Allgemeine Zeitung, Nr. 2, 2. Januar 1872.Beilage zur Allgemeinen Zeitung. Nr. 2. Dienstag, 2 Januar 1872.Correspondenzen sind an die Redaction, Inserate an die Expedition der Aligemeinen Zeitung franco zu riehten. Insertionspreis nach aufliegendem Tarif. Verlag der J. G. Cotta' schen Buchhandlung. Für die Redaction verantwortlich: Dr. J. v. Gosen. [Spaltenumbruch] Uebersicht. Münchener Kunst. -- Die dritte allgemeine Conferenz und der gegenwärtige Neueste Posten. München: S. M. der König. Hoftheaterintendant Baron Telegraphische Curs- und Handelsberichte. (*) Frankfurt a. M., 1 Jan. Effectensocietät. Bayer. 5proc. Anl. v. 1870 * Berlin, 1 Jan. Privatverkehr. Oesterr. Creditactien 190 ex., 1860er Loose * Wien, 1 Jan., 1 Uhr 10 Min. Privatverkehr. Creditactien 330, Loose von Börsenbericht. ÷ Paris, 31 Dec.Börsenwoche.) Das Jahr schließt ziemlich befriedigend, Müncheuer Kunst. F. Pt. Gewiß ist es ein eigenthümliches Verhängniß daß noch niemals irgendein Seit Schleichs und Piloty's gewaltiger Einwirkung auf die coloristische Ent- Hoffentlich lassen sie das wenigstens im neuen Deutschen Reich schön bleiben, Während unsere neueste Landschafterschule alles mit Grau so lange abtönt Von weitern Landschaften brachte die Ausstellung, außer hübschen spanischen Umgekehrt können es Lichtbilder beinahe bis zum Eindruck von vollendeten Es gibt so wenig kosmopolitische Kunstwerke als es eine kosmopolitische Lite- In Gysis scheint der Münchener Schule eine ähnliche Erscheinung aufblühen Wir finden uns in einer engen Straße der Stadt, wo alle Welt mit dem Beilage zur Allgemeinen Zeitung. Nr. 2. Dienſtag, 2 Januar 1872.Correspondenzen sind an die Redaction, Inserate an die Expedition der Aligemeinen Zeitung franco zu riehten. Insertionspreis nach aufliegendem Tarif. Verlag der J. G. Cotta’ ſchen Buchhandlung. Für die Redaction verantwortlich: Dr. J. v. Goſen. [Spaltenumbruch] Ueberſicht. Münchener Kunſt. — Die dritte allgemeine Conferenz und der gegenwärtige Neueſte Poſten. München: S. M. der König. Hoftheaterintendant Baron Telegraphiſche Curs- und Handelsberichte. (*) Frankfurt a. M., 1 Jan. Effectenſocietät. Bayer. 5proc. Anl. v. 1870 * Berlin, 1 Jan. Privatverkehr. Oeſterr. Creditactien 190 ex., 1860er Looſe * Wien, 1 Jan., 1 Uhr 10 Min. Privatverkehr. Creditactien 330, Looſe von Börſenbericht. ÷ Paris, 31 Dec.Börſenwoche.) Das Jahr ſchließt ziemlich befriedigend, Müncheuer Kunſt. F. Pt. Gewiß iſt es ein eigenthümliches Verhängniß daß noch niemals irgendein Seit Schleichs und Piloty’s gewaltiger Einwirkung auf die coloriſtiſche Ent- Hoffentlich laſſen ſie das wenigſtens im neuen Deutſchen Reich ſchön bleiben, Während unſere neueſte Landſchafterſchule alles mit Grau ſo lange abtönt Von weitern Landſchaften brachte die Ausſtellung, außer hübſchen ſpaniſchen Umgekehrt können es Lichtbilder beinahe bis zum Eindruck von vollendeten Es gibt ſo wenig kosmopolitiſche Kunſtwerke als es eine kosmopolitiſche Lite- In Gyſis ſcheint der Münchener Schule eine ähnliche Erſcheinung aufblühen Wir finden uns in einer engen Straße der Stadt, wo alle Welt mit dem <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0009"/> <div n="1"> <p> <floatingText> <front> <titlePage type="heading"> <docTitle> <titlePart type="main"> <hi rendition="#b">Beilage zur Allgemeinen Zeitung.</hi> </titlePart> </docTitle><lb/> <docDate> <hi rendition="#b">Nr. 2. 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Die Reports ſind gleichwohl noch nicht<lb/> merklich gewichen und man bleibt in einer abwartenden Haltung. Die Politik ſpielt in dem<lb/> Augenblicke eine untergeordnete Rolle, wenn auch die Londoner „Times“ von Kriegseven-<lb/> tualitäten zu ſprechen für gut ſand. Frankreich iſt durch die Verhältniſſe gezwungen ſeine<lb/> materielle Kraft auf die innere Stärkung des Landes zu verwenden. Der vernünſtige Theil<lb/> der Nation — und dieſer bildet glücklicherweiſe die Mehrzahl — erkennt die Lage und for-<lb/> dert zur Thätigkeit und ſparſamen Ordnung auf, damit allmählich die Kriegsentſchädi-<lb/> gung abgetragen und die Stenerlaſt vermindert werden kann. Der allgemeinen<lb/> Auſicht gemäß haben wir im Januar einen weitern Aufſchwung zu gewärtigen. Die Spe-<lb/> culation beſchäftigte ſich in den letzten Decembertagen vorzugsweiſe mit italieniſcher Rente,<lb/> die — <hi rendition="#aq">mirabile dietu</hi> — im Augenblick den 70r erreichte. Das hätte ſich noch vier Mona-<lb/> ten ſelbſt Victor Emmanuel nicht träumen laſſen! Der Feldzug, welcher zu Gunſten der<lb/> Staatsfonds eingeleitet und glücklich in Gaug geſetzt ward, dürfte in der nächſten Zeit ſrau-<lb/> zöſiſche, öſterreichiſche und ſelbſt ſpaniſche Reute weiter in die Höhe ſchieben. Die Thiers’ſche<lb/> Republik wird jedenfalls vorläufig Stand halten und keine eingreifende Erſchütterung auf-<lb/> kommen laſſen. — Daher wahrſcheinlicher Aufſchwung aller Fonds. Die Incaſſi vom<lb/> Ende des Jahres bewerkſtelligten ſich auf eine befriedigende Weiſe. 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Nach dem durch den Verluſt<lb/> von Schwind, Peter Heß und Horſchelt bezeichneten Beginn desſelben raubt uns<lb/> ſein Schluß Victor Müller, von dem man wohl ſagen darf daß ſich nur wenige der<lb/> jetzt in München lebenden Künſtler rühmen können einen größern Einfluß auf<lb/> die neuere Entwicklung unſerer Schule ausgeübt zu haben als dieſer leider viel zu<lb/> früh dahingeſchiedene Künſtler. Denn hatten wir noch neulich ſeiner Balconſcene<lb/> aus Romeo und Julie als eines in jedem Sinn bedeutſamen Erzeugniſſes zu ge-<lb/> denken, ſo war ſie unſtreitig die beſte Leiſtung des unermüdlich und mit ſeltener<lb/> Ausdauer und Gewiſſenhaftigkeit ringenden Künſtlers ſelber, gab alſo Hoffnung<lb/> auf noch weiteres Fortſchreiten. Ihr Verdienſt lag ganz nach der coloriſtiſchen<lb/> Seite hin, die ihm ein vollſtändig neues Syſtem der Behandlung der Farbe ver-<lb/> dankte. Urſprünglich Courbet entlehnt, hatte er es in höchſt ſelbſtändiger Weiſe<lb/> ausgebildet, und ihm Wirkungen abgewonnen die, wie ſie in manchen ſeiner Bilder,<lb/> vorab im letzten, zu Ergebniſſen von bleibendem Werth führten, auch ein ganz<lb/> neues Licht auf das techniſche Verfahren der claſſiſchen, beſonders der niederlän-<lb/> diſchen Coloriſten warfen, das wenige ſo genau unterſucht hatten wie er.</p><lb/> <p>Seit Schleichs und Piloty’s gewaltiger Einwirkung auf die coloriſtiſche Ent-<lb/> wicklung der Schule hat eigentlich neben Makart nur noch Müller in dieſer Be-<lb/> ziehung einen bedeutenden Einfluß ausgeübt, der im Ergebniß einer größern Aus-<lb/> bildung des Helldunkels ſich ganz ähnlich, doch im techniſchen Verfahren ganz ent-<lb/> gegengeſetzt iſt — ein Beweis weiter daß auch im Reiche der Kunſt alle Wege nach<lb/> Rom führen.</p><lb/> <p>Hoffentlich laſſen ſie das wenigſtens im neuen Deutſchen Reich ſchön bleiben,<lb/> ſonſt würden wir ſeinen Wegbahnern weit weniger Beifall entgegentragen als<lb/> jenen obengenannten künſtleriſchen, von denen uns Schleich denſelben neuerdings<lb/> durch eine große Landſchaft im Kunſtverein abgezwungen hat, die in jedem Sinne<lb/><cb/> zu ſeinen glänzendſten Leiſtungen gehört, ſowohl durch die außerordentliche Friſche<lb/> und Klarheit der dießmal direct zwiſchen Rubens und Rembrandt die Mitte hal-<lb/> tenden Färbung als durch die großartige Kühnheit der Compoſition und die geniale<lb/> Breite der Behandlung.</p><lb/> <p>Während unſere neueſte Landſchafterſchule alles mit Grau ſo lange abtönt<lb/> bis es ſtimmt, und dadurch oft zu feinen, noch häufiger aber zu ebenſo wohlfeilen<lb/> als monotonen Wirkungen kommt, ſucht Schleich die Poeſie des Colorits durch-<lb/> aus in den energiſchen Gegenſätzen, wie denn hier ein grüner waldiger Hügel über<lb/> einer engen Thalmulde ſo kräftig von der grauen Luft abgeſetzt, das Ganze ſo gar<lb/> nicht abgetönt war, wie man es wohl nach einem Gewitterregen einmal in der Na-<lb/> tur bewundert, es aber, außer Rubens, wohl kaum je ſo entſchloſſen gewagt, ſo<lb/> glücklich durchgeführt ſieht.</p><lb/> <p>Von weitern Landſchaften brachte die Ausſtellung, außer hübſchen ſpaniſchen<lb/> Reiſefrüchten von Bamberger, ein Partenkirchner Thal von Kochnholz und noch<lb/> einige feingeſtimmte Bilder von Tieſenhauſen, Hellrath, Kirſchner ꝛc., im ganzen<lb/> doch gerade nichts hervorragendes, es wäre denn von Thoma eine grasgrün ange-<lb/> ſtrichene Leinwand mit einem Stück Blau, die ein Wieſenthal vorſtellen ſollte und,<lb/> obwohl manche Bewunderer findend, doch nur ſehr deutlich zeigte daß ein Realis-<lb/> mus der, ohne die Forderungen der Kunſt zu berückſichtigen, rückſichtslos die Natur<lb/> nachahmt, eben auch aufhört äſthetiſch zu wirken. In der Kunſt handelt es ſich<lb/> überhaupt ganz und gar nicht, wie Künſtler und Publicum ſo oft meinen, um die<lb/> Natur; ihre Wiedergabe iſt nicht der Zweck der Kunſtwerke, ſonſt hätten die archi-<lb/> tektoniſchen z. B. ja gar keine Berechtigung, ſondern ſie iſt nur ein — wenn auch un-<lb/> enthehrliches — Mittel, das aber durch die Subjectivität des Künſtlers erſt umgebildet<lb/> werden muß um Kunſtwerk werden zu können. Ebendeßhalb machte denn auch<lb/> ein großes Porträt desſelben Künſtlers trotz ſeines leichenhaften Colorits einen<lb/> viel befriedigenderen Eindruck, weil es eine ſubjective Stimmung nicht ohne Fein-<lb/> heit ausdrückte, und alles wegließ was nicht hineinpaßte. Nicht die Welt ſelber<lb/> will man vom Kunſtwerk haben, ſondern die Weltanſchauung des Künſtlers, ſonſt<lb/> wären die Photographien die beſten Kunſtwerke, während gerade die ihnen gleichen-<lb/> den Bilder einen durchweg widerwärtigen Eindruck von Rohheit oder Geziertheit:<lb/> machen, oder oft von beidem.</p><lb/> <p>Umgekehrt können es Lichtbilder beinahe bis zum Eindruck von vollendeten<lb/> Kunſtwerken bringen, wie man aus einer Reihe neuerdings ausgeſtellter photogra-<lb/> phiſcher engliſcher Momentanbilder ſah, bei denen man nicht nur den künſtleriſchen<lb/> Geſchmack in der Auswahl der Scenen, ſondern auch die raſche Entſchloſſenheit zu<lb/> bewundern hatte mit welcher der Photograph ſein Bild gerade in dem Augenblick auf-<lb/> nahm wo die denkbar pikanteſten Lichteffecte aus der Wolkengeſtaltung hervorbrechen,<lb/> ſo daß es entſchiedene Stimmung, alſo die freie Wahl des Künſtlers unter den verſchiede-<lb/> nen ewig wechſelnden Naturerſcheinungen zeigte, und mit ihr alſo auch ſeine eigene<lb/> Subjectivität, ohne die es nun einmal keine Kunſtwerke gibt. Hat man ſo dermalen be-<lb/> ſonders bei der Landſchaft jenen alten Erbfehler der Deutſchen beſtändig zu bekämpfen,<lb/> die charakterloſe Vorliebe für das Fremde, die jede neue Mode mit gläubiger Tölpeler<lb/> nachahmt, und wenn ſie noch ſo abgeſchmackt wäre, die niemals Bedenken trägt<lb/> ihr ſogar die beſten einheimiſchen Traditionen aufzuopfern, ſo iſt das in der Kunſt<lb/> doppelt thöricht, weil eine Erfahrung von Jahrhunderten uns nachgerade belehren<lb/> könnte daß immer nur dasjenige bei uns zu wirklich werthvollen Ergebniſſen führte<lb/> was aus unſerem eigenſten Geiſt hervorgegangen, alſo eminent national oder doch<lb/> von ihm gründlich umgebildet alſo überſetzt worden war. Alles andere gieng ſpurlos<lb/> vorüber oder wirkte nur nachtheilig.</p><lb/> <p>Es gibt ſo wenig kosmopolitiſche Kunſtwerke als es eine kosmopolitiſche Lite-<lb/> ratur gibt; die Sprache iſt die nationale Gränzſcheide genau ſo in der Malerei wie in<lb/> der Poeſie — nur heißt die maleriſche Sprache die Art zu ſehen und wiederzugeben.<lb/> Was aber Beſtand haben ſoll muß ſie beſitzen, deutſch-franzöſiſche Malereien z. B.<lb/> ſind allemal ſo zeugungsunfähig wie Mauleſel, wenn ſie auch noch ſo beſtechend<lb/> ausſehen. Man braucht, wie geſagt, nur das zu überblicken was unſere Zeit etwa<lb/> bleibendes geſchaffen, um durchweg die Wahrnehmung zu machen daß es, wie ver-<lb/> ſchieden auch unter ſich, immer in hohem Grade national, nur aus unſerer Eigen-<lb/> thümlichkeit hervorgegangen war. In dieſem Punkt ſtehen die Idealiſten Corne-<lb/> lius, Kaulbach, Schwind, Ludwig Richter, Rottmann, Schleich mit den Realiſten<lb/> Peter Heß, Menzel, Horſchelt, Knaus, Enhuber, Vautier ganz auf gleichem Boden.</p><lb/> <p>In Gyſis ſcheint der Münchener Schule eine ähnliche Erſcheinung aufblühen<lb/> zu wollen wie ſie der Düſſeldorfer in dem franzöſiſchen Schweizer Vautier ſchon aufge-<lb/> gangen iſt, der deutſchen Literatur im Franzoſen Chamiſſo und im Ungarn Lenau<lb/> einſt erwuchs, zahlloſe Juden, von Heine und Mendelsſohn bis Offenbach, nicht zu<lb/> rechnen. Denn dieſer Grieche Gyſis aus Piloty’s Schule hat durch ſein eben aus-<lb/> geſtelltes Bild der Siegesfeier von Sedan in München ſicherlich das lebensvollſte<lb/> und charakteriſtiſchſte gegeben was unſere Kunſt bis jetzt noch den großen Ereig-<lb/> niſſen des Jahres abgewann.</p><lb/> <p>Wir finden uns in einer engen Straße der Stadt, wo alle Welt mit dem<lb/> Schmücken der Häuſer beſchäftigt iſt, und ein ſchwarzer Buchdruckergehülfe eben das<lb/> Telegramm von der Gefangennahme Napoleons unter dem Jubel der Menge zum<lb/> Fenſter hinaushängt. Wie ſich dieſer nun in den verſchiedenſten Charakteren auch<lb/> ebenſo mannichfach äußert, das hat uns der Künſtler in einer Anzahl überaus ge-<lb/> lungener Figuren mit geiſtreich flüchtigem Pinſel äußerſt pünktlich geſchildert, und<lb/> damit eine reizend humoriſtiſche Erinnerung an die ebenſo herrliche als erſchütternde<lb/> Zeit geſchaffen. Auch ihre Opfer fehlen ſeinem Bilde nicht. Demſelben ſchwäbi-<lb/> ſchen Bauer der ſo komiſch triumphirend das Telegramm entziffert, und deſſen roth-<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </p> </div> </body> </text> </TEI> [0009]
Beilage zur Allgemeinen Zeitung.
Nr. 2. Dienſtag, 2 Januar 1872.
Correspondenzen sind an die Redaction, Inserate an die Expedition der Aligemeinen Zeitung franco zu riehten. Insertionspreis nach aufliegendem Tarif.
Verlag der J. G. Cotta’ ſchen Buchhandlung. Für die Redaction verantwortlich: Dr. J. v. Goſen.
Ueberſicht.
Münchener Kunſt. — Die dritte allgemeine Conferenz und der gegenwärtige
Stand der europäiſchen Gradmeſſung. (II.) — Oeſterreichiſch-ungariſche
Monarchie. Wien: Die Thronrede. Peſt: Die Debatte über den Cultus- und
Unterrichtsetat im Abgeordnetenhauſe.
Neueſte Poſten. München: S. M. der König. Hoftheaterintendant Baron
Perfall. Beſetzung des Speyrer Biſchofsſtuhls. Vom Landtag. Altkatholiſche
Kirche. Aus dem katholiſchen Geſellenverein. Dresden: Ehrengaben des Ver-
eins „Vaterlandsdank.“ Verhaftung. Bremen: Anliegen des Seemanns-
ſtandes. Wien: Die Verhandlungen im Adreßausſchuß. Wiener Detectives.
Die Kaiſerin. London: Der Prinz von Wales. Die Bismarck’ſche Note. Hr.
Dennyſon. — Verſchiedenes.
Telegraphiſche Curs- und Handelsberichte.
(*) Frankfurt a. M., 1 Jan.
Effectenſocietät. Bayer. 5proc. Anl. v. 1870
100[FORMEL], bayer. 4½proc. Anl. 100¼, 4proc. bayer. Präm.-Anl. 112[FORMEL], 4½proc. bayer.
Oſtbahn 145, neue Emiſſion —, mit 40 Proc. Einz. 126½, Alſenzbahn 125[FORMEL], bad.
Prämien-Anl. 110¼, 1882er Amerikaner 96½, Köln-Mindeuer-L. 97[FORMEL], öſterr. Silber-
rente 61¾, Papierrente 52½, 1860er L. 89¼, 1864er L. 141¾, Bankactien 833,
Creditactien excl. 331½, Lombarden 212½, Staatsbahn excl. 394½ neue 193, Eliſabeth
excl. 245, Franz-Joſeph Prior. 86½, Rudolfsb. Prior. 78½, Ungar. Oſtbahn Prior. 74½,
ſpan. 3proc. ausl. Schuld 32[FORMEL], Napoleons —, Darmſtädter Bank excl. 436, böhm.
Weſtbahn —, Nordweſtbahn Prior. 86½, Oregon 75, Beutſch-öſterr. excl. 114. Wechſel:
London 117¼, Paris 91½, Wien 100½. Tendenz: feſt.
* Berlin, 1 Jan.
Privatverkehr. Oeſterr. Creditactien 190 ex., 1860er Looſe
89½, öſterr.-franz. Staatsbahn 226 ex., Lombarden 122¼, Italiener 67½ ex., Rheiniſche
161½ ex. Sehr feſt.
* Wien, 1 Jan., 1 Uhr 10 Min.
Privatverkehr. Creditactien 330, Looſe von
1860 103 30, von 1864 139.50, Lombarden 212.60, Staatsbahn 392 50, Papierrente
60 60, Napoleons 9.24½, Anglo-Auſtrian 332 25, Franco-Auſtrian 135, Unionsbank 286.
Tendenz: ſehr feſt.
Börſenbericht.
÷ Paris, 31 Dec.
Börſenwoche.)
Das Jahr ſchließt ziemlich befriedigend,
denn die monatliche Abwickelung bewerkſtelligte ſich bereits ſeit dem 20 d. M. allmählich
anticipando. In den letzten Tagen zeigten ſich wieder Speculanten welche ſchon lange
die Börſe gemieden hatten, und auch deutſche Käufer griffen ein. England hatte ſehr ſtarke
Kaufanfträge am letzten Freitag hierhergeſchickt. Die Reports ſind gleichwohl noch nicht
merklich gewichen und man bleibt in einer abwartenden Haltung. Die Politik ſpielt in dem
Augenblicke eine untergeordnete Rolle, wenn auch die Londoner „Times“ von Kriegseven-
tualitäten zu ſprechen für gut ſand. Frankreich iſt durch die Verhältniſſe gezwungen ſeine
materielle Kraft auf die innere Stärkung des Landes zu verwenden. Der vernünſtige Theil
der Nation — und dieſer bildet glücklicherweiſe die Mehrzahl — erkennt die Lage und for-
dert zur Thätigkeit und ſparſamen Ordnung auf, damit allmählich die Kriegsentſchädi-
gung abgetragen und die Stenerlaſt vermindert werden kann. Der allgemeinen
Auſicht gemäß haben wir im Januar einen weitern Aufſchwung zu gewärtigen. Die Spe-
culation beſchäftigte ſich in den letzten Decembertagen vorzugsweiſe mit italieniſcher Rente,
die — mirabile dietu — im Augenblick den 70r erreichte. Das hätte ſich noch vier Mona-
ten ſelbſt Victor Emmanuel nicht träumen laſſen! Der Feldzug, welcher zu Gunſten der
Staatsfonds eingeleitet und glücklich in Gaug geſetzt ward, dürfte in der nächſten Zeit ſrau-
zöſiſche, öſterreichiſche und ſelbſt ſpaniſche Reute weiter in die Höhe ſchieben. Die Thiers’ſche
Republik wird jedenfalls vorläufig Stand halten und keine eingreifende Erſchütterung auf-
kommen laſſen. — Daher wahrſcheinlicher Aufſchwung aller Fonds. Die Incaſſi vom
Ende des Jahres bewerkſtelligten ſich auf eine befriedigende Weiſe. Man iſt jedenfalls über
die materielle Lage Frankreichs am Schluſſe des ſo verhängnißvollen Jahres erſtaunt.
Behält vernünſtiges Urtheil und maßvolle Haltung die Oberhand ſo wird das Jahr 1872
viele Wunden heilen und — was die Hauptfache iſt — den Völkerhaß beſchwichtigen.
Müncheuer Kunſt.
F. Pt. Gewiß iſt es ein eigenthümliches Verhängniß daß noch niemals irgendein
Jahr auch nur annähernd ſo viele ſchmerzliche Opfer von unſerer Kunſtwelt gefor-
dert hat wie das ruhmvollſte der deutſchen Geſchichte. Nach dem durch den Verluſt
von Schwind, Peter Heß und Horſchelt bezeichneten Beginn desſelben raubt uns
ſein Schluß Victor Müller, von dem man wohl ſagen darf daß ſich nur wenige der
jetzt in München lebenden Künſtler rühmen können einen größern Einfluß auf
die neuere Entwicklung unſerer Schule ausgeübt zu haben als dieſer leider viel zu
früh dahingeſchiedene Künſtler. Denn hatten wir noch neulich ſeiner Balconſcene
aus Romeo und Julie als eines in jedem Sinn bedeutſamen Erzeugniſſes zu ge-
denken, ſo war ſie unſtreitig die beſte Leiſtung des unermüdlich und mit ſeltener
Ausdauer und Gewiſſenhaftigkeit ringenden Künſtlers ſelber, gab alſo Hoffnung
auf noch weiteres Fortſchreiten. Ihr Verdienſt lag ganz nach der coloriſtiſchen
Seite hin, die ihm ein vollſtändig neues Syſtem der Behandlung der Farbe ver-
dankte. Urſprünglich Courbet entlehnt, hatte er es in höchſt ſelbſtändiger Weiſe
ausgebildet, und ihm Wirkungen abgewonnen die, wie ſie in manchen ſeiner Bilder,
vorab im letzten, zu Ergebniſſen von bleibendem Werth führten, auch ein ganz
neues Licht auf das techniſche Verfahren der claſſiſchen, beſonders der niederlän-
diſchen Coloriſten warfen, das wenige ſo genau unterſucht hatten wie er.
Seit Schleichs und Piloty’s gewaltiger Einwirkung auf die coloriſtiſche Ent-
wicklung der Schule hat eigentlich neben Makart nur noch Müller in dieſer Be-
ziehung einen bedeutenden Einfluß ausgeübt, der im Ergebniß einer größern Aus-
bildung des Helldunkels ſich ganz ähnlich, doch im techniſchen Verfahren ganz ent-
gegengeſetzt iſt — ein Beweis weiter daß auch im Reiche der Kunſt alle Wege nach
Rom führen.
Hoffentlich laſſen ſie das wenigſtens im neuen Deutſchen Reich ſchön bleiben,
ſonſt würden wir ſeinen Wegbahnern weit weniger Beifall entgegentragen als
jenen obengenannten künſtleriſchen, von denen uns Schleich denſelben neuerdings
durch eine große Landſchaft im Kunſtverein abgezwungen hat, die in jedem Sinne
zu ſeinen glänzendſten Leiſtungen gehört, ſowohl durch die außerordentliche Friſche
und Klarheit der dießmal direct zwiſchen Rubens und Rembrandt die Mitte hal-
tenden Färbung als durch die großartige Kühnheit der Compoſition und die geniale
Breite der Behandlung.
Während unſere neueſte Landſchafterſchule alles mit Grau ſo lange abtönt
bis es ſtimmt, und dadurch oft zu feinen, noch häufiger aber zu ebenſo wohlfeilen
als monotonen Wirkungen kommt, ſucht Schleich die Poeſie des Colorits durch-
aus in den energiſchen Gegenſätzen, wie denn hier ein grüner waldiger Hügel über
einer engen Thalmulde ſo kräftig von der grauen Luft abgeſetzt, das Ganze ſo gar
nicht abgetönt war, wie man es wohl nach einem Gewitterregen einmal in der Na-
tur bewundert, es aber, außer Rubens, wohl kaum je ſo entſchloſſen gewagt, ſo
glücklich durchgeführt ſieht.
Von weitern Landſchaften brachte die Ausſtellung, außer hübſchen ſpaniſchen
Reiſefrüchten von Bamberger, ein Partenkirchner Thal von Kochnholz und noch
einige feingeſtimmte Bilder von Tieſenhauſen, Hellrath, Kirſchner ꝛc., im ganzen
doch gerade nichts hervorragendes, es wäre denn von Thoma eine grasgrün ange-
ſtrichene Leinwand mit einem Stück Blau, die ein Wieſenthal vorſtellen ſollte und,
obwohl manche Bewunderer findend, doch nur ſehr deutlich zeigte daß ein Realis-
mus der, ohne die Forderungen der Kunſt zu berückſichtigen, rückſichtslos die Natur
nachahmt, eben auch aufhört äſthetiſch zu wirken. In der Kunſt handelt es ſich
überhaupt ganz und gar nicht, wie Künſtler und Publicum ſo oft meinen, um die
Natur; ihre Wiedergabe iſt nicht der Zweck der Kunſtwerke, ſonſt hätten die archi-
tektoniſchen z. B. ja gar keine Berechtigung, ſondern ſie iſt nur ein — wenn auch un-
enthehrliches — Mittel, das aber durch die Subjectivität des Künſtlers erſt umgebildet
werden muß um Kunſtwerk werden zu können. Ebendeßhalb machte denn auch
ein großes Porträt desſelben Künſtlers trotz ſeines leichenhaften Colorits einen
viel befriedigenderen Eindruck, weil es eine ſubjective Stimmung nicht ohne Fein-
heit ausdrückte, und alles wegließ was nicht hineinpaßte. Nicht die Welt ſelber
will man vom Kunſtwerk haben, ſondern die Weltanſchauung des Künſtlers, ſonſt
wären die Photographien die beſten Kunſtwerke, während gerade die ihnen gleichen-
den Bilder einen durchweg widerwärtigen Eindruck von Rohheit oder Geziertheit:
machen, oder oft von beidem.
Umgekehrt können es Lichtbilder beinahe bis zum Eindruck von vollendeten
Kunſtwerken bringen, wie man aus einer Reihe neuerdings ausgeſtellter photogra-
phiſcher engliſcher Momentanbilder ſah, bei denen man nicht nur den künſtleriſchen
Geſchmack in der Auswahl der Scenen, ſondern auch die raſche Entſchloſſenheit zu
bewundern hatte mit welcher der Photograph ſein Bild gerade in dem Augenblick auf-
nahm wo die denkbar pikanteſten Lichteffecte aus der Wolkengeſtaltung hervorbrechen,
ſo daß es entſchiedene Stimmung, alſo die freie Wahl des Künſtlers unter den verſchiede-
nen ewig wechſelnden Naturerſcheinungen zeigte, und mit ihr alſo auch ſeine eigene
Subjectivität, ohne die es nun einmal keine Kunſtwerke gibt. Hat man ſo dermalen be-
ſonders bei der Landſchaft jenen alten Erbfehler der Deutſchen beſtändig zu bekämpfen,
die charakterloſe Vorliebe für das Fremde, die jede neue Mode mit gläubiger Tölpeler
nachahmt, und wenn ſie noch ſo abgeſchmackt wäre, die niemals Bedenken trägt
ihr ſogar die beſten einheimiſchen Traditionen aufzuopfern, ſo iſt das in der Kunſt
doppelt thöricht, weil eine Erfahrung von Jahrhunderten uns nachgerade belehren
könnte daß immer nur dasjenige bei uns zu wirklich werthvollen Ergebniſſen führte
was aus unſerem eigenſten Geiſt hervorgegangen, alſo eminent national oder doch
von ihm gründlich umgebildet alſo überſetzt worden war. Alles andere gieng ſpurlos
vorüber oder wirkte nur nachtheilig.
Es gibt ſo wenig kosmopolitiſche Kunſtwerke als es eine kosmopolitiſche Lite-
ratur gibt; die Sprache iſt die nationale Gränzſcheide genau ſo in der Malerei wie in
der Poeſie — nur heißt die maleriſche Sprache die Art zu ſehen und wiederzugeben.
Was aber Beſtand haben ſoll muß ſie beſitzen, deutſch-franzöſiſche Malereien z. B.
ſind allemal ſo zeugungsunfähig wie Mauleſel, wenn ſie auch noch ſo beſtechend
ausſehen. Man braucht, wie geſagt, nur das zu überblicken was unſere Zeit etwa
bleibendes geſchaffen, um durchweg die Wahrnehmung zu machen daß es, wie ver-
ſchieden auch unter ſich, immer in hohem Grade national, nur aus unſerer Eigen-
thümlichkeit hervorgegangen war. In dieſem Punkt ſtehen die Idealiſten Corne-
lius, Kaulbach, Schwind, Ludwig Richter, Rottmann, Schleich mit den Realiſten
Peter Heß, Menzel, Horſchelt, Knaus, Enhuber, Vautier ganz auf gleichem Boden.
In Gyſis ſcheint der Münchener Schule eine ähnliche Erſcheinung aufblühen
zu wollen wie ſie der Düſſeldorfer in dem franzöſiſchen Schweizer Vautier ſchon aufge-
gangen iſt, der deutſchen Literatur im Franzoſen Chamiſſo und im Ungarn Lenau
einſt erwuchs, zahlloſe Juden, von Heine und Mendelsſohn bis Offenbach, nicht zu
rechnen. Denn dieſer Grieche Gyſis aus Piloty’s Schule hat durch ſein eben aus-
geſtelltes Bild der Siegesfeier von Sedan in München ſicherlich das lebensvollſte
und charakteriſtiſchſte gegeben was unſere Kunſt bis jetzt noch den großen Ereig-
niſſen des Jahres abgewann.
Wir finden uns in einer engen Straße der Stadt, wo alle Welt mit dem
Schmücken der Häuſer beſchäftigt iſt, und ein ſchwarzer Buchdruckergehülfe eben das
Telegramm von der Gefangennahme Napoleons unter dem Jubel der Menge zum
Fenſter hinaushängt. Wie ſich dieſer nun in den verſchiedenſten Charakteren auch
ebenſo mannichfach äußert, das hat uns der Künſtler in einer Anzahl überaus ge-
lungener Figuren mit geiſtreich flüchtigem Pinſel äußerſt pünktlich geſchildert, und
damit eine reizend humoriſtiſche Erinnerung an die ebenſo herrliche als erſchütternde
Zeit geſchaffen. Auch ihre Opfer fehlen ſeinem Bilde nicht. Demſelben ſchwäbi-
ſchen Bauer der ſo komiſch triumphirend das Telegramm entziffert, und deſſen roth-
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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