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Allgemeine Zeitung, Nr. 157, 5. Juni 1860.

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[Spaltenumbruch] Wochen, ja Monate lang in Polizeihaft habe halten lassen, ohne daß ein rich-
terlicher Befehl vorlag oder auch nur eingeholt ward, ohne daß diese
Personen vom Richter vernommen wurden. Man habe diese Personen
wieder entlassen ohne einmal eine Anklage oder Untersuchung gegen sie zu
begründen." Der Justizminister wird allem Anschein nach schwerlich darum
sein Portefeuille verlieren. Wir klagen nicht darüber; wenn aber das so gut
vor- und durchgebildete Preußen nach 12 Jahren noch nicht in die ihm gewordenen
constitutionellen Institutionen so weit hereingewachsen ist um sie einigermaßen
mit Wirkung handhaben zu können, wenn fast jede Debatte dort Zeugniß gab
wie weit noch die Befähigung der Repräsentanten hinter den Forderungen der
Institution zurückbleibt, so sollte man doch endlich davon absehen die Ent-
wicklungsstufe eines Staates und sein Wesen lediglich nach seinen politischen
Institutionen zu messen.

Frankreich hat über Nacht alle seine constitutionellen Institutionen ver-
loren, bildet sich aber unzweifelhaft ein auch ohne sie noch ebenso "an der
Spitze der Civilisation Europa's zu marschiren." Und es ist sicher falsch zu
glauben daß durch jenen Verlust Frankreich einen Sprung rückwärts ge-
macht habe; die Bewegung war unter allen Umständen eine stätige. Die
politischen Institutionen der südamerikanischen Republiken, deren politisches
Leben und deren culturhistorische Kraft in den letzten Zügen liegt, sind sormell
den unsern weit voraus, trotzdem daß die Deutschen unzweifelhaft die Träger
und Förderer der Weltcultur, die Vorkämpfer für die Idee der Humanstät
sind. Die politischen Institutionen wollen ihrem Werth nach also nicht an
und für sich beurtheilt werden, sondern nach ihrer Handhabung, nach der
Basis auf welcher sie ruhen.
Der größte Feind Oesterreichs kann
nicht läugnen daß für diesen Unterbau zu einer höhern politischen Entwicklung
in Oesterreich außerordentliches geschehen ist. Wahrlich, es ist im Donaureich
mehr geschehen als die Erde bloß von den Trümmern zu befreien mit welchen
das Jahr 1848 sie bedeckte.

Der früher mit Servituten aller Art bis zur peinlichsten Ein-
zwängung belastete Boden ist durchweg entlastet, der Boden ist frei ge-
worden. Der Unterthänigkeitsverband ist aufgehoben, die Patrimonialge-
richte sind nicht mehr! Binnen acht Jahren ist in Oesterreich vollendet
durchgeführt womit Preußen in vierzig Jahren nicht fertig geworden
ist. An diese Befreiung des Bodens schloß sich die Regelung, ja hie und da
totale Neueinführung des Hypotheken- und Besitzwesens, dann folgte die Auf-
hebung der Aviticitätsrechte, der ungleichen Besteuerung und der Steuer-
exemtionen (kein Adeliger in Ungarn zahlte Steuern). Im ganzen Reich
wurde auf Grund des allgemeinen bürgerlichen und Strafgesetzbuches ein
ganz vortreffliches Civil- und Criminalrecht eingeführt, wodurch namentlich
die fast unvernünftige und heillose Gesetzgebung in Ungarn beseitigt wurde.

Zwischen Ungarn und Oesterreich fielen die Zollschranken, das Prohibi-
tivsystem ward aufgehoben, das Schutzzollsystem eingeführt, und wenige Jahre
später schon wurden die Einfuhrzölle stark herabgesetzt. Durchweg trat eine
liberale Handelspolitik ein. Wir wollen hier nur erwähnen daß die Anträge
Oesterreichs beim Zollverein auf Aufhebung der Durchgangs- und Schiff-
fahrtszölle, der gemeinsamen Zollhäuser und sonstiger Verkehrserleichterungen
an Preußens Widerspruch scheiterten. Diese Entwicklung des
Verkehrs knüpfte sich unmittelbar an jene kolossalen Eisenbahnbauten, die zum
Theil nirgends in der Welt ihres gleichen finden. Wir nennen nur die nörd-
liche und die südliche Staatsbahn, die Fortsetzung der Ferdinands-Nordbahn,
die Vollendung der lombardisch-venetianischen Bahn, die Theißbahn, die
Westbahn, die Galizische, die Kärnthner- und Tirolerbahn.

Im ganzen Lande wurden Handelskammern eingeführt, ein neues
Münzsystem, das sich dem des übrigen Deutschlands harmonisch anschloß, be-
gründet, für die Entwicklung und Erleichterung des Credits die möglichste
Vorsorge getroffen. Die verrotteten Gesetze gegen die Juden sind abgeschafft
bis zu einer geringen Einschränkung, welche die Provincialrechte und die Cul-
turverhältnisse
der slavischen und jüdischen Bevölkerung in Galizien be-
dingen; die Fähigkeit zum Immobiliarbesitz ist letztern gewährt. Dazu ge-
sellte sich Freizügigkeit, eine fast unbedingte Gewerbefreiheit aussprechende
neue Gewerbeordnung, große Concessionserleichterung für Ausländer, eine
neue Wechselordnung, ein neues mit Deutschland zu vereinbarendes Handels-
gesetz.

Man gestatte uns hier daran zu erinnern wie tief alle diese Institu-
tionen in das geistige Leben übergreifen. Die Gewerbefreiheit gibt dem Hand-
werker die Möglichkeit sich zum Fabricanten zu entwickeln. Die Gewerbe-
freiheit allein wird die Regierung fort und fort zu weitern Berbesserungen
fortreißen, und sie ist sich dessen bewußt! Die Aufhebung des Wucher-
patents, die Entwicklung der Handelsgesetzgebung etc. sind schon in dieser
Beziehung erzwungene Verbesserungen.

Die Concurrenz welche die Gewerbefreiheit bedingt, zwingt ihrerseits
zur Entwickelung der Intelligenz, und bürgt so für die Entwickelung des Un-
terrichtssystems, bürgt für die Erringung der unbedingten Lern- und Lehr-
freiheit. Die Gewerbefreiheit sichert das Associationsrecht wenigstens bis zu
[Spaltenumbruch] gewisser Gränze, fördert so auch politisch, und da sie unbedingt den Reichthum
der Nation vermehren wird, hebt sie auch unzweifelhaft die allgemeine Bildung.
Wir wiederholen: die Regierung ist sich aller dieser Consequenzen bewußt gewe-
sen, denn die Aenderung des Unterrichtssystems ist der Einführung der Gewerbe-
freiheit viele Jahre vorausgegangen, und durch die Einführung der Realschulen
in der ganzen Monarchie (früher best anden nur wenige Unter- und keine Ober-
Realschulen) ist eine junge Generation herangezogen die für die Ausbeutung der
Gewerbefreiheit vorgebildet und befähigt ist. Daß man nicht bloß hier dem
Utilitätsprincip gehuldigt hat, beweisen die Reformen im übrigen Schulwe-
sen. Seit 1851 ist für das Gymnasialwesen sehr viel gethan worden. Statt
der Classenlehrer sind Fachlehrer eingeführt, das Studium der deutschen, der
griechischen und der einschläglichen Muttersprachen wird eifrigst ge-
fördert, in den exacten Wissenschaften, der Naturgeschichte, Physik, Mathe-
matik wird Unterricht ertheilt, der früher ganz fehlte, und schließlich sind statt
der alten Präfecten überall wirkliche Lehrer zu Directoren der Gymnasien
ernannt worden. Man hat endlich begonnen auch das Universitätswesen
nach deutschem Muster zu ordnen; selbständige philosophische Facultäten sind
errichtet, deutsche Lehrkräfte sind herangezogen durch Einführung der Docen-
ten und der Collegiengelder, sowie durch die freie Organisation der Universi-
täts- und Facultätskörper -- durch Wahl, statt der früheren Ernennung der
Dekane und Rectoren -- ist die Basis zu einem lebendigen, gesunden geisti-
gen Leben gelegt. Die Lern- und Lehrfreiheit ist namentlich auch durch Ab-
schaffung der Prüfungen und Einführung der Frequentationszeugnisse in sei-
nen Grundprincipien gesichert. Die Consequenzen des Concordats haben
manchen kleinen Rückschritt in diesen Richtungen herbeigeführt, aber bekannt-
lich hat auch dieses schon dem allmächtigen Geist der Zeit weichen müssen.
Der Staat hat was er der römischen Kirche gewährt auch schon zum großen
Theil den andern Confessionen zugestanden. Die kirchlichen Verhältnisse der
ungarischen Protestanten sind im liberalen Sinn geordnet, die Ordnung der-
selben in den deutsch-slavischen Provinzen, sich stützend auf das allgemeine
Priesterthum, das Synodal- und Presbyterialsystem, ist bevorstehend.

Freilich ist die absolute Parität noch nicht ausgesprochen, aber sie ist un-
vermeidlich, sie ist eine nothwendige Folge der bereits factisch und rechtlich be-
stehenden Zustände. Wir sind in dieser Beziehung durchaus Deutscher, und
fragen bei den gegebenen Institutionen vor allem danach, ob sie entwickel-
bar,
ob sie darauf berechnet sind, sich dem Fortschritt der bedingenden Ele-
mente systematisch anzuschließen. Niemand wird behaupten wollen daß das
kirchliche Leben im höhern Sinn unter den Protestanten Oesterreichs früher
besonders thätig gewesen. Durch das Concordat aufgerüttelt, hat eine
mäßige Action hingereicht im Verhältniß zu früher große Freiheiten zu erstre-
ben, obwohl jene Action sich keineswegs immer als eine legale und besonnene
erwiesen hat. Wie viel leichter wird es seyn auf Grund der gewonnenen
Freiheiten die vollständige Parität zu erstreben? Daß diese principiell festge-
stellt, daß sie nicht bloß factisch herbeigeführt, sondern als Grundsatz ausge-
sprochen werde, ist eine Bedingung die nicht bloß durch die Entwicklung des
Deutschthums im Innern nothwendig wird, sondern welche eng zusammen-
hängt mit den äußern Beziehungen Oesterreichs. Die Glaubensfreiheit
wurzelt zu tief im innersten Kern des deutschen Lebens, sie ist so sehr der
wahre Springquell unserer geistigen Kraft, daß wir nimmer davon lassen
könnten. Vergessen wir aber nicht daß im Reich dreißig Jahre lang der
Boden mit Blut getränkt ward, bis sie errungen worden, daß vier Jahrhun-
derte kaum genügten um das formell Errungene auch wirklich lebendig zu
machen. Aber weil sie im großen Ganzen es endlich geworden, darum wer-
den den Deutschen in Oesterreich die Deutschen im Reich zu solchem Ziel stets
einig die Hand reichen. Die unbedingte Parität der Confessionen ist so nicht
bloß eine innere, sie ist auch eine äußere Aufgabe für Oesterreich, und darum
ihre Lösung eine absolut gewisse. Und wenn die geistige Spannkraft in die-
ser Richtung auch vorübergehend nachließe, der Fortschritt scheint uns in die-
ser Beziehung doch gewiß, weil er eine Consequenz der deutschen Bildung ist,
und diese eine natürliche Folge des Reichthums, zu welchem Boden, Gewerbe-
und Verkehrsfreiheit, Freizügigkeit und Zolleinigung etc. die Basis liefern.

(Schluß folgt.)




Das niederrheinische Musikfest.

Auf der Durchreise begriffen, wohnte ich
gestern der Aufführung des zweiten Tages des niederrheinischen Musikfestes
bei. So schön und herzerhebend dieses Fest in seinem Gesammteindruck auch un-
läugbar ist, so kann ich doch, was wenigstens diesen zweiten Tag betrifft,
nicht unbedingt und in allen Punkten in die Lobesfanfaren einstimmen denen
man jetzt schon in den Blättern begegnet, und die nach jedem niederrheinischen
Musikfest als unausbleibliche Zugabe dem Publicum geboten werden. Schon
das Local, das eigentlich nichts weiter ist als eine bretterne, sogar fast ganz
schmucklose Bude, die etwa 1900 eng zusammengezwängte Zuhörer fassen
mag, ist des Zusammenwirkens solcher Tonmassen nicht würdig. Die Akustik
ist eine ziemlich schlechte, indem die Töne durch die hölzernen Planken zu sehr

[Spaltenumbruch] Wochen, ja Monate lang in Polizeihaft habe halten laſſen, ohne daß ein rich-
terlicher Befehl vorlag oder auch nur eingeholt ward, ohne daß dieſe
Perſonen vom Richter vernommen wurden. Man habe dieſe Perſonen
wieder entlaſſen ohne einmal eine Anklage oder Unterſuchung gegen ſie zu
begründen.“ Der Juſtizminiſter wird allem Anſchein nach ſchwerlich darum
ſein Portefeuille verlieren. Wir klagen nicht darüber; wenn aber das ſo gut
vor- und durchgebildete Preußen nach 12 Jahren noch nicht in die ihm gewordenen
conſtitutionellen Inſtitutionen ſo weit hereingewachſen iſt um ſie einigermaßen
mit Wirkung handhaben zu können, wenn faſt jede Debatte dort Zeugniß gab
wie weit noch die Befähigung der Repräſentanten hinter den Forderungen der
Inſtitution zurückbleibt, ſo ſollte man doch endlich davon abſehen die Ent-
wicklungsſtufe eines Staates und ſein Weſen lediglich nach ſeinen politiſchen
Inſtitutionen zu meſſen.

Frankreich hat über Nacht alle ſeine conſtitutionellen Inſtitutionen ver-
loren, bildet ſich aber unzweifelhaft ein auch ohne ſie noch ebenſo „an der
Spitze der Civiliſation Europa’s zu marſchiren.“ Und es iſt ſicher falſch zu
glauben daß durch jenen Verluſt Frankreich einen Sprung rückwärts ge-
macht habe; die Bewegung war unter allen Umſtänden eine ſtätige. Die
politiſchen Inſtitutionen der ſüdamerikaniſchen Republiken, deren politiſches
Leben und deren culturhiſtoriſche Kraft in den letzten Zügen liegt, ſind ſormell
den unſern weit voraus, trotzdem daß die Deutſchen unzweifelhaft die Träger
und Förderer der Weltcultur, die Vorkämpfer für die Idee der Humanſtät
ſind. Die politiſchen Inſtitutionen wollen ihrem Werth nach alſo nicht an
und für ſich beurtheilt werden, ſondern nach ihrer Handhabung, nach der
Baſis auf welcher ſie ruhen.
Der größte Feind Oeſterreichs kann
nicht läugnen daß für dieſen Unterbau zu einer höhern politiſchen Entwicklung
in Oeſterreich außerordentliches geſchehen iſt. Wahrlich, es iſt im Donaureich
mehr geſchehen als die Erde bloß von den Trümmern zu befreien mit welchen
das Jahr 1848 ſie bedeckte.

Der früher mit Servituten aller Art bis zur peinlichſten Ein-
zwängung belaſtete Boden iſt durchweg entlaſtet, der Boden iſt frei ge-
worden. Der Unterthänigkeitsverband iſt aufgehoben, die Patrimonialge-
richte ſind nicht mehr! Binnen acht Jahren iſt in Oeſterreich vollendet
durchgeführt womit Preußen in vierzig Jahren nicht fertig geworden
iſt. An dieſe Befreiung des Bodens ſchloß ſich die Regelung, ja hie und da
totale Neueinführung des Hypotheken- und Beſitzweſens, dann folgte die Auf-
hebung der Aviticitätsrechte, der ungleichen Beſteuerung und der Steuer-
exemtionen (kein Adeliger in Ungarn zahlte Steuern). Im ganzen Reich
wurde auf Grund des allgemeinen bürgerlichen und Strafgeſetzbuches ein
ganz vortreffliches Civil- und Criminalrecht eingeführt, wodurch namentlich
die faſt unvernünftige und heilloſe Geſetzgebung in Ungarn beſeitigt wurde.

Zwiſchen Ungarn und Oeſterreich fielen die Zollſchranken, das Prohibi-
tivſyſtem ward aufgehoben, das Schutzzollſyſtem eingeführt, und wenige Jahre
ſpäter ſchon wurden die Einfuhrzölle ſtark herabgeſetzt. Durchweg trat eine
liberale Handelspolitik ein. Wir wollen hier nur erwähnen daß die Anträge
Oeſterreichs beim Zollverein auf Aufhebung der Durchgangs- und Schiff-
fahrtszölle, der gemeinſamen Zollhäuſer und ſonſtiger Verkehrserleichterungen
an Preußens Widerſpruch ſcheiterten. Dieſe Entwicklung des
Verkehrs knüpfte ſich unmittelbar an jene koloſſalen Eiſenbahnbauten, die zum
Theil nirgends in der Welt ihres gleichen finden. Wir nennen nur die nörd-
liche und die ſüdliche Staatsbahn, die Fortſetzung der Ferdinands-Nordbahn,
die Vollendung der lombardiſch-venetianiſchen Bahn, die Theißbahn, die
Weſtbahn, die Galiziſche, die Kärnthner- und Tirolerbahn.

Im ganzen Lande wurden Handelskammern eingeführt, ein neues
Münzſyſtem, das ſich dem des übrigen Deutſchlands harmoniſch anſchloß, be-
gründet, für die Entwicklung und Erleichterung des Credits die möglichſte
Vorſorge getroffen. Die verrotteten Geſetze gegen die Juden ſind abgeſchafft
bis zu einer geringen Einſchränkung, welche die Provincialrechte und die Cul-
turverhältniſſe
der ſlaviſchen und jüdiſchen Bevölkerung in Galizien be-
dingen; die Fähigkeit zum Immobiliarbeſitz iſt letztern gewährt. Dazu ge-
ſellte ſich Freizügigkeit, eine faſt unbedingte Gewerbefreiheit ausſprechende
neue Gewerbeordnung, große Conceſſionserleichterung für Ausländer, eine
neue Wechſelordnung, ein neues mit Deutſchland zu vereinbarendes Handels-
geſetz.

Man geſtatte uns hier daran zu erinnern wie tief alle dieſe Inſtitu-
tionen in das geiſtige Leben übergreifen. Die Gewerbefreiheit gibt dem Hand-
werker die Möglichkeit ſich zum Fabricanten zu entwickeln. Die Gewerbe-
freiheit allein wird die Regierung fort und fort zu weitern Berbeſſerungen
fortreißen, und ſie iſt ſich deſſen bewußt! Die Aufhebung des Wucher-
patents, die Entwicklung der Handelsgeſetzgebung ꝛc. ſind ſchon in dieſer
Beziehung erzwungene Verbeſſerungen.

Die Concurrenz welche die Gewerbefreiheit bedingt, zwingt ihrerſeits
zur Entwickelung der Intelligenz, und bürgt ſo für die Entwickelung des Un-
terrichtsſyſtems, bürgt für die Erringung der unbedingten Lern- und Lehr-
freiheit. Die Gewerbefreiheit ſichert das Aſſociationsrecht wenigſtens bis zu
[Spaltenumbruch] gewiſſer Gränze, fördert ſo auch politiſch, und da ſie unbedingt den Reichthum
der Nation vermehren wird, hebt ſie auch unzweifelhaft die allgemeine Bildung.
Wir wiederholen: die Regierung iſt ſich aller dieſer Conſequenzen bewußt gewe-
ſen, denn die Aenderung des Unterrichtsſyſtems iſt der Einführung der Gewerbe-
freiheit viele Jahre vorausgegangen, und durch die Einführung der Realſchulen
in der ganzen Monarchie (früher beſt anden nur wenige Unter- und keine Ober-
Realſchulen) iſt eine junge Generation herangezogen die für die Ausbeutung der
Gewerbefreiheit vorgebildet und befähigt iſt. Daß man nicht bloß hier dem
Utilitätsprincip gehuldigt hat, beweiſen die Reformen im übrigen Schulwe-
ſen. Seit 1851 iſt für das Gymnaſialweſen ſehr viel gethan worden. Statt
der Claſſenlehrer ſind Fachlehrer eingeführt, das Studium der deutſchen, der
griechiſchen und der einſchläglichen Mutterſprachen wird eifrigſt ge-
fördert, in den exacten Wiſſenſchaften, der Naturgeſchichte, Phyſik, Mathe-
matik wird Unterricht ertheilt, der früher ganz fehlte, und ſchließlich ſind ſtatt
der alten Präfecten überall wirkliche Lehrer zu Directoren der Gymnaſien
ernannt worden. Man hat endlich begonnen auch das Univerſitätsweſen
nach deutſchem Muſter zu ordnen; ſelbſtändige philoſophiſche Facultäten ſind
errichtet, deutſche Lehrkräfte ſind herangezogen durch Einführung der Docen-
ten und der Collegiengelder, ſowie durch die freie Organiſation der Univerſi-
täts- und Facultätskörper — durch Wahl, ſtatt der früheren Ernennung der
Dekane und Rectoren — iſt die Baſis zu einem lebendigen, geſunden geiſti-
gen Leben gelegt. Die Lern- und Lehrfreiheit iſt namentlich auch durch Ab-
ſchaffung der Prüfungen und Einführung der Frequentationszeugniſſe in ſei-
nen Grundprincipien geſichert. Die Conſequenzen des Concordats haben
manchen kleinen Rückſchritt in dieſen Richtungen herbeigeführt, aber bekannt-
lich hat auch dieſes ſchon dem allmächtigen Geiſt der Zeit weichen müſſen.
Der Staat hat was er der römiſchen Kirche gewährt auch ſchon zum großen
Theil den andern Confeſſionen zugeſtanden. Die kirchlichen Verhältniſſe der
ungariſchen Proteſtanten ſind im liberalen Sinn geordnet, die Ordnung der-
ſelben in den deutſch-ſlaviſchen Provinzen, ſich ſtützend auf das allgemeine
Prieſterthum, das Synodal- und Presbyterialſyſtem, iſt bevorſtehend.

Freilich iſt die abſolute Parität noch nicht ausgeſprochen, aber ſie iſt un-
vermeidlich, ſie iſt eine nothwendige Folge der bereits factiſch und rechtlich be-
ſtehenden Zuſtände. Wir ſind in dieſer Beziehung durchaus Deutſcher, und
fragen bei den gegebenen Inſtitutionen vor allem danach, ob ſie entwickel-
bar,
ob ſie darauf berechnet ſind, ſich dem Fortſchritt der bedingenden Ele-
mente ſyſtematiſch anzuſchließen. Niemand wird behaupten wollen daß das
kirchliche Leben im höhern Sinn unter den Proteſtanten Oeſterreichs früher
beſonders thätig geweſen. Durch das Concordat aufgerüttelt, hat eine
mäßige Action hingereicht im Verhältniß zu früher große Freiheiten zu erſtre-
ben, obwohl jene Action ſich keineswegs immer als eine legale und beſonnene
erwieſen hat. Wie viel leichter wird es ſeyn auf Grund der gewonnenen
Freiheiten die vollſtändige Parität zu erſtreben? Daß dieſe principiell feſtge-
ſtellt, daß ſie nicht bloß factiſch herbeigeführt, ſondern als Grundſatz ausge-
ſprochen werde, iſt eine Bedingung die nicht bloß durch die Entwicklung des
Deutſchthums im Innern nothwendig wird, ſondern welche eng zuſammen-
hängt mit den äußern Beziehungen Oeſterreichs. Die Glaubensfreiheit
wurzelt zu tief im innerſten Kern des deutſchen Lebens, ſie iſt ſo ſehr der
wahre Springquell unſerer geiſtigen Kraft, daß wir nimmer davon laſſen
könnten. Vergeſſen wir aber nicht daß im Reich dreißig Jahre lang der
Boden mit Blut getränkt ward, bis ſie errungen worden, daß vier Jahrhun-
derte kaum genügten um das formell Errungene auch wirklich lebendig zu
machen. Aber weil ſie im großen Ganzen es endlich geworden, darum wer-
den den Deutſchen in Oeſterreich die Deutſchen im Reich zu ſolchem Ziel ſtets
einig die Hand reichen. Die unbedingte Parität der Confeſſionen iſt ſo nicht
bloß eine innere, ſie iſt auch eine äußere Aufgabe für Oeſterreich, und darum
ihre Löſung eine abſolut gewiſſe. Und wenn die geiſtige Spannkraft in die-
ſer Richtung auch vorübergehend nachließe, der Fortſchritt ſcheint uns in die-
ſer Beziehung doch gewiß, weil er eine Conſequenz der deutſchen Bildung iſt,
und dieſe eine natürliche Folge des Reichthums, zu welchem Boden, Gewerbe-
und Verkehrsfreiheit, Freizügigkeit und Zolleinigung ꝛc. die Baſis liefern.

(Schluß folgt.)




Das niederrheiniſche Muſikfeſt.

Auf der Durchreiſe begriffen, wohnte ich
geſtern der Aufführung des zweiten Tages des niederrheiniſchen Muſikfeſtes
bei. So ſchön und herzerhebend dieſes Feſt in ſeinem Geſammteindruck auch un-
läugbar iſt, ſo kann ich doch, was wenigſtens dieſen zweiten Tag betrifft,
nicht unbedingt und in allen Punkten in die Lobesfanfaren einſtimmen denen
man jetzt ſchon in den Blättern begegnet, und die nach jedem niederrheiniſchen
Muſikfeſt als unausbleibliche Zugabe dem Publicum geboten werden. Schon
das Local, das eigentlich nichts weiter iſt als eine bretterne, ſogar faſt ganz
ſchmuckloſe Bude, die etwa 1900 eng zuſammengezwängte Zuhörer faſſen
mag, iſt des Zuſammenwirkens ſolcher Tonmaſſen nicht würdig. Die Akuſtik
iſt eine ziemlich ſchlechte, indem die Töne durch die hölzernen Planken zu ſehr

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[2622/0010] Wochen, ja Monate lang in Polizeihaft habe halten laſſen, ohne daß ein rich- terlicher Befehl vorlag oder auch nur eingeholt ward, ohne daß dieſe Perſonen vom Richter vernommen wurden. Man habe dieſe Perſonen wieder entlaſſen ohne einmal eine Anklage oder Unterſuchung gegen ſie zu begründen.“ Der Juſtizminiſter wird allem Anſchein nach ſchwerlich darum ſein Portefeuille verlieren. Wir klagen nicht darüber; wenn aber das ſo gut vor- und durchgebildete Preußen nach 12 Jahren noch nicht in die ihm gewordenen conſtitutionellen Inſtitutionen ſo weit hereingewachſen iſt um ſie einigermaßen mit Wirkung handhaben zu können, wenn faſt jede Debatte dort Zeugniß gab wie weit noch die Befähigung der Repräſentanten hinter den Forderungen der Inſtitution zurückbleibt, ſo ſollte man doch endlich davon abſehen die Ent- wicklungsſtufe eines Staates und ſein Weſen lediglich nach ſeinen politiſchen Inſtitutionen zu meſſen. Frankreich hat über Nacht alle ſeine conſtitutionellen Inſtitutionen ver- loren, bildet ſich aber unzweifelhaft ein auch ohne ſie noch ebenſo „an der Spitze der Civiliſation Europa’s zu marſchiren.“ Und es iſt ſicher falſch zu glauben daß durch jenen Verluſt Frankreich einen Sprung rückwärts ge- macht habe; die Bewegung war unter allen Umſtänden eine ſtätige. Die politiſchen Inſtitutionen der ſüdamerikaniſchen Republiken, deren politiſches Leben und deren culturhiſtoriſche Kraft in den letzten Zügen liegt, ſind ſormell den unſern weit voraus, trotzdem daß die Deutſchen unzweifelhaft die Träger und Förderer der Weltcultur, die Vorkämpfer für die Idee der Humanſtät ſind. Die politiſchen Inſtitutionen wollen ihrem Werth nach alſo nicht an und für ſich beurtheilt werden, ſondern nach ihrer Handhabung, nach der Baſis auf welcher ſie ruhen. Der größte Feind Oeſterreichs kann nicht läugnen daß für dieſen Unterbau zu einer höhern politiſchen Entwicklung in Oeſterreich außerordentliches geſchehen iſt. Wahrlich, es iſt im Donaureich mehr geſchehen als die Erde bloß von den Trümmern zu befreien mit welchen das Jahr 1848 ſie bedeckte. Der früher mit Servituten aller Art bis zur peinlichſten Ein- zwängung belaſtete Boden iſt durchweg entlaſtet, der Boden iſt frei ge- worden. Der Unterthänigkeitsverband iſt aufgehoben, die Patrimonialge- richte ſind nicht mehr! Binnen acht Jahren iſt in Oeſterreich vollendet durchgeführt womit Preußen in vierzig Jahren nicht fertig geworden iſt. An dieſe Befreiung des Bodens ſchloß ſich die Regelung, ja hie und da totale Neueinführung des Hypotheken- und Beſitzweſens, dann folgte die Auf- hebung der Aviticitätsrechte, der ungleichen Beſteuerung und der Steuer- exemtionen (kein Adeliger in Ungarn zahlte Steuern). Im ganzen Reich wurde auf Grund des allgemeinen bürgerlichen und Strafgeſetzbuches ein ganz vortreffliches Civil- und Criminalrecht eingeführt, wodurch namentlich die faſt unvernünftige und heilloſe Geſetzgebung in Ungarn beſeitigt wurde. Zwiſchen Ungarn und Oeſterreich fielen die Zollſchranken, das Prohibi- tivſyſtem ward aufgehoben, das Schutzzollſyſtem eingeführt, und wenige Jahre ſpäter ſchon wurden die Einfuhrzölle ſtark herabgeſetzt. Durchweg trat eine liberale Handelspolitik ein. Wir wollen hier nur erwähnen daß die Anträge Oeſterreichs beim Zollverein auf Aufhebung der Durchgangs- und Schiff- fahrtszölle, der gemeinſamen Zollhäuſer und ſonſtiger Verkehrserleichterungen an Preußens Widerſpruch ſcheiterten. Dieſe Entwicklung des Verkehrs knüpfte ſich unmittelbar an jene koloſſalen Eiſenbahnbauten, die zum Theil nirgends in der Welt ihres gleichen finden. Wir nennen nur die nörd- liche und die ſüdliche Staatsbahn, die Fortſetzung der Ferdinands-Nordbahn, die Vollendung der lombardiſch-venetianiſchen Bahn, die Theißbahn, die Weſtbahn, die Galiziſche, die Kärnthner- und Tirolerbahn. Im ganzen Lande wurden Handelskammern eingeführt, ein neues Münzſyſtem, das ſich dem des übrigen Deutſchlands harmoniſch anſchloß, be- gründet, für die Entwicklung und Erleichterung des Credits die möglichſte Vorſorge getroffen. Die verrotteten Geſetze gegen die Juden ſind abgeſchafft bis zu einer geringen Einſchränkung, welche die Provincialrechte und die Cul- turverhältniſſe der ſlaviſchen und jüdiſchen Bevölkerung in Galizien be- dingen; die Fähigkeit zum Immobiliarbeſitz iſt letztern gewährt. Dazu ge- ſellte ſich Freizügigkeit, eine faſt unbedingte Gewerbefreiheit ausſprechende neue Gewerbeordnung, große Conceſſionserleichterung für Ausländer, eine neue Wechſelordnung, ein neues mit Deutſchland zu vereinbarendes Handels- geſetz. Man geſtatte uns hier daran zu erinnern wie tief alle dieſe Inſtitu- tionen in das geiſtige Leben übergreifen. Die Gewerbefreiheit gibt dem Hand- werker die Möglichkeit ſich zum Fabricanten zu entwickeln. Die Gewerbe- freiheit allein wird die Regierung fort und fort zu weitern Berbeſſerungen fortreißen, und ſie iſt ſich deſſen bewußt! Die Aufhebung des Wucher- patents, die Entwicklung der Handelsgeſetzgebung ꝛc. ſind ſchon in dieſer Beziehung erzwungene Verbeſſerungen. Die Concurrenz welche die Gewerbefreiheit bedingt, zwingt ihrerſeits zur Entwickelung der Intelligenz, und bürgt ſo für die Entwickelung des Un- terrichtsſyſtems, bürgt für die Erringung der unbedingten Lern- und Lehr- freiheit. Die Gewerbefreiheit ſichert das Aſſociationsrecht wenigſtens bis zu gewiſſer Gränze, fördert ſo auch politiſch, und da ſie unbedingt den Reichthum der Nation vermehren wird, hebt ſie auch unzweifelhaft die allgemeine Bildung. Wir wiederholen: die Regierung iſt ſich aller dieſer Conſequenzen bewußt gewe- ſen, denn die Aenderung des Unterrichtsſyſtems iſt der Einführung der Gewerbe- freiheit viele Jahre vorausgegangen, und durch die Einführung der Realſchulen in der ganzen Monarchie (früher beſt anden nur wenige Unter- und keine Ober- Realſchulen) iſt eine junge Generation herangezogen die für die Ausbeutung der Gewerbefreiheit vorgebildet und befähigt iſt. Daß man nicht bloß hier dem Utilitätsprincip gehuldigt hat, beweiſen die Reformen im übrigen Schulwe- ſen. Seit 1851 iſt für das Gymnaſialweſen ſehr viel gethan worden. Statt der Claſſenlehrer ſind Fachlehrer eingeführt, das Studium der deutſchen, der griechiſchen und der einſchläglichen Mutterſprachen wird eifrigſt ge- fördert, in den exacten Wiſſenſchaften, der Naturgeſchichte, Phyſik, Mathe- matik wird Unterricht ertheilt, der früher ganz fehlte, und ſchließlich ſind ſtatt der alten Präfecten überall wirkliche Lehrer zu Directoren der Gymnaſien ernannt worden. Man hat endlich begonnen auch das Univerſitätsweſen nach deutſchem Muſter zu ordnen; ſelbſtändige philoſophiſche Facultäten ſind errichtet, deutſche Lehrkräfte ſind herangezogen durch Einführung der Docen- ten und der Collegiengelder, ſowie durch die freie Organiſation der Univerſi- täts- und Facultätskörper — durch Wahl, ſtatt der früheren Ernennung der Dekane und Rectoren — iſt die Baſis zu einem lebendigen, geſunden geiſti- gen Leben gelegt. Die Lern- und Lehrfreiheit iſt namentlich auch durch Ab- ſchaffung der Prüfungen und Einführung der Frequentationszeugniſſe in ſei- nen Grundprincipien geſichert. Die Conſequenzen des Concordats haben manchen kleinen Rückſchritt in dieſen Richtungen herbeigeführt, aber bekannt- lich hat auch dieſes ſchon dem allmächtigen Geiſt der Zeit weichen müſſen. Der Staat hat was er der römiſchen Kirche gewährt auch ſchon zum großen Theil den andern Confeſſionen zugeſtanden. Die kirchlichen Verhältniſſe der ungariſchen Proteſtanten ſind im liberalen Sinn geordnet, die Ordnung der- ſelben in den deutſch-ſlaviſchen Provinzen, ſich ſtützend auf das allgemeine Prieſterthum, das Synodal- und Presbyterialſyſtem, iſt bevorſtehend. Freilich iſt die abſolute Parität noch nicht ausgeſprochen, aber ſie iſt un- vermeidlich, ſie iſt eine nothwendige Folge der bereits factiſch und rechtlich be- ſtehenden Zuſtände. Wir ſind in dieſer Beziehung durchaus Deutſcher, und fragen bei den gegebenen Inſtitutionen vor allem danach, ob ſie entwickel- bar, ob ſie darauf berechnet ſind, ſich dem Fortſchritt der bedingenden Ele- mente ſyſtematiſch anzuſchließen. Niemand wird behaupten wollen daß das kirchliche Leben im höhern Sinn unter den Proteſtanten Oeſterreichs früher beſonders thätig geweſen. Durch das Concordat aufgerüttelt, hat eine mäßige Action hingereicht im Verhältniß zu früher große Freiheiten zu erſtre- ben, obwohl jene Action ſich keineswegs immer als eine legale und beſonnene erwieſen hat. Wie viel leichter wird es ſeyn auf Grund der gewonnenen Freiheiten die vollſtändige Parität zu erſtreben? Daß dieſe principiell feſtge- ſtellt, daß ſie nicht bloß factiſch herbeigeführt, ſondern als Grundſatz ausge- ſprochen werde, iſt eine Bedingung die nicht bloß durch die Entwicklung des Deutſchthums im Innern nothwendig wird, ſondern welche eng zuſammen- hängt mit den äußern Beziehungen Oeſterreichs. Die Glaubensfreiheit wurzelt zu tief im innerſten Kern des deutſchen Lebens, ſie iſt ſo ſehr der wahre Springquell unſerer geiſtigen Kraft, daß wir nimmer davon laſſen könnten. Vergeſſen wir aber nicht daß im Reich dreißig Jahre lang der Boden mit Blut getränkt ward, bis ſie errungen worden, daß vier Jahrhun- derte kaum genügten um das formell Errungene auch wirklich lebendig zu machen. Aber weil ſie im großen Ganzen es endlich geworden, darum wer- den den Deutſchen in Oeſterreich die Deutſchen im Reich zu ſolchem Ziel ſtets einig die Hand reichen. Die unbedingte Parität der Confeſſionen iſt ſo nicht bloß eine innere, ſie iſt auch eine äußere Aufgabe für Oeſterreich, und darum ihre Löſung eine abſolut gewiſſe. 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Schon das Local, das eigentlich nichts weiter iſt als eine bretterne, ſogar faſt ganz ſchmuckloſe Bude, die etwa 1900 eng zuſammengezwängte Zuhörer faſſen mag, iſt des Zuſammenwirkens ſolcher Tonmaſſen nicht würdig. Die Akuſtik iſt eine ziemlich ſchlechte, indem die Töne durch die hölzernen Planken zu ſehr

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2021-08-16T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 157, 5. Juni 1860, S. 2622. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine157_1860/10>, abgerufen am 21.11.2024.