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Allgemeine Zeitung, Nr. 164, 12. Juni 1860.

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[Spaltenumbruch] ich die bekannteren Glieder dieser Familie von vornherein als ungewöhnlich
begabte, vollkräftige Naturen bezeichne. Eine dieser reich angelegten, nach
Leib und Geist edel und schön ausgeprägten Naturen war auch der früh heim-
gerufene Dichter, dessen Dichtungen ich hier aus einer Menge zerstreuter
Materialien und Quellen in einer mäßigen Auswahl zusammengestellt habe,
um demselben noch spät einen Kranz um sein würdiges Haupt zu winden,
seiner Familie ein Denkmal seines Strebens zu setzen, und auch weitern Krei-
sen das Bild eines ächten Dichters vor das Auge zu stellen." ... Und am
Schluß einer ebenso getreu wie liebevoll gezeichneten Lebensskizze: "Bei Ver-
öffentlichung dieser Auswahl, deren erstes und zweites Buch den jugendlichen
Jahren des Dichters angehört, während im dritten Buch nur eine sehr mäßige
Wahl seiner geistlichen Gesänge zur Vervollständigung des poetischen Ge
sammtbildes gegeben ist, empfinde ich tief wie viel reicher und kräftiger die
Sammlung ausgefallen seyn würde, wäre es meinem vollendeten Freund an-
gelegen, und zuletzt möglich, gewesen ein Buch dieser Art seiner eigenen Mei-
sterhand zu entlassen. Da jedoch ein bedeutender Theil seiner Dichtungen,
der theilweise die tiefsten Geistes- und Gemüthsergießungen enthält, nicht
für die Augen einer größern Lesewelt sich eignet, so gemahnt mich's beim Ueber-
blick derselben wehmüthig an die Perte du Rhone, an jenes unterirdische
Felsenbett durch welches die Rhone ihre jugendlich brausenden Wellen hin-
durchdrängt, und ich muß mich begnügen eine meinem Herzen ungemein theure
Arbeit nicht zur Hälfte gethan, den Lesern somit hier nur das Bruchstück eines
unvergeßlichen Lebens vorgelegt zu haben."

Puchta war ein Jugendfreund Platens, und wie dieser -- der in seinem
Tagebuch desselben mehrmals gedenkt -- "die Kunst zu lernen nie zu träge."
Seine Gedichte wetteifern an Reinheit und Vollendung der Form mit denen
seines Vorbilds, so wie er denn auch seiner Zeit die beste Nänie auf Platens
Tod gesungen hat. *) Die stärkste Kürzung hat, scheint es, die Rubrik der
Sonette erlitten, und zwar, wie man schließen muß, durch die Bescheidenheit
der würdigen Wittwe des Dichters -- "seiner," wie Knapp sagt, "von ihm
so innig und eigentlich fürstlich besungenen Gattin Eugenie." Von 270 sind
nur etwa 100 mitgetheilt, darunter eine Paraphrase der Hauptstellen aus
Jesaias. An Gedankenfülle und rhythmischer Schönheit wetteifert mit den
Platen'schen Hymnen "das neue Griechenland," an Fallmerayer gerichtet, an
dessen Ansichten über den Untergang der alten Hellenenstämme die Dichtung
anknüpft; jedoch mit der tröstlichen Schlußstrophe:

Hinweg des Unheils lähmendes Bild, hinweg!
Die Todten, spricht Gott, mögen begraben ihre Todten,
Doch meine Werke sollen bestehn! Der entartete Stamm
Trägt keine Früchte mehr. Mag er vergehn! Hoch strebt
Mit lebendiger Kraft neuer jugendlich frischer Anwuchs.
Mit neuen Sternen segelt das Schiff. Am Steuer sitzt
Des heiligen Deutschlands keuscher Sohn. Einst lenkte
Ein fremder Held sein Steuer zu pelasgischen Ufern,
Und es erwuchs der tausendjährige Ruhm Athens. --
Mög' es heut ein glückliches Zeichen seyn!

Das Buch der "geistlichen Lieder" legt auf allen seinen Blättern, auch
in den Nachbildungen lateinischer Hymnen, Zeugniß ab wie in Puchta der
Geist des alten körnigen Kirchenlieds lebendig war. Man sehe unter andern
die "Morgen- und Abendlieder eines Kranken" und die "Sterbelieder," welche
in den schweren Prüfungstagen seines mehr als zweijährigen, mit seltener
Seelenstärke ertragenen Siechthums entstanden sind.

Schließlich als Probe eines von den weltlichen Liedern, das aber zu-
gleich ein geistliches ist:

Liebe und Tod.
Was singen doch die alten Weisen
Von bittersüßer Minnequal?
Was hören sie nicht auf zu preisen
Des frühen Todes kühne Wahl,
Daß Tod und Liebe stets beisammen,
Wie Lilien und Rosen, stehn,
Zwei tiefe Wellen, heiße Flammen,
Worin die Seelen untergehn?
Der Ritter will sein Lieb erwerben --
Er zieht und findet Grabesruh;
Die Jungfrau sieht den Ritter sterben,
Und ihre Augen gehen zu.
O selig, wem solch Loos beschieden:
Zuerst die Liebe, rein und hold,
Und dann der tiefe Gottesfrieden,
Ein ewig Abendsonnengold!
Die Blume schläft mit ihren Düften
Am Abend wie ermüdet ein;
Dann singen droben in den Lüften
Nicht mehr die hellen Vögelein.
Doch kommen wunderbare Stimmen
Aus goldumsäumten Wolken her;
Die Erde will im Glanz verschwimmen,
Und Purpurwellen schlägt das Meer.
[Spaltenumbruch]
Die Liebe will in weißem Kleide
Rein in des Himmels Wolken stehn;
Sie will mit ihrem Herzeleide
Durch aller Engel Chöre gehn.
Die Liebe fühlt sich alle Zeiten
Mit ihrem Glück und Schmerz allein --
Und sängen selbst die Seligkeiten,
Sie sängen ew'ge Liebespein.
Und wollt ihr noch die Arme schelten,
Weil sie aus diesem engen Haus
In alle Weiten, alle Welten
Mit ihrem Herzen muß hinaus?
Sie kann ja nicht die Brust verschließen,
Aus der das Blut in Strömen bricht;
Die Liebe muß ins All zerfließen,
Eh findet sie die Ruhe nicht.
O selig, wer mit jungem Herzen,
Mit frischer Kraft und reinem Muth,
In neuen, wunderbaren Schmerzen
Vergießen darf sein heißes Blut!
Noch einmal blitzt das reine Feuer
Im jugendlichen Busen auf;
Jetzt ist ihm erst das Leben theuer,
Und jauchzend schließt er seinen Lauf.


Schweden und Norwegen.

Seit meinem letzten Brief hat sich bei uns nicht
viel von Gewicht zugetragen. Der endlich anfangende Sommer lädt zur Villeg-
giatur ein, und die ernsten Geschäfte müssen dann ruhen. Freilich hört man
aus vielen Orten laute Klagen über drohende oder schon verheerende Ueber-
schwemmungen der Seen und Flüsse, besonders in Dalarne, wo die Höfe und
Dörfer an den beiden Quellflüssen des großen Dal-Elf zum Theil unter
Wasser stehen, und man für die Stadt Falun die größten Besorgnisse hegt,
wie auch für die Stadt Carlsted in Wärmland (auch in Stockholm ist der
Mälaren ansehnlich gestiegen, und der "Strom" braust mit fürchterlicher
Gewalt unter den massiven Gewölben von Noerbro (die Norderbrücke) hervor;
doch scheint es im allgemeinen genommen als wollte dieses Jahr ein
gesegnetes werden, ich habe mit eigenen Augen auf den großen In-
seln des Mälaren das Getreide schon beinahe ellenhoch stehen sehen. Noch,
im Anfang des Juni, ist es indessen nicht weiter als bis zum Frühling ge-
kommen; das Grün des Grases und der Bäume ist noch zart, und die Eichen
und Pappeln haben kaum angefangen sich mit Laub zu schmücken. Dieß ist
nichtsdestoweniger hier im Norden die herrlichste Zeit des ganzen Jahrs, und
wer kann sich dann verwundern wenn nach dem langen Winter ein jeder Eile
hat die kurze Wonnezeit zu benützen? Schon am 30 Mai schiffte sich das
Königspaar auf der Dampffregatte "Thor" nach dem südlichen Theil des
Reichs ein, und hat am 2 Jun. von Carlskrona und Carlshamn nach Becha-
skog die Reise fortgesetzt. Prinz Oscar, der Herzog von Oestergötland, hat
nebst Gemahlin die alte Universitätsstadt Upsala besucht, wo am 31 Mai die
Magisterpromotion mit althergebrachtem Gepränge gefeiert wurde. Die An-
zahl der neucreirten Doctoren der Philosophie (oder Magister) machte dieß-
mal nur 43 Anwesende aus; von den sechs Jubilaren, die schon vor fünfzig
Jahren den akademischen Lorbeer bekommen, waren drei anwesend, unter ihnen
der greise und doch so jugendliche Arv. Aug. Afzelius, der Verfasser von
"Schwedens Sagengeschichte" (Svensla Folkets Sago-Häfder). Promotor
war der Professor der Geschichte, Carlson, der jetzt Geijers Lehrstuhl inne hat.
Am 1 Jun. wurden auch sechs Medicinä Doctores promovirt, und am Abend
desselben Tags wurde, als Beschluß der Promotionsfeierlichkeiten, auf dem
Theater von Upsala Sophokles' "Antigone" von Studenten (schwedisch) ge-
geben. Prinz Oscar war am 2 Jun. schon wieder in Stockholm, und wird
ehestens nach Schonen abreifen, wo das heurige Uebungslager besonders glän-
zend ausfallen wird. König Frederik von Dänemark, der gegenwärtig auf
Skodsborg residirt, wird am 10 mit König Karl XV auf Schloß Cronborg
zusammentreffen, und am 11 mit ihm nach dem Lager auf der Ljungbyhaide
hinüberreisen, um daselbst einige Tage zuzubringen. Während sich also "die
allerhöchsten Herrschaften," wie man sich in Deutschland ausdrückt, mit Vor-
bereitungen zu kriegerischen Spielen beschäftigen, hat der Reichstag das
Vertheidigungswesen des Landes ernstlich discutirt, und ein neues Gesetz
für die allgemeine Landwehr (Beväringen) angenommen. Die Stände
haben, übereinstimmend mit der königlichen Proposition, beschlossen daß in
Friedenszeit die Waffenübungen der Landwehr in zwei auf einander folgenden
Jahren 15 Tage jedes Jahr dauern sollen. In Friedenszeit kann höchstens die
Hälfte der Landwehrmannschaft (bestehend aus allen Jünglingen zwischen 20
und 25 Jahren) sich mit einer Abgabe von 100 Rthlrn. von den Waffen-
übungen loskaufen, doch mit der Verbindlichkeit im Kriegsfall persönlich oder
durch Stellvertreter sich beim Heer einzustellen. Aus den durch diese Los-
kaufungen angesammelten Geldern wird ein Fonds gebildet zur Organistrung
eines Corps von Officieren und Unterofficieren der Landwehr, wie auch zur
Bildung einer allgemeinen Volksbewaffnung durch Ertheilung von Unterricht

*) S. 35 der Sammlung. Brgl. S. 33 das Epigramm: Zwei Lyriker.

[Spaltenumbruch] ich die bekannteren Glieder dieſer Familie von vornherein als ungewöhnlich
begabte, vollkräftige Naturen bezeichne. Eine dieſer reich angelegten, nach
Leib und Geiſt edel und ſchön ausgeprägten Naturen war auch der früh heim-
gerufene Dichter, deſſen Dichtungen ich hier aus einer Menge zerſtreuter
Materialien und Quellen in einer mäßigen Auswahl zuſammengeſtellt habe,
um demſelben noch ſpät einen Kranz um ſein würdiges Haupt zu winden,
ſeiner Familie ein Denkmal ſeines Strebens zu ſetzen, und auch weitern Krei-
ſen das Bild eines ächten Dichters vor das Auge zu ſtellen.“ ... Und am
Schluß einer ebenſo getreu wie liebevoll gezeichneten Lebensſkizze: „Bei Ver-
öffentlichung dieſer Auswahl, deren erſtes und zweites Buch den jugendlichen
Jahren des Dichters angehört, während im dritten Buch nur eine ſehr mäßige
Wahl ſeiner geiſtlichen Geſänge zur Vervollſtändigung des poetiſchen Ge
ſammtbildes gegeben iſt, empfinde ich tief wie viel reicher und kräftiger die
Sammlung ausgefallen ſeyn würde, wäre es meinem vollendeten Freund an-
gelegen, und zuletzt möglich, geweſen ein Buch dieſer Art ſeiner eigenen Mei-
ſterhand zu entlaſſen. Da jedoch ein bedeutender Theil ſeiner Dichtungen,
der theilweiſe die tiefſten Geiſtes- und Gemüthsergießungen enthält, nicht
für die Augen einer größern Leſewelt ſich eignet, ſo gemahnt mich’s beim Ueber-
blick derſelben wehmüthig an die Perte du Rhône, an jenes unterirdiſche
Felſenbett durch welches die Rhone ihre jugendlich brauſenden Wellen hin-
durchdrängt, und ich muß mich begnügen eine meinem Herzen ungemein theure
Arbeit nicht zur Hälfte gethan, den Leſern ſomit hier nur das Bruchſtück eines
unvergeßlichen Lebens vorgelegt zu haben.“

Puchta war ein Jugendfreund Platens, und wie dieſer — der in ſeinem
Tagebuch desſelben mehrmals gedenkt — „die Kunſt zu lernen nie zu träge.“
Seine Gedichte wetteifern an Reinheit und Vollendung der Form mit denen
ſeines Vorbilds, ſo wie er denn auch ſeiner Zeit die beſte Nänie auf Platens
Tod geſungen hat. *) Die ſtärkſte Kürzung hat, ſcheint es, die Rubrik der
Sonette erlitten, und zwar, wie man ſchließen muß, durch die Beſcheidenheit
der würdigen Wittwe des Dichters — „ſeiner,“ wie Knapp ſagt, „von ihm
ſo innig und eigentlich fürſtlich beſungenen Gattin Eugenie.“ Von 270 ſind
nur etwa 100 mitgetheilt, darunter eine Paraphraſe der Hauptſtellen aus
Jeſaias. An Gedankenfülle und rhythmiſcher Schönheit wetteifert mit den
Platen’ſchen Hymnen „das neue Griechenland,“ an Fallmerayer gerichtet, an
deſſen Anſichten über den Untergang der alten Hellenenſtämme die Dichtung
anknüpft; jedoch mit der tröſtlichen Schlußſtrophe:

Hinweg des Unheils lähmendes Bild, hinweg!
Die Todten, ſpricht Gott, mögen begraben ihre Todten,
Doch meine Werke ſollen beſtehn! Der entartete Stamm
Trägt keine Früchte mehr. Mag er vergehn! Hoch ſtrebt
Mit lebendiger Kraft neuer jugendlich friſcher Anwuchs.
Mit neuen Sternen ſegelt das Schiff. Am Steuer ſitzt
Des heiligen Deutſchlands keuſcher Sohn. Einſt lenkte
Ein fremder Held ſein Steuer zu pelasgiſchen Ufern,
Und es erwuchs der tauſendjährige Ruhm Athens. —
Mög’ es heut ein glückliches Zeichen ſeyn!

Das Buch der „geiſtlichen Lieder“ legt auf allen ſeinen Blättern, auch
in den Nachbildungen lateiniſcher Hymnen, Zeugniß ab wie in Puchta der
Geiſt des alten körnigen Kirchenlieds lebendig war. Man ſehe unter andern
die „Morgen- und Abendlieder eines Kranken“ und die „Sterbelieder,“ welche
in den ſchweren Prüfungstagen ſeines mehr als zweijährigen, mit ſeltener
Seelenſtärke ertragenen Siechthums entſtanden ſind.

Schließlich als Probe eines von den weltlichen Liedern, das aber zu-
gleich ein geiſtliches iſt:

Liebe und Tod.
Was ſingen doch die alten Weiſen
Von bitterſüßer Minnequal?
Was hören ſie nicht auf zu preiſen
Des frühen Todes kühne Wahl,
Daß Tod und Liebe ſtets beiſammen,
Wie Lilien und Roſen, ſtehn,
Zwei tiefe Wellen, heiße Flammen,
Worin die Seelen untergehn?
Der Ritter will ſein Lieb erwerben —
Er zieht und findet Grabesruh;
Die Jungfrau ſieht den Ritter ſterben,
Und ihre Augen gehen zu.
O ſelig, wem ſolch Loos beſchieden:
Zuerſt die Liebe, rein und hold,
Und dann der tiefe Gottesfrieden,
Ein ewig Abendſonnengold!
Die Blume ſchläft mit ihren Düften
Am Abend wie ermüdet ein;
Dann ſingen droben in den Lüften
Nicht mehr die hellen Vögelein.
Doch kommen wunderbare Stimmen
Aus goldumſäumten Wolken her;
Die Erde will im Glanz verſchwimmen,
Und Purpurwellen ſchlägt das Meer.
[Spaltenumbruch]
Die Liebe will in weißem Kleide
Rein in des Himmels Wolken ſtehn;
Sie will mit ihrem Herzeleide
Durch aller Engel Chöre gehn.
Die Liebe fühlt ſich alle Zeiten
Mit ihrem Glück und Schmerz allein —
Und ſängen ſelbſt die Seligkeiten,
Sie ſängen ew’ge Liebespein.
Und wollt ihr noch die Arme ſchelten,
Weil ſie aus dieſem engen Haus
In alle Weiten, alle Welten
Mit ihrem Herzen muß hinaus?
Sie kann ja nicht die Bruſt verſchließen,
Aus der das Blut in Strömen bricht;
Die Liebe muß ins All zerfließen,
Eh findet ſie die Ruhe nicht.
O ſelig, wer mit jungem Herzen,
Mit friſcher Kraft und reinem Muth,
In neuen, wunderbaren Schmerzen
Vergießen darf ſein heißes Blut!
Noch einmal blitzt das reine Feuer
Im jugendlichen Buſen auf;
Jetzt iſt ihm erſt das Leben theuer,
Und jauchzend ſchließt er ſeinen Lauf.


Schweden und Norwegen.

Seit meinem letzten Brief hat ſich bei uns nicht
viel von Gewicht zugetragen. Der endlich anfangende Sommer lädt zur Villeg-
giatur ein, und die ernſten Geſchäfte müſſen dann ruhen. Freilich hört man
aus vielen Orten laute Klagen über drohende oder ſchon verheerende Ueber-
ſchwemmungen der Seen und Flüſſe, beſonders in Dalarne, wo die Höfe und
Dörfer an den beiden Quellflüſſen des großen Dal-Elf zum Theil unter
Waſſer ſtehen, und man für die Stadt Falun die größten Beſorgniſſe hegt,
wie auch für die Stadt Carlſted in Wärmland (auch in Stockholm iſt der
Mälaren anſehnlich geſtiegen, und der „Strom“ braust mit fürchterlicher
Gewalt unter den maſſiven Gewölben von Noerbro (die Norderbrücke) hervor;
doch ſcheint es im allgemeinen genommen als wollte dieſes Jahr ein
geſegnetes werden, ich habe mit eigenen Augen auf den großen In-
ſeln des Mälaren das Getreide ſchon beinahe ellenhoch ſtehen ſehen. Noch,
im Anfang des Juni, iſt es indeſſen nicht weiter als bis zum Frühling ge-
kommen; das Grün des Graſes und der Bäume iſt noch zart, und die Eichen
und Pappeln haben kaum angefangen ſich mit Laub zu ſchmücken. Dieß iſt
nichtsdeſtoweniger hier im Norden die herrlichſte Zeit des ganzen Jahrs, und
wer kann ſich dann verwundern wenn nach dem langen Winter ein jeder Eile
hat die kurze Wonnezeit zu benützen? Schon am 30 Mai ſchiffte ſich das
Königspaar auf der Dampffregatte „Thor“ nach dem ſüdlichen Theil des
Reichs ein, und hat am 2 Jun. von Carlskrona und Carlshamn nach Becha-
ſkog die Reiſe fortgeſetzt. Prinz Oscar, der Herzog von Oeſtergötland, hat
nebſt Gemahlin die alte Univerſitätsſtadt Upſala beſucht, wo am 31 Mai die
Magiſterpromotion mit althergebrachtem Gepränge gefeiert wurde. Die An-
zahl der neucreirten Doctoren der Philoſophie (oder Magiſter) machte dieß-
mal nur 43 Anweſende aus; von den ſechs Jubilaren, die ſchon vor fünfzig
Jahren den akademiſchen Lorbeer bekommen, waren drei anweſend, unter ihnen
der greiſe und doch ſo jugendliche Arv. Aug. Afzelius, der Verfaſſer von
„Schwedens Sagengeſchichte“ (Svenſla Folkets Sago-Häfder). Promotor
war der Profeſſor der Geſchichte, Carlſon, der jetzt Geijers Lehrſtuhl inne hat.
Am 1 Jun. wurden auch ſechs Medicinä Doctores promovirt, und am Abend
desſelben Tags wurde, als Beſchluß der Promotionsfeierlichkeiten, auf dem
Theater von Upſala Sophokles’ „Antigone“ von Studenten (ſchwediſch) ge-
geben. Prinz Oscar war am 2 Jun. ſchon wieder in Stockholm, und wird
eheſtens nach Schonen abreifen, wo das heurige Uebungslager beſonders glän-
zend ausfallen wird. König Frederik von Dänemark, der gegenwärtig auf
Skodsborg reſidirt, wird am 10 mit König Karl XV auf Schloß Cronborg
zuſammentreffen, und am 11 mit ihm nach dem Lager auf der Ljungbyhaide
hinüberreiſen, um daſelbſt einige Tage zuzubringen. Während ſich alſo „die
allerhöchſten Herrſchaften,“ wie man ſich in Deutſchland ausdrückt, mit Vor-
bereitungen zu kriegeriſchen Spielen beſchäftigen, hat der Reichstag das
Vertheidigungsweſen des Landes ernſtlich discutirt, und ein neues Geſetz
für die allgemeine Landwehr (Beväringen) angenommen. Die Stände
haben, übereinſtimmend mit der königlichen Propoſition, beſchloſſen daß in
Friedenszeit die Waffenübungen der Landwehr in zwei auf einander folgenden
Jahren 15 Tage jedes Jahr dauern ſollen. In Friedenszeit kann höchſtens die
Hälfte der Landwehrmannſchaft (beſtehend aus allen Jünglingen zwiſchen 20
und 25 Jahren) ſich mit einer Abgabe von 100 Rthlrn. von den Waffen-
übungen loskaufen, doch mit der Verbindlichkeit im Kriegsfall perſönlich oder
durch Stellvertreter ſich beim Heer einzuſtellen. Aus den durch dieſe Los-
kaufungen angeſammelten Geldern wird ein Fonds gebildet zur Organiſtrung
eines Corps von Officieren und Unterofficieren der Landwehr, wie auch zur
Bildung einer allgemeinen Volksbewaffnung durch Ertheilung von Unterricht

*) S. 35 der Sammlung. Brgl. S. 33 das Epigramm: Zwei Lyriker.
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[2739/0011] ich die bekannteren Glieder dieſer Familie von vornherein als ungewöhnlich begabte, vollkräftige Naturen bezeichne. Eine dieſer reich angelegten, nach Leib und Geiſt edel und ſchön ausgeprägten Naturen war auch der früh heim- gerufene Dichter, deſſen Dichtungen ich hier aus einer Menge zerſtreuter Materialien und Quellen in einer mäßigen Auswahl zuſammengeſtellt habe, um demſelben noch ſpät einen Kranz um ſein würdiges Haupt zu winden, ſeiner Familie ein Denkmal ſeines Strebens zu ſetzen, und auch weitern Krei- ſen das Bild eines ächten Dichters vor das Auge zu ſtellen.“ ... Und am Schluß einer ebenſo getreu wie liebevoll gezeichneten Lebensſkizze: „Bei Ver- öffentlichung dieſer Auswahl, deren erſtes und zweites Buch den jugendlichen Jahren des Dichters angehört, während im dritten Buch nur eine ſehr mäßige Wahl ſeiner geiſtlichen Geſänge zur Vervollſtändigung des poetiſchen Ge ſammtbildes gegeben iſt, empfinde ich tief wie viel reicher und kräftiger die Sammlung ausgefallen ſeyn würde, wäre es meinem vollendeten Freund an- gelegen, und zuletzt möglich, geweſen ein Buch dieſer Art ſeiner eigenen Mei- ſterhand zu entlaſſen. Da jedoch ein bedeutender Theil ſeiner Dichtungen, der theilweiſe die tiefſten Geiſtes- und Gemüthsergießungen enthält, nicht für die Augen einer größern Leſewelt ſich eignet, ſo gemahnt mich’s beim Ueber- blick derſelben wehmüthig an die Perte du Rhône, an jenes unterirdiſche Felſenbett durch welches die Rhone ihre jugendlich brauſenden Wellen hin- durchdrängt, und ich muß mich begnügen eine meinem Herzen ungemein theure Arbeit nicht zur Hälfte gethan, den Leſern ſomit hier nur das Bruchſtück eines unvergeßlichen Lebens vorgelegt zu haben.“ Puchta war ein Jugendfreund Platens, und wie dieſer — der in ſeinem Tagebuch desſelben mehrmals gedenkt — „die Kunſt zu lernen nie zu träge.“ Seine Gedichte wetteifern an Reinheit und Vollendung der Form mit denen ſeines Vorbilds, ſo wie er denn auch ſeiner Zeit die beſte Nänie auf Platens Tod geſungen hat. *) Die ſtärkſte Kürzung hat, ſcheint es, die Rubrik der Sonette erlitten, und zwar, wie man ſchließen muß, durch die Beſcheidenheit der würdigen Wittwe des Dichters — „ſeiner,“ wie Knapp ſagt, „von ihm ſo innig und eigentlich fürſtlich beſungenen Gattin Eugenie.“ Von 270 ſind nur etwa 100 mitgetheilt, darunter eine Paraphraſe der Hauptſtellen aus Jeſaias. An Gedankenfülle und rhythmiſcher Schönheit wetteifert mit den Platen’ſchen Hymnen „das neue Griechenland,“ an Fallmerayer gerichtet, an deſſen Anſichten über den Untergang der alten Hellenenſtämme die Dichtung anknüpft; jedoch mit der tröſtlichen Schlußſtrophe: Hinweg des Unheils lähmendes Bild, hinweg! Die Todten, ſpricht Gott, mögen begraben ihre Todten, Doch meine Werke ſollen beſtehn! Der entartete Stamm Trägt keine Früchte mehr. Mag er vergehn! Hoch ſtrebt Mit lebendiger Kraft neuer jugendlich friſcher Anwuchs. Mit neuen Sternen ſegelt das Schiff. Am Steuer ſitzt Des heiligen Deutſchlands keuſcher Sohn. Einſt lenkte Ein fremder Held ſein Steuer zu pelasgiſchen Ufern, Und es erwuchs der tauſendjährige Ruhm Athens. — Mög’ es heut ein glückliches Zeichen ſeyn! Das Buch der „geiſtlichen Lieder“ legt auf allen ſeinen Blättern, auch in den Nachbildungen lateiniſcher Hymnen, Zeugniß ab wie in Puchta der Geiſt des alten körnigen Kirchenlieds lebendig war. Man ſehe unter andern die „Morgen- und Abendlieder eines Kranken“ und die „Sterbelieder,“ welche in den ſchweren Prüfungstagen ſeines mehr als zweijährigen, mit ſeltener Seelenſtärke ertragenen Siechthums entſtanden ſind. Schließlich als Probe eines von den weltlichen Liedern, das aber zu- gleich ein geiſtliches iſt: Liebe und Tod. Was ſingen doch die alten Weiſen Von bitterſüßer Minnequal? Was hören ſie nicht auf zu preiſen Des frühen Todes kühne Wahl, Daß Tod und Liebe ſtets beiſammen, Wie Lilien und Roſen, ſtehn, Zwei tiefe Wellen, heiße Flammen, Worin die Seelen untergehn? Der Ritter will ſein Lieb erwerben — Er zieht und findet Grabesruh; Die Jungfrau ſieht den Ritter ſterben, Und ihre Augen gehen zu. O ſelig, wem ſolch Loos beſchieden: Zuerſt die Liebe, rein und hold, Und dann der tiefe Gottesfrieden, Ein ewig Abendſonnengold! Die Blume ſchläft mit ihren Düften Am Abend wie ermüdet ein; Dann ſingen droben in den Lüften Nicht mehr die hellen Vögelein. Doch kommen wunderbare Stimmen Aus goldumſäumten Wolken her; Die Erde will im Glanz verſchwimmen, Und Purpurwellen ſchlägt das Meer. Die Liebe will in weißem Kleide Rein in des Himmels Wolken ſtehn; Sie will mit ihrem Herzeleide Durch aller Engel Chöre gehn. Die Liebe fühlt ſich alle Zeiten Mit ihrem Glück und Schmerz allein — Und ſängen ſelbſt die Seligkeiten, Sie ſängen ew’ge Liebespein. Und wollt ihr noch die Arme ſchelten, Weil ſie aus dieſem engen Haus In alle Weiten, alle Welten Mit ihrem Herzen muß hinaus? Sie kann ja nicht die Bruſt verſchließen, Aus der das Blut in Strömen bricht; Die Liebe muß ins All zerfließen, Eh findet ſie die Ruhe nicht. O ſelig, wer mit jungem Herzen, Mit friſcher Kraft und reinem Muth, In neuen, wunderbaren Schmerzen Vergießen darf ſein heißes Blut! Noch einmal blitzt das reine Feuer Im jugendlichen Buſen auf; Jetzt iſt ihm erſt das Leben theuer, Und jauchzend ſchließt er ſeinen Lauf. Schweden und Norwegen. * Stockholm, 4 Jun. Seit meinem letzten Brief hat ſich bei uns nicht viel von Gewicht zugetragen. Der endlich anfangende Sommer lädt zur Villeg- giatur ein, und die ernſten Geſchäfte müſſen dann ruhen. Freilich hört man aus vielen Orten laute Klagen über drohende oder ſchon verheerende Ueber- ſchwemmungen der Seen und Flüſſe, beſonders in Dalarne, wo die Höfe und Dörfer an den beiden Quellflüſſen des großen Dal-Elf zum Theil unter Waſſer ſtehen, und man für die Stadt Falun die größten Beſorgniſſe hegt, wie auch für die Stadt Carlſted in Wärmland (auch in Stockholm iſt der Mälaren anſehnlich geſtiegen, und der „Strom“ braust mit fürchterlicher Gewalt unter den maſſiven Gewölben von Noerbro (die Norderbrücke) hervor; doch ſcheint es im allgemeinen genommen als wollte dieſes Jahr ein geſegnetes werden, ich habe mit eigenen Augen auf den großen In- ſeln des Mälaren das Getreide ſchon beinahe ellenhoch ſtehen ſehen. Noch, im Anfang des Juni, iſt es indeſſen nicht weiter als bis zum Frühling ge- kommen; das Grün des Graſes und der Bäume iſt noch zart, und die Eichen und Pappeln haben kaum angefangen ſich mit Laub zu ſchmücken. Dieß iſt nichtsdeſtoweniger hier im Norden die herrlichſte Zeit des ganzen Jahrs, und wer kann ſich dann verwundern wenn nach dem langen Winter ein jeder Eile hat die kurze Wonnezeit zu benützen? Schon am 30 Mai ſchiffte ſich das Königspaar auf der Dampffregatte „Thor“ nach dem ſüdlichen Theil des Reichs ein, und hat am 2 Jun. von Carlskrona und Carlshamn nach Becha- ſkog die Reiſe fortgeſetzt. Prinz Oscar, der Herzog von Oeſtergötland, hat nebſt Gemahlin die alte Univerſitätsſtadt Upſala beſucht, wo am 31 Mai die Magiſterpromotion mit althergebrachtem Gepränge gefeiert wurde. Die An- zahl der neucreirten Doctoren der Philoſophie (oder Magiſter) machte dieß- mal nur 43 Anweſende aus; von den ſechs Jubilaren, die ſchon vor fünfzig Jahren den akademiſchen Lorbeer bekommen, waren drei anweſend, unter ihnen der greiſe und doch ſo jugendliche Arv. Aug. Afzelius, der Verfaſſer von „Schwedens Sagengeſchichte“ (Svenſla Folkets Sago-Häfder). Promotor war der Profeſſor der Geſchichte, Carlſon, der jetzt Geijers Lehrſtuhl inne hat. Am 1 Jun. wurden auch ſechs Medicinä Doctores promovirt, und am Abend desſelben Tags wurde, als Beſchluß der Promotionsfeierlichkeiten, auf dem Theater von Upſala Sophokles’ „Antigone“ von Studenten (ſchwediſch) ge- geben. Prinz Oscar war am 2 Jun. ſchon wieder in Stockholm, und wird eheſtens nach Schonen abreifen, wo das heurige Uebungslager beſonders glän- zend ausfallen wird. König Frederik von Dänemark, der gegenwärtig auf Skodsborg reſidirt, wird am 10 mit König Karl XV auf Schloß Cronborg zuſammentreffen, und am 11 mit ihm nach dem Lager auf der Ljungbyhaide hinüberreiſen, um daſelbſt einige Tage zuzubringen. Während ſich alſo „die allerhöchſten Herrſchaften,“ wie man ſich in Deutſchland ausdrückt, mit Vor- bereitungen zu kriegeriſchen Spielen beſchäftigen, hat der Reichstag das Vertheidigungsweſen des Landes ernſtlich discutirt, und ein neues Geſetz für die allgemeine Landwehr (Beväringen) angenommen. Die Stände haben, übereinſtimmend mit der königlichen Propoſition, beſchloſſen daß in Friedenszeit die Waffenübungen der Landwehr in zwei auf einander folgenden Jahren 15 Tage jedes Jahr dauern ſollen. In Friedenszeit kann höchſtens die Hälfte der Landwehrmannſchaft (beſtehend aus allen Jünglingen zwiſchen 20 und 25 Jahren) ſich mit einer Abgabe von 100 Rthlrn. von den Waffen- übungen loskaufen, doch mit der Verbindlichkeit im Kriegsfall perſönlich oder durch Stellvertreter ſich beim Heer einzuſtellen. Aus den durch dieſe Los- kaufungen angeſammelten Geldern wird ein Fonds gebildet zur Organiſtrung eines Corps von Officieren und Unterofficieren der Landwehr, wie auch zur Bildung einer allgemeinen Volksbewaffnung durch Ertheilung von Unterricht *) S. 35 der Sammlung. Brgl. S. 33 das Epigramm: Zwei Lyriker.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 164, 12. Juni 1860, S. 2739. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine164_1860/11>, abgerufen am 21.11.2024.