Allgemeine Zeitung, Nr. 157, 5. Juni 1860.[Spaltenumbruch]
hams entsprossene citoyens francais, sind massenhaft eingeiroffen um dem Großbritannien. (Die Londoner Post vom 2 Jun. fehlt.) Neben dem Umstand daß der Pauperismus in England namhaft abge- Der Verein zur Unterstützung nothleidender Ausländer in London hielt Es ist wiederholt, und zwar nicht bloß in England, der Plan in Auregung Frankreich. Parts, 3 Jun. In dem heutigen Artikel Saint Marc Girardins im Journal des De- [Spaltenumbruch]
hams entſproſſene citoyens français, ſind maſſenhaft eingeiroffen um dem Großbritannien. (Die Londoner Poſt vom 2 Jun. fehlt.) Neben dem Umſtand daß der Pauperismus in England namhaft abge- Der Verein zur Unterſtützung nothleidender Ausländer in London hielt Es iſt wiederholt, und zwar nicht bloß in England, der Plan in Auregung Frankreich. Parts, 3 Jun. In dem heutigen Artikel Saint Marc Girardins im Journal des Dé- <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div type="jComment" n="3"> <p><pb facs="#f0005" n="2617"/><cb/> hams entſproſſene <hi rendition="#aq">citoyens français,</hi> ſind maſſenhaft eingeiroffen um dem<lb/> Enthuſiasmus etwas nachzuhelſen und ihr „Geſchäftchen“ zu machen. Die<lb/> armſeligen Marmottenfänger fühlen endlich das Hochgefühl morgen in der<lb/> großen Nation aufzugehen. Die Einverleibung kann alſo jeden Augenblick<lb/> losgehen. Die Schweizer, die damit etwa nicht zufrieden ſind, werden nicht<lb/> nur nicht gefragt, ſondern ſogar noch im letzten Augenblick von der ſavoyi-<lb/> ſchen Preſſe mit Spott und Hohn überſchüttet. In denjenigen Gegenden<lb/> freilich die eidgenöſſiſch zu werden gehofft hatten, ſieht man der Entſcheidungs-<lb/> ſtunde mit Bangen entgegen; wo es noch geſchehen kann, äußern ſich in oft<lb/> rührender Weiſe die Sympathien für die Schweiz. So wird z. B. die eid-<lb/> genöſſiſche Flagge von den Uferbewohnern des Sees gelegentlich mit Hoch-<lb/> rufen begrüßt, die ſavoyiſche Unterſtützungsgeſellſchaft zeichnet einen bedeu-<lb/> tenden Preis zu dem Genfer Freiſchießen u. ſ. w. Auch den franzöſiſchen<lb/> Schweizern ſind nach ſo harten Erfahrungen die Augen aufgegangen; ſie<lb/> wiſſen nun daß ihre natürlichen Bundesgenoſſen weder jenſeits des Jura<lb/> noch der Alpen zu ſuchen ſind. Mit wachſenden Sympathien wendet man<lb/> ſich Deutſchland zu; ich mache Sie in dieſer Hinſicht auf den geſtrigen Leit-<lb/> artikel des Journal de Gen<hi rendition="#aq">è</hi>ve über Preußen aufmerkſam. Die mannhaften<lb/> Worte welche der Prinz von Preußen in Saarbrücken geſprochen, haben ein<lb/> Echo bis an den Genfer See gefunden. — Den Manövern der hieſigen Be-<lb/> ſatzungstruppen wohnte geſtern der preußiſche General v. Williſen bei. Oberſt<lb/> Ziegler begleitete ihn.</p> </div> </div> </div><lb/> <div type="jVarious" n="1"> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Großbritannien.</hi> </head><lb/> <argument> <p>(Die Londoner Poſt vom 2 Jun. fehlt.)</p> </argument><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Neben dem Umſtand daß der Pauperismus in England namhaft abge-<lb/> nommen hat, legen nun auch die Ausweiſe der Sparcaſſen Zeugniß von den<lb/> beſſeren Verhältniſſen der ärmeren Volksclaſſen ab. Die in dieſen angeleg-<lb/> ten Capitalien ſind ſeit dem J. 1844 von 29,504,861 Pf. St. auf 38,968,312<lb/> Pf. St. geſtiegen. Wenn immer Nothjahre oder Mangel an Beſchäftigung<lb/> eintreten, zeigt ſich ſofort eine Abnahme in den Einlagen. Am ſchlagendſten<lb/> war dieß in den Jahren 1847 und 1848 der Fall, und am höchſten ſtiegen<lb/> die Einlagen im vorigen Jahr.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Der Verein zur Unterſtützung nothleidender Ausländer in London hielt<lb/> dieſer Tage ſeine 54ſte Jahresverſammlung. Er hat ſeit der Zeit ſeiner<lb/> Gründung viel gutes geſtiftet, und da er nie politiſche Zwecke verfolgte, flie-<lb/> ßen ihm Unterſtützungsgaben von den verſchiedenſten Parteien zu. Bei der<lb/> dießmaligen Verſammlung wurden 2160 Pf. St. an freiwilligen Beiträgen<lb/> gezeichnet. Die Königin ſteuerte 100 Pf. St., der deutſche Kaufmann Gö-<lb/> ſchen 500 Pf. St. bei. Lord Taunton führte in Abweſenheit des Präſidenten,<lb/> Grafen Carlisle, den Vorſitz.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Es iſt wiederholt, und zwar nicht bloß in England, der Plan in Auregung<lb/> gebracht worden Briefe und Pakete vermittelſt Luftdrucks durch unterirdiſche Röhren<lb/> raſch von einem Ort zum andern zu befördern. Bisher war dieſe Methode nur<lb/> im kleinen von der Londoner <hi rendition="#aq">„Electric Telegr. Company“</hi> angewendet worden,<lb/> jetzt aber hat ſich eine eigene Geſellſchaft, unter dem Tuel <hi rendition="#aq">„Pneumatic Dispatch<lb/> Company“</hi> gebildet um vermittelſt ſolcher Röhrenleitungen Pakete zwiſchen den Haupt-<lb/> punkten Londens zu befördern, und zwar nicht bloß kleine, ſondern auch umfang-<lb/> reiche Pakete, wie z. B. ſämmtliche Poſtfelleiſen zwiſchen den Zweigpoſtämtern und<lb/> dem Hauptpoſtamt, ſowie zwiſchen dieſem und den verſchiedenen Bahnhöfen der<lb/> Hauptſtadt. Mit der Zeit dürfte die Leitung nach der Börſe, den Docks und den<lb/> Regierungsämtern ausgebreitet, und durch ganz London verzweigt werden. Zu die-<lb/> ſem Zweck beabſichtigt die genannte Geſellſchaft ein Capital von 250,000 Pf. St. in<lb/> Acten <hi rendition="#aq">à</hi> 10 Pf. St. aufzunehmen; doch ſoll anfangs nur eine Probe gemacht werden,<lb/> und deßhalb beſchränkt ſie die Actienausgabe vorerſt auf 25,000 Pf. St., um eine<lb/> kurze Hauptlinie anzulegen, deren Koſten auf 14,000 Pf. St. veranſchlagt ſind.<lb/> Erſter Director dieſer Actiengeſellſchaft iſt der Marquis v. Chandos, dem ſich ein-<lb/> flußreiche Cityleute angeſchloſſen haben. (Was wird dieſes große Jahrhundert nicht<lb/> noch alles erfinden!)</p> </div> </div> </div><lb/> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Frankreich.</hi> </head><lb/> <div type="jComment" n="3"> <dateline><hi rendition="#b">Parts,</hi> 3 Jun.</dateline><lb/> <p>In dem heutigen Artikel Saint Marc Girardins im <hi rendition="#g">Journal des D<hi rendition="#aq">é</hi>-<lb/> bats,</hi> der als Antwort auf die Friedensbetheuerungen des <hi rendition="#g">Moniteur</hi> und<lb/><hi rendition="#g">Conſtitutionnel</hi> betrachtet werden kann, hat jenes Journal wieder einen<lb/> Triumph gefeiert wie in ſeinen beſten Tagen, ehe noch Hr. Billault die letz-<lb/> ten Reſte der unabhängigen Preſſe vernichtet hatte. Es war der Ruf eines<lb/> gepreßten Herzens nach Frieden, es war ein Proteſt gegen das wilde Geſchrei<lb/> des Chauvinismus, es war eine ſchmerzliche Erinnerung an die Tage Frank-<lb/> reichs wo die Völker Europa’s auf dieſes Land als den Hort der Freiheit blick-<lb/> ten. Saint Marc Girardin räth dem kaiſerlichen Frankreich, damit das tief<lb/> erſchütterte Vertrauen Europa’s wiederhergeſtellt werde, ſich zur Einweihung<lb/> der Friedensära mit einem Parlament zu umgeben, von der moraliſchen<lb/> Macht des Zeugniffes das eine ſolche Verſammlung ablege ſich unterſtützen<lb/> zu laſſen, dann werde Europa Frankreich Glauben ſchenken. Hr. Girardin<lb/> glaubt ſeinen Gedanken in einem Wort zuſammenfaſſen zu können: das libe-<lb/> rale Kaiſerreich iſt der Friede. O bittere Ironie! Niemals wird dieſes Kai-<lb/> ſerreich, das keinen andern Willen dulden kann als den eigenen, liberal ſeyn<lb/> können. Es kann und darf keinen Widerſpruch dulden, nur bequeme und<lb/> wirkſame Organe ſeines Willens dürfen es umgeben; das höchſte was es er-<lb/> reichen kann, iſt durch die elenden Schöpfungen eines Senats und geſetzgeben-<lb/><cb/> den Körpers ſich einen organiſchen <hi rendition="#g">Auſchein</hi> zu geben. Entſtanden aus der<lb/> Fäulniß, wird es weder moraliſche und geiſtige Würde, noch ſchaffende Kraft<lb/> für die Entwicklung der innern Nationalzuſtände jemals in ſich auftreiben<lb/> können. Sein Leben iſt eine bloße Gewaltfriſtung. <hi rendition="#aq">Res dissociabiles<lb/> prineipatum et libertatem,</hi> ſagt Tacitus, der ſolche Zuſtände kannte. Ge-<lb/> rade weil dieſes Kaiſerthum nicht liberal ſeyn kann, iſt es nicht der Friede,<lb/> ſondern der Krieg, ſein innerſtes Weſen drängt es von Gewalt zu Gewalt,<lb/> zur Ueberfluthung fremder Nationen, zu immer neuer Aggreſſion, bis die ſitt-<lb/> liche Kraft eines im innerſten empörten Volksgeiſtes es zu Boden ſchlägt.<lb/> So iſt das Wort Saint Marc Girardins ein vernichtendes Zeugniß gegen<lb/> dasſelbe. Zugleich ſteht zu beſürchten daß die edle franzöſiſche Nation von<lb/> dieſem armſeligen, ideenloſen Imperialismus ſelbſt zerrieben werde, und eine<lb/> Ahnung dieſes Schickſals, die einen Theil zu den wilden Expanſionsgelüſten<lb/> treibt, hat die Beſſern dieſes hochherzigen Volkes behalten, die trauernd ihr<lb/> Haupt abwenden. Man höre wie Saint Marc Girardin ſich unter dem ge-<lb/> genwärtigen Preßſyſtem herumwinden muß um der Freiheit eine Gaſſe zu<lb/> machen, um einmal wieder von den geliebten verloren gegangenen Freiheiten<lb/> der Conſtitution ſprechen zu können: „Es gibt in dieſem Augenblick, ſagt er,<lb/> bei allen aufgeklärten Geiſtern ein ſchweres und unfreiwilliges Vorurtheil, als<lb/> fürchtete man allerſeits daß die gegenwärtige Regierung unvermeidlich auf<lb/> dem Punkt angekommen ſey zwiſchen zwei entgegengeſetzten Thätigkeiten wäh-<lb/> len zu müſſen, der des Friedens und der des Kriegs. Doch wir haben Unrecht<lb/> dieſen Satz aufzuſtellen, die Wahl iſt bereits geſchehen, Gott ſey Dank, für<lb/> den Frieden. Das kaiſerliche Programm vom 5 Jan. iſt das Programm<lb/> einer Friedensära und der Commentar des zu Vordeaur geſprocheuen<lb/> Wortes: Das Kaiſerreich iſt der Friede. Wir glauben daß dieſer kai-<lb/> ſerliche Wille fortbeſteht, aber die Ereigniſſe ſind oft ſtärker als der<lb/> menſchliche Wille. Die Gewalt herrſcht in Europa. Bereits hat ſie<lb/> in Sicilien ihr Werk begonnen. Ueberall Gründe zum Krieg, alle Län-<lb/> der in einer ſieberhaften Bewegung. Neue Principien und neue Rechte die<lb/> ſich in der Welt einführen wollen. Nach 1848 gab es Ideen die ſich damit<lb/> beſchäftigten die Geſellſchaft umzuſtürzen, wir hatten dann die Doctrinäre der<lb/> Freiheit und Ordnung, jetzt gibt es Doctrinäre der Eroberung oder der<lb/> Annexion. Außer der Confuſion der Ereigniſſe und der Ideen gibt es noch<lb/> eine andere Urſache zum Krieg in Europa, das allgemeine Mißtrauen. Alles<lb/> will den Frieden, und rüſtet bis an die Zähne. Wie lange ſoll die europäiſche<lb/> Geſellſchaft dieſen militäriſchen Frieden noch aushalten? Gibt es denn kein<lb/> Mittel dieſem allgemeinen Mißtrauen ein Ende zu machen? Verſtändige<lb/> Leute ſchreiben es großentheils dem Stillſchweigen zu welches das gegenwärtige<lb/> R<hi rendition="#aq">é</hi>gime unſerer politiſchen Verſammlungen vielleicht mehr noch als unſerer<lb/> Inſtitutionen ſelbſt dem Senat und dem geſetzgebenden Körper über die äußere<lb/> Politik auferlegt. Die Preſſe ſpricht allerdings ſowohl täglich wie in Bro-<lb/> ſchüren ſogar lieber von auswärtigen Angelegenheiten, in dem Maß als ſie<lb/> weniger gern von innern ſpricht; aber dieſe Stimme erſetzt nicht die Redner-<lb/> bühne, <hi rendition="#g">ihr mangelt die Autorität.</hi> Die Stimme einer Verſammlung<lb/> ſtreiſt nahe an ein Factum, an eine Entſcheidung. Könnte man von der<lb/> Rednerbühne aus in Paris den engliſchen oder preußiſchen Rednern antwor-<lb/> ten, dann wüßte man zu London und Berlin beſſer was man von Frankreich<lb/> fürchten oder hoffen kann. Ich will nicht ſagen das Schweigen der franzö-<lb/> ſiſchen Tribüne ſey ein europäiſches Unglück, das hieße dem geſetzgebenden<lb/> Körper und dem Senat zu ſehr ſchmeicheln, ich denke nicht daran. Ich ſage<lb/> nur dieſes Stillſchweigen iſt eine der Urſachen der Unſicherheit der Geiſter und<lb/> Zuſtände in Europa. Ich ſage es um ſo lieber, weil ich gern anerkenne daß<lb/> die franzöſiſche Regierung weder in Verlegenheit iſt zu reden, noch furchtſam<lb/> oder zögernd es zu thun. Sie genügt loyal dem Bedürfniß das Europa hat<lb/> die Abſichten Frankreichs zu kennen. Sie ſpricht klar und nachdrücklich, ich<lb/> geſtehe es ſehr gerne. <hi rendition="#g">Aber es fehlt etwas im Orcheſter.</hi> Ich gebe<lb/> zu daß das Inſtrument deſſen Abweſenheit ich meine oft zu laut geſpielt<lb/> hat, und empfindliche Ohren ſich an ſein Stillſchweigen gewöhnen konnten.<lb/> Aber dieſes Stillſchweigen wird unzeitgemäß, weil es der Ungewißheit, der<lb/> Conjectur Thür und Thor öffnet. Man kann mit Sicherheit von einer par-<lb/> lamentariſchen Regierung behaupten daß es Dinge gibt die ſie nicht thun<lb/> wird. Die Macht des Geiſtes in dem Parlament ſtemmt ſich entgegen. Von<lb/> einem Land ohne Parlament, das alle innern und auswärtigen Angelegenheiten<lb/> beräth, kann man nicht ſagen daß es Dinge gibt die es nicht thun wird. <hi rendition="#g">Es<lb/> kann alles thun.</hi> Sehr vortheilhaft, wird man ſagen. Allerdings, aber<lb/> dann wundere man ſich nicht daß eben dieſer Vortheil für die europäiſche<lb/> Meinung ein Grund des Mißtrauens iſt. Man könnte entgegnen, die par-<lb/> lamentariſche Regierung iſt ein armſeliges Hülfsmittel für äußere Macht-<lb/> ſtellung, dem widerſpricht die Geſchichte Englands; aus der Geſchichte Frank-<lb/> reichs der ſpaniſche Krieg 1823, die Expedition nach Algier, die Belagerung Ant-<lb/> werpens, die Expedition nach Ancona, die Eroberung Algiers unter der Juli-<lb/> monarchie, die römiſche Expedition unter der Präſidentſchaft 1849. Man kann<lb/> viel thun mit parlamentariſchen Inſtitutionen. Wenn man etwas mit ihnen<lb/> nicht ausrichten kann, iſt dieß dann gut oder ſchlimm, daß man es nich kann?<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [2617/0005]
hams entſproſſene citoyens français, ſind maſſenhaft eingeiroffen um dem
Enthuſiasmus etwas nachzuhelſen und ihr „Geſchäftchen“ zu machen. Die
armſeligen Marmottenfänger fühlen endlich das Hochgefühl morgen in der
großen Nation aufzugehen. Die Einverleibung kann alſo jeden Augenblick
losgehen. Die Schweizer, die damit etwa nicht zufrieden ſind, werden nicht
nur nicht gefragt, ſondern ſogar noch im letzten Augenblick von der ſavoyi-
ſchen Preſſe mit Spott und Hohn überſchüttet. In denjenigen Gegenden
freilich die eidgenöſſiſch zu werden gehofft hatten, ſieht man der Entſcheidungs-
ſtunde mit Bangen entgegen; wo es noch geſchehen kann, äußern ſich in oft
rührender Weiſe die Sympathien für die Schweiz. So wird z. B. die eid-
genöſſiſche Flagge von den Uferbewohnern des Sees gelegentlich mit Hoch-
rufen begrüßt, die ſavoyiſche Unterſtützungsgeſellſchaft zeichnet einen bedeu-
tenden Preis zu dem Genfer Freiſchießen u. ſ. w. Auch den franzöſiſchen
Schweizern ſind nach ſo harten Erfahrungen die Augen aufgegangen; ſie
wiſſen nun daß ihre natürlichen Bundesgenoſſen weder jenſeits des Jura
noch der Alpen zu ſuchen ſind. Mit wachſenden Sympathien wendet man
ſich Deutſchland zu; ich mache Sie in dieſer Hinſicht auf den geſtrigen Leit-
artikel des Journal de Genève über Preußen aufmerkſam. Die mannhaften
Worte welche der Prinz von Preußen in Saarbrücken geſprochen, haben ein
Echo bis an den Genfer See gefunden. — Den Manövern der hieſigen Be-
ſatzungstruppen wohnte geſtern der preußiſche General v. Williſen bei. Oberſt
Ziegler begleitete ihn.
Großbritannien.
(Die Londoner Poſt vom 2 Jun. fehlt.)
Neben dem Umſtand daß der Pauperismus in England namhaft abge-
nommen hat, legen nun auch die Ausweiſe der Sparcaſſen Zeugniß von den
beſſeren Verhältniſſen der ärmeren Volksclaſſen ab. Die in dieſen angeleg-
ten Capitalien ſind ſeit dem J. 1844 von 29,504,861 Pf. St. auf 38,968,312
Pf. St. geſtiegen. Wenn immer Nothjahre oder Mangel an Beſchäftigung
eintreten, zeigt ſich ſofort eine Abnahme in den Einlagen. Am ſchlagendſten
war dieß in den Jahren 1847 und 1848 der Fall, und am höchſten ſtiegen
die Einlagen im vorigen Jahr.
Der Verein zur Unterſtützung nothleidender Ausländer in London hielt
dieſer Tage ſeine 54ſte Jahresverſammlung. Er hat ſeit der Zeit ſeiner
Gründung viel gutes geſtiftet, und da er nie politiſche Zwecke verfolgte, flie-
ßen ihm Unterſtützungsgaben von den verſchiedenſten Parteien zu. Bei der
dießmaligen Verſammlung wurden 2160 Pf. St. an freiwilligen Beiträgen
gezeichnet. Die Königin ſteuerte 100 Pf. St., der deutſche Kaufmann Gö-
ſchen 500 Pf. St. bei. Lord Taunton führte in Abweſenheit des Präſidenten,
Grafen Carlisle, den Vorſitz.
Es iſt wiederholt, und zwar nicht bloß in England, der Plan in Auregung
gebracht worden Briefe und Pakete vermittelſt Luftdrucks durch unterirdiſche Röhren
raſch von einem Ort zum andern zu befördern. Bisher war dieſe Methode nur
im kleinen von der Londoner „Electric Telegr. Company“ angewendet worden,
jetzt aber hat ſich eine eigene Geſellſchaft, unter dem Tuel „Pneumatic Dispatch
Company“ gebildet um vermittelſt ſolcher Röhrenleitungen Pakete zwiſchen den Haupt-
punkten Londens zu befördern, und zwar nicht bloß kleine, ſondern auch umfang-
reiche Pakete, wie z. B. ſämmtliche Poſtfelleiſen zwiſchen den Zweigpoſtämtern und
dem Hauptpoſtamt, ſowie zwiſchen dieſem und den verſchiedenen Bahnhöfen der
Hauptſtadt. Mit der Zeit dürfte die Leitung nach der Börſe, den Docks und den
Regierungsämtern ausgebreitet, und durch ganz London verzweigt werden. Zu die-
ſem Zweck beabſichtigt die genannte Geſellſchaft ein Capital von 250,000 Pf. St. in
Acten à 10 Pf. St. aufzunehmen; doch ſoll anfangs nur eine Probe gemacht werden,
und deßhalb beſchränkt ſie die Actienausgabe vorerſt auf 25,000 Pf. St., um eine
kurze Hauptlinie anzulegen, deren Koſten auf 14,000 Pf. St. veranſchlagt ſind.
Erſter Director dieſer Actiengeſellſchaft iſt der Marquis v. Chandos, dem ſich ein-
flußreiche Cityleute angeſchloſſen haben. (Was wird dieſes große Jahrhundert nicht
noch alles erfinden!)
Frankreich.
Parts, 3 Jun.
In dem heutigen Artikel Saint Marc Girardins im Journal des Dé-
bats, der als Antwort auf die Friedensbetheuerungen des Moniteur und
Conſtitutionnel betrachtet werden kann, hat jenes Journal wieder einen
Triumph gefeiert wie in ſeinen beſten Tagen, ehe noch Hr. Billault die letz-
ten Reſte der unabhängigen Preſſe vernichtet hatte. Es war der Ruf eines
gepreßten Herzens nach Frieden, es war ein Proteſt gegen das wilde Geſchrei
des Chauvinismus, es war eine ſchmerzliche Erinnerung an die Tage Frank-
reichs wo die Völker Europa’s auf dieſes Land als den Hort der Freiheit blick-
ten. Saint Marc Girardin räth dem kaiſerlichen Frankreich, damit das tief
erſchütterte Vertrauen Europa’s wiederhergeſtellt werde, ſich zur Einweihung
der Friedensära mit einem Parlament zu umgeben, von der moraliſchen
Macht des Zeugniffes das eine ſolche Verſammlung ablege ſich unterſtützen
zu laſſen, dann werde Europa Frankreich Glauben ſchenken. Hr. Girardin
glaubt ſeinen Gedanken in einem Wort zuſammenfaſſen zu können: das libe-
rale Kaiſerreich iſt der Friede. O bittere Ironie! Niemals wird dieſes Kai-
ſerreich, das keinen andern Willen dulden kann als den eigenen, liberal ſeyn
können. Es kann und darf keinen Widerſpruch dulden, nur bequeme und
wirkſame Organe ſeines Willens dürfen es umgeben; das höchſte was es er-
reichen kann, iſt durch die elenden Schöpfungen eines Senats und geſetzgeben-
den Körpers ſich einen organiſchen Auſchein zu geben. Entſtanden aus der
Fäulniß, wird es weder moraliſche und geiſtige Würde, noch ſchaffende Kraft
für die Entwicklung der innern Nationalzuſtände jemals in ſich auftreiben
können. Sein Leben iſt eine bloße Gewaltfriſtung. Res dissociabiles
prineipatum et libertatem, ſagt Tacitus, der ſolche Zuſtände kannte. Ge-
rade weil dieſes Kaiſerthum nicht liberal ſeyn kann, iſt es nicht der Friede,
ſondern der Krieg, ſein innerſtes Weſen drängt es von Gewalt zu Gewalt,
zur Ueberfluthung fremder Nationen, zu immer neuer Aggreſſion, bis die ſitt-
liche Kraft eines im innerſten empörten Volksgeiſtes es zu Boden ſchlägt.
So iſt das Wort Saint Marc Girardins ein vernichtendes Zeugniß gegen
dasſelbe. Zugleich ſteht zu beſürchten daß die edle franzöſiſche Nation von
dieſem armſeligen, ideenloſen Imperialismus ſelbſt zerrieben werde, und eine
Ahnung dieſes Schickſals, die einen Theil zu den wilden Expanſionsgelüſten
treibt, hat die Beſſern dieſes hochherzigen Volkes behalten, die trauernd ihr
Haupt abwenden. Man höre wie Saint Marc Girardin ſich unter dem ge-
genwärtigen Preßſyſtem herumwinden muß um der Freiheit eine Gaſſe zu
machen, um einmal wieder von den geliebten verloren gegangenen Freiheiten
der Conſtitution ſprechen zu können: „Es gibt in dieſem Augenblick, ſagt er,
bei allen aufgeklärten Geiſtern ein ſchweres und unfreiwilliges Vorurtheil, als
fürchtete man allerſeits daß die gegenwärtige Regierung unvermeidlich auf
dem Punkt angekommen ſey zwiſchen zwei entgegengeſetzten Thätigkeiten wäh-
len zu müſſen, der des Friedens und der des Kriegs. Doch wir haben Unrecht
dieſen Satz aufzuſtellen, die Wahl iſt bereits geſchehen, Gott ſey Dank, für
den Frieden. Das kaiſerliche Programm vom 5 Jan. iſt das Programm
einer Friedensära und der Commentar des zu Vordeaur geſprocheuen
Wortes: Das Kaiſerreich iſt der Friede. Wir glauben daß dieſer kai-
ſerliche Wille fortbeſteht, aber die Ereigniſſe ſind oft ſtärker als der
menſchliche Wille. Die Gewalt herrſcht in Europa. Bereits hat ſie
in Sicilien ihr Werk begonnen. Ueberall Gründe zum Krieg, alle Län-
der in einer ſieberhaften Bewegung. Neue Principien und neue Rechte die
ſich in der Welt einführen wollen. Nach 1848 gab es Ideen die ſich damit
beſchäftigten die Geſellſchaft umzuſtürzen, wir hatten dann die Doctrinäre der
Freiheit und Ordnung, jetzt gibt es Doctrinäre der Eroberung oder der
Annexion. Außer der Confuſion der Ereigniſſe und der Ideen gibt es noch
eine andere Urſache zum Krieg in Europa, das allgemeine Mißtrauen. Alles
will den Frieden, und rüſtet bis an die Zähne. Wie lange ſoll die europäiſche
Geſellſchaft dieſen militäriſchen Frieden noch aushalten? Gibt es denn kein
Mittel dieſem allgemeinen Mißtrauen ein Ende zu machen? Verſtändige
Leute ſchreiben es großentheils dem Stillſchweigen zu welches das gegenwärtige
Régime unſerer politiſchen Verſammlungen vielleicht mehr noch als unſerer
Inſtitutionen ſelbſt dem Senat und dem geſetzgebenden Körper über die äußere
Politik auferlegt. Die Preſſe ſpricht allerdings ſowohl täglich wie in Bro-
ſchüren ſogar lieber von auswärtigen Angelegenheiten, in dem Maß als ſie
weniger gern von innern ſpricht; aber dieſe Stimme erſetzt nicht die Redner-
bühne, ihr mangelt die Autorität. Die Stimme einer Verſammlung
ſtreiſt nahe an ein Factum, an eine Entſcheidung. Könnte man von der
Rednerbühne aus in Paris den engliſchen oder preußiſchen Rednern antwor-
ten, dann wüßte man zu London und Berlin beſſer was man von Frankreich
fürchten oder hoffen kann. Ich will nicht ſagen das Schweigen der franzö-
ſiſchen Tribüne ſey ein europäiſches Unglück, das hieße dem geſetzgebenden
Körper und dem Senat zu ſehr ſchmeicheln, ich denke nicht daran. Ich ſage
nur dieſes Stillſchweigen iſt eine der Urſachen der Unſicherheit der Geiſter und
Zuſtände in Europa. Ich ſage es um ſo lieber, weil ich gern anerkenne daß
die franzöſiſche Regierung weder in Verlegenheit iſt zu reden, noch furchtſam
oder zögernd es zu thun. Sie genügt loyal dem Bedürfniß das Europa hat
die Abſichten Frankreichs zu kennen. Sie ſpricht klar und nachdrücklich, ich
geſtehe es ſehr gerne. Aber es fehlt etwas im Orcheſter. Ich gebe
zu daß das Inſtrument deſſen Abweſenheit ich meine oft zu laut geſpielt
hat, und empfindliche Ohren ſich an ſein Stillſchweigen gewöhnen konnten.
Aber dieſes Stillſchweigen wird unzeitgemäß, weil es der Ungewißheit, der
Conjectur Thür und Thor öffnet. Man kann mit Sicherheit von einer par-
lamentariſchen Regierung behaupten daß es Dinge gibt die ſie nicht thun
wird. Die Macht des Geiſtes in dem Parlament ſtemmt ſich entgegen. Von
einem Land ohne Parlament, das alle innern und auswärtigen Angelegenheiten
beräth, kann man nicht ſagen daß es Dinge gibt die es nicht thun wird. Es
kann alles thun. Sehr vortheilhaft, wird man ſagen. Allerdings, aber
dann wundere man ſich nicht daß eben dieſer Vortheil für die europäiſche
Meinung ein Grund des Mißtrauens iſt. Man könnte entgegnen, die par-
lamentariſche Regierung iſt ein armſeliges Hülfsmittel für äußere Macht-
ſtellung, dem widerſpricht die Geſchichte Englands; aus der Geſchichte Frank-
reichs der ſpaniſche Krieg 1823, die Expedition nach Algier, die Belagerung Ant-
werpens, die Expedition nach Ancona, die Eroberung Algiers unter der Juli-
monarchie, die römiſche Expedition unter der Präſidentſchaft 1849. Man kann
viel thun mit parlamentariſchen Inſtitutionen. Wenn man etwas mit ihnen
nicht ausrichten kann, iſt dieß dann gut oder ſchlimm, daß man es nich kann?
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2021-08-16T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |