Allgemeine Zeitung, Nr. 168, 16. Juni 1860.[Spaltenumbruch]
gelegenheiten Neapels zu mischen. (Hört.) Wir haben allen Grund zu glauben Hr. Franz Pulzky übersiedelt mit seiner Familie von London nach Turin. Frankreich. Paris, 14 Jun. Das Annexionsfest ist am Jahrestag der Schlacht von Marengo be- Das sagt das officiöse Blatt zur Feier einer Annexion, welche sich nach So wahrhaftig und den Thatsachen entsprechend die Darstellung der Die moralische Macht der Regierung vom zweiten December ist in Paris, 13 Jun. Die Finanzwelt scheint "die Conferenz" die an- [Spaltenumbruch]
gelegenheiten Neapels zu miſchen. (Hört.) Wir haben allen Grund zu glauben Hr. Franz Pulzky überſiedelt mit ſeiner Familie von London nach Turin. Frankreich. Paris, 14 Jun. Das Annexionsfeſt iſt am Jahrestag der Schlacht von Marengo be- Das ſagt das officiöſe Blatt zur Feier einer Annexion, welche ſich nach So wahrhaftig und den Thatſachen entſprechend die Darſtellung der Die moraliſche Macht der Regierung vom zweiten December iſt in ⎈ Paris, 13 Jun. Die Finanzwelt ſcheint „die Conferenz“ die an- <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div type="jArticle" n="3"> <p><pb facs="#f0006" n="2802"/><cb/> gelegenheiten Neapels zu miſchen. (Hört.) Wir haben allen Grund zu glauben<lb/> daß der Entſchluß, den die franzöſiſche Regierung gefaßt hat, dem der öſterreichi-<lb/> ſchen ähnlich iſt, und wie die brittiſche Regierung über einen Gegenſtand dieſer<lb/> Art denkt, brauche ich nicht erſt zu ſagen. (Hört! Hört!) Es iſt der Fehler<lb/> und das Schickſal von Regierungen wie die römiſche und neapolitaniſche daß<lb/> ſie erſt durch die in ihrem Namen begangenen Grauſamkeiten ihre Unter-<lb/> thanen zur Verzweiflung und Empörung treiben laſſen, und dann alle<lb/> befreundeten Mächte zu Hülfe rufen, und um Entfernung der Urheber<lb/> und Auſtifter der Revolution bitten. Dieſe Regierungen vergeſſen daß<lb/> ſie ſelbſt die wirklichen Urheber und Anſtifter jener revolutionären Ve-<lb/> wegungen ſind (hört! hört!), und daß wenn man ihre Bitte gewähren<lb/> wollte, der erſte, der wirkſamſte und allein nothwendige Schritt in ihrer<lb/> eigenen Entfernung beſtehen würde. (Hört! hört!) Hr. O. <hi rendition="#g">Stan ley</hi> fragt<lb/> ob es wahr ſey daß die brittiſche Geſandtſchaft in Berlin einen militäriſchen<lb/> Attach<hi rendition="#aq">é</hi> erhalten habe? Lord <hi rendition="#g">Palmerſton</hi> erwiedert die franzöſiſche Re-<lb/> gierung habe ihren Geſandſchaften an faſt allen bedeutenden Höfen militäri-<lb/> ſche Attach<hi rendition="#aq">é</hi>s beigegeben, und die brittiſche Regierung habe längſt einen Offi-<lb/> cier bei ihrer Geſandtſchaft in Paris. So habe es auch zweckmäßig geſchienen,<lb/> dasſelbe in Berlin zu thun. Wie weit ſein edler Freund an der Spitze des<lb/> Auswärtigen dieß Syſtem auszudehnen gedenke, könne er nicht ſagen. Sir<lb/> John <hi rendition="#g">Pakington</hi> möchte wiſſen ob die franzöſiſche Geſandtſchaft in London<lb/> nicht einen Flottenofficier als Attach<hi rendition="#aq">é</hi> erhalten habe, und ob England nicht<lb/> das Beiſpiel nachahmen werde. Lord <hi rendition="#g">Palmerſton</hi> ſagt: die franzöſiſche<lb/> Geſandtſchaft habe einen Flottenattach<hi rendition="#aq">é</hi> erhalten, und weiß noch nicht ob ſein<lb/> edler Freund einen ſolchen in Paris anzuſtellen beabſichtige.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Hr. Franz Pulzky überſiedelt mit ſeiner Familie von London nach Turin.</p> </div> </div><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Frankreich.</hi> </head><lb/> <div type="jComment" n="3"> <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 14 Jun.</dateline><lb/> <p>Das Annexionsfeſt iſt am Jahrestag der Schlacht von Marengo be-<lb/> gangen worden. Im kleinen wie im großen vergißt Louis Napoleon nie die<lb/> Erinnerung an die Ereigniſſe der erſten Kaiſerzeit aufzufriſchen, und die deut-<lb/> ſchen Regierungen haben das bisher in der gelungenſten Weiſe unterſtützt.<lb/> Sie geben ſich dazu her Friedensſchlüſſe, in welchen das Intereſſe Deutſch-<lb/> lands aufs höchſte verletzt wurde, welche Triumphe des zweiten Decembers wa-<lb/> ren, am Tage deutſcher Siege zu unterſchreiben, als die gefälligen Diener<lb/> einer Macht die ſyſtematiſch an ihrem Sturz arbeitet. Die deutſchen Regie-<lb/> rungen irrten ſich wenn ſie glaubten das deutſche Volk ſey unempfindlich für<lb/> dieſe Art die Triumphe einer großen Zeit zu verdunkeln; Erinnerungen die<lb/> eng mit den Verſprechungen verknüpft ſind welche damals die Throne gaben,<lb/> für die das deutſche Volk mit ſeinem Blut und ſeinem Vermögen ein-<lb/> geſtanden. Louis Napoleon weiß die hiſtoriſchen Erinnerungen zur He-<lb/> bung des Nationalgefühls beſſer auszunutzen, und doch wäre das deutſcher-<lb/> ſeits viel nothwendiger, weil eben unſer Nationalgefühl erſt ſchwach, erſt im<lb/> Entſtehen begriffen iſt, und doch iſt es, wenn es nur zur freien Wirkſamkeit<lb/> gelangt, eine Kraft welche uns unbeſiegbar macht, die uns aufrecht erhalten<lb/> kann in jedem Kampf. Es iſt ein glücklicher Zufall der jetzt die Fürſten<lb/> Deutſchlands dicht vor dem Tag der Schlacht von Waterloo zuſammenführt.<lb/> Es würde ſicher im ganzen deutſchen Volk als ein Zeichen angeſehen werden<lb/> daß ſie ſich erinnern „daß Einigkeit allein ſtark macht,“ wenn ſie dieſen Tag<lb/> zuſammen begehen wollten, gedenkend daß, wenn ein Stamm feſt auf den an-<lb/> dern bauen kann, man ſelbſt dem Uebermächtigen leicht die Stirn zu bieten<lb/> vermag. „Ich wollte es wäre Abend oder die Preußen kämen!“ — die<lb/> Preußen kamen! Es möchte die Zeit nahe ſeyn wo von preußiſcher Seite<lb/> derſelbe Ruf erſchallen wird, wo Preußen und Bayern dem erſten Anlauf des<lb/> Gegners zu trotzen haben, darum würde es mit Jubel begrüßt wer-<lb/> den wenn der Prinz-Regent mit ſeinen Gäſten perſönlich das Verſprechen<lb/> tauſchte das Wellington von Blücher erhielt und gab. Mögen die deutſchen<lb/> Fürſten in Baden nicht vergeſſen daß der 18 Jun. der de la belle Alliance iſt.<lb/> — Der officiöſe Conſtitutionnel vergißt heute nicht die Erinnerung von 1815<lb/> wachzurufen, um ſeinen Leſern zu wiederholen wie ſehr damals die legitimen<lb/> Intereſſen Frankreichs verletzt worden ſeyen, „wie man in den Verträgen<lb/> von 1815 über die Völker gegen ihren Willen und ihre Geſchichte disponirt<lb/> habe. Dieſe Uſurpationen ſeyen heute nicht mehr möglich, und das öffent-<lb/> liche Recht, welches jetzt das Daſeyn der Völker regle, ſey nur auf Gerechtig-<lb/> keit und das gemeinſame Intereſſe der Regierungen gegründet.“</p><lb/> <p>Das ſagt das officiöſe Blatt zur Feier einer Annexion, welche ſich nach<lb/> dem franzöſiſchen Miniſter des Aeußern in erſter Inſtanz auf das unzweifel-<lb/> hafte Recht jedes Souveräns ſtützt, ſeine Länder zu verſchenken an wen ihm<lb/> beliebt. Dieſe Erklärung des Hrn. Thouvenel über das Souveränetätsrecht<lb/> paßt ſchlecht zu den Worten des Conſtitutionnel. Und wir wollen deß-<lb/> halb daran erinnern daß Louis Napoleon und Victor Emmanuel über<lb/> Savoyen und Nizza mitten im Frieden Verträge abſchloſſen, worin ſie ohne<lb/> Zuſtimmung dieſer Länder über ihre künftigen Geſchicke in einer Weiſe ver-<lb/> fügten wie das ſelbſt 1815 nicht geſchehen. Für die Glaubwürdigkeit der<lb/> Verſicherungen welche Louis Napoleon in Baden-Baden geben wird, iſt der<lb/><cb/> Leitartikel des officiöſen Blattes äußerſt bezeichnend. Es heißt darin: <cit><quote>„Wir<lb/> glauben daß nach dem ſtricten Recht der Kaiſer als Souverän volle Berech-<lb/> tigung befaß eine Vergrößerung Frankreichs <hi rendition="#g">anzunehmen.</hi> Frankreich<lb/> hat, als es, geſtützt auf genügend bekannte Gründe, die Abhänge der Alpen<lb/><hi rendition="#g">zurückforderte,</hi> weder jemand <hi rendition="#g">überraſcht</hi> noch <hi rendition="#g">gezwungen.</hi> Frank-<lb/> reich hat dieſe Gebiete nicht erobert, ſondern nur ihren von ihrem alten Sou-<lb/> verän als franzöſiſch erkannten Bevölkerungen, nachdem dieſer ſie ihres Eides<lb/> entbunden, ihre Nationalität <hi rendition="#g">zurückgegeben,</hi> ehe ſie ſich ſelbſt darüber<lb/> ausgeſprochen. Alſo freier internationaler Vertrag zweier verbundenen<lb/> Souveräne, Conſultation des Willens der Bevölkerung, berufen ihre Wünſche<lb/> in aller Freiheit und ohne jeden Druck von Seite Frankreichs kundzugeben.“</quote></cit></p><lb/> <p>So wahrhaftig und den Thatſachen entſprechend die Darſtellung der<lb/> Annexion durch den Conſtitutionnel iſt, eben ſo wahrhaftig und zuverläſſig<lb/> werden die Verſicherungen des zweiten Decembers ſeyn. In dieſer Art hat<lb/> Frankreich gehandelt, ſagt der Conſtitutionnel, als die Aufgabe war der Be-<lb/> völkerung von Savoyen und der Graffchaft Nizza ihren Platz in der franzö-<lb/> ſiſchen Familie <hi rendition="#g">zurückzugeben,</hi> ſo ſind die Pratiken der kaiſerlichen Re-<lb/> gierung. Ja wohl, ſo ſind ſie, und wir zweifeln nicht daß „je größer die mo-<lb/> raliſche Macht iſt welche die kaiſerliche Regierung in Europa erworben, deſto<lb/> mehr glaubt ſie ſich zur Achtung gegen das internationale Recht verpflichtet.“</p><lb/> <p>Die <hi rendition="#g">moraliſche</hi> Macht der Regierung vom zweiten December iſt in<lb/> Europa ſicher ſehr gering, und ihre Achtung vor dem internationalen Recht<lb/> dürfte daher für die Sicherheit der Rheinlande eine verzweifelt ſchlechte Ga-<lb/> rantie ſeyn. Das Feſt in Paris ſtimmt jedenfalls ſchlecht zu den Demon-<lb/> ſtrationen in Nizza, wovon unſere neueſten Correſpondenzen melden. Die<lb/> Freude über „die conſtitutionellen Garantien“ welche den Savoyarden die<lb/> Annexion eingebracht hat, dürfte nicht größer ſeyn. Conſtitutionelle Garan-<lb/> tien, Recht, Geſetz, Legitimität u. ſ. w. führt das officiöſe Blatt fortwährend<lb/> im Munde, dabei aber beſtehen die Sicherheitsgeſetze fort, die Preßfreiheit iſt<lb/> vollſtändig unterdrückt, die Geſetze werden ausgelegt wie der Caſſationshof<lb/> es im Proceß Dupanloup thun mußte; die Verwaltung hat die Macht ohne<lb/> Rechtsſpruch und Gericht jemanden auf 10 Jahre nach Lambeſſa zu ſchicken,<lb/> die Wahlen zu dem geſetzgebenden Körper, der jeder Initiative bar iſt, wer-<lb/> den <hi rendition="#aq">à</hi> la Dalmas vorgenommen, und in dieſem geſetzgebenden Körper herrſcht<lb/> der von der Regierung ernannte Präſident mit abſoluter Machtvollkommen-<lb/> heit bei Ausſchluß der Oeffentlichkeit. Der Staatsminiſter Fould gab in der<lb/> Sitzung vom 13 Jun. im geſetzgebenden Körper die Erklärung ab „daß durch<lb/> die Annexion Frankreich nur Gebiete zurückgegeben wären welche davon 1815 ge-<lb/> trennt worden.“ Wir wollten nicht ſchließen ohne daran zu erinnern daß noch an-<lb/> dere Gebiete 1815 von Frankreich getrennt worden, nämlich die welche das erſte<lb/> Kaiſerreich erobert hatte. Jedes Wort, jeder Laut, jedes Zeichen verkündet<lb/> ſo daß der zweite December an nichts als an die Wiedereroberung der Grän-<lb/> zen des erſten Kaiſerreichs denkt. Er nimmt ſich ſo wenig Mühe mehr dieß<lb/> zu verbergen, oder hält die Deutſchen für ſo leicht zu täuſchen daß ſeine Or-<lb/> gane es faſt am ſelben Tag öffentlich erklären, wo er perſönlich den deutſchen<lb/> Fürſten die entgegengeſetzten Verſicherungen gibt.</p> </div><lb/> <div type="jComment" n="3"> <dateline>⎈ <hi rendition="#b">Paris,</hi> 13 Jun.</dateline> <p>Die Finanzwelt ſcheint „die Conferenz“ die an-<lb/> geblich in Baden zwiſchen dem Kaiſer und dem Prinz-Regenten von Preußen<lb/> ſtattfindet, mit dem größten Vertrauen aufzunehmen. Die Börſe ſteigt, wenn<lb/> auch beſcheiden, und wenn die Imagination der Geſchäftsleute größer iſt als<lb/> man glauben ſollte, ſo gibt es welche unter ihnen die am Horizont eine enorme<lb/> Hauſſe erblicken, überzeugt wie ſie ſind daß die öffentliche Meinung dieſes<lb/> politiſche Factum ebenſo aufnehmen wird wie vor einigen Jahren die Zu-<lb/> ſammenkunft von Cherbourg. Hr. Fould gedenkt mit dieſer Hauſſe Millio-<lb/> nen zu gewinnen. In der politiſchen Welt iſt man freilich von den friedli-<lb/> chen Intentionen des Kaiſers überzeugt. Will man denjenigen glauben die<lb/> zu der Regierung halten, ſo würde der Kaiſer nur nach Baden gehen um<lb/> allen Aufregungen die ſich ſeit einigen Monaten in Deutſchland zeigen ein<lb/> Ende zu machen. Er wäre entſchloſſen ſich mit dem Prinzen von Preußen<lb/> ſehr kategoriſch und ſehr aufrichtig zu erklären, und ihm feſt zu verſichern daß<lb/> er keineswegs, wie man es vorausſetzt, daran denke neue Annexionen zu<lb/> provociren. Das alles iſt ſchön und wohl, und für meinen Theil verlange<lb/> ich nichts beſſeres als an die friedlichen Abſichten des Kaiſers zu glauben;<lb/> aber ohne die Aufrichtigkeit Louis Napoleons zu läugnen, fürchte ich daß er<lb/> ſich wenigſtens über dieſen Punkt Illuſionen macht. Es gibt etwas das noch<lb/> ſtärker iſt als der Wille eines Souveräns: das Princip deſſen Vertreter er<lb/> iſt. Das Princip welches L. Napoleon vertritt, treibt ihn wider ſeinen Wil-<lb/> len vorwärts. Dieſes Princip iſt ſeine Stärke, wie es in einem gewiſſen<lb/> Augenblick ſeine Schwäche werden kann. Uebrigens fragen ſich denkende<lb/> Männer, den beſten Willen von Seiten der hohen Beſucher zugegeben, wie ſie<lb/> ein Mittel werden ſinden können den gordiſchen Knoten der Lage zu löſen,<lb/> dieſen Knoten voll von Fragen deren jede nur mit dem Säbel durchhauen<lb/> werden kann. Dazu kommt daß überall die öffentliche Meinung gegen L.<lb/> Napoleon aufgeregt iſt in Deutſchland, in Belgien, in England und in<lb/> Spanien; überall iſt das Mißtrauen gegen den kaiſerlichen Ehrgeiz lebendig.<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [2802/0006]
gelegenheiten Neapels zu miſchen. (Hört.) Wir haben allen Grund zu glauben
daß der Entſchluß, den die franzöſiſche Regierung gefaßt hat, dem der öſterreichi-
ſchen ähnlich iſt, und wie die brittiſche Regierung über einen Gegenſtand dieſer
Art denkt, brauche ich nicht erſt zu ſagen. (Hört! Hört!) Es iſt der Fehler
und das Schickſal von Regierungen wie die römiſche und neapolitaniſche daß
ſie erſt durch die in ihrem Namen begangenen Grauſamkeiten ihre Unter-
thanen zur Verzweiflung und Empörung treiben laſſen, und dann alle
befreundeten Mächte zu Hülfe rufen, und um Entfernung der Urheber
und Auſtifter der Revolution bitten. Dieſe Regierungen vergeſſen daß
ſie ſelbſt die wirklichen Urheber und Anſtifter jener revolutionären Ve-
wegungen ſind (hört! hört!), und daß wenn man ihre Bitte gewähren
wollte, der erſte, der wirkſamſte und allein nothwendige Schritt in ihrer
eigenen Entfernung beſtehen würde. (Hört! hört!) Hr. O. Stan ley fragt
ob es wahr ſey daß die brittiſche Geſandtſchaft in Berlin einen militäriſchen
Attaché erhalten habe? Lord Palmerſton erwiedert die franzöſiſche Re-
gierung habe ihren Geſandſchaften an faſt allen bedeutenden Höfen militäri-
ſche Attachés beigegeben, und die brittiſche Regierung habe längſt einen Offi-
cier bei ihrer Geſandtſchaft in Paris. So habe es auch zweckmäßig geſchienen,
dasſelbe in Berlin zu thun. Wie weit ſein edler Freund an der Spitze des
Auswärtigen dieß Syſtem auszudehnen gedenke, könne er nicht ſagen. Sir
John Pakington möchte wiſſen ob die franzöſiſche Geſandtſchaft in London
nicht einen Flottenofficier als Attaché erhalten habe, und ob England nicht
das Beiſpiel nachahmen werde. Lord Palmerſton ſagt: die franzöſiſche
Geſandtſchaft habe einen Flottenattaché erhalten, und weiß noch nicht ob ſein
edler Freund einen ſolchen in Paris anzuſtellen beabſichtige.
Hr. Franz Pulzky überſiedelt mit ſeiner Familie von London nach Turin.
Frankreich.
Paris, 14 Jun.
Das Annexionsfeſt iſt am Jahrestag der Schlacht von Marengo be-
gangen worden. Im kleinen wie im großen vergißt Louis Napoleon nie die
Erinnerung an die Ereigniſſe der erſten Kaiſerzeit aufzufriſchen, und die deut-
ſchen Regierungen haben das bisher in der gelungenſten Weiſe unterſtützt.
Sie geben ſich dazu her Friedensſchlüſſe, in welchen das Intereſſe Deutſch-
lands aufs höchſte verletzt wurde, welche Triumphe des zweiten Decembers wa-
ren, am Tage deutſcher Siege zu unterſchreiben, als die gefälligen Diener
einer Macht die ſyſtematiſch an ihrem Sturz arbeitet. Die deutſchen Regie-
rungen irrten ſich wenn ſie glaubten das deutſche Volk ſey unempfindlich für
dieſe Art die Triumphe einer großen Zeit zu verdunkeln; Erinnerungen die
eng mit den Verſprechungen verknüpft ſind welche damals die Throne gaben,
für die das deutſche Volk mit ſeinem Blut und ſeinem Vermögen ein-
geſtanden. Louis Napoleon weiß die hiſtoriſchen Erinnerungen zur He-
bung des Nationalgefühls beſſer auszunutzen, und doch wäre das deutſcher-
ſeits viel nothwendiger, weil eben unſer Nationalgefühl erſt ſchwach, erſt im
Entſtehen begriffen iſt, und doch iſt es, wenn es nur zur freien Wirkſamkeit
gelangt, eine Kraft welche uns unbeſiegbar macht, die uns aufrecht erhalten
kann in jedem Kampf. Es iſt ein glücklicher Zufall der jetzt die Fürſten
Deutſchlands dicht vor dem Tag der Schlacht von Waterloo zuſammenführt.
Es würde ſicher im ganzen deutſchen Volk als ein Zeichen angeſehen werden
daß ſie ſich erinnern „daß Einigkeit allein ſtark macht,“ wenn ſie dieſen Tag
zuſammen begehen wollten, gedenkend daß, wenn ein Stamm feſt auf den an-
dern bauen kann, man ſelbſt dem Uebermächtigen leicht die Stirn zu bieten
vermag. „Ich wollte es wäre Abend oder die Preußen kämen!“ — die
Preußen kamen! Es möchte die Zeit nahe ſeyn wo von preußiſcher Seite
derſelbe Ruf erſchallen wird, wo Preußen und Bayern dem erſten Anlauf des
Gegners zu trotzen haben, darum würde es mit Jubel begrüßt wer-
den wenn der Prinz-Regent mit ſeinen Gäſten perſönlich das Verſprechen
tauſchte das Wellington von Blücher erhielt und gab. Mögen die deutſchen
Fürſten in Baden nicht vergeſſen daß der 18 Jun. der de la belle Alliance iſt.
— Der officiöſe Conſtitutionnel vergißt heute nicht die Erinnerung von 1815
wachzurufen, um ſeinen Leſern zu wiederholen wie ſehr damals die legitimen
Intereſſen Frankreichs verletzt worden ſeyen, „wie man in den Verträgen
von 1815 über die Völker gegen ihren Willen und ihre Geſchichte disponirt
habe. Dieſe Uſurpationen ſeyen heute nicht mehr möglich, und das öffent-
liche Recht, welches jetzt das Daſeyn der Völker regle, ſey nur auf Gerechtig-
keit und das gemeinſame Intereſſe der Regierungen gegründet.“
Das ſagt das officiöſe Blatt zur Feier einer Annexion, welche ſich nach
dem franzöſiſchen Miniſter des Aeußern in erſter Inſtanz auf das unzweifel-
hafte Recht jedes Souveräns ſtützt, ſeine Länder zu verſchenken an wen ihm
beliebt. Dieſe Erklärung des Hrn. Thouvenel über das Souveränetätsrecht
paßt ſchlecht zu den Worten des Conſtitutionnel. Und wir wollen deß-
halb daran erinnern daß Louis Napoleon und Victor Emmanuel über
Savoyen und Nizza mitten im Frieden Verträge abſchloſſen, worin ſie ohne
Zuſtimmung dieſer Länder über ihre künftigen Geſchicke in einer Weiſe ver-
fügten wie das ſelbſt 1815 nicht geſchehen. Für die Glaubwürdigkeit der
Verſicherungen welche Louis Napoleon in Baden-Baden geben wird, iſt der
Leitartikel des officiöſen Blattes äußerſt bezeichnend. Es heißt darin: „Wir
glauben daß nach dem ſtricten Recht der Kaiſer als Souverän volle Berech-
tigung befaß eine Vergrößerung Frankreichs anzunehmen. Frankreich
hat, als es, geſtützt auf genügend bekannte Gründe, die Abhänge der Alpen
zurückforderte, weder jemand überraſcht noch gezwungen. Frank-
reich hat dieſe Gebiete nicht erobert, ſondern nur ihren von ihrem alten Sou-
verän als franzöſiſch erkannten Bevölkerungen, nachdem dieſer ſie ihres Eides
entbunden, ihre Nationalität zurückgegeben, ehe ſie ſich ſelbſt darüber
ausgeſprochen. Alſo freier internationaler Vertrag zweier verbundenen
Souveräne, Conſultation des Willens der Bevölkerung, berufen ihre Wünſche
in aller Freiheit und ohne jeden Druck von Seite Frankreichs kundzugeben.“
So wahrhaftig und den Thatſachen entſprechend die Darſtellung der
Annexion durch den Conſtitutionnel iſt, eben ſo wahrhaftig und zuverläſſig
werden die Verſicherungen des zweiten Decembers ſeyn. In dieſer Art hat
Frankreich gehandelt, ſagt der Conſtitutionnel, als die Aufgabe war der Be-
völkerung von Savoyen und der Graffchaft Nizza ihren Platz in der franzö-
ſiſchen Familie zurückzugeben, ſo ſind die Pratiken der kaiſerlichen Re-
gierung. Ja wohl, ſo ſind ſie, und wir zweifeln nicht daß „je größer die mo-
raliſche Macht iſt welche die kaiſerliche Regierung in Europa erworben, deſto
mehr glaubt ſie ſich zur Achtung gegen das internationale Recht verpflichtet.“
Die moraliſche Macht der Regierung vom zweiten December iſt in
Europa ſicher ſehr gering, und ihre Achtung vor dem internationalen Recht
dürfte daher für die Sicherheit der Rheinlande eine verzweifelt ſchlechte Ga-
rantie ſeyn. Das Feſt in Paris ſtimmt jedenfalls ſchlecht zu den Demon-
ſtrationen in Nizza, wovon unſere neueſten Correſpondenzen melden. Die
Freude über „die conſtitutionellen Garantien“ welche den Savoyarden die
Annexion eingebracht hat, dürfte nicht größer ſeyn. Conſtitutionelle Garan-
tien, Recht, Geſetz, Legitimität u. ſ. w. führt das officiöſe Blatt fortwährend
im Munde, dabei aber beſtehen die Sicherheitsgeſetze fort, die Preßfreiheit iſt
vollſtändig unterdrückt, die Geſetze werden ausgelegt wie der Caſſationshof
es im Proceß Dupanloup thun mußte; die Verwaltung hat die Macht ohne
Rechtsſpruch und Gericht jemanden auf 10 Jahre nach Lambeſſa zu ſchicken,
die Wahlen zu dem geſetzgebenden Körper, der jeder Initiative bar iſt, wer-
den à la Dalmas vorgenommen, und in dieſem geſetzgebenden Körper herrſcht
der von der Regierung ernannte Präſident mit abſoluter Machtvollkommen-
heit bei Ausſchluß der Oeffentlichkeit. Der Staatsminiſter Fould gab in der
Sitzung vom 13 Jun. im geſetzgebenden Körper die Erklärung ab „daß durch
die Annexion Frankreich nur Gebiete zurückgegeben wären welche davon 1815 ge-
trennt worden.“ Wir wollten nicht ſchließen ohne daran zu erinnern daß noch an-
dere Gebiete 1815 von Frankreich getrennt worden, nämlich die welche das erſte
Kaiſerreich erobert hatte. Jedes Wort, jeder Laut, jedes Zeichen verkündet
ſo daß der zweite December an nichts als an die Wiedereroberung der Grän-
zen des erſten Kaiſerreichs denkt. Er nimmt ſich ſo wenig Mühe mehr dieß
zu verbergen, oder hält die Deutſchen für ſo leicht zu täuſchen daß ſeine Or-
gane es faſt am ſelben Tag öffentlich erklären, wo er perſönlich den deutſchen
Fürſten die entgegengeſetzten Verſicherungen gibt.
⎈ Paris, 13 Jun. Die Finanzwelt ſcheint „die Conferenz“ die an-
geblich in Baden zwiſchen dem Kaiſer und dem Prinz-Regenten von Preußen
ſtattfindet, mit dem größten Vertrauen aufzunehmen. Die Börſe ſteigt, wenn
auch beſcheiden, und wenn die Imagination der Geſchäftsleute größer iſt als
man glauben ſollte, ſo gibt es welche unter ihnen die am Horizont eine enorme
Hauſſe erblicken, überzeugt wie ſie ſind daß die öffentliche Meinung dieſes
politiſche Factum ebenſo aufnehmen wird wie vor einigen Jahren die Zu-
ſammenkunft von Cherbourg. Hr. Fould gedenkt mit dieſer Hauſſe Millio-
nen zu gewinnen. In der politiſchen Welt iſt man freilich von den friedli-
chen Intentionen des Kaiſers überzeugt. Will man denjenigen glauben die
zu der Regierung halten, ſo würde der Kaiſer nur nach Baden gehen um
allen Aufregungen die ſich ſeit einigen Monaten in Deutſchland zeigen ein
Ende zu machen. Er wäre entſchloſſen ſich mit dem Prinzen von Preußen
ſehr kategoriſch und ſehr aufrichtig zu erklären, und ihm feſt zu verſichern daß
er keineswegs, wie man es vorausſetzt, daran denke neue Annexionen zu
provociren. Das alles iſt ſchön und wohl, und für meinen Theil verlange
ich nichts beſſeres als an die friedlichen Abſichten des Kaiſers zu glauben;
aber ohne die Aufrichtigkeit Louis Napoleons zu läugnen, fürchte ich daß er
ſich wenigſtens über dieſen Punkt Illuſionen macht. Es gibt etwas das noch
ſtärker iſt als der Wille eines Souveräns: das Princip deſſen Vertreter er
iſt. Das Princip welches L. Napoleon vertritt, treibt ihn wider ſeinen Wil-
len vorwärts. Dieſes Princip iſt ſeine Stärke, wie es in einem gewiſſen
Augenblick ſeine Schwäche werden kann. Uebrigens fragen ſich denkende
Männer, den beſten Willen von Seiten der hohen Beſucher zugegeben, wie ſie
ein Mittel werden ſinden können den gordiſchen Knoten der Lage zu löſen,
dieſen Knoten voll von Fragen deren jede nur mit dem Säbel durchhauen
werden kann. Dazu kommt daß überall die öffentliche Meinung gegen L.
Napoleon aufgeregt iſt in Deutſchland, in Belgien, in England und in
Spanien; überall iſt das Mißtrauen gegen den kaiſerlichen Ehrgeiz lebendig.
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(2022-04-08T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
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