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Allgemeine Zeitung, Nr. 169, 17. Juni 1860.

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Das Schillerfest in Stuttgart.

Das alljährliche Schillerfest unsers Lieder-
kranzes lockte an dem gestrigen Nachmittag Tausende in den schönen Garten
der Silberburg. Es war in seltener Weise durch die herrlichste Witterung
begünstigt. Die Feier, zu welcher sich mit dem Liederkranz ein Chor holder
Frauen und Jungfrauen vereinigte, zeichnete sich durch große Wärme und
Innigkeit aus. Wilh. Speidel leitete die musikalischen Vorträge. Eine gern
gehörte Cantate von Hetsch "Stille naht mit frommer Scheue in der Dicht-
kunft heil'gen Hain" eröffnete die Feier. Dann betrat Dr. Feodor Löwe die
Bühne, und hielt folgende Festrede:

Kaum sind die Jubelklänge jener denkwürdigen Festtage verrauscht, da
ein Volk sich erhob einen der edelsten Söhne des Vaterlandes in einmüthiger
Gesinnung zu feiern. Ihm galt es, der in niederer Hütte geboren, mit des
Genius schöpferischer Kraft begabt, sich emporschwang, durch friedliche Er-
oberungen im Reich des Geistes sich selbst zum König krönte, und einen Thren
aufschlug der unerschüttert feststehen wird solange Gesittung und Freiheit
als die erhabensten Güter des Menschengeschlechts gepriesen werden. Nach
wenigen Mondwechseln treten wir, ein Theil jenes großen gemeinsamen Volkes,
bei des Frühlings Verjüngung hier wieder zusammen, in dem Gefühl welchem
der unsterbliche Freund Schillers den stolzen und begeisternden Ausspruch ver-
liehen. Das weihevolle Wort das Goethe's Mund, die laute Todtenklage
übertönend, dem Gesammtvaterland tröstend zurief, fand hier in der engern
Heimath Schillers zwiefachen Wiederhall, denn unser war er in des Wortes
vollster Bedeutung. Wer kann uns das stolze Gefühl verargen den ersten
Anspruch an ein Besitzthum erheben zu dürfen das jetzt ein hochgehaltenes
Gemeingut der Nation geworden ist, um welches uns die Völker fremder
Zungen beneiden? Denn keine ihrer gepriesenen Größen steht so sittlich hoch
vor dem richtenden Spruch der Welt wie er, dem die Kunft als die keusche
und heilige Veredlerin des Menschengeschechts galt, und der sich durch die ihr
innewohnende ethische Kraft, trotz niederbeugender Lebenssorgen, selbst zum
reinen Menschen veredelte. Was uns ihn über alle erhaben darstellt, ist der
Einklang daß wir in ihm den Hüter und Verkünder des Ewigschönen vereh-
ren, der den blühenden Gott nicht nur auf der redegewandten Zunge, nein,
auch tief im warm für die Menschheit schlagenden Herzen trug. Wie viele
Sprecher wechselten schon im Lauf der Jahre seit Gründung der heutigen
Erinnerungsfeier auf dieser Tribüne ab, den Gedankenheros zu preisen
welchen die gütige Vorsehung in der Wonne des Maien von der Erde nahm,
die ihn in den frostigen Tagen des Spätherbstes als ein Pfand und Zeichen
des nahenden Geisterfrühlings gegeben hatte! Keinem der Redner gebrach
das Wort, jeder fand, durchglüht von seiner Aufgabe, den vollen Ausdruck be-
wundernder Hingebung, als ob die Quelle reicher flöße, je mehr man aus ihr
schöpfte. Auch wir stehen heute wieder am Ufer, die Quelle rauscht, und wir
schauen in ihre klare Tiefe. Da spiegelt sich ein kurzes und doch so reiches
Leben vor uns, ein Dichterleben mit gewaltigem Anfang und tragisch-erschüt-
terndem Abschluß. Ein vom Schaffensdrang erfüllter Geist arbeitet in früh-
gebrochenem Körper, nach dem höchsten Ziele strebend. Der Jüngling singt
ein Sturmlied der neuen Zeit, rüttelt mit Titanenstärke an dem Bau der
sittlichen Welt, läßt den gräflichen Räuber mit seiner wilden Schaar die
Schranke des Gesetzes zerschlagen, Verbrechen mit Verbrechen bestrafend.
Den entarteten Sohn der Republik, der sich ein Diadem erschlichen, stürzt er
mit dem herzoglichen Purpur ins Meer. Den ungeregelten Flügelschwung
seiner stürmischen Phantasie hemmend, taucht er ins Bad der Läuterung und,
den klärenden Wein der Alten schlürfend, findet er das schöne Maß. Sin-
nend über dem Buch der Geschichte greift er heraus aus der Gestaltenfülle
den brütenden Tyrannen, den ehrgeizigen Heerführer und den zwingburgbre-
chenden Sohn der Alpen. So entrollt er vor den Augen der Zeitgenossen
im engen Rahmen unsterbliche Gebilde, Menschen- und Völkerschicksale, und
verkündet ihnen, mit ergreifenden Schilderungen aus der Vergangenheit in die
Zukunft deutend, prophetischen Geistes das gewaltige Drama das über die
Weltbühne schreiten würde. Da in den Tagen des Mannesalters, auf dem
Gipfel des Ruhms, greift der Tod mit gieriger Hand nach seiner kranken
Brust, und wirft ihn in die Frühlingserde. Wie manches Große blieb un-
vollendet zurück, wie mancher herrliche Entwurf seines gedankenreichen Haup-
tes zerfiel zugleich mit dem stockenden Pulsschlag! Die schwanke Form lag
zertrümmert, aber der Genius den sie umschlossen, wirkte lebendig und thaten-
zeugend fort. Das Morgenroth jener Zeit die er, auf der Hochwarte der
Dichtung stehend, in den Tagen der Erniedrigung vorausgesehen hatte, flammte
über die Berge empor. Unsere Väter, die sich in ihm aufgerichtet, an seinem
Geist gestärkt und gestählt hatten, schlugen die blutigen Schlachten der Ve-
freiungskriege, und zerschmetterten das Joch der fremden Gewaltherrschaft.
Und Geister reiften im Weltgebände. Die Söhne und Enkel jener todesmu-
thigen Kämpfer hoben den Sänger der Freiheit und des schnöden Menschen-
ideals, in ihm ihr tiefftes Wünschen und Wollen verklärend, hoch auf den na-
tionalen Schild. In Schillers Genius hat das deutsche Volk ein National-
und Einheitsfest gefeiert wie es die Welt noch nie gesehen, ein Siegesfost des
[Spaltenumbruch] Geistes, und dabei den reichen Gewinn gezogen nicht allein sich selbst seiner
ganzen unzerstörbaren Zusammengehörigkeit vollkommen bewußt worden zu
seyn, sondern auch den staunenden Nachbarn gegenüber bewiesen zu haben
wie es, trotz des Mangels eines festen äußern Bandes, durch ein stärkeres
geistiges zusammengehalten wird, das es mit freiem Willen aus sich selbst
geschaffen hat. Die unvergeßlichen Novembertage des verfloffenen Jahrs
predigten mit Feuerzungen wie dieses Volk die welterobernde Kraft in sich
spüre, und eine Sendung auszuführen habe, deren Erfüllung auch durch die
Bedrohung nationaler Selbständigkeit nicht aufzuhalten, nicht einmal in Ge-
fahr zu bringen wäre. Denn Schillers goldne Worte, wie sie bei der stillen
Flamme des häuslichen Herdes tönen, und im Zwiespalt der Meinungen, wo
man mit geistigen Waffen um den Besitz unveräußerlicher Volksrechte ficht, so
werden sie auch tönen am Morgen der Schlacht, wenn die dunkle Wetterwolke
die aus Westen droht sich entladen sollte. In die Reichsfahne wird sein
einigender Odem wehen, und aus dem Flattern ihrer Falten wird sein zün-
dender Mahuruf brausen:

Nichtswürdig ist die Nation die nicht
Ihr Alles freudig setzt an ihre Ehre.

Im gerechten Kampf um sein Höchstes kann und wird ein von der Ueber-
zengung seines eigenen innersten Werths durchdrungenes Volk nicht auf die
Dauer unterliegen. Schiller, der Sieger in so mancher feurigen Geistes-
schlacht, singt uns die feste Zuversicht auf eine höhere Weltordnung ins Herz,
und schwellt unsern Muth beim Dräuen der Gefahr durch ahnungsvolle Sie-
gesfreudigkeit. Das nationale Bewußtseyn ist heute lebendiger und mächti-
ger als je. Der Einheitsgedanke, in vollem Fluß, sucht sein erweitertes Bett,
und gesegnet sollen die Hände seyn die ihn so zu leiten wissen daß er nicht
verheerend, nein, befruchtend und gedeihenbringend durch die deutschen
Lande rauscht! Der männlich-kühne und kräftig erhabene Dichter, der uns
mitten ins Leben führt den brandenden Wogenschlag der Zeit zu schauen,
leitet uns mit sanfter Hand wieder zurück in seine ideale Welt, wo sich der jo-
nische Himmel über dem götterdurchwandelten Haine wölbt. Dort tröstet er
das sehnsuchtbangende, suchende Herz, und verherrlicht die Frauen die in der
Grazie züchtigem Schleier das ewige Feuer nähren. Die Sprache wird Mufik,
und spielt mit melodischen Schwingungen den schönen Gedanken in die stillauf-
horchende Seele. Was wie dunkle Ahnung unser Gemüth umfangen hielt,
unaussprechbar in unserm Innern lag, er löst es, und gibt ihm den künden-
den Laut, und wie er es gesungen, so klingt es fort und fort, und steht mit
unauslöschlicher Flammenschrift in unser Gedächtniß eingeschrieben. Sein
geflügeltes Wort trägt uns auf die höchsten Höhen, bis das gemeine Irdische
in wesenlosem Schein hinter uns liegt. Ewig jung reißt er die Jugend mit
sich fort, und wendet sich unfer im Streit mit der herben Wirklichkeit kühler
gewordener Sinn auch eine Zeitlang von ihm, überwiegend der andern Dich-
tergröße zu -- früher oder später kehren wir zu ihm zurück, und re faßt
und hält uns dann mit doppelt packender Gewalt, weil wir, gereifter und
besonnener geworden, ihn jetzt erst in seiner ganzen Tiefe zu begreifen ver-
mögen. Wahrlich, wir sind nicht nur berechtigt, wir sind verpflichtet ihn als
ein hehres Palladium zu achten, ihn, der uns seinen wolkenlosen Himmel
öffnet reinere Lüfte zu athmen, und uns wieder an die lebenschwellende Brust
der Erde legt, das theure Vaterland zu lieben, dem wir uns anschließen
sollen mit unserer ganzen Kraft; der, gleich einem lichtvollen Gestirn
die ewige Bahn wallend, in den holden Tagen des Friedens mit erwärmen-
den Strahlen die Seele erhellt und erquickt, und bei wilden Zeitstürmen,
in denen Sitte, Recht und Wahrheit gefährdet erscheinen, den Nebel-
schleier zertheilend, vor sein Volk tritt, ihm zu muthvoller Ausdauer voran zu
lenchten. Und so ist er, der uns heute wieder hier zusammenführte, der erste Lieb-
ling seines Volkes geworden, das in ihm sich selbst erkannt und geeinigt hat, in
ihm, zu dessen Ehren jetzt im Süden und Norden des Vaterlandes die ehernen
Standbilder erstehen, während der Auswanderer die theuern Züge an die
rauhe Wand der transatlantischen Hütte befestigt, um sich die neue Stätte
heimischer zu machen. Ich habe es gewagt, den leichten Griffel in die warme
Farbe des Gefühls tauchend, mit raschen und kurzen Strichen ein flüchtiges
Bild in die Luft zu zeichnen, das, für die Minute bestimmt, in der Minute
vom würzigen Hauch des Lenzes entführt seyn mag. Nur ein grünes Blatt
des Maien wollte ich bringen zu dem blühenden Kranz des volkthümlichen
Dichterfürsten. Noch schwebt mein Blatt, und wie es niedersinkt, ist meine
Aufgabe zu Ende. Mag es verwehen, mag Rede und Lied im Abendwinde
verhallen -- die freudige Gewißheit trage ich unaustilgbar in Haupt und Her-
zen: noch viele Redner werden kommen und hier sprechen, neue Generationen,
die frohen Bürger eines Reichs aus selbstverbündeten Bruderstämmen, wer-
den stehen und lauschen; aber trotz dem Wandel der Zeiten werden ihre Her-
zen gleich den unsern höher schlagen bei dem Namen des deutschesten der
Dichter, des Sängers der Freiheit und des schönen Menschenideals: Friedrich
Schiller!"*)


*) Eine vorzügliche Festrede zu Schillers hundertjährigem Geburtstag, welche uns
erst in diesen Tagen zugekommen ist, war auch die von Dr. Tobias Wildaner
in Innsbruck. R. d. A. Z.
[Spaltenumbruch]
Das Schillerfeſt in Stuttgart.

Das alljährliche Schillerfeſt unſers Lieder-
kranzes lockte an dem geſtrigen Nachmittag Tauſende in den ſchönen Garten
der Silberburg. Es war in ſeltener Weiſe durch die herrlichſte Witterung
begünſtigt. Die Feier, zu welcher ſich mit dem Liederkranz ein Chor holder
Frauen und Jungfrauen vereinigte, zeichnete ſich durch große Wärme und
Innigkeit aus. Wilh. Speidel leitete die muſikaliſchen Vorträge. Eine gern
gehörte Cantate von Hetſch „Stille naht mit frommer Scheue in der Dicht-
kunft heil’gen Hain“ eröffnete die Feier. Dann betrat Dr. Feodor Löwe die
Bühne, und hielt folgende Feſtrede:

Kaum ſind die Jubelklänge jener denkwürdigen Feſttage verrauſcht, da
ein Volk ſich erhob einen der edelſten Söhne des Vaterlandes in einmüthiger
Geſinnung zu feiern. Ihm galt es, der in niederer Hütte geboren, mit des
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oberungen im Reich des Geiſtes ſich ſelbſt zum König krönte, und einen Thren
aufſchlug der unerſchüttert feſtſtehen wird ſolange Geſittung und Freiheit
als die erhabenſten Güter des Menſchengeſchlechts geprieſen werden. Nach
wenigen Mondwechſeln treten wir, ein Theil jenes großen gemeinſamen Volkes,
bei des Frühlings Verjüngung hier wieder zuſammen, in dem Gefühl welchem
der unſterbliche Freund Schillers den ſtolzen und begeiſternden Ausſpruch ver-
liehen. Das weihevolle Wort das Goethe’s Mund, die laute Todtenklage
übertönend, dem Geſammtvaterland tröſtend zurief, fand hier in der engern
Heimath Schillers zwiefachen Wiederhall, denn unſer war er in des Wortes
vollſter Bedeutung. Wer kann uns das ſtolze Gefühl verargen den erſten
Anſpruch an ein Beſitzthum erheben zu dürfen das jetzt ein hochgehaltenes
Gemeingut der Nation geworden iſt, um welches uns die Völker fremder
Zungen beneiden? Denn keine ihrer geprieſenen Größen ſteht ſo ſittlich hoch
vor dem richtenden Spruch der Welt wie er, dem die Kunft als die keuſche
und heilige Veredlerin des Menſchengeſchechts galt, und der ſich durch die ihr
innewohnende ethiſche Kraft, trotz niederbeugender Lebensſorgen, ſelbſt zum
reinen Menſchen veredelte. Was uns ihn über alle erhaben darſtellt, iſt der
Einklang daß wir in ihm den Hüter und Verkünder des Ewigſchönen vereh-
ren, der den blühenden Gott nicht nur auf der redegewandten Zunge, nein,
auch tief im warm für die Menſchheit ſchlagenden Herzen trug. Wie viele
Sprecher wechſelten ſchon im Lauf der Jahre ſeit Gründung der heutigen
Erinnerungsfeier auf dieſer Tribüne ab, den Gedankenheros zu preiſen
welchen die gütige Vorſehung in der Wonne des Maien von der Erde nahm,
die ihn in den froſtigen Tagen des Spätherbſtes als ein Pfand und Zeichen
des nahenden Geiſterfrühlings gegeben hatte! Keinem der Redner gebrach
das Wort, jeder fand, durchglüht von ſeiner Aufgabe, den vollen Ausdruck be-
wundernder Hingebung, als ob die Quelle reicher flöße, je mehr man aus ihr
ſchöpfte. Auch wir ſtehen heute wieder am Ufer, die Quelle rauſcht, und wir
ſchauen in ihre klare Tiefe. Da ſpiegelt ſich ein kurzes und doch ſo reiches
Leben vor uns, ein Dichterleben mit gewaltigem Anfang und tragiſch-erſchüt-
terndem Abſchluß. Ein vom Schaffensdrang erfüllter Geiſt arbeitet in früh-
gebrochenem Körper, nach dem höchſten Ziele ſtrebend. Der Jüngling ſingt
ein Sturmlied der neuen Zeit, rüttelt mit Titanenſtärke an dem Bau der
ſittlichen Welt, läßt den gräflichen Räuber mit ſeiner wilden Schaar die
Schranke des Geſetzes zerſchlagen, Verbrechen mit Verbrechen beſtrafend.
Den entarteten Sohn der Republik, der ſich ein Diadem erſchlichen, ſtürzt er
mit dem herzoglichen Purpur ins Meer. Den ungeregelten Flügelſchwung
ſeiner ſtürmiſchen Phantaſie hemmend, taucht er ins Bad der Läuterung und,
den klärenden Wein der Alten ſchlürfend, findet er das ſchöne Maß. Sin-
nend über dem Buch der Geſchichte greift er heraus aus der Geſtaltenfülle
den brütenden Tyrannen, den ehrgeizigen Heerführer und den zwingburgbre-
chenden Sohn der Alpen. So entrollt er vor den Augen der Zeitgenoſſen
im engen Rahmen unſterbliche Gebilde, Menſchen- und Völkerſchickſale, und
verkündet ihnen, mit ergreifenden Schilderungen aus der Vergangenheit in die
Zukunft deutend, prophetiſchen Geiſtes das gewaltige Drama das über die
Weltbühne ſchreiten würde. Da in den Tagen des Mannesalters, auf dem
Gipfel des Ruhms, greift der Tod mit gieriger Hand nach ſeiner kranken
Bruſt, und wirft ihn in die Frühlingserde. Wie manches Große blieb un-
vollendet zurück, wie mancher herrliche Entwurf ſeines gedankenreichen Haup-
tes zerfiel zugleich mit dem ſtockenden Pulsſchlag! Die ſchwanke Form lag
zertrümmert, aber der Genius den ſie umſchloſſen, wirkte lebendig und thaten-
zeugend fort. Das Morgenroth jener Zeit die er, auf der Hochwarte der
Dichtung ſtehend, in den Tagen der Erniedrigung vorausgeſehen hatte, flammte
über die Berge empor. Unſere Väter, die ſich in ihm aufgerichtet, an ſeinem
Geiſt geſtärkt und geſtählt hatten, ſchlugen die blutigen Schlachten der Ve-
freiungskriege, und zerſchmetterten das Joch der fremden Gewaltherrſchaft.
Und Geiſter reiften im Weltgebände. Die Söhne und Enkel jener todesmu-
thigen Kämpfer hoben den Sänger der Freiheit und des ſchnöden Menſchen-
ideals, in ihm ihr tiefftes Wünſchen und Wollen verklärend, hoch auf den na-
tionalen Schild. In Schillers Genius hat das deutſche Volk ein National-
und Einheitsfeſt gefeiert wie es die Welt noch nie geſehen, ein Siegesfoſt des
[Spaltenumbruch] Geiſtes, und dabei den reichen Gewinn gezogen nicht allein ſich ſelbſt ſeiner
ganzen unzerſtörbaren Zuſammengehörigkeit vollkommen bewußt worden zu
ſeyn, ſondern auch den ſtaunenden Nachbarn gegenüber bewieſen zu haben
wie es, trotz des Mangels eines feſten äußern Bandes, durch ein ſtärkeres
geiſtiges zuſammengehalten wird, das es mit freiem Willen aus ſich ſelbſt
geſchaffen hat. Die unvergeßlichen Novembertage des verfloffenen Jahrs
predigten mit Feuerzungen wie dieſes Volk die welterobernde Kraft in ſich
ſpüre, und eine Sendung auszuführen habe, deren Erfüllung auch durch die
Bedrohung nationaler Selbſtändigkeit nicht aufzuhalten, nicht einmal in Ge-
fahr zu bringen wäre. Denn Schillers goldne Worte, wie ſie bei der ſtillen
Flamme des häuslichen Herdes tönen, und im Zwieſpalt der Meinungen, wo
man mit geiſtigen Waffen um den Beſitz unveräußerlicher Volksrechte ficht, ſo
werden ſie auch tönen am Morgen der Schlacht, wenn die dunkle Wetterwolke
die aus Weſten droht ſich entladen ſollte. In die Reichsfahne wird ſein
einigender Odem wehen, und aus dem Flattern ihrer Falten wird ſein zün-
dender Mahuruf brauſen:

Nichtswürdig iſt die Nation die nicht
Ihr Alles freudig ſetzt an ihre Ehre.

Im gerechten Kampf um ſein Höchſtes kann und wird ein von der Ueber-
zengung ſeines eigenen innerſten Werths durchdrungenes Volk nicht auf die
Dauer unterliegen. Schiller, der Sieger in ſo mancher feurigen Geiſtes-
ſchlacht, ſingt uns die feſte Zuverſicht auf eine höhere Weltordnung ins Herz,
und ſchwellt unſern Muth beim Dräuen der Gefahr durch ahnungsvolle Sie-
gesfreudigkeit. Das nationale Bewußtſeyn iſt heute lebendiger und mächti-
ger als je. Der Einheitsgedanke, in vollem Fluß, ſucht ſein erweitertes Bett,
und geſegnet ſollen die Hände ſeyn die ihn ſo zu leiten wiſſen daß er nicht
verheerend, nein, befruchtend und gedeihenbringend durch die deutſchen
Lande rauſcht! Der männlich-kühne und kräftig erhabene Dichter, der uns
mitten ins Leben führt den brandenden Wogenſchlag der Zeit zu ſchauen,
leitet uns mit ſanfter Hand wieder zurück in ſeine ideale Welt, wo ſich der jo-
niſche Himmel über dem götterdurchwandelten Haine wölbt. Dort tröſtet er
das ſehnſuchtbangende, ſuchende Herz, und verherrlicht die Frauen die in der
Grazie züchtigem Schleier das ewige Feuer nähren. Die Sprache wird Mufik,
und ſpielt mit melodiſchen Schwingungen den ſchönen Gedanken in die ſtillauf-
horchende Seele. Was wie dunkle Ahnung unſer Gemüth umfangen hielt,
unausſprechbar in unſerm Innern lag, er löst es, und gibt ihm den künden-
den Laut, und wie er es geſungen, ſo klingt es fort und fort, und ſteht mit
unauslöſchlicher Flammenſchrift in unſer Gedächtniß eingeſchrieben. Sein
geflügeltes Wort trägt uns auf die höchſten Höhen, bis das gemeine Irdiſche
in weſenloſem Schein hinter uns liegt. Ewig jung reißt er die Jugend mit
ſich fort, und wendet ſich unfer im Streit mit der herben Wirklichkeit kühler
gewordener Sinn auch eine Zeitlang von ihm, überwiegend der andern Dich-
tergröße zu — früher oder ſpäter kehren wir zu ihm zurück, und re faßt
und hält uns dann mit doppelt packender Gewalt, weil wir, gereifter und
beſonnener geworden, ihn jetzt erſt in ſeiner ganzen Tiefe zu begreifen ver-
mögen. Wahrlich, wir ſind nicht nur berechtigt, wir ſind verpflichtet ihn als
ein hehres Palladium zu achten, ihn, der uns ſeinen wolkenloſen Himmel
öffnet reinere Lüfte zu athmen, und uns wieder an die lebenſchwellende Bruſt
der Erde legt, das theure Vaterland zu lieben, dem wir uns anſchließen
ſollen mit unſerer ganzen Kraft; der, gleich einem lichtvollen Geſtirn
die ewige Bahn wallend, in den holden Tagen des Friedens mit erwärmen-
den Strahlen die Seele erhellt und erquickt, und bei wilden Zeitſtürmen,
in denen Sitte, Recht und Wahrheit gefährdet erſcheinen, den Nebel-
ſchleier zertheilend, vor ſein Volk tritt, ihm zu muthvoller Ausdauer voran zu
lenchten. Und ſo iſt er, der uns heute wieder hier zuſammenführte, der erſte Lieb-
ling ſeines Volkes geworden, das in ihm ſich ſelbſt erkannt und geeinigt hat, in
ihm, zu deſſen Ehren jetzt im Süden und Norden des Vaterlandes die ehernen
Standbilder erſtehen, während der Auswanderer die theuern Züge an die
rauhe Wand der transatlantiſchen Hütte befeſtigt, um ſich die neue Stätte
heimiſcher zu machen. Ich habe es gewagt, den leichten Griffel in die warme
Farbe des Gefühls tauchend, mit raſchen und kurzen Strichen ein flüchtiges
Bild in die Luft zu zeichnen, das, für die Minute beſtimmt, in der Minute
vom würzigen Hauch des Lenzes entführt ſeyn mag. Nur ein grünes Blatt
des Maien wollte ich bringen zu dem blühenden Kranz des volkthümlichen
Dichterfürſten. Noch ſchwebt mein Blatt, und wie es niederſinkt, iſt meine
Aufgabe zu Ende. Mag es verwehen, mag Rede und Lied im Abendwinde
verhallen — die freudige Gewißheit trage ich unaustilgbar in Haupt und Her-
zen: noch viele Redner werden kommen und hier ſprechen, neue Generationen,
die frohen Bürger eines Reichs aus ſelbſtverbündeten Bruderſtämmen, wer-
den ſtehen und lauſchen; aber trotz dem Wandel der Zeiten werden ihre Her-
zen gleich den unſern höher ſchlagen bei dem Namen des deutſcheſten der
Dichter, des Sängers der Freiheit und des ſchönen Menſchenideals: Friedrich
Schiller!“*)


*) Eine vorzügliche Feſtrede zu Schillers hundertjährigem Geburtstag, welche uns
erſt in dieſen Tagen zugekommen iſt, war auch die von Dr. Tobias Wildaner
in Innsbruck. R. d. A. Z.
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[2823/0011] Das Schillerfeſt in Stuttgart. Stuttgart, 13 Jun. Das alljährliche Schillerfeſt unſers Lieder- kranzes lockte an dem geſtrigen Nachmittag Tauſende in den ſchönen Garten der Silberburg. Es war in ſeltener Weiſe durch die herrlichſte Witterung begünſtigt. Die Feier, zu welcher ſich mit dem Liederkranz ein Chor holder Frauen und Jungfrauen vereinigte, zeichnete ſich durch große Wärme und Innigkeit aus. Wilh. Speidel leitete die muſikaliſchen Vorträge. Eine gern gehörte Cantate von Hetſch „Stille naht mit frommer Scheue in der Dicht- kunft heil’gen Hain“ eröffnete die Feier. Dann betrat Dr. Feodor Löwe die Bühne, und hielt folgende Feſtrede: Kaum ſind die Jubelklänge jener denkwürdigen Feſttage verrauſcht, da ein Volk ſich erhob einen der edelſten Söhne des Vaterlandes in einmüthiger Geſinnung zu feiern. Ihm galt es, der in niederer Hütte geboren, mit des Genius ſchöpferiſcher Kraft begabt, ſich emporſchwang, durch friedliche Er- oberungen im Reich des Geiſtes ſich ſelbſt zum König krönte, und einen Thren aufſchlug der unerſchüttert feſtſtehen wird ſolange Geſittung und Freiheit als die erhabenſten Güter des Menſchengeſchlechts geprieſen werden. Nach wenigen Mondwechſeln treten wir, ein Theil jenes großen gemeinſamen Volkes, bei des Frühlings Verjüngung hier wieder zuſammen, in dem Gefühl welchem der unſterbliche Freund Schillers den ſtolzen und begeiſternden Ausſpruch ver- liehen. Das weihevolle Wort das Goethe’s Mund, die laute Todtenklage übertönend, dem Geſammtvaterland tröſtend zurief, fand hier in der engern Heimath Schillers zwiefachen Wiederhall, denn unſer war er in des Wortes vollſter Bedeutung. Wer kann uns das ſtolze Gefühl verargen den erſten Anſpruch an ein Beſitzthum erheben zu dürfen das jetzt ein hochgehaltenes Gemeingut der Nation geworden iſt, um welches uns die Völker fremder Zungen beneiden? Denn keine ihrer geprieſenen Größen ſteht ſo ſittlich hoch vor dem richtenden Spruch der Welt wie er, dem die Kunft als die keuſche und heilige Veredlerin des Menſchengeſchechts galt, und der ſich durch die ihr innewohnende ethiſche Kraft, trotz niederbeugender Lebensſorgen, ſelbſt zum reinen Menſchen veredelte. Was uns ihn über alle erhaben darſtellt, iſt der Einklang daß wir in ihm den Hüter und Verkünder des Ewigſchönen vereh- ren, der den blühenden Gott nicht nur auf der redegewandten Zunge, nein, auch tief im warm für die Menſchheit ſchlagenden Herzen trug. Wie viele Sprecher wechſelten ſchon im Lauf der Jahre ſeit Gründung der heutigen Erinnerungsfeier auf dieſer Tribüne ab, den Gedankenheros zu preiſen welchen die gütige Vorſehung in der Wonne des Maien von der Erde nahm, die ihn in den froſtigen Tagen des Spätherbſtes als ein Pfand und Zeichen des nahenden Geiſterfrühlings gegeben hatte! Keinem der Redner gebrach das Wort, jeder fand, durchglüht von ſeiner Aufgabe, den vollen Ausdruck be- wundernder Hingebung, als ob die Quelle reicher flöße, je mehr man aus ihr ſchöpfte. Auch wir ſtehen heute wieder am Ufer, die Quelle rauſcht, und wir ſchauen in ihre klare Tiefe. Da ſpiegelt ſich ein kurzes und doch ſo reiches Leben vor uns, ein Dichterleben mit gewaltigem Anfang und tragiſch-erſchüt- terndem Abſchluß. Ein vom Schaffensdrang erfüllter Geiſt arbeitet in früh- gebrochenem Körper, nach dem höchſten Ziele ſtrebend. Der Jüngling ſingt ein Sturmlied der neuen Zeit, rüttelt mit Titanenſtärke an dem Bau der ſittlichen Welt, läßt den gräflichen Räuber mit ſeiner wilden Schaar die Schranke des Geſetzes zerſchlagen, Verbrechen mit Verbrechen beſtrafend. Den entarteten Sohn der Republik, der ſich ein Diadem erſchlichen, ſtürzt er mit dem herzoglichen Purpur ins Meer. Den ungeregelten Flügelſchwung ſeiner ſtürmiſchen Phantaſie hemmend, taucht er ins Bad der Läuterung und, den klärenden Wein der Alten ſchlürfend, findet er das ſchöne Maß. Sin- nend über dem Buch der Geſchichte greift er heraus aus der Geſtaltenfülle den brütenden Tyrannen, den ehrgeizigen Heerführer und den zwingburgbre- chenden Sohn der Alpen. So entrollt er vor den Augen der Zeitgenoſſen im engen Rahmen unſterbliche Gebilde, Menſchen- und Völkerſchickſale, und verkündet ihnen, mit ergreifenden Schilderungen aus der Vergangenheit in die Zukunft deutend, prophetiſchen Geiſtes das gewaltige Drama das über die Weltbühne ſchreiten würde. Da in den Tagen des Mannesalters, auf dem Gipfel des Ruhms, greift der Tod mit gieriger Hand nach ſeiner kranken Bruſt, und wirft ihn in die Frühlingserde. Wie manches Große blieb un- vollendet zurück, wie mancher herrliche Entwurf ſeines gedankenreichen Haup- tes zerfiel zugleich mit dem ſtockenden Pulsſchlag! Die ſchwanke Form lag zertrümmert, aber der Genius den ſie umſchloſſen, wirkte lebendig und thaten- zeugend fort. Das Morgenroth jener Zeit die er, auf der Hochwarte der Dichtung ſtehend, in den Tagen der Erniedrigung vorausgeſehen hatte, flammte über die Berge empor. Unſere Väter, die ſich in ihm aufgerichtet, an ſeinem Geiſt geſtärkt und geſtählt hatten, ſchlugen die blutigen Schlachten der Ve- freiungskriege, und zerſchmetterten das Joch der fremden Gewaltherrſchaft. Und Geiſter reiften im Weltgebände. 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Die unvergeßlichen Novembertage des verfloffenen Jahrs predigten mit Feuerzungen wie dieſes Volk die welterobernde Kraft in ſich ſpüre, und eine Sendung auszuführen habe, deren Erfüllung auch durch die Bedrohung nationaler Selbſtändigkeit nicht aufzuhalten, nicht einmal in Ge- fahr zu bringen wäre. Denn Schillers goldne Worte, wie ſie bei der ſtillen Flamme des häuslichen Herdes tönen, und im Zwieſpalt der Meinungen, wo man mit geiſtigen Waffen um den Beſitz unveräußerlicher Volksrechte ficht, ſo werden ſie auch tönen am Morgen der Schlacht, wenn die dunkle Wetterwolke die aus Weſten droht ſich entladen ſollte. In die Reichsfahne wird ſein einigender Odem wehen, und aus dem Flattern ihrer Falten wird ſein zün- dender Mahuruf brauſen: Nichtswürdig iſt die Nation die nicht Ihr Alles freudig ſetzt an ihre Ehre. Im gerechten Kampf um ſein Höchſtes kann und wird ein von der Ueber- zengung ſeines eigenen innerſten Werths durchdrungenes Volk nicht auf die Dauer unterliegen. 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Wahrlich, wir ſind nicht nur berechtigt, wir ſind verpflichtet ihn als ein hehres Palladium zu achten, ihn, der uns ſeinen wolkenloſen Himmel öffnet reinere Lüfte zu athmen, und uns wieder an die lebenſchwellende Bruſt der Erde legt, das theure Vaterland zu lieben, dem wir uns anſchließen ſollen mit unſerer ganzen Kraft; der, gleich einem lichtvollen Geſtirn die ewige Bahn wallend, in den holden Tagen des Friedens mit erwärmen- den Strahlen die Seele erhellt und erquickt, und bei wilden Zeitſtürmen, in denen Sitte, Recht und Wahrheit gefährdet erſcheinen, den Nebel- ſchleier zertheilend, vor ſein Volk tritt, ihm zu muthvoller Ausdauer voran zu lenchten. Und ſo iſt er, der uns heute wieder hier zuſammenführte, der erſte Lieb- ling ſeines Volkes geworden, das in ihm ſich ſelbſt erkannt und geeinigt hat, in ihm, zu deſſen Ehren jetzt im Süden und Norden des Vaterlandes die ehernen Standbilder erſtehen, während der Auswanderer die theuern Züge an die rauhe Wand der transatlantiſchen Hütte befeſtigt, um ſich die neue Stätte heimiſcher zu machen. Ich habe es gewagt, den leichten Griffel in die warme Farbe des Gefühls tauchend, mit raſchen und kurzen Strichen ein flüchtiges Bild in die Luft zu zeichnen, das, für die Minute beſtimmt, in der Minute vom würzigen Hauch des Lenzes entführt ſeyn mag. Nur ein grünes Blatt des Maien wollte ich bringen zu dem blühenden Kranz des volkthümlichen Dichterfürſten. Noch ſchwebt mein Blatt, und wie es niederſinkt, iſt meine Aufgabe zu Ende. 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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 169, 17. Juni 1860, S. 2823. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine169_1860/11>, abgerufen am 01.06.2024.