Allgemeine Zeitung, Nr. 164, 12. Juni 1860.[Spaltenumbruch]
genau beschrieben werden, und über Wiegenlieder, Nationalgesänge, Erzie- Die geniale Verfasserin weiß ganz genau in wie viel Tressen die Kirghis- Um die ermüdende Eintönigkeit einer durch zwei starke Bände sich hinziehen- Bei diesen nationalhistorischen Umrissen wird der Antheil den die Weiber Nach positiven und, wie es scheint, ganz zuverlässigen Angaben der Jour- Mit gleicher Energie wie die geistige Palästra habe die Fürstin Helena Um die Eitelkeiten der Welt dagegen hat sich die junge Dame, wie die Diesen klaren und natürlichen Vorgängen stellt die Gräfin Dora d'Istria Nach ihrem eigenen Geständniß wäre die Gräfin Dora d'Istria bürger- Von Korfu, erzählt sie weiter, sey sie mit ihren Eltern nach Venedig und Pfarrer Hermann von Stäfa habe die Doppelwaise in seine Familie Die reiche, kinderlose, hochgebildete und für die Sache der Hellenen be- So lautet die eigene Erzählung der hochgeborenen Verfasserin. Nur ist Quantum lenta solent inter viburna cupressi? Im Grund ist es aber auch völlig einerlei ob die Verfasserin eine hochge- (Beschluß folgt.) Gedichte von Heinrich Puchta. In einer Auswahl herausgegeben von Albert Knapp. Stuttgart. 1860. (XXIV und 280 S. f.) ** Eine Gabe ächten Werths aus dem Nachlaß eines vortrefflichen *) "Ganz eigen ist's mit mythologischer Frau u. s. w.," sagt Chiron in der "classi-
schen Walpurgisnacht." [Spaltenumbruch]
genau beſchrieben werden, und über Wiegenlieder, Nationalgeſänge, Erzie- Die geniale Verfaſſerin weiß ganz genau in wie viel Treſſen die Kirghis- Um die ermüdende Eintönigkeit einer durch zwei ſtarke Bände ſich hinziehen- Bei dieſen nationalhiſtoriſchen Umriſſen wird der Antheil den die Weiber Nach poſitiven und, wie es ſcheint, ganz zuverläſſigen Angaben der Jour- Mit gleicher Energie wie die geiſtige Paläſtra habe die Fürſtin Helena Um die Eitelkeiten der Welt dagegen hat ſich die junge Dame, wie die Dieſen klaren und natürlichen Vorgängen ſtellt die Gräfin Dora d’Iſtria Nach ihrem eigenen Geſtändniß wäre die Gräfin Dora d’Iſtria bürger- Von Korfu, erzählt ſie weiter, ſey ſie mit ihren Eltern nach Venedig und Pfarrer Hermann von Stäfa habe die Doppelwaiſe in ſeine Familie Die reiche, kinderloſe, hochgebildete und für die Sache der Hellenen be- So lautet die eigene Erzählung der hochgeborenen Verfaſſerin. Nur iſt Quantum lenta solent inter viburna cupressi? Im Grund iſt es aber auch völlig einerlei ob die Verfaſſerin eine hochge- (Beſchluß folgt.) Gedichte von Heinrich Puchta. In einer Auswahl herausgegeben von Albert Knapp. Stuttgart. 1860. (XXIV und 280 S. f.) ** Eine Gabe ächten Werths aus dem Nachlaß eines vortrefflichen *) „Ganz eigen iſt’s mit mythologiſcher Frau u. ſ. w.,“ ſagt Chiron in der „claſſi-
ſchen Walpurgisnacht.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <floatingText> <body> <div type="jFeuilleton" n="1"> <div type="jComment" n="2"> <p><pb facs="#f0010" n="2738"/><cb/> genau beſchrieben werden, und über Wiegenlieder, Nationalgeſänge, Erzie-<lb/> hung und culinariſche Praxis, über Hofintriguen, über galante und ungalante<lb/> Anſichten der Männer vom Weibe, dann über Arbeit und Noth der Ge-<lb/> ringen, über Luxus, Uebermuth und Langeweile der Vornehmen und Reichen<lb/> in beiden Bänden weitläufig verhandelt wird, iſt ſelbſtverſtändlich.</p><lb/> <p>Die geniale Verfaſſerin weiß ganz genau in wie viel Treſſen die Kirghis-<lb/> Kaſakenweiber ihre Haare flechten, wie viel Roth ſie auflegen, und wie das<lb/> Hochzeitcoſtüm der Lappenfrauen beſchaffen iſt. Auch iſt es ihrem Scharfblick<lb/> auf dem Bazar zu Skutari (Skadar) nicht entgangen daß die Weiber gewiſſer<lb/> Albaneſen-Clane ihre Taille nur mit vier fliegenden Schürzen beſchirmen (Bd. <hi rendition="#aq">I.</hi><lb/> S. 272). Dagegen wird den Tſchernagorzen (Montenegrinern) aufs ſtrengſte<lb/> verwieſen daß bei ihnen der abſcheuliche Grundſatz: <hi rendition="#aq">„<hi rendition="#i">Nos femmes sont nos<lb/> mulets,</hi>“</hi> auch in der Praxis allgemeine Geltung hat (<hi rendition="#aq">I.</hi> S. 256).</p><lb/> <p>Um die ermüdende Eintönigkeit einer durch zwei ſtarke Bände ſich hinziehen-<lb/> den Toiletten- und Gynäceumsrecenſion zu vermeiden, kam die edle Kämpin<lb/> für die Vorrechte des weiblichen Geſchlechts auf den klugen Einfall jeder ein-<lb/> zelnen Nationalität, mit Voranſtellung maleriſcher Landſchaftsſchilderungen,<lb/> einen gedrängten Abriß ihres Urſprungs und ihrer politiſchen Geſchichte von<lb/> Anbeginn bis zur Gegenwart vorauszuſchicken, und der <hi rendition="#aq">Condition des fem-<lb/> mes</hi> gleichſam als Folie unterzulegen.</p><lb/> <p>Bei dieſen nationalhiſtoriſchen Umriſſen wird der Antheil den die Weiber<lb/> an den Staatsereigniſſen hatten überall ſorgfältig und theilnehmend heraus-<lb/> gehoben, und allmählich zum Hauptgedanken des ganzen Werkes vorgeſchrit-<lb/> ten: es ſeyen dem ſchönen Geſchlecht in Oſteuropa, wie in der ganzen civili-<lb/> ſirten Welt, bei ſorgfältiger Ausbildung ganz gleiche Befähigungen und Recht,<lb/> mit den Männern in Wiſſenſchaft und Staatsgeſchäften einzuräumen. Daß<lb/> aber die geiſtvolle Gräfin die Argumente für ihre Frauen-Rehabilitirungs-<lb/> theſis vorzüglich aus der Geſchichte der Ruſſen, der Polen und der Byzantiner<lb/> genommen hat und nehmen mußte, wird der Leſer ohne Mahnung voraus<lb/> errathen. Doch wollen wir, bei der Unmöglichkeit den aus hundert ſelbſtän-<lb/> digen Bruchſtücken beſtehenden Geſammtinhalt der beiden Bände unter einen<lb/> Geſichtspunkt zu bringen und kritiſch zu beleuchten, mit Umgehung aller übri-<lb/> gen Nationalitäten nur über die Stellung des Weibes bei den Griechen und<lb/> bei den Ruſſen einiges bemerken, und die Argumentation der hochgeborenen<lb/> Gräfin, beſonders was die Griechen betrifft, etwas genauer prüfen. Die<lb/> Griechen wählen wir für unſere Expoſition, weil ſie der Augapfel des Abend-<lb/> landes ſind, und nebenher in Litteratur und Politik noch allerlei Anfechtungen<lb/> zu erleiden haben. Die Ruſſen, die wie eine ſchwarze Wolke unheimlich am<lb/> Oſtrande Europa’s hängen und ſich wie ein Eisgletſcher langſam vorwärts<lb/> ſchieben, darf man ohnehin nirgends überſehen wo von der Politik und von<lb/> der Gegenwart und Zukunft Europa’s und Aſiens geredet wird. Um aber die<lb/> Sache recht kräftig, durchſichtig und dem Leſer leicht verſtändlich zu machen,<lb/> wird zuerſt noch über die perſönlichen Schickſale der edlen Verfaſſerin ſo wie<lb/> über den Geiſt ihres Buches im allgemeinen das nöthige zu ſagen ſeyn.</p><lb/> <p>Nach poſitiven und, wie es ſcheint, ganz zuverläſſigen Angaben der Jour-<lb/> nale ſteckt unter dem Schriftſtellernamen „Comteſſe Dora d’Iſtria,“ die am<lb/> 22 Jan. 1829 zu Bukureſcht geborene, mit außerordentlichen Naturanlagen<lb/> ausgeſtattete, im Februar 1849 mit dem ruſſiſchen Fürſten Koltzoff-Maſſalski<lb/> vermählte, jetzt einunddreißigjährige Prinzeſſin Helena Ghika, Tochter des<lb/> Fürſten Michael Ghika, deſſen Familie bekanntlich vor Jahrhunderten aus<lb/> Albanien in die Walachei überſiedelte, und verſchiedene ihrer Angehörigen<lb/> als Hoſpodare von Moldo-Wlachien in den Süddonauländern eine bedeutende<lb/> Rolle ſpielen ſah.</p><lb/> <p>Mit gleicher Energie wie die geiſtige Paläſtra habe die Fürſtin Helena<lb/> auch die Gymnaſtik cultivirt, und es namentlich im Schwimmen und Berg-<lb/> ſteigen zu einer Virtuoſität gebracht die man ſelbſt an einem Mann bewun-<lb/> dern müßte.</p><lb/> <p>Um die Eitelkeiten der Welt dagegen hat ſich die junge Dame, wie die<lb/> Nymphe der Fabelwelt, offenbar nicht viel bekümmert, und überall ſchmuckloſe<lb/> Einfachheit ſich zum Geſetz gemacht.</p><lb/> <p>Dieſen klaren und natürlichen Vorgängen ſtellt die Gräfin Dora d’Iſtria<lb/> im Eingang ihres neueſten Werkes eine durchaus widerſprechende und häufig<lb/> an das Romanhafte ſtreifende Selbſtbiographie entgegen, zu welcher, wenn ſie<lb/> rein erdichtet iſt, der Leſer das Motiv nicht finden kann, die aber, wenn wahr,<lb/> alle in den Journalen umlaufenden Notizen Lügen ſtraft.</p><lb/> <p>Nach ihrem eigenen Geſtändniß wäre die Gräfin Dora d’Iſtria bürger-<lb/> licher Abkunft, und aus dem in Europa ſeines traurigen Schickſals wegen all-<lb/> gemein bekannten chriſtlich-albaneſiſchen Küſtenſtädtchen Parga gebürtig. Dieſe<lb/> kleine unter brittiſchem Schutz ſtehende Republik wurde, wie bekannt, durch<lb/> den Lord Obercommiſſär der Joniſchen Inſeln, Thomas Maitland, im Jahr<lb/> 1819 um einige hunderttauſend Pfund an Ali Paſcha von Janina ausgeliefert<lb/> und von den Einwohnern verlaſſen, die mit ihren kleinen Entſchädigungs-<lb/> ſummen eine neue Niederlaſſung auf der nahen Inſel Korfu zu gründen ſuch-<lb/> ten. Die Gräfin will ſich noch der Exodus erinnern, und ſie kann auf dieſe<lb/> Angabe hin nicht ſpäter als um das Jahr 1817 geboren ſeyn.</p><lb/> <cb/> <p>Von Korfu, erzählt ſie weiter, ſey ſie mit ihren Eltern nach Venedig und<lb/> dann über den kleinen Bernhard an die griechenfreundlichen Ufer des Züricher<lb/> Sees gewandert, wo aber nach kurzer Friſt zuerſt die Mutter und bald nach-<lb/> her auch der Vater dem Kummer und dem Heimweh nach den Olivenhainen<lb/> von Parga erlegen ſey.</p><lb/> <p>Pfarrer Hermann von Stäfa habe die Doppelwaiſe in ſeine Familie<lb/> aufgenommen, und ſpäter das geiſtvolle Albaneſenkind der Herzogin v. Melly<lb/> auf ihrer Villa in Stäfa vorgeſtellt.</p><lb/> <p>Die reiche, kinderloſe, hochgebildete und für die Sache der Hellenen be-<lb/> geiſterte Wittwe habe an dem verlaſſenen Weſen ihr Wohlgefallen gefunden,<lb/> und es als Erſatz für den ihr ſelbſt verſagten Kinderſegen gleichſam als<lb/> Tochter angenommen und für die Ausbildung des jungen Geſchöpfes nichts<lb/> geſpart, zuerſt in einem Inſtitut zu Genf und dann in Paris unter der Ober-<lb/> leitung der Herzogin ſelbſt.</p><lb/> <p>So lautet die eigene Erzählung der hochgeborenen Verfaſſerin. Nur iſt<lb/> es auffallend, wo nicht gar verdächtig, daß die Selbſtbiographin die Chronologie<lb/> völlig ignorirt,<note place="foot" n="*)">„Ganz eigen iſt’s mit mythologiſcher Frau u. ſ. w.,“ ſagt Chiron in der „claſſi-<lb/> ſchen Walpurgisnacht.“</note> und ſelbſt des Datums ihrer eigenen Geburt und Schickſals-<lb/> epochen ſowie ihrer Wanderungen und der endlichen Kataſtrophe ihrer Eltern<lb/> mit keiner Sylbe gedenkt, ja nicht einmal die Namen der letzteren nennt, wäh-<lb/> rend die biographiſchen Journalnotizen die wichtigſten Momente ihres Lebens<lb/> mit einer Präciſion feſtſtellen die eine innige Vertrautheit mit den Familien-<lb/> angelegenheiten des Hauſes Ghika verräth, und folglich keinen Widerſpruch zu<lb/> dulden ſcheint. Warum hat die edle Gräfin, wenn ſie wirklich dichtet, dieſen<lb/> Weg eingeſchlagen und die Leſewelt durch Fabeln und miraculöſe Abenteuer<lb/> für ihre erlauchte Perſon zu intereſſiren geſucht? Ein ethnographiſches Werk<lb/> verträgt ſich ſchlecht mit Poeſie, und iſt es der genialen Verfaſſerin etwa nicht<lb/> Ruhmes genug über die meiſten ihrer Schreibgenoſſen emporzuragen?</p><lb/> <p> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#aq">Quantum lenta solent inter viburna cupressi?</hi> </hi> </p><lb/> <p>Im Grund iſt es aber auch völlig einerlei ob die Verfaſſerin eine hochge-<lb/> borene Fürſtin oder ein armes Albaneſenkind aus Parga iſt. Der Geiſt,<lb/> nicht der Stammbaum gibt das Maß in der Wiſſenſchaft. Für uns bleibt<lb/> die erlauchte Gräfin nach ihrem eigenen Willen die pargiotiſche Pflegetochter<lb/> einer hochgeborenen Dame aus Paris, die vielleicht gar nicht exiſtirt. Mag<lb/> nun die Erziehung der Gräfin Dora d’Iſtria wirklich durch eine Herzogin de<lb/> Melly oder durch die Sorgfalt des fürſtlichen Hauſes Ghika geleitet worden<lb/> ſeyn, die Ausbildung war in jedem Falle claſſiſch. Neben dem Lateiniſchen<lb/> und Altgriechiſchen wurden alle lebenden Sprachen Europa’s gelernt. In<lb/> den Geiſt der althelleniſchen Litteratur wurde die Gräfin von dem ausgezeich-<lb/> neten griechiſchen Gelehrten Papadopulos eingeweiht. Das ganze gramma-<lb/> tiſche, hiſtoriſche, geographiſche, antiquariſche, politiſche, religiöſe und philo-<lb/> ſophiſche Wiſſen des Abendlandes wurde von dieſer merkwürdigen Albaneſin<lb/> aufgeſogen. Die „Adoptivtochter der Herzogin v. Melly“ war, wie ſie ſelbſt<lb/> anzudeuten ſcheint, ſelbſt in Paris ein Phänomen. Zugleich wäre ſie unter<lb/> dem ſeit der Fabelzeit in Europa ſitzenden Volke der Albanier das erſte weib-<lb/> liche Weſen das in der Litteratur einen berühmten Namen erworben hat.<lb/> Denn die beiden Königinnen Olympias und Teuta haben ſich, ſo viel man<lb/> weiß, nicht viel mit Gelehrſamkeit beſchäftigt. Wenn die Gräfin in ihrem<lb/> neueſten Werk Stellen aus Heſiodus, Ariſtophanes und den Tragikern citirt,<lb/> und nebenher glänzende Proben ihrer lateiniſchen Gelehrſamkeit ſpendet, wird<lb/> ſich unter ſolchen Umſtänden niemand verwundern. Wohl aber muß man<lb/> mit Recht erſtaunen daß dieſes mächtige Ingenium ſelbſt vor der abſtruſen<lb/> Tiefe der deutſchen Philoſophie nicht erſchrak. Um die am Weibe haftenden<lb/> Mängel als urſprünglich und angeboren zu entſchuldigen, wird (Buch <hi rendition="#aq">II</hi>,<lb/> S. 288, Note 1) Kant über die Vernunftreligion citirt. 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Ztg. 1858).<lb/> „Es iſt,“ heißt es in dem Vorwort des Herausgebers, „ein Gefühl wehmü-<lb/> thigen Vermiſſens und unzertrennlicher Liebe womit ich es unternehme dieſen<lb/> verhältnißmäßig ſparſamen Auszug der Poeſien eines Freundes zu bevor-<lb/> worten, den ich von der erſten nähern Bekanntſchaft mit ſeinem klaren, hoch-<lb/> begabten und durchgebildeten Geiſt zu den liebenswürdigſten Menſchen ge-<lb/> zählt habe, und der, nach menſchlichem Urtheil, viel zu früh von dieſer Welt<lb/> geſchieden iſt. Sein Familienname hat in Deutſchland von langeher einen<lb/> guten Klang. Welcher Juriſt kennt nicht den trefflichen, i. J. 1846 zu Ber-<lb/> lin entſchlafenen Rechtsgelehrten Puchta? Ich glaube nicht zu irren wenn<lb/></p> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [2738/0010]
genau beſchrieben werden, und über Wiegenlieder, Nationalgeſänge, Erzie-
hung und culinariſche Praxis, über Hofintriguen, über galante und ungalante
Anſichten der Männer vom Weibe, dann über Arbeit und Noth der Ge-
ringen, über Luxus, Uebermuth und Langeweile der Vornehmen und Reichen
in beiden Bänden weitläufig verhandelt wird, iſt ſelbſtverſtändlich.
Die geniale Verfaſſerin weiß ganz genau in wie viel Treſſen die Kirghis-
Kaſakenweiber ihre Haare flechten, wie viel Roth ſie auflegen, und wie das
Hochzeitcoſtüm der Lappenfrauen beſchaffen iſt. Auch iſt es ihrem Scharfblick
auf dem Bazar zu Skutari (Skadar) nicht entgangen daß die Weiber gewiſſer
Albaneſen-Clane ihre Taille nur mit vier fliegenden Schürzen beſchirmen (Bd. I.
S. 272). Dagegen wird den Tſchernagorzen (Montenegrinern) aufs ſtrengſte
verwieſen daß bei ihnen der abſcheuliche Grundſatz: „Nos femmes sont nos
mulets,“ auch in der Praxis allgemeine Geltung hat (I. S. 256).
Um die ermüdende Eintönigkeit einer durch zwei ſtarke Bände ſich hinziehen-
den Toiletten- und Gynäceumsrecenſion zu vermeiden, kam die edle Kämpin
für die Vorrechte des weiblichen Geſchlechts auf den klugen Einfall jeder ein-
zelnen Nationalität, mit Voranſtellung maleriſcher Landſchaftsſchilderungen,
einen gedrängten Abriß ihres Urſprungs und ihrer politiſchen Geſchichte von
Anbeginn bis zur Gegenwart vorauszuſchicken, und der Condition des fem-
mes gleichſam als Folie unterzulegen.
Bei dieſen nationalhiſtoriſchen Umriſſen wird der Antheil den die Weiber
an den Staatsereigniſſen hatten überall ſorgfältig und theilnehmend heraus-
gehoben, und allmählich zum Hauptgedanken des ganzen Werkes vorgeſchrit-
ten: es ſeyen dem ſchönen Geſchlecht in Oſteuropa, wie in der ganzen civili-
ſirten Welt, bei ſorgfältiger Ausbildung ganz gleiche Befähigungen und Recht,
mit den Männern in Wiſſenſchaft und Staatsgeſchäften einzuräumen. Daß
aber die geiſtvolle Gräfin die Argumente für ihre Frauen-Rehabilitirungs-
theſis vorzüglich aus der Geſchichte der Ruſſen, der Polen und der Byzantiner
genommen hat und nehmen mußte, wird der Leſer ohne Mahnung voraus
errathen. Doch wollen wir, bei der Unmöglichkeit den aus hundert ſelbſtän-
digen Bruchſtücken beſtehenden Geſammtinhalt der beiden Bände unter einen
Geſichtspunkt zu bringen und kritiſch zu beleuchten, mit Umgehung aller übri-
gen Nationalitäten nur über die Stellung des Weibes bei den Griechen und
bei den Ruſſen einiges bemerken, und die Argumentation der hochgeborenen
Gräfin, beſonders was die Griechen betrifft, etwas genauer prüfen. Die
Griechen wählen wir für unſere Expoſition, weil ſie der Augapfel des Abend-
landes ſind, und nebenher in Litteratur und Politik noch allerlei Anfechtungen
zu erleiden haben. Die Ruſſen, die wie eine ſchwarze Wolke unheimlich am
Oſtrande Europa’s hängen und ſich wie ein Eisgletſcher langſam vorwärts
ſchieben, darf man ohnehin nirgends überſehen wo von der Politik und von
der Gegenwart und Zukunft Europa’s und Aſiens geredet wird. Um aber die
Sache recht kräftig, durchſichtig und dem Leſer leicht verſtändlich zu machen,
wird zuerſt noch über die perſönlichen Schickſale der edlen Verfaſſerin ſo wie
über den Geiſt ihres Buches im allgemeinen das nöthige zu ſagen ſeyn.
Nach poſitiven und, wie es ſcheint, ganz zuverläſſigen Angaben der Jour-
nale ſteckt unter dem Schriftſtellernamen „Comteſſe Dora d’Iſtria,“ die am
22 Jan. 1829 zu Bukureſcht geborene, mit außerordentlichen Naturanlagen
ausgeſtattete, im Februar 1849 mit dem ruſſiſchen Fürſten Koltzoff-Maſſalski
vermählte, jetzt einunddreißigjährige Prinzeſſin Helena Ghika, Tochter des
Fürſten Michael Ghika, deſſen Familie bekanntlich vor Jahrhunderten aus
Albanien in die Walachei überſiedelte, und verſchiedene ihrer Angehörigen
als Hoſpodare von Moldo-Wlachien in den Süddonauländern eine bedeutende
Rolle ſpielen ſah.
Mit gleicher Energie wie die geiſtige Paläſtra habe die Fürſtin Helena
auch die Gymnaſtik cultivirt, und es namentlich im Schwimmen und Berg-
ſteigen zu einer Virtuoſität gebracht die man ſelbſt an einem Mann bewun-
dern müßte.
Um die Eitelkeiten der Welt dagegen hat ſich die junge Dame, wie die
Nymphe der Fabelwelt, offenbar nicht viel bekümmert, und überall ſchmuckloſe
Einfachheit ſich zum Geſetz gemacht.
Dieſen klaren und natürlichen Vorgängen ſtellt die Gräfin Dora d’Iſtria
im Eingang ihres neueſten Werkes eine durchaus widerſprechende und häufig
an das Romanhafte ſtreifende Selbſtbiographie entgegen, zu welcher, wenn ſie
rein erdichtet iſt, der Leſer das Motiv nicht finden kann, die aber, wenn wahr,
alle in den Journalen umlaufenden Notizen Lügen ſtraft.
Nach ihrem eigenen Geſtändniß wäre die Gräfin Dora d’Iſtria bürger-
licher Abkunft, und aus dem in Europa ſeines traurigen Schickſals wegen all-
gemein bekannten chriſtlich-albaneſiſchen Küſtenſtädtchen Parga gebürtig. Dieſe
kleine unter brittiſchem Schutz ſtehende Republik wurde, wie bekannt, durch
den Lord Obercommiſſär der Joniſchen Inſeln, Thomas Maitland, im Jahr
1819 um einige hunderttauſend Pfund an Ali Paſcha von Janina ausgeliefert
und von den Einwohnern verlaſſen, die mit ihren kleinen Entſchädigungs-
ſummen eine neue Niederlaſſung auf der nahen Inſel Korfu zu gründen ſuch-
ten. Die Gräfin will ſich noch der Exodus erinnern, und ſie kann auf dieſe
Angabe hin nicht ſpäter als um das Jahr 1817 geboren ſeyn.
Von Korfu, erzählt ſie weiter, ſey ſie mit ihren Eltern nach Venedig und
dann über den kleinen Bernhard an die griechenfreundlichen Ufer des Züricher
Sees gewandert, wo aber nach kurzer Friſt zuerſt die Mutter und bald nach-
her auch der Vater dem Kummer und dem Heimweh nach den Olivenhainen
von Parga erlegen ſey.
Pfarrer Hermann von Stäfa habe die Doppelwaiſe in ſeine Familie
aufgenommen, und ſpäter das geiſtvolle Albaneſenkind der Herzogin v. Melly
auf ihrer Villa in Stäfa vorgeſtellt.
Die reiche, kinderloſe, hochgebildete und für die Sache der Hellenen be-
geiſterte Wittwe habe an dem verlaſſenen Weſen ihr Wohlgefallen gefunden,
und es als Erſatz für den ihr ſelbſt verſagten Kinderſegen gleichſam als
Tochter angenommen und für die Ausbildung des jungen Geſchöpfes nichts
geſpart, zuerſt in einem Inſtitut zu Genf und dann in Paris unter der Ober-
leitung der Herzogin ſelbſt.
So lautet die eigene Erzählung der hochgeborenen Verfaſſerin. Nur iſt
es auffallend, wo nicht gar verdächtig, daß die Selbſtbiographin die Chronologie
völlig ignorirt, *) und ſelbſt des Datums ihrer eigenen Geburt und Schickſals-
epochen ſowie ihrer Wanderungen und der endlichen Kataſtrophe ihrer Eltern
mit keiner Sylbe gedenkt, ja nicht einmal die Namen der letzteren nennt, wäh-
rend die biographiſchen Journalnotizen die wichtigſten Momente ihres Lebens
mit einer Präciſion feſtſtellen die eine innige Vertrautheit mit den Familien-
angelegenheiten des Hauſes Ghika verräth, und folglich keinen Widerſpruch zu
dulden ſcheint. Warum hat die edle Gräfin, wenn ſie wirklich dichtet, dieſen
Weg eingeſchlagen und die Leſewelt durch Fabeln und miraculöſe Abenteuer
für ihre erlauchte Perſon zu intereſſiren geſucht? Ein ethnographiſches Werk
verträgt ſich ſchlecht mit Poeſie, und iſt es der genialen Verfaſſerin etwa nicht
Ruhmes genug über die meiſten ihrer Schreibgenoſſen emporzuragen?
Quantum lenta solent inter viburna cupressi?
Im Grund iſt es aber auch völlig einerlei ob die Verfaſſerin eine hochge-
borene Fürſtin oder ein armes Albaneſenkind aus Parga iſt. Der Geiſt,
nicht der Stammbaum gibt das Maß in der Wiſſenſchaft. Für uns bleibt
die erlauchte Gräfin nach ihrem eigenen Willen die pargiotiſche Pflegetochter
einer hochgeborenen Dame aus Paris, die vielleicht gar nicht exiſtirt. Mag
nun die Erziehung der Gräfin Dora d’Iſtria wirklich durch eine Herzogin de
Melly oder durch die Sorgfalt des fürſtlichen Hauſes Ghika geleitet worden
ſeyn, die Ausbildung war in jedem Falle claſſiſch. Neben dem Lateiniſchen
und Altgriechiſchen wurden alle lebenden Sprachen Europa’s gelernt. In
den Geiſt der althelleniſchen Litteratur wurde die Gräfin von dem ausgezeich-
neten griechiſchen Gelehrten Papadopulos eingeweiht. Das ganze gramma-
tiſche, hiſtoriſche, geographiſche, antiquariſche, politiſche, religiöſe und philo-
ſophiſche Wiſſen des Abendlandes wurde von dieſer merkwürdigen Albaneſin
aufgeſogen. Die „Adoptivtochter der Herzogin v. Melly“ war, wie ſie ſelbſt
anzudeuten ſcheint, ſelbſt in Paris ein Phänomen. Zugleich wäre ſie unter
dem ſeit der Fabelzeit in Europa ſitzenden Volke der Albanier das erſte weib-
liche Weſen das in der Litteratur einen berühmten Namen erworben hat.
Denn die beiden Königinnen Olympias und Teuta haben ſich, ſo viel man
weiß, nicht viel mit Gelehrſamkeit beſchäftigt. Wenn die Gräfin in ihrem
neueſten Werk Stellen aus Heſiodus, Ariſtophanes und den Tragikern citirt,
und nebenher glänzende Proben ihrer lateiniſchen Gelehrſamkeit ſpendet, wird
ſich unter ſolchen Umſtänden niemand verwundern. Wohl aber muß man
mit Recht erſtaunen daß dieſes mächtige Ingenium ſelbſt vor der abſtruſen
Tiefe der deutſchen Philoſophie nicht erſchrak. Um die am Weibe haftenden
Mängel als urſprünglich und angeboren zu entſchuldigen, wird (Buch II,
S. 288, Note 1) Kant über die Vernunftreligion citirt. Wir ſetzen voraus
daß die Verfaſſerin das Kant’ſche Citat ſelbſt erhoben und nicht von einem
ihrer litterariſchen Freunde erhalten hat.
(Beſchluß folgt.)
Gedichte von Heinrich Puchta.
In einer Auswahl herausgegeben von Albert Knapp. Stuttgart. 1860.
(XXIV und 280 S. f.)
** Eine Gabe ächten Werths aus dem Nachlaß eines vortrefflichen
Mannes, des am 12 Sept. 1858 heimgegangenen erſten evangel. Stadtpfar-
rers an der Barfüßerkirche in Augsburg. (S. Nr. 268 der Allg. Ztg. 1858).
„Es iſt,“ heißt es in dem Vorwort des Herausgebers, „ein Gefühl wehmü-
thigen Vermiſſens und unzertrennlicher Liebe womit ich es unternehme dieſen
verhältnißmäßig ſparſamen Auszug der Poeſien eines Freundes zu bevor-
worten, den ich von der erſten nähern Bekanntſchaft mit ſeinem klaren, hoch-
begabten und durchgebildeten Geiſt zu den liebenswürdigſten Menſchen ge-
zählt habe, und der, nach menſchlichem Urtheil, viel zu früh von dieſer Welt
geſchieden iſt. Sein Familienname hat in Deutſchland von langeher einen
guten Klang. Welcher Juriſt kennt nicht den trefflichen, i. J. 1846 zu Ber-
lin entſchlafenen Rechtsgelehrten Puchta? Ich glaube nicht zu irren wenn
*) „Ganz eigen iſt’s mit mythologiſcher Frau u. ſ. w.,“ ſagt Chiron in der „claſſi-
ſchen Walpurgisnacht.“
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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