Allgemeine Zeitung, Nr. 12, 13. Januar 1924.Sonntag, den 13. Januar 1924 Allgemeine Zeitung. Nr. 12 [Spaltenumbruch]
Steffis Glück im Tunnel. Die alte Frau Kniebauer rollte gerade Kartoffel- "Grüß Gott, Mutter!" rief sie ein wenig näselnd, "Bist du's, Steffi?" Und Frau Kniebauer hielt "Bin selber gegangen!" erklärte Steffi stolz, holte Frau Kniebauer, die inzwischen das Brett mit "Wär besser gewesen, du hättest dem Buben eins "O, ich hab's ihm gegeben," näselte Steffi, "mein "Und was war's denn?" forschte die Alte sachlich, "Hat mir im Korridor in den Arm gekniffen," Der alte Kniebauer trat ein. Er nahm sich eine "Recht ist es, daß du heimgekommen bist! So Und Steffi mußte ihren Riesenhut aufhängen, sich "Ach, Mutter," seufzte sie uter dem Schirm, "wenn Am Nachmittag fanden sich alle Freundinnen aus "Und dann sagte er: mein Fräulein," und erläuternd Und die Mädchen wiederholten leise: "Mein Aber ganz sprachlos wurden sie erst, als Steffi "Alles nur Spiegel und Marmor, und tritt man Und der alte Kniebauer tunkte seinen Brotstummel "Ja, in der Stadt ist Alles so sein und gebildet," "Mein Fräulein, Sie wünschen?" Und dann sagt man: "Mein Herr, ich wünsche ..." "Und wie teuer war er denn?" fragte die alte "Neunzehn Mark fünfzig. -- und das ist billig für "Neunzehn Mark fünfzig!" flüsterten die Mädchen, "Ja, das ist Seide aus Paris, das muß man schon "Ja, Paris, Paris," brummte der alte Kniebauer "Wer aber an seine Seele nicht denkt, der ist in Die Mädchen drängten sich immer dichter um "Da saß ich heut Morgen in der Bahn ganz allein "Aber mein Herr." sagte ich. -- "Mein Fräulein!" sagte er. -- da wurde es mir "Und wär auch der ganze Hut verdorben," meinte "Ja, das war mein Glück im Tunnel," nästelte Zigaretten. Zigaretten kosten nun -- ich weiß nicht, wieviel Als Onkel Kolumbus in Amerika landete, fand Da erst kam die Zigarette auf und siegte Die beste Zigarette war die ägyptische -- so Die Blume allen Tabaks aber kam aus Xanthi Türkische Bauern waren es, die mit viel- Da brach im Herbst 1912 der Balkankrieg aus; Es gibt viele Methoden der Bekehrung -- das Doch das Kriegsglück wandte sich -- die Bul- Es war ein sandiges Feld gewesen, für Tabak- Und so kommt es, daß ich, daß du, daß wir Papst und König als Schriftsteller. Aus Rom berichtet die "Voss. Ztg," von dem Kunstgeschichtliche Tabellen. Das Bedürfnis nach synchronistischen Kunst- Die erste umfassende deutsche Arbeit ist Der erste Schritt ist getan. Der Ausbau der Das Künstleregister Brettschneiders ist sorg- Dürer wollte tanzen lernen ... Als der 35- Konzerte. Wo eigentlich die Grenze zwischen noch er- Im Hausegger-Konzert spielte Edwin Fischer Frank Waller hat viel Temperament und Das Birkigt-Quartett. Zwei Momente sind es, die gerade in München Und dann die edeln Instrumentel Ein kom- Beides aber, die starke Musizierfreudigkeit Das Birkigt-Quartett erliegt seinen edlen In- Die Münchener Schriftstellerin Maria von Hof- Neue Bücher. Paul Rosenhayn, Cascapol, Roman. Leipzig, Ernst Keils Nachf. (August Scherl) G. m. b. H. 130 S. Gustav Koehler, Der Astralstrolch. Ein okkulter Roman. Leipzig, Ernst Keils Nachf. (August Scherl) G. m. b. H. 408 S. Emil Hadina, Dämonen der Tiefe. Ein Gottfried- Bürger-Roman. Reichenberg, Gebr. Stiepel G. m. b. H. 198 S. Lisa Barthel-Winkler, Des Barfüßers Haus. Roman. Berlin-Schöneberg. Brandenburgische Buch- druckerei und Verlagsanstalt G. m. b. H. 165 S. Horst Wolfram Geißler, Der liebe Augustin. Die Geschichte eines leichten Lebens. München, Verlag Parcus & Cie. 389 S. Franziska Hager, Der Dorfschullehrer. Ein Buch der Heimattreue. München, Max Kellerers Ver- lag. 74 S. Sophie Freiin v. Kuensberg, Das Buchsteiner Elslein. Roman. 231 S. -- Hubertus-Kraft Graf Strachwitz. Der Kaplan vom heiligen Berg. Roman aus der Zeit des Kulturkampfes. 268 S. -- Karl Mager, Hans Cardon, der Student von In- golstadt. 3 Bände. -- Sämtlich: Donauwörth, Ludw. Auer (Pädagogische Stiftung Cassianeum). Gustav Büscher, Die Vergiftung des Geistes als Ursache des Krieges und der Revolution. Walli- sellen b. Zürich, Selbstverlag, 143 S. Hans Breitensträter, Meine Kämpfe. Mit 30 Bildern. Berlin, Dr. Eysler & Co., A.-G. 80 S. Wen soll man heiraten? Das Ergebnis eines Preisausschreibens. Frankfurt a. M., H. Bechhold- Verlag. 109 S. Felix Krüger, Der Verkehr. Eine psychologisch- moralische Betrachtung. Hamburg, Hanseatische Ver- lagsanstalt. 36 S. H. Lowenfeld, Zurück zum Wohlstand. Ein neuer Ausblick auf das praktische Leben. Berlin, Haude- und Spenersche Buchhandlung Max Paschke. 189 S. Friedrich Lenz, Staat und Marxismus. 2. Teil: Die deutsche Sozialdemokratie. Stuttgart und Berlin, J. G. Cottasche Buchhandlung Nachf. 283 S. Sonntag, den 13. Januar 1924 Allgemeine Zeitung. Nr. 12 [Spaltenumbruch]
Steffis Glück im Tunnel. Die alte Frau Kniebauer rollte gerade Kartoffel- „Grüß Gott, Mutter!“ rief ſie ein wenig näſelnd, „Biſt du’s, Steffi?“ Und Frau Kniebauer hielt „Bin ſelber gegangen!“ erklärte Steffi ſtolz, holte Frau Kniebauer, die inzwiſchen das Brett mit „Wär beſſer geweſen, du hätteſt dem Buben eins „O, ich hab’s ihm gegeben,“ näſelte Steffi, „mein „Und was war’s denn?“ forſchte die Alte ſachlich, „Hat mir im Korridor in den Arm gekniffen,“ Der alte Kniebauer trat ein. Er nahm ſich eine „Recht iſt es, daß du heimgekommen biſt! So Und Steffi mußte ihren Rieſenhut aufhängen, ſich „Ach, Mutter,“ ſeufzte ſie uter dem Schirm, „wenn Am Nachmittag fanden ſich alle Freundinnen aus „Und dann ſagte er: mein Fräulein,“ und erläuternd Und die Mädchen wiederholten leiſe: „Mein Aber ganz ſprachlos wurden ſie erſt, als Steffi „Alles nur Spiegel und Marmor, und tritt man Und der alte Kniebauer tunkte ſeinen Brotſtummel „Ja, in der Stadt iſt Alles ſo ſein und gebildet,“ „Mein Fräulein, Sie wünſchen?“ Und dann ſagt man: „Mein Herr, ich wünſche ...“ „Und wie teuer war er denn?“ fragte die alte „Neunzehn Mark fünfzig. — und das iſt billig für „Neunzehn Mark fünfzig!“ flüſterten die Mädchen, „Ja, das iſt Seide aus Paris, das muß man ſchon „Ja, Paris, Paris,“ brummte der alte Kniebauer „Wer aber an ſeine Seele nicht denkt, der iſt in Die Mädchen drängten ſich immer dichter um „Da ſaß ich heut Morgen in der Bahn ganz allein „Aber mein Herr.“ ſagte ich. — „Mein Fräulein!“ ſagte er. — da wurde es mir „Und wär auch der ganze Hut verdorben,“ meinte „Ja, das war mein Glück im Tunnel,“ näſtelte Zigaretten. Zigaretten koſten nun — ich weiß nicht, wieviel Als Onkel Kolumbus in Amerika landete, fand Da erſt kam die Zigarette auf und ſiegte Die beſte Zigarette war die ägyptiſche — ſo Die Blume allen Tabaks aber kam aus Xanthi Türkiſche Bauern waren es, die mit viel- Da brach im Herbſt 1912 der Balkankrieg aus; Es gibt viele Methoden der Bekehrung — das Doch das Kriegsglück wandte ſich — die Bul- Es war ein ſandiges Feld geweſen, für Tabak- Und ſo kommt es, daß ich, daß du, daß wir Papſt und König als Schriftſteller. Aus Rom berichtet die „Voſſ. Ztg,“ von dem Kunſtgeſchichtliche Tabellen. Das Bedürfnis nach ſynchroniſtiſchen Kunſt- Die erſte umfaſſende deutſche Arbeit iſt Der erſte Schritt iſt getan. Der Ausbau der Das Künſtleregiſter Brettſchneiders iſt ſorg- Dürer wollte tanzen lernen ... Als der 35- Konzerte. Wo eigentlich die Grenze zwiſchen noch er- Im Hauſegger-Konzert ſpielte Edwin Fiſcher Frank Waller hat viel Temperament und Das Birkigt-Quartett. Zwei Momente ſind es, die gerade in München Und dann die edeln Inſtrumentel Ein kom- Beides aber, die ſtarke Muſizierfreudigkeit Das Birkigt-Quartett erliegt ſeinen edlen In- Die Münchener Schriftſtellerin Maria von Hof- Neue Bücher. Paul Roſenhayn, Cascapol, Roman. Leipzig, Ernſt Keils Nachf. (Auguſt Scherl) G. m. b. H. 130 S. Guſtav Koehler, Der Aſtralſtrolch. Ein okkulter Roman. Leipzig, Ernſt Keils Nachf. (Auguſt Scherl) G. m. b. H. 408 S. Emil Hadina, Dämonen der Tiefe. Ein Gottfried- Bürger-Roman. Reichenberg, Gebr. Stiepel G. m. b. H. 198 S. Liſa Barthel-Winkler, Des Barfüßers Haus. Roman. Berlin-Schöneberg. Brandenburgiſche Buch- druckerei und Verlagsanſtalt G. m. b. H. 165 S. Horſt Wolfram Geißler, Der liebe Auguſtin. Die Geſchichte eines leichten Lebens. München, Verlag Parcus & Cie. 389 S. Franziska Hager, Der Dorfſchullehrer. Ein Buch der Heimattreue. München, Max Kellerers Ver- lag. 74 S. Sophie Freiin v. Kuensberg, Das Buchſteiner Elslein. Roman. 231 S. — Hubertus-Kraft Graf Strachwitz. Der Kaplan vom heiligen Berg. Roman aus der Zeit des Kulturkampfes. 268 S. — Karl Mager, Hans Cardon, der Student von In- golſtadt. 3 Bände. — Sämtlich: Donauwörth, Ludw. Auer (Pädagogiſche Stiftung Caſſianeum). Guſtav Büſcher, Die Vergiftung des Geiſtes als Urſache des Krieges und der Revolution. Walli- ſellen b. Zürich, Selbſtverlag, 143 S. Hans Breitenſträter, Meine Kämpfe. Mit 30 Bildern. Berlin, Dr. Eysler & Co., A.-G. 80 S. Wen ſoll man heiraten? Das Ergebnis eines Preisausſchreibens. Frankfurt a. M., H. Bechhold- Verlag. 109 S. Felix Krüger, Der Verkehr. Eine pſychologiſch- moraliſche Betrachtung. Hamburg, Hanſeatiſche Ver- lagsanſtalt. 36 S. H. Lowenfeld, Zurück zum Wohlſtand. Ein neuer Ausblick auf das praktiſche Leben. Berlin, Haude- und Spenerſche Buchhandlung Max Paſchke. 189 S. Friedrich Lenz, Staat und Marxismus. 2. Teil: Die deutſche Sozialdemokratie. Stuttgart und Berlin, J. G. Cottaſche Buchhandlung Nachf. 283 S. <TEI> <text> <body> <div type="jAnnouncements" n="1"> <pb facs="#f0009" n="9"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Sonntag, den 13. Januar 1924 <hi rendition="#g">Allgemeine Zeitung</hi>. Nr. 12</hi> </fw><lb/> <cb/> </div> <div type="jFeuilleton" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Steffis Glück im Tunnel.</hi> </head><lb/> <byline>Von<lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Siegfried von Vegesack</hi></hi></byline><lb/> <p>Die alte Frau Kniebauer rollte gerade Kartoffel-<lb/> nudeln auf dem Brett, als Steffi mit einem Papp-<lb/> karton, einem Teller-flachen Strohhut mit knallblauer<lb/> Rieſenſchleife und einem grellroten Sonnenſchirm<lb/> durch die Tür tänzelte.</p><lb/> <p>„Grüß Gott, Mutter!“ rief ſie ein wenig näſelnd,<lb/> warf den Karton auf die Bank, faßte mit Vorſicht die<lb/> Alte am mehlfreien Arm und ließ ſich auf dem ein-<lb/> zigen gepolſterten Stuhl der ärmlichen Stube nieder.</p><lb/> <p>„Biſt du’s, Steffi?“ Und Frau Kniebauer hielt<lb/> im Rollen inne, wiſchte ſich unwillkürlich die Hände<lb/> an der Schürze und ſtaunte abwechſelnd Strohhut und<lb/> Sonnenſchirm an. „Biſt ſcho fortgeſchickt?“ fragte<lb/> ſie ſchließlich.</p><lb/> <p>„Bin ſelber gegangen!“ erklärte Steffi ſtolz, holte<lb/> einen kleinen Spiegel aus der Taſche und ordnete ſich<lb/> das Haar. „Der Bub vom Zahnarzt war mir zu frech,<lb/> da konnte ich nicht bleiben. Das hat uns doch ſchon<lb/> der Herr Kooperator geſagt: Geld, Ruhm und Ehre<lb/> ſind nichts, wer aber Schaden nimmt an ſeiner<lb/> Seele ...“</p><lb/> <p>Frau Kniebauer, die inzwiſchen das Brett mit<lb/> neuem Mehl beſtreut hatte, rollte ſo beftig die Kar-<lb/> toffelnudeln, daß ſie dünn wurden, wie Ratten-<lb/> ſchwänze.</p><lb/> <p>„Wär beſſer geweſen, du hätteſt dem Buben eins<lb/> ausgewiſcht!“ Und ſie warf Schmalz auf die Pfanne,<lb/> daß es ziſchte.</p><lb/> <p>„O, ich hab’s ihm gegeben,“ näſelte Steffi, „mein<lb/> Herr, hab ich geſagt, mein Herr, ich bin ein armes,<lb/> aber anſtändiges Mädchen, — das laß ich mir nicht<lb/> gefallen!“</p><lb/> <p>„Und was war’s denn?“ forſchte die Alte ſachlich,<lb/> indem ſie jetzt die Kartoffelnudeln in die ziſchende<lb/> Pfanne ſchüttete.</p><lb/> <p>„Hat mir im Korridor in den Arm gekniffen,“<lb/> und Steffi ſtreifte den Aermel zurück und zeigte den<lb/> blauen Fleck. „Mein Fräulein, hat er geſagt, mein<lb/> Fräulein, das war nur ein Scherz! Und die Frau<lb/> Zahnarzt und der Herr Zahnarzt ſind gekommen und<lb/> haben geſagt: Aber mein Fräulein, — Sie wollen<lb/> uns ſchon verlaſſen? Gnädige Frau, hab ich geſagt,<lb/> Geld und Ruhm ſind mir nichts, — aber wenn ich<lb/> Schaden nehme an meiner Seele ... Und dann,<lb/> Mutter, heute Morgen in der Bahn, — aber <hi rendition="#g">das</hi><lb/> kann ich niemand ſagen!“ Und Steffi holte ein<lb/> Battiſttüchlein aus der Taſche und preßte es an die<lb/> Augen.</p><lb/> <p>Der alte Kniebauer trat ein. Er nahm ſich eine<lb/> gründliche Priſe und ließ ſich alles noch einmal<lb/> erzählen. Dann ſchneuzte er ſich in ſein rotes Tuch<lb/> und erklärte:</p><lb/> <p>„Recht iſt es, daß du heimgekommen biſt! So<lb/> arm ſind wir nicht, daß wir unſere Tochter verkaufen<lb/> müſſen! Bleibſt jetzt hier und hilfſt der Mutter!“</p><lb/> <p>Und Steffi mußte ihren Rieſenhut aufhängen, ſich<lb/> eine Schürze vorbinden, und in dem Stall die Ziegen<lb/> melken. Dann aber klagte ſie, daß ihr der Rücken<lb/> weh täte, daß ſie Bruſtſchmerzen hätte, und den<lb/> Geruch nicht vertrüge. Schließlich bekam ſie Naſen-<lb/> bluten, legte ſich auf das wacklige Sofa am Fenſter<lb/> und ſpannte den roten Schirm aus, weil die Sonne<lb/> ſie blende.</p><lb/> <p>„Ach, Mutter,“ ſeufzte ſie uter dem Schirm, „wenn<lb/> du wüßteſt, was ich erlebt habe, noch heute Morgen<lb/> in der Bahn dann würdeſt du verſtehn, daß ich keine<lb/> Ziegen melken kann!“</p><lb/> <p>Am Nachmittag fanden ſich alle Freundinnen aus<lb/> dem Dorf ein, um von Steffis großen Abenteuern in<lb/> der Stadt zu hören. Man trank Kaffee, ſpeiſte Kuchen,<lb/> die Steffi im Karton mitgebracht hatte, bewunderte<lb/> den roten Schirm und den Rieſenhut mit der knall-<lb/> blauen Schleife, während Steffi, noch immer auf<lb/> dem Sofa liegend, ausführlich erzählte:</p><lb/> <p>„Und dann ſagte er: mein Fräulein,“ und erläuternd<lb/> fügte er hinzu: „Man ſagt nämlich in der Stadt<lb/> immer ſo: mein Fräulein, — mein Herr!“</p><lb/> <p>Und die Mädchen wiederholten leiſe: „Mein<lb/> Fräulein, mein Herr!“ und ſahen bewundernd auf<lb/> Steffi.</p><lb/> <p>Aber ganz ſprachlos wurden ſie erſt, als Steffi<lb/> ihnen vom Herrn Zahnarzt und ſeinen Möbeln<lb/> erzählte:</p><lb/> <p>„Alles nur Spiegel und Marmor, und tritt man<lb/> in den Salon, kann man ſich gleich fünf mal ſehen,<lb/><cb/> und weiß nicht wohin, vor lauter Spiegeln! Und<lb/> was für Plüſchſofas und Stühle! So weich wie ein<lb/> Muff, und ſo rot und glitzernd wie die Fron-<lb/> leichnamsfahne! Und alles Holz gedreht und ge-<lb/> brannt, mit Kugeln und Säulchen, ganz wie in einem<lb/> richtigen Schloß! Und mitten auf dem Tiſch ein<lb/> wirkliches Denkmal, ganz aus Gold, mit langem Spieß<lb/> und Trompete!“</p><lb/> <p>Und der alte Kniebauer tunkte ſeinen Brotſtummel<lb/> tief in den ſüßen Kaffee und ſagte feierlich: „Geld<lb/> und Ruhm ſind nichts, — wer aber Schaden nimmt<lb/> an ſeiner Seele ...“ und ſchlürfend nahm er einen<lb/> Schluck, während die Alte kochendes Waſſer in die<lb/> Kaffeekanne nachgoß</p><lb/> <p>„Ja, in der Stadt iſt Alles ſo ſein und gebildet,“<lb/> fuhr Steffi fort, and führte die Taſſe mit weit ab-<lb/> ſtehendem kleinen Finger zum Munde, „überall<lb/> Teppiche und Parkett, und auch auf den Straßen<lb/> Alles glatt, wie in einem Saal, daß man immer<lb/> tanzen möchte. Und alle Häuſer aus Glas, daß man<lb/> durchſehen kann, wie durch Luft, Hüte, Kleider,<lb/> Stiefel, — jedes in einem beſonderen Haus. Auch<lb/> dieſer Hut hing in lauter Glas, man braucht nur<lb/> hineinzugehen, gleich fragt eine Dame, oder auch ein<lb/> Herr:</p><lb/> <p>„Mein Fräulein, Sie wünſchen?“</p><lb/> <p>Und dann ſagt man: „Mein Herr, ich wünſche ...“<lb/> Und das Geld legt man einfach bei einem ſilbernen<lb/> Kaſten hin, der gedreht wird und klingelt, und dann<lb/> ſpringt die Zahl heraus, daß man gleich ſehen kann,<lb/> wie teuer der Hut war!“</p><lb/> <p>„Und wie teuer war er denn?“ fragte die alte<lb/> Kniebauer mit beſorgtem Stolz</p><lb/> <p>„Neunzehn Mark fünfzig. — und das iſt billig für<lb/><hi rendition="#g">den</hi> Hut, ſagen Alle!“ erklärte Steffi.</p><lb/> <p>„Neunzehn Mark fünfzig!“ flüſterten die Mädchen,<lb/> und durften vorſichtig die blaue Schleife betaſten.</p><lb/> <p>„Ja, das iſt Seide aus Paris, das muß man ſchon<lb/> in der Stadt tragen,“ fügte Steffi binzu, die den be-<lb/> ſorgten Blick der Mutter aufgefangen hatte.</p><lb/> <p>„Ja, Paris, Paris,“ brummte der alte Kniebauer<lb/> mißbilligend, „das iſt auch ſo eine Stadt!“ Und er<lb/> nahm eine Priſe und ſchneuzte ſich gewaltig ins<lb/> rote Tuch.</p><lb/> <p>„Wer aber an ſeine Seele nicht denkt, der iſt in<lb/> der Stadt verloren,“ verſuchte Steffi die Mutter vom<lb/> Hut abzulenken. „Und was erlebt man nicht alles<lb/> in der Stadt, — und erſt recht auf der Reiſe!“</p><lb/> <p>Die Mädchen drängten ſich immer dichter um<lb/> Steffi, und ſtarrten ſie wie eine Märtyrerin in ſcheuer<lb/> Ehrfurcht an.</p><lb/> <p>„Da ſaß ich heut Morgen in der Bahn ganz allein<lb/> auf der Bank, und vor mir ein junger Herr, der ein<lb/> Buch las. Plötzlich kam der Tunnel, es wurde<lb/> finſter, wie in der Nacht. Da fühlte ich irgendwas<lb/> ſtechen, und eine Hand, die mich hielt, daß ich nicht<lb/> aufſtehen konnte, —</p><lb/> <p>„Aber mein Herr.“ ſagte ich. —</p><lb/> <p>„Mein Fräulein!“ ſagte er. — da wurde es mir<lb/> ganz ſchwach ... Aber ich hatte noch großes Glück:<lb/> garade wie ich dachte, jetzt, jetzt nimmt deine Seele<lb/> doch Schaden, — da wurde es wieder hell, der Tunnel<lb/> war vorüber, und der Herr ſaß wieder vor mir und<lb/> las ſein Buch! Ich brauchte mir nur die Haare<lb/> und den Hut ein wenig zu ordnen, — meine Seele<lb/> war wieder gerettet!“</p><lb/> <p>„Und wär auch der ganze Hut verdorben,“ meinte<lb/> der alte Kniebauer in gelaſſener Würde, „was ſind<lb/> neunzehn Mark fünfzig, wenn’s um das Seelenheil<lb/> der Ewigkeit geht!“</p><lb/> <p>„Ja, das war mein Glück im Tunnel,“ näſtelte<lb/> Steffi: „daß ich den Hut vorhielt, — und daß er<lb/> ſo groß war!“</p> </div><lb/> <div type="jComment" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Zigaretten.</hi> </head><lb/> <byline>Von<lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Roda Roda</hi>.</hi></byline><lb/> <p>Zigaretten koſten nun — ich weiß nicht, wieviel<lb/> Milliarden Mark das Stück; ſie gehören ſchon zu<lb/> den unerſchwinglichen Genüſſen und werden,<lb/> ſcheint mir, bald ganz ausſterben — nicht nur<lb/> im armen Deutſchland.</p><lb/> <p>Als Onkel Kolumbus in Amerika landete, fand<lb/> er dort Zigarren vor; vielleicht auch Pfeifen;<lb/> doch darüber bin ich nicht ausreichend unter-<lb/> richtet. Man hat denn auch Tabak auf die<lb/> urſprüngliche Art geraucht — und nebenbei ge-<lb/> kaut, geſchnupft — bis in die Siebzigerjahre.</p><lb/> <cb/> <p>Da erſt kam die Zigarette auf und ſiegte<lb/> allenthalben: als Cigarillo in Spanien; in Ruß-<lb/> land als Papyros; im Morgenland verdrängte ſie<lb/> Nardſchile und Tſchibuk. Ein ganzer Stand, das<lb/> blühende Gewerbe der Pfeifenſtopfer, Tſchibuk-<lb/> dſchi, mußte daran glauben. Was war er für ein<lb/> großer Herr geweſen, dieſer Pfeifenſtopfer des<lb/> Paſchas — da er den mächtigen Paſcha ſtets als<lb/> Nächſter im Gefolge begleitete, Mitwiſſer ſeiner<lb/> Ränke! Darum ließ man zu Stambul, wenn<lb/> der Diwan an der Hohen Pforte tagte, nur taub-<lb/> ſtumme Pfeifenſtopfer zu.</p><lb/> <p>Die beſte Zigarette war die ägyptiſche — ſo<lb/> genannt, weil Griechen ſie aus makedoniſchem<lb/> Tabak in London und Hamburg erzeugten. Er-<lb/> leſener, alter Tabak; die Bulgaren haben ein<lb/> Sprichwort, das alte Freunde, alten Tabak und<lb/> Wein als vortrefflich rühmt.</p><lb/> <p>Die Blume allen Tabaks aber kam aus Xanthi<lb/> und Kawalla am Aegäiſchen Meer. Ganz kleine<lb/> Blätter, ſie deckten keine Kinderhand, doch hell-<lb/> gelb und von ſo feiner Würze, daß man ſie für<lb/> ſich allein gar nicht rauchte — etwa wie man die<lb/> Vanille nicht mit Löffeln ißt, ſondern man par-<lb/> fümiert nur mit Spuren von Vanille andre, ſub-<lb/> ſtanzielle Speiſen. Als die Deutſchen in Bul-<lb/> garien ſtanden — o ſchöne Zeit! — da ſind Kiſten<lb/> dieſes Tabaks als „Geheimakten der Kaiſerlichen<lb/> Feldtransportleitung“ verſiegelt zu uns ge-<lb/> wandert.</p><lb/> <p>Türkiſche Bauern waren es, die mit viel-<lb/> hundertjähriger Erfahrung den Tabak von Xanthi<lb/> und Kawalla zogen — nicht zum Broterwerb,<lb/> ſondern aus Liebhaberei — denn ſoviel Sorgfalt,<lb/> Arbeit, Sachverſtand kann man einem gar nicht<lb/> bezahlen.</p><lb/> <p>Da brach im Herbſt 1912 der Balkankrieg aus;<lb/> die Bulgaren nahmen den Tabakbezirk. Sie ſind<lb/> ausgezeichnete Gärtner, die Bulgaren; doch im<lb/> Lärm der Waffen konnten ſie den erbgeſeſſenen<lb/> Türken ihre Geheimniſſe nicht ablauſchen. Sie<lb/> bekehrten die Bauern nur zum Chriſtentum.</p><lb/> <p>Es gibt viele Methoden der Bekehrung — das<lb/> milde Wort des Prieſters — Beſchenkung mit<lb/> Kleidungsſtücken und Bibeln: die Bulgaren<lb/> wählten, raſch wie ſie ſind, die hurtigſte Methode<lb/> — jene, wo der Feldwebel den Miſſionar und<lb/> ein Gewehrkolben den Weihwedel erſetzt. So<lb/> waren die türkiſchen Tabakbauern glücklich für<lb/> das Sofioter Erarchat gewonnen und teilhaftig<lb/> der ewigen Seligkeit.</p><lb/> <p>Doch das Kriegsglück wandte ſich — die Bul-<lb/> garen zogen ſich zurück. Griechen marſchierten<lb/> ein — und die armen Bauern von Xanthi hatten<lb/> einige kaum begriffene Glaubensſätze umzu-<lb/> lernen. Verwirrt durch die theologiſchen (und<lb/> liturgiſchen) Widerſprüche räumten die türkiſchen<lb/> Bauern das Feld.</p><lb/> <p>Es war ein ſandiges Feld geweſen, für Tabak-<lb/> pflanzung beſonders geeignet. Die Bauern haben<lb/> drüben in Anatolien kein paſſendes mehr<lb/> gefunden.</p><lb/> <p>Und ſo kommt es, daß ich, daß du, daß wir<lb/> alle in dieſem Leben, um der Gegenſätze in den<lb/> orientaliſchen Kirchen willen, keine Zigaretten<lb/> mehr rauchen werden von jener Güte, die wir<lb/> von jung auf genießen durften.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Papſt und König als Schriftſteller.</hi> </head><lb/> <p>Aus Rom berichtet die „Voſſ. Ztg,“ von dem<lb/> ſeltenen, vielmehr einzigen Fall, daß Papſt und<lb/> König faſt gleichzeitig unter die Schriftſteller<lb/> gegangen und von beiden hochintereſſante Werke<lb/> erſchienen ſind. Von König <hi rendition="#g">Viktor Emanuel</hi>,<lb/> dem hervorragenden Numismatiker, der neueſte<lb/> Band ſeines gewaltigen „<hi rendition="#aq">Corpus Nummorum<lb/> Italicorum</hi>“ von Papſt Pius <hi rendition="#aq">XI.</hi> eine Sammlung<lb/> ſeiner alpiniſtiſchen Schriften. Das Werk des<lb/> Königs, von dem nunmehr acht Bände mit ſchönen<lb/> Phototypien herausgekommen ſind, behandelt klar<lb/> und überſichtlich die ganze numismatiſche Ge-<lb/> ſchichte Italiens vom Untergange des römiſchen<lb/> Reiches an. Der Verfaſſer gibt indeſſen in ſeiner<lb/> Beſcheidenheit auf dem Titelblatt nicht einmal<lb/> ſeinen Namen an und bezeichnet das Werk das<lb/> einzige über die Münzen des italieniſchen Mittel-<lb/> alters und der Moderne“ — als „Verſuch“. Iſt<lb/> der „<hi rendition="#aq">Re</hi>“ in ſeinem Buche Fachgelehrter und<lb/><cb/> Hiſtoriker, ſo iſt der Papſt in dem ſeinigen Feuille-<lb/> toniſt. Viele Päpſte haben von theologiſchen Din-<lb/> gen geſchrieben, und Pius’ Vorgänger Leo <hi rendition="#aq">XIII.</hi><lb/> gab ſogar von Horaziſchem Geiſt durchwehte Oden<lb/> heraus. Ueber Alpinismus aber hatte ſich bisher<lb/> kein Nachfolger des heiligen Petrus verbreitet.<lb/> Pius tut dies mit ſo feinem Naturempfinden und<lb/> ſolcher Poeſie, er ſchildert ſeine oft ſchwierigen und<lb/> gefährlichen Bergbeſteigungen, z. B. der Monte-<lb/> Roſa-Gruppe, ſo anſchaulich und lebendig, daß<lb/> vom erſten bis zum letzten Blatte die Spannung<lb/> anhält. Das prächtig illuſtrierte Buch iſt bei<lb/> Bertieri und Vanzetti in Mailand erſchienen.</p> </div><lb/> <div type="jComment" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Kunſtgeſchichtliche Tabellen.</hi> </head><lb/> <p>Das Bedürfnis nach ſynchroniſtiſchen Kunſt-<lb/> tabellen haben die allzeit praktiſchen Engländer<lb/> ſchon vor geraumer Zeit zu erfüllen geſucht.<lb/> Aber dieſe engliſchen Publikationen ſind nicht<lb/> nur unvollſtändig, durch die Forſchung beſonders<lb/> des letzten Jahrzehntes überholt, ſie ſind den<lb/> wenigſten deutſchen Kunſtfreunden und For-<lb/> ſchern überhaupt zugänglich. In immer ſtär-<lb/> kerem Maße, aus verſchiedenen Gründen, be-<lb/> ſteht das Intereſſe, eine Ueberſicht über das<lb/> gleichzeitige Wirken der Künſtler in den ver-<lb/> ſchiedenen Ländern zu gewinnen, um die Tätig-<lb/> keit von Malern, Bildhauern und Architekten<lb/> ſowohl innerhalb dieſes Künſtlerkreiſes mit-<lb/> einander zu vergleichen, ganz beſonders aber,<lb/> um aus ihren zeitlichen Zuſammenhängen mit<lb/> geſchichtlichen und literariſchen Ereigniſſen,<lb/> kurz aus dem jeweils charakteriſtiſchen kultu-<lb/> rellen Bild heraus, innere Beziehungen noch<lb/> beſſer veranſchaulichen zu können.</p><lb/> <p>Die <hi rendition="#g">erſte umfaſſende</hi> deutſche Arbeit iſt<lb/> nun erſchienen: Rudolf <hi rendition="#g">Brettſchneider</hi><lb/> hat in ſeinen „<hi rendition="#g">Synchroniſtiſchen Ta-<lb/> bellen zur Geſchichte der Malerei<lb/> des</hi> <hi rendition="#aq">XIII.</hi> bis <hi rendition="#aq">XIX.</hi> <hi rendition="#g">Jahrhunderts</hi>“ (Ver-<lb/> lag Ed. Strache, Wien-Prag-Leipzig) den erſten<lb/> großangelegten Verſuch gemacht. Praktiſch ge-<lb/> gliedert und vorzüglich ausgeſtattet, wird die<lb/> Veröffentlichung vielen willkommen ſein, dem<lb/> Studierenden, dem Sammler, auch dem Forſcher<lb/> wertvolle, wenn auch weitmaſchige Ueberſicht<lb/> bieten.</p><lb/> <p>Der erſte Schritt iſt getan. Der Ausbau der<lb/> Arbeit kann erſt all die Ergänzungen bringen,<lb/> die die Tabellen zu einem wirklich praktiſchen<lb/> Behelfe machen. Denn in der vorliegenden Zu-<lb/> ſammenſtellung wird uns noch ziemlich viel<lb/> eigene Arbeit bei Benützung der Liſten zuge-<lb/> mutet. Brettſchneider hat ſich (nach langem<lb/> Schwanken) dazu entſchloſſen, die Künſtler nach<lb/> ihren Geburtsdaten einzuſetzen. Dadurch iſt<lb/> immer eine Art Umrechnung in die Jahre der<lb/> weſentlichen künſtleriſchen Betätigung nötig.<lb/> Will man nicht dieſe Daten der Meiſter ein-<lb/> ſetzen, ſo ſcheint ein paralleles Tabellenwerk<lb/> nicht nur notwendig, ſondern faſt noch wichtiger,<lb/> worin die inſchriftlich oder dokumentariſch ge-<lb/> ſicherten Hauptwerke der einzelnen Künſtler ver-<lb/> zeichnet ſind. Solche Tabellen werden nach viel<lb/> aufſchlußreicher wirken, und ſie werden für die<lb/> Hauptblütezeiten der Malerei natürlich aus-<lb/> führlicher ſein müſſen als für weniger weſent-<lb/> liche Perioden.</p><lb/> <p>Das Künſtleregiſter Brettſchneiders iſt ſorg-<lb/> fältig gearbeitet. Sein verdienſtvolles erſtes<lb/> Wert läßt es wünſchenswert erſcheinen, daß der-<lb/> ſelbe Autor — vielleicht in Form eines zweiten<lb/> Bandes — eine Erweiterung, wie ich ſie oben<lb/> anregte, erſcheinen läßt.</p><lb/> <byline> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">August L. Mayer</hi>.</hi> </byline> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Dürer wollte tanzen lernen ...</hi> </head><lb/> <p>Als der 35-<lb/> jährige Albrecht Dürer in Venedig war, wollte er<lb/> auch tanzen lernen, machte aber dabei ſchlechte<lb/> Erfahrungen. „Wißt auch,“ ſchrieb er im Oktober<lb/> 1506 an ſeinen Freund <hi rendition="#g">Pirkheimer</hi>. „daß ich<lb/> mir vorgenommen hatte, tanzen zu lernen, und<lb/> ging zweimal auf die Schule. Da mußte ich dem<lb/> Meiſter einen Dukaten geben, da konnte mich<lb/> kein Menſch mehr hinbringen. Ich würde wohl<lb/> alles das verloren haben, was ich gewonnen<lb/> hatte, und hätte dennoch zuletzt nichts gekonnt.“</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jCulturalNews" n="1"> <div type="jComment" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Konzerte.</hi> </head><lb/> <p>Wo eigentlich die Grenze zwiſchen <hi rendition="#g">noch</hi> er-<lb/> laubten und <hi rendition="#g">nicht mehr</hi> erlaubten Freiheiten<lb/> im Vortrag läuft, iſt objektiv nicht zu entſchei-<lb/> den: ſie müſſen im einzelnen Fall im perſön-<lb/> lichen Temperament und in der Ueberzeugungs-<lb/> kraft des Künſtlers ihre Rechtfertigung finden.<lb/> Joſeph <hi rendition="#g">Pembaur</hi> verſöhnt durch die Inten-<lb/> ſität ſeines Erlebens mit den ihm eigenen, mit-<lb/> unter faſt bis zur Verzerrung gehenden Eigen-<lb/> mächtigkeiten. Bei Chopin, den Pembaur mit<lb/> ſeiner ſtark romantiſch gerichteten Klang-<lb/> phantaſie ſpielt, läßt man ſich es immerhin ge-<lb/> fallen. Die Franziskus-Legenden werden ihm<lb/> zum perſönlichen religiöſen Bekenntnis.</p><lb/> <p>Im Hauſegger-Konzert ſpielte Edwin <hi rendition="#g">Fiſcher</hi><lb/> das <hi rendition="#aq">d</hi>-Moll-Konzert von Brahms. Hier mit<lb/> ſeinem blonden Naturburſchentum glaubhafter,<lb/> als wenn er einen modernen Abend gibt. Wirk-<lb/> lich bedeutend in den mit immenſer rhythmiſcher<lb/> Kraft vorgetragenen Steigerungen. Im übrigen<lb/> freilich, wie in letzter Zeit öfter, teilweiſe<lb/> pianiſtiſch undiſzipliniert. Das Arpeggio auf<lb/> dem letzten Akkord des Mittelſatzes iſt eine Ge-<lb/> ſchmackloſigkeit. Hausegger gab ſein Stärkſtes<lb/> mit der Leonoren-Ouvertüre. Die Sinphonie<lb/> war im Hinarbeiten auf Plaſtik überpointiert.</p><lb/> <p>Frank <hi rendition="#g">Waller</hi> hat viel Temperament und<lb/> Draufgängertum, nichts von der Hausegger-<lb/> ſchen Aſkeſe. Durch zu ſtarkes Dirigieren auf<lb/> Oberſtimme hin geht ihm freilich die volle Aus-<lb/> wertung der Orcheſterpolyphonie noch ab. Bloß<lb/> verſchone er uns mit der Indianer-Liturgig der<lb/> Williamsſchen Phantaſie. Berta <hi rendition="#g">Morena</hi> ſang<lb/> Iſoldens Liebestod mit aller Tradition großen<lb/> Wagnerſtils. 11.</p> </div><lb/> <div type="jComment" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Das Birkigt-Quartett.</hi> </head><lb/> <p>Zwei Momente ſind es, die gerade in München<lb/> dem Birkigt-Quartett ganz vorragende Wichtig-<lb/> keit verleihen, zwei Momente, in denen der be-<lb/> ſondere Sinn, die Rolle der Vereinigung be-<lb/> ruht: große Unternehmungsluſt, Betätigungs-<lb/> drang im beſten Sinne (wie er hier leider ſo<lb/> ſelten iſt) — und herrliche Inſtrumente. Wenn<lb/><cb/> ein Quartett es übernimmt, in 15. Abenden die<lb/> geſamten Streichquartette Haydns aufzuführen,<lb/> wenn man zudem von dieſem Quartett hört,<lb/> wie es ſich unentwegt, außerhalb der Oeffent-<lb/> lichkeit für alte und moderne Werke einſetzt,<lb/> die man in Konzerten hier nicht zu hören be-<lb/> kommt, — wenn man weiß, daß ſich das Quartett<lb/> aus Orcheſtermitgliedern zuſammenſetzt, deren<lb/> ſtrenger Dienſt bekannt iſt, dann muß man dop-<lb/> pelt die echte Muſizierfreudigkeit, das Tempera-<lb/> ment zur Leiſtung bewundern. So was brauchen<lb/> wir hier.</p><lb/> <p>Und dann die edeln Inſtrumentel <hi rendition="#g">Ein kom-<lb/> plettes Amati-Quartett</hi>. Auch damit<lb/> ſind wir nicht eben verwöhnt. Klangkultur ge-<lb/> hört heute zu den ſeltenſten Eigenſchaften <hi rendition="#g">un-<lb/> ſerer</hi> Kammermuſikvereinigungen. Nur zu oft<lb/> wird ein verwöhntes Ohr durch eine Bratſche<lb/> oder eine Geige geſtört, die zur Klangfarbe der<lb/> übrigen Inſtrumente nicht abgeſtimmt iſt. Dem<lb/> Birkigt-Quartett erwächſt aus dem Beſitze ſeiner<lb/> Inſtrumente alſo geradezu eine Aufgabe: uns<lb/> das Gefühl für geſchloſſene Klangkörper, für<lb/> Kolorit wieder anzuerziehen.</p><lb/> <p>Beides aber, die ſtarke Muſizierfreudigkeit<lb/> und das köſtliche Material, birgt Gefahren: das<lb/> viele Muſizieren die Gefahr der Oberflächlichkeit,<lb/> die Inſtrumente aber die Gefahr alles edlen<lb/> Materiales: nur dem vollendeten Reiter iſt der<lb/> Vollblut-Araber das ideale Reittier. Wehe der<lb/> harten Hand, dem rohen Schenkeldruck, der dem<lb/> Pferd den nicht ebenbürtigen Reiter verrät. Er<lb/> macht auf dem Vollblut kläglichere Figur, als auf<lb/> einem Reitſchulgaul.</p><lb/> <p>Das Birkigt-Quartett erliegt ſeinen edlen In-<lb/> ſtrumenten. Das robuſte Spiel des Primgeigers<lb/> und das unzulängliche ſeiner drei Begleiter läßt<lb/> zwar manchmal — in der Kantilene oder bei<lb/> warmblütigen Stellen — herrliche Töne erklin-<lb/> gen. Doch das ſind Ausnahmen, im allgemeinen<lb/> bedauert man die <hi rendition="#g">Inſtrumente</hi>. Zudem das<lb/> Muſikaliſche: das Quartett ſpielt „Orcheſter“,<lb/> nicht <hi rendition="#g">Kammermuſik</hi>. Auch beim Quartett-<lb/> ſpiel bleibt Birkigt Konzertmeiſter — Flügel-<lb/> mann —, die geiſtige Führung des Primgeigers,<lb/><cb/> der Sinn für das Ganze (und ſich ſelbſt als Teil),<lb/> architektoniſche wie agogiſche Einfühlung fehlt.<lb/> Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß Birkigt im Ver-<lb/> band mit hochwertigen Muſikern die Möglichkeit<lb/> fände, ſich dem Werk und ſeiner Geſtaltung ein-<lb/> zuleben. Das trockene, gewöhnliche Cello, vor<lb/> allem aber Höſls unmuſikaliſches und unintelli-<lb/> gentes Bratſchenſpiel, ſchließlich in dieſer Zu-<lb/> ſammenſtellung auch die blaſſe kärgliche zweite<lb/> Geige, machen ein eigentliches Quartettſpiel un-<lb/> möglich. Es wäre ernſtlich zu wünſchen, daß<lb/> Birkigt in der Zuſammenſtellung ſeines Quar-<lb/> tettes eingreifende Aenderungen vornimmt, vor<lb/> allem aber die Bratſche durch eine muſikaliſchere<lb/> Perſönlichkeit erſetzt. Ihr vor allem iſt das<lb/> Malheur zuzuſchreiben, das am 13. Dezember in<lb/> der Fuge des A-Dur-Quartettes (Nr. 36) paſ-<lb/> ſierte; an jedem der früheren Abende<lb/> gab es Stellen, bei denen man um das Zuſam-<lb/> menſpiel zitterte, bei denen alles ins Schwanken<lb/> und Schwimmen geriet. In dem A-Dur-Quar-<lb/> tett aber geſchah, was nicht geſchehen darf bei<lb/> einem öffentlichen Konzert: Birkigt mußte ab-<lb/> klopfen, der Satz neu begonnen werden — und<lb/> auch die Wiederholung wäre ums Haar nochmals<lb/> entgleiſt. Mit einer Kritik wurde abſichtlich bis-<lb/> her zurückgehalten, da zu erwarten war, daß<lb/> das Quartett an den folgenden Abenden ſein<lb/> Beſtes geben würde. Dieſe Abende haben inzwi-<lb/> ſchen zwar den ſchlimmſten Eindruck verwiſcht,<lb/> aber neuerdings bewieſen, daß das Birkigt-<lb/> Quartett auch der anderen Gefahr nicht gewach-<lb/> ſen iſt: eine wirklich durchgearbeitete, fertige<lb/> Leiſtung bietet es nie. Es bietet viel, es hat die<lb/> herrlichen Inſtrumente, aber es wird den Auf-<lb/> gaben, die es ſich ſelbſt ſtellt, nicht gerecht —<lb/> noch viel weniger der Qualität des Muſizierens,<lb/> die ſein edles Material <hi rendition="#g">erfordert</hi>. <hi rendition="#aq">P.</hi></p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jArticle" n="2"><lb/> <p>Die Münchener Schriftſtellerin <hi rendition="#g">Maria von Hof-<lb/> mann-Cortens</hi> hat eben eine neue „Meſſe“<lb/> vollendet. — Das Werk, welches mit Männer-Frauen-<lb/> Kinderchören ſowie Geſang, Orgel und großem<lb/> Orcheſter verflochten iſt, wird in München mit erſten<lb/> Kräften zur Uraufführung kommen.</p><lb/> <cb/> </div> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Neue Bücher.</hi> </head><lb/> <list> <item>Paul <hi rendition="#g">Roſenhayn</hi>, Cascapol, Roman. Leipzig,<lb/> Ernſt Keils Nachf. (Auguſt Scherl) G. m. b. H.<lb/> 130 S.<lb/> Guſtav <hi rendition="#g">Koehler</hi>, Der Aſtralſtrolch. Ein okkulter<lb/> Roman. Leipzig, Ernſt Keils Nachf. (Auguſt Scherl)<lb/> G. m. b. H. 408 S.<lb/> Emil <hi rendition="#g">Hadina</hi>, Dämonen der Tiefe. Ein Gottfried-<lb/> Bürger-Roman. Reichenberg, Gebr. Stiepel G. m.<lb/> b. H. 198 S.<lb/> Liſa <hi rendition="#g">Barthel-Winkler</hi>, Des Barfüßers Haus.<lb/> Roman. Berlin-Schöneberg. Brandenburgiſche Buch-<lb/> druckerei und Verlagsanſtalt G. m. b. H. 165 S.<lb/> Horſt Wolfram <hi rendition="#g">Geißler</hi>, Der liebe Auguſtin. Die<lb/> Geſchichte eines leichten Lebens. München, Verlag<lb/> Parcus & Cie. 389 S.<lb/> Franziska <hi rendition="#g">Hager</hi>, Der Dorfſchullehrer. Ein Buch<lb/> der Heimattreue. München, Max Kellerers Ver-<lb/> lag. 74 S.<lb/> Sophie Freiin v. <hi rendition="#g">Kuensberg</hi>, Das Buchſteiner<lb/> Elslein. Roman. 231 S. — Hubertus-Kraft Graf<lb/><hi rendition="#g">Strachwitz</hi>. Der Kaplan vom heiligen Berg.<lb/> Roman aus der Zeit des Kulturkampfes. 268 S. —<lb/> Karl <hi rendition="#g">Mager</hi>, Hans Cardon, der Student von In-<lb/> golſtadt. 3 Bände. — Sämtlich: Donauwörth, Ludw.<lb/> Auer (Pädagogiſche Stiftung Caſſianeum).<lb/> Guſtav <hi rendition="#g">Büſcher</hi>, Die Vergiftung des Geiſtes als<lb/> Urſache des Krieges und der Revolution. Walli-<lb/> ſellen b. Zürich, Selbſtverlag, 143 S.<lb/> Hans <hi rendition="#g">Breitenſträter</hi>, Meine Kämpfe. Mit<lb/> 30 Bildern. Berlin, Dr. Eysler & Co., A.-G. 80 S.<lb/><hi rendition="#g">Wen ſoll man heiraten?</hi> Das Ergebnis eines<lb/> Preisausſchreibens. Frankfurt a. M., H. Bechhold-<lb/> Verlag. 109 S.<lb/> Felix <hi rendition="#g">Krüger</hi>, Der Verkehr. Eine pſychologiſch-<lb/> moraliſche Betrachtung. Hamburg, Hanſeatiſche Ver-<lb/> lagsanſtalt. 36 S.<lb/> H. <hi rendition="#g">Lowenfeld</hi>, Zurück zum Wohlſtand. Ein neuer<lb/> Ausblick auf das praktiſche Leben. Berlin, Haude-<lb/> und Spenerſche Buchhandlung Max Paſchke. 189 S.<lb/> Friedrich <hi rendition="#g">Lenz</hi>, Staat und Marxismus. 2. Teil: Die<lb/> deutſche Sozialdemokratie. Stuttgart und Berlin,<lb/> J. G. Cottaſche Buchhandlung Nachf. 283 S.</item> </list> </div><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [9/0009]
Sonntag, den 13. Januar 1924 Allgemeine Zeitung. Nr. 12
Steffis Glück im Tunnel.
Von
Siegfried von Vegesack
Die alte Frau Kniebauer rollte gerade Kartoffel-
nudeln auf dem Brett, als Steffi mit einem Papp-
karton, einem Teller-flachen Strohhut mit knallblauer
Rieſenſchleife und einem grellroten Sonnenſchirm
durch die Tür tänzelte.
„Grüß Gott, Mutter!“ rief ſie ein wenig näſelnd,
warf den Karton auf die Bank, faßte mit Vorſicht die
Alte am mehlfreien Arm und ließ ſich auf dem ein-
zigen gepolſterten Stuhl der ärmlichen Stube nieder.
„Biſt du’s, Steffi?“ Und Frau Kniebauer hielt
im Rollen inne, wiſchte ſich unwillkürlich die Hände
an der Schürze und ſtaunte abwechſelnd Strohhut und
Sonnenſchirm an. „Biſt ſcho fortgeſchickt?“ fragte
ſie ſchließlich.
„Bin ſelber gegangen!“ erklärte Steffi ſtolz, holte
einen kleinen Spiegel aus der Taſche und ordnete ſich
das Haar. „Der Bub vom Zahnarzt war mir zu frech,
da konnte ich nicht bleiben. Das hat uns doch ſchon
der Herr Kooperator geſagt: Geld, Ruhm und Ehre
ſind nichts, wer aber Schaden nimmt an ſeiner
Seele ...“
Frau Kniebauer, die inzwiſchen das Brett mit
neuem Mehl beſtreut hatte, rollte ſo beftig die Kar-
toffelnudeln, daß ſie dünn wurden, wie Ratten-
ſchwänze.
„Wär beſſer geweſen, du hätteſt dem Buben eins
ausgewiſcht!“ Und ſie warf Schmalz auf die Pfanne,
daß es ziſchte.
„O, ich hab’s ihm gegeben,“ näſelte Steffi, „mein
Herr, hab ich geſagt, mein Herr, ich bin ein armes,
aber anſtändiges Mädchen, — das laß ich mir nicht
gefallen!“
„Und was war’s denn?“ forſchte die Alte ſachlich,
indem ſie jetzt die Kartoffelnudeln in die ziſchende
Pfanne ſchüttete.
„Hat mir im Korridor in den Arm gekniffen,“
und Steffi ſtreifte den Aermel zurück und zeigte den
blauen Fleck. „Mein Fräulein, hat er geſagt, mein
Fräulein, das war nur ein Scherz! Und die Frau
Zahnarzt und der Herr Zahnarzt ſind gekommen und
haben geſagt: Aber mein Fräulein, — Sie wollen
uns ſchon verlaſſen? Gnädige Frau, hab ich geſagt,
Geld und Ruhm ſind mir nichts, — aber wenn ich
Schaden nehme an meiner Seele ... Und dann,
Mutter, heute Morgen in der Bahn, — aber das
kann ich niemand ſagen!“ Und Steffi holte ein
Battiſttüchlein aus der Taſche und preßte es an die
Augen.
Der alte Kniebauer trat ein. Er nahm ſich eine
gründliche Priſe und ließ ſich alles noch einmal
erzählen. Dann ſchneuzte er ſich in ſein rotes Tuch
und erklärte:
„Recht iſt es, daß du heimgekommen biſt! So
arm ſind wir nicht, daß wir unſere Tochter verkaufen
müſſen! Bleibſt jetzt hier und hilfſt der Mutter!“
Und Steffi mußte ihren Rieſenhut aufhängen, ſich
eine Schürze vorbinden, und in dem Stall die Ziegen
melken. Dann aber klagte ſie, daß ihr der Rücken
weh täte, daß ſie Bruſtſchmerzen hätte, und den
Geruch nicht vertrüge. Schließlich bekam ſie Naſen-
bluten, legte ſich auf das wacklige Sofa am Fenſter
und ſpannte den roten Schirm aus, weil die Sonne
ſie blende.
„Ach, Mutter,“ ſeufzte ſie uter dem Schirm, „wenn
du wüßteſt, was ich erlebt habe, noch heute Morgen
in der Bahn dann würdeſt du verſtehn, daß ich keine
Ziegen melken kann!“
Am Nachmittag fanden ſich alle Freundinnen aus
dem Dorf ein, um von Steffis großen Abenteuern in
der Stadt zu hören. Man trank Kaffee, ſpeiſte Kuchen,
die Steffi im Karton mitgebracht hatte, bewunderte
den roten Schirm und den Rieſenhut mit der knall-
blauen Schleife, während Steffi, noch immer auf
dem Sofa liegend, ausführlich erzählte:
„Und dann ſagte er: mein Fräulein,“ und erläuternd
fügte er hinzu: „Man ſagt nämlich in der Stadt
immer ſo: mein Fräulein, — mein Herr!“
Und die Mädchen wiederholten leiſe: „Mein
Fräulein, mein Herr!“ und ſahen bewundernd auf
Steffi.
Aber ganz ſprachlos wurden ſie erſt, als Steffi
ihnen vom Herrn Zahnarzt und ſeinen Möbeln
erzählte:
„Alles nur Spiegel und Marmor, und tritt man
in den Salon, kann man ſich gleich fünf mal ſehen,
und weiß nicht wohin, vor lauter Spiegeln! Und
was für Plüſchſofas und Stühle! So weich wie ein
Muff, und ſo rot und glitzernd wie die Fron-
leichnamsfahne! Und alles Holz gedreht und ge-
brannt, mit Kugeln und Säulchen, ganz wie in einem
richtigen Schloß! Und mitten auf dem Tiſch ein
wirkliches Denkmal, ganz aus Gold, mit langem Spieß
und Trompete!“
Und der alte Kniebauer tunkte ſeinen Brotſtummel
tief in den ſüßen Kaffee und ſagte feierlich: „Geld
und Ruhm ſind nichts, — wer aber Schaden nimmt
an ſeiner Seele ...“ und ſchlürfend nahm er einen
Schluck, während die Alte kochendes Waſſer in die
Kaffeekanne nachgoß
„Ja, in der Stadt iſt Alles ſo ſein und gebildet,“
fuhr Steffi fort, and führte die Taſſe mit weit ab-
ſtehendem kleinen Finger zum Munde, „überall
Teppiche und Parkett, und auch auf den Straßen
Alles glatt, wie in einem Saal, daß man immer
tanzen möchte. Und alle Häuſer aus Glas, daß man
durchſehen kann, wie durch Luft, Hüte, Kleider,
Stiefel, — jedes in einem beſonderen Haus. Auch
dieſer Hut hing in lauter Glas, man braucht nur
hineinzugehen, gleich fragt eine Dame, oder auch ein
Herr:
„Mein Fräulein, Sie wünſchen?“
Und dann ſagt man: „Mein Herr, ich wünſche ...“
Und das Geld legt man einfach bei einem ſilbernen
Kaſten hin, der gedreht wird und klingelt, und dann
ſpringt die Zahl heraus, daß man gleich ſehen kann,
wie teuer der Hut war!“
„Und wie teuer war er denn?“ fragte die alte
Kniebauer mit beſorgtem Stolz
„Neunzehn Mark fünfzig. — und das iſt billig für
den Hut, ſagen Alle!“ erklärte Steffi.
„Neunzehn Mark fünfzig!“ flüſterten die Mädchen,
und durften vorſichtig die blaue Schleife betaſten.
„Ja, das iſt Seide aus Paris, das muß man ſchon
in der Stadt tragen,“ fügte Steffi binzu, die den be-
ſorgten Blick der Mutter aufgefangen hatte.
„Ja, Paris, Paris,“ brummte der alte Kniebauer
mißbilligend, „das iſt auch ſo eine Stadt!“ Und er
nahm eine Priſe und ſchneuzte ſich gewaltig ins
rote Tuch.
„Wer aber an ſeine Seele nicht denkt, der iſt in
der Stadt verloren,“ verſuchte Steffi die Mutter vom
Hut abzulenken. „Und was erlebt man nicht alles
in der Stadt, — und erſt recht auf der Reiſe!“
Die Mädchen drängten ſich immer dichter um
Steffi, und ſtarrten ſie wie eine Märtyrerin in ſcheuer
Ehrfurcht an.
„Da ſaß ich heut Morgen in der Bahn ganz allein
auf der Bank, und vor mir ein junger Herr, der ein
Buch las. Plötzlich kam der Tunnel, es wurde
finſter, wie in der Nacht. Da fühlte ich irgendwas
ſtechen, und eine Hand, die mich hielt, daß ich nicht
aufſtehen konnte, —
„Aber mein Herr.“ ſagte ich. —
„Mein Fräulein!“ ſagte er. — da wurde es mir
ganz ſchwach ... Aber ich hatte noch großes Glück:
garade wie ich dachte, jetzt, jetzt nimmt deine Seele
doch Schaden, — da wurde es wieder hell, der Tunnel
war vorüber, und der Herr ſaß wieder vor mir und
las ſein Buch! Ich brauchte mir nur die Haare
und den Hut ein wenig zu ordnen, — meine Seele
war wieder gerettet!“
„Und wär auch der ganze Hut verdorben,“ meinte
der alte Kniebauer in gelaſſener Würde, „was ſind
neunzehn Mark fünfzig, wenn’s um das Seelenheil
der Ewigkeit geht!“
„Ja, das war mein Glück im Tunnel,“ näſtelte
Steffi: „daß ich den Hut vorhielt, — und daß er
ſo groß war!“
Zigaretten.
Von
Roda Roda.
Zigaretten koſten nun — ich weiß nicht, wieviel
Milliarden Mark das Stück; ſie gehören ſchon zu
den unerſchwinglichen Genüſſen und werden,
ſcheint mir, bald ganz ausſterben — nicht nur
im armen Deutſchland.
Als Onkel Kolumbus in Amerika landete, fand
er dort Zigarren vor; vielleicht auch Pfeifen;
doch darüber bin ich nicht ausreichend unter-
richtet. Man hat denn auch Tabak auf die
urſprüngliche Art geraucht — und nebenbei ge-
kaut, geſchnupft — bis in die Siebzigerjahre.
Da erſt kam die Zigarette auf und ſiegte
allenthalben: als Cigarillo in Spanien; in Ruß-
land als Papyros; im Morgenland verdrängte ſie
Nardſchile und Tſchibuk. Ein ganzer Stand, das
blühende Gewerbe der Pfeifenſtopfer, Tſchibuk-
dſchi, mußte daran glauben. Was war er für ein
großer Herr geweſen, dieſer Pfeifenſtopfer des
Paſchas — da er den mächtigen Paſcha ſtets als
Nächſter im Gefolge begleitete, Mitwiſſer ſeiner
Ränke! Darum ließ man zu Stambul, wenn
der Diwan an der Hohen Pforte tagte, nur taub-
ſtumme Pfeifenſtopfer zu.
Die beſte Zigarette war die ägyptiſche — ſo
genannt, weil Griechen ſie aus makedoniſchem
Tabak in London und Hamburg erzeugten. Er-
leſener, alter Tabak; die Bulgaren haben ein
Sprichwort, das alte Freunde, alten Tabak und
Wein als vortrefflich rühmt.
Die Blume allen Tabaks aber kam aus Xanthi
und Kawalla am Aegäiſchen Meer. Ganz kleine
Blätter, ſie deckten keine Kinderhand, doch hell-
gelb und von ſo feiner Würze, daß man ſie für
ſich allein gar nicht rauchte — etwa wie man die
Vanille nicht mit Löffeln ißt, ſondern man par-
fümiert nur mit Spuren von Vanille andre, ſub-
ſtanzielle Speiſen. Als die Deutſchen in Bul-
garien ſtanden — o ſchöne Zeit! — da ſind Kiſten
dieſes Tabaks als „Geheimakten der Kaiſerlichen
Feldtransportleitung“ verſiegelt zu uns ge-
wandert.
Türkiſche Bauern waren es, die mit viel-
hundertjähriger Erfahrung den Tabak von Xanthi
und Kawalla zogen — nicht zum Broterwerb,
ſondern aus Liebhaberei — denn ſoviel Sorgfalt,
Arbeit, Sachverſtand kann man einem gar nicht
bezahlen.
Da brach im Herbſt 1912 der Balkankrieg aus;
die Bulgaren nahmen den Tabakbezirk. Sie ſind
ausgezeichnete Gärtner, die Bulgaren; doch im
Lärm der Waffen konnten ſie den erbgeſeſſenen
Türken ihre Geheimniſſe nicht ablauſchen. Sie
bekehrten die Bauern nur zum Chriſtentum.
Es gibt viele Methoden der Bekehrung — das
milde Wort des Prieſters — Beſchenkung mit
Kleidungsſtücken und Bibeln: die Bulgaren
wählten, raſch wie ſie ſind, die hurtigſte Methode
— jene, wo der Feldwebel den Miſſionar und
ein Gewehrkolben den Weihwedel erſetzt. So
waren die türkiſchen Tabakbauern glücklich für
das Sofioter Erarchat gewonnen und teilhaftig
der ewigen Seligkeit.
Doch das Kriegsglück wandte ſich — die Bul-
garen zogen ſich zurück. Griechen marſchierten
ein — und die armen Bauern von Xanthi hatten
einige kaum begriffene Glaubensſätze umzu-
lernen. Verwirrt durch die theologiſchen (und
liturgiſchen) Widerſprüche räumten die türkiſchen
Bauern das Feld.
Es war ein ſandiges Feld geweſen, für Tabak-
pflanzung beſonders geeignet. Die Bauern haben
drüben in Anatolien kein paſſendes mehr
gefunden.
Und ſo kommt es, daß ich, daß du, daß wir
alle in dieſem Leben, um der Gegenſätze in den
orientaliſchen Kirchen willen, keine Zigaretten
mehr rauchen werden von jener Güte, die wir
von jung auf genießen durften.
Papſt und König als Schriftſteller.
Aus Rom berichtet die „Voſſ. Ztg,“ von dem
ſeltenen, vielmehr einzigen Fall, daß Papſt und
König faſt gleichzeitig unter die Schriftſteller
gegangen und von beiden hochintereſſante Werke
erſchienen ſind. Von König Viktor Emanuel,
dem hervorragenden Numismatiker, der neueſte
Band ſeines gewaltigen „Corpus Nummorum
Italicorum“ von Papſt Pius XI. eine Sammlung
ſeiner alpiniſtiſchen Schriften. Das Werk des
Königs, von dem nunmehr acht Bände mit ſchönen
Phototypien herausgekommen ſind, behandelt klar
und überſichtlich die ganze numismatiſche Ge-
ſchichte Italiens vom Untergange des römiſchen
Reiches an. Der Verfaſſer gibt indeſſen in ſeiner
Beſcheidenheit auf dem Titelblatt nicht einmal
ſeinen Namen an und bezeichnet das Werk das
einzige über die Münzen des italieniſchen Mittel-
alters und der Moderne“ — als „Verſuch“. Iſt
der „Re“ in ſeinem Buche Fachgelehrter und
Hiſtoriker, ſo iſt der Papſt in dem ſeinigen Feuille-
toniſt. Viele Päpſte haben von theologiſchen Din-
gen geſchrieben, und Pius’ Vorgänger Leo XIII.
gab ſogar von Horaziſchem Geiſt durchwehte Oden
heraus. Ueber Alpinismus aber hatte ſich bisher
kein Nachfolger des heiligen Petrus verbreitet.
Pius tut dies mit ſo feinem Naturempfinden und
ſolcher Poeſie, er ſchildert ſeine oft ſchwierigen und
gefährlichen Bergbeſteigungen, z. B. der Monte-
Roſa-Gruppe, ſo anſchaulich und lebendig, daß
vom erſten bis zum letzten Blatte die Spannung
anhält. Das prächtig illuſtrierte Buch iſt bei
Bertieri und Vanzetti in Mailand erſchienen.
Kunſtgeſchichtliche Tabellen.
Das Bedürfnis nach ſynchroniſtiſchen Kunſt-
tabellen haben die allzeit praktiſchen Engländer
ſchon vor geraumer Zeit zu erfüllen geſucht.
Aber dieſe engliſchen Publikationen ſind nicht
nur unvollſtändig, durch die Forſchung beſonders
des letzten Jahrzehntes überholt, ſie ſind den
wenigſten deutſchen Kunſtfreunden und For-
ſchern überhaupt zugänglich. In immer ſtär-
kerem Maße, aus verſchiedenen Gründen, be-
ſteht das Intereſſe, eine Ueberſicht über das
gleichzeitige Wirken der Künſtler in den ver-
ſchiedenen Ländern zu gewinnen, um die Tätig-
keit von Malern, Bildhauern und Architekten
ſowohl innerhalb dieſes Künſtlerkreiſes mit-
einander zu vergleichen, ganz beſonders aber,
um aus ihren zeitlichen Zuſammenhängen mit
geſchichtlichen und literariſchen Ereigniſſen,
kurz aus dem jeweils charakteriſtiſchen kultu-
rellen Bild heraus, innere Beziehungen noch
beſſer veranſchaulichen zu können.
Die erſte umfaſſende deutſche Arbeit iſt
nun erſchienen: Rudolf Brettſchneider
hat in ſeinen „Synchroniſtiſchen Ta-
bellen zur Geſchichte der Malerei
des XIII. bis XIX. Jahrhunderts“ (Ver-
lag Ed. Strache, Wien-Prag-Leipzig) den erſten
großangelegten Verſuch gemacht. Praktiſch ge-
gliedert und vorzüglich ausgeſtattet, wird die
Veröffentlichung vielen willkommen ſein, dem
Studierenden, dem Sammler, auch dem Forſcher
wertvolle, wenn auch weitmaſchige Ueberſicht
bieten.
Der erſte Schritt iſt getan. Der Ausbau der
Arbeit kann erſt all die Ergänzungen bringen,
die die Tabellen zu einem wirklich praktiſchen
Behelfe machen. Denn in der vorliegenden Zu-
ſammenſtellung wird uns noch ziemlich viel
eigene Arbeit bei Benützung der Liſten zuge-
mutet. Brettſchneider hat ſich (nach langem
Schwanken) dazu entſchloſſen, die Künſtler nach
ihren Geburtsdaten einzuſetzen. Dadurch iſt
immer eine Art Umrechnung in die Jahre der
weſentlichen künſtleriſchen Betätigung nötig.
Will man nicht dieſe Daten der Meiſter ein-
ſetzen, ſo ſcheint ein paralleles Tabellenwerk
nicht nur notwendig, ſondern faſt noch wichtiger,
worin die inſchriftlich oder dokumentariſch ge-
ſicherten Hauptwerke der einzelnen Künſtler ver-
zeichnet ſind. Solche Tabellen werden nach viel
aufſchlußreicher wirken, und ſie werden für die
Hauptblütezeiten der Malerei natürlich aus-
führlicher ſein müſſen als für weniger weſent-
liche Perioden.
Das Künſtleregiſter Brettſchneiders iſt ſorg-
fältig gearbeitet. Sein verdienſtvolles erſtes
Wert läßt es wünſchenswert erſcheinen, daß der-
ſelbe Autor — vielleicht in Form eines zweiten
Bandes — eine Erweiterung, wie ich ſie oben
anregte, erſcheinen läßt.
August L. Mayer.
Dürer wollte tanzen lernen ...
Als der 35-
jährige Albrecht Dürer in Venedig war, wollte er
auch tanzen lernen, machte aber dabei ſchlechte
Erfahrungen. „Wißt auch,“ ſchrieb er im Oktober
1506 an ſeinen Freund Pirkheimer. „daß ich
mir vorgenommen hatte, tanzen zu lernen, und
ging zweimal auf die Schule. Da mußte ich dem
Meiſter einen Dukaten geben, da konnte mich
kein Menſch mehr hinbringen. Ich würde wohl
alles das verloren haben, was ich gewonnen
hatte, und hätte dennoch zuletzt nichts gekonnt.“
Konzerte.
Wo eigentlich die Grenze zwiſchen noch er-
laubten und nicht mehr erlaubten Freiheiten
im Vortrag läuft, iſt objektiv nicht zu entſchei-
den: ſie müſſen im einzelnen Fall im perſön-
lichen Temperament und in der Ueberzeugungs-
kraft des Künſtlers ihre Rechtfertigung finden.
Joſeph Pembaur verſöhnt durch die Inten-
ſität ſeines Erlebens mit den ihm eigenen, mit-
unter faſt bis zur Verzerrung gehenden Eigen-
mächtigkeiten. Bei Chopin, den Pembaur mit
ſeiner ſtark romantiſch gerichteten Klang-
phantaſie ſpielt, läßt man ſich es immerhin ge-
fallen. Die Franziskus-Legenden werden ihm
zum perſönlichen religiöſen Bekenntnis.
Im Hauſegger-Konzert ſpielte Edwin Fiſcher
das d-Moll-Konzert von Brahms. Hier mit
ſeinem blonden Naturburſchentum glaubhafter,
als wenn er einen modernen Abend gibt. Wirk-
lich bedeutend in den mit immenſer rhythmiſcher
Kraft vorgetragenen Steigerungen. Im übrigen
freilich, wie in letzter Zeit öfter, teilweiſe
pianiſtiſch undiſzipliniert. Das Arpeggio auf
dem letzten Akkord des Mittelſatzes iſt eine Ge-
ſchmackloſigkeit. Hausegger gab ſein Stärkſtes
mit der Leonoren-Ouvertüre. Die Sinphonie
war im Hinarbeiten auf Plaſtik überpointiert.
Frank Waller hat viel Temperament und
Draufgängertum, nichts von der Hausegger-
ſchen Aſkeſe. Durch zu ſtarkes Dirigieren auf
Oberſtimme hin geht ihm freilich die volle Aus-
wertung der Orcheſterpolyphonie noch ab. Bloß
verſchone er uns mit der Indianer-Liturgig der
Williamsſchen Phantaſie. Berta Morena ſang
Iſoldens Liebestod mit aller Tradition großen
Wagnerſtils. 11.
Das Birkigt-Quartett.
Zwei Momente ſind es, die gerade in München
dem Birkigt-Quartett ganz vorragende Wichtig-
keit verleihen, zwei Momente, in denen der be-
ſondere Sinn, die Rolle der Vereinigung be-
ruht: große Unternehmungsluſt, Betätigungs-
drang im beſten Sinne (wie er hier leider ſo
ſelten iſt) — und herrliche Inſtrumente. Wenn
ein Quartett es übernimmt, in 15. Abenden die
geſamten Streichquartette Haydns aufzuführen,
wenn man zudem von dieſem Quartett hört,
wie es ſich unentwegt, außerhalb der Oeffent-
lichkeit für alte und moderne Werke einſetzt,
die man in Konzerten hier nicht zu hören be-
kommt, — wenn man weiß, daß ſich das Quartett
aus Orcheſtermitgliedern zuſammenſetzt, deren
ſtrenger Dienſt bekannt iſt, dann muß man dop-
pelt die echte Muſizierfreudigkeit, das Tempera-
ment zur Leiſtung bewundern. So was brauchen
wir hier.
Und dann die edeln Inſtrumentel Ein kom-
plettes Amati-Quartett. Auch damit
ſind wir nicht eben verwöhnt. Klangkultur ge-
hört heute zu den ſeltenſten Eigenſchaften un-
ſerer Kammermuſikvereinigungen. Nur zu oft
wird ein verwöhntes Ohr durch eine Bratſche
oder eine Geige geſtört, die zur Klangfarbe der
übrigen Inſtrumente nicht abgeſtimmt iſt. Dem
Birkigt-Quartett erwächſt aus dem Beſitze ſeiner
Inſtrumente alſo geradezu eine Aufgabe: uns
das Gefühl für geſchloſſene Klangkörper, für
Kolorit wieder anzuerziehen.
Beides aber, die ſtarke Muſizierfreudigkeit
und das köſtliche Material, birgt Gefahren: das
viele Muſizieren die Gefahr der Oberflächlichkeit,
die Inſtrumente aber die Gefahr alles edlen
Materiales: nur dem vollendeten Reiter iſt der
Vollblut-Araber das ideale Reittier. Wehe der
harten Hand, dem rohen Schenkeldruck, der dem
Pferd den nicht ebenbürtigen Reiter verrät. Er
macht auf dem Vollblut kläglichere Figur, als auf
einem Reitſchulgaul.
Das Birkigt-Quartett erliegt ſeinen edlen In-
ſtrumenten. Das robuſte Spiel des Primgeigers
und das unzulängliche ſeiner drei Begleiter läßt
zwar manchmal — in der Kantilene oder bei
warmblütigen Stellen — herrliche Töne erklin-
gen. Doch das ſind Ausnahmen, im allgemeinen
bedauert man die Inſtrumente. Zudem das
Muſikaliſche: das Quartett ſpielt „Orcheſter“,
nicht Kammermuſik. Auch beim Quartett-
ſpiel bleibt Birkigt Konzertmeiſter — Flügel-
mann —, die geiſtige Führung des Primgeigers,
der Sinn für das Ganze (und ſich ſelbſt als Teil),
architektoniſche wie agogiſche Einfühlung fehlt.
Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß Birkigt im Ver-
band mit hochwertigen Muſikern die Möglichkeit
fände, ſich dem Werk und ſeiner Geſtaltung ein-
zuleben. Das trockene, gewöhnliche Cello, vor
allem aber Höſls unmuſikaliſches und unintelli-
gentes Bratſchenſpiel, ſchließlich in dieſer Zu-
ſammenſtellung auch die blaſſe kärgliche zweite
Geige, machen ein eigentliches Quartettſpiel un-
möglich. Es wäre ernſtlich zu wünſchen, daß
Birkigt in der Zuſammenſtellung ſeines Quar-
tettes eingreifende Aenderungen vornimmt, vor
allem aber die Bratſche durch eine muſikaliſchere
Perſönlichkeit erſetzt. Ihr vor allem iſt das
Malheur zuzuſchreiben, das am 13. Dezember in
der Fuge des A-Dur-Quartettes (Nr. 36) paſ-
ſierte; an jedem der früheren Abende
gab es Stellen, bei denen man um das Zuſam-
menſpiel zitterte, bei denen alles ins Schwanken
und Schwimmen geriet. In dem A-Dur-Quar-
tett aber geſchah, was nicht geſchehen darf bei
einem öffentlichen Konzert: Birkigt mußte ab-
klopfen, der Satz neu begonnen werden — und
auch die Wiederholung wäre ums Haar nochmals
entgleiſt. Mit einer Kritik wurde abſichtlich bis-
her zurückgehalten, da zu erwarten war, daß
das Quartett an den folgenden Abenden ſein
Beſtes geben würde. Dieſe Abende haben inzwi-
ſchen zwar den ſchlimmſten Eindruck verwiſcht,
aber neuerdings bewieſen, daß das Birkigt-
Quartett auch der anderen Gefahr nicht gewach-
ſen iſt: eine wirklich durchgearbeitete, fertige
Leiſtung bietet es nie. Es bietet viel, es hat die
herrlichen Inſtrumente, aber es wird den Auf-
gaben, die es ſich ſelbſt ſtellt, nicht gerecht —
noch viel weniger der Qualität des Muſizierens,
die ſein edles Material erfordert. P.
Die Münchener Schriftſtellerin Maria von Hof-
mann-Cortens hat eben eine neue „Meſſe“
vollendet. — Das Werk, welches mit Männer-Frauen-
Kinderchören ſowie Geſang, Orgel und großem
Orcheſter verflochten iſt, wird in München mit erſten
Kräften zur Uraufführung kommen.
Neue Bücher.
Paul Roſenhayn, Cascapol, Roman. Leipzig,
Ernſt Keils Nachf. (Auguſt Scherl) G. m. b. H.
130 S.
Guſtav Koehler, Der Aſtralſtrolch. Ein okkulter
Roman. Leipzig, Ernſt Keils Nachf. (Auguſt Scherl)
G. m. b. H. 408 S.
Emil Hadina, Dämonen der Tiefe. Ein Gottfried-
Bürger-Roman. Reichenberg, Gebr. Stiepel G. m.
b. H. 198 S.
Liſa Barthel-Winkler, Des Barfüßers Haus.
Roman. Berlin-Schöneberg. Brandenburgiſche Buch-
druckerei und Verlagsanſtalt G. m. b. H. 165 S.
Horſt Wolfram Geißler, Der liebe Auguſtin. Die
Geſchichte eines leichten Lebens. München, Verlag
Parcus & Cie. 389 S.
Franziska Hager, Der Dorfſchullehrer. Ein Buch
der Heimattreue. München, Max Kellerers Ver-
lag. 74 S.
Sophie Freiin v. Kuensberg, Das Buchſteiner
Elslein. Roman. 231 S. — Hubertus-Kraft Graf
Strachwitz. Der Kaplan vom heiligen Berg.
Roman aus der Zeit des Kulturkampfes. 268 S. —
Karl Mager, Hans Cardon, der Student von In-
golſtadt. 3 Bände. — Sämtlich: Donauwörth, Ludw.
Auer (Pädagogiſche Stiftung Caſſianeum).
Guſtav Büſcher, Die Vergiftung des Geiſtes als
Urſache des Krieges und der Revolution. Walli-
ſellen b. Zürich, Selbſtverlag, 143 S.
Hans Breitenſträter, Meine Kämpfe. Mit
30 Bildern. Berlin, Dr. Eysler & Co., A.-G. 80 S.
Wen ſoll man heiraten? Das Ergebnis eines
Preisausſchreibens. Frankfurt a. M., H. Bechhold-
Verlag. 109 S.
Felix Krüger, Der Verkehr. Eine pſychologiſch-
moraliſche Betrachtung. Hamburg, Hanſeatiſche Ver-
lagsanſtalt. 36 S.
H. Lowenfeld, Zurück zum Wohlſtand. Ein neuer
Ausblick auf das praktiſche Leben. Berlin, Haude-
und Spenerſche Buchhandlung Max Paſchke. 189 S.
Friedrich Lenz, Staat und Marxismus. 2. Teil: Die
deutſche Sozialdemokratie. Stuttgart und Berlin,
J. G. Cottaſche Buchhandlung Nachf. 283 S.
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
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