Allgemeine Zeitung, Nr. 168, 16. Juni 1860.[Spaltenumbruch]
Wie aufrichtig auch der Wille desselben zu Gunsten der Erhaltung des Frie- Italien. # Neapel, 8 Jun. Nach einem hartnäckigen Straßenkampf mit x Turin, 11 Jun. Heute sind wir im Fall Ihnen ein Actenstück mitzu- x Turin, 12 Jun. Heute oder morgen erwartet man die formelle m Mailand, 12 Jun. Heute 9 Uhr Morgens reiste Marschall Vaillant [Spaltenumbruch]
Wie aufrichtig auch der Wille desſelben zu Gunſten der Erhaltung des Frie- Italien. # Neapel, 8 Jun. Nach einem hartnäckigen Straßenkampf mit × Turin, 11 Jun. Heute ſind wir im Fall Ihnen ein Actenſtück mitzu- × Turin, 12 Jun. Heute oder morgen erwartet man die formelle ɱ Mailand, 12 Jun. Heute 9 Uhr Morgens reiste Marſchall Vaillant <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div type="jComment" n="3"> <p><pb facs="#f0007" n="2803"/><cb/> Wie aufrichtig auch der Wille desſelben zu Gunſten der Erhaltung des Frie-<lb/> dens ſeyn mag, man wird nicht daran glauben, eben wegen dieſes Napoleoni-<lb/> ſchen Princips, das, wie alle Principien, nur unter der Bedingung exiſtirt ſich<lb/> in allen ſeinen Conſequenzen zu entwickeln. Wenn der Friede, ein dauer-<lb/> haſter Friede, aus der Zuſammenkunft in Baden hervorgehen könnte, ſo würde<lb/> es das außerordentlichſte Factum ſeyn dem wir noch beigewohnt hätten.</p> </div> </div><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Italien.</hi> </head><lb/> <div type="jComment" n="3"> <dateline># <hi rendition="#b">Neapel,</hi> 8 Jun.</dateline> <p>Nach einem hartnäckigen Straßenkampf mit<lb/> Inſurgentenhaufen die ums dreifache zahlreicher waren, und drei Stück<lb/> Geſchütz mit ſich führten, haben die königlichen Truppen Catania geräumt.<lb/> Aber erſt nachdem ſie die Inſurgenten aus der Stadt vertrieben, und ihnen<lb/> ihre drei Kanonen abgenommen hatten. Die Stellung in Catania war zu<lb/> iſolirt, als daß es rathſam hätte ſeyn können ſie zu behaupten. Bei kaum<lb/> 1800 Mann Beſatzung zählt man 197 an Todten und Verwundeten, alſo<lb/> beiläuſig 11 vom Hundert, während der Verluſt der Aufſtändiſchen noch<lb/> das doppelte überſteigen ſoll, was vielleicht dafür zeugen dürfte daß das<lb/> Gefecht nicht ſo ganz unbedeutend war. Erſt am Tage nach demſelben ver-<lb/> ließ General Clary mit ſeinen Streitkräften Catania um ſich auf Meſſina<lb/> zurückzuziehen. Die Kunde von der Räumung Palermo’s, es verſteht ſich<lb/> durch diplomatiſche Intervention, wird der Allg. Zeitung über Genua und<lb/> Turin zugegangen ſeyn. Vorderhand enthalte ich mich alſo über dieſes Er-<lb/> eigniß zu ſprechen. Ich hoſſe indeſſen noch ſpäter darauf zurückzukommen.<lb/> Alle andern Städte ſind ebenfalls geräumt worden. Nur Meſſina, Agoſta<lb/> und Syracus werden noch beſetzt bleiben. Das ſicilianiſche Drama ſcheint<lb/> im Galopp ſeinem Finale entgegen zu eilen. — Fortwährend langen Ver-<lb/> wundete von Paleꝛmo und Catania hier an, und geſtern Abend wurden etwa<lb/> 400 derſelben mit der Eiſenbahn nach Caſerta in das dortige große Militär-<lb/> hoſpital befördert. Aber es muß wirklich empören wenn man die Neugierde<lb/> wahrnimmt mit welcher nicht nur das Proletariat, ſondern auch der vor-<lb/> nehme Pöbel ſich herbeidrängt um die Verwundeten, als ſeyen es Wundergeſchöpfe<lb/> einer andern Welt, zu ſehen, und die kalte Gleichgültigkeit mit der jedermann<lb/> ſie anſtarrt. Auch keine Spur von Mitleid oder von Theilnahme iſt bei<lb/> irgendeinem dieſer herzloſen Gaffer zu erblicken. Nicht einmal bei Weibern<lb/> und Mädchen, dem Anſchein nach ſelbſt den beſſern Volksclaſſen angehörig,<lb/> die, wie ſich ſchon von ſelbſt verſteht, bei einer ſolchen Scene kaum feh-<lb/> len dürfen. (Das iſt ein ſchlimmes Zeichen für die Regierung; es be-<lb/> weist eben daß anch die Bevölkerung Neapels mit Garibaldi ſym-<lb/> pathiſtrt.) — Geſtern iſt der Commendatore de Martino, dieſſeitiger Ge-<lb/> ſchäftsträger am römiſchen Hof, in außerordentlicher Miſſion nach Paris<lb/> abgegangen. Er iſt ein ſehr geiſtreicher Mann, der im Ruf eines äußerſt<lb/> gewandten Diplomaten ſteht. Hätten die Truppen, die überall brav zu<lb/> fechten verſtanden, einen geſcheidtern Führer gehabt, ſchwerlich hätte man<lb/> zu dieſer Miſſion ſchreiten dürfen.</p> </div><lb/> <div type="jComment" n="3"> <dateline>× <hi rendition="#b">Turin,</hi> 11 Jun.</dateline> <p>Heute ſind wir im Fall Ihnen ein Actenſtück mitzu-<lb/> theilen aus dem das Verhältniß Garibaldi’s zu den mazziniſtiſchen Grundſätzen<lb/> nur zu klar hervorſchaut. Er ſpricht den Socialismus in einer Weiſe aus<lb/> die überraſchen wird. Hier das Actenſtück: <cit><quote>Joſ. Garibaldi, Haupt der<lb/> nationalen Kräfte auf Sicilien, vermöge der ihm übertragenen Macht be-<lb/> ſchließt: Art. 1. Von dem Lande der Cameraldomänen, das gemäß dem<lb/> Geſetz unter die Bürger der eigenen Gemeinde zu vertheilen iſt, erhält eine<lb/> beſtimmte Qnote, ohne Zutheilung, jeder der für das Vaterland geſtritten hat.<lb/> Im Fall des Todes der Soldaten fällt dieſes Recht an ſeine Erben. Art. 2.<lb/> Dieſe Quote, von der im Art. 1 die Rede war, ſoll gleich ſeyn denjenigen die<lb/> für die armen beſitzloſen Familienhäupter beſtimmt und die ihnen zugetheilt<lb/> werden. Wenn das Land einer Gemeinde ſo ausgedehnt iſt daß es die Be-<lb/> dürfniſſe der Bevölkerung überſchreitet, ſo ſollen die Soldaten und ihre Er-<lb/> ben die doppelte Quote ihrer Mittheilnehmer erhalten. Art. 3. Wenn die<lb/> Gemeinden nicht eigene Domänen beſitzen, ſo ſollen ſie mit dem Land der<lb/> Staats- und Krondomänen erſetzt werden. Art. 4. Der Staatsſecretär iſt<lb/> beauftragt gegenwärtiges Decret zu vollziehen. <date>Palermo, 2 Juni 1860.</date></quote><lb/><bibl>Dictator Joſ. Garibaldi, der Staatsſecretär Fr. Criſpi.</bibl></cit> — Salvatori Capello<lb/> und Onofrio di Benedetto ſind zu Quäſtoren der Stadt und des Diſtricts<lb/> Palermo ernannt. Sie wählen die Aſſeſſoren der öffentlichen Sicherheit für<lb/> die Stadt, und die Delegaten für die Gemeinen des Diſtricts. Der Gene-<lb/> ralintendant der nationalen Streitkräfte iſt, bis weiteres beſtimmt wird, Schatz-<lb/> meiſter und Caſſier Siciliens. Alle Finanzangeſtellten hängen von ihm ab.<lb/> In einem andern Decret (denn Decrete regnet es in Sicilien) heißt es: <cit><quote>Art. 1.<lb/> Für jeden der 24 Diſtricte iſt ein Governatore eingeſetzt. Art. 4. Ausgeſchloſſen<lb/> aus dem civilen Rathe — und ſie können nicht werden Mitglieder des Muni-<lb/> cipal-Magiſtrats, nicht Gemeinderichter, nicht Agenten der öffentlichen Ver-<lb/> waltung — ſind: <hi rendition="#aq">a</hi>) diejenigen die direct oder indirect die Wiedereinſetzung<lb/> der Bourbonen begünſtigen; <hi rendition="#aq">b</hi>) diejenigen die verwaltet haben oder noch ver-<lb/> walten öffentliche Aemter im Namen der illegitimen Macht, die gegenwärtig<lb/> noch Sicilien quält; <hi rendition="#aq">c</hi>) diejenigen die ſich öffentlich der Erlöſung des Vater-<lb/> landes entgegenſetzen.</quote></cit>“ O heilige Rechtsgrundſätze! — In Calabrien droht<lb/><cb/> freilich Revolution; wenigſtens beginnt man ſchon frech genug mit dem Spiel<lb/> der Proclamationen. Eine ſolche, unterſchrieben von Ant. Garcea, einem<lb/> elfjährigen Galeerenſträfling, datirt von Scilla, kommt von Malta. Die<lb/> Proclamation gleicht allen andern. Gott vertritt die Stelle eines Zeugen,<lb/> ebenſo Europa. Die Bourbonen ſind Tyrannen. Victor Emmanuel iſt der<lb/> Stolz Italiens, neue Epoche des Vaterlandes, Aufſtand, Muth ꝛc.</p> </div><lb/> <div type="jComment" n="3"> <dateline>× <hi rendition="#b">Turin,</hi> 12 Jun.</dateline> <p>Heute oder morgen erwartet man die formelle<lb/> Bekanntmachung der Abtretung Savoyens und Nizza’s. Alſo auch dieſes<lb/> Werk iſt vollendet; man kann zu einem andern ſchreiten! In einer Beſpre-<lb/> chung des Senats läßt ſich das „Diritto“ über den ſo bekannten und berühm-<lb/> ten Manzoni, der, wie es ſcheint, auch in die Abtretung einwilligte, aus:<lb/> „Auch der <hi rendition="#g">arme</hi> Manzoni, welcher <hi rendition="#g">alt</hi> an Jahren und <hi rendition="#g">jung</hi> in den parla-<lb/> mentariſchen Dingen iſt, wußte nicht was zu thun wäre.“ Wie es ſcheint,<lb/> war Manzoni von d’Azeglio beeinflußt. — Ich muß auch heute wieder auf die<lb/> „Perſeveranza“ kommen. Ich habe ſchon in meinen letzten Correſpondenzen<lb/> angedeutet wie leichtfertig und frech ſie über Völker und Fürſten abhandelt,<lb/> und hiezu nun wieder einen Beweis. In der geſtrigen Nummer gibt ſie einen<lb/> Artikel: <hi rendition="#aq">„Ärdimento ch’è prudenza“</hi> (Muth, der Klugheit iſt). Will die<lb/> Perſeveranza die Stelle eines italieniſchen Moniteur vertreten? Stolz tritt<lb/> die Matrone auf, erhebt ihre Stimme und — Oeſterreich iſt zu Boden ge-<lb/> ſchmettert. Das iſt ihr ſchon vollkommene Thatſache; ſie emancipirt ſchon<lb/> die öſtlichen Völker, Ungarn, Böhmen und Deutſche reichen ſich die Hand zum<lb/> Abſchied. Neue Reiche entſtehen auf den Rath der Perſeveranza! „Was<lb/> würden z. B. die deutſchen Tiroler verliern,“ ſagt das Blatt, „wenn ſie mit<lb/> Bayern vereinigt würden? Was wär’ es wenn alle Deutſchen in ein ger-<lb/> maniſches Reich träten, ſey es mit ſtrenger unitariſcher oder föderativer<lb/> Form?“ — Nach der „Turiner Ztg.“ Nr. 160 iſt ein neuer Vertrag abge-<lb/> ſchloſſen worden mit Hrn. Escoffier von Saint-Etienne über eine bedeutende<lb/> Lieferung gezogener Gewehre. Es ſollen ferner bis zum nächſten Juli 80<lb/> Batterien Artillerie (?) mit einer entſprechenden Anzahl Kanonen und Wagen<lb/> vollendet ſeyn. — General Roſelli wurde in Folge der Deſertionen in Dis-<lb/> ponibilität mit Beſoldung verſetzt. — Die Eroberung Siciliens hält man hier<lb/> (Mailänder Zeitung) für den Prolog eines großen Drama’s das auf dem Feſt-<lb/> land ſpielen ſoll. Garibaldi werde Meſſina umgehen und direct auf das<lb/> Feſtland losſchreiten, und zwar gerade auf Neapel zu. Gelingt der Streich,<lb/> ſo würde Meſſina mit der Dynaſtie fallen; ſollte er fehlſchlagen, ſo gibt ihm<lb/> Sicilien immerhin einen Rückhalt, und iſt ihm die Baſis für künftige Thaten.<lb/> — In Syracus ſtellte am 25 Mai der engliſche Conſul ſeine Fahne aus;<lb/> die Soldaten verſuchten ſie herunterzureißen, und bedrohten das Leben<lb/> der Frau und des Conſuls ſelbſt. Darauf erfolgte ein Proteſt, unterſchrieben<lb/> von allen anweſenden Viceconſuln, an den commandirenden Marſchall<lb/> Rodriguez. Derſelbe antwortete in ſehr gehaltenem Tone. So ſchreibt<lb/> „L’Cſpero.“</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline>ɱ <hi rendition="#b">Mailand,</hi> 12 Jun.</dateline> <p>Heute 9 Uhr Morgens reiste Marſchall Vaillant<lb/> nach Frankreich ab, wird aber, wie es heißt, früher noch Florenz und Turin<lb/> beſuchen. Die Nationalgarde bildete Spalier von der Villa Reale, wo er<lb/> wohnte, bis zur Eiſenbahnſtation der Porta Nuova. Es wohnten der Abreiſe<lb/> eine Menge von Perſonen bei; doch war der Pöbel und das weibliche Geſchlecht,<lb/> wie es immer der Fall iſt wenn es eine Demonſtration gilt, am meiſten dabei<lb/> vertreten. Geſtern um 1 Uhr machte der hieſige Podeſt<hi rendition="#aq">à</hi> mit ſeinen Aſſeſſoren<lb/> dem Marſchall den Abſchiedsbeſuch, und überreichte demſelben eine Adreſſe.<lb/> Zu gleicher Zeit wurde er auch gebeten ein artiſtiſches Album anzuneh-<lb/> men, welches jetzt in der Arbeit begriffen iſt, und dem Marſchall gleich<lb/> nach ſeiner Beendigung zugeſchickt werden ſoll. Es enthält alle Epi-<lb/> ſoden des <hi rendition="#g">vorjährigen</hi> Krieges in Kunſtblättern mit begleitendem Text.<lb/> — Der Marſchall hat, wie ich Ihnen ſchon ſchrieb, die vorige Woche Ve-<lb/> nedig beſucht, und die hieſige Tagspreſſe ermangelte nicht dieſe Reiſe zu ihrem<lb/> Zweck auszubeuten. Wie die dortigen Blätter melden, wurde er ſowohl in<lb/> Verona als Venedig mit allen militäriſchen Ehren empfangen, aber dieß hin-<lb/> dert unſere Blätter nicht die Reiſe des Marſchalls nach Venedig als eine<lb/> Oeſterreich feindliche Demonſtration ihren ſtupiden Leſern darzuſtellen, die<lb/> alles für bare Münze annehmen, es mag noch ſo augenſcheinlich dumm ſeyn;<lb/> es genügt daß es gegen Oeſterreich iſt. So läßt ſich der Koryphäe der hie-<lb/> ſigen Lügenblätter, der <hi rendition="#g">Pungolo,</hi> über dieſe Reiſe aus Venedig ſchreiben<lb/> daß der Marſchall binnen einigen Stunden über 2000 Viſitenkarten erhielt, und<lb/> daß bei ſeinem Spaziergang auf dem Marcusplatz und längs der Riva dei<lb/> Schiavoni er von einer Maſſe Menſchen umringt wurde, die ihn an die<lb/> Worte ſeines Kaiſers „von den Alpen bis zur Adria“ erinnerten, und wie<lb/> dieſelben im Herzen der Venetianer wie ein heiliges Verſprechen eingeprägt<lb/> wären. Die Venetianer Damen, ſagt der <hi rendition="#g">Pungolo,</hi> verehrten demſelben<lb/> Bouquets und Blumenkronen, und um alles zu ſagen, auch Briefchen (?), in<lb/> welchen die Hoffnungen der Venetianer mit rührenden Worten ausgedrückt<lb/> waren. — Der Pungolo ſpricht nun die ſichere Hoffnung aus: der Marſchall<lb/> werde, in Paris angekommen, nicht ermapgeln dem Kaiſer ſeine Aufnahme<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [2803/0007]
Wie aufrichtig auch der Wille desſelben zu Gunſten der Erhaltung des Frie-
dens ſeyn mag, man wird nicht daran glauben, eben wegen dieſes Napoleoni-
ſchen Princips, das, wie alle Principien, nur unter der Bedingung exiſtirt ſich
in allen ſeinen Conſequenzen zu entwickeln. Wenn der Friede, ein dauer-
haſter Friede, aus der Zuſammenkunft in Baden hervorgehen könnte, ſo würde
es das außerordentlichſte Factum ſeyn dem wir noch beigewohnt hätten.
Italien.
# Neapel, 8 Jun. Nach einem hartnäckigen Straßenkampf mit
Inſurgentenhaufen die ums dreifache zahlreicher waren, und drei Stück
Geſchütz mit ſich führten, haben die königlichen Truppen Catania geräumt.
Aber erſt nachdem ſie die Inſurgenten aus der Stadt vertrieben, und ihnen
ihre drei Kanonen abgenommen hatten. Die Stellung in Catania war zu
iſolirt, als daß es rathſam hätte ſeyn können ſie zu behaupten. Bei kaum
1800 Mann Beſatzung zählt man 197 an Todten und Verwundeten, alſo
beiläuſig 11 vom Hundert, während der Verluſt der Aufſtändiſchen noch
das doppelte überſteigen ſoll, was vielleicht dafür zeugen dürfte daß das
Gefecht nicht ſo ganz unbedeutend war. Erſt am Tage nach demſelben ver-
ließ General Clary mit ſeinen Streitkräften Catania um ſich auf Meſſina
zurückzuziehen. Die Kunde von der Räumung Palermo’s, es verſteht ſich
durch diplomatiſche Intervention, wird der Allg. Zeitung über Genua und
Turin zugegangen ſeyn. Vorderhand enthalte ich mich alſo über dieſes Er-
eigniß zu ſprechen. Ich hoſſe indeſſen noch ſpäter darauf zurückzukommen.
Alle andern Städte ſind ebenfalls geräumt worden. Nur Meſſina, Agoſta
und Syracus werden noch beſetzt bleiben. Das ſicilianiſche Drama ſcheint
im Galopp ſeinem Finale entgegen zu eilen. — Fortwährend langen Ver-
wundete von Paleꝛmo und Catania hier an, und geſtern Abend wurden etwa
400 derſelben mit der Eiſenbahn nach Caſerta in das dortige große Militär-
hoſpital befördert. Aber es muß wirklich empören wenn man die Neugierde
wahrnimmt mit welcher nicht nur das Proletariat, ſondern auch der vor-
nehme Pöbel ſich herbeidrängt um die Verwundeten, als ſeyen es Wundergeſchöpfe
einer andern Welt, zu ſehen, und die kalte Gleichgültigkeit mit der jedermann
ſie anſtarrt. Auch keine Spur von Mitleid oder von Theilnahme iſt bei
irgendeinem dieſer herzloſen Gaffer zu erblicken. Nicht einmal bei Weibern
und Mädchen, dem Anſchein nach ſelbſt den beſſern Volksclaſſen angehörig,
die, wie ſich ſchon von ſelbſt verſteht, bei einer ſolchen Scene kaum feh-
len dürfen. (Das iſt ein ſchlimmes Zeichen für die Regierung; es be-
weist eben daß anch die Bevölkerung Neapels mit Garibaldi ſym-
pathiſtrt.) — Geſtern iſt der Commendatore de Martino, dieſſeitiger Ge-
ſchäftsträger am römiſchen Hof, in außerordentlicher Miſſion nach Paris
abgegangen. Er iſt ein ſehr geiſtreicher Mann, der im Ruf eines äußerſt
gewandten Diplomaten ſteht. Hätten die Truppen, die überall brav zu
fechten verſtanden, einen geſcheidtern Führer gehabt, ſchwerlich hätte man
zu dieſer Miſſion ſchreiten dürfen.
× Turin, 11 Jun. Heute ſind wir im Fall Ihnen ein Actenſtück mitzu-
theilen aus dem das Verhältniß Garibaldi’s zu den mazziniſtiſchen Grundſätzen
nur zu klar hervorſchaut. Er ſpricht den Socialismus in einer Weiſe aus
die überraſchen wird. Hier das Actenſtück: Joſ. Garibaldi, Haupt der
nationalen Kräfte auf Sicilien, vermöge der ihm übertragenen Macht be-
ſchließt: Art. 1. Von dem Lande der Cameraldomänen, das gemäß dem
Geſetz unter die Bürger der eigenen Gemeinde zu vertheilen iſt, erhält eine
beſtimmte Qnote, ohne Zutheilung, jeder der für das Vaterland geſtritten hat.
Im Fall des Todes der Soldaten fällt dieſes Recht an ſeine Erben. Art. 2.
Dieſe Quote, von der im Art. 1 die Rede war, ſoll gleich ſeyn denjenigen die
für die armen beſitzloſen Familienhäupter beſtimmt und die ihnen zugetheilt
werden. Wenn das Land einer Gemeinde ſo ausgedehnt iſt daß es die Be-
dürfniſſe der Bevölkerung überſchreitet, ſo ſollen die Soldaten und ihre Er-
ben die doppelte Quote ihrer Mittheilnehmer erhalten. Art. 3. Wenn die
Gemeinden nicht eigene Domänen beſitzen, ſo ſollen ſie mit dem Land der
Staats- und Krondomänen erſetzt werden. Art. 4. Der Staatsſecretär iſt
beauftragt gegenwärtiges Decret zu vollziehen. Palermo, 2 Juni 1860.
Dictator Joſ. Garibaldi, der Staatsſecretär Fr. Criſpi. — Salvatori Capello
und Onofrio di Benedetto ſind zu Quäſtoren der Stadt und des Diſtricts
Palermo ernannt. Sie wählen die Aſſeſſoren der öffentlichen Sicherheit für
die Stadt, und die Delegaten für die Gemeinen des Diſtricts. Der Gene-
ralintendant der nationalen Streitkräfte iſt, bis weiteres beſtimmt wird, Schatz-
meiſter und Caſſier Siciliens. Alle Finanzangeſtellten hängen von ihm ab.
In einem andern Decret (denn Decrete regnet es in Sicilien) heißt es: Art. 1.
Für jeden der 24 Diſtricte iſt ein Governatore eingeſetzt. Art. 4. Ausgeſchloſſen
aus dem civilen Rathe — und ſie können nicht werden Mitglieder des Muni-
cipal-Magiſtrats, nicht Gemeinderichter, nicht Agenten der öffentlichen Ver-
waltung — ſind: a) diejenigen die direct oder indirect die Wiedereinſetzung
der Bourbonen begünſtigen; b) diejenigen die verwaltet haben oder noch ver-
walten öffentliche Aemter im Namen der illegitimen Macht, die gegenwärtig
noch Sicilien quält; c) diejenigen die ſich öffentlich der Erlöſung des Vater-
landes entgegenſetzen.“ O heilige Rechtsgrundſätze! — In Calabrien droht
freilich Revolution; wenigſtens beginnt man ſchon frech genug mit dem Spiel
der Proclamationen. Eine ſolche, unterſchrieben von Ant. Garcea, einem
elfjährigen Galeerenſträfling, datirt von Scilla, kommt von Malta. Die
Proclamation gleicht allen andern. Gott vertritt die Stelle eines Zeugen,
ebenſo Europa. Die Bourbonen ſind Tyrannen. Victor Emmanuel iſt der
Stolz Italiens, neue Epoche des Vaterlandes, Aufſtand, Muth ꝛc.
× Turin, 12 Jun. Heute oder morgen erwartet man die formelle
Bekanntmachung der Abtretung Savoyens und Nizza’s. Alſo auch dieſes
Werk iſt vollendet; man kann zu einem andern ſchreiten! In einer Beſpre-
chung des Senats läßt ſich das „Diritto“ über den ſo bekannten und berühm-
ten Manzoni, der, wie es ſcheint, auch in die Abtretung einwilligte, aus:
„Auch der arme Manzoni, welcher alt an Jahren und jung in den parla-
mentariſchen Dingen iſt, wußte nicht was zu thun wäre.“ Wie es ſcheint,
war Manzoni von d’Azeglio beeinflußt. — Ich muß auch heute wieder auf die
„Perſeveranza“ kommen. Ich habe ſchon in meinen letzten Correſpondenzen
angedeutet wie leichtfertig und frech ſie über Völker und Fürſten abhandelt,
und hiezu nun wieder einen Beweis. In der geſtrigen Nummer gibt ſie einen
Artikel: „Ärdimento ch’è prudenza“ (Muth, der Klugheit iſt). Will die
Perſeveranza die Stelle eines italieniſchen Moniteur vertreten? Stolz tritt
die Matrone auf, erhebt ihre Stimme und — Oeſterreich iſt zu Boden ge-
ſchmettert. Das iſt ihr ſchon vollkommene Thatſache; ſie emancipirt ſchon
die öſtlichen Völker, Ungarn, Böhmen und Deutſche reichen ſich die Hand zum
Abſchied. Neue Reiche entſtehen auf den Rath der Perſeveranza! „Was
würden z. B. die deutſchen Tiroler verliern,“ ſagt das Blatt, „wenn ſie mit
Bayern vereinigt würden? Was wär’ es wenn alle Deutſchen in ein ger-
maniſches Reich träten, ſey es mit ſtrenger unitariſcher oder föderativer
Form?“ — Nach der „Turiner Ztg.“ Nr. 160 iſt ein neuer Vertrag abge-
ſchloſſen worden mit Hrn. Escoffier von Saint-Etienne über eine bedeutende
Lieferung gezogener Gewehre. Es ſollen ferner bis zum nächſten Juli 80
Batterien Artillerie (?) mit einer entſprechenden Anzahl Kanonen und Wagen
vollendet ſeyn. — General Roſelli wurde in Folge der Deſertionen in Dis-
ponibilität mit Beſoldung verſetzt. — Die Eroberung Siciliens hält man hier
(Mailänder Zeitung) für den Prolog eines großen Drama’s das auf dem Feſt-
land ſpielen ſoll. Garibaldi werde Meſſina umgehen und direct auf das
Feſtland losſchreiten, und zwar gerade auf Neapel zu. Gelingt der Streich,
ſo würde Meſſina mit der Dynaſtie fallen; ſollte er fehlſchlagen, ſo gibt ihm
Sicilien immerhin einen Rückhalt, und iſt ihm die Baſis für künftige Thaten.
— In Syracus ſtellte am 25 Mai der engliſche Conſul ſeine Fahne aus;
die Soldaten verſuchten ſie herunterzureißen, und bedrohten das Leben
der Frau und des Conſuls ſelbſt. Darauf erfolgte ein Proteſt, unterſchrieben
von allen anweſenden Viceconſuln, an den commandirenden Marſchall
Rodriguez. Derſelbe antwortete in ſehr gehaltenem Tone. So ſchreibt
„L’Cſpero.“
ɱ Mailand, 12 Jun. Heute 9 Uhr Morgens reiste Marſchall Vaillant
nach Frankreich ab, wird aber, wie es heißt, früher noch Florenz und Turin
beſuchen. Die Nationalgarde bildete Spalier von der Villa Reale, wo er
wohnte, bis zur Eiſenbahnſtation der Porta Nuova. Es wohnten der Abreiſe
eine Menge von Perſonen bei; doch war der Pöbel und das weibliche Geſchlecht,
wie es immer der Fall iſt wenn es eine Demonſtration gilt, am meiſten dabei
vertreten. Geſtern um 1 Uhr machte der hieſige Podeſtà mit ſeinen Aſſeſſoren
dem Marſchall den Abſchiedsbeſuch, und überreichte demſelben eine Adreſſe.
Zu gleicher Zeit wurde er auch gebeten ein artiſtiſches Album anzuneh-
men, welches jetzt in der Arbeit begriffen iſt, und dem Marſchall gleich
nach ſeiner Beendigung zugeſchickt werden ſoll. Es enthält alle Epi-
ſoden des vorjährigen Krieges in Kunſtblättern mit begleitendem Text.
— Der Marſchall hat, wie ich Ihnen ſchon ſchrieb, die vorige Woche Ve-
nedig beſucht, und die hieſige Tagspreſſe ermangelte nicht dieſe Reiſe zu ihrem
Zweck auszubeuten. Wie die dortigen Blätter melden, wurde er ſowohl in
Verona als Venedig mit allen militäriſchen Ehren empfangen, aber dieß hin-
dert unſere Blätter nicht die Reiſe des Marſchalls nach Venedig als eine
Oeſterreich feindliche Demonſtration ihren ſtupiden Leſern darzuſtellen, die
alles für bare Münze annehmen, es mag noch ſo augenſcheinlich dumm ſeyn;
es genügt daß es gegen Oeſterreich iſt. So läßt ſich der Koryphäe der hie-
ſigen Lügenblätter, der Pungolo, über dieſe Reiſe aus Venedig ſchreiben
daß der Marſchall binnen einigen Stunden über 2000 Viſitenkarten erhielt, und
daß bei ſeinem Spaziergang auf dem Marcusplatz und längs der Riva dei
Schiavoni er von einer Maſſe Menſchen umringt wurde, die ihn an die
Worte ſeines Kaiſers „von den Alpen bis zur Adria“ erinnerten, und wie
dieſelben im Herzen der Venetianer wie ein heiliges Verſprechen eingeprägt
wären. Die Venetianer Damen, ſagt der Pungolo, verehrten demſelben
Bouquets und Blumenkronen, und um alles zu ſagen, auch Briefchen (?), in
welchen die Hoffnungen der Venetianer mit rührenden Worten ausgedrückt
waren. — Der Pungolo ſpricht nun die ſichere Hoffnung aus: der Marſchall
werde, in Paris angekommen, nicht ermapgeln dem Kaiſer ſeine Aufnahme
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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