Allgemeine Zeitung, Nr. 102, 12. April 1849.[Spaltenumbruch]
ten Eifersüchteleien in Collision geriethe. Aber Oesterreich und Bayern -- Frankreich. Paris, 8 April. Die Berathung des Gesetzes über die Gerichtsverfassung war seit ei- Das Journal le Peuple scheint durch Geldstrafen vernichtet wer- Die Verurtheilten des Attentatsprocesses vom 15 Mai wurden vorge- Der von General Lamoriciere entworfene Plan einer Wehrverfassung Es muß den Politikern des J. des Debats schwer geworden seyn [Spaltenumbruch]
ten Eiferſüchteleien in Colliſion geriethe. Aber Oeſterreich und Bayern — Frankreich. Paris, 8 April. Die Berathung des Geſetzes über die Gerichtsverfaſſung war ſeit ei- Das Journal le Peuple ſcheint durch Geldſtrafen vernichtet wer- Die Verurtheilten des Attentatsproceſſes vom 15 Mai wurden vorge- Der von General Lamoricière entworfene Plan einer Wehrverfaſſung Es muß den Politikern des J. des Débats ſchwer geworden ſeyn <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div type="jArticle" n="3"> <p><pb facs="#f0007" n="1563"/><cb/> ten Eiferſüchteleien in Colliſion geriethe. Aber Oeſterreich und Bayern —<lb/> d. h. zwei Fünftel der deutſchen Bevölkerung, abgeſehen von Oeſterreichs<lb/> nichtdeutſchen Militärkräften — ſeyen offenbar entſchloſſen es eher auf das<lb/> äußerſte ankommen zu laſſen, als ſich einer Gewalt zu unterwerfen deren<lb/> Exiſtenz mit der Wiener Bundesacte von 1815 und mit den neuerlichen<lb/> Erklärungen des Wiener Hofs in ſo ſchreiendem Widerſpruch ſtünde. Und<lb/> hinter ihnen ſtehe Rußland, jetzt mit Oeſterreich in offenem und engem<lb/> Bündniß, geknüpft durch ihre gemeinſame Feindſeligkeit gegen die revolu-<lb/> tionären Doctrinen ſowie durch ihr gemeinſames Widerſtreben gegen die<lb/> neuere Politik Preußens, ihres vormaligen Bundesgenoſſen. Frankreich<lb/> ſehe die Combination mit Gleichgültigkeit nur darum weil es ſie für un-<lb/> ausſührbar halte; aber das erſte Anzeichen einer poſitiven preußiſchen Ei-<lb/> nigung Weſtdeutſchlands würde deſſen ganze Feindſeligkeit entzünden. Eng-<lb/> land, unbekümmert um die Aenderung ſelbſt, würde doch mit Leidweſen<lb/> ein ſo weites Abgehen von den Grundſätzen des allgemeinen Friedens be-<lb/> merken. So würde Preußen durch Annahme der Kaiſerkrone ſich mit<lb/> ganz Europa in Widerſpruch ſetzen. Die <hi rendition="#g">Times</hi> ſchließt mit den Wor-<lb/> ten: „Ein ſehr kühner, kriegeriſcher und ehrgeiziger Monarch würde dieſen<lb/> ungleichen Chancen vielleicht getrotzt haben, aber der König von Preußen<lb/> beſitzt keine dieſer Eigenſchaften. Er iſt ein <hi rendition="#g">romantiſcher</hi> Fürſt (die<lb/> Sage von dem Strauß’ſchen Büchlein iſt auch nach England gedrungen),<lb/> nicht ohne warme Ueberzeugungen und ritterliche Anwandlungen, aber le-<lb/> bend in einer Phantaſiewelt farbiger Schatten, und mehr befähigt ſich leb-<lb/> haft in Worten als in kühnen Thaten auszudrücken. Er hatte die conſti-<lb/> tutionelle Wiedergeburt Preußens nach ſeiner eigenen Art aufgefaßt, und<lb/> ward aus ſeinem Traum aufgeweckt durch eine blutige Revolution vor ſei-<lb/> nen Palaſtthoren; er hatte von dem Phantom des deutſchen Reichs ge-<lb/> träumt, und war deſſen Krone zu tragen halb entſchloſſen; aber, wie Don<lb/> Juan bei der Ankunft ſeines geſpenſtigen Gaſtes, bebt er vor der Erſchei-<lb/> nung zurück. So war’s zu erwarten daß ein Mann von unſtätem Charak-<lb/> ter einer beſtimmten Antwort ausweichen würde. Aber mit der eigen-<lb/> thümlichen Rede Friedrich Wilhelms an die Frankfurter Deputation iſt<lb/> die wichtige und ſchwierige Frage keineswegs gelöst.“</p> </div> </div><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Frankreich.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 8 April.</dateline><lb/> <p>Die Berathung des Geſetzes über die Gerichtsverfaſſung war ſeit ei-<lb/> nem Monat unterbrochen, geſtern wurde endlich doch die Weiterverhand-<lb/> lung dieſes Gegenſtands beſchloſſen und ſofort eine große Anzahl Beſtim-<lb/> mungen des mittlerweile von der Commiſſion ſehr abgekürzten und verein-<lb/> fachten Entwurfs genehmigt. Es handelt ſich der unſichern Lage in<lb/> welcher die Magiſtratur ſich ſeit einem Jahr befindet, ein Ziel zu ſetzen<lb/> und ihr den Charakter einer neuen und definitiven Inſtitution zu geben.<lb/> Außerdem war die geſtrige Sitzung mit zwei Zwiſchenfällen beſchäftigt.<lb/> Bei Anlaß des Budgets war die Reactivirung drei Philippiſtiſcher Prä-<lb/> fecten getadelt worden, und als einer von ihnen, der Präfect der Rhone-<lb/> mündungen, ſeine Entlaſſung anbot, hatte der Miniſter des Innern, Hr.<lb/> L. Faucher, ſie nicht angenommen und ihm im Moniteur eine Art Wohl-<lb/> verhaltenszeugniß ausgeſtellt. Dieß wurde ihm von der Linken als ein<lb/> Angriff auf die Souveränetät der verfaſſunggebenden Nationalverſamm-<lb/> lung ausgelegt. Der zweite Fall war das Geſuch des Commandanten<lb/> Tombeur, der beim Juniusaufſtand mit einem Bataillon von mehr als<lb/> 300 Mann auf der Place Royale, die er vertheidigen ſollte, als er ſich<lb/> von allen Seiten umzingelt ſah, die Waffen geſtreckt und dem der dama-<lb/> lige Kriegsminiſter, General Lamoriciere, deßwegen ſein Commando ent-<lb/> zogen hatte. Dieſer ſonſt durch rühmliche Vorgänge bekannte Officier ver-<lb/> langte eine kriegsgerichtliche Unterſuchung, und die Commiſſion glaubte<lb/> ſeinen Wunſch unterſtützen zu müſſen, die militäriſchen Autoritäten der<lb/> Verſammlung vertheidigten jedoch die Competenz der Disciplinargewalt,<lb/> und ſo wurde die Sache durch einfachen Uebergang zur Tagesordnung er-<lb/> ledigt. Das gleiche war auch im obigen Fall geſchehen, der indeß noch<lb/> einmal zur Sprache kommen muß, da eine Commiſſion niedergeſetzt iſt<lb/> um die ſeit der Februarrevolution geſchehenen Penſionirungen von Prä-<lb/> fecten, Abſetzungen und Wiederanſtellungen zu prüfen.</p> </div> </div> </div><lb/> <div type="jVarious" n="1"> <div type="jArticle" n="2"><lb/> <p>Das Journal <hi rendition="#g">le Peuple</hi> ſcheint durch Geldſtrafen vernichtet wer-<lb/> den zu ſollen. Schon früher war der Feuilletoniſt dieſes Blattes, Hr. L.<lb/> Menars, wegen eines durch mehrere Nummern fortlaufenden Artikels:<lb/><hi rendition="#aq">»Prologue d’une Révolution«</hi> ſowie der Gerant Hr. Duchêne <hi rendition="#aq">in con-<lb/> tumaciam</hi> jeder zu 4jährigem Gefängniß und 5000 Fr. Buße verurtheilt<lb/> worden. Geſtern wurde der Proceß nun contradictoriſch verhandelt.<lb/> Die Jury hatte 21 Fragen zu beantworten, die ſie alle bejahte. 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Die zu Zwangsarbeit begnadigten<lb/> Mörder des Generals Brea haben ihre Strafe in dem Bagno von Roche-<lb/> fort zu erſtehen.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"><lb/> <p>Der von General Lamoricière entworfene Plan einer Wehrverfaſſung<lb/> behält die 7jährige Dienſtzeit ſowie die jährliche Loosziehung bei, ſchlägt<lb/> aber in Bezug auf das Einſteherweſen folgende Beſtimmungen vor: erſt-<lb/> lich ſoll man ſich durch Einzahlung von 1050 Fr. in den Schatz vor der<lb/> Ziehung, und durch eine weit größere Summe nach der Ziehung oder nach<lb/> der Einreihung vom Kriegsdienſt befreien können; zweitens ſoll unter dem<lb/> Titel einer Militärſteuer (<hi rendition="#aq">cotisation militaire</hi>) eine nach dem Vermögen<lb/> ſich richtende Auflage auf alle Bürger gelegt werden die in Folge phyſi-<lb/> ſcher Untüchtigkeit, der Loosziehung oder aus irgendeinem andern Grund<lb/> nicht unter die Fahnen kommen. Die ſo geſchöpfte financielle Hülfs-<lb/> quelle würde man verwenden um jedem durchs Loos ausgehobenen<lb/> Bürger nach Ablauf der geſetzlichen Dienſtzeit ein Vermögen von 500 Fr.<lb/> auszubezahlen, jedem Freiwilligen aber am Tag ſeines Eintritts eine Ein-<lb/> ſtandsprämie und nach verfloſſener Dienſtzeit ein Vermögen von 1400 Fr.,<lb/> endlich ein noch beträchtlicheres Vermögen jedem der nach einer zur Zufrieden-<lb/> heit erſtandenen Dienſtzeit ſich zum zweiten- oder drittenmal anwerben läßt.<lb/> Auf dieſe Art hofft der General dem Militärdienſt eine große Zahl alter ab-<lb/> gehärteter Soldaten zuzuführen, und dadurch nur an Spitalkoſten u. dgl.<lb/> nicht unbedeutend zu erſparen, während bei dem jetzigen Recrutirungsſy-<lb/> ſtem von fünf Soldaten unter den Fahnen nicht vier zum Feldienſt brauch-<lb/> bar ſind. Dazu dann eine Organiſation der Reſerve und der mobiliſirba-<lb/> ren Nationalgarde, mit einem Inſtructionsverfahren das der militäriſchen<lb/> Erziehung genügt und doch erlaubt den Heeresſtand beträchtlich zu ver-<lb/> mindern. Da die Nationalverſammlung vor allem das Budget verklei-<lb/> nern will, ſo iſt es nicht unwahrſcheinlich daß ſie, trotz dem Widerſpruch<lb/> des Kriegsminiſters General Rulhieres, wenigſtens theilweiſe auf dieſen<lb/> Plan eingehen wird.</p> </div><lb/> <div type="jComment" n="2"><lb/> <p>Es muß den Politikern des J. <hi rendition="#g">des Débats</hi> ſchwer geworden ſeyn<lb/> ſich in die deutſche Verfaſſungsfrage hineinzuſtudiren, endlich erſcheint ein<lb/><hi rendition="#aq">Premier Paris,</hi> mehr Abhandlung als Zeitungsartikel, der wenig-<lb/> ſtens auch für deutſche Leſer als Curioſität von einigem Intereſſe iſt. Was<lb/> man eigentlich vorher wußte, daß man in Frankreich von den Einheits-<lb/> beſtrebungen in Deutſchland keinen Begriff hat, findet hier ſeine volle Be-<lb/> ſtätigung. Man erkennt nur ein ſächſiſches und ein ſchwäbiſches(?),<lb/> ein katholiſches und proteſtantiſches Deutſchland, man fürchtet ein an-<lb/> deres als das zerſtückelte Deutſchland zu ſehr als daß man ſich nicht<lb/> gerne überredet eine einheitliche Neugeſtaltung ſey gar nicht mög-<lb/> lich. Alles in Frankfurt bis jetzt geſchehene iſt dieſer politiſchen<lb/> Schule nichts als „gelehrter Patriotismus,“ das Werk „doctrinärer Phan-<lb/> taſiemenſchen,“ und das J. <hi rendition="#g">des Débats</hi> erſchöpft ſich in einem Bombaſt<lb/> von Synonymen um ſeine Geringſchätzung über die Beſchlüſſe des deut-<lb/> ſchen Parlaments auszudrücken. Es ſpricht von der ſouveränen Gnade<lb/> politiſcher Fictionen durch die man den unveränderlichen alten Grund der<lb/> Dinge geglaubt habe umzuwandeln, von einer verzweifelten Energie ſchö-<lb/> ner Theorien die nichts gegen die Wirklichkeit vermögen, von Ueberſpannt-<lb/> heiten, Träumereien der Deſperaten in Frankfurt, es findet daß das Aner-<lb/> bieten einer ſolchen Kaiſerkrone nur eine ſehr mittelmäßige Verſuchung<lb/> heißen könne, und daß es ſich kaum der Mühe verlohne zu rufen: „Zurück,<lb/> Satanas!“ Denn was wären die Folgen einer unbedingten Annahme?<lb/> Der unmittelbare Bruch mit Oeſterreich, eine noch innigere Allianz<lb/> Oeſterreichs mit Rußland, verdoppelte Widerwärtigkeiten von Seiten Dä-<lb/> nemarks und Schwedens, Störrigkeit, vielleicht Iſolirung von Seiten<lb/> Bayerns, Württembergs, Hannovers, ſelbſt Sachſens! Man werde zwar<lb/> ſagen, meint es, dieß ſeyen Einwendungen der Börſenpartei, der Partei<lb/> der Geldſäcke, des Friedens um jeden Preis, aber gerade die Auffaſſung<lb/> von dieſem Standpunkt ſcheint ihm hochwichtig, wiewohl nicht einzuſehen<lb/> iſt was ſeine Friedenspolitik dabei verlieren kann, wenn auch ein Theil<lb/> jener Gefahren einträfe die auf offenbar koloſſal übertriebenen Vorausſe-<lb/> tzungen beruhen. Daher iſt es mit der ausweichenden Antwort des Kö-<lb/> nigs von Preußen ſehr zufrieden, und es ſchmeichelt ſich mit der Hoffnung<lb/> daß das ganze Verfaſſungswerk, ſofern es nur durch eine Vereinbarung<lb/> der Fürſten zu Stande kommen ſoll, auf die deutſchen Calenden vertagt<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1563/0007]
ten Eiferſüchteleien in Colliſion geriethe. Aber Oeſterreich und Bayern —
d. h. zwei Fünftel der deutſchen Bevölkerung, abgeſehen von Oeſterreichs
nichtdeutſchen Militärkräften — ſeyen offenbar entſchloſſen es eher auf das
äußerſte ankommen zu laſſen, als ſich einer Gewalt zu unterwerfen deren
Exiſtenz mit der Wiener Bundesacte von 1815 und mit den neuerlichen
Erklärungen des Wiener Hofs in ſo ſchreiendem Widerſpruch ſtünde. Und
hinter ihnen ſtehe Rußland, jetzt mit Oeſterreich in offenem und engem
Bündniß, geknüpft durch ihre gemeinſame Feindſeligkeit gegen die revolu-
tionären Doctrinen ſowie durch ihr gemeinſames Widerſtreben gegen die
neuere Politik Preußens, ihres vormaligen Bundesgenoſſen. Frankreich
ſehe die Combination mit Gleichgültigkeit nur darum weil es ſie für un-
ausſührbar halte; aber das erſte Anzeichen einer poſitiven preußiſchen Ei-
nigung Weſtdeutſchlands würde deſſen ganze Feindſeligkeit entzünden. Eng-
land, unbekümmert um die Aenderung ſelbſt, würde doch mit Leidweſen
ein ſo weites Abgehen von den Grundſätzen des allgemeinen Friedens be-
merken. So würde Preußen durch Annahme der Kaiſerkrone ſich mit
ganz Europa in Widerſpruch ſetzen. Die Times ſchließt mit den Wor-
ten: „Ein ſehr kühner, kriegeriſcher und ehrgeiziger Monarch würde dieſen
ungleichen Chancen vielleicht getrotzt haben, aber der König von Preußen
beſitzt keine dieſer Eigenſchaften. Er iſt ein romantiſcher Fürſt (die
Sage von dem Strauß’ſchen Büchlein iſt auch nach England gedrungen),
nicht ohne warme Ueberzeugungen und ritterliche Anwandlungen, aber le-
bend in einer Phantaſiewelt farbiger Schatten, und mehr befähigt ſich leb-
haft in Worten als in kühnen Thaten auszudrücken. Er hatte die conſti-
tutionelle Wiedergeburt Preußens nach ſeiner eigenen Art aufgefaßt, und
ward aus ſeinem Traum aufgeweckt durch eine blutige Revolution vor ſei-
nen Palaſtthoren; er hatte von dem Phantom des deutſchen Reichs ge-
träumt, und war deſſen Krone zu tragen halb entſchloſſen; aber, wie Don
Juan bei der Ankunft ſeines geſpenſtigen Gaſtes, bebt er vor der Erſchei-
nung zurück. So war’s zu erwarten daß ein Mann von unſtätem Charak-
ter einer beſtimmten Antwort ausweichen würde. Aber mit der eigen-
thümlichen Rede Friedrich Wilhelms an die Frankfurter Deputation iſt
die wichtige und ſchwierige Frage keineswegs gelöst.“
Frankreich.
Paris, 8 April.
Die Berathung des Geſetzes über die Gerichtsverfaſſung war ſeit ei-
nem Monat unterbrochen, geſtern wurde endlich doch die Weiterverhand-
lung dieſes Gegenſtands beſchloſſen und ſofort eine große Anzahl Beſtim-
mungen des mittlerweile von der Commiſſion ſehr abgekürzten und verein-
fachten Entwurfs genehmigt. Es handelt ſich der unſichern Lage in
welcher die Magiſtratur ſich ſeit einem Jahr befindet, ein Ziel zu ſetzen
und ihr den Charakter einer neuen und definitiven Inſtitution zu geben.
Außerdem war die geſtrige Sitzung mit zwei Zwiſchenfällen beſchäftigt.
Bei Anlaß des Budgets war die Reactivirung drei Philippiſtiſcher Prä-
fecten getadelt worden, und als einer von ihnen, der Präfect der Rhone-
mündungen, ſeine Entlaſſung anbot, hatte der Miniſter des Innern, Hr.
L. Faucher, ſie nicht angenommen und ihm im Moniteur eine Art Wohl-
verhaltenszeugniß ausgeſtellt. Dieß wurde ihm von der Linken als ein
Angriff auf die Souveränetät der verfaſſunggebenden Nationalverſamm-
lung ausgelegt. Der zweite Fall war das Geſuch des Commandanten
Tombeur, der beim Juniusaufſtand mit einem Bataillon von mehr als
300 Mann auf der Place Royale, die er vertheidigen ſollte, als er ſich
von allen Seiten umzingelt ſah, die Waffen geſtreckt und dem der dama-
lige Kriegsminiſter, General Lamoriciere, deßwegen ſein Commando ent-
zogen hatte. Dieſer ſonſt durch rühmliche Vorgänge bekannte Officier ver-
langte eine kriegsgerichtliche Unterſuchung, und die Commiſſion glaubte
ſeinen Wunſch unterſtützen zu müſſen, die militäriſchen Autoritäten der
Verſammlung vertheidigten jedoch die Competenz der Disciplinargewalt,
und ſo wurde die Sache durch einfachen Uebergang zur Tagesordnung er-
ledigt. Das gleiche war auch im obigen Fall geſchehen, der indeß noch
einmal zur Sprache kommen muß, da eine Commiſſion niedergeſetzt iſt
um die ſeit der Februarrevolution geſchehenen Penſionirungen von Prä-
fecten, Abſetzungen und Wiederanſtellungen zu prüfen.
Das Journal le Peuple ſcheint durch Geldſtrafen vernichtet wer-
den zu ſollen. Schon früher war der Feuilletoniſt dieſes Blattes, Hr. L.
Menars, wegen eines durch mehrere Nummern fortlaufenden Artikels:
»Prologue d’une Révolution« ſowie der Gerant Hr. Duchêne in con-
tumaciam jeder zu 4jährigem Gefängniß und 5000 Fr. Buße verurtheilt
worden. Geſtern wurde der Proceß nun contradictoriſch verhandelt.
Die Jury hatte 21 Fragen zu beantworten, die ſie alle bejahte. Das Ge-
richt erkannte hierauf gegen den Gerant auf 3jähriges Gefängniß (ein
Jahr hat er ſchon durch eine frühere Verurtheilung) und 10,000 Fr., ge-
gen den Feuilletoniſten auf 15 Monate und die gleiche Geldſtrafe. Hr.
Proudhon, der ſein Blatt von Brüſſel aus redigiren will, wird Mühe
haben dieſe Summe aufzutreiben, und da er ein Mann iſt der ſich auf Ge-
ſchäfte verſteht, ſo wird er vielleicht etwas gewitzigt ſeyn. Hr. Lacol-
longe, Redacteur des Journals l’Organiſation du Travail, von Kriegs-
gericht wegen Theilnahme am Juliusaufſtand in contumaciam zu 20-
jähriger Einſperrung verurtheilt, iſt jetzt auch zur Haft gebracht.
Die Verurtheilten des Attentatsproceſſes vom 15 Mai wurden vorge-
ſtern früh auf der Eiſenbahn mittels eines Extrazugs nach Paris gebracht.
Hier wurde Huber abgeſetzt, die andern verließen aber den Zellenwagen in
dem ſie ſich befanden nicht, ſondern dieſem wurden Pferde vorgeſpannt
und er nach dem Bahnhof der Nordbahn gefahren. Dann ging es ſofort
nach Amiens, und am Abend müſſen ſie in Doullens, ihrem künftigen
Aufenthaltsort, angekommen ſeyn. Die zu Zwangsarbeit begnadigten
Mörder des Generals Brea haben ihre Strafe in dem Bagno von Roche-
fort zu erſtehen.
Der von General Lamoricière entworfene Plan einer Wehrverfaſſung
behält die 7jährige Dienſtzeit ſowie die jährliche Loosziehung bei, ſchlägt
aber in Bezug auf das Einſteherweſen folgende Beſtimmungen vor: erſt-
lich ſoll man ſich durch Einzahlung von 1050 Fr. in den Schatz vor der
Ziehung, und durch eine weit größere Summe nach der Ziehung oder nach
der Einreihung vom Kriegsdienſt befreien können; zweitens ſoll unter dem
Titel einer Militärſteuer (cotisation militaire) eine nach dem Vermögen
ſich richtende Auflage auf alle Bürger gelegt werden die in Folge phyſi-
ſcher Untüchtigkeit, der Loosziehung oder aus irgendeinem andern Grund
nicht unter die Fahnen kommen. Die ſo geſchöpfte financielle Hülfs-
quelle würde man verwenden um jedem durchs Loos ausgehobenen
Bürger nach Ablauf der geſetzlichen Dienſtzeit ein Vermögen von 500 Fr.
auszubezahlen, jedem Freiwilligen aber am Tag ſeines Eintritts eine Ein-
ſtandsprämie und nach verfloſſener Dienſtzeit ein Vermögen von 1400 Fr.,
endlich ein noch beträchtlicheres Vermögen jedem der nach einer zur Zufrieden-
heit erſtandenen Dienſtzeit ſich zum zweiten- oder drittenmal anwerben läßt.
Auf dieſe Art hofft der General dem Militärdienſt eine große Zahl alter ab-
gehärteter Soldaten zuzuführen, und dadurch nur an Spitalkoſten u. dgl.
nicht unbedeutend zu erſparen, während bei dem jetzigen Recrutirungsſy-
ſtem von fünf Soldaten unter den Fahnen nicht vier zum Feldienſt brauch-
bar ſind. Dazu dann eine Organiſation der Reſerve und der mobiliſirba-
ren Nationalgarde, mit einem Inſtructionsverfahren das der militäriſchen
Erziehung genügt und doch erlaubt den Heeresſtand beträchtlich zu ver-
mindern. Da die Nationalverſammlung vor allem das Budget verklei-
nern will, ſo iſt es nicht unwahrſcheinlich daß ſie, trotz dem Widerſpruch
des Kriegsminiſters General Rulhieres, wenigſtens theilweiſe auf dieſen
Plan eingehen wird.
Es muß den Politikern des J. des Débats ſchwer geworden ſeyn
ſich in die deutſche Verfaſſungsfrage hineinzuſtudiren, endlich erſcheint ein
Premier Paris, mehr Abhandlung als Zeitungsartikel, der wenig-
ſtens auch für deutſche Leſer als Curioſität von einigem Intereſſe iſt. Was
man eigentlich vorher wußte, daß man in Frankreich von den Einheits-
beſtrebungen in Deutſchland keinen Begriff hat, findet hier ſeine volle Be-
ſtätigung. Man erkennt nur ein ſächſiſches und ein ſchwäbiſches(?),
ein katholiſches und proteſtantiſches Deutſchland, man fürchtet ein an-
deres als das zerſtückelte Deutſchland zu ſehr als daß man ſich nicht
gerne überredet eine einheitliche Neugeſtaltung ſey gar nicht mög-
lich. Alles in Frankfurt bis jetzt geſchehene iſt dieſer politiſchen
Schule nichts als „gelehrter Patriotismus,“ das Werk „doctrinärer Phan-
taſiemenſchen,“ und das J. des Débats erſchöpft ſich in einem Bombaſt
von Synonymen um ſeine Geringſchätzung über die Beſchlüſſe des deut-
ſchen Parlaments auszudrücken. Es ſpricht von der ſouveränen Gnade
politiſcher Fictionen durch die man den unveränderlichen alten Grund der
Dinge geglaubt habe umzuwandeln, von einer verzweifelten Energie ſchö-
ner Theorien die nichts gegen die Wirklichkeit vermögen, von Ueberſpannt-
heiten, Träumereien der Deſperaten in Frankfurt, es findet daß das Aner-
bieten einer ſolchen Kaiſerkrone nur eine ſehr mittelmäßige Verſuchung
heißen könne, und daß es ſich kaum der Mühe verlohne zu rufen: „Zurück,
Satanas!“ Denn was wären die Folgen einer unbedingten Annahme?
Der unmittelbare Bruch mit Oeſterreich, eine noch innigere Allianz
Oeſterreichs mit Rußland, verdoppelte Widerwärtigkeiten von Seiten Dä-
nemarks und Schwedens, Störrigkeit, vielleicht Iſolirung von Seiten
Bayerns, Württembergs, Hannovers, ſelbſt Sachſens! Man werde zwar
ſagen, meint es, dieß ſeyen Einwendungen der Börſenpartei, der Partei
der Geldſäcke, des Friedens um jeden Preis, aber gerade die Auffaſſung
von dieſem Standpunkt ſcheint ihm hochwichtig, wiewohl nicht einzuſehen
iſt was ſeine Friedenspolitik dabei verlieren kann, wenn auch ein Theil
jener Gefahren einträfe die auf offenbar koloſſal übertriebenen Vorausſe-
tzungen beruhen. Daher iſt es mit der ausweichenden Antwort des Kö-
nigs von Preußen ſehr zufrieden, und es ſchmeichelt ſich mit der Hoffnung
daß das ganze Verfaſſungswerk, ſofern es nur durch eine Vereinbarung
der Fürſten zu Stande kommen ſoll, auf die deutſchen Calenden vertagt
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(2022-09-09T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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