Allgemeine Zeitung, Nr. 156, 4. Juni 1860.[Spaltenumbruch]
stehen würde. Sir Henry Bulwer glaube daß trotz aller Achtung für die Frankreich. Paris, 2 Jun. Der Constitutionnel constatirt daß die Verbreitung unbestimmter Auf der Tagesordnung der Senatssitzung vom Freitag stand die Bera- Paris, 1 Juni. Frieden! Frankreich erlärt daß es den Paris, 1 Jun. Seit einigen Tagen gibt sich die Diplomatie den [Spaltenumbruch]
ſtehen würde. Sir Henry Bulwer glaube daß trotz aller Achtung für die Frankreich. Paris, 2 Jun. Der Conſtitutionnel conſtatirt daß die Verbreitung unbeſtimmter Auf der Tagesordnung der Senatsſitzung vom Freitag ſtand die Bera- ⁑ Paris, 1 Juni. Frieden! Frankreich erlärt daß es den ⎈ Paris, 1 Jun. Seit einigen Tagen gibt ſich die Diplomatie den <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div type="jArticle" n="3"> <p><pb facs="#f0007" n="2603"/><cb/> ſtehen würde. Sir Henry Bulwer glaube daß trotz aller Achtung für die<lb/> Pforte eine Unterſuchung nothwendig ſey, dieſelbe müſſe jedoch durch den Sul-<lb/> tan vorgenommen werden. Er hat dem Großweſir gerathen eine Rundreiſe<lb/> durch die Provinzen zu machen, bevollmächtigt die Schuldigen zu ſtrafen, und<lb/> die nothwendigen Heilmittel in Vorſchlag zu bringen. Der Sultan hat ſich<lb/> dieſen Rathſchlägen gefügt, man glaubt daß der ruſſiſche Geſandte in Kon-<lb/> ſtantinopel ſeine Beiſtimmung gegeben. Ohne daß geſagt werden könne wel-<lb/> ches das Ergebniß dieſes Schrittes ſeyn werde, oder eine Meinung über die<lb/> Zukunft der Türkei ausgeſprochen werden könnte, ſey doch nach der Autorität<lb/> von Henry Bulwer anzunehmen daß ſchon während der letzten Jahre große<lb/> Verbeſſerungen vor ſich gegangen ſeyen. Man hofft es werde keinerlei Diffe-<lb/> renz zwiſchen der Pforte und den andern Mächten entſtchen, und daß, wenn<lb/> Rathſchläge zu geben ſeyn werden, dieß in einer Weiſe geſchehen ſoll welche<lb/> nicht geeignet ſeyn kann den Sultan zu verletzen, und daß einige reelle Maß-<lb/> regeln zur Sicherung der Integrität und der Unabhängigkeit der Pforte ge-<lb/> troffen werden ſollen.</p> </div> </div><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Frankreich.</hi> </hi> </head><lb/> <div type="jComment" n="3"> <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 2 Jun.</dateline> <p>Der <hi rendition="#g">Conſtitutionnel</hi> conſtatirt daß die Verbreitung unbeſtimmter<lb/> Gerüchte, unſinniger Beſorgniſſe über die Abſichten der franzöſiſchen Regie-<lb/> rung faſt zur chroniſchen Krankheit geworden; doch — fügt er tröſtend bei —<lb/> Rechtſchaffenheit wird nie entmuthigt, Mäßigung widerſpricht ſich nie. Der<lb/> Conſtitutionnel geht nun der Reihe nach die Nationen durch mit welchen der<lb/> Kaiſer ſeit zehn Jahren in Beziehung ſtand. England, ſagt er, hat ſich ſicher-<lb/> lich nicht zu beklagen, denn „wenn Frankreich, wie man fortwährend behaup-<lb/> tet, wirklich die feſie Abſicht gehabt hatte alte Beleidigungen mit <hi rendition="#g">einem</hi> Schlag<lb/> zu rächen, ſo hätte die indiſche Revolution wahrlich den beſten Anlaß geboten.<lb/> Frankreich that es nicht, und überdieß kämpfen England und Frankreich in<lb/> dieſem Augenblick in China, wie einſt in der Krim, einen Krieg der Gerechtig-<lb/> keit und der Civiliſation. Die Stunde iſt alſo ſchlecht gewählt um von Zwi-<lb/> ſtigkeiten zwiſchen den beiden großen Völkern des Weſtens zu ſprechen. Aber<lb/> wenn wir London nicht bedrohen, ſo bedrohen wir doch Brüſſel? Auf was<lb/> gründen ſich ſolch’ chimäriſche Befürchtungen? Es iſt wahr daß wir den Ge-<lb/> ſetzentwurf wegen der Befeſtigungen von Antwerpen nicht mit Vergnügen<lb/> aufnahmen — aber wir giengen nicht darüber hinaus. Unſere Beziehun-<lb/> gen zu Belgien waren nie freundſchaftlicher, und der jüngſt mit England<lb/> abgeſchloſſene Handelsvertrag wird die drei Völker zu einem friedlichen Bünd-<lb/> niß verbinden.“ Sodann geht der Conſtitutionnel — kurz — auf Preußen<lb/> über, und ſagt: „Wahrſcheinlich iſt es nicht dieſe Macht welche je über unſere<lb/> Nachbarſchaft zu klagen hatte. Wir möchten nicht ewig an unſere Dienſte in<lb/> der Neuenburger Frage erinnern; aber zeigte ſich außer dieſer Angelegenheit<lb/> nicht mehr als ein Anlaß wo Frankreich ſich als eben ſo loyaler Nachbar wie treuer<lb/> Berbündeter erwies?“ .. Von Spanien zu ſprechen erachtet der Conſtitution-<lb/> nel kaum für nothwendig. Nicht Frankreich war es welches Spanien während<lb/> der maroccaniſchen Expedition beunruhigte, Frankreich iſt es nicht welches<lb/> Spanien die Demüthigung von Gibraltar auferlegt. Ueberall alſo ſieht man,<lb/> wie der Staatsminiſter ſagte, „einen treuen Verbündeten und einen loyalen Nach-<lb/> bar.“ — Bleibt Italien! Man hört nicht auf Frankreich die Annexion von<lb/> Savoyen und Nizza vorzuwerfen. Dennoch aber muß man ſich über die Art und<lb/> Weiſe dieſer Territorialvergrößerung einmal verſtändigen. Nach Solferino<lb/> war das Werk Frankreichs beendet, und es zog ſich zurück ohne für ſein Blut<lb/> und ſein Geld einen Zollbreit Erde zu verlangen. Aus hier nicht näher zu<lb/> beleuchtenden Gründen erachtete England das Werk für unvollſtändig, und be-<lb/> günſtigte durch ſeine Rathſchläge die Errichtung eines großen italieniſchen<lb/> Königreichs. Es war natürlich daß auch der Kaiſer ſein Programm der<lb/> Uneigennützigkeit änderte; er konnte nicht zum Nachtheil Frankreichs das<lb/> Gleichgewicht ſtören laſſen welches er in Europa zum zweitenmal hergeſtellt<lb/> hatte ... Aber man erſchrickt vor einem Schatten und entſetzt ſich vor einem<lb/> Worte. Seit einigen Tagen findet man daß Frankreich zu oft von ſeinem legiti-<lb/> men Uebergewicht ſpricht. Das Uebergewicht Rußlands im Orient, Preußens<lb/> in Nord-, Oeſterreichs in Süddeutſchland, Großbritanniens über die Meere iſt<lb/> für niemand ein Geheimniß. Warum ſoll es Frankreich allein unterſagt ſeyn ein<lb/> ähnliches Uebergewicht auszuüben? Die Berträge von 1815 ſollten es vermin-<lb/> dern, es demüthigen. Aber konnte Europa auf die ewige Selbſtverlängnung<lb/> eines Volkes zählen deſſen Einfluß nur vermindert werden konnte indem man<lb/> ſeine Ehre verletzte und es erzürnte? Nein! Dieſer Friede war unſicher —<lb/> er war die Fortdauer, nicht das Ende der Kriſis. Heute iſt alles anders.<lb/> Frankreich hat die Stelle die ihm gebührt, und es iſt in ſeinem Intereſſe ſie<lb/> zu wahren. Indem der Kaiſer Frankreich den legitimen Einfluß wiedergab,<lb/> ſichert er den Frieden der Welt auf den dauerndſten Grundlagen.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Auf der Tagesordnung der Senatsſitzung vom Freitag ſtand die Bera-<lb/> thung über eine Petition, betr. die Wahl von Deputirten zum geſetzgebanden<lb/> Körper, und wegen vorbereitender Wahlverſammlungen. Hr. Ferd. Barrot<lb/> war Berichterſtatter, der Bericht lautele auf die Tagesordnung. Sie wurde<lb/> angenommen.</p><lb/> <cb/> </div> <div type="jComment" n="3"> <dateline><hi rendition="#b">⁑ Paris,</hi> 1 Juni.</dateline> <p>Frieden! Frankreich erlärt daß es den<lb/> Frieden will, alſo hat alle Welt ſtill zu ſeyn, ſich ruhig zu verhalten,<lb/> jedes Mißtrauen ſchwinden zu laſſen, ſo tönt es auf die Rede des<lb/> friedliebenden Achilles und auf die Moniteurnote aus allen Journa-<lb/> len. Möchte man doch bedenken daß dieſes Mittel, oder vielmehr der<lb/> zeitweilig aufgenommene Verſuch die Welt einzuſchläfern, doch gar zu<lb/> raſch verbraucht wird; die Friedensglocke wird dieſes Jahr nun ſchon zum<lb/> zweitenmal geläutet, das erſtemal war es zur Einweihung der neuen Aera,<lb/> zwei Monate darauf wurden dann Savoyen und Nizza einverleibt. Allein<lb/> wenn auch nicht der Friede, ſo iſt es doch ein ernſtlich gemeinter Waffenſtill-<lb/> ſtand der angeboten wird, dieſem aber iſt ein deutſcher Sieg vorausgegangen.<lb/> Wohl mögen die Complicationen in Italien, die nun nach der Einnahme Pa-<lb/> lermo’s ihre Schwierigkeiten erſt recht zu entfalten beginnen, das ihrige dazu<lb/> beigetragen haben die zum Abſchied noch durch den <hi rendition="#g">Si<hi rendition="#aq">è</hi>cle</hi> ungeſcheut ver-<lb/> kündigten Abſichten auf die Rheingränze vorderhand zurückzudrängen, der<lb/> Hauptgrund aber war die Erklärung des Prinz-Regenten über das Verhalten<lb/> Preußens zu den übrigen deutſchen Regierungen: die laute Proclamation der<lb/> Achtung ihrer Rechte. Zur guten Stunde hat man ſich an ſeine <hi rendition="#g">Conföde-<lb/> rirten</hi> gewandt, nicht an ſolche die reſignirt der Einverleibung harrten;<lb/> hiemit aber war die Sachlage verändert, nicht das iſolirte Preußen, der deut-<lb/> ſche Bund ſtand Louis Napoleon gegenüber, und „<hi rendition="#aq">quoties concordes agunt,<lb/> spernitur Parthus.</hi>“ Eine Zeitlang war die Sache herrlich gegangen, man<lb/><hi rendition="#g">verwirrte</hi> die Geiſter in Deutſchland, indem man das Stichwort verbrei-<lb/> tete: gebt die Rheinprovinzen her, er jagt euch die andern fort und ſchafft<lb/> das preußiſche Piemont, nach dem euer Herz verlangt, ein einheitliches<lb/> Deutſchland; eine gewiſſe Einverleibungsfreudigkeit zeigte ſich in Preußen,<lb/> Hrn. v. Borries entſchlüpfte der bekannte Schmerzensſchrei; in Süddeutſch-<lb/> land fragte man ſich verwundert woher denn etwa die Preußen die Berechti-<lb/> gung entnchmen wollten über Schwaben, Bayern u. ſ. w. zu regieren; Kur-<lb/> heſſen und das allgemeine Stimmrecht, welch herrlicher Gedanke! Da mit<lb/> einemmal zertheilten ſich die Wolken; Achtung der Rechte anderer und keinen<lb/> Fußbreit deutſchen Bodens dem Feinde; mit dieſen ehrlichen Worten, mit<lb/> dieſer ehrlichen Politik hat der Prinz-Regent für Preußen, ja für Deutſchland<lb/> mehr gewonnen als falſche Rathgeber mit piemonteſiſcher Politik ihm je —<lb/> auf kurze Zeit — verſchafft haben würden. Der erſte franzöſiſche Angriff<lb/> auf Deutſchland, es war der gefährlichſte, der des <hi rendition="#g">Verſuchers,</hi> iſt abge-<lb/> ſchlagen; Preußen ſteht trotz ſeinen Kammerrednern wieder im Bund, ohne<lb/> den es verloren wäre. Ruft Frieden, wir wollen Frieden, befiehlt Louis Na-<lb/> poleon in Frankreich, und ſie riefen Frieden. Aber ſo wenig ein Stern ſeine<lb/> Bahn, ſo wenig wird dieſer ſtarke und kühne Geiſt einen Plan verlaſſen<lb/> den er ſich zur Lebensaufgabe geſetzt, die Wiederherſtellung der „natür-<lb/> lichen Gränzen“ und die Rache für die Niederlage von Waterloo. Der<lb/> Angriff auf die Rheiuprovinzen wird in tauſend Formen wiederkeh-<lb/> ren, die Gründe ſind wohlfeil mit einer halben Million Soldaten,<lb/> die natürlichen Bundesgenoſſen aber werden treu zu dem conföderirten<lb/> Preußen halten. Zur Vermehrung der Rührung über die friedlichen Abſich-<lb/> ten der franzöſiſchen Regierung führen wir das neueſte Friedensmanifeſt des<lb/> Conſtitutionnel an. 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Es<lb/> hat die Aufmerkſamkeit der Mächte geweckt, es hat thnen eine Warnung ge-<lb/> geben, die Ereigniſſe werden das übrige thun, und der Tod des alten Miloſch<lb/> oder jeder andere Zwiſchenfall wird genügen um den Brand anzuzünden. —<lb/> Man verſichert daß in dieſem Augenblick zwiſchen dem franzöſiſchen Hof und<lb/> dem von Sardinien eine gewiſſe Kälte herrſche, die durch folgenden Umſtand<lb/> hervorgerufen worden ſey: der König von Sardinien, indem er Savoyen an<lb/> Frankreich cedirte, habe durch eine beſondere, geheim gebliebene Clauſel Patri-<lb/> monialgüter des Hauſes Savoyen gegen einen jährlichen Grundzins abgetreten.<lb/> Aber Victor Emmanuel habe verſucht dieſe Clauſel zu vereiteln, und er habe ſie<lb/> wirklich vereitelt, indem er alle Güter ſeiner Familie die ſich in Savoyen beſinden<lb/> heimlich habe verkaufen laſſen. Dieſe Entdeckung habe den Hof der Tuilerien zu-<lb/> erſt ſehr in Erſtaunen geſetzt, und von dem Erſtaunen ſey man zu einem ebenſo<lb/> großen Mißoergnügen übergegangen. Die platoniſche Liebe der kaiſerlichen<lb/> Regierung zu Piemont nimmt überhaupt von Tag zu Tag ab. In den offi-<lb/> ciellen Regionen iſt man nicht ſehr zufrieden mit dem Verhalten einiger ſar-<lb/> diniſchen Deputirten bei Gelegenheit der Discuſſion des Abtretungſvertrags.<lb/> Sogar die Debatten hat man zu lang gefunden; man hätte gewünſcht daß<lb/> das italieniſche Pärlament ſeine Zuſtimmung zu dem Vertrag kurzweg ge-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [2603/0007]
ſtehen würde. Sir Henry Bulwer glaube daß trotz aller Achtung für die
Pforte eine Unterſuchung nothwendig ſey, dieſelbe müſſe jedoch durch den Sul-
tan vorgenommen werden. Er hat dem Großweſir gerathen eine Rundreiſe
durch die Provinzen zu machen, bevollmächtigt die Schuldigen zu ſtrafen, und
die nothwendigen Heilmittel in Vorſchlag zu bringen. Der Sultan hat ſich
dieſen Rathſchlägen gefügt, man glaubt daß der ruſſiſche Geſandte in Kon-
ſtantinopel ſeine Beiſtimmung gegeben. Ohne daß geſagt werden könne wel-
ches das Ergebniß dieſes Schrittes ſeyn werde, oder eine Meinung über die
Zukunft der Türkei ausgeſprochen werden könnte, ſey doch nach der Autorität
von Henry Bulwer anzunehmen daß ſchon während der letzten Jahre große
Verbeſſerungen vor ſich gegangen ſeyen. Man hofft es werde keinerlei Diffe-
renz zwiſchen der Pforte und den andern Mächten entſtchen, und daß, wenn
Rathſchläge zu geben ſeyn werden, dieß in einer Weiſe geſchehen ſoll welche
nicht geeignet ſeyn kann den Sultan zu verletzen, und daß einige reelle Maß-
regeln zur Sicherung der Integrität und der Unabhängigkeit der Pforte ge-
troffen werden ſollen.
Frankreich.
Paris, 2 Jun. Der Conſtitutionnel conſtatirt daß die Verbreitung unbeſtimmter
Gerüchte, unſinniger Beſorgniſſe über die Abſichten der franzöſiſchen Regie-
rung faſt zur chroniſchen Krankheit geworden; doch — fügt er tröſtend bei —
Rechtſchaffenheit wird nie entmuthigt, Mäßigung widerſpricht ſich nie. Der
Conſtitutionnel geht nun der Reihe nach die Nationen durch mit welchen der
Kaiſer ſeit zehn Jahren in Beziehung ſtand. England, ſagt er, hat ſich ſicher-
lich nicht zu beklagen, denn „wenn Frankreich, wie man fortwährend behaup-
tet, wirklich die feſie Abſicht gehabt hatte alte Beleidigungen mit einem Schlag
zu rächen, ſo hätte die indiſche Revolution wahrlich den beſten Anlaß geboten.
Frankreich that es nicht, und überdieß kämpfen England und Frankreich in
dieſem Augenblick in China, wie einſt in der Krim, einen Krieg der Gerechtig-
keit und der Civiliſation. Die Stunde iſt alſo ſchlecht gewählt um von Zwi-
ſtigkeiten zwiſchen den beiden großen Völkern des Weſtens zu ſprechen. Aber
wenn wir London nicht bedrohen, ſo bedrohen wir doch Brüſſel? Auf was
gründen ſich ſolch’ chimäriſche Befürchtungen? Es iſt wahr daß wir den Ge-
ſetzentwurf wegen der Befeſtigungen von Antwerpen nicht mit Vergnügen
aufnahmen — aber wir giengen nicht darüber hinaus. Unſere Beziehun-
gen zu Belgien waren nie freundſchaftlicher, und der jüngſt mit England
abgeſchloſſene Handelsvertrag wird die drei Völker zu einem friedlichen Bünd-
niß verbinden.“ Sodann geht der Conſtitutionnel — kurz — auf Preußen
über, und ſagt: „Wahrſcheinlich iſt es nicht dieſe Macht welche je über unſere
Nachbarſchaft zu klagen hatte. Wir möchten nicht ewig an unſere Dienſte in
der Neuenburger Frage erinnern; aber zeigte ſich außer dieſer Angelegenheit
nicht mehr als ein Anlaß wo Frankreich ſich als eben ſo loyaler Nachbar wie treuer
Berbündeter erwies?“ .. Von Spanien zu ſprechen erachtet der Conſtitution-
nel kaum für nothwendig. Nicht Frankreich war es welches Spanien während
der maroccaniſchen Expedition beunruhigte, Frankreich iſt es nicht welches
Spanien die Demüthigung von Gibraltar auferlegt. Ueberall alſo ſieht man,
wie der Staatsminiſter ſagte, „einen treuen Verbündeten und einen loyalen Nach-
bar.“ — Bleibt Italien! Man hört nicht auf Frankreich die Annexion von
Savoyen und Nizza vorzuwerfen. Dennoch aber muß man ſich über die Art und
Weiſe dieſer Territorialvergrößerung einmal verſtändigen. Nach Solferino
war das Werk Frankreichs beendet, und es zog ſich zurück ohne für ſein Blut
und ſein Geld einen Zollbreit Erde zu verlangen. Aus hier nicht näher zu
beleuchtenden Gründen erachtete England das Werk für unvollſtändig, und be-
günſtigte durch ſeine Rathſchläge die Errichtung eines großen italieniſchen
Königreichs. Es war natürlich daß auch der Kaiſer ſein Programm der
Uneigennützigkeit änderte; er konnte nicht zum Nachtheil Frankreichs das
Gleichgewicht ſtören laſſen welches er in Europa zum zweitenmal hergeſtellt
hatte ... Aber man erſchrickt vor einem Schatten und entſetzt ſich vor einem
Worte. Seit einigen Tagen findet man daß Frankreich zu oft von ſeinem legiti-
men Uebergewicht ſpricht. Das Uebergewicht Rußlands im Orient, Preußens
in Nord-, Oeſterreichs in Süddeutſchland, Großbritanniens über die Meere iſt
für niemand ein Geheimniß. Warum ſoll es Frankreich allein unterſagt ſeyn ein
ähnliches Uebergewicht auszuüben? Die Berträge von 1815 ſollten es vermin-
dern, es demüthigen. Aber konnte Europa auf die ewige Selbſtverlängnung
eines Volkes zählen deſſen Einfluß nur vermindert werden konnte indem man
ſeine Ehre verletzte und es erzürnte? Nein! Dieſer Friede war unſicher —
er war die Fortdauer, nicht das Ende der Kriſis. Heute iſt alles anders.
Frankreich hat die Stelle die ihm gebührt, und es iſt in ſeinem Intereſſe ſie
zu wahren. Indem der Kaiſer Frankreich den legitimen Einfluß wiedergab,
ſichert er den Frieden der Welt auf den dauerndſten Grundlagen.
Auf der Tagesordnung der Senatsſitzung vom Freitag ſtand die Bera-
thung über eine Petition, betr. die Wahl von Deputirten zum geſetzgebanden
Körper, und wegen vorbereitender Wahlverſammlungen. Hr. Ferd. Barrot
war Berichterſtatter, der Bericht lautele auf die Tagesordnung. Sie wurde
angenommen.
⁑ Paris, 1 Juni. Frieden! Frankreich erlärt daß es den
Frieden will, alſo hat alle Welt ſtill zu ſeyn, ſich ruhig zu verhalten,
jedes Mißtrauen ſchwinden zu laſſen, ſo tönt es auf die Rede des
friedliebenden Achilles und auf die Moniteurnote aus allen Journa-
len. Möchte man doch bedenken daß dieſes Mittel, oder vielmehr der
zeitweilig aufgenommene Verſuch die Welt einzuſchläfern, doch gar zu
raſch verbraucht wird; die Friedensglocke wird dieſes Jahr nun ſchon zum
zweitenmal geläutet, das erſtemal war es zur Einweihung der neuen Aera,
zwei Monate darauf wurden dann Savoyen und Nizza einverleibt. Allein
wenn auch nicht der Friede, ſo iſt es doch ein ernſtlich gemeinter Waffenſtill-
ſtand der angeboten wird, dieſem aber iſt ein deutſcher Sieg vorausgegangen.
Wohl mögen die Complicationen in Italien, die nun nach der Einnahme Pa-
lermo’s ihre Schwierigkeiten erſt recht zu entfalten beginnen, das ihrige dazu
beigetragen haben die zum Abſchied noch durch den Siècle ungeſcheut ver-
kündigten Abſichten auf die Rheingränze vorderhand zurückzudrängen, der
Hauptgrund aber war die Erklärung des Prinz-Regenten über das Verhalten
Preußens zu den übrigen deutſchen Regierungen: die laute Proclamation der
Achtung ihrer Rechte. Zur guten Stunde hat man ſich an ſeine Conföde-
rirten gewandt, nicht an ſolche die reſignirt der Einverleibung harrten;
hiemit aber war die Sachlage verändert, nicht das iſolirte Preußen, der deut-
ſche Bund ſtand Louis Napoleon gegenüber, und „quoties concordes agunt,
spernitur Parthus.“ Eine Zeitlang war die Sache herrlich gegangen, man
verwirrte die Geiſter in Deutſchland, indem man das Stichwort verbrei-
tete: gebt die Rheinprovinzen her, er jagt euch die andern fort und ſchafft
das preußiſche Piemont, nach dem euer Herz verlangt, ein einheitliches
Deutſchland; eine gewiſſe Einverleibungsfreudigkeit zeigte ſich in Preußen,
Hrn. v. Borries entſchlüpfte der bekannte Schmerzensſchrei; in Süddeutſch-
land fragte man ſich verwundert woher denn etwa die Preußen die Berechti-
gung entnchmen wollten über Schwaben, Bayern u. ſ. w. zu regieren; Kur-
heſſen und das allgemeine Stimmrecht, welch herrlicher Gedanke! Da mit
einemmal zertheilten ſich die Wolken; Achtung der Rechte anderer und keinen
Fußbreit deutſchen Bodens dem Feinde; mit dieſen ehrlichen Worten, mit
dieſer ehrlichen Politik hat der Prinz-Regent für Preußen, ja für Deutſchland
mehr gewonnen als falſche Rathgeber mit piemonteſiſcher Politik ihm je —
auf kurze Zeit — verſchafft haben würden. Der erſte franzöſiſche Angriff
auf Deutſchland, es war der gefährlichſte, der des Verſuchers, iſt abge-
ſchlagen; Preußen ſteht trotz ſeinen Kammerrednern wieder im Bund, ohne
den es verloren wäre. Ruft Frieden, wir wollen Frieden, befiehlt Louis Na-
poleon in Frankreich, und ſie riefen Frieden. Aber ſo wenig ein Stern ſeine
Bahn, ſo wenig wird dieſer ſtarke und kühne Geiſt einen Plan verlaſſen
den er ſich zur Lebensaufgabe geſetzt, die Wiederherſtellung der „natür-
lichen Gränzen“ und die Rache für die Niederlage von Waterloo. Der
Angriff auf die Rheiuprovinzen wird in tauſend Formen wiederkeh-
ren, die Gründe ſind wohlfeil mit einer halben Million Soldaten,
die natürlichen Bundesgenoſſen aber werden treu zu dem conföderirten
Preußen halten. Zur Vermehrung der Rührung über die friedlichen Abſich-
ten der franzöſiſchen Regierung führen wir das neueſte Friedensmanifeſt des
Conſtitutionnel an. Zu bewundern iſt namentlich die malitiöſe Energie
mit welcher der Conſtitutionnel fortwährend England für die Einverleibung
Nizza’s und Savoyens in Frankreich verantwortlich macht.
⎈ Paris, 1 Jun. Seit einigen Tagen gibt ſich die Diplomatie den
Anſchein zu glauben, und affectirt zu ſagen, daß die orientaliſche Frage ins
Waſſer fallen werde, und daß Rußland, indem es einen Verſuchsballon los-
gelaſſen, einen verlornen Ballon habe ſteigen laſſen. Man fügt hinzu daß
man ſich mit dem Verſprechen einer Unterſuchung, welches die Pforte gemacht
hat, begufigen werde. Glauben Sie von all dem nicht ein Wort; der Baum
iſt geſchüttelt worden, die Frucht muß fallen, und Rußland iſt bereit. Es
hat die Aufmerkſamkeit der Mächte geweckt, es hat thnen eine Warnung ge-
geben, die Ereigniſſe werden das übrige thun, und der Tod des alten Miloſch
oder jeder andere Zwiſchenfall wird genügen um den Brand anzuzünden. —
Man verſichert daß in dieſem Augenblick zwiſchen dem franzöſiſchen Hof und
dem von Sardinien eine gewiſſe Kälte herrſche, die durch folgenden Umſtand
hervorgerufen worden ſey: der König von Sardinien, indem er Savoyen an
Frankreich cedirte, habe durch eine beſondere, geheim gebliebene Clauſel Patri-
monialgüter des Hauſes Savoyen gegen einen jährlichen Grundzins abgetreten.
Aber Victor Emmanuel habe verſucht dieſe Clauſel zu vereiteln, und er habe ſie
wirklich vereitelt, indem er alle Güter ſeiner Familie die ſich in Savoyen beſinden
heimlich habe verkaufen laſſen. Dieſe Entdeckung habe den Hof der Tuilerien zu-
erſt ſehr in Erſtaunen geſetzt, und von dem Erſtaunen ſey man zu einem ebenſo
großen Mißoergnügen übergegangen. Die platoniſche Liebe der kaiſerlichen
Regierung zu Piemont nimmt überhaupt von Tag zu Tag ab. In den offi-
ciellen Regionen iſt man nicht ſehr zufrieden mit dem Verhalten einiger ſar-
diniſchen Deputirten bei Gelegenheit der Discuſſion des Abtretungſvertrags.
Sogar die Debatten hat man zu lang gefunden; man hätte gewünſcht daß
das italieniſche Pärlament ſeine Zuſtimmung zu dem Vertrag kurzweg ge-
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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