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Allgemeine Zeitung, Nr. 14, 14. Januar 1872.

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[Spaltenumbruch] stimmung.) Es ist 6 Uhr, und schon leert sich das Haus als Hr. Dahirel den Antrag
stellt daß der Bericht des Hrn. Buisson auf die Tagesordnung am künftigen Montag
gesetzt werde. Der Minister des Innern und, ihm zu Hülfe kommend, Hr. Thiers
machen geltend daß man die Steuerdebatten nicht noch einmal un terbrechen dürfe.
Man habe, sagt der Präsident der Republik, den Kopf voll von Ziffern und könne da-
neben an nichts anderes denken. (Stimmen: Warum nicht gar?) Er für seine Person
fühle sich schon erschöpft, und habe nicht die nöthige Sammlung um neben den Finanz-
fragen auch noch eine principiell so wichtige Angelegenheit, wie die der Rückkehr nach
Paris, mit der nöthigen Freiheit des Geistes behandeln zu können. Auf diese dringen-
den Vorstellungen beschließt man, jedoch nur mit ziemlich schwacher Mehrheit, über den
Bericht des Hrn. Buisson erst nach Erledigung sämmtlicher Steuervorlagen zu verhandeln

In dem Proceß der Mörder der Geiseln von Roquette wurde gestern
das Verhör der Angeklagten fortgesetzt. Hure, der Greffier von La Roquette, Poidevin,
Herault, Larmerour, Lesenechal, die dem Erecutionspeloton des Hauptmanns Verige an-
gehört oder zur Zeit der Hinrichtung in La Roquette auf Posten gewesen sein sollen,
Pechin der Koch, und Vattier, der Lampenanzünder des Gefängnisses unter der Commune
sind nur untergeordnete Mitwirkende des Trauerspiels. Dagegen lastet auf Pigerre
die Anklage mit aller Schwere: schon wegen Theilnahme an dem Aufstande zur Deportation
nach einem befestigten Platz verurtheilt, wird er von den Angeklagten Ramain, Picon,
Vattier und Latour mit Bestimmtheit als der Officier erkannt der das Executionspeloton
befehligte. Pigerre läugnet hartnäckig, und erklärt: er könne nicht begreifen warum die
Genannten, die ihm ganz fremd seien, sich zu seinem Verderben verschworen hätten.


Die Nationalversammlung würde heut am Ende
ihrer unrühmlichen Laufbahn sein, wenn die Börse über ihre Auflösung zu entschei-
den hätte. Man ist empört über die Frivolität des Berichterstatters, welcher mit
dem schlechten Witze schloß: "Paris war heroisch, also bleiben wir in Versailles."
Die Nationalversammlung selbst schämte sich ihrer Heiterkeit, und kaum hundert
Mitglieder riskirten ein Zeichen des Beifalls. Die Angelegenheit wird nach etwa
zwei Wochen zur Discussion gelangen; bis dahin muß eine Auswahl unter den
Steuerprojecten getroffen sein. Es begegnen sich hingegen das "J. des Debats"
und das Journal Gambetta's in der Auffassung daß in den neuerlichen Wahlergeb-
nissen die Nation abermals sich für die Republik des Hrn. Thiers ausgesprochen hat.
Daraus schließt das erstere Blatt auf die Fortdauer des Provisoriums, Gambetta's
Journal hingegen auf die Opportunität dem Nationalwillen Rechnung zu tragen.
Thiers soll auf die Chimäre der Republik ohne Republicaner verzichten, und seine
Anhänger sollen seine Ideen durch die Rückkehr nach Paris und durch Amnestie-
maßregeln verwirklichen, eine Regierungspartei bilden welche den Antrag auf Selbst-
auflösung der Nationalversammlung unterstützt. Gambetta mißbilligt also den
Antrag im linken Centrum, die Nepublik mit Drittel-Erneuerung der Nationalver-
sammlung und mit einem Oberhause zu proclamiren. Das "Siecle" hingegen
stimmt dem Antrag unter einigen Vorbehalten bei. Das rechte Centrum unter
Saint-Marc Girardin fängt zu begreifen an: die Drittel-Erneuerung allein könne
der Auflösung vorbeugen. Sie wird jedoch von der Proclamirung der endgültigen
Republik unzertrennlich sein. Der Berichterstatter hat den ängstlichen Gedanken
der monarchisch - klerikalen Coalition verrathen: die Nationalversammlung
und das Provisorium, wie sie sind, können in Paris nicht fortbestehen. -- Die Be-
werber um die Concession einer Eisenbahn von Calais über Paris nach Marseille
sehen sich genöthigt gegen die Finanzpotentaten und Transportmonopolisten in der
Kammer an das Publicum zu appelliren. Sie wollen dem Staate den Industrie-
palast in den Champs Elysees abkaufen, um einen riesigen Centralbahnhof sämmt-
licher Linien für die Reisenden zu errichten, deren Fahrpreise sie um je eine Classe
in den bestehenden Tarifen herabsetzen. Sie eröffnen den Betrieb ihrer Bahn nach
spätestens drei Jahren, und nicht nur verlangen sie durchaus keine Garantie oder
Subvention oder sonstige Begünstigungen, sondern sie stellen auch ihre Bahnhöfe
etwaigen Seitenlinien kostenfrei zur Verfügung und commanditiren den Bau sol-
cher Linien mit ihren Capitalien. Es ist dieß allerdings eine gründliche Umwäl-
zung in der bisherigen Bahnpolitik, gegen welche der Finanzminister Hr. Pouyer-
Quertier schon im gesetzgebenden Körper gedonnert hatte. Mehr als tausend Kauf-
leute und Industrielle von Paris haben in einer gestrigen Versammlung einstimmig
die Erklärung beschlossen: "Wir protestiren auch gegen die niedrigsten Einfuhrszölle
auf Rohstoffe und ziehen ihnen jede andere Besteuerung vor." Die Patentsteuer
z. B. in Paris trägt dem Staate 90 Millionen ein; der Handelsstand will sich eine
Erhöhung um 40 oder 60 Millionen gefallen lassen. Sobald die Zeit weniger
drängt, wird man auf die überaus praktische Idee des Barons Soubeyran zurück-
kommen müssen: Verbesserungen in der Auflage und Einhebung der bereits be-
stehenden alten und neuen Steuern sind hinreichend um den Mehrbedarf des
Staates zu decken. Die Verbesserung des gänzlich veralteten Grundkatasters,
dessen notorische Veränderungen seit einem halben Jahrhundert rasch und mit ge-
ringen Kosten constatirt werden könnten, würde allein und ohne Steuerdruck das
Erträgniß der Grundsteuer beträchtlich vermehren. -- Der Minister des Innern
hat die Präfeeten der drei Departements in welchen ein mehr oder minder
bonapartistischer Candidat gewählt wurde nach Versailles berufen. -- Das radi-
cale Batt "Constitution" bespricht die Bemerkungen Ihres Blattes über
den skandalösen Widerruf der Abbes Maret und Gratry. Außerhalb der
kirchlichen Kreise hat davon kaum jemand in Frankreich Notiz genommen. Das
französische Ideal hält sich bei keiner kirchlichen oder religiösen Reform auf; seine
Formel ist kategorisch folgende: Trennung zwischen Staat und Kirche, zwischen
Schule und Kirche. Die Organe der protestantischen Kirche, insbesondere im Sü-
den, befördern diese Bewegung, welche ausschließlich politisch ist, während eine
religiöse Bewegung bloß als klerikale Agitation zu Gunsten der socialen und der poli-
tischen Einflüsse der Geistlichkeit besteht. Die Kirche soll eine private Genossen-
schaft werden, die Religion privatissime eine Gewissensfrage verbleiben; alsdann
will die Fortschrittspartei beide ignoriren, und der Staat soll sich damit nicht be-
schäftigen. Darum konnten Maret und Gratry kein sociales oder politisches Aerger-
niß erregen, und wird die altkatholische Bewegung ausschließlich in den Bereich der
theologischen Tagesbegebenheiten oder Curiositäten verwiesen. Eine Gesellschaft
welche sich gegen einen Veuillot, Dupanloup, Fallour zu wehren hat, augenblick-
lich um den unentgeltlichen obligaten Bolksunterricht, um die Schulfreiheit der
Gemeinde kämpft, erübrigt keine Zeit und Aufmerksamkeit für eine rein kirchliche oder
theologische Polemik. In Frankreich besteht die Religion hauptsächlich als sociale
[Spaltenumbruch] Reaction der höheren und reichen Stände gegen die Gelüste und die Aufklärung
der Volksmassen. Auf diesen Standpunkt wird sich Bischof Dupanloup in der
Unterrichtsfrage stellen. Ultramontane und Legitimisten sehen allmählich ein daß
sie kein Interesse haben die Republik zu stürzen, an deren Stelle sie nichts als die
Revolution zu setzen haben. Sie wollen alle ihre Anstrengungen darauf concen-
triren sich der Schule zu bemächtigen, den Volksunterricht durch die Kirche zu
monopolisiren, um auf diesem Umwege langsamer, jedoch zuverlässiger zum Ziele zu
gelangen. In diesem Sinne wollen sie eine religiöse Bewegung der conservativen
Interessen veranstalten, und die Schule soll die Parole der kirchlich - socialen
Reaction gegen die Demokratie werden. Neu-Katholiken und Alt-Katholiken sind
in Frankreich gleich viel werth, da sie alle bloß so viel Katholicismus als reactionären
Interessen-Fanatismus besitzen. Deßhalb handelt es sich zunächst darum den Staat
von der Kirche zu befreien, welche sich alsdann nach Gutdünken reformiren mag.

Italien.

Der Papst hat am Sonntag eine Anzahl Frauen aus
Trastevere empfangen und ihnen den Segen ertheilt, selbstverständlich nicht ohne
eine Anrede an sie zu richten. In seiner Rede erinnerte er daran daß er auch
einmal, vor nun 24 Jahren, die Einwohner von Trastevere empfangen habe, die
gekommen waren ihm einen riesigen Blumenstrauß zu überreichen. "Ich befand
mich damals im Quirinal ... Die guten Trasteveriner stiegen in den Palast herauf;
die Frauen verblieben auf dem Platze, und um sie zu segnen trat ich hinaus auf
jene Loggia die gegenwärtig von andern Frauen verunehrt wird." (.. le donne
rimasero sulla piazza, onde io per benedirle m'affacciai a quella loggia ora
profanata da altre donne ...,
so lautet die päpstliche Rede in der Version der
klerikalen "Voce della Verita.") Die Frauen welche nach dem Ausspruche des
Papstes heute die Loggia des Quirinals verunehren, sind die Kronprinzessin Mar-
gherita und deren Damen. Man kann es begreifen daß der Papst ärgerlich wird
wenn er auf die heutigen Bewohner des Quirinals zu sprechen kommt; man wird
den Ausdruck nicht billigen den er mit Bezug auf die erste Frau des Landes ge-
braucht hat; doch das ist eine Sache des guten Geschmacks, und selbst das letzte Concil
hat den Geschmack des Papstes nicht unfehlbar gemacht; -- aber, so ist man be-
rechtigt zu fragen, verträgt es sich mit der Würde des Königs von Italien dem Papste
Neujahrswünsche zu schicken, die dieser eine Woche später damit beantworten wird
daß er vor einer Versammlung von fünf bis sechshundert Unterthaninnen des
Königs von dessen Schwiegertochter, der Frau des Thronfolgers, einen Ausdruck
braucht durch den jede der Hörerinnen, wenn so von ihr geredet würde, sich tief ge-
kränkt fühlte? Genug daß der König von Italien sich des Rechts begeben hat
die beleidigenden oder aufreizenden Reden, die der Papst gegen Dynastie und Re-
gierung hält, zu ahnden. Der Papst fährt fort solche Reden zu halten, welche
Artigkeiten der König ihm auch erweise. Sollte da der König nicht endlich merken
daß er nur seiner eigenen Majestät zu nahe tritt, indem er mit den Artigkeiten fort-
fährt, während der Papst immer neue Beleidigungen häuft? Es mag dem König
Victor Emmanuel ein unbehaglicher Gedanke sein mit dem Oberhaupt der Kirche
in Unfrieden zu leben. Allein es gibt nun einmal verdrießliche Nothwendigkeiten,
in die ein Mann, und zumal ein König, sich schicken muß. Wenn man den Ruhm
erstrebt und errungen hat Italien geeinigt zu haben, und auch auf das Vergnügen
nicht hat verzichten mögen den Quirinal zu bewohnen, nun, so muß man es eben
zu ertragen wissen daß der auf den Besitz des Vaticans beschränkte Papst schlechter
Laune bleibt und von Versöhnung nichts wissen mag. -- Sogar die "Opinione" meint
heute daß die zarten Rücksichten welche die italienische Regierung dem Vatican
gegenüber nimmt, ihren Zweck verfehlen. Die Regierung übt in Rom eine
Theatercensur welche von den römischen Bühnen jedes Stück ausschließen möchte
worin ein Mönch, ein Priester oder gar ein Cardinal vorkommt. In dem Apollo-
Theater ist die Aufführung der "Halevy'schen Jüdin" nur erlaubt worden unter der
Bedingung daß der Cardinal sich nicht vor dem Juden niederwerfe. Und jetzt hat
man dem bekannten Schauspieler Salvim untersagt auf dem von ihm geleiteten
Theater den "Arduino d'Ivrea" zugeben -- ein Stück welches seit zwei Jahren die
Runde über alle italienischen Bühnen gemacht, und dessen Autor in Anerkennung
seines Dichtertalents einen Orden erhalten hat. Das Stück behandelt den Con-
flict zwischen Staat und Kirche zur Zeit des Investiturstreites.

Verschiedenes.

Heut ist der zum ordentlichen Professor in der philo-
sophischen Facultät ernannte bisherige außerordentliche Professor der Landwirthschafts-
lehre, Dr. Gustav Drechsler, in den Senat eingeführt worden. -- Für das durch den
Tod von Professor Wicke erledigte Fach der Agriculturchemie ist Professor Dr. Zöller
aus Erlangen berufen, und wird diesem Ruf zu Ostern d. J. Folge leisten. Dagegen ist
die durch die Zeitungen gehende Nachricht von einer Berufung des Geh. Justizraths Dr.
Ihering in Wien in die hiesige Juristenfacultät mindestens verfrüht. Unterhandlungen
haben zwar stattgefunden, aber bis jetzt beiderseits zu keinem Abschluß geführt. -- Die
Zahl der Studierenden auf unserer Georg-August-Universität, die während des Kriegs-
jahres bis auf 499 zurückgegangen war, hat sich im vorigen Sommersemester wieder
auf 707, in dem lanfenden Wintersemester auf 804 gehoben, so daß genau wieder der
Stand vor dem Krieg im Jahr 1870 erreicht ist. Von jener Zahl kommen auf die philo-
sophische Facultät 377, worunter besonders zahlreich die Philologen und Historiker ver-
treten siud; von den drei übrigen Facultäten zählt die medicinische 172, die juristische
142, die evangelisch-theologische 113 immatriculirte Zuhörer. Die Gesammtzahl der In-
länder (Preußen) beträgt 607, die der Ausländer 197, worunter 150 aus den übrigen
deutschen Staaten, 32 aus andern europäischen Ländern, 15 aus Amerika. Die Zahl der
Docenteu beträgt in der theologischen Facultät 6 ord., 3 außerord. Professoren, 1 Privat-
docent und 3 Repetenten; in der juristischen 8 ord., 2 außerord. Prof., 2 Privatdoc., in
der medicinischen 9 ord., 6 außerord. Prof., 5 Privatdoc., in der philosophischen 31 ord.,
1 Prof. emerit., 12 außerord. Prof., 16 Privatddoc., nebst 10 weitern Lebrern und
Erercitienmeistern, also zusammen ein Lehrerpersonal von 115. -- Dem schon seit zwei
Jahren in Kairo verweilenden Professor Brugsch ist sein Urlaub bis 1 April d. J. ver-
längert worden. Der Assessor der philos. Facultät Dr. Wüstenfeld befindet sich zum
Zweck historischer Studien in Italien, der Privatdocent Dr. Grenacher (Zoolog) mit
einem Reisestipendinm der Senckenbergischen Stiftung in Portugal und auf den Azoren.

(Bauernfeld-Feier.)

Heute Morgens fanden sich die
ersten Deputationen bei Bauernfeld ein, um ihm die Glüchvünsche zur Feier seines
siebenzigsten Geburtstags zu überreichen. Um 11 Uhr Vormittags überbrachte Graf
Wrbna jun. die Gratulationen des Kaisers in Begleitung eines Brillantringes, der den

[Spaltenumbruch] ſtimmung.) Es iſt 6 Uhr, und ſchon leert ſich das Haus als Hr. Dahirel den Antrag
ſtellt daß der Bericht des Hrn. Buiſſon auf die Tagesordnung am künftigen Montag
geſetzt werde. Der Miniſter des Innern und, ihm zu Hülfe kommend, Hr. Thiers
machen geltend daß man die Steuerdebatten nicht noch einmal un terbrechen dürfe.
Man habe, ſagt der Präſident der Republik, den Kopf voll von Ziffern und könne da-
neben an nichts anderes denken. (Stimmen: Warum nicht gar?) Er für ſeine Perſon
fühle ſich ſchon erſchöpft, und habe nicht die nöthige Sammlung um neben den Finanz-
fragen auch noch eine principiell ſo wichtige Angelegenheit, wie die der Rückkehr nach
Paris, mit der nöthigen Freiheit des Geiſtes behandeln zu können. Auf dieſe dringen-
den Vorſtellungen beſchließt man, jedoch nur mit ziemlich ſchwacher Mehrheit, über den
Bericht des Hrn. Buiſſon erſt nach Erledigung ſämmtlicher Steuervorlagen zu verhandeln

In dem Proceß der Mörder der Geiſeln von Roquette wurde geſtern
das Verhör der Angeklagten fortgeſetzt. Hure, der Greffier von La Roquette, Poidevin,
Hérault, Larmerour, Leſénéchal, die dem Erecutionspeloton des Hauptmanns Vérige an-
gehört oder zur Zeit der Hinrichtung in La Roquette auf Poſten geweſen ſein ſollen,
Péchin der Koch, und Vattier, der Lampenanzünder des Gefängniſſes unter der Commune
ſind nur untergeordnete Mitwirkende des Trauerſpiels. Dagegen laſtet auf Pigerre
die Anklage mit aller Schwere: ſchon wegen Theilnahme an dem Aufſtande zur Deportation
nach einem befeſtigten Platz verurtheilt, wird er von den Angeklagten Ramain, Picon,
Vattier und Latour mit Beſtimmtheit als der Officier erkannt der das Executionspeloton
befehligte. Pigerre läugnet hartnäckig, und erklärt: er könne nicht begreifen warum die
Genannten, die ihm ganz fremd ſeien, ſich zu ſeinem Verderben verſchworen hätten.


Die Nationalverſammlung würde heut am Ende
ihrer unrühmlichen Laufbahn ſein, wenn die Börſe über ihre Auflöſung zu entſchei-
den hätte. Man iſt empört über die Frivolität des Berichterſtatters, welcher mit
dem ſchlechten Witze ſchloß: „Paris war heroiſch, alſo bleiben wir in Verſailles.“
Die Nationalverſammlung ſelbſt ſchämte ſich ihrer Heiterkeit, und kaum hundert
Mitglieder riskirten ein Zeichen des Beifalls. Die Angelegenheit wird nach etwa
zwei Wochen zur Discuſſion gelangen; bis dahin muß eine Auswahl unter den
Steuerprojecten getroffen ſein. Es begegnen ſich hingegen das „J. des Débats“
und das Journal Gambetta’s in der Auffaſſung daß in den neuerlichen Wahlergeb-
niſſen die Nation abermals ſich für die Republik des Hrn. Thiers ausgeſprochen hat.
Daraus ſchließt das erſtere Blatt auf die Fortdauer des Proviſoriums, Gambetta’s
Journal hingegen auf die Opportunität dem Nationalwillen Rechnung zu tragen.
Thiers ſoll auf die Chimäre der Republik ohne Republicaner verzichten, und ſeine
Anhänger ſollen ſeine Ideen durch die Rückkehr nach Paris und durch Amneſtie-
maßregeln verwirklichen, eine Regierungspartei bilden welche den Antrag auf Selbſt-
auflöſung der Nationalverſammlung unterſtützt. Gambetta mißbilligt alſo den
Antrag im linken Centrum, die Nepublik mit Drittel-Erneuerung der Nationalver-
ſammlung und mit einem Oberhauſe zu proclamiren. Das „Siècle“ hingegen
ſtimmt dem Antrag unter einigen Vorbehalten bei. Das rechte Centrum unter
Saint-Marc Girardin fängt zu begreifen an: die Drittel-Erneuerung allein könne
der Auflöſung vorbeugen. Sie wird jedoch von der Proclamirung der endgültigen
Republik unzertrennlich ſein. Der Berichterſtatter hat den ängſtlichen Gedanken
der monarchiſch – klerikalen Coalition verrathen: die Nationalverſammlung
und das Proviſorium, wie ſie ſind, können in Paris nicht fortbeſtehen. — Die Be-
werber um die Conceſſion einer Eiſenbahn von Calais über Paris nach Marſeille
ſehen ſich genöthigt gegen die Finanzpotentaten und Transportmonopoliſten in der
Kammer an das Publicum zu appelliren. Sie wollen dem Staate den Induſtrie-
palaſt in den Champs Elyſées abkaufen, um einen rieſigen Centralbahnhof ſämmt-
licher Linien für die Reiſenden zu errichten, deren Fahrpreiſe ſie um je eine Claſſe
in den beſtehenden Tarifen herabſetzen. Sie eröffnen den Betrieb ihrer Bahn nach
ſpäteſtens drei Jahren, und nicht nur verlangen ſie durchaus keine Garantie oder
Subvention oder ſonſtige Begünſtigungen, ſondern ſie ſtellen auch ihre Bahnhöfe
etwaigen Seitenlinien koſtenfrei zur Verfügung und commanditiren den Bau ſol-
cher Linien mit ihren Capitalien. Es iſt dieß allerdings eine gründliche Umwäl-
zung in der bisherigen Bahnpolitik, gegen welche der Finanzminiſter Hr. Pouyer-
Quertier ſchon im geſetzgebenden Körper gedonnert hatte. Mehr als tauſend Kauf-
leute und Induſtrielle von Paris haben in einer geſtrigen Verſammlung einſtimmig
die Erklärung beſchloſſen: „Wir proteſtiren auch gegen die niedrigſten Einfuhrszölle
auf Rohſtoffe und ziehen ihnen jede andere Beſteuerung vor.“ Die Patentſteuer
z. B. in Paris trägt dem Staate 90 Millionen ein; der Handelsſtand will ſich eine
Erhöhung um 40 oder 60 Millionen gefallen laſſen. Sobald die Zeit weniger
drängt, wird man auf die überaus praktiſche Idee des Barons Soubeyran zurück-
kommen müſſen: Verbeſſerungen in der Auflage und Einhebung der bereits be-
ſtehenden alten und neuen Steuern ſind hinreichend um den Mehrbedarf des
Staates zu decken. Die Verbeſſerung des gänzlich veralteten Grundkataſters,
deſſen notoriſche Veränderungen ſeit einem halben Jahrhundert raſch und mit ge-
ringen Koſten conſtatirt werden könnten, würde allein und ohne Steuerdruck das
Erträgniß der Grundſteuer beträchtlich vermehren. — Der Miniſter des Innern
hat die Präfeeten der drei Departements in welchen ein mehr oder minder
bonapartiſtiſcher Candidat gewählt wurde nach Verſailles berufen. — Das radi-
cale Batt „Conſtitution“ beſpricht die Bemerkungen Ihres Blattes über
den ſkandalöſen Widerruf der Abbés Maret und Gratry. Außerhalb der
kirchlichen Kreiſe hat davon kaum jemand in Frankreich Notiz genommen. Das
franzöſiſche Ideal hält ſich bei keiner kirchlichen oder religiöſen Reform auf; ſeine
Formel iſt kategoriſch folgende: Trennung zwiſchen Staat und Kirche, zwiſchen
Schule und Kirche. Die Organe der proteſtantiſchen Kirche, insbeſondere im Sü-
den, befördern dieſe Bewegung, welche ausſchließlich politiſch iſt, während eine
religiöſe Bewegung bloß als klerikale Agitation zu Gunſten der ſocialen und der poli-
tiſchen Einflüſſe der Geiſtlichkeit beſteht. Die Kirche ſoll eine private Genoſſen-
ſchaft werden, die Religion privatiſſime eine Gewiſſensfrage verbleiben; alsdann
will die Fortſchrittspartei beide ignoriren, und der Staat ſoll ſich damit nicht be-
ſchäftigen. Darum konnten Maret und Gratry kein ſociales oder politiſches Aerger-
niß erregen, und wird die altkatholiſche Bewegung ausſchließlich in den Bereich der
theologiſchen Tagesbegebenheiten oder Curioſitäten verwieſen. Eine Geſellſchaft
welche ſich gegen einen Veuillot, Dupanloup, Fallour zu wehren hat, augenblick-
lich um den unentgeltlichen obligaten Bolksunterricht, um die Schulfreiheit der
Gemeinde kämpft, erübrigt keine Zeit und Aufmerkſamkeit für eine rein kirchliche oder
theologiſche Polemik. In Frankreich beſteht die Religion hauptſächlich als ſociale
[Spaltenumbruch] Reaction der höheren und reichen Stände gegen die Gelüſte und die Aufklärung
der Volksmaſſen. Auf dieſen Standpunkt wird ſich Biſchof Dupanloup in der
Unterrichtsfrage ſtellen. Ultramontane und Legitimiſten ſehen allmählich ein daß
ſie kein Intereſſe haben die Republik zu ſtürzen, an deren Stelle ſie nichts als die
Revolution zu ſetzen haben. Sie wollen alle ihre Anſtrengungen darauf concen-
triren ſich der Schule zu bemächtigen, den Volksunterricht durch die Kirche zu
monopoliſiren, um auf dieſem Umwege langſamer, jedoch zuverläſſiger zum Ziele zu
gelangen. In dieſem Sinne wollen ſie eine religiöſe Bewegung der conſervativen
Intereſſen veranſtalten, und die Schule ſoll die Parole der kirchlich – ſocialen
Reaction gegen die Demokratie werden. Neu-Katholiken und Alt-Katholiken ſind
in Frankreich gleich viel werth, da ſie alle bloß ſo viel Katholicismus als reactionären
Intereſſen-Fanatismus beſitzen. Deßhalb handelt es ſich zunächſt darum den Staat
von der Kirche zu befreien, welche ſich alsdann nach Gutdünken reformiren mag.

Italien.

Der Papſt hat am Sonntag eine Anzahl Frauen aus
Trastevere empfangen und ihnen den Segen ertheilt, ſelbſtverſtändlich nicht ohne
eine Anrede an ſie zu richten. In ſeiner Rede erinnerte er daran daß er auch
einmal, vor nun 24 Jahren, die Einwohner von Trastevere empfangen habe, die
gekommen waren ihm einen rieſigen Blumenſtrauß zu überreichen. „Ich befand
mich damals im Quirinal ... Die guten Trasteveriner ſtiegen in den Palaſt herauf;
die Frauen verblieben auf dem Platze, und um ſie zu ſegnen trat ich hinaus auf
jene Loggia die gegenwärtig von andern Frauen verunehrt wird.“ (.. le donne
rimasero sulla piazza, onde io per benedirle m’affacciai a quella loggia ora
profanata da altre donne ...,
ſo lautet die päpſtliche Rede in der Verſion der
klerikalen „Voce della Verità.“) Die Frauen welche nach dem Ausſpruche des
Papſtes heute die Loggia des Quirinals verunehren, ſind die Kronprinzeſſin Mar-
gherita und deren Damen. Man kann es begreifen daß der Papſt ärgerlich wird
wenn er auf die heutigen Bewohner des Quirinals zu ſprechen kommt; man wird
den Ausdruck nicht billigen den er mit Bezug auf die erſte Frau des Landes ge-
braucht hat; doch das iſt eine Sache des guten Geſchmacks, und ſelbſt das letzte Concil
hat den Geſchmack des Papſtes nicht unfehlbar gemacht; — aber, ſo iſt man be-
rechtigt zu fragen, verträgt es ſich mit der Würde des Königs von Italien dem Papſte
Neujahrswünſche zu ſchicken, die dieſer eine Woche ſpäter damit beantworten wird
daß er vor einer Verſammlung von fünf bis ſechshundert Unterthaninnen des
Königs von deſſen Schwiegertochter, der Frau des Thronfolgers, einen Ausdruck
braucht durch den jede der Hörerinnen, wenn ſo von ihr geredet würde, ſich tief ge-
kränkt fühlte? Genug daß der König von Italien ſich des Rechts begeben hat
die beleidigenden oder aufreizenden Reden, die der Papſt gegen Dynaſtie und Re-
gierung hält, zu ahnden. Der Papſt fährt fort ſolche Reden zu halten, welche
Artigkeiten der König ihm auch erweiſe. Sollte da der König nicht endlich merken
daß er nur ſeiner eigenen Majeſtät zu nahe tritt, indem er mit den Artigkeiten fort-
fährt, während der Papſt immer neue Beleidigungen häuft? Es mag dem König
Victor Emmanuel ein unbehaglicher Gedanke ſein mit dem Oberhaupt der Kirche
in Unfrieden zu leben. Allein es gibt nun einmal verdrießliche Nothwendigkeiten,
in die ein Mann, und zumal ein König, ſich ſchicken muß. Wenn man den Ruhm
erſtrebt und errungen hat Italien geeinigt zu haben, und auch auf das Vergnügen
nicht hat verzichten mögen den Quirinal zu bewohnen, nun, ſo muß man es eben
zu ertragen wiſſen daß der auf den Beſitz des Vaticans beſchränkte Papſt ſchlechter
Laune bleibt und von Verſöhnung nichts wiſſen mag. — Sogar die „Opinione“ meint
heute daß die zarten Rückſichten welche die italieniſche Regierung dem Vatican
gegenüber nimmt, ihren Zweck verfehlen. Die Regierung übt in Rom eine
Theatercenſur welche von den römiſchen Bühnen jedes Stück ausſchließen möchte
worin ein Mönch, ein Prieſter oder gar ein Cardinal vorkommt. In dem Apollo-
Theater iſt die Aufführung der „Halévy’ſchen Jüdin“ nur erlaubt worden unter der
Bedingung daß der Cardinal ſich nicht vor dem Juden niederwerfe. Und jetzt hat
man dem bekannten Schauſpieler Salvim unterſagt auf dem von ihm geleiteten
Theater den „Arduino d’Ivrea“ zugeben — ein Stück welches ſeit zwei Jahren die
Runde über alle italieniſchen Bühnen gemacht, und deſſen Autor in Anerkennung
ſeines Dichtertalents einen Orden erhalten hat. Das Stück behandelt den Con-
flict zwiſchen Staat und Kirche zur Zeit des Inveſtiturſtreites.

Verſchiedenes.

Heut iſt der zum ordentlichen Profeſſor in der philo-
ſophiſchen Facultät ernannte bisherige außerordentliche Profeſſor der Landwirthſchafts-
lehre, Dr. Guſtav Drechsler, in den Senat eingeführt worden. — Für das durch den
Tod von Profeſſor Wicke erledigte Fach der Agriculturchemie iſt Profeſſor Dr. Zöller
aus Erlangen berufen, und wird dieſem Ruf zu Oſtern d. J. Folge leiſten. Dagegen iſt
die durch die Zeitungen gehende Nachricht von einer Berufung des Geh. Juſtizraths Dr.
Ihering in Wien in die hieſige Juriſtenfacultät mindeſtens verfrüht. Unterhandlungen
haben zwar ſtattgefunden, aber bis jetzt beiderſeits zu keinem Abſchluß geführt. — Die
Zahl der Studierenden auf unſerer Georg-Auguſt-Univerſität, die während des Kriegs-
jahres bis auf 499 zurückgegangen war, hat ſich im vorigen Sommerſemeſter wieder
auf 707, in dem lanfenden Winterſemeſter auf 804 gehoben, ſo daß genau wieder der
Stand vor dem Krieg im Jahr 1870 erreicht iſt. Von jener Zahl kommen auf die philo-
ſophiſche Facultät 377, worunter beſonders zahlreich die Philologen und Hiſtoriker ver-
treten ſiud; von den drei übrigen Facultäten zählt die mediciniſche 172, die juriſtiſche
142, die evangeliſch-theologiſche 113 immatriculirte Zuhörer. Die Geſammtzahl der In-
länder (Preußen) beträgt 607, die der Ausländer 197, worunter 150 aus den übrigen
deutſchen Staaten, 32 aus andern europäiſchen Ländern, 15 aus Amerika. Die Zahl der
Docenteu beträgt in der theologiſchen Facultät 6 ord., 3 außerord. Profeſſoren, 1 Privat-
docent und 3 Repetenten; in der juriſtiſchen 8 ord., 2 außerord. Prof., 2 Privatdoc., in
der mediciniſchen 9 ord., 6 außerord. Prof., 5 Privatdoc., in der philoſophiſchen 31 ord.,
1 Prof. emerit., 12 außerord. Prof., 16 Privatddoc., nebſt 10 weitern Lebrern und
Erercitienmeiſtern, alſo zuſammen ein Lehrerperſonal von 115. — Dem ſchon ſeit zwei
Jahren in Kairo verweilenden Profeſſor Brugſch iſt ſein Urlaub bis 1 April d. J. ver-
längert worden. Der Aſſeſſor der philoſ. Facultät Dr. Wüſtenfeld befindet ſich zum
Zweck hiſtoriſcher Studien in Italien, der Privatdocent Dr. Grenacher (Zoolog) mit
einem Reiſeſtipendinm der Senckenbergiſchen Stiftung in Portugal und auf den Azoren.

(Bauernfeld-Feier.)

Heute Morgens fanden ſich die
erſten Deputationen bei Bauernfeld ein, um ihm die Glüchvünſche zur Feier ſeines
ſiebenzigſten Geburtstags zu überreichen. Um 11 Uhr Vormittags überbrachte Graf
Wrbna jun. die Gratulationen des Kaiſers in Begleitung eines Brillantringes, der den

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Bericht des Hrn. Bui&#x017F;&#x017F;on er&#x017F;t nach Erledigung &#x017F;ämmtlicher Steuervorlagen zu verhandeln</p>
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            <p>In dem Proceß der <hi rendition="#g">Mörder der Gei&#x017F;eln von Roquette</hi> wurde ge&#x017F;tern<lb/>
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Hérault, Larmerour, Le&#x017F;énéchal, die dem Erecutionspeloton des Hauptmanns Vérige an-<lb/>
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Péchin der Koch, und Vattier, der Lampenanzünder des Gefängni&#x017F;&#x017F;es unter der Commune<lb/>
&#x017F;ind nur untergeordnete Mitwirkende des Trauer&#x017F;piels. Dagegen la&#x017F;tet auf <hi rendition="#g">Pigerre</hi><lb/>
die Anklage mit aller Schwere: &#x017F;chon wegen Theilnahme an dem Auf&#x017F;tande zur Deportation<lb/>
nach einem befe&#x017F;tigten Platz verurtheilt, wird er von den Angeklagten Ramain, Picon,<lb/>
Vattier und Latour mit Be&#x017F;timmtheit als der Officier erkannt der das Executionspeloton<lb/>
befehligte. Pigerre läugnet hartnäckig, und erklärt: er könne nicht begreifen warum die<lb/>
Genannten, die ihm ganz fremd &#x017F;eien, &#x017F;ich zu &#x017F;einem Verderben ver&#x017F;chworen hätten.</p>
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            <p>Die Nationalver&#x017F;ammlung würde heut am Ende<lb/>
ihrer unrühmlichen Laufbahn &#x017F;ein, wenn die Bör&#x017F;e über ihre Auflö&#x017F;ung zu ent&#x017F;chei-<lb/>
den hätte. Man i&#x017F;t empört über die Frivolität des Berichter&#x017F;tatters, welcher mit<lb/>
dem &#x017F;chlechten Witze &#x017F;chloß: &#x201E;Paris war heroi&#x017F;ch, al&#x017F;o bleiben wir in Ver&#x017F;ailles.&#x201C;<lb/>
Die Nationalver&#x017F;ammlung &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;chämte &#x017F;ich ihrer Heiterkeit, und kaum hundert<lb/>
Mitglieder riskirten ein Zeichen des Beifalls. Die Angelegenheit wird nach etwa<lb/>
zwei Wochen zur Discu&#x017F;&#x017F;ion gelangen; bis dahin muß eine Auswahl unter den<lb/>
Steuerprojecten getroffen &#x017F;ein. Es begegnen &#x017F;ich hingegen das &#x201E;J. des Débats&#x201C;<lb/>
und das Journal Gambetta&#x2019;s in der Auffa&#x017F;&#x017F;ung daß in den neuerlichen Wahlergeb-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;en die Nation abermals &#x017F;ich für die Republik des Hrn. Thiers ausge&#x017F;prochen hat.<lb/>
Daraus &#x017F;chließt das er&#x017F;tere Blatt auf die Fortdauer des Provi&#x017F;oriums, Gambetta&#x2019;s<lb/>
Journal hingegen auf die Opportunität dem Nationalwillen Rechnung zu tragen.<lb/>
Thiers &#x017F;oll auf die Chimäre der Republik ohne Republicaner verzichten, und &#x017F;eine<lb/>
Anhänger &#x017F;ollen &#x017F;eine Ideen durch die Rückkehr nach Paris und durch Amne&#x017F;tie-<lb/>
maßregeln verwirklichen, eine Regierungspartei bilden welche den Antrag auf Selb&#x017F;t-<lb/>
auflö&#x017F;ung der Nationalver&#x017F;ammlung unter&#x017F;tützt. Gambetta mißbilligt al&#x017F;o den<lb/>
Antrag im linken Centrum, die Nepublik mit Drittel-Erneuerung der Nationalver-<lb/>
&#x017F;ammlung und mit einem Oberhau&#x017F;e zu proclamiren. Das &#x201E;Siècle&#x201C; hingegen<lb/>
&#x017F;timmt dem Antrag unter einigen Vorbehalten bei. Das rechte Centrum unter<lb/>
Saint-Marc Girardin fängt zu begreifen an: die Drittel-Erneuerung allein könne<lb/>
der Auflö&#x017F;ung vorbeugen. Sie wird jedoch von der Proclamirung der endgültigen<lb/>
Republik unzertrennlich &#x017F;ein. Der Berichter&#x017F;tatter hat den äng&#x017F;tlichen Gedanken<lb/>
der monarchi&#x017F;ch &#x2013; klerikalen Coalition verrathen: die Nationalver&#x017F;ammlung<lb/>
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&#x017F;ehen &#x017F;ich genöthigt gegen die Finanzpotentaten und Transportmonopoli&#x017F;ten in der<lb/>
Kammer an das Publicum zu appelliren. Sie wollen dem Staate den Indu&#x017F;trie-<lb/>
pala&#x017F;t in den Champs Ely&#x017F;ées abkaufen, um einen rie&#x017F;igen Centralbahnhof &#x017F;ämmt-<lb/>
licher Linien für die Rei&#x017F;enden zu errichten, deren Fahrprei&#x017F;e &#x017F;ie um je eine Cla&#x017F;&#x017F;e<lb/>
in den be&#x017F;tehenden Tarifen herab&#x017F;etzen. Sie eröffnen den Betrieb ihrer Bahn nach<lb/>
&#x017F;päte&#x017F;tens drei Jahren, und nicht nur verlangen &#x017F;ie durchaus keine Garantie oder<lb/>
Subvention oder &#x017F;on&#x017F;tige Begün&#x017F;tigungen, &#x017F;ondern &#x017F;ie &#x017F;tellen auch ihre Bahnhöfe<lb/>
etwaigen Seitenlinien ko&#x017F;tenfrei zur Verfügung und commanditiren den Bau &#x017F;ol-<lb/>
cher Linien mit ihren Capitalien. Es i&#x017F;t dieß allerdings eine gründliche Umwäl-<lb/>
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Quertier &#x017F;chon im ge&#x017F;etzgebenden Körper gedonnert hatte. Mehr als tau&#x017F;end Kauf-<lb/>
leute und Indu&#x017F;trielle von Paris haben in einer ge&#x017F;trigen Ver&#x017F;ammlung ein&#x017F;timmig<lb/>
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auf Roh&#x017F;toffe und ziehen ihnen jede andere Be&#x017F;teuerung vor.&#x201C; Die Patent&#x017F;teuer<lb/>
z. B. in Paris trägt dem Staate 90 Millionen ein; der Handels&#x017F;tand will &#x017F;ich eine<lb/>
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drängt, wird man auf die überaus prakti&#x017F;che Idee des Barons Soubeyran zurück-<lb/>
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&#x017F;tehenden alten und neuen Steuern &#x017F;ind hinreichend um den Mehrbedarf des<lb/>
Staates zu decken. Die Verbe&#x017F;&#x017F;erung des gänzlich veralteten Grundkata&#x017F;ters,<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en notori&#x017F;che Veränderungen &#x017F;eit einem halben Jahrhundert ra&#x017F;ch und mit ge-<lb/>
ringen Ko&#x017F;ten con&#x017F;tatirt werden könnten, würde allein und ohne Steuerdruck das<lb/>
Erträgniß der Grund&#x017F;teuer beträchtlich vermehren. &#x2014; Der Mini&#x017F;ter des Innern<lb/>
hat die Präfeeten der drei Departements in welchen ein mehr oder minder<lb/>
bonaparti&#x017F;ti&#x017F;cher Candidat gewählt wurde nach Ver&#x017F;ailles berufen. &#x2014; Das radi-<lb/>
cale Batt &#x201E;Con&#x017F;titution&#x201C; be&#x017F;pricht die Bemerkungen Ihres Blattes über<lb/>
den &#x017F;kandalö&#x017F;en Widerruf der Abb<hi rendition="#aq">é</hi>s Maret und Gratry. Außerhalb der<lb/>
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Formel i&#x017F;t kategori&#x017F;ch folgende: Trennung zwi&#x017F;chen Staat und Kirche, zwi&#x017F;chen<lb/>
Schule und Kirche. Die Organe der prote&#x017F;tanti&#x017F;chen Kirche, insbe&#x017F;ondere im Sü-<lb/>
den, befördern die&#x017F;e Bewegung, welche aus&#x017F;chließlich politi&#x017F;ch i&#x017F;t, während eine<lb/>
religiö&#x017F;e Bewegung bloß als klerikale Agitation zu Gun&#x017F;ten der &#x017F;ocialen und der poli-<lb/>
ti&#x017F;chen Einflü&#x017F;&#x017F;e der Gei&#x017F;tlichkeit be&#x017F;teht. Die Kirche &#x017F;oll eine private Geno&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chaft werden, die Religion privati&#x017F;&#x017F;ime eine Gewi&#x017F;&#x017F;ensfrage verbleiben; alsdann<lb/>
will die Fort&#x017F;chrittspartei beide ignoriren, und der Staat &#x017F;oll &#x017F;ich damit nicht be-<lb/>
&#x017F;chäftigen. Darum konnten Maret und Gratry kein &#x017F;ociales oder politi&#x017F;ches Aerger-<lb/>
niß erregen, und wird die altkatholi&#x017F;che Bewegung aus&#x017F;chließlich in den Bereich der<lb/>
theologi&#x017F;chen Tagesbegebenheiten oder Curio&#x017F;itäten verwie&#x017F;en. Eine Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft<lb/>
welche &#x017F;ich gegen einen Veuillot, Dupanloup, Fallour zu wehren hat, augenblick-<lb/>
lich um den unentgeltlichen obligaten Bolksunterricht, um die Schulfreiheit der<lb/>
Gemeinde kämpft, erübrigt keine Zeit und Aufmerk&#x017F;amkeit für eine rein kirchliche oder<lb/>
theologi&#x017F;che Polemik. In Frankreich be&#x017F;teht die Religion haupt&#x017F;ächlich als &#x017F;ociale<lb/><cb/>
Reaction der höheren und reichen Stände gegen die Gelü&#x017F;te und die Aufklärung<lb/>
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Unterrichtsfrage &#x017F;tellen. Ultramontane und Legitimi&#x017F;ten &#x017F;ehen allmählich ein daß<lb/>
&#x017F;ie kein Intere&#x017F;&#x017F;e haben die Republik zu &#x017F;türzen, an deren Stelle &#x017F;ie nichts als die<lb/>
Revolution zu &#x017F;etzen haben. Sie wollen alle ihre An&#x017F;trengungen darauf concen-<lb/>
triren &#x017F;ich der Schule zu bemächtigen, den Volksunterricht durch die Kirche zu<lb/>
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gelangen. In die&#x017F;em Sinne wollen &#x017F;ie eine religiö&#x017F;e Bewegung der con&#x017F;ervativen<lb/>
Intere&#x017F;&#x017F;en veran&#x017F;talten, und die Schule &#x017F;oll die Parole der kirchlich &#x2013; &#x017F;ocialen<lb/>
Reaction gegen die Demokratie werden. Neu-Katholiken und Alt-Katholiken &#x017F;ind<lb/>
in Frankreich gleich viel werth, da &#x017F;ie alle bloß &#x017F;o viel Katholicismus als reactionären<lb/>
Intere&#x017F;&#x017F;en-Fanatismus be&#x017F;itzen. Deßhalb handelt es &#x017F;ich zunäch&#x017F;t darum den Staat<lb/>
von der Kirche zu befreien, welche &#x017F;ich alsdann nach Gutdünken reformiren mag.</p>
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            <p>Der Pap&#x017F;t hat am Sonntag eine Anzahl Frauen aus<lb/>
Trastevere empfangen und ihnen den Segen ertheilt, &#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;tändlich nicht ohne<lb/>
eine Anrede an &#x017F;ie zu richten. In &#x017F;einer Rede erinnerte er daran daß er auch<lb/>
einmal, vor nun 24 Jahren, die Einwohner von Trastevere empfangen habe, die<lb/>
gekommen waren ihm einen rie&#x017F;igen Blumen&#x017F;trauß zu überreichen. &#x201E;Ich befand<lb/>
mich damals im Quirinal ... Die guten Trasteveriner &#x017F;tiegen in den Pala&#x017F;t herauf;<lb/>
die Frauen verblieben auf dem Platze, und um &#x017F;ie zu &#x017F;egnen trat ich hinaus auf<lb/>
jene Loggia die gegenwärtig von andern Frauen verunehrt wird.&#x201C; (.. <hi rendition="#aq">le donne<lb/>
rimasero sulla piazza, onde io per benedirle m&#x2019;affacciai a quella loggia ora<lb/>
profanata da altre donne ...,</hi> &#x017F;o lautet die päp&#x017F;tliche Rede in der Ver&#x017F;ion der<lb/>
klerikalen &#x201E;Voce della Verit<hi rendition="#aq">à</hi>.&#x201C;) Die Frauen welche nach dem Aus&#x017F;pruche des<lb/>
Pap&#x017F;tes heute die Loggia des Quirinals verunehren, &#x017F;ind die Kronprinze&#x017F;&#x017F;in Mar-<lb/>
gherita und deren Damen. Man kann es begreifen daß der Pap&#x017F;t ärgerlich wird<lb/>
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rechtigt zu fragen, verträgt es &#x017F;ich mit der Würde des Königs von Italien dem Pap&#x017F;te<lb/>
Neujahrswün&#x017F;che zu &#x017F;chicken, die die&#x017F;er eine Woche &#x017F;päter damit beantworten wird<lb/>
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Königs von de&#x017F;&#x017F;en Schwiegertochter, der Frau des Thronfolgers, einen Ausdruck<lb/>
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kränkt fühlte? Genug daß der König von Italien &#x017F;ich des Rechts begeben hat<lb/>
die beleidigenden oder aufreizenden Reden, die der Pap&#x017F;t gegen Dyna&#x017F;tie und Re-<lb/>
gierung hält, zu ahnden. Der Pap&#x017F;t fährt fort &#x017F;olche Reden zu halten, welche<lb/>
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Victor Emmanuel ein unbehaglicher Gedanke &#x017F;ein mit dem Oberhaupt der Kirche<lb/>
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Laune bleibt und von Ver&#x017F;öhnung nichts wi&#x017F;&#x017F;en mag. &#x2014; Sogar die &#x201E;Opinione&#x201C; meint<lb/>
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Theatercen&#x017F;ur welche von den römi&#x017F;chen Bühnen jedes Stück aus&#x017F;chließen möchte<lb/>
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&#x017F;eines Dichtertalents einen Orden erhalten hat. Das Stück behandelt den Con-<lb/>
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auf 707, in dem lanfenden Winter&#x017F;eme&#x017F;ter auf 804 gehoben, &#x017F;o daß genau wieder der<lb/>
Stand vor dem Krieg im Jahr 1870 erreicht i&#x017F;t. Von jener Zahl kommen auf die philo-<lb/>
&#x017F;ophi&#x017F;che Facultät 377, worunter be&#x017F;onders zahlreich die Philologen und Hi&#x017F;toriker ver-<lb/>
treten &#x017F;iud; von den drei übrigen Facultäten zählt die medicini&#x017F;che 172, die juri&#x017F;ti&#x017F;che<lb/>
142, die evangeli&#x017F;ch-theologi&#x017F;che 113 immatriculirte Zuhörer. Die Ge&#x017F;ammtzahl der In-<lb/>
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deut&#x017F;chen Staaten, 32 aus andern europäi&#x017F;chen Ländern, 15 aus Amerika. Die Zahl der<lb/>
Docenteu beträgt in der theologi&#x017F;chen Facultät 6 ord., 3 außerord. Profe&#x017F;&#x017F;oren, 1 Privat-<lb/>
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Erercitienmei&#x017F;tern, al&#x017F;o zu&#x017F;ammen ein Lehrerper&#x017F;onal von 115. &#x2014; Dem &#x017F;chon &#x017F;eit zwei<lb/>
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[198/0006] ſtimmung.) Es iſt 6 Uhr, und ſchon leert ſich das Haus als Hr. Dahirel den Antrag ſtellt daß der Bericht des Hrn. Buiſſon auf die Tagesordnung am künftigen Montag geſetzt werde. Der Miniſter des Innern und, ihm zu Hülfe kommend, Hr. Thiers machen geltend daß man die Steuerdebatten nicht noch einmal un terbrechen dürfe. Man habe, ſagt der Präſident der Republik, den Kopf voll von Ziffern und könne da- neben an nichts anderes denken. (Stimmen: Warum nicht gar?) Er für ſeine Perſon fühle ſich ſchon erſchöpft, und habe nicht die nöthige Sammlung um neben den Finanz- fragen auch noch eine principiell ſo wichtige Angelegenheit, wie die der Rückkehr nach Paris, mit der nöthigen Freiheit des Geiſtes behandeln zu können. Auf dieſe dringen- den Vorſtellungen beſchließt man, jedoch nur mit ziemlich ſchwacher Mehrheit, über den Bericht des Hrn. Buiſſon erſt nach Erledigung ſämmtlicher Steuervorlagen zu verhandeln In dem Proceß der Mörder der Geiſeln von Roquette wurde geſtern das Verhör der Angeklagten fortgeſetzt. Hure, der Greffier von La Roquette, Poidevin, Hérault, Larmerour, Leſénéchal, die dem Erecutionspeloton des Hauptmanns Vérige an- gehört oder zur Zeit der Hinrichtung in La Roquette auf Poſten geweſen ſein ſollen, Péchin der Koch, und Vattier, der Lampenanzünder des Gefängniſſes unter der Commune ſind nur untergeordnete Mitwirkende des Trauerſpiels. Dagegen laſtet auf Pigerre die Anklage mit aller Schwere: ſchon wegen Theilnahme an dem Aufſtande zur Deportation nach einem befeſtigten Platz verurtheilt, wird er von den Angeklagten Ramain, Picon, Vattier und Latour mit Beſtimmtheit als der Officier erkannt der das Executionspeloton befehligte. Pigerre läugnet hartnäckig, und erklärt: er könne nicht begreifen warum die Genannten, die ihm ganz fremd ſeien, ſich zu ſeinem Verderben verſchworen hätten. • Paris, 11 Jan. Die Nationalverſammlung würde heut am Ende ihrer unrühmlichen Laufbahn ſein, wenn die Börſe über ihre Auflöſung zu entſchei- den hätte. Man iſt empört über die Frivolität des Berichterſtatters, welcher mit dem ſchlechten Witze ſchloß: „Paris war heroiſch, alſo bleiben wir in Verſailles.“ Die Nationalverſammlung ſelbſt ſchämte ſich ihrer Heiterkeit, und kaum hundert Mitglieder riskirten ein Zeichen des Beifalls. Die Angelegenheit wird nach etwa zwei Wochen zur Discuſſion gelangen; bis dahin muß eine Auswahl unter den Steuerprojecten getroffen ſein. Es begegnen ſich hingegen das „J. des Débats“ und das Journal Gambetta’s in der Auffaſſung daß in den neuerlichen Wahlergeb- niſſen die Nation abermals ſich für die Republik des Hrn. Thiers ausgeſprochen hat. Daraus ſchließt das erſtere Blatt auf die Fortdauer des Proviſoriums, Gambetta’s Journal hingegen auf die Opportunität dem Nationalwillen Rechnung zu tragen. Thiers ſoll auf die Chimäre der Republik ohne Republicaner verzichten, und ſeine Anhänger ſollen ſeine Ideen durch die Rückkehr nach Paris und durch Amneſtie- maßregeln verwirklichen, eine Regierungspartei bilden welche den Antrag auf Selbſt- auflöſung der Nationalverſammlung unterſtützt. Gambetta mißbilligt alſo den Antrag im linken Centrum, die Nepublik mit Drittel-Erneuerung der Nationalver- ſammlung und mit einem Oberhauſe zu proclamiren. Das „Siècle“ hingegen ſtimmt dem Antrag unter einigen Vorbehalten bei. Das rechte Centrum unter Saint-Marc Girardin fängt zu begreifen an: die Drittel-Erneuerung allein könne der Auflöſung vorbeugen. Sie wird jedoch von der Proclamirung der endgültigen Republik unzertrennlich ſein. Der Berichterſtatter hat den ängſtlichen Gedanken der monarchiſch – klerikalen Coalition verrathen: die Nationalverſammlung und das Proviſorium, wie ſie ſind, können in Paris nicht fortbeſtehen. — Die Be- werber um die Conceſſion einer Eiſenbahn von Calais über Paris nach Marſeille ſehen ſich genöthigt gegen die Finanzpotentaten und Transportmonopoliſten in der Kammer an das Publicum zu appelliren. Sie wollen dem Staate den Induſtrie- palaſt in den Champs Elyſées abkaufen, um einen rieſigen Centralbahnhof ſämmt- licher Linien für die Reiſenden zu errichten, deren Fahrpreiſe ſie um je eine Claſſe in den beſtehenden Tarifen herabſetzen. Sie eröffnen den Betrieb ihrer Bahn nach ſpäteſtens drei Jahren, und nicht nur verlangen ſie durchaus keine Garantie oder Subvention oder ſonſtige Begünſtigungen, ſondern ſie ſtellen auch ihre Bahnhöfe etwaigen Seitenlinien koſtenfrei zur Verfügung und commanditiren den Bau ſol- cher Linien mit ihren Capitalien. Es iſt dieß allerdings eine gründliche Umwäl- zung in der bisherigen Bahnpolitik, gegen welche der Finanzminiſter Hr. Pouyer- Quertier ſchon im geſetzgebenden Körper gedonnert hatte. Mehr als tauſend Kauf- leute und Induſtrielle von Paris haben in einer geſtrigen Verſammlung einſtimmig die Erklärung beſchloſſen: „Wir proteſtiren auch gegen die niedrigſten Einfuhrszölle auf Rohſtoffe und ziehen ihnen jede andere Beſteuerung vor.“ Die Patentſteuer z. B. in Paris trägt dem Staate 90 Millionen ein; der Handelsſtand will ſich eine Erhöhung um 40 oder 60 Millionen gefallen laſſen. Sobald die Zeit weniger drängt, wird man auf die überaus praktiſche Idee des Barons Soubeyran zurück- kommen müſſen: Verbeſſerungen in der Auflage und Einhebung der bereits be- ſtehenden alten und neuen Steuern ſind hinreichend um den Mehrbedarf des Staates zu decken. Die Verbeſſerung des gänzlich veralteten Grundkataſters, deſſen notoriſche Veränderungen ſeit einem halben Jahrhundert raſch und mit ge- ringen Koſten conſtatirt werden könnten, würde allein und ohne Steuerdruck das Erträgniß der Grundſteuer beträchtlich vermehren. — Der Miniſter des Innern hat die Präfeeten der drei Departements in welchen ein mehr oder minder bonapartiſtiſcher Candidat gewählt wurde nach Verſailles berufen. — Das radi- cale Batt „Conſtitution“ beſpricht die Bemerkungen Ihres Blattes über den ſkandalöſen Widerruf der Abbés Maret und Gratry. Außerhalb der kirchlichen Kreiſe hat davon kaum jemand in Frankreich Notiz genommen. Das franzöſiſche Ideal hält ſich bei keiner kirchlichen oder religiöſen Reform auf; ſeine Formel iſt kategoriſch folgende: Trennung zwiſchen Staat und Kirche, zwiſchen Schule und Kirche. Die Organe der proteſtantiſchen Kirche, insbeſondere im Sü- den, befördern dieſe Bewegung, welche ausſchließlich politiſch iſt, während eine religiöſe Bewegung bloß als klerikale Agitation zu Gunſten der ſocialen und der poli- tiſchen Einflüſſe der Geiſtlichkeit beſteht. Die Kirche ſoll eine private Genoſſen- ſchaft werden, die Religion privatiſſime eine Gewiſſensfrage verbleiben; alsdann will die Fortſchrittspartei beide ignoriren, und der Staat ſoll ſich damit nicht be- ſchäftigen. Darum konnten Maret und Gratry kein ſociales oder politiſches Aerger- niß erregen, und wird die altkatholiſche Bewegung ausſchließlich in den Bereich der theologiſchen Tagesbegebenheiten oder Curioſitäten verwieſen. Eine Geſellſchaft welche ſich gegen einen Veuillot, Dupanloup, Fallour zu wehren hat, augenblick- lich um den unentgeltlichen obligaten Bolksunterricht, um die Schulfreiheit der Gemeinde kämpft, erübrigt keine Zeit und Aufmerkſamkeit für eine rein kirchliche oder theologiſche Polemik. In Frankreich beſteht die Religion hauptſächlich als ſociale Reaction der höheren und reichen Stände gegen die Gelüſte und die Aufklärung der Volksmaſſen. Auf dieſen Standpunkt wird ſich Biſchof Dupanloup in der Unterrichtsfrage ſtellen. Ultramontane und Legitimiſten ſehen allmählich ein daß ſie kein Intereſſe haben die Republik zu ſtürzen, an deren Stelle ſie nichts als die Revolution zu ſetzen haben. Sie wollen alle ihre Anſtrengungen darauf concen- triren ſich der Schule zu bemächtigen, den Volksunterricht durch die Kirche zu monopoliſiren, um auf dieſem Umwege langſamer, jedoch zuverläſſiger zum Ziele zu gelangen. In dieſem Sinne wollen ſie eine religiöſe Bewegung der conſervativen Intereſſen veranſtalten, und die Schule ſoll die Parole der kirchlich – ſocialen Reaction gegen die Demokratie werden. Neu-Katholiken und Alt-Katholiken ſind in Frankreich gleich viel werth, da ſie alle bloß ſo viel Katholicismus als reactionären Intereſſen-Fanatismus beſitzen. Deßhalb handelt es ſich zunächſt darum den Staat von der Kirche zu befreien, welche ſich alsdann nach Gutdünken reformiren mag. Italien. ⵔ Rom, 9 Jan. Der Papſt hat am Sonntag eine Anzahl Frauen aus Trastevere empfangen und ihnen den Segen ertheilt, ſelbſtverſtändlich nicht ohne eine Anrede an ſie zu richten. In ſeiner Rede erinnerte er daran daß er auch einmal, vor nun 24 Jahren, die Einwohner von Trastevere empfangen habe, die gekommen waren ihm einen rieſigen Blumenſtrauß zu überreichen. „Ich befand mich damals im Quirinal ... Die guten Trasteveriner ſtiegen in den Palaſt herauf; die Frauen verblieben auf dem Platze, und um ſie zu ſegnen trat ich hinaus auf jene Loggia die gegenwärtig von andern Frauen verunehrt wird.“ (.. le donne rimasero sulla piazza, onde io per benedirle m’affacciai a quella loggia ora profanata da altre donne ..., ſo lautet die päpſtliche Rede in der Verſion der klerikalen „Voce della Verità.“) Die Frauen welche nach dem Ausſpruche des Papſtes heute die Loggia des Quirinals verunehren, ſind die Kronprinzeſſin Mar- gherita und deren Damen. Man kann es begreifen daß der Papſt ärgerlich wird wenn er auf die heutigen Bewohner des Quirinals zu ſprechen kommt; man wird den Ausdruck nicht billigen den er mit Bezug auf die erſte Frau des Landes ge- braucht hat; doch das iſt eine Sache des guten Geſchmacks, und ſelbſt das letzte Concil hat den Geſchmack des Papſtes nicht unfehlbar gemacht; — aber, ſo iſt man be- rechtigt zu fragen, verträgt es ſich mit der Würde des Königs von Italien dem Papſte Neujahrswünſche zu ſchicken, die dieſer eine Woche ſpäter damit beantworten wird daß er vor einer Verſammlung von fünf bis ſechshundert Unterthaninnen des Königs von deſſen Schwiegertochter, der Frau des Thronfolgers, einen Ausdruck braucht durch den jede der Hörerinnen, wenn ſo von ihr geredet würde, ſich tief ge- kränkt fühlte? Genug daß der König von Italien ſich des Rechts begeben hat die beleidigenden oder aufreizenden Reden, die der Papſt gegen Dynaſtie und Re- gierung hält, zu ahnden. Der Papſt fährt fort ſolche Reden zu halten, welche Artigkeiten der König ihm auch erweiſe. Sollte da der König nicht endlich merken daß er nur ſeiner eigenen Majeſtät zu nahe tritt, indem er mit den Artigkeiten fort- fährt, während der Papſt immer neue Beleidigungen häuft? Es mag dem König Victor Emmanuel ein unbehaglicher Gedanke ſein mit dem Oberhaupt der Kirche in Unfrieden zu leben. Allein es gibt nun einmal verdrießliche Nothwendigkeiten, in die ein Mann, und zumal ein König, ſich ſchicken muß. Wenn man den Ruhm erſtrebt und errungen hat Italien geeinigt zu haben, und auch auf das Vergnügen nicht hat verzichten mögen den Quirinal zu bewohnen, nun, ſo muß man es eben zu ertragen wiſſen daß der auf den Beſitz des Vaticans beſchränkte Papſt ſchlechter Laune bleibt und von Verſöhnung nichts wiſſen mag. — Sogar die „Opinione“ meint heute daß die zarten Rückſichten welche die italieniſche Regierung dem Vatican gegenüber nimmt, ihren Zweck verfehlen. Die Regierung übt in Rom eine Theatercenſur welche von den römiſchen Bühnen jedes Stück ausſchließen möchte worin ein Mönch, ein Prieſter oder gar ein Cardinal vorkommt. In dem Apollo- Theater iſt die Aufführung der „Halévy’ſchen Jüdin“ nur erlaubt worden unter der Bedingung daß der Cardinal ſich nicht vor dem Juden niederwerfe. Und jetzt hat man dem bekannten Schauſpieler Salvim unterſagt auf dem von ihm geleiteten Theater den „Arduino d’Ivrea“ zugeben — ein Stück welches ſeit zwei Jahren die Runde über alle italieniſchen Bühnen gemacht, und deſſen Autor in Anerkennung ſeines Dichtertalents einen Orden erhalten hat. Das Stück behandelt den Con- flict zwiſchen Staat und Kirche zur Zeit des Inveſtiturſtreites. Verſchiedenes. ° Göttingen, 9 Jan. Heut iſt der zum ordentlichen Profeſſor in der philo- ſophiſchen Facultät ernannte bisherige außerordentliche Profeſſor der Landwirthſchafts- lehre, Dr. Guſtav Drechsler, in den Senat eingeführt worden. — Für das durch den Tod von Profeſſor Wicke erledigte Fach der Agriculturchemie iſt Profeſſor Dr. Zöller aus Erlangen berufen, und wird dieſem Ruf zu Oſtern d. J. Folge leiſten. Dagegen iſt die durch die Zeitungen gehende Nachricht von einer Berufung des Geh. Juſtizraths Dr. Ihering in Wien in die hieſige Juriſtenfacultät mindeſtens verfrüht. Unterhandlungen haben zwar ſtattgefunden, aber bis jetzt beiderſeits zu keinem Abſchluß geführt. — Die Zahl der Studierenden auf unſerer Georg-Auguſt-Univerſität, die während des Kriegs- jahres bis auf 499 zurückgegangen war, hat ſich im vorigen Sommerſemeſter wieder auf 707, in dem lanfenden Winterſemeſter auf 804 gehoben, ſo daß genau wieder der Stand vor dem Krieg im Jahr 1870 erreicht iſt. Von jener Zahl kommen auf die philo- ſophiſche Facultät 377, worunter beſonders zahlreich die Philologen und Hiſtoriker ver- treten ſiud; von den drei übrigen Facultäten zählt die mediciniſche 172, die juriſtiſche 142, die evangeliſch-theologiſche 113 immatriculirte Zuhörer. Die Geſammtzahl der In- länder (Preußen) beträgt 607, die der Ausländer 197, worunter 150 aus den übrigen deutſchen Staaten, 32 aus andern europäiſchen Ländern, 15 aus Amerika. Die Zahl der Docenteu beträgt in der theologiſchen Facultät 6 ord., 3 außerord. Profeſſoren, 1 Privat- docent und 3 Repetenten; in der juriſtiſchen 8 ord., 2 außerord. Prof., 2 Privatdoc., in der mediciniſchen 9 ord., 6 außerord. Prof., 5 Privatdoc., in der philoſophiſchen 31 ord., 1 Prof. emerit., 12 außerord. Prof., 16 Privatddoc., nebſt 10 weitern Lebrern und Erercitienmeiſtern, alſo zuſammen ein Lehrerperſonal von 115. — Dem ſchon ſeit zwei Jahren in Kairo verweilenden Profeſſor Brugſch iſt ſein Urlaub bis 1 April d. J. ver- längert worden. Der Aſſeſſor der philoſ. Facultät Dr. Wüſtenfeld befindet ſich zum Zweck hiſtoriſcher Studien in Italien, der Privatdocent Dr. Grenacher (Zoolog) mit einem Reiſeſtipendinm der Senckenbergiſchen Stiftung in Portugal und auf den Azoren. Wien, 12 Jan. (Bauernfeld-Feier.) Heute Morgens fanden ſich die erſten Deputationen bei Bauernfeld ein, um ihm die Glüchvünſche zur Feier ſeines ſiebenzigſten Geburtstags zu überreichen. Um 11 Uhr Vormittags überbrachte Graf Wrbna jun. die Gratulationen des Kaiſers in Begleitung eines Brillantringes, der den

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 14, 14. Januar 1872, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine14_1872/6>, abgerufen am 21.11.2024.