Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung, Nr. 168, 16. Juni 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

[Spaltenumbruch] gelegenheiten Neapels zu mischen. (Hört.) Wir haben allen Grund zu glauben
daß der Entschluß, den die französische Regierung gefaßt hat, dem der österreichi-
schen ähnlich ist, und wie die brittische Regierung über einen Gegenstand dieser
Art denkt, brauche ich nicht erst zu sagen. (Hört! Hört!) Es ist der Fehler
und das Schicksal von Regierungen wie die römische und neapolitanische daß
sie erst durch die in ihrem Namen begangenen Grausamkeiten ihre Unter-
thanen zur Verzweiflung und Empörung treiben lassen, und dann alle
befreundeten Mächte zu Hülfe rufen, und um Entfernung der Urheber
und Austifter der Revolution bitten. Diese Regierungen vergessen daß
sie selbst die wirklichen Urheber und Anstifter jener revolutionären Ve-
wegungen sind (hört! hört!), und daß wenn man ihre Bitte gewähren
wollte, der erste, der wirksamste und allein nothwendige Schritt in ihrer
eigenen Entfernung bestehen würde. (Hört! hört!) Hr. O. Stan ley fragt
ob es wahr sey daß die brittische Gesandtschaft in Berlin einen militärischen
Attache erhalten habe? Lord Palmerston erwiedert die französische Re-
gierung habe ihren Gesandschaften an fast allen bedeutenden Höfen militäri-
sche Attaches beigegeben, und die brittische Regierung habe längst einen Offi-
cier bei ihrer Gesandtschaft in Paris. So habe es auch zweckmäßig geschienen,
dasselbe in Berlin zu thun. Wie weit sein edler Freund an der Spitze des
Auswärtigen dieß System auszudehnen gedenke, könne er nicht sagen. Sir
John Pakington möchte wissen ob die französische Gesandtschaft in London
nicht einen Flottenofficier als Attache erhalten habe, und ob England nicht
das Beispiel nachahmen werde. Lord Palmerston sagt: die französische
Gesandtschaft habe einen Flottenattache erhalten, und weiß noch nicht ob sein
edler Freund einen solchen in Paris anzustellen beabsichtige.

Hr. Franz Pulzky übersiedelt mit seiner Familie von London nach Turin.

Frankreich.

Das Annexionsfest ist am Jahrestag der Schlacht von Marengo be-
gangen worden. Im kleinen wie im großen vergißt Louis Napoleon nie die
Erinnerung an die Ereignisse der ersten Kaiserzeit aufzufrischen, und die deut-
schen Regierungen haben das bisher in der gelungensten Weise unterstützt.
Sie geben sich dazu her Friedensschlüsse, in welchen das Interesse Deutsch-
lands aufs höchste verletzt wurde, welche Triumphe des zweiten Decembers wa-
ren, am Tage deutscher Siege zu unterschreiben, als die gefälligen Diener
einer Macht die systematisch an ihrem Sturz arbeitet. Die deutschen Regie-
rungen irrten sich wenn sie glaubten das deutsche Volk sey unempfindlich für
diese Art die Triumphe einer großen Zeit zu verdunkeln; Erinnerungen die
eng mit den Versprechungen verknüpft sind welche damals die Throne gaben,
für die das deutsche Volk mit seinem Blut und seinem Vermögen ein-
gestanden. Louis Napoleon weiß die historischen Erinnerungen zur He-
bung des Nationalgefühls besser auszunutzen, und doch wäre das deutscher-
seits viel nothwendiger, weil eben unser Nationalgefühl erst schwach, erst im
Entstehen begriffen ist, und doch ist es, wenn es nur zur freien Wirksamkeit
gelangt, eine Kraft welche uns unbesiegbar macht, die uns aufrecht erhalten
kann in jedem Kampf. Es ist ein glücklicher Zufall der jetzt die Fürsten
Deutschlands dicht vor dem Tag der Schlacht von Waterloo zusammenführt.
Es würde sicher im ganzen deutschen Volk als ein Zeichen angesehen werden
daß sie sich erinnern "daß Einigkeit allein stark macht," wenn sie diesen Tag
zusammen begehen wollten, gedenkend daß, wenn ein Stamm fest auf den an-
dern bauen kann, man selbst dem Uebermächtigen leicht die Stirn zu bieten
vermag. "Ich wollte es wäre Abend oder die Preußen kämen!" -- die
Preußen kamen! Es möchte die Zeit nahe seyn wo von preußischer Seite
derselbe Ruf erschallen wird, wo Preußen und Bayern dem ersten Anlauf des
Gegners zu trotzen haben, darum würde es mit Jubel begrüßt wer-
den wenn der Prinz-Regent mit seinen Gästen persönlich das Versprechen
tauschte das Wellington von Blücher erhielt und gab. Mögen die deutschen
Fürsten in Baden nicht vergessen daß der 18 Jun. der de la belle Alliance ist.
-- Der officiöse Constitutionnel vergißt heute nicht die Erinnerung von 1815
wachzurufen, um seinen Lesern zu wiederholen wie sehr damals die legitimen
Interessen Frankreichs verletzt worden seyen, "wie man in den Verträgen
von 1815 über die Völker gegen ihren Willen und ihre Geschichte disponirt
habe. Diese Usurpationen seyen heute nicht mehr möglich, und das öffent-
liche Recht, welches jetzt das Daseyn der Völker regle, sey nur auf Gerechtig-
keit und das gemeinsame Interesse der Regierungen gegründet."

Das sagt das officiöse Blatt zur Feier einer Annexion, welche sich nach
dem französischen Minister des Aeußern in erster Instanz auf das unzweifel-
hafte Recht jedes Souveräns stützt, seine Länder zu verschenken an wen ihm
beliebt. Diese Erklärung des Hrn. Thouvenel über das Souveränetätsrecht
paßt schlecht zu den Worten des Constitutionnel. Und wir wollen deß-
halb daran erinnern daß Louis Napoleon und Victor Emmanuel über
Savoyen und Nizza mitten im Frieden Verträge abschlossen, worin sie ohne
Zustimmung dieser Länder über ihre künftigen Geschicke in einer Weise ver-
fügten wie das selbst 1815 nicht geschehen. Für die Glaubwürdigkeit der
Versicherungen welche Louis Napoleon in Baden-Baden geben wird, ist der
[Spaltenumbruch] Leitartikel des officiösen Blattes äußerst bezeichnend. Es heißt darin: "Wir
glauben daß nach dem stricten Recht der Kaiser als Souverän volle Berech-
tigung befaß eine Vergrößerung Frankreichs anzunehmen. Frankreich
hat, als es, gestützt auf genügend bekannte Gründe, die Abhänge der Alpen
zurückforderte, weder jemand überrascht noch gezwungen. Frank-
reich hat diese Gebiete nicht erobert, sondern nur ihren von ihrem alten Sou-
verän als französisch erkannten Bevölkerungen, nachdem dieser sie ihres Eides
entbunden, ihre Nationalität zurückgegeben, ehe sie sich selbst darüber
ausgesprochen. Also freier internationaler Vertrag zweier verbundenen
Souveräne, Consultation des Willens der Bevölkerung, berufen ihre Wünsche
in aller Freiheit und ohne jeden Druck von Seite Frankreichs kundzugeben."

So wahrhaftig und den Thatsachen entsprechend die Darstellung der
Annexion durch den Constitutionnel ist, eben so wahrhaftig und zuverlässig
werden die Versicherungen des zweiten Decembers seyn. In dieser Art hat
Frankreich gehandelt, sagt der Constitutionnel, als die Aufgabe war der Be-
völkerung von Savoyen und der Graffchaft Nizza ihren Platz in der franzö-
sischen Familie zurückzugeben, so sind die Pratiken der kaiserlichen Re-
gierung. Ja wohl, so sind sie, und wir zweifeln nicht daß "je größer die mo-
ralische Macht ist welche die kaiserliche Regierung in Europa erworben, desto
mehr glaubt sie sich zur Achtung gegen das internationale Recht verpflichtet."

Die moralische Macht der Regierung vom zweiten December ist in
Europa sicher sehr gering, und ihre Achtung vor dem internationalen Recht
dürfte daher für die Sicherheit der Rheinlande eine verzweifelt schlechte Ga-
rantie seyn. Das Fest in Paris stimmt jedenfalls schlecht zu den Demon-
strationen in Nizza, wovon unsere neuesten Correspondenzen melden. Die
Freude über "die constitutionellen Garantien" welche den Savoyarden die
Annexion eingebracht hat, dürfte nicht größer seyn. Constitutionelle Garan-
tien, Recht, Gesetz, Legitimität u. s. w. führt das officiöse Blatt fortwährend
im Munde, dabei aber bestehen die Sicherheitsgesetze fort, die Preßfreiheit ist
vollständig unterdrückt, die Gesetze werden ausgelegt wie der Cassationshof
es im Proceß Dupanloup thun mußte; die Verwaltung hat die Macht ohne
Rechtsspruch und Gericht jemanden auf 10 Jahre nach Lambessa zu schicken,
die Wahlen zu dem gesetzgebenden Körper, der jeder Initiative bar ist, wer-
den a la Dalmas vorgenommen, und in diesem gesetzgebenden Körper herrscht
der von der Regierung ernannte Präsident mit absoluter Machtvollkommen-
heit bei Ausschluß der Oeffentlichkeit. Der Staatsminister Fould gab in der
Sitzung vom 13 Jun. im gesetzgebenden Körper die Erklärung ab "daß durch
die Annexion Frankreich nur Gebiete zurückgegeben wären welche davon 1815 ge-
trennt worden." Wir wollten nicht schließen ohne daran zu erinnern daß noch an-
dere Gebiete 1815 von Frankreich getrennt worden, nämlich die welche das erste
Kaiserreich erobert hatte. Jedes Wort, jeder Laut, jedes Zeichen verkündet
so daß der zweite December an nichts als an die Wiedereroberung der Grän-
zen des ersten Kaiserreichs denkt. Er nimmt sich so wenig Mühe mehr dieß
zu verbergen, oder hält die Deutschen für so leicht zu täuschen daß seine Or-
gane es fast am selben Tag öffentlich erklären, wo er persönlich den deutschen
Fürsten die entgegengesetzten Versicherungen gibt.

Die Finanzwelt scheint "die Conferenz" die an-
geblich in Baden zwischen dem Kaiser und dem Prinz-Regenten von Preußen
stattfindet, mit dem größten Vertrauen aufzunehmen. Die Börse steigt, wenn
auch bescheiden, und wenn die Imagination der Geschäftsleute größer ist als
man glauben sollte, so gibt es welche unter ihnen die am Horizont eine enorme
Hausse erblicken, überzeugt wie sie sind daß die öffentliche Meinung dieses
politische Factum ebenso aufnehmen wird wie vor einigen Jahren die Zu-
sammenkunft von Cherbourg. Hr. Fould gedenkt mit dieser Hausse Millio-
nen zu gewinnen. In der politischen Welt ist man freilich von den friedli-
chen Intentionen des Kaisers überzeugt. Will man denjenigen glauben die
zu der Regierung halten, so würde der Kaiser nur nach Baden gehen um
allen Aufregungen die sich seit einigen Monaten in Deutschland zeigen ein
Ende zu machen. Er wäre entschlossen sich mit dem Prinzen von Preußen
sehr kategorisch und sehr aufrichtig zu erklären, und ihm fest zu versichern daß
er keineswegs, wie man es voraussetzt, daran denke neue Annexionen zu
provociren. Das alles ist schön und wohl, und für meinen Theil verlange
ich nichts besseres als an die friedlichen Absichten des Kaisers zu glauben;
aber ohne die Aufrichtigkeit Louis Napoleons zu läugnen, fürchte ich daß er
sich wenigstens über diesen Punkt Illusionen macht. Es gibt etwas das noch
stärker ist als der Wille eines Souveräns: das Princip dessen Vertreter er
ist. Das Princip welches L. Napoleon vertritt, treibt ihn wider seinen Wil-
len vorwärts. Dieses Princip ist seine Stärke, wie es in einem gewissen
Augenblick seine Schwäche werden kann. Uebrigens fragen sich denkende
Männer, den besten Willen von Seiten der hohen Besucher zugegeben, wie sie
ein Mittel werden sinden können den gordischen Knoten der Lage zu lösen,
diesen Knoten voll von Fragen deren jede nur mit dem Säbel durchhauen
werden kann. Dazu kommt daß überall die öffentliche Meinung gegen L.
Napoleon aufgeregt ist in Deutschland, in Belgien, in England und in
Spanien; überall ist das Mißtrauen gegen den kaiserlichen Ehrgeiz lebendig.

[Spaltenumbruch] gelegenheiten Neapels zu miſchen. (Hört.) Wir haben allen Grund zu glauben
daß der Entſchluß, den die franzöſiſche Regierung gefaßt hat, dem der öſterreichi-
ſchen ähnlich iſt, und wie die brittiſche Regierung über einen Gegenſtand dieſer
Art denkt, brauche ich nicht erſt zu ſagen. (Hört! Hört!) Es iſt der Fehler
und das Schickſal von Regierungen wie die römiſche und neapolitaniſche daß
ſie erſt durch die in ihrem Namen begangenen Grauſamkeiten ihre Unter-
thanen zur Verzweiflung und Empörung treiben laſſen, und dann alle
befreundeten Mächte zu Hülfe rufen, und um Entfernung der Urheber
und Auſtifter der Revolution bitten. Dieſe Regierungen vergeſſen daß
ſie ſelbſt die wirklichen Urheber und Anſtifter jener revolutionären Ve-
wegungen ſind (hört! hört!), und daß wenn man ihre Bitte gewähren
wollte, der erſte, der wirkſamſte und allein nothwendige Schritt in ihrer
eigenen Entfernung beſtehen würde. (Hört! hört!) Hr. O. Stan ley fragt
ob es wahr ſey daß die brittiſche Geſandtſchaft in Berlin einen militäriſchen
Attaché erhalten habe? Lord Palmerſton erwiedert die franzöſiſche Re-
gierung habe ihren Geſandſchaften an faſt allen bedeutenden Höfen militäri-
ſche Attachés beigegeben, und die brittiſche Regierung habe längſt einen Offi-
cier bei ihrer Geſandtſchaft in Paris. So habe es auch zweckmäßig geſchienen,
dasſelbe in Berlin zu thun. Wie weit ſein edler Freund an der Spitze des
Auswärtigen dieß Syſtem auszudehnen gedenke, könne er nicht ſagen. Sir
John Pakington möchte wiſſen ob die franzöſiſche Geſandtſchaft in London
nicht einen Flottenofficier als Attaché erhalten habe, und ob England nicht
das Beiſpiel nachahmen werde. Lord Palmerſton ſagt: die franzöſiſche
Geſandtſchaft habe einen Flottenattaché erhalten, und weiß noch nicht ob ſein
edler Freund einen ſolchen in Paris anzuſtellen beabſichtige.

Hr. Franz Pulzky überſiedelt mit ſeiner Familie von London nach Turin.

Frankreich.

Das Annexionsfeſt iſt am Jahrestag der Schlacht von Marengo be-
gangen worden. Im kleinen wie im großen vergißt Louis Napoleon nie die
Erinnerung an die Ereigniſſe der erſten Kaiſerzeit aufzufriſchen, und die deut-
ſchen Regierungen haben das bisher in der gelungenſten Weiſe unterſtützt.
Sie geben ſich dazu her Friedensſchlüſſe, in welchen das Intereſſe Deutſch-
lands aufs höchſte verletzt wurde, welche Triumphe des zweiten Decembers wa-
ren, am Tage deutſcher Siege zu unterſchreiben, als die gefälligen Diener
einer Macht die ſyſtematiſch an ihrem Sturz arbeitet. Die deutſchen Regie-
rungen irrten ſich wenn ſie glaubten das deutſche Volk ſey unempfindlich für
dieſe Art die Triumphe einer großen Zeit zu verdunkeln; Erinnerungen die
eng mit den Verſprechungen verknüpft ſind welche damals die Throne gaben,
für die das deutſche Volk mit ſeinem Blut und ſeinem Vermögen ein-
geſtanden. Louis Napoleon weiß die hiſtoriſchen Erinnerungen zur He-
bung des Nationalgefühls beſſer auszunutzen, und doch wäre das deutſcher-
ſeits viel nothwendiger, weil eben unſer Nationalgefühl erſt ſchwach, erſt im
Entſtehen begriffen iſt, und doch iſt es, wenn es nur zur freien Wirkſamkeit
gelangt, eine Kraft welche uns unbeſiegbar macht, die uns aufrecht erhalten
kann in jedem Kampf. Es iſt ein glücklicher Zufall der jetzt die Fürſten
Deutſchlands dicht vor dem Tag der Schlacht von Waterloo zuſammenführt.
Es würde ſicher im ganzen deutſchen Volk als ein Zeichen angeſehen werden
daß ſie ſich erinnern „daß Einigkeit allein ſtark macht,“ wenn ſie dieſen Tag
zuſammen begehen wollten, gedenkend daß, wenn ein Stamm feſt auf den an-
dern bauen kann, man ſelbſt dem Uebermächtigen leicht die Stirn zu bieten
vermag. „Ich wollte es wäre Abend oder die Preußen kämen!“ — die
Preußen kamen! Es möchte die Zeit nahe ſeyn wo von preußiſcher Seite
derſelbe Ruf erſchallen wird, wo Preußen und Bayern dem erſten Anlauf des
Gegners zu trotzen haben, darum würde es mit Jubel begrüßt wer-
den wenn der Prinz-Regent mit ſeinen Gäſten perſönlich das Verſprechen
tauſchte das Wellington von Blücher erhielt und gab. Mögen die deutſchen
Fürſten in Baden nicht vergeſſen daß der 18 Jun. der de la belle Alliance iſt.
— Der officiöſe Conſtitutionnel vergißt heute nicht die Erinnerung von 1815
wachzurufen, um ſeinen Leſern zu wiederholen wie ſehr damals die legitimen
Intereſſen Frankreichs verletzt worden ſeyen, „wie man in den Verträgen
von 1815 über die Völker gegen ihren Willen und ihre Geſchichte disponirt
habe. Dieſe Uſurpationen ſeyen heute nicht mehr möglich, und das öffent-
liche Recht, welches jetzt das Daſeyn der Völker regle, ſey nur auf Gerechtig-
keit und das gemeinſame Intereſſe der Regierungen gegründet.“

Das ſagt das officiöſe Blatt zur Feier einer Annexion, welche ſich nach
dem franzöſiſchen Miniſter des Aeußern in erſter Inſtanz auf das unzweifel-
hafte Recht jedes Souveräns ſtützt, ſeine Länder zu verſchenken an wen ihm
beliebt. Dieſe Erklärung des Hrn. Thouvenel über das Souveränetätsrecht
paßt ſchlecht zu den Worten des Conſtitutionnel. Und wir wollen deß-
halb daran erinnern daß Louis Napoleon und Victor Emmanuel über
Savoyen und Nizza mitten im Frieden Verträge abſchloſſen, worin ſie ohne
Zuſtimmung dieſer Länder über ihre künftigen Geſchicke in einer Weiſe ver-
fügten wie das ſelbſt 1815 nicht geſchehen. Für die Glaubwürdigkeit der
Verſicherungen welche Louis Napoleon in Baden-Baden geben wird, iſt der
[Spaltenumbruch] Leitartikel des officiöſen Blattes äußerſt bezeichnend. Es heißt darin: „Wir
glauben daß nach dem ſtricten Recht der Kaiſer als Souverän volle Berech-
tigung befaß eine Vergrößerung Frankreichs anzunehmen. Frankreich
hat, als es, geſtützt auf genügend bekannte Gründe, die Abhänge der Alpen
zurückforderte, weder jemand überraſcht noch gezwungen. Frank-
reich hat dieſe Gebiete nicht erobert, ſondern nur ihren von ihrem alten Sou-
verän als franzöſiſch erkannten Bevölkerungen, nachdem dieſer ſie ihres Eides
entbunden, ihre Nationalität zurückgegeben, ehe ſie ſich ſelbſt darüber
ausgeſprochen. Alſo freier internationaler Vertrag zweier verbundenen
Souveräne, Conſultation des Willens der Bevölkerung, berufen ihre Wünſche
in aller Freiheit und ohne jeden Druck von Seite Frankreichs kundzugeben.“

So wahrhaftig und den Thatſachen entſprechend die Darſtellung der
Annexion durch den Conſtitutionnel iſt, eben ſo wahrhaftig und zuverläſſig
werden die Verſicherungen des zweiten Decembers ſeyn. In dieſer Art hat
Frankreich gehandelt, ſagt der Conſtitutionnel, als die Aufgabe war der Be-
völkerung von Savoyen und der Graffchaft Nizza ihren Platz in der franzö-
ſiſchen Familie zurückzugeben, ſo ſind die Pratiken der kaiſerlichen Re-
gierung. Ja wohl, ſo ſind ſie, und wir zweifeln nicht daß „je größer die mo-
raliſche Macht iſt welche die kaiſerliche Regierung in Europa erworben, deſto
mehr glaubt ſie ſich zur Achtung gegen das internationale Recht verpflichtet.“

Die moraliſche Macht der Regierung vom zweiten December iſt in
Europa ſicher ſehr gering, und ihre Achtung vor dem internationalen Recht
dürfte daher für die Sicherheit der Rheinlande eine verzweifelt ſchlechte Ga-
rantie ſeyn. Das Feſt in Paris ſtimmt jedenfalls ſchlecht zu den Demon-
ſtrationen in Nizza, wovon unſere neueſten Correſpondenzen melden. Die
Freude über „die conſtitutionellen Garantien“ welche den Savoyarden die
Annexion eingebracht hat, dürfte nicht größer ſeyn. Conſtitutionelle Garan-
tien, Recht, Geſetz, Legitimität u. ſ. w. führt das officiöſe Blatt fortwährend
im Munde, dabei aber beſtehen die Sicherheitsgeſetze fort, die Preßfreiheit iſt
vollſtändig unterdrückt, die Geſetze werden ausgelegt wie der Caſſationshof
es im Proceß Dupanloup thun mußte; die Verwaltung hat die Macht ohne
Rechtsſpruch und Gericht jemanden auf 10 Jahre nach Lambeſſa zu ſchicken,
die Wahlen zu dem geſetzgebenden Körper, der jeder Initiative bar iſt, wer-
den à la Dalmas vorgenommen, und in dieſem geſetzgebenden Körper herrſcht
der von der Regierung ernannte Präſident mit abſoluter Machtvollkommen-
heit bei Ausſchluß der Oeffentlichkeit. Der Staatsminiſter Fould gab in der
Sitzung vom 13 Jun. im geſetzgebenden Körper die Erklärung ab „daß durch
die Annexion Frankreich nur Gebiete zurückgegeben wären welche davon 1815 ge-
trennt worden.“ Wir wollten nicht ſchließen ohne daran zu erinnern daß noch an-
dere Gebiete 1815 von Frankreich getrennt worden, nämlich die welche das erſte
Kaiſerreich erobert hatte. Jedes Wort, jeder Laut, jedes Zeichen verkündet
ſo daß der zweite December an nichts als an die Wiedereroberung der Grän-
zen des erſten Kaiſerreichs denkt. Er nimmt ſich ſo wenig Mühe mehr dieß
zu verbergen, oder hält die Deutſchen für ſo leicht zu täuſchen daß ſeine Or-
gane es faſt am ſelben Tag öffentlich erklären, wo er perſönlich den deutſchen
Fürſten die entgegengeſetzten Verſicherungen gibt.

Die Finanzwelt ſcheint „die Conferenz“ die an-
geblich in Baden zwiſchen dem Kaiſer und dem Prinz-Regenten von Preußen
ſtattfindet, mit dem größten Vertrauen aufzunehmen. Die Börſe ſteigt, wenn
auch beſcheiden, und wenn die Imagination der Geſchäftsleute größer iſt als
man glauben ſollte, ſo gibt es welche unter ihnen die am Horizont eine enorme
Hauſſe erblicken, überzeugt wie ſie ſind daß die öffentliche Meinung dieſes
politiſche Factum ebenſo aufnehmen wird wie vor einigen Jahren die Zu-
ſammenkunft von Cherbourg. Hr. Fould gedenkt mit dieſer Hauſſe Millio-
nen zu gewinnen. In der politiſchen Welt iſt man freilich von den friedli-
chen Intentionen des Kaiſers überzeugt. Will man denjenigen glauben die
zu der Regierung halten, ſo würde der Kaiſer nur nach Baden gehen um
allen Aufregungen die ſich ſeit einigen Monaten in Deutſchland zeigen ein
Ende zu machen. Er wäre entſchloſſen ſich mit dem Prinzen von Preußen
ſehr kategoriſch und ſehr aufrichtig zu erklären, und ihm feſt zu verſichern daß
er keineswegs, wie man es vorausſetzt, daran denke neue Annexionen zu
provociren. Das alles iſt ſchön und wohl, und für meinen Theil verlange
ich nichts beſſeres als an die friedlichen Abſichten des Kaiſers zu glauben;
aber ohne die Aufrichtigkeit Louis Napoleons zu läugnen, fürchte ich daß er
ſich wenigſtens über dieſen Punkt Illuſionen macht. Es gibt etwas das noch
ſtärker iſt als der Wille eines Souveräns: das Princip deſſen Vertreter er
iſt. Das Princip welches L. Napoleon vertritt, treibt ihn wider ſeinen Wil-
len vorwärts. Dieſes Princip iſt ſeine Stärke, wie es in einem gewiſſen
Augenblick ſeine Schwäche werden kann. Uebrigens fragen ſich denkende
Männer, den beſten Willen von Seiten der hohen Beſucher zugegeben, wie ſie
ein Mittel werden ſinden können den gordiſchen Knoten der Lage zu löſen,
dieſen Knoten voll von Fragen deren jede nur mit dem Säbel durchhauen
werden kann. Dazu kommt daß überall die öffentliche Meinung gegen L.
Napoleon aufgeregt iſt in Deutſchland, in Belgien, in England und in
Spanien; überall iſt das Mißtrauen gegen den kaiſerlichen Ehrgeiz lebendig.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jPoliticalNews" n="1">
        <div n="2">
          <div type="jArticle" n="3">
            <p><pb facs="#f0006" n="2802"/><cb/>
gelegenheiten Neapels zu mi&#x017F;chen. (Hört.) Wir haben allen Grund zu glauben<lb/>
daß der Ent&#x017F;chluß, den die franzö&#x017F;i&#x017F;che Regierung gefaßt hat, dem der ö&#x017F;terreichi-<lb/>
&#x017F;chen ähnlich i&#x017F;t, und wie die britti&#x017F;che Regierung über einen Gegen&#x017F;tand die&#x017F;er<lb/>
Art denkt, brauche ich nicht er&#x017F;t zu &#x017F;agen. (Hört! Hört!) Es i&#x017F;t der Fehler<lb/>
und das Schick&#x017F;al von Regierungen wie die römi&#x017F;che und neapolitani&#x017F;che daß<lb/>
&#x017F;ie er&#x017F;t durch die in ihrem Namen begangenen Grau&#x017F;amkeiten ihre Unter-<lb/>
thanen zur Verzweiflung und Empörung treiben la&#x017F;&#x017F;en, und dann alle<lb/>
befreundeten Mächte zu Hülfe rufen, und um Entfernung der Urheber<lb/>
und Au&#x017F;tifter der Revolution bitten. Die&#x017F;e Regierungen verge&#x017F;&#x017F;en daß<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t die wirklichen Urheber und An&#x017F;tifter jener revolutionären Ve-<lb/>
wegungen &#x017F;ind (hört! hört!), und daß wenn man ihre Bitte gewähren<lb/>
wollte, der er&#x017F;te, der wirk&#x017F;am&#x017F;te und allein nothwendige Schritt in ihrer<lb/>
eigenen Entfernung be&#x017F;tehen würde. (Hört! hört!) Hr. O. <hi rendition="#g">Stan ley</hi> fragt<lb/>
ob es wahr &#x017F;ey daß die britti&#x017F;che Ge&#x017F;andt&#x017F;chaft in Berlin einen militäri&#x017F;chen<lb/>
Attach<hi rendition="#aq">é</hi> erhalten habe? Lord <hi rendition="#g">Palmer&#x017F;ton</hi> erwiedert die franzö&#x017F;i&#x017F;che Re-<lb/>
gierung habe ihren Ge&#x017F;and&#x017F;chaften an fa&#x017F;t allen bedeutenden Höfen militäri-<lb/>
&#x017F;che Attach<hi rendition="#aq">é</hi>s beigegeben, und die britti&#x017F;che Regierung habe läng&#x017F;t einen Offi-<lb/>
cier bei ihrer Ge&#x017F;andt&#x017F;chaft in Paris. So habe es auch zweckmäßig ge&#x017F;chienen,<lb/>
das&#x017F;elbe in Berlin zu thun. Wie weit &#x017F;ein edler Freund an der Spitze des<lb/>
Auswärtigen dieß Sy&#x017F;tem auszudehnen gedenke, könne er nicht &#x017F;agen. Sir<lb/>
John <hi rendition="#g">Pakington</hi> möchte wi&#x017F;&#x017F;en ob die franzö&#x017F;i&#x017F;che Ge&#x017F;andt&#x017F;chaft in London<lb/>
nicht einen Flottenofficier als Attach<hi rendition="#aq">é</hi> erhalten habe, und ob England nicht<lb/>
das Bei&#x017F;piel nachahmen werde. Lord <hi rendition="#g">Palmer&#x017F;ton</hi> &#x017F;agt: die franzö&#x017F;i&#x017F;che<lb/>
Ge&#x017F;andt&#x017F;chaft habe einen Flottenattach<hi rendition="#aq">é</hi> erhalten, und weiß noch nicht ob &#x017F;ein<lb/>
edler Freund einen &#x017F;olchen in Paris anzu&#x017F;tellen beab&#x017F;ichtige.</p>
          </div><lb/>
          <div type="jArticle" n="3">
            <p>Hr. Franz Pulzky über&#x017F;iedelt mit &#x017F;einer Familie von London nach Turin.</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Frankreich.</hi> </head><lb/>
          <div type="jComment" n="3">
            <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 14 Jun.</dateline><lb/>
            <p>Das Annexionsfe&#x017F;t i&#x017F;t am Jahrestag der Schlacht von Marengo be-<lb/>
gangen worden. Im kleinen wie im großen vergißt Louis Napoleon nie die<lb/>
Erinnerung an die Ereigni&#x017F;&#x017F;e der er&#x017F;ten Kai&#x017F;erzeit aufzufri&#x017F;chen, und die deut-<lb/>
&#x017F;chen Regierungen haben das bisher in der gelungen&#x017F;ten Wei&#x017F;e unter&#x017F;tützt.<lb/>
Sie geben &#x017F;ich dazu her Friedens&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;e, in welchen das Intere&#x017F;&#x017F;e Deut&#x017F;ch-<lb/>
lands aufs höch&#x017F;te verletzt wurde, welche Triumphe des zweiten Decembers wa-<lb/>
ren, am Tage deut&#x017F;cher Siege zu unter&#x017F;chreiben, als die gefälligen Diener<lb/>
einer Macht die &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;ch an ihrem Sturz arbeitet. Die deut&#x017F;chen Regie-<lb/>
rungen irrten &#x017F;ich wenn &#x017F;ie glaubten das deut&#x017F;che Volk &#x017F;ey unempfindlich für<lb/>
die&#x017F;e Art die Triumphe einer großen Zeit zu verdunkeln; Erinnerungen die<lb/>
eng mit den Ver&#x017F;prechungen verknüpft &#x017F;ind welche damals die Throne gaben,<lb/>
für die das deut&#x017F;che Volk mit &#x017F;einem Blut und &#x017F;einem Vermögen ein-<lb/>
ge&#x017F;tanden. Louis Napoleon weiß die hi&#x017F;tori&#x017F;chen Erinnerungen zur He-<lb/>
bung des Nationalgefühls be&#x017F;&#x017F;er auszunutzen, und doch wäre das deut&#x017F;cher-<lb/>
&#x017F;eits viel nothwendiger, weil eben un&#x017F;er Nationalgefühl er&#x017F;t &#x017F;chwach, er&#x017F;t im<lb/>
Ent&#x017F;tehen begriffen i&#x017F;t, und doch i&#x017F;t es, wenn es nur zur freien Wirk&#x017F;amkeit<lb/>
gelangt, eine Kraft welche uns unbe&#x017F;iegbar macht, die uns aufrecht erhalten<lb/>
kann in jedem Kampf. Es i&#x017F;t ein glücklicher Zufall der jetzt die Für&#x017F;ten<lb/>
Deut&#x017F;chlands dicht vor dem Tag der Schlacht von Waterloo zu&#x017F;ammenführt.<lb/>
Es würde &#x017F;icher im ganzen deut&#x017F;chen Volk als ein Zeichen ange&#x017F;ehen werden<lb/>
daß &#x017F;ie &#x017F;ich erinnern &#x201E;daß Einigkeit allein &#x017F;tark macht,&#x201C; wenn &#x017F;ie die&#x017F;en Tag<lb/>
zu&#x017F;ammen begehen wollten, gedenkend daß, wenn ein Stamm fe&#x017F;t auf den an-<lb/>
dern bauen kann, man &#x017F;elb&#x017F;t dem Uebermächtigen leicht die Stirn zu bieten<lb/>
vermag. &#x201E;Ich wollte es wäre Abend oder die Preußen kämen!&#x201C; &#x2014; die<lb/>
Preußen kamen! Es möchte die Zeit nahe &#x017F;eyn wo von preußi&#x017F;cher Seite<lb/>
der&#x017F;elbe Ruf er&#x017F;challen wird, wo Preußen und Bayern dem er&#x017F;ten Anlauf des<lb/>
Gegners zu trotzen haben, darum würde es mit Jubel begrüßt wer-<lb/>
den wenn der Prinz-Regent mit &#x017F;einen Gä&#x017F;ten per&#x017F;önlich das Ver&#x017F;prechen<lb/>
tau&#x017F;chte das Wellington von Blücher erhielt und gab. Mögen die deut&#x017F;chen<lb/>
Für&#x017F;ten in Baden nicht verge&#x017F;&#x017F;en daß der 18 Jun. der de la belle Alliance i&#x017F;t.<lb/>
&#x2014; Der officiö&#x017F;e Con&#x017F;titutionnel vergißt heute nicht die Erinnerung von 1815<lb/>
wachzurufen, um &#x017F;einen Le&#x017F;ern zu wiederholen wie &#x017F;ehr damals die legitimen<lb/>
Intere&#x017F;&#x017F;en Frankreichs verletzt worden &#x017F;eyen, &#x201E;wie man in den Verträgen<lb/>
von 1815 über die Völker gegen ihren Willen und ihre Ge&#x017F;chichte disponirt<lb/>
habe. Die&#x017F;e U&#x017F;urpationen &#x017F;eyen heute nicht mehr möglich, und das öffent-<lb/>
liche Recht, welches jetzt das Da&#x017F;eyn der Völker regle, &#x017F;ey nur auf Gerechtig-<lb/>
keit und das gemein&#x017F;ame Intere&#x017F;&#x017F;e der Regierungen gegründet.&#x201C;</p><lb/>
            <p>Das &#x017F;agt das officiö&#x017F;e Blatt zur Feier einer Annexion, welche &#x017F;ich nach<lb/>
dem franzö&#x017F;i&#x017F;chen Mini&#x017F;ter des Aeußern in er&#x017F;ter In&#x017F;tanz auf das unzweifel-<lb/>
hafte Recht jedes Souveräns &#x017F;tützt, &#x017F;eine Länder zu ver&#x017F;chenken an wen ihm<lb/>
beliebt. Die&#x017F;e Erklärung des Hrn. Thouvenel über das Souveränetätsrecht<lb/>
paßt &#x017F;chlecht zu den Worten des Con&#x017F;titutionnel. Und wir wollen deß-<lb/>
halb daran erinnern daß Louis Napoleon und Victor Emmanuel über<lb/>
Savoyen und Nizza mitten im Frieden Verträge ab&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, worin &#x017F;ie ohne<lb/>
Zu&#x017F;timmung die&#x017F;er Länder über ihre künftigen Ge&#x017F;chicke in einer Wei&#x017F;e ver-<lb/>
fügten wie das &#x017F;elb&#x017F;t 1815 nicht ge&#x017F;chehen. Für die Glaubwürdigkeit der<lb/>
Ver&#x017F;icherungen welche Louis Napoleon in Baden-Baden geben wird, i&#x017F;t der<lb/><cb/>
Leitartikel des officiö&#x017F;en Blattes äußer&#x017F;t bezeichnend. Es heißt darin: <cit><quote>&#x201E;Wir<lb/>
glauben daß nach dem &#x017F;tricten Recht der Kai&#x017F;er als Souverän volle Berech-<lb/>
tigung befaß eine Vergrößerung Frankreichs <hi rendition="#g">anzunehmen.</hi> Frankreich<lb/>
hat, als es, ge&#x017F;tützt auf genügend bekannte Gründe, die Abhänge der Alpen<lb/><hi rendition="#g">zurückforderte,</hi> weder jemand <hi rendition="#g">überra&#x017F;cht</hi> noch <hi rendition="#g">gezwungen.</hi> Frank-<lb/>
reich hat die&#x017F;e Gebiete nicht erobert, &#x017F;ondern nur ihren von ihrem alten Sou-<lb/>
verän als franzö&#x017F;i&#x017F;ch erkannten Bevölkerungen, nachdem die&#x017F;er &#x017F;ie ihres Eides<lb/>
entbunden, ihre Nationalität <hi rendition="#g">zurückgegeben,</hi> ehe &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t darüber<lb/>
ausge&#x017F;prochen. Al&#x017F;o freier internationaler Vertrag zweier verbundenen<lb/>
Souveräne, Con&#x017F;ultation des Willens der Bevölkerung, berufen ihre Wün&#x017F;che<lb/>
in aller Freiheit und ohne jeden Druck von Seite Frankreichs kundzugeben.&#x201C;</quote></cit></p><lb/>
            <p>So wahrhaftig und den That&#x017F;achen ent&#x017F;prechend die Dar&#x017F;tellung der<lb/>
Annexion durch den Con&#x017F;titutionnel i&#x017F;t, eben &#x017F;o wahrhaftig und zuverlä&#x017F;&#x017F;ig<lb/>
werden die Ver&#x017F;icherungen des zweiten Decembers &#x017F;eyn. In die&#x017F;er Art hat<lb/>
Frankreich gehandelt, &#x017F;agt der Con&#x017F;titutionnel, als die Aufgabe war der Be-<lb/>
völkerung von Savoyen und der Graffchaft Nizza ihren Platz in der franzö-<lb/>
&#x017F;i&#x017F;chen Familie <hi rendition="#g">zurückzugeben,</hi> &#x017F;o &#x017F;ind die Pratiken der kai&#x017F;erlichen Re-<lb/>
gierung. Ja wohl, &#x017F;o &#x017F;ind &#x017F;ie, und wir zweifeln nicht daß &#x201E;je größer die mo-<lb/>
rali&#x017F;che Macht i&#x017F;t welche die kai&#x017F;erliche Regierung in Europa erworben, de&#x017F;to<lb/>
mehr glaubt &#x017F;ie &#x017F;ich zur Achtung gegen das internationale Recht verpflichtet.&#x201C;</p><lb/>
            <p>Die <hi rendition="#g">morali&#x017F;che</hi> Macht der Regierung vom zweiten December i&#x017F;t in<lb/>
Europa &#x017F;icher &#x017F;ehr gering, und ihre Achtung vor dem internationalen Recht<lb/>
dürfte daher für die Sicherheit der Rheinlande eine verzweifelt &#x017F;chlechte Ga-<lb/>
rantie &#x017F;eyn. Das Fe&#x017F;t in Paris &#x017F;timmt jedenfalls &#x017F;chlecht zu den Demon-<lb/>
&#x017F;trationen in Nizza, wovon un&#x017F;ere neue&#x017F;ten Corre&#x017F;pondenzen melden. Die<lb/>
Freude über &#x201E;die con&#x017F;titutionellen Garantien&#x201C; welche den Savoyarden die<lb/>
Annexion eingebracht hat, dürfte nicht größer &#x017F;eyn. Con&#x017F;titutionelle Garan-<lb/>
tien, Recht, Ge&#x017F;etz, Legitimität u. &#x017F;. w. führt das officiö&#x017F;e Blatt fortwährend<lb/>
im Munde, dabei aber be&#x017F;tehen die Sicherheitsge&#x017F;etze fort, die Preßfreiheit i&#x017F;t<lb/>
voll&#x017F;tändig unterdrückt, die Ge&#x017F;etze werden ausgelegt wie der Ca&#x017F;&#x017F;ationshof<lb/>
es im Proceß Dupanloup thun mußte; die Verwaltung hat die Macht ohne<lb/>
Rechts&#x017F;pruch und Gericht jemanden auf 10 Jahre nach Lambe&#x017F;&#x017F;a zu &#x017F;chicken,<lb/>
die Wahlen zu dem ge&#x017F;etzgebenden Körper, der jeder Initiative bar i&#x017F;t, wer-<lb/>
den <hi rendition="#aq">à</hi> la Dalmas vorgenommen, und in die&#x017F;em ge&#x017F;etzgebenden Körper herr&#x017F;cht<lb/>
der von der Regierung ernannte Prä&#x017F;ident mit ab&#x017F;oluter Machtvollkommen-<lb/>
heit bei Aus&#x017F;chluß der Oeffentlichkeit. Der Staatsmini&#x017F;ter Fould gab in der<lb/>
Sitzung vom 13 Jun. im ge&#x017F;etzgebenden Körper die Erklärung ab &#x201E;daß durch<lb/>
die Annexion Frankreich nur Gebiete zurückgegeben wären welche davon 1815 ge-<lb/>
trennt worden.&#x201C; Wir wollten nicht &#x017F;chließen ohne daran zu erinnern daß noch an-<lb/>
dere Gebiete 1815 von Frankreich getrennt worden, nämlich die welche das er&#x017F;te<lb/>
Kai&#x017F;erreich erobert hatte. Jedes Wort, jeder Laut, jedes Zeichen verkündet<lb/>
&#x017F;o daß der zweite December an nichts als an die Wiedereroberung der Grän-<lb/>
zen des er&#x017F;ten Kai&#x017F;erreichs denkt. Er nimmt &#x017F;ich &#x017F;o wenig Mühe mehr dieß<lb/>
zu verbergen, oder hält die Deut&#x017F;chen für &#x017F;o leicht zu täu&#x017F;chen daß &#x017F;eine Or-<lb/>
gane es fa&#x017F;t am &#x017F;elben Tag öffentlich erklären, wo er per&#x017F;önlich den deut&#x017F;chen<lb/>
Für&#x017F;ten die entgegenge&#x017F;etzten Ver&#x017F;icherungen gibt.</p>
          </div><lb/>
          <div type="jComment" n="3">
            <dateline>&#x2388; <hi rendition="#b">Paris,</hi> 13 Jun.</dateline>
            <p>Die Finanzwelt &#x017F;cheint &#x201E;die Conferenz&#x201C; die an-<lb/>
geblich in Baden zwi&#x017F;chen dem Kai&#x017F;er und dem Prinz-Regenten von Preußen<lb/>
&#x017F;tattfindet, mit dem größten Vertrauen aufzunehmen. Die Bör&#x017F;e &#x017F;teigt, wenn<lb/>
auch be&#x017F;cheiden, und wenn die Imagination der Ge&#x017F;chäftsleute größer i&#x017F;t als<lb/>
man glauben &#x017F;ollte, &#x017F;o gibt es welche unter ihnen die am Horizont eine enorme<lb/>
Hau&#x017F;&#x017F;e erblicken, überzeugt wie &#x017F;ie &#x017F;ind daß die öffentliche Meinung die&#x017F;es<lb/>
politi&#x017F;che Factum eben&#x017F;o aufnehmen wird wie vor einigen Jahren die Zu-<lb/>
&#x017F;ammenkunft von Cherbourg. Hr. Fould gedenkt mit die&#x017F;er Hau&#x017F;&#x017F;e Millio-<lb/>
nen zu gewinnen. In der politi&#x017F;chen Welt i&#x017F;t man freilich von den friedli-<lb/>
chen Intentionen des Kai&#x017F;ers überzeugt. Will man denjenigen glauben die<lb/>
zu der Regierung halten, &#x017F;o würde der Kai&#x017F;er nur nach Baden gehen um<lb/>
allen Aufregungen die &#x017F;ich &#x017F;eit einigen Monaten in Deut&#x017F;chland zeigen ein<lb/>
Ende zu machen. Er wäre ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich mit dem Prinzen von Preußen<lb/>
&#x017F;ehr kategori&#x017F;ch und &#x017F;ehr aufrichtig zu erklären, und ihm fe&#x017F;t zu ver&#x017F;ichern daß<lb/>
er keineswegs, wie man es voraus&#x017F;etzt, daran denke neue Annexionen zu<lb/>
provociren. Das alles i&#x017F;t &#x017F;chön und wohl, und für meinen Theil verlange<lb/>
ich nichts be&#x017F;&#x017F;eres als an die friedlichen Ab&#x017F;ichten des Kai&#x017F;ers zu glauben;<lb/>
aber ohne die Aufrichtigkeit Louis Napoleons zu läugnen, fürchte ich daß er<lb/>
&#x017F;ich wenig&#x017F;tens über die&#x017F;en Punkt Illu&#x017F;ionen macht. Es gibt etwas das noch<lb/>
&#x017F;tärker i&#x017F;t als der Wille eines Souveräns: das Princip de&#x017F;&#x017F;en Vertreter er<lb/>
i&#x017F;t. Das Princip welches L. Napoleon vertritt, treibt ihn wider &#x017F;einen Wil-<lb/>
len vorwärts. Die&#x017F;es Princip i&#x017F;t &#x017F;eine Stärke, wie es in einem gewi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Augenblick &#x017F;eine Schwäche werden kann. Uebrigens fragen &#x017F;ich denkende<lb/>
Männer, den be&#x017F;ten Willen von Seiten der hohen Be&#x017F;ucher zugegeben, wie &#x017F;ie<lb/>
ein Mittel werden &#x017F;inden können den gordi&#x017F;chen Knoten der Lage zu lö&#x017F;en,<lb/>
die&#x017F;en Knoten voll von Fragen deren jede nur mit dem Säbel durchhauen<lb/>
werden kann. Dazu kommt daß überall die öffentliche Meinung gegen L.<lb/>
Napoleon aufgeregt i&#x017F;t in Deut&#x017F;chland, in Belgien, in England und in<lb/>
Spanien; überall i&#x017F;t das Mißtrauen gegen den kai&#x017F;erlichen Ehrgeiz lebendig.<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[2802/0006] gelegenheiten Neapels zu miſchen. (Hört.) Wir haben allen Grund zu glauben daß der Entſchluß, den die franzöſiſche Regierung gefaßt hat, dem der öſterreichi- ſchen ähnlich iſt, und wie die brittiſche Regierung über einen Gegenſtand dieſer Art denkt, brauche ich nicht erſt zu ſagen. (Hört! Hört!) Es iſt der Fehler und das Schickſal von Regierungen wie die römiſche und neapolitaniſche daß ſie erſt durch die in ihrem Namen begangenen Grauſamkeiten ihre Unter- thanen zur Verzweiflung und Empörung treiben laſſen, und dann alle befreundeten Mächte zu Hülfe rufen, und um Entfernung der Urheber und Auſtifter der Revolution bitten. Dieſe Regierungen vergeſſen daß ſie ſelbſt die wirklichen Urheber und Anſtifter jener revolutionären Ve- wegungen ſind (hört! hört!), und daß wenn man ihre Bitte gewähren wollte, der erſte, der wirkſamſte und allein nothwendige Schritt in ihrer eigenen Entfernung beſtehen würde. (Hört! hört!) Hr. O. Stan ley fragt ob es wahr ſey daß die brittiſche Geſandtſchaft in Berlin einen militäriſchen Attaché erhalten habe? Lord Palmerſton erwiedert die franzöſiſche Re- gierung habe ihren Geſandſchaften an faſt allen bedeutenden Höfen militäri- ſche Attachés beigegeben, und die brittiſche Regierung habe längſt einen Offi- cier bei ihrer Geſandtſchaft in Paris. So habe es auch zweckmäßig geſchienen, dasſelbe in Berlin zu thun. Wie weit ſein edler Freund an der Spitze des Auswärtigen dieß Syſtem auszudehnen gedenke, könne er nicht ſagen. Sir John Pakington möchte wiſſen ob die franzöſiſche Geſandtſchaft in London nicht einen Flottenofficier als Attaché erhalten habe, und ob England nicht das Beiſpiel nachahmen werde. Lord Palmerſton ſagt: die franzöſiſche Geſandtſchaft habe einen Flottenattaché erhalten, und weiß noch nicht ob ſein edler Freund einen ſolchen in Paris anzuſtellen beabſichtige. Hr. Franz Pulzky überſiedelt mit ſeiner Familie von London nach Turin. Frankreich. Paris, 14 Jun. Das Annexionsfeſt iſt am Jahrestag der Schlacht von Marengo be- gangen worden. Im kleinen wie im großen vergißt Louis Napoleon nie die Erinnerung an die Ereigniſſe der erſten Kaiſerzeit aufzufriſchen, und die deut- ſchen Regierungen haben das bisher in der gelungenſten Weiſe unterſtützt. Sie geben ſich dazu her Friedensſchlüſſe, in welchen das Intereſſe Deutſch- lands aufs höchſte verletzt wurde, welche Triumphe des zweiten Decembers wa- ren, am Tage deutſcher Siege zu unterſchreiben, als die gefälligen Diener einer Macht die ſyſtematiſch an ihrem Sturz arbeitet. Die deutſchen Regie- rungen irrten ſich wenn ſie glaubten das deutſche Volk ſey unempfindlich für dieſe Art die Triumphe einer großen Zeit zu verdunkeln; Erinnerungen die eng mit den Verſprechungen verknüpft ſind welche damals die Throne gaben, für die das deutſche Volk mit ſeinem Blut und ſeinem Vermögen ein- geſtanden. Louis Napoleon weiß die hiſtoriſchen Erinnerungen zur He- bung des Nationalgefühls beſſer auszunutzen, und doch wäre das deutſcher- ſeits viel nothwendiger, weil eben unſer Nationalgefühl erſt ſchwach, erſt im Entſtehen begriffen iſt, und doch iſt es, wenn es nur zur freien Wirkſamkeit gelangt, eine Kraft welche uns unbeſiegbar macht, die uns aufrecht erhalten kann in jedem Kampf. Es iſt ein glücklicher Zufall der jetzt die Fürſten Deutſchlands dicht vor dem Tag der Schlacht von Waterloo zuſammenführt. Es würde ſicher im ganzen deutſchen Volk als ein Zeichen angeſehen werden daß ſie ſich erinnern „daß Einigkeit allein ſtark macht,“ wenn ſie dieſen Tag zuſammen begehen wollten, gedenkend daß, wenn ein Stamm feſt auf den an- dern bauen kann, man ſelbſt dem Uebermächtigen leicht die Stirn zu bieten vermag. „Ich wollte es wäre Abend oder die Preußen kämen!“ — die Preußen kamen! Es möchte die Zeit nahe ſeyn wo von preußiſcher Seite derſelbe Ruf erſchallen wird, wo Preußen und Bayern dem erſten Anlauf des Gegners zu trotzen haben, darum würde es mit Jubel begrüßt wer- den wenn der Prinz-Regent mit ſeinen Gäſten perſönlich das Verſprechen tauſchte das Wellington von Blücher erhielt und gab. Mögen die deutſchen Fürſten in Baden nicht vergeſſen daß der 18 Jun. der de la belle Alliance iſt. — Der officiöſe Conſtitutionnel vergißt heute nicht die Erinnerung von 1815 wachzurufen, um ſeinen Leſern zu wiederholen wie ſehr damals die legitimen Intereſſen Frankreichs verletzt worden ſeyen, „wie man in den Verträgen von 1815 über die Völker gegen ihren Willen und ihre Geſchichte disponirt habe. Dieſe Uſurpationen ſeyen heute nicht mehr möglich, und das öffent- liche Recht, welches jetzt das Daſeyn der Völker regle, ſey nur auf Gerechtig- keit und das gemeinſame Intereſſe der Regierungen gegründet.“ Das ſagt das officiöſe Blatt zur Feier einer Annexion, welche ſich nach dem franzöſiſchen Miniſter des Aeußern in erſter Inſtanz auf das unzweifel- hafte Recht jedes Souveräns ſtützt, ſeine Länder zu verſchenken an wen ihm beliebt. Dieſe Erklärung des Hrn. Thouvenel über das Souveränetätsrecht paßt ſchlecht zu den Worten des Conſtitutionnel. Und wir wollen deß- halb daran erinnern daß Louis Napoleon und Victor Emmanuel über Savoyen und Nizza mitten im Frieden Verträge abſchloſſen, worin ſie ohne Zuſtimmung dieſer Länder über ihre künftigen Geſchicke in einer Weiſe ver- fügten wie das ſelbſt 1815 nicht geſchehen. Für die Glaubwürdigkeit der Verſicherungen welche Louis Napoleon in Baden-Baden geben wird, iſt der Leitartikel des officiöſen Blattes äußerſt bezeichnend. Es heißt darin: „Wir glauben daß nach dem ſtricten Recht der Kaiſer als Souverän volle Berech- tigung befaß eine Vergrößerung Frankreichs anzunehmen. Frankreich hat, als es, geſtützt auf genügend bekannte Gründe, die Abhänge der Alpen zurückforderte, weder jemand überraſcht noch gezwungen. Frank- reich hat dieſe Gebiete nicht erobert, ſondern nur ihren von ihrem alten Sou- verän als franzöſiſch erkannten Bevölkerungen, nachdem dieſer ſie ihres Eides entbunden, ihre Nationalität zurückgegeben, ehe ſie ſich ſelbſt darüber ausgeſprochen. Alſo freier internationaler Vertrag zweier verbundenen Souveräne, Conſultation des Willens der Bevölkerung, berufen ihre Wünſche in aller Freiheit und ohne jeden Druck von Seite Frankreichs kundzugeben.“ So wahrhaftig und den Thatſachen entſprechend die Darſtellung der Annexion durch den Conſtitutionnel iſt, eben ſo wahrhaftig und zuverläſſig werden die Verſicherungen des zweiten Decembers ſeyn. In dieſer Art hat Frankreich gehandelt, ſagt der Conſtitutionnel, als die Aufgabe war der Be- völkerung von Savoyen und der Graffchaft Nizza ihren Platz in der franzö- ſiſchen Familie zurückzugeben, ſo ſind die Pratiken der kaiſerlichen Re- gierung. Ja wohl, ſo ſind ſie, und wir zweifeln nicht daß „je größer die mo- raliſche Macht iſt welche die kaiſerliche Regierung in Europa erworben, deſto mehr glaubt ſie ſich zur Achtung gegen das internationale Recht verpflichtet.“ Die moraliſche Macht der Regierung vom zweiten December iſt in Europa ſicher ſehr gering, und ihre Achtung vor dem internationalen Recht dürfte daher für die Sicherheit der Rheinlande eine verzweifelt ſchlechte Ga- rantie ſeyn. Das Feſt in Paris ſtimmt jedenfalls ſchlecht zu den Demon- ſtrationen in Nizza, wovon unſere neueſten Correſpondenzen melden. Die Freude über „die conſtitutionellen Garantien“ welche den Savoyarden die Annexion eingebracht hat, dürfte nicht größer ſeyn. Conſtitutionelle Garan- tien, Recht, Geſetz, Legitimität u. ſ. w. führt das officiöſe Blatt fortwährend im Munde, dabei aber beſtehen die Sicherheitsgeſetze fort, die Preßfreiheit iſt vollſtändig unterdrückt, die Geſetze werden ausgelegt wie der Caſſationshof es im Proceß Dupanloup thun mußte; die Verwaltung hat die Macht ohne Rechtsſpruch und Gericht jemanden auf 10 Jahre nach Lambeſſa zu ſchicken, die Wahlen zu dem geſetzgebenden Körper, der jeder Initiative bar iſt, wer- den à la Dalmas vorgenommen, und in dieſem geſetzgebenden Körper herrſcht der von der Regierung ernannte Präſident mit abſoluter Machtvollkommen- heit bei Ausſchluß der Oeffentlichkeit. Der Staatsminiſter Fould gab in der Sitzung vom 13 Jun. im geſetzgebenden Körper die Erklärung ab „daß durch die Annexion Frankreich nur Gebiete zurückgegeben wären welche davon 1815 ge- trennt worden.“ Wir wollten nicht ſchließen ohne daran zu erinnern daß noch an- dere Gebiete 1815 von Frankreich getrennt worden, nämlich die welche das erſte Kaiſerreich erobert hatte. Jedes Wort, jeder Laut, jedes Zeichen verkündet ſo daß der zweite December an nichts als an die Wiedereroberung der Grän- zen des erſten Kaiſerreichs denkt. Er nimmt ſich ſo wenig Mühe mehr dieß zu verbergen, oder hält die Deutſchen für ſo leicht zu täuſchen daß ſeine Or- gane es faſt am ſelben Tag öffentlich erklären, wo er perſönlich den deutſchen Fürſten die entgegengeſetzten Verſicherungen gibt. ⎈ Paris, 13 Jun. Die Finanzwelt ſcheint „die Conferenz“ die an- geblich in Baden zwiſchen dem Kaiſer und dem Prinz-Regenten von Preußen ſtattfindet, mit dem größten Vertrauen aufzunehmen. Die Börſe ſteigt, wenn auch beſcheiden, und wenn die Imagination der Geſchäftsleute größer iſt als man glauben ſollte, ſo gibt es welche unter ihnen die am Horizont eine enorme Hauſſe erblicken, überzeugt wie ſie ſind daß die öffentliche Meinung dieſes politiſche Factum ebenſo aufnehmen wird wie vor einigen Jahren die Zu- ſammenkunft von Cherbourg. Hr. Fould gedenkt mit dieſer Hauſſe Millio- nen zu gewinnen. In der politiſchen Welt iſt man freilich von den friedli- chen Intentionen des Kaiſers überzeugt. Will man denjenigen glauben die zu der Regierung halten, ſo würde der Kaiſer nur nach Baden gehen um allen Aufregungen die ſich ſeit einigen Monaten in Deutſchland zeigen ein Ende zu machen. Er wäre entſchloſſen ſich mit dem Prinzen von Preußen ſehr kategoriſch und ſehr aufrichtig zu erklären, und ihm feſt zu verſichern daß er keineswegs, wie man es vorausſetzt, daran denke neue Annexionen zu provociren. Das alles iſt ſchön und wohl, und für meinen Theil verlange ich nichts beſſeres als an die friedlichen Abſichten des Kaiſers zu glauben; aber ohne die Aufrichtigkeit Louis Napoleons zu läugnen, fürchte ich daß er ſich wenigſtens über dieſen Punkt Illuſionen macht. Es gibt etwas das noch ſtärker iſt als der Wille eines Souveräns: das Princip deſſen Vertreter er iſt. Das Princip welches L. Napoleon vertritt, treibt ihn wider ſeinen Wil- len vorwärts. Dieſes Princip iſt ſeine Stärke, wie es in einem gewiſſen Augenblick ſeine Schwäche werden kann. Uebrigens fragen ſich denkende Männer, den beſten Willen von Seiten der hohen Beſucher zugegeben, wie ſie ein Mittel werden ſinden können den gordiſchen Knoten der Lage zu löſen, dieſen Knoten voll von Fragen deren jede nur mit dem Säbel durchhauen werden kann. Dazu kommt daß überall die öffentliche Meinung gegen L. Napoleon aufgeregt iſt in Deutſchland, in Belgien, in England und in Spanien; überall iſt das Mißtrauen gegen den kaiſerlichen Ehrgeiz lebendig.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

Weitere Informationen:

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine168_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine168_1860/6
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 168, 16. Juni 1860, S. 2802. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine168_1860/6>, abgerufen am 14.08.2024.