Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung, Nr. 157, 5. Juni 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

[Spaltenumbruch] hams entsprossene citoyens francais, sind massenhaft eingeiroffen um dem
Enthusiasmus etwas nachzuhelsen und ihr "Geschäftchen" zu machen. Die
armseligen Marmottenfänger fühlen endlich das Hochgefühl morgen in der
großen Nation aufzugehen. Die Einverleibung kann also jeden Augenblick
losgehen. Die Schweizer, die damit etwa nicht zufrieden sind, werden nicht
nur nicht gefragt, sondern sogar noch im letzten Augenblick von der savoyi-
schen Presse mit Spott und Hohn überschüttet. In denjenigen Gegenden
freilich die eidgenössisch zu werden gehofft hatten, sieht man der Entscheidungs-
stunde mit Bangen entgegen; wo es noch geschehen kann, äußern sich in oft
rührender Weise die Sympathien für die Schweiz. So wird z. B. die eid-
genössische Flagge von den Uferbewohnern des Sees gelegentlich mit Hoch-
rufen begrüßt, die savoyische Unterstützungsgesellschaft zeichnet einen bedeu-
tenden Preis zu dem Genfer Freischießen u. s. w. Auch den französischen
Schweizern sind nach so harten Erfahrungen die Augen aufgegangen; sie
wissen nun daß ihre natürlichen Bundesgenossen weder jenseits des Jura
noch der Alpen zu suchen sind. Mit wachsenden Sympathien wendet man
sich Deutschland zu; ich mache Sie in dieser Hinsicht auf den gestrigen Leit-
artikel des Journal de Geneve über Preußen aufmerksam. Die mannhaften
Worte welche der Prinz von Preußen in Saarbrücken gesprochen, haben ein
Echo bis an den Genfer See gefunden. -- Den Manövern der hiesigen Be-
satzungstruppen wohnte gestern der preußische General v. Willisen bei. Oberst
Ziegler begleitete ihn.

Großbritannien.

(Die Londoner Post vom 2 Jun. fehlt.)

Neben dem Umstand daß der Pauperismus in England namhaft abge-
nommen hat, legen nun auch die Ausweise der Sparcassen Zeugniß von den
besseren Verhältnissen der ärmeren Volksclassen ab. Die in diesen angeleg-
ten Capitalien sind seit dem J. 1844 von 29,504,861 Pf. St. auf 38,968,312
Pf. St. gestiegen. Wenn immer Nothjahre oder Mangel an Beschäftigung
eintreten, zeigt sich sofort eine Abnahme in den Einlagen. Am schlagendsten
war dieß in den Jahren 1847 und 1848 der Fall, und am höchsten stiegen
die Einlagen im vorigen Jahr.

Der Verein zur Unterstützung nothleidender Ausländer in London hielt
dieser Tage seine 54ste Jahresversammlung. Er hat seit der Zeit seiner
Gründung viel gutes gestiftet, und da er nie politische Zwecke verfolgte, flie-
ßen ihm Unterstützungsgaben von den verschiedensten Parteien zu. Bei der
dießmaligen Versammlung wurden 2160 Pf. St. an freiwilligen Beiträgen
gezeichnet. Die Königin steuerte 100 Pf. St., der deutsche Kaufmann Gö-
schen 500 Pf. St. bei. Lord Taunton führte in Abwesenheit des Präsidenten,
Grafen Carlisle, den Vorsitz.

Es ist wiederholt, und zwar nicht bloß in England, der Plan in Auregung
gebracht worden Briefe und Pakete vermittelst Luftdrucks durch unterirdische Röhren
rasch von einem Ort zum andern zu befördern. Bisher war diese Methode nur
im kleinen von der Londoner "Electric Telegr. Company" angewendet worden,
jetzt aber hat sich eine eigene Gesellschaft, unter dem Tuel "Pneumatic Dispatch
Company"
gebildet um vermittelst solcher Röhrenleitungen Pakete zwischen den Haupt-
punkten Londens zu befördern, und zwar nicht bloß kleine, sondern auch umfang-
reiche Pakete, wie z. B. sämmtliche Postfelleisen zwischen den Zweigpostämtern und
dem Hauptpostamt, sowie zwischen diesem und den verschiedenen Bahnhöfen der
Hauptstadt. Mit der Zeit dürfte die Leitung nach der Börse, den Docks und den
Regierungsämtern ausgebreitet, und durch ganz London verzweigt werden. Zu die-
sem Zweck beabsichtigt die genannte Gesellschaft ein Capital von 250,000 Pf. St. in
Acten a 10 Pf. St. aufzunehmen; doch soll anfangs nur eine Probe gemacht werden,
und deßhalb beschränkt sie die Actienausgabe vorerst auf 25,000 Pf. St., um eine
kurze Hauptlinie anzulegen, deren Kosten auf 14,000 Pf. St. veranschlagt sind.
Erster Director dieser Actiengesellschaft ist der Marquis v. Chandos, dem sich ein-
flußreiche Cityleute angeschlossen haben. (Was wird dieses große Jahrhundert nicht
noch alles erfinden!)

Frankreich.

In dem heutigen Artikel Saint Marc Girardins im Journal des De-
bats,
der als Antwort auf die Friedensbetheuerungen des Moniteur und
Constitutionnel betrachtet werden kann, hat jenes Journal wieder einen
Triumph gefeiert wie in seinen besten Tagen, ehe noch Hr. Billault die letz-
ten Reste der unabhängigen Presse vernichtet hatte. Es war der Ruf eines
gepreßten Herzens nach Frieden, es war ein Protest gegen das wilde Geschrei
des Chauvinismus, es war eine schmerzliche Erinnerung an die Tage Frank-
reichs wo die Völker Europa's auf dieses Land als den Hort der Freiheit blick-
ten. Saint Marc Girardin räth dem kaiserlichen Frankreich, damit das tief
erschütterte Vertrauen Europa's wiederhergestellt werde, sich zur Einweihung
der Friedensära mit einem Parlament zu umgeben, von der moralischen
Macht des Zeugniffes das eine solche Versammlung ablege sich unterstützen
zu lassen, dann werde Europa Frankreich Glauben schenken. Hr. Girardin
glaubt seinen Gedanken in einem Wort zusammenfassen zu können: das libe-
rale Kaiserreich ist der Friede. O bittere Ironie! Niemals wird dieses Kai-
serreich, das keinen andern Willen dulden kann als den eigenen, liberal seyn
können. Es kann und darf keinen Widerspruch dulden, nur bequeme und
wirksame Organe seines Willens dürfen es umgeben; das höchste was es er-
reichen kann, ist durch die elenden Schöpfungen eines Senats und gesetzgeben-
[Spaltenumbruch] den Körpers sich einen organischen Auschein zu geben. Entstanden aus der
Fäulniß, wird es weder moralische und geistige Würde, noch schaffende Kraft
für die Entwicklung der innern Nationalzustände jemals in sich auftreiben
können. Sein Leben ist eine bloße Gewaltfristung. Res dissociabiles
prineipatum et libertatem,
sagt Tacitus, der solche Zustände kannte. Ge-
rade weil dieses Kaiserthum nicht liberal seyn kann, ist es nicht der Friede,
sondern der Krieg, sein innerstes Wesen drängt es von Gewalt zu Gewalt,
zur Ueberfluthung fremder Nationen, zu immer neuer Aggression, bis die sitt-
liche Kraft eines im innersten empörten Volksgeistes es zu Boden schlägt.
So ist das Wort Saint Marc Girardins ein vernichtendes Zeugniß gegen
dasselbe. Zugleich steht zu besürchten daß die edle französische Nation von
diesem armseligen, ideenlosen Imperialismus selbst zerrieben werde, und eine
Ahnung dieses Schicksals, die einen Theil zu den wilden Expansionsgelüsten
treibt, hat die Bessern dieses hochherzigen Volkes behalten, die trauernd ihr
Haupt abwenden. Man höre wie Saint Marc Girardin sich unter dem ge-
genwärtigen Preßsystem herumwinden muß um der Freiheit eine Gasse zu
machen, um einmal wieder von den geliebten verloren gegangenen Freiheiten
der Constitution sprechen zu können: "Es gibt in diesem Augenblick, sagt er,
bei allen aufgeklärten Geistern ein schweres und unfreiwilliges Vorurtheil, als
fürchtete man allerseits daß die gegenwärtige Regierung unvermeidlich auf
dem Punkt angekommen sey zwischen zwei entgegengesetzten Thätigkeiten wäh-
len zu müssen, der des Friedens und der des Kriegs. Doch wir haben Unrecht
diesen Satz aufzustellen, die Wahl ist bereits geschehen, Gott sey Dank, für
den Frieden. Das kaiserliche Programm vom 5 Jan. ist das Programm
einer Friedensära und der Commentar des zu Vordeaur gesprocheuen
Wortes: Das Kaiserreich ist der Friede. Wir glauben daß dieser kai-
serliche Wille fortbesteht, aber die Ereignisse sind oft stärker als der
menschliche Wille. Die Gewalt herrscht in Europa. Bereits hat sie
in Sicilien ihr Werk begonnen. Ueberall Gründe zum Krieg, alle Län-
der in einer sieberhaften Bewegung. Neue Principien und neue Rechte die
sich in der Welt einführen wollen. Nach 1848 gab es Ideen die sich damit
beschäftigten die Gesellschaft umzustürzen, wir hatten dann die Doctrinäre der
Freiheit und Ordnung, jetzt gibt es Doctrinäre der Eroberung oder der
Annexion. Außer der Confusion der Ereignisse und der Ideen gibt es noch
eine andere Ursache zum Krieg in Europa, das allgemeine Mißtrauen. Alles
will den Frieden, und rüstet bis an die Zähne. Wie lange soll die europäische
Gesellschaft diesen militärischen Frieden noch aushalten? Gibt es denn kein
Mittel diesem allgemeinen Mißtrauen ein Ende zu machen? Verständige
Leute schreiben es großentheils dem Stillschweigen zu welches das gegenwärtige
Regime unserer politischen Versammlungen vielleicht mehr noch als unserer
Institutionen selbst dem Senat und dem gesetzgebenden Körper über die äußere
Politik auferlegt. Die Presse spricht allerdings sowohl täglich wie in Bro-
schüren sogar lieber von auswärtigen Angelegenheiten, in dem Maß als sie
weniger gern von innern spricht; aber diese Stimme ersetzt nicht die Redner-
bühne, ihr mangelt die Autorität. Die Stimme einer Versammlung
streist nahe an ein Factum, an eine Entscheidung. Könnte man von der
Rednerbühne aus in Paris den englischen oder preußischen Rednern antwor-
ten, dann wüßte man zu London und Berlin besser was man von Frankreich
fürchten oder hoffen kann. Ich will nicht sagen das Schweigen der franzö-
sischen Tribüne sey ein europäisches Unglück, das hieße dem gesetzgebenden
Körper und dem Senat zu sehr schmeicheln, ich denke nicht daran. Ich sage
nur dieses Stillschweigen ist eine der Ursachen der Unsicherheit der Geister und
Zustände in Europa. Ich sage es um so lieber, weil ich gern anerkenne daß
die französische Regierung weder in Verlegenheit ist zu reden, noch furchtsam
oder zögernd es zu thun. Sie genügt loyal dem Bedürfniß das Europa hat
die Absichten Frankreichs zu kennen. Sie spricht klar und nachdrücklich, ich
gestehe es sehr gerne. Aber es fehlt etwas im Orchester. Ich gebe
zu daß das Instrument dessen Abwesenheit ich meine oft zu laut gespielt
hat, und empfindliche Ohren sich an sein Stillschweigen gewöhnen konnten.
Aber dieses Stillschweigen wird unzeitgemäß, weil es der Ungewißheit, der
Conjectur Thür und Thor öffnet. Man kann mit Sicherheit von einer par-
lamentarischen Regierung behaupten daß es Dinge gibt die sie nicht thun
wird. Die Macht des Geistes in dem Parlament stemmt sich entgegen. Von
einem Land ohne Parlament, das alle innern und auswärtigen Angelegenheiten
beräth, kann man nicht sagen daß es Dinge gibt die es nicht thun wird. Es
kann alles thun.
Sehr vortheilhaft, wird man sagen. Allerdings, aber
dann wundere man sich nicht daß eben dieser Vortheil für die europäische
Meinung ein Grund des Mißtrauens ist. Man könnte entgegnen, die par-
lamentarische Regierung ist ein armseliges Hülfsmittel für äußere Macht-
stellung, dem widerspricht die Geschichte Englands; aus der Geschichte Frank-
reichs der spanische Krieg 1823, die Expedition nach Algier, die Belagerung Ant-
werpens, die Expedition nach Ancona, die Eroberung Algiers unter der Juli-
monarchie, die römische Expedition unter der Präsidentschaft 1849. Man kann
viel thun mit parlamentarischen Institutionen. Wenn man etwas mit ihnen
nicht ausrichten kann, ist dieß dann gut oder schlimm, daß man es nich kann?

[Spaltenumbruch] hams entſproſſene citoyens français, ſind maſſenhaft eingeiroffen um dem
Enthuſiasmus etwas nachzuhelſen und ihr „Geſchäftchen“ zu machen. Die
armſeligen Marmottenfänger fühlen endlich das Hochgefühl morgen in der
großen Nation aufzugehen. Die Einverleibung kann alſo jeden Augenblick
losgehen. Die Schweizer, die damit etwa nicht zufrieden ſind, werden nicht
nur nicht gefragt, ſondern ſogar noch im letzten Augenblick von der ſavoyi-
ſchen Preſſe mit Spott und Hohn überſchüttet. In denjenigen Gegenden
freilich die eidgenöſſiſch zu werden gehofft hatten, ſieht man der Entſcheidungs-
ſtunde mit Bangen entgegen; wo es noch geſchehen kann, äußern ſich in oft
rührender Weiſe die Sympathien für die Schweiz. So wird z. B. die eid-
genöſſiſche Flagge von den Uferbewohnern des Sees gelegentlich mit Hoch-
rufen begrüßt, die ſavoyiſche Unterſtützungsgeſellſchaft zeichnet einen bedeu-
tenden Preis zu dem Genfer Freiſchießen u. ſ. w. Auch den franzöſiſchen
Schweizern ſind nach ſo harten Erfahrungen die Augen aufgegangen; ſie
wiſſen nun daß ihre natürlichen Bundesgenoſſen weder jenſeits des Jura
noch der Alpen zu ſuchen ſind. Mit wachſenden Sympathien wendet man
ſich Deutſchland zu; ich mache Sie in dieſer Hinſicht auf den geſtrigen Leit-
artikel des Journal de Genève über Preußen aufmerkſam. Die mannhaften
Worte welche der Prinz von Preußen in Saarbrücken geſprochen, haben ein
Echo bis an den Genfer See gefunden. — Den Manövern der hieſigen Be-
ſatzungstruppen wohnte geſtern der preußiſche General v. Williſen bei. Oberſt
Ziegler begleitete ihn.

Großbritannien.

(Die Londoner Poſt vom 2 Jun. fehlt.)

Neben dem Umſtand daß der Pauperismus in England namhaft abge-
nommen hat, legen nun auch die Ausweiſe der Sparcaſſen Zeugniß von den
beſſeren Verhältniſſen der ärmeren Volksclaſſen ab. Die in dieſen angeleg-
ten Capitalien ſind ſeit dem J. 1844 von 29,504,861 Pf. St. auf 38,968,312
Pf. St. geſtiegen. Wenn immer Nothjahre oder Mangel an Beſchäftigung
eintreten, zeigt ſich ſofort eine Abnahme in den Einlagen. Am ſchlagendſten
war dieß in den Jahren 1847 und 1848 der Fall, und am höchſten ſtiegen
die Einlagen im vorigen Jahr.

Der Verein zur Unterſtützung nothleidender Ausländer in London hielt
dieſer Tage ſeine 54ſte Jahresverſammlung. Er hat ſeit der Zeit ſeiner
Gründung viel gutes geſtiftet, und da er nie politiſche Zwecke verfolgte, flie-
ßen ihm Unterſtützungsgaben von den verſchiedenſten Parteien zu. Bei der
dießmaligen Verſammlung wurden 2160 Pf. St. an freiwilligen Beiträgen
gezeichnet. Die Königin ſteuerte 100 Pf. St., der deutſche Kaufmann Gö-
ſchen 500 Pf. St. bei. Lord Taunton führte in Abweſenheit des Präſidenten,
Grafen Carlisle, den Vorſitz.

Es iſt wiederholt, und zwar nicht bloß in England, der Plan in Auregung
gebracht worden Briefe und Pakete vermittelſt Luftdrucks durch unterirdiſche Röhren
raſch von einem Ort zum andern zu befördern. Bisher war dieſe Methode nur
im kleinen von der Londoner „Electric Telegr. Company“ angewendet worden,
jetzt aber hat ſich eine eigene Geſellſchaft, unter dem Tuel „Pneumatic Dispatch
Company“
gebildet um vermittelſt ſolcher Röhrenleitungen Pakete zwiſchen den Haupt-
punkten Londens zu befördern, und zwar nicht bloß kleine, ſondern auch umfang-
reiche Pakete, wie z. B. ſämmtliche Poſtfelleiſen zwiſchen den Zweigpoſtämtern und
dem Hauptpoſtamt, ſowie zwiſchen dieſem und den verſchiedenen Bahnhöfen der
Hauptſtadt. Mit der Zeit dürfte die Leitung nach der Börſe, den Docks und den
Regierungsämtern ausgebreitet, und durch ganz London verzweigt werden. Zu die-
ſem Zweck beabſichtigt die genannte Geſellſchaft ein Capital von 250,000 Pf. St. in
Acten à 10 Pf. St. aufzunehmen; doch ſoll anfangs nur eine Probe gemacht werden,
und deßhalb beſchränkt ſie die Actienausgabe vorerſt auf 25,000 Pf. St., um eine
kurze Hauptlinie anzulegen, deren Koſten auf 14,000 Pf. St. veranſchlagt ſind.
Erſter Director dieſer Actiengeſellſchaft iſt der Marquis v. Chandos, dem ſich ein-
flußreiche Cityleute angeſchloſſen haben. (Was wird dieſes große Jahrhundert nicht
noch alles erfinden!)

Frankreich.

In dem heutigen Artikel Saint Marc Girardins im Journal des Dé-
bats,
der als Antwort auf die Friedensbetheuerungen des Moniteur und
Conſtitutionnel betrachtet werden kann, hat jenes Journal wieder einen
Triumph gefeiert wie in ſeinen beſten Tagen, ehe noch Hr. Billault die letz-
ten Reſte der unabhängigen Preſſe vernichtet hatte. Es war der Ruf eines
gepreßten Herzens nach Frieden, es war ein Proteſt gegen das wilde Geſchrei
des Chauvinismus, es war eine ſchmerzliche Erinnerung an die Tage Frank-
reichs wo die Völker Europa’s auf dieſes Land als den Hort der Freiheit blick-
ten. Saint Marc Girardin räth dem kaiſerlichen Frankreich, damit das tief
erſchütterte Vertrauen Europa’s wiederhergeſtellt werde, ſich zur Einweihung
der Friedensära mit einem Parlament zu umgeben, von der moraliſchen
Macht des Zeugniffes das eine ſolche Verſammlung ablege ſich unterſtützen
zu laſſen, dann werde Europa Frankreich Glauben ſchenken. Hr. Girardin
glaubt ſeinen Gedanken in einem Wort zuſammenfaſſen zu können: das libe-
rale Kaiſerreich iſt der Friede. O bittere Ironie! Niemals wird dieſes Kai-
ſerreich, das keinen andern Willen dulden kann als den eigenen, liberal ſeyn
können. Es kann und darf keinen Widerſpruch dulden, nur bequeme und
wirkſame Organe ſeines Willens dürfen es umgeben; das höchſte was es er-
reichen kann, iſt durch die elenden Schöpfungen eines Senats und geſetzgeben-
[Spaltenumbruch] den Körpers ſich einen organiſchen Auſchein zu geben. Entſtanden aus der
Fäulniß, wird es weder moraliſche und geiſtige Würde, noch ſchaffende Kraft
für die Entwicklung der innern Nationalzuſtände jemals in ſich auftreiben
können. Sein Leben iſt eine bloße Gewaltfriſtung. Res dissociabiles
prineipatum et libertatem,
ſagt Tacitus, der ſolche Zuſtände kannte. Ge-
rade weil dieſes Kaiſerthum nicht liberal ſeyn kann, iſt es nicht der Friede,
ſondern der Krieg, ſein innerſtes Weſen drängt es von Gewalt zu Gewalt,
zur Ueberfluthung fremder Nationen, zu immer neuer Aggreſſion, bis die ſitt-
liche Kraft eines im innerſten empörten Volksgeiſtes es zu Boden ſchlägt.
So iſt das Wort Saint Marc Girardins ein vernichtendes Zeugniß gegen
dasſelbe. Zugleich ſteht zu beſürchten daß die edle franzöſiſche Nation von
dieſem armſeligen, ideenloſen Imperialismus ſelbſt zerrieben werde, und eine
Ahnung dieſes Schickſals, die einen Theil zu den wilden Expanſionsgelüſten
treibt, hat die Beſſern dieſes hochherzigen Volkes behalten, die trauernd ihr
Haupt abwenden. Man höre wie Saint Marc Girardin ſich unter dem ge-
genwärtigen Preßſyſtem herumwinden muß um der Freiheit eine Gaſſe zu
machen, um einmal wieder von den geliebten verloren gegangenen Freiheiten
der Conſtitution ſprechen zu können: „Es gibt in dieſem Augenblick, ſagt er,
bei allen aufgeklärten Geiſtern ein ſchweres und unfreiwilliges Vorurtheil, als
fürchtete man allerſeits daß die gegenwärtige Regierung unvermeidlich auf
dem Punkt angekommen ſey zwiſchen zwei entgegengeſetzten Thätigkeiten wäh-
len zu müſſen, der des Friedens und der des Kriegs. Doch wir haben Unrecht
dieſen Satz aufzuſtellen, die Wahl iſt bereits geſchehen, Gott ſey Dank, für
den Frieden. Das kaiſerliche Programm vom 5 Jan. iſt das Programm
einer Friedensära und der Commentar des zu Vordeaur geſprocheuen
Wortes: Das Kaiſerreich iſt der Friede. Wir glauben daß dieſer kai-
ſerliche Wille fortbeſteht, aber die Ereigniſſe ſind oft ſtärker als der
menſchliche Wille. Die Gewalt herrſcht in Europa. Bereits hat ſie
in Sicilien ihr Werk begonnen. Ueberall Gründe zum Krieg, alle Län-
der in einer ſieberhaften Bewegung. Neue Principien und neue Rechte die
ſich in der Welt einführen wollen. Nach 1848 gab es Ideen die ſich damit
beſchäftigten die Geſellſchaft umzuſtürzen, wir hatten dann die Doctrinäre der
Freiheit und Ordnung, jetzt gibt es Doctrinäre der Eroberung oder der
Annexion. Außer der Confuſion der Ereigniſſe und der Ideen gibt es noch
eine andere Urſache zum Krieg in Europa, das allgemeine Mißtrauen. Alles
will den Frieden, und rüſtet bis an die Zähne. Wie lange ſoll die europäiſche
Geſellſchaft dieſen militäriſchen Frieden noch aushalten? Gibt es denn kein
Mittel dieſem allgemeinen Mißtrauen ein Ende zu machen? Verſtändige
Leute ſchreiben es großentheils dem Stillſchweigen zu welches das gegenwärtige
Régime unſerer politiſchen Verſammlungen vielleicht mehr noch als unſerer
Inſtitutionen ſelbſt dem Senat und dem geſetzgebenden Körper über die äußere
Politik auferlegt. Die Preſſe ſpricht allerdings ſowohl täglich wie in Bro-
ſchüren ſogar lieber von auswärtigen Angelegenheiten, in dem Maß als ſie
weniger gern von innern ſpricht; aber dieſe Stimme erſetzt nicht die Redner-
bühne, ihr mangelt die Autorität. Die Stimme einer Verſammlung
ſtreiſt nahe an ein Factum, an eine Entſcheidung. Könnte man von der
Rednerbühne aus in Paris den engliſchen oder preußiſchen Rednern antwor-
ten, dann wüßte man zu London und Berlin beſſer was man von Frankreich
fürchten oder hoffen kann. Ich will nicht ſagen das Schweigen der franzö-
ſiſchen Tribüne ſey ein europäiſches Unglück, das hieße dem geſetzgebenden
Körper und dem Senat zu ſehr ſchmeicheln, ich denke nicht daran. Ich ſage
nur dieſes Stillſchweigen iſt eine der Urſachen der Unſicherheit der Geiſter und
Zuſtände in Europa. Ich ſage es um ſo lieber, weil ich gern anerkenne daß
die franzöſiſche Regierung weder in Verlegenheit iſt zu reden, noch furchtſam
oder zögernd es zu thun. Sie genügt loyal dem Bedürfniß das Europa hat
die Abſichten Frankreichs zu kennen. Sie ſpricht klar und nachdrücklich, ich
geſtehe es ſehr gerne. Aber es fehlt etwas im Orcheſter. Ich gebe
zu daß das Inſtrument deſſen Abweſenheit ich meine oft zu laut geſpielt
hat, und empfindliche Ohren ſich an ſein Stillſchweigen gewöhnen konnten.
Aber dieſes Stillſchweigen wird unzeitgemäß, weil es der Ungewißheit, der
Conjectur Thür und Thor öffnet. Man kann mit Sicherheit von einer par-
lamentariſchen Regierung behaupten daß es Dinge gibt die ſie nicht thun
wird. Die Macht des Geiſtes in dem Parlament ſtemmt ſich entgegen. Von
einem Land ohne Parlament, das alle innern und auswärtigen Angelegenheiten
beräth, kann man nicht ſagen daß es Dinge gibt die es nicht thun wird. Es
kann alles thun.
Sehr vortheilhaft, wird man ſagen. Allerdings, aber
dann wundere man ſich nicht daß eben dieſer Vortheil für die europäiſche
Meinung ein Grund des Mißtrauens iſt. Man könnte entgegnen, die par-
lamentariſche Regierung iſt ein armſeliges Hülfsmittel für äußere Macht-
ſtellung, dem widerſpricht die Geſchichte Englands; aus der Geſchichte Frank-
reichs der ſpaniſche Krieg 1823, die Expedition nach Algier, die Belagerung Ant-
werpens, die Expedition nach Ancona, die Eroberung Algiers unter der Juli-
monarchie, die römiſche Expedition unter der Präſidentſchaft 1849. Man kann
viel thun mit parlamentariſchen Inſtitutionen. Wenn man etwas mit ihnen
nicht ausrichten kann, iſt dieß dann gut oder ſchlimm, daß man es nich kann?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jPoliticalNews" n="1">
        <div n="2">
          <div type="jComment" n="3">
            <p><pb facs="#f0005" n="2617"/><cb/>
hams ent&#x017F;pro&#x017F;&#x017F;ene <hi rendition="#aq">citoyens français,</hi> &#x017F;ind ma&#x017F;&#x017F;enhaft eingeiroffen um dem<lb/>
Enthu&#x017F;iasmus etwas nachzuhel&#x017F;en und ihr &#x201E;Ge&#x017F;chäftchen&#x201C; zu machen. Die<lb/>
arm&#x017F;eligen Marmottenfänger fühlen endlich das Hochgefühl morgen in der<lb/>
großen Nation aufzugehen. Die Einverleibung kann al&#x017F;o jeden Augenblick<lb/>
losgehen. Die Schweizer, die damit etwa nicht zufrieden &#x017F;ind, werden nicht<lb/>
nur nicht gefragt, &#x017F;ondern &#x017F;ogar noch im letzten Augenblick von der &#x017F;avoyi-<lb/>
&#x017F;chen Pre&#x017F;&#x017F;e mit Spott und Hohn über&#x017F;chüttet. In denjenigen Gegenden<lb/>
freilich die eidgenö&#x017F;&#x017F;i&#x017F;ch zu werden gehofft hatten, &#x017F;ieht man der Ent&#x017F;cheidungs-<lb/>
&#x017F;tunde mit Bangen entgegen; wo es noch ge&#x017F;chehen kann, äußern &#x017F;ich in oft<lb/>
rührender Wei&#x017F;e die Sympathien für die Schweiz. So wird z. B. die eid-<lb/>
genö&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che Flagge von den Uferbewohnern des Sees gelegentlich mit Hoch-<lb/>
rufen begrüßt, die &#x017F;avoyi&#x017F;che Unter&#x017F;tützungsge&#x017F;ell&#x017F;chaft zeichnet einen bedeu-<lb/>
tenden Preis zu dem Genfer Frei&#x017F;chießen u. &#x017F;. w. Auch den franzö&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Schweizern &#x017F;ind nach &#x017F;o harten Erfahrungen die Augen aufgegangen; &#x017F;ie<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en nun daß ihre natürlichen Bundesgeno&#x017F;&#x017F;en weder jen&#x017F;eits des Jura<lb/>
noch der Alpen zu &#x017F;uchen &#x017F;ind. Mit wach&#x017F;enden Sympathien wendet man<lb/>
&#x017F;ich Deut&#x017F;chland zu; ich mache Sie in die&#x017F;er Hin&#x017F;icht auf den ge&#x017F;trigen Leit-<lb/>
artikel des Journal de Gen<hi rendition="#aq">è</hi>ve über Preußen aufmerk&#x017F;am. Die mannhaften<lb/>
Worte welche der Prinz von Preußen in Saarbrücken ge&#x017F;prochen, haben ein<lb/>
Echo bis an den Genfer See gefunden. &#x2014; Den Manövern der hie&#x017F;igen Be-<lb/>
&#x017F;atzungstruppen wohnte ge&#x017F;tern der preußi&#x017F;che General v. Willi&#x017F;en bei. Ober&#x017F;t<lb/>
Ziegler begleitete ihn.</p>
          </div>
        </div>
      </div><lb/>
      <div type="jVarious" n="1">
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Großbritannien.</hi> </head><lb/>
          <argument>
            <p>(Die Londoner Po&#x017F;t vom 2 Jun. fehlt.)</p>
          </argument><lb/>
          <div type="jArticle" n="3">
            <p>Neben dem Um&#x017F;tand daß der Pauperismus in England namhaft abge-<lb/>
nommen hat, legen nun auch die Auswei&#x017F;e der Sparca&#x017F;&#x017F;en Zeugniß von den<lb/>
be&#x017F;&#x017F;eren Verhältni&#x017F;&#x017F;en der ärmeren Volkscla&#x017F;&#x017F;en ab. Die in die&#x017F;en angeleg-<lb/>
ten Capitalien &#x017F;ind &#x017F;eit dem J. 1844 von 29,504,861 Pf. St. auf 38,968,312<lb/>
Pf. St. ge&#x017F;tiegen. Wenn immer Nothjahre oder Mangel an Be&#x017F;chäftigung<lb/>
eintreten, zeigt &#x017F;ich &#x017F;ofort eine Abnahme in den Einlagen. Am &#x017F;chlagend&#x017F;ten<lb/>
war dieß in den Jahren 1847 und 1848 der Fall, und am höch&#x017F;ten &#x017F;tiegen<lb/>
die Einlagen im vorigen Jahr.</p>
          </div><lb/>
          <div type="jArticle" n="3">
            <p>Der Verein zur Unter&#x017F;tützung nothleidender Ausländer in London hielt<lb/>
die&#x017F;er Tage &#x017F;eine 54&#x017F;te Jahresver&#x017F;ammlung. Er hat &#x017F;eit der Zeit &#x017F;einer<lb/>
Gründung viel gutes ge&#x017F;tiftet, und da er nie politi&#x017F;che Zwecke verfolgte, flie-<lb/>
ßen ihm Unter&#x017F;tützungsgaben von den ver&#x017F;chieden&#x017F;ten Parteien zu. Bei der<lb/>
dießmaligen Ver&#x017F;ammlung wurden 2160 Pf. St. an freiwilligen Beiträgen<lb/>
gezeichnet. Die Königin &#x017F;teuerte 100 Pf. St., der deut&#x017F;che Kaufmann Gö-<lb/>
&#x017F;chen 500 Pf. St. bei. Lord Taunton führte in Abwe&#x017F;enheit des Prä&#x017F;identen,<lb/>
Grafen Carlisle, den Vor&#x017F;itz.</p>
          </div><lb/>
          <div type="jArticle" n="3">
            <p>Es i&#x017F;t wiederholt, und zwar nicht bloß in England, der Plan in Auregung<lb/>
gebracht worden Briefe und Pakete vermittel&#x017F;t Luftdrucks durch unterirdi&#x017F;che Röhren<lb/>
ra&#x017F;ch von einem Ort zum andern zu befördern. Bisher war die&#x017F;e Methode nur<lb/>
im kleinen von der Londoner <hi rendition="#aq">&#x201E;Electric Telegr. Company&#x201C;</hi> angewendet worden,<lb/>
jetzt aber hat &#x017F;ich eine eigene Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, unter dem Tuel <hi rendition="#aq">&#x201E;Pneumatic Dispatch<lb/>
Company&#x201C;</hi> gebildet um vermittel&#x017F;t &#x017F;olcher Röhrenleitungen Pakete zwi&#x017F;chen den Haupt-<lb/>
punkten Londens zu befördern, und zwar nicht bloß kleine, &#x017F;ondern auch umfang-<lb/>
reiche Pakete, wie z. B. &#x017F;ämmtliche Po&#x017F;tfellei&#x017F;en zwi&#x017F;chen den Zweigpo&#x017F;tämtern und<lb/>
dem Hauptpo&#x017F;tamt, &#x017F;owie zwi&#x017F;chen die&#x017F;em und den ver&#x017F;chiedenen Bahnhöfen der<lb/>
Haupt&#x017F;tadt. Mit der Zeit dürfte die Leitung nach der Bör&#x017F;e, den Docks und den<lb/>
Regierungsämtern ausgebreitet, und durch ganz London verzweigt werden. Zu die-<lb/>
&#x017F;em Zweck beab&#x017F;ichtigt die genannte Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft ein Capital von 250,000 Pf. St. in<lb/>
Acten <hi rendition="#aq">à</hi> 10 Pf. St. aufzunehmen; doch &#x017F;oll anfangs nur eine Probe gemacht werden,<lb/>
und deßhalb be&#x017F;chränkt &#x017F;ie die Actienausgabe vorer&#x017F;t auf 25,000 Pf. St., um eine<lb/>
kurze Hauptlinie anzulegen, deren Ko&#x017F;ten auf 14,000 Pf. St. veran&#x017F;chlagt &#x017F;ind.<lb/>
Er&#x017F;ter Director die&#x017F;er Actienge&#x017F;ell&#x017F;chaft i&#x017F;t der Marquis v. Chandos, dem &#x017F;ich ein-<lb/>
flußreiche Cityleute ange&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en haben. (Was wird die&#x017F;es große Jahrhundert nicht<lb/>
noch alles erfinden!)</p>
          </div>
        </div>
      </div><lb/>
      <div type="jPoliticalNews" n="1">
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Frankreich.</hi> </head><lb/>
          <div type="jComment" n="3">
            <dateline><hi rendition="#b">Parts,</hi> 3 Jun.</dateline><lb/>
            <p>In dem heutigen Artikel Saint Marc Girardins im <hi rendition="#g">Journal des D<hi rendition="#aq">é</hi>-<lb/>
bats,</hi> der als Antwort auf die Friedensbetheuerungen des <hi rendition="#g">Moniteur</hi> und<lb/><hi rendition="#g">Con&#x017F;titutionnel</hi> betrachtet werden kann, hat jenes Journal wieder einen<lb/>
Triumph gefeiert wie in &#x017F;einen be&#x017F;ten Tagen, ehe noch Hr. Billault die letz-<lb/>
ten Re&#x017F;te der unabhängigen Pre&#x017F;&#x017F;e vernichtet hatte. Es war der Ruf eines<lb/>
gepreßten Herzens nach Frieden, es war ein Prote&#x017F;t gegen das wilde Ge&#x017F;chrei<lb/>
des Chauvinismus, es war eine &#x017F;chmerzliche Erinnerung an die Tage Frank-<lb/>
reichs wo die Völker Europa&#x2019;s auf die&#x017F;es Land als den Hort der Freiheit blick-<lb/>
ten. Saint Marc Girardin räth dem kai&#x017F;erlichen Frankreich, damit das tief<lb/>
er&#x017F;chütterte Vertrauen Europa&#x2019;s wiederherge&#x017F;tellt werde, &#x017F;ich zur Einweihung<lb/>
der Friedensära mit einem Parlament zu umgeben, von der morali&#x017F;chen<lb/>
Macht des Zeugniffes das eine &#x017F;olche Ver&#x017F;ammlung ablege &#x017F;ich unter&#x017F;tützen<lb/>
zu la&#x017F;&#x017F;en, dann werde Europa Frankreich Glauben &#x017F;chenken. Hr. Girardin<lb/>
glaubt &#x017F;einen Gedanken in einem Wort zu&#x017F;ammenfa&#x017F;&#x017F;en zu können: das libe-<lb/>
rale Kai&#x017F;erreich i&#x017F;t der Friede. O bittere Ironie! Niemals wird die&#x017F;es Kai-<lb/>
&#x017F;erreich, das keinen andern Willen dulden kann als den eigenen, liberal &#x017F;eyn<lb/>
können. Es kann und darf keinen Wider&#x017F;pruch dulden, nur bequeme und<lb/>
wirk&#x017F;ame Organe &#x017F;eines Willens dürfen es umgeben; das höch&#x017F;te was es er-<lb/>
reichen kann, i&#x017F;t durch die elenden Schöpfungen eines Senats und ge&#x017F;etzgeben-<lb/><cb/>
den Körpers &#x017F;ich einen organi&#x017F;chen <hi rendition="#g">Au&#x017F;chein</hi> zu geben. Ent&#x017F;tanden aus der<lb/>
Fäulniß, wird es weder morali&#x017F;che und gei&#x017F;tige Würde, noch &#x017F;chaffende Kraft<lb/>
für die Entwicklung der innern Nationalzu&#x017F;tände jemals in &#x017F;ich auftreiben<lb/>
können. Sein Leben i&#x017F;t eine bloße Gewaltfri&#x017F;tung. <hi rendition="#aq">Res dissociabiles<lb/>
prineipatum et libertatem,</hi> &#x017F;agt Tacitus, der &#x017F;olche Zu&#x017F;tände kannte. Ge-<lb/>
rade weil die&#x017F;es Kai&#x017F;erthum nicht liberal &#x017F;eyn kann, i&#x017F;t es nicht der Friede,<lb/>
&#x017F;ondern der Krieg, &#x017F;ein inner&#x017F;tes We&#x017F;en drängt es von Gewalt zu Gewalt,<lb/>
zur Ueberfluthung fremder Nationen, zu immer neuer Aggre&#x017F;&#x017F;ion, bis die &#x017F;itt-<lb/>
liche Kraft eines im inner&#x017F;ten empörten Volksgei&#x017F;tes es zu Boden &#x017F;chlägt.<lb/>
So i&#x017F;t das Wort Saint Marc Girardins ein vernichtendes Zeugniß gegen<lb/>
das&#x017F;elbe. Zugleich &#x017F;teht zu be&#x017F;ürchten daß die edle franzö&#x017F;i&#x017F;che Nation von<lb/>
die&#x017F;em arm&#x017F;eligen, ideenlo&#x017F;en Imperialismus &#x017F;elb&#x017F;t zerrieben werde, und eine<lb/>
Ahnung die&#x017F;es Schick&#x017F;als, die einen Theil zu den wilden Expan&#x017F;ionsgelü&#x017F;ten<lb/>
treibt, hat die Be&#x017F;&#x017F;ern die&#x017F;es hochherzigen Volkes behalten, die trauernd ihr<lb/>
Haupt abwenden. Man höre wie Saint Marc Girardin &#x017F;ich unter dem ge-<lb/>
genwärtigen Preß&#x017F;y&#x017F;tem herumwinden muß um der Freiheit eine Ga&#x017F;&#x017F;e zu<lb/>
machen, um einmal wieder von den geliebten verloren gegangenen Freiheiten<lb/>
der Con&#x017F;titution &#x017F;prechen zu können: &#x201E;Es gibt in die&#x017F;em Augenblick, &#x017F;agt er,<lb/>
bei allen aufgeklärten Gei&#x017F;tern ein &#x017F;chweres und unfreiwilliges Vorurtheil, als<lb/>
fürchtete man aller&#x017F;eits daß die gegenwärtige Regierung unvermeidlich auf<lb/>
dem Punkt angekommen &#x017F;ey zwi&#x017F;chen zwei entgegenge&#x017F;etzten Thätigkeiten wäh-<lb/>
len zu mü&#x017F;&#x017F;en, der des Friedens und der des Kriegs. Doch wir haben Unrecht<lb/>
die&#x017F;en Satz aufzu&#x017F;tellen, die Wahl i&#x017F;t bereits ge&#x017F;chehen, Gott &#x017F;ey Dank, für<lb/>
den Frieden. Das kai&#x017F;erliche Programm vom 5 Jan. i&#x017F;t das Programm<lb/>
einer Friedensära und der Commentar des zu Vordeaur ge&#x017F;procheuen<lb/>
Wortes: Das Kai&#x017F;erreich i&#x017F;t der Friede. Wir glauben daß die&#x017F;er kai-<lb/>
&#x017F;erliche Wille fortbe&#x017F;teht, aber die Ereigni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ind oft &#x017F;tärker als der<lb/>
men&#x017F;chliche Wille. Die Gewalt herr&#x017F;cht in Europa. Bereits hat &#x017F;ie<lb/>
in Sicilien ihr Werk begonnen. Ueberall Gründe zum Krieg, alle Län-<lb/>
der in einer &#x017F;ieberhaften Bewegung. Neue Principien und neue Rechte die<lb/>
&#x017F;ich in der Welt einführen wollen. Nach 1848 gab es Ideen die &#x017F;ich damit<lb/>
be&#x017F;chäftigten die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft umzu&#x017F;türzen, wir hatten dann die Doctrinäre der<lb/>
Freiheit und Ordnung, jetzt gibt es Doctrinäre der Eroberung oder der<lb/>
Annexion. Außer der Confu&#x017F;ion der Ereigni&#x017F;&#x017F;e und der Ideen gibt es noch<lb/>
eine andere Ur&#x017F;ache zum Krieg in Europa, das allgemeine Mißtrauen. Alles<lb/>
will den Frieden, und rü&#x017F;tet bis an die Zähne. Wie lange &#x017F;oll die europäi&#x017F;che<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft die&#x017F;en militäri&#x017F;chen Frieden noch aushalten? Gibt es denn kein<lb/>
Mittel die&#x017F;em allgemeinen Mißtrauen ein Ende zu machen? Ver&#x017F;tändige<lb/>
Leute &#x017F;chreiben es großentheils dem Still&#x017F;chweigen zu welches das gegenwärtige<lb/>
R<hi rendition="#aq">é</hi>gime un&#x017F;erer politi&#x017F;chen Ver&#x017F;ammlungen vielleicht mehr noch als un&#x017F;erer<lb/>
In&#x017F;titutionen &#x017F;elb&#x017F;t dem Senat und dem ge&#x017F;etzgebenden Körper über die äußere<lb/>
Politik auferlegt. Die Pre&#x017F;&#x017F;e &#x017F;pricht allerdings &#x017F;owohl täglich wie in Bro-<lb/>
&#x017F;chüren &#x017F;ogar lieber von auswärtigen Angelegenheiten, in dem Maß als &#x017F;ie<lb/>
weniger gern von innern &#x017F;pricht; aber die&#x017F;e Stimme er&#x017F;etzt nicht die Redner-<lb/>
bühne, <hi rendition="#g">ihr mangelt die Autorität.</hi> Die Stimme einer Ver&#x017F;ammlung<lb/>
&#x017F;trei&#x017F;t nahe an ein Factum, an eine Ent&#x017F;cheidung. Könnte man von der<lb/>
Rednerbühne aus in Paris den engli&#x017F;chen oder preußi&#x017F;chen Rednern antwor-<lb/>
ten, dann wüßte man zu London und Berlin be&#x017F;&#x017F;er was man von Frankreich<lb/>
fürchten oder hoffen kann. Ich will nicht &#x017F;agen das Schweigen der franzö-<lb/>
&#x017F;i&#x017F;chen Tribüne &#x017F;ey ein europäi&#x017F;ches Unglück, das hieße dem ge&#x017F;etzgebenden<lb/>
Körper und dem Senat zu &#x017F;ehr &#x017F;chmeicheln, ich denke nicht daran. Ich &#x017F;age<lb/>
nur die&#x017F;es Still&#x017F;chweigen i&#x017F;t eine der Ur&#x017F;achen der Un&#x017F;icherheit der Gei&#x017F;ter und<lb/>
Zu&#x017F;tände in Europa. Ich &#x017F;age es um &#x017F;o lieber, weil ich gern anerkenne daß<lb/>
die franzö&#x017F;i&#x017F;che Regierung weder in Verlegenheit i&#x017F;t zu reden, noch furcht&#x017F;am<lb/>
oder zögernd es zu thun. Sie genügt loyal dem Bedürfniß das Europa hat<lb/>
die Ab&#x017F;ichten Frankreichs zu kennen. Sie &#x017F;pricht klar und nachdrücklich, ich<lb/>
ge&#x017F;tehe es &#x017F;ehr gerne. <hi rendition="#g">Aber es fehlt etwas im Orche&#x017F;ter.</hi> Ich gebe<lb/>
zu daß das In&#x017F;trument de&#x017F;&#x017F;en Abwe&#x017F;enheit ich meine oft zu laut ge&#x017F;pielt<lb/>
hat, und empfindliche Ohren &#x017F;ich an &#x017F;ein Still&#x017F;chweigen gewöhnen konnten.<lb/>
Aber die&#x017F;es Still&#x017F;chweigen wird unzeitgemäß, weil es der Ungewißheit, der<lb/>
Conjectur Thür und Thor öffnet. Man kann mit Sicherheit von einer par-<lb/>
lamentari&#x017F;chen Regierung behaupten daß es Dinge gibt die &#x017F;ie nicht thun<lb/>
wird. Die Macht des Gei&#x017F;tes in dem Parlament &#x017F;temmt &#x017F;ich entgegen. Von<lb/>
einem Land ohne Parlament, das alle innern und auswärtigen Angelegenheiten<lb/>
beräth, kann man nicht &#x017F;agen daß es Dinge gibt die es nicht thun wird. <hi rendition="#g">Es<lb/>
kann alles thun.</hi> Sehr vortheilhaft, wird man &#x017F;agen. Allerdings, aber<lb/>
dann wundere man &#x017F;ich nicht daß eben die&#x017F;er Vortheil für die europäi&#x017F;che<lb/>
Meinung ein Grund des Mißtrauens i&#x017F;t. Man könnte entgegnen, die par-<lb/>
lamentari&#x017F;che Regierung i&#x017F;t ein arm&#x017F;eliges Hülfsmittel für äußere Macht-<lb/>
&#x017F;tellung, dem wider&#x017F;pricht die Ge&#x017F;chichte Englands; aus der Ge&#x017F;chichte Frank-<lb/>
reichs der &#x017F;pani&#x017F;che Krieg 1823, die Expedition nach Algier, die Belagerung Ant-<lb/>
werpens, die Expedition nach Ancona, die Eroberung Algiers unter der Juli-<lb/>
monarchie, die römi&#x017F;che Expedition unter der Prä&#x017F;ident&#x017F;chaft 1849. Man kann<lb/>
viel thun mit parlamentari&#x017F;chen In&#x017F;titutionen. Wenn man etwas mit ihnen<lb/>
nicht ausrichten kann, i&#x017F;t dieß dann gut oder &#x017F;chlimm, daß man es nich kann?<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[2617/0005] hams entſproſſene citoyens français, ſind maſſenhaft eingeiroffen um dem Enthuſiasmus etwas nachzuhelſen und ihr „Geſchäftchen“ zu machen. Die armſeligen Marmottenfänger fühlen endlich das Hochgefühl morgen in der großen Nation aufzugehen. Die Einverleibung kann alſo jeden Augenblick losgehen. Die Schweizer, die damit etwa nicht zufrieden ſind, werden nicht nur nicht gefragt, ſondern ſogar noch im letzten Augenblick von der ſavoyi- ſchen Preſſe mit Spott und Hohn überſchüttet. In denjenigen Gegenden freilich die eidgenöſſiſch zu werden gehofft hatten, ſieht man der Entſcheidungs- ſtunde mit Bangen entgegen; wo es noch geſchehen kann, äußern ſich in oft rührender Weiſe die Sympathien für die Schweiz. So wird z. B. die eid- genöſſiſche Flagge von den Uferbewohnern des Sees gelegentlich mit Hoch- rufen begrüßt, die ſavoyiſche Unterſtützungsgeſellſchaft zeichnet einen bedeu- tenden Preis zu dem Genfer Freiſchießen u. ſ. w. Auch den franzöſiſchen Schweizern ſind nach ſo harten Erfahrungen die Augen aufgegangen; ſie wiſſen nun daß ihre natürlichen Bundesgenoſſen weder jenſeits des Jura noch der Alpen zu ſuchen ſind. Mit wachſenden Sympathien wendet man ſich Deutſchland zu; ich mache Sie in dieſer Hinſicht auf den geſtrigen Leit- artikel des Journal de Genève über Preußen aufmerkſam. Die mannhaften Worte welche der Prinz von Preußen in Saarbrücken geſprochen, haben ein Echo bis an den Genfer See gefunden. — Den Manövern der hieſigen Be- ſatzungstruppen wohnte geſtern der preußiſche General v. Williſen bei. Oberſt Ziegler begleitete ihn. Großbritannien. (Die Londoner Poſt vom 2 Jun. fehlt.) Neben dem Umſtand daß der Pauperismus in England namhaft abge- nommen hat, legen nun auch die Ausweiſe der Sparcaſſen Zeugniß von den beſſeren Verhältniſſen der ärmeren Volksclaſſen ab. Die in dieſen angeleg- ten Capitalien ſind ſeit dem J. 1844 von 29,504,861 Pf. St. auf 38,968,312 Pf. St. geſtiegen. Wenn immer Nothjahre oder Mangel an Beſchäftigung eintreten, zeigt ſich ſofort eine Abnahme in den Einlagen. Am ſchlagendſten war dieß in den Jahren 1847 und 1848 der Fall, und am höchſten ſtiegen die Einlagen im vorigen Jahr. Der Verein zur Unterſtützung nothleidender Ausländer in London hielt dieſer Tage ſeine 54ſte Jahresverſammlung. Er hat ſeit der Zeit ſeiner Gründung viel gutes geſtiftet, und da er nie politiſche Zwecke verfolgte, flie- ßen ihm Unterſtützungsgaben von den verſchiedenſten Parteien zu. Bei der dießmaligen Verſammlung wurden 2160 Pf. St. an freiwilligen Beiträgen gezeichnet. Die Königin ſteuerte 100 Pf. St., der deutſche Kaufmann Gö- ſchen 500 Pf. St. bei. Lord Taunton führte in Abweſenheit des Präſidenten, Grafen Carlisle, den Vorſitz. Es iſt wiederholt, und zwar nicht bloß in England, der Plan in Auregung gebracht worden Briefe und Pakete vermittelſt Luftdrucks durch unterirdiſche Röhren raſch von einem Ort zum andern zu befördern. Bisher war dieſe Methode nur im kleinen von der Londoner „Electric Telegr. Company“ angewendet worden, jetzt aber hat ſich eine eigene Geſellſchaft, unter dem Tuel „Pneumatic Dispatch Company“ gebildet um vermittelſt ſolcher Röhrenleitungen Pakete zwiſchen den Haupt- punkten Londens zu befördern, und zwar nicht bloß kleine, ſondern auch umfang- reiche Pakete, wie z. B. ſämmtliche Poſtfelleiſen zwiſchen den Zweigpoſtämtern und dem Hauptpoſtamt, ſowie zwiſchen dieſem und den verſchiedenen Bahnhöfen der Hauptſtadt. Mit der Zeit dürfte die Leitung nach der Börſe, den Docks und den Regierungsämtern ausgebreitet, und durch ganz London verzweigt werden. Zu die- ſem Zweck beabſichtigt die genannte Geſellſchaft ein Capital von 250,000 Pf. St. in Acten à 10 Pf. St. aufzunehmen; doch ſoll anfangs nur eine Probe gemacht werden, und deßhalb beſchränkt ſie die Actienausgabe vorerſt auf 25,000 Pf. St., um eine kurze Hauptlinie anzulegen, deren Koſten auf 14,000 Pf. St. veranſchlagt ſind. Erſter Director dieſer Actiengeſellſchaft iſt der Marquis v. Chandos, dem ſich ein- flußreiche Cityleute angeſchloſſen haben. (Was wird dieſes große Jahrhundert nicht noch alles erfinden!) Frankreich. Parts, 3 Jun. In dem heutigen Artikel Saint Marc Girardins im Journal des Dé- bats, der als Antwort auf die Friedensbetheuerungen des Moniteur und Conſtitutionnel betrachtet werden kann, hat jenes Journal wieder einen Triumph gefeiert wie in ſeinen beſten Tagen, ehe noch Hr. Billault die letz- ten Reſte der unabhängigen Preſſe vernichtet hatte. Es war der Ruf eines gepreßten Herzens nach Frieden, es war ein Proteſt gegen das wilde Geſchrei des Chauvinismus, es war eine ſchmerzliche Erinnerung an die Tage Frank- reichs wo die Völker Europa’s auf dieſes Land als den Hort der Freiheit blick- ten. Saint Marc Girardin räth dem kaiſerlichen Frankreich, damit das tief erſchütterte Vertrauen Europa’s wiederhergeſtellt werde, ſich zur Einweihung der Friedensära mit einem Parlament zu umgeben, von der moraliſchen Macht des Zeugniffes das eine ſolche Verſammlung ablege ſich unterſtützen zu laſſen, dann werde Europa Frankreich Glauben ſchenken. Hr. Girardin glaubt ſeinen Gedanken in einem Wort zuſammenfaſſen zu können: das libe- rale Kaiſerreich iſt der Friede. O bittere Ironie! Niemals wird dieſes Kai- ſerreich, das keinen andern Willen dulden kann als den eigenen, liberal ſeyn können. Es kann und darf keinen Widerſpruch dulden, nur bequeme und wirkſame Organe ſeines Willens dürfen es umgeben; das höchſte was es er- reichen kann, iſt durch die elenden Schöpfungen eines Senats und geſetzgeben- den Körpers ſich einen organiſchen Auſchein zu geben. Entſtanden aus der Fäulniß, wird es weder moraliſche und geiſtige Würde, noch ſchaffende Kraft für die Entwicklung der innern Nationalzuſtände jemals in ſich auftreiben können. Sein Leben iſt eine bloße Gewaltfriſtung. Res dissociabiles prineipatum et libertatem, ſagt Tacitus, der ſolche Zuſtände kannte. Ge- rade weil dieſes Kaiſerthum nicht liberal ſeyn kann, iſt es nicht der Friede, ſondern der Krieg, ſein innerſtes Weſen drängt es von Gewalt zu Gewalt, zur Ueberfluthung fremder Nationen, zu immer neuer Aggreſſion, bis die ſitt- liche Kraft eines im innerſten empörten Volksgeiſtes es zu Boden ſchlägt. So iſt das Wort Saint Marc Girardins ein vernichtendes Zeugniß gegen dasſelbe. Zugleich ſteht zu beſürchten daß die edle franzöſiſche Nation von dieſem armſeligen, ideenloſen Imperialismus ſelbſt zerrieben werde, und eine Ahnung dieſes Schickſals, die einen Theil zu den wilden Expanſionsgelüſten treibt, hat die Beſſern dieſes hochherzigen Volkes behalten, die trauernd ihr Haupt abwenden. Man höre wie Saint Marc Girardin ſich unter dem ge- genwärtigen Preßſyſtem herumwinden muß um der Freiheit eine Gaſſe zu machen, um einmal wieder von den geliebten verloren gegangenen Freiheiten der Conſtitution ſprechen zu können: „Es gibt in dieſem Augenblick, ſagt er, bei allen aufgeklärten Geiſtern ein ſchweres und unfreiwilliges Vorurtheil, als fürchtete man allerſeits daß die gegenwärtige Regierung unvermeidlich auf dem Punkt angekommen ſey zwiſchen zwei entgegengeſetzten Thätigkeiten wäh- len zu müſſen, der des Friedens und der des Kriegs. Doch wir haben Unrecht dieſen Satz aufzuſtellen, die Wahl iſt bereits geſchehen, Gott ſey Dank, für den Frieden. Das kaiſerliche Programm vom 5 Jan. iſt das Programm einer Friedensära und der Commentar des zu Vordeaur geſprocheuen Wortes: Das Kaiſerreich iſt der Friede. Wir glauben daß dieſer kai- ſerliche Wille fortbeſteht, aber die Ereigniſſe ſind oft ſtärker als der menſchliche Wille. Die Gewalt herrſcht in Europa. Bereits hat ſie in Sicilien ihr Werk begonnen. Ueberall Gründe zum Krieg, alle Län- der in einer ſieberhaften Bewegung. Neue Principien und neue Rechte die ſich in der Welt einführen wollen. Nach 1848 gab es Ideen die ſich damit beſchäftigten die Geſellſchaft umzuſtürzen, wir hatten dann die Doctrinäre der Freiheit und Ordnung, jetzt gibt es Doctrinäre der Eroberung oder der Annexion. Außer der Confuſion der Ereigniſſe und der Ideen gibt es noch eine andere Urſache zum Krieg in Europa, das allgemeine Mißtrauen. Alles will den Frieden, und rüſtet bis an die Zähne. Wie lange ſoll die europäiſche Geſellſchaft dieſen militäriſchen Frieden noch aushalten? Gibt es denn kein Mittel dieſem allgemeinen Mißtrauen ein Ende zu machen? Verſtändige Leute ſchreiben es großentheils dem Stillſchweigen zu welches das gegenwärtige Régime unſerer politiſchen Verſammlungen vielleicht mehr noch als unſerer Inſtitutionen ſelbſt dem Senat und dem geſetzgebenden Körper über die äußere Politik auferlegt. Die Preſſe ſpricht allerdings ſowohl täglich wie in Bro- ſchüren ſogar lieber von auswärtigen Angelegenheiten, in dem Maß als ſie weniger gern von innern ſpricht; aber dieſe Stimme erſetzt nicht die Redner- bühne, ihr mangelt die Autorität. Die Stimme einer Verſammlung ſtreiſt nahe an ein Factum, an eine Entſcheidung. Könnte man von der Rednerbühne aus in Paris den engliſchen oder preußiſchen Rednern antwor- ten, dann wüßte man zu London und Berlin beſſer was man von Frankreich fürchten oder hoffen kann. Ich will nicht ſagen das Schweigen der franzö- ſiſchen Tribüne ſey ein europäiſches Unglück, das hieße dem geſetzgebenden Körper und dem Senat zu ſehr ſchmeicheln, ich denke nicht daran. Ich ſage nur dieſes Stillſchweigen iſt eine der Urſachen der Unſicherheit der Geiſter und Zuſtände in Europa. Ich ſage es um ſo lieber, weil ich gern anerkenne daß die franzöſiſche Regierung weder in Verlegenheit iſt zu reden, noch furchtſam oder zögernd es zu thun. Sie genügt loyal dem Bedürfniß das Europa hat die Abſichten Frankreichs zu kennen. Sie ſpricht klar und nachdrücklich, ich geſtehe es ſehr gerne. Aber es fehlt etwas im Orcheſter. Ich gebe zu daß das Inſtrument deſſen Abweſenheit ich meine oft zu laut geſpielt hat, und empfindliche Ohren ſich an ſein Stillſchweigen gewöhnen konnten. Aber dieſes Stillſchweigen wird unzeitgemäß, weil es der Ungewißheit, der Conjectur Thür und Thor öffnet. Man kann mit Sicherheit von einer par- lamentariſchen Regierung behaupten daß es Dinge gibt die ſie nicht thun wird. Die Macht des Geiſtes in dem Parlament ſtemmt ſich entgegen. Von einem Land ohne Parlament, das alle innern und auswärtigen Angelegenheiten beräth, kann man nicht ſagen daß es Dinge gibt die es nicht thun wird. Es kann alles thun. Sehr vortheilhaft, wird man ſagen. Allerdings, aber dann wundere man ſich nicht daß eben dieſer Vortheil für die europäiſche Meinung ein Grund des Mißtrauens iſt. Man könnte entgegnen, die par- lamentariſche Regierung iſt ein armſeliges Hülfsmittel für äußere Macht- ſtellung, dem widerſpricht die Geſchichte Englands; aus der Geſchichte Frank- reichs der ſpaniſche Krieg 1823, die Expedition nach Algier, die Belagerung Ant- werpens, die Expedition nach Ancona, die Eroberung Algiers unter der Juli- monarchie, die römiſche Expedition unter der Präſidentſchaft 1849. Man kann viel thun mit parlamentariſchen Inſtitutionen. Wenn man etwas mit ihnen nicht ausrichten kann, iſt dieß dann gut oder ſchlimm, daß man es nich kann?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2021-08-16T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

Weitere Informationen:

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine157_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine157_1860/5
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 157, 5. Juni 1860, S. 2617. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine157_1860/5>, abgerufen am 03.12.2024.