Allgemeine Zeitung, Nr. 101, 11. April 1849.[Spaltenumbruch]
zur Rechtfertigung militärischer Operationen gegen Toscana, sich auf sein In einem andern Artikel heißt der Globe Thiers' Rede über die sar- ** London, 7 April. Zur großen Freude der liberalen Presse ist Frankreich. Paris, 7 April. Die angesehensten der socialistischen Journale haben sich jetzt auch Eine Anzahl französischer Nationalgardisten hatte vor einiger Zeit [Spaltenumbruch]
zur Rechtfertigung militäriſcher Operationen gegen Toſcana, ſich auf ſein In einem andern Artikel heißt der Globe Thiers’ Rede über die ſar- ** London, 7 April. Zur großen Freude der liberalen Preſſe iſt Frankreich. Paris, 7 April. Die angeſehenſten der ſocialiſtiſchen Journale haben ſich jetzt auch Eine Anzahl franzöſiſcher Nationalgardiſten hatte vor einiger Zeit <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div type="jArticle" n="3"> <p><pb facs="#f0006" n="1546"/><cb/> zur Rechtfertigung militäriſcher Operationen gegen Toſcana, ſich auf ſein<lb/> Heimfallrecht beruft, erhebt es einen in der Diplomatie bisher unerhörten<lb/> Anſpruch. Oeſterreich darf ſich darauf gefaßt halten daß derſelbe von den<lb/> Mächten, die bei Aufrechthaltung der nationalen Unabhängigkeit der klei-<lb/> neren Staaten intereſſirt ſind, rechtmäßig und ernſtlich wird beſtritten<lb/> werden.“ <note>(Wir geſtehen daß uns obige Diſtinctionen des Globe, und reſp.<lb/> des National, bei Interpretation der beiden bezüglichen Verträge zu fein<lb/> find. Wenn der Wiener Vertrag das Heimfallrecht an „das Haus Loth-<lb/> ringen“ nicht ausdrücklich erwähnt, ſo kann das zunächſt davon herrühren<lb/> daß die großherzogliche Linie zur Zeit mit eigenen Leibeserben blühte.<lb/> Sollte das urſprüngliche Heimfallrecht aufhören, ſo mußte dieß jedenfalls<lb/> ausdrücklich erwähnt werden; ſonſt beſtand eben das alte Verhältniß fort.<lb/> Ein anderes iſt freilich der Einwurf der <hi rendition="#g">Daily News</hi>: daß bei allen ſol-<lb/> chen Verträgen über Land und Leute bisher nur die Fürſten und de-<lb/> ren diplomatiſche Perrücken zu Rathe ſaßen, die Völker und deren Vertre-<lb/> ter aber nirgends befragt wurden. Das, meint Daily News, müſſe in<lb/> der Welt anders werden, wenn endlich geordnete und dauerhafte Verhält-<lb/> niſſe einkehren ſollen; denn das bloße „Recht des Stärkern“ ſey eine<lb/> höhniſche Antiphraſe des Rechtsbegriffs, und nichts weiter als ein vertuſch-<lb/> ter Kriegszuſtand.)</note></p><lb/> <p>In einem andern Artikel heißt der <hi rendition="#g">Globe</hi> Thiers’ Rede über die ſar-<lb/> diniſche Frage — deſſen <hi rendition="#aq">„discours-ministre“,</hi> womit der weiland ſo<lb/> kriegsluſtige franzöſiſche Staatsmann ſeinen Uebertritt zu den nüchternen<lb/> Guizot’ſchen Anſichten über auswärtige Politik beſiegelt hat — als Omen<lb/> willkommen. Denn obgleich England und Europa der aufrichtigen Frie-<lb/> densliebe, womit das jetzige franzöſiſche Cabinet die Politik Lamartine’s<lb/> und Baſtide’s fortſetze, und das gute Einverſtändniß mit England pflege,<lb/> vielen Dank ſchuldig ſey, ſo müſſe man ſich doch von Herzen freuen die<lb/> Redlichkeit und den Patriotismus Odilon-Barrots und Drouyn de Chuys’<lb/> bald durch Thiers’ umfaſſende Intelligenz und amtliche Erfahrung ver-<lb/> ſtärkt zu ſehen. In den letzten Jahren der Monarchie und während der<lb/> erſten Monate der Republik habe kein Staatsmann mehr als Thiers dazu<lb/> beigetragen den franzöſiſchen Volksgeiſt für die engliſche Allianz zu ge-<lb/> winnen, und dadurch Europa die Segnungen des Friedens zu ſichern.<lb/> „Lange Zeit hindurch“, fügt der Globe bei, „und vielleicht bis auf dieſen<lb/> Tag gilt Hr. Thiers bei gewiſſen Claſſen in England als der Feind der<lb/> engliſchen Allianz. Auf gleiche Weiſe wurde Lord Palmerſton verleumdet<lb/> als ein Feind Frankreichs — weil er Jahr für Jahr dem falſchen und hoh-<lb/> len Gaukelſpiel widerſtrebte, womit der verblendete Hof Ludwig Philipps<lb/> die beiden Nationen zu einer Verſchwörung gegen die europäiſche Freiheit<lb/> zu vereinigen ſuchte. Hr. Guizot ward im J. 1840 Miniſter, und Lord<lb/> Aberdeen trat 1841 ins Cabinet. Die famoſe <hi rendition="#aq">„entente cordiale“</hi> wurde<lb/> zwiſchen den zwei conſervativen Miniſtern verabredet, und ſofort wurde<lb/> recht augenfällig wie wenig die amtliche Haltung einer Regierung die blei-<lb/> bende Richtung einer nationalen Politik berührt. Endlich verſchwanden<lb/> die conſervativen Miniſterien, und mit ihnen das ganze Unweſen von Miß-<lb/> verſtändniſſen und Kränkungen das ſie geſchaffen hatten. Stets ſeit der<lb/> Revolution war Frankreichs auswärtige Politik, ſtillſchweigend oder of-<lb/> fen, der Widerſchein der „conſulariſchen“ Inſpiration des Hrn. 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Roebuck hat alle Ausſicht gewählt zu werden, und iſt geſonnen „eine<lb/> Reform der Reformbill“ anzuſtreben, wie er in einer Zuſchrift an die<lb/> Wähler ſagt. — Die Protectioniſtenpartei erwartet mit ſteigender Zu-<lb/> verſicht daß das Oberhaus die miniſterielle Navigations-Bill verwerfen<lb/> werde.</p> </div> </div><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Frankreich.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 7 April.</dateline><lb/> <p>Die angeſehenſten der ſocialiſtiſchen Journale haben ſich jetzt auch<lb/> über ein Wahlmanifeſt vereinigt. 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Dann folgen eine Reihe Reformen in Verwaltung, Juſtiz,<lb/> Finanzen und Wehrverfaſſung, demokratiſche Organiſation der öffentlichen<lb/> Dienſte, Reviſion der Geſetzbücher, Abſchaffung der Todesſtrafe, demo-<lb/> kratiſche Reorganiſation der Land- und Seemacht, Verbeſſerung des Loo-<lb/> ſes der Soldaten und Unterofficiere, Abſchaffung der Conſcription, de-<lb/> mokratiſche Organiſation des landwirthſchaftlichen, induſtriellen und com-<lb/> merciellen Credits, Centraliſation und gemeinnütziger Betrieb der Aſſe-<lb/> curanzen, der Bank, der Eiſenbahnen, Canäle, ſämmtlicher Verkehrs-<lb/> mittel, Reform des Hypothekenweſens, Abſchaffung des Wuchers, Ver-<lb/> minderung des Budgets und billige Vertheilung der Auflagen, Abſchaf-<lb/> fung der Salz- und Getränkeſteuer, der Stadtzölle, Ackerbaucoloniſation<lb/> auswärts und im Innern u. ſ. ſ. Man ſteht wenn dieſe Reformen alle<lb/> verwirklicht werden ſollten, ſo würde von dem jetzigen geſellſchaftlichen<lb/> Gebäude kein Stein auf dem andern bleiben. Dieſem Programm ſind<lb/> die Réforme, die République, der Peuple, der Populaire, die Révolution<lb/> démocratique et ſociale, der Travail affranchi und die Démocratie Pa-<lb/> cifique beigetreten, letztere mit dem Vorbehalt ihrer Anſichten in Betreff<lb/> der Unterrichtsfreiheit unter Ueberwachung des Staats. Im Poitiers-<lb/> verein ſcheinen die Meinungen lange nicht in ſolcher Uebereinſtimmung zu<lb/> ſeyn. Auf die von Liſteur aus geſchehene Anfrage wegen des Hrn. Gui-<lb/> zot hat der Ausſchuß ablehnend geantwortet. Er geſteht ſeine Beſorgniß<lb/> daß wenn er dieſe Candidatur unterſtützen wollte, die gemäßigte Partei<lb/> zerſprengt werden könnte <hi rendition="#aq">(il risquerait lui-mème de diviser le parti<lb/> modéré).</hi> So lautet die von den H.H. Molé, Thiers, Montalembert,<lb/> Berryer, Remuſat, Duvergier de Hauranne und andern Notabilitäten der<lb/> Coalition unterzeichnete Antwort. <hi rendition="#g">La Preſſe</hi>, ſonſt in heftiger Feind-<lb/> ſchaft mit Hrn. Guizot, iſt unparteiiſch genug dieſen Wahloſtracismus zu<lb/> bekämpfen. Aber es iſt dieß nur eine Frage der Zeit — unmittelbar<lb/> nach der Februarrevolution konnten ſich auch Thiers, Bugeaud nicht vor<lb/> den Wählern zeigen, ſpäter wurden ſie gewählt, und wenn die Leiden-<lb/> ſchaften noch etwas mehr abgekühlt ſind, wird ſich auch für Hrn. Guizot<lb/> die politiſche Laufbahn wieder öffnen.</p> </div> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <p>Eine Anzahl franzöſiſcher Nationalgardiſten hatte vor einiger Zeit<lb/> einen Beſuch in England gemacht und war mit großer Zuvorkommenheit<lb/> in London, und wo ſie ſich ſonſt zeigten, aufgenommen worden. Am<lb/> Donnerstag Abends 9 Uhr kam nun der engliſche Gegenbeſuch. Es war<lb/> eine erſte Abtheilung von 300 Gentlemen, noch mehrere ſollen nachfolgen.<lb/> Bei ihrer Einfahrt in den Hafen von Boulogne, Vormittags 11 Uhr, wur-<lb/> den ſie mit 21 Kanonenſchüſſen begrüßt, die Schiffe flaggten, der Präfect<lb/> des Pas-de-Calais, der Maire der Stadt, die Municipalbehörden waren<lb/> zu ihrem Empfang bereit. Die Nationalgarde war ausgerückt. Meh-<lb/> rere Anreden wurden gehalten und von Hrn. Rind, dem Schriftführer des<lb/> Ausſchuffes, beantwortet. Derſelbe herzliche Empfang erwartete ſie in<lb/> Amiens, wo ſie gleichfalls vom Präfecten und den Stadtbehörden begrüßt<lb/> wurden. Als ſie auf dem Bahnhof der Nordbahn ausſtiegen hatte die<lb/> Bahnverwaltung ihre Wagen zur Verfügung geſtellt um ſie nach den ver-<lb/> ſchiedenen Gaſthöfen, namentlich dem Hötel des Princes zu bringen, wo<lb/> für ſie Quartier gemacht war. Unter dem Ruf: <hi rendition="#aq">„Vivent les Anglais!“</hi><lb/> fuhren ſie in die Stadt, und ſie erwiederten: <hi rendition="#aq">„Vive la République!“<lb/> „Vivent les Français!“</hi> Der Miniſter der öffentlichen Arbeiten hatte<lb/> Befehl gegeben ihnen alle Nationalpaläſte und Parks zu öffnen. Geſtern<lb/> begaben ſich die Mitglieder des Ausſchuſſes zu dem Miniſter des Innern,<lb/> und Hr. Nind hielt folgende Anrede: „Hr. Miniſter! Das Wohlwollen<lb/> mit dem Sie unſere erſten Schritte aufnahmen als wir Sie von unſerm<lb/> Vorhaben in Kenntniß ſetzten der Nationalgarde den Beſuch zurückzuge-<lb/> ben, läßt uns das Bedürfniß empfinden unſere Beglückwünſchungen und<lb/> aufrichtigen Dankſagungen an Sie zu richten. Die Deputation, deren<lb/> Schriftführer ich bin, iſt zuſammengeſetzt aus Kaufleuten, Magiſtraten<lb/> und Bürgern, wir kommen aus den vornehmſten Städten Englands in<lb/> der Abſicht dem franzöſiſchen Volk unſer Verlangen auszudrücken, die<lb/> Gefühle der Herzlichkeit von denen wir beſeelt find, möchten mehr und<lb/> mehr befeſtigt werden, und bald dieſe alten Vorurtheile verſchwinden die<lb/> nur zu lange beſtanden haben im Geiſt zweier Völker, die heute keine an-<lb/> dere Nebenbuhlerſchaft mehr haben ſollen als das Beſtreben an der Spitze<lb/> der europäiſchen Geſittung zu gehen.“ Der Miniſter, Hr. L. Faucher,<lb/> antwortete in engliſcher Sprache, er bemerkte ihr Beſuch brauche keinen<lb/> officiellen Charakter zu haben um einer guten Aufnahme verſichert zu ſeyn.<lb/> Da er ſelbſt die Hauptetabliſſements Englands geſehen, ſo wiſſe er welche<lb/> Intereſſen ſie repräſentiren. Er wünſche nur daß die Sympathien zwiſchen<lb/> England und Frankreich, welche für die Intereſſen beider Völker und für<lb/> den Fortſchritt der Geſittung ſo wichtig ſeyen, von Tag zu Tag feſtern<lb/> Boden gewinnen möchten. Ohne Zweifel hofft man durch dieſe Freund-<lb/> lichkeiten den Fremdenbeſuch von Paris zu beleben.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1546/0006]
zur Rechtfertigung militäriſcher Operationen gegen Toſcana, ſich auf ſein
Heimfallrecht beruft, erhebt es einen in der Diplomatie bisher unerhörten
Anſpruch. Oeſterreich darf ſich darauf gefaßt halten daß derſelbe von den
Mächten, die bei Aufrechthaltung der nationalen Unabhängigkeit der klei-
neren Staaten intereſſirt ſind, rechtmäßig und ernſtlich wird beſtritten
werden.“ (Wir geſtehen daß uns obige Diſtinctionen des Globe, und reſp.
des National, bei Interpretation der beiden bezüglichen Verträge zu fein
find. Wenn der Wiener Vertrag das Heimfallrecht an „das Haus Loth-
ringen“ nicht ausdrücklich erwähnt, ſo kann das zunächſt davon herrühren
daß die großherzogliche Linie zur Zeit mit eigenen Leibeserben blühte.
Sollte das urſprüngliche Heimfallrecht aufhören, ſo mußte dieß jedenfalls
ausdrücklich erwähnt werden; ſonſt beſtand eben das alte Verhältniß fort.
Ein anderes iſt freilich der Einwurf der Daily News: daß bei allen ſol-
chen Verträgen über Land und Leute bisher nur die Fürſten und de-
ren diplomatiſche Perrücken zu Rathe ſaßen, die Völker und deren Vertre-
ter aber nirgends befragt wurden. Das, meint Daily News, müſſe in
der Welt anders werden, wenn endlich geordnete und dauerhafte Verhält-
niſſe einkehren ſollen; denn das bloße „Recht des Stärkern“ ſey eine
höhniſche Antiphraſe des Rechtsbegriffs, und nichts weiter als ein vertuſch-
ter Kriegszuſtand.)
In einem andern Artikel heißt der Globe Thiers’ Rede über die ſar-
diniſche Frage — deſſen „discours-ministre“, womit der weiland ſo
kriegsluſtige franzöſiſche Staatsmann ſeinen Uebertritt zu den nüchternen
Guizot’ſchen Anſichten über auswärtige Politik beſiegelt hat — als Omen
willkommen. Denn obgleich England und Europa der aufrichtigen Frie-
densliebe, womit das jetzige franzöſiſche Cabinet die Politik Lamartine’s
und Baſtide’s fortſetze, und das gute Einverſtändniß mit England pflege,
vielen Dank ſchuldig ſey, ſo müſſe man ſich doch von Herzen freuen die
Redlichkeit und den Patriotismus Odilon-Barrots und Drouyn de Chuys’
bald durch Thiers’ umfaſſende Intelligenz und amtliche Erfahrung ver-
ſtärkt zu ſehen. In den letzten Jahren der Monarchie und während der
erſten Monate der Republik habe kein Staatsmann mehr als Thiers dazu
beigetragen den franzöſiſchen Volksgeiſt für die engliſche Allianz zu ge-
winnen, und dadurch Europa die Segnungen des Friedens zu ſichern.
„Lange Zeit hindurch“, fügt der Globe bei, „und vielleicht bis auf dieſen
Tag gilt Hr. Thiers bei gewiſſen Claſſen in England als der Feind der
engliſchen Allianz. Auf gleiche Weiſe wurde Lord Palmerſton verleumdet
als ein Feind Frankreichs — weil er Jahr für Jahr dem falſchen und hoh-
len Gaukelſpiel widerſtrebte, womit der verblendete Hof Ludwig Philipps
die beiden Nationen zu einer Verſchwörung gegen die europäiſche Freiheit
zu vereinigen ſuchte. Hr. Guizot ward im J. 1840 Miniſter, und Lord
Aberdeen trat 1841 ins Cabinet. Die famoſe „entente cordiale“ wurde
zwiſchen den zwei conſervativen Miniſtern verabredet, und ſofort wurde
recht augenfällig wie wenig die amtliche Haltung einer Regierung die blei-
bende Richtung einer nationalen Politik berührt. Endlich verſchwanden
die conſervativen Miniſterien, und mit ihnen das ganze Unweſen von Miß-
verſtändniſſen und Kränkungen das ſie geſchaffen hatten. Stets ſeit der
Revolution war Frankreichs auswärtige Politik, ſtillſchweigend oder of-
fen, der Widerſchein der „conſulariſchen“ Inſpiration des Hrn. Thiers;
und auch der eingefleiſchteſte Guizotiſt wird kaum läugnem wollen daß Lord
Palmerſton und ſein vormaliger Rival dermalen die großen Bürgſchaften
für die Einigung Frankreichs und Englands find.“
** London, 7 April.
Zur großen Freude der liberalen Preſſe iſt
der bekannte Radicale John Arthur Roebuck, vormaliges Mitglied für
Bath, wirklich als Bewerber um den Parlamentsſitz für Scheffield auf-
getreten, welcher durch die Ernennung des bisherigen Admiralitätsſecretärs
Hrn. H. G. Ward zum Lord Obercommiſſär der joniſchen Inſeln erledigt
iſt. Roebuck hat alle Ausſicht gewählt zu werden, und iſt geſonnen „eine
Reform der Reformbill“ anzuſtreben, wie er in einer Zuſchrift an die
Wähler ſagt. — Die Protectioniſtenpartei erwartet mit ſteigender Zu-
verſicht daß das Oberhaus die miniſterielle Navigations-Bill verwerfen
werde.
Frankreich.
Paris, 7 April.
Die angeſehenſten der ſocialiſtiſchen Journale haben ſich jetzt auch
über ein Wahlmanifeſt vereinigt. Es iſt ein ausführliches Glaubensbe-
kenntniß: energiſche Vertheidigung der republicaniſchen Form und des
directen allgemeinen Stimmrechts, Aufrechthaltung und Entwicklung der
Verfaſſung im demokratiſchen Sinn, Einheit der Gewalt, formelle Unter-
ordnung der vollziehenden Gewalt unter die Nationalverſammlung, wirk-
liche Preßfreiheit, Abſchaffung der Cautionen und der Druckprivilegien,
Unverletzlichkeit des Verſammlungs- und Vereinsrechts, Recht auf die
Arbeit, Verſorgungsanſtalten für Gebrechliche und Greiſe, gemeinſchaftliche
unentgeltliche obligatoriſche und vollſtändige Erziehung nach Maßgabe der
Fähigkeiten, ſchon jetzt umfaſſende Erweiterung des Elementarunterrichts,
angemeſſene Belohnung und achtungsvollere Behandlung des edlen Leh-
rerberufs. Dann folgen eine Reihe Reformen in Verwaltung, Juſtiz,
Finanzen und Wehrverfaſſung, demokratiſche Organiſation der öffentlichen
Dienſte, Reviſion der Geſetzbücher, Abſchaffung der Todesſtrafe, demo-
kratiſche Reorganiſation der Land- und Seemacht, Verbeſſerung des Loo-
ſes der Soldaten und Unterofficiere, Abſchaffung der Conſcription, de-
mokratiſche Organiſation des landwirthſchaftlichen, induſtriellen und com-
merciellen Credits, Centraliſation und gemeinnütziger Betrieb der Aſſe-
curanzen, der Bank, der Eiſenbahnen, Canäle, ſämmtlicher Verkehrs-
mittel, Reform des Hypothekenweſens, Abſchaffung des Wuchers, Ver-
minderung des Budgets und billige Vertheilung der Auflagen, Abſchaf-
fung der Salz- und Getränkeſteuer, der Stadtzölle, Ackerbaucoloniſation
auswärts und im Innern u. ſ. ſ. Man ſteht wenn dieſe Reformen alle
verwirklicht werden ſollten, ſo würde von dem jetzigen geſellſchaftlichen
Gebäude kein Stein auf dem andern bleiben. Dieſem Programm ſind
die Réforme, die République, der Peuple, der Populaire, die Révolution
démocratique et ſociale, der Travail affranchi und die Démocratie Pa-
cifique beigetreten, letztere mit dem Vorbehalt ihrer Anſichten in Betreff
der Unterrichtsfreiheit unter Ueberwachung des Staats. Im Poitiers-
verein ſcheinen die Meinungen lange nicht in ſolcher Uebereinſtimmung zu
ſeyn. Auf die von Liſteur aus geſchehene Anfrage wegen des Hrn. Gui-
zot hat der Ausſchuß ablehnend geantwortet. Er geſteht ſeine Beſorgniß
daß wenn er dieſe Candidatur unterſtützen wollte, die gemäßigte Partei
zerſprengt werden könnte (il risquerait lui-mème de diviser le parti
modéré). So lautet die von den H.H. Molé, Thiers, Montalembert,
Berryer, Remuſat, Duvergier de Hauranne und andern Notabilitäten der
Coalition unterzeichnete Antwort. La Preſſe, ſonſt in heftiger Feind-
ſchaft mit Hrn. Guizot, iſt unparteiiſch genug dieſen Wahloſtracismus zu
bekämpfen. Aber es iſt dieß nur eine Frage der Zeit — unmittelbar
nach der Februarrevolution konnten ſich auch Thiers, Bugeaud nicht vor
den Wählern zeigen, ſpäter wurden ſie gewählt, und wenn die Leiden-
ſchaften noch etwas mehr abgekühlt ſind, wird ſich auch für Hrn. Guizot
die politiſche Laufbahn wieder öffnen.
Eine Anzahl franzöſiſcher Nationalgardiſten hatte vor einiger Zeit
einen Beſuch in England gemacht und war mit großer Zuvorkommenheit
in London, und wo ſie ſich ſonſt zeigten, aufgenommen worden. Am
Donnerstag Abends 9 Uhr kam nun der engliſche Gegenbeſuch. Es war
eine erſte Abtheilung von 300 Gentlemen, noch mehrere ſollen nachfolgen.
Bei ihrer Einfahrt in den Hafen von Boulogne, Vormittags 11 Uhr, wur-
den ſie mit 21 Kanonenſchüſſen begrüßt, die Schiffe flaggten, der Präfect
des Pas-de-Calais, der Maire der Stadt, die Municipalbehörden waren
zu ihrem Empfang bereit. Die Nationalgarde war ausgerückt. Meh-
rere Anreden wurden gehalten und von Hrn. Rind, dem Schriftführer des
Ausſchuffes, beantwortet. Derſelbe herzliche Empfang erwartete ſie in
Amiens, wo ſie gleichfalls vom Präfecten und den Stadtbehörden begrüßt
wurden. Als ſie auf dem Bahnhof der Nordbahn ausſtiegen hatte die
Bahnverwaltung ihre Wagen zur Verfügung geſtellt um ſie nach den ver-
ſchiedenen Gaſthöfen, namentlich dem Hötel des Princes zu bringen, wo
für ſie Quartier gemacht war. Unter dem Ruf: „Vivent les Anglais!“
fuhren ſie in die Stadt, und ſie erwiederten: „Vive la République!“
„Vivent les Français!“ Der Miniſter der öffentlichen Arbeiten hatte
Befehl gegeben ihnen alle Nationalpaläſte und Parks zu öffnen. Geſtern
begaben ſich die Mitglieder des Ausſchuſſes zu dem Miniſter des Innern,
und Hr. Nind hielt folgende Anrede: „Hr. Miniſter! Das Wohlwollen
mit dem Sie unſere erſten Schritte aufnahmen als wir Sie von unſerm
Vorhaben in Kenntniß ſetzten der Nationalgarde den Beſuch zurückzuge-
ben, läßt uns das Bedürfniß empfinden unſere Beglückwünſchungen und
aufrichtigen Dankſagungen an Sie zu richten. Die Deputation, deren
Schriftführer ich bin, iſt zuſammengeſetzt aus Kaufleuten, Magiſtraten
und Bürgern, wir kommen aus den vornehmſten Städten Englands in
der Abſicht dem franzöſiſchen Volk unſer Verlangen auszudrücken, die
Gefühle der Herzlichkeit von denen wir beſeelt find, möchten mehr und
mehr befeſtigt werden, und bald dieſe alten Vorurtheile verſchwinden die
nur zu lange beſtanden haben im Geiſt zweier Völker, die heute keine an-
dere Nebenbuhlerſchaft mehr haben ſollen als das Beſtreben an der Spitze
der europäiſchen Geſittung zu gehen.“ Der Miniſter, Hr. L. Faucher,
antwortete in engliſcher Sprache, er bemerkte ihr Beſuch brauche keinen
officiellen Charakter zu haben um einer guten Aufnahme verſichert zu ſeyn.
Da er ſelbſt die Hauptetabliſſements Englands geſehen, ſo wiſſe er welche
Intereſſen ſie repräſentiren. Er wünſche nur daß die Sympathien zwiſchen
England und Frankreich, welche für die Intereſſen beider Völker und für
den Fortſchritt der Geſittung ſo wichtig ſeyen, von Tag zu Tag feſtern
Boden gewinnen möchten. Ohne Zweifel hofft man durch dieſe Freund-
lichkeiten den Fremdenbeſuch von Paris zu beleben.
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(2022-09-09T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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