dadurch gewonnen daß der brittiſche Reichsaſtronom Flamſteed, ein Zeitgenoſſe Newtons, die Umdrehungsgeſchwindig- keit der Erde als Winkelmaß zu benützen lehrte. Es iſt eine unbeſtreitbare Thatſache daß ſich die Erde mit vollſter Gleichför- migkeit um ihre Axe dreht, und demnach der Sternenhimmel ſich mit derſelben Gleichförmigkeit um die ins Endloſe verlängert gedachte Erdaxe, welche dann zur Himmelsaxe wird, zu drehen ſcheint. Die Zeit einer wirklichen ganzen Um- drehung der Erde oder einer ſcheinbaren des Sternenhimmels, einen Sterntag, theilen unſere Uhren in bekannter Weiſe in Stunden, Minuten und Secunden ab, ſo daß jedem Zeittheil ein beſtimmter Drehungswinkel oder, da alle Winkel durch Bogen gemeſſen werden, ein beſtimmter Bogen entſpricht, z. B. 1 Zeitſecunde 15 Bogenſecunden u. ſ. w. In dieſem Sinn iſt die Uhr ein Meßinſtrument der Stern- warten geworden. Sie kann aber für ſich allein keinen Winkel angeben, ſondern nur in Verbindung mit einem in der Nichtung des Meridians aufgeſtellten Fern- rohre, dem Paſſagen-Inſtrument, welches den Augenblick bezeichnet wo ein be- ſtimmter Stern durch den Meridian des Beobachtungsortes geht. Denkt man ſich nun auf zwei Punkten eines Parallelkreiſes der Erde je ein ſolches Inſtrument und eine genaue aſtronomiſche Uhr aufgeſtellt, und bemerkt daſelbſt die Zeiten welche beim Durchgang eines und desſelben Sternes durch das Paſſagen-Inſtrument ſtatt- finden, ſo gibt der Zeitunterſchied ſofort den Winkel an welchen die Meridian- ebenen der Beobachtungsorte an der Erdaxe mit einander bilden, da, wie be- merkt, einer Zeitſecunde fünfzehn Bogenſecunden entſprechen. Iſt auf dieſe Weiſe der Winkel und geodätiſch der zugehörige Bogen des Parallels gefunden, ſo ergibt ſich durch Diviſion der Bogenlänge mit dem in Graden ausgedrückten Centriwinkel ſofort die Länge eines Grades des betreffenden Parallelkreiſes. Dieſe Grade wer- den ſelbſtverſtändlich für jedes Parallel um ſo kleiner, je größer deſſen geographi- ſche Breite iſt, weil die Halbmeſſer der auf der Erdaxe ſenkrecht ſtehenden Parallel- kreiſe mit dem Coſinus jener Breite ſich ändern. In neueſter Zeit, die der elektro-magnetiſchen Telegraphie eine ſo hohe Vollendung gab, war es natürlich dieſelbe bei der Beſtimmung der Meridian- differenz oder des Zeitunterſchiedes zu benützen welcher zwiſchen den Eintritten eines und desſelben Sterns in die Meridiane der Endpunkte eines Parallelbogens ſtattfindet; es geſchieht dieß mit Hülfe von regiſtrirenden Apparaten, welche auf den Uhren der Beobachtungsſtationen die Zeitmomente des Eintritts bekannter Fixſterne in die Axenrichtungen der Paſſagen-Inſtrumente angeben: man kann folglich an der Uhr jeder Station die beobachtete Zeitdifferenz ableſen welche dem geſuchten geographiſchen Längenunterſchiede beider Stationen entſpricht. Da die Geſchwindigkeit des elektriſchen Stromes keine unendlich große iſt, und in Folge der Trägheit der Receptivapparate die Markirung eines und desſelben Moments auf beiden Stationen ohne einen kleinen Fehler nicht vor ſich geht, ſo muß bei telegraphiſchen Längenbeſtimmungen hierauf Rückſicht genommen werden, mehr noch aber auf die perſönlichen Fehler der Beobachter, d. i. auf deren ungleiche Be- fähigung in der Auffaſſung eines und desſelben Moments durch Auge oder Ohr (die perſönliche Gleichung). Es iſt hier nicht der Ort auf die Art der Fehlerbeſtim- mung und die Ausgleichung der Fehler näher einzugehen; es genüge die Bemerkung daß die Genauigkeit der telegraphiſchen Längenbeſtimmungen etwa 0,02 Secunden in Zeit oder 0,3 Secunden in Bogen beträgt. In Bezug auf geographiſche Längenbeſtimmungen hat die dritte allgemeine Conferenz ausdrücklich feſtgeſtellt: daß jede aſtronomiſche Station, ob Sternwarte oder ein anderer wichtiger Punkt des aſtronomiſch-geodätiſchen Netzes, nach wenig- ſtens drei Richtungen mit umliegenden Stationen verbunden werde, ſo daß für die Längendifferenz jeder Station mindeſtens drei Werthe aus directen Meſſungen er- halten werden. Ferner ſollen die Längenbeſtimmungen nur auf directe telegraphi- ſche Verbindung der Beobachtungsſtationen ſich gründen, und alle optiſchen Signale (z. B. Pulverblitze oder Blickfeuer), ſowie Zeitübertragungen durch Chronometer, ausgeſchloſſen werden, da dieſe Hülfsmittel der geographiſchen Längenbeſtimmung keine hinreichend genauen Refultate liefern. Endlich hat es die Conferenz für

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 2, 2. Januar 1872, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine02_1872/11>, abgerufen am 21.11.2024.