Allgemeine Zeitung, Nr. 169, 17. Juni 1860.[Spaltenumbruch]
2 Jun. Gestern Nachmittag wurde das große Finanzgebäude in der Heute Morgens ist die Nachricht eingetroffen daß der Dampfer "Utile" Trotz des Waffenstillstandes kommen fortwährend kleine Reibungen und Die Desertionen dauern fort, und sonderbarerweise zumeist nur sind es Ueber die Zerstörungen die das Bombardement angerichtet hat ließen 3 Jun., Morgens. Vergangene Nacht um 9 Uhr ist der neapoli- Heute früh war General Letizia wieder bei Garibaldi, um eine un- *) Obige Angaben werden bestätigt durch die Berichte der schweizerischen
Consuln in Sicilien. So schreibt (nach der N. Züricher Ztg.) der Con- sul in Palermo d. d. 4 Jun.: es gebe auch Landsleute welche durch die Ereignisse der letzten Tage Blessuren und schwere Berluste erlitten haben. Wäh- rend des Waffenstillstaudes sey es ihm möglich geworden sich nach denselben zu erkundigen, sowie die Ereignisse in Augenschein zu nehmen, welche jede Vor- stellung übersteigen. Das Volk errichtete in allen Straßen Barricaden, um den Sturm des 13ten Jägerbataillons des Oberst Mechel von Basel und des Obersten Bosco, Commandanten von 8 neapolitanischen Jägercompagnien, ab- zuschlagen. Letzterer gebot auch über eine Abtheilung Artillerie. Beide Corps lagen vor der Porta Termini. Ein anderes Corps vertheidigte den Palazzo reale und das Fort Castellamare. Die neapolitanische Armee sey etwa 18,000 Mann stark; andere schätzen sie auf 22,000; dagegen sey dieselbe zur Zeit seines Briefes wohl auf die erstere Zahl reducirt worden. Die königl. Streitkräfte zur See seyen sehr beträchtlich, und bombardiren die Stadt so oft das Castell sein Feuer eröffne. In der Stadt herrsche bewunderungswürdige Ordnung, nicht ein Fall von Raub oder ähnlichen Excessen fey vorgekommen. Die Be- fehle Garibaldi's werden pünktlich vollzogen. Gestern (3 Jun.) Mittag, wo die Feindseligkeiten wieder beginnen sollten, schickte Marschall Lanza einen Par- lamentär und verlangte Verlängerung des Waffenstillstandes. Garibaldi wil- ligte ein. Jede Partei hatte die Wiedereröffnung der Feindseligkeiten zwei Stunden vorher anzuzeigen. Unterdessen wurden überall Barricaden errichtet, wozu die bombardieten Häuser und die Quader des Straßenpflasters das Ma- terial lieferten. Der Consul hatte vernommen daß das Haus eines Schwei- zers, Namens Eichholzer, verheirathet mit einer Sicilianerin, ebeufalls ver- brannt, und ein 12jähriger Knabe desselben beim Fliehen aus dem brennenden Haus durch einen Schuß getödtet worden war. Er begab sich an Ort und Stelle, und die Leute bestätigten die Thatsache mit vielen Details. Man sagte ihm: die Familie sey gefangen genommen worden, und viele Gefangene seyen im Kloster der weißen Benedictiner mit dem Kloster verbraunt. Der Consul wollte sich erkundigen, und kam in ein Quartier wo gewiß 300 Häuser abge- brannt waren, aus denen ein pestilenzartiger Qualm kam, herrührend von verbrannten oder unter den Trümmern begrabenen Leichen. Im Kloster selbst fand er Leute welche halbverkohlte Leichname heraustrugen, und sagten es seyen das die Leichen von Gefangenen welche von den neapolitanischen Soldaten hin- eingesperrt worden waren, sie haben 60 herausgetragen, und etwa 20 seyen noch drinnen. Das Kloster war verbraunt worden als die Insurgenten sich seiner bemächtigten. Der Consul richtete an Marschall Lanza ein Schreiben, worin er sich über die Familie Eichholzer erkundigte. Das Schreiben, sowie die getreue Darstellung einer Unterredung mit General Wyttenbach, legte der Consul dem Bericht an den Bundesrath bei. Ein gleiches Schicksal wie Eich- holzer traf auch einen Franzosen, Namens Firet, Sprachlehrer, der in diesem Quartier wohnte. Trotzdem daß Firet mit großer Schrift an sein Haus ge- geschrieben: "Domicile francais," kam die Familie um, als sie sich aus den Flammen retten wollte, durch Schüsse der Truppen. So wurde das ganze 300 Häuser große Quartier geopfert. Eine andere Schweizerfamilie, Caflisch, Pastetenbäcker, welche im Palazzo reale eingeschlossen war, und nicht einmal die Mittel hatte ein Stück Brod zu bekommen, bat um den Schutz des schwei- zerischen Consuls, und es gelang ihm sie durch alle Schwierigkeiten hindurch- zuführen bis zur Consulatswohnung. Am 3 Jun. wollte der gleiche Caflisch in den Palazzo reale zurück um seine Sachen zu holen, da wurde er als Spion eingesperrt. Der Consul wandte sich an die provisorische Regierung; allein der Secretär Garibaldi's erwiederte: das 13te Jägerbataillon, zum grö- ßern Theil aus Schweizern bestehend und von Schweizerofsicieren bedient, ver- fahre so grausam gegen die Einwohner, brenne Häuser nieder und morde die Menschen (nach andern Berichten war das 13te Bataillon gar nicht im Kampf) daß sich die Insurgenten genöthigt sehen an den andern Schweizern Rache zu nehmen (!). Man sagte dem Consul, dieses Bataillon sey durch Versprechen von Plünderung dazu verleitet worden. Der Consul berief sich auf alle Be- schlüsse der schweizerischen Bundesversammlung gegen den fremden Kriegsdienst, auf das neueste Verbot sich anwerben zu lassen u. s. w., und sagte Particu- laren können doch nicht für die Schritte einzelner verantwortlich gemacht wer- den. Seine Raisonnements fanden großen Widerstand bei diesen Leuten, die sich nun einmal befreien wollen. Der Consul hofft aber diese feindselige Stimmung zu bewältigen, und vertraut besonders auf die edle Gesinnung welche der Anführer Garibaldi in der letzten Zeit oft bethätigt hat, so durch Ab- sendung von 2000 Mundportionen und anderen Bedürfnissen in die Spitäler und durch Eingehen des Waffenstillstandes. Die Stadt habe fürchterlich ge- litten. Ein Augenzeuge sagte: als die Insurgenten die Klöster der Annunzia- zione und der weißen Benedictiuer genommen, habe man ihnen mit Kartät- schen und Bomben den Rückzug abgeschnitten, die Soldaten trugen Reisbün- del in Menge herbei um das Kloster anzuzünden. Der Consul bemerkt hier daß dieß im Widerspruch mit dem stehe was ihm General Wyttenbach erzählt habe. Angesichts der furchtbaren Scenen welche der Consul sah, glaubte er beim General v. Mechel Schritte thun zu müssen (der Consul nennt ihn wei- ter oben "notre digne compatriote"), sowie bei seinen Officieren, um ihnen eine Schilderung zu machen von den unerhörten Grausamkeiten welche er mit angesehen habe. Er that es mit eigener Lebensgefahr; denn niemand durfte die Vorposten der Neapolitaner passiren. Es gelang ihm mit Hrn. Mechel zu sprechen in Gegenwart des Commandanten Bosco. Er sagte ihnen daß all dieses Unglück durch jahrelange Tyrannei und durch die Polizei herbeigeführt worden sey, daß die Bevölkerung aufs äußerste getrieben worden, und ihre Armee nun, wie es scheine, bestimmt sey mit den äußersten Opfern das Land zu unterdrücken. Seine Schilderung schien Eindruck zu machen, man suchte aber die Thatsachen in Zweifel zu ziehen. Der Consul lud sie ein sich zu überzeugen und mit ihm zu kommen, aber sie konnten ihm nicht folgen, und er mußte sich mit seiner Schilderung begnügen. Eine gleiche Einladung schickte der schweizerische Consul den Admiralen und Commandeurs der verschiedenen Geschwader, sie sollen sich doch von dem furchtbaren Zustand überzeugen, und ihre Autorität eintreten lassen gegen das Bombardement und die Plünderung. Der Consul schreibt eudlich daß viele Soldaten der neapolitanischen Armee und viele von der Gendarmerie übergehen. So sey der sog. Capitano d'Armi, der rechte Arm des Polizeidirectors Maniscalco, mit 24 seiner Bertrauten zu Garibaldi übergegangen. [Spaltenumbruch]
2 Jun. Geſtern Nachmittag wurde das große Finanzgebäude in der Heute Morgens iſt die Nachricht eingetroffen daß der Dampfer „Utile“ Trotz des Waffenſtillſtandes kommen fortwährend kleine Reibungen und Die Deſertionen dauern fort, und ſonderbarerweiſe zumeiſt nur ſind es Ueber die Zerſtörungen die das Bombardement angerichtet hat ließen 3 Jun., Morgens. Vergangene Nacht um 9 Uhr iſt der neapoli- Heute früh war General Letizia wieder bei Garibaldi, um eine un- *) Obige Angaben werden beſtätigt durch die Berichte der ſchweizeriſchen
Conſuln in Sicilien. So ſchreibt (nach der N. Züricher Ztg.) der Con- ſul in Palermo d. d. 4 Jun.: es gebe auch Landsleute welche durch die Ereigniſſe der letzten Tage Bleſſuren und ſchwere Berluſte erlitten haben. Wäh- rend des Waffenſtillſtaudes ſey es ihm möglich geworden ſich nach denſelben zu erkundigen, ſowie die Ereigniſſe in Augenſchein zu nehmen, welche jede Vor- ſtellung überſteigen. Das Volk errichtete in allen Straßen Barricaden, um den Sturm des 13ten Jägerbataillons des Oberſt Mechel von Baſel und des Oberſten Bosco, Commandanten von 8 neapolitaniſchen Jägercompagnien, ab- zuſchlagen. Letzterer gebot auch über eine Abtheilung Artillerie. Beide Corps lagen vor der Porta Termini. Ein anderes Corps vertheidigte den Palazzo reale und das Fort Caſtellamare. Die neapolitaniſche Armee ſey etwa 18,000 Mann ſtark; andere ſchätzen ſie auf 22,000; dagegen ſey dieſelbe zur Zeit ſeines Briefes wohl auf die erſtere Zahl reducirt worden. Die königl. Streitkräfte zur See ſeyen ſehr beträchtlich, und bombardiren die Stadt ſo oft das Caſtell ſein Feuer eröffne. In der Stadt herrſche bewunderungswürdige Ordnung, nicht ein Fall von Raub oder ähnlichen Exceſſen fey vorgekommen. Die Be- fehle Garibaldi’s werden pünktlich vollzogen. Geſtern (3 Jun.) Mittag, wo die Feindſeligkeiten wieder beginnen ſollten, ſchickte Marſchall Lanza einen Par- lamentär und verlangte Verlängerung des Waffenſtillſtandes. Garibaldi wil- ligte ein. Jede Partei hatte die Wiedereröffnung der Feindſeligkeiten zwei Stunden vorher anzuzeigen. Unterdeſſen wurden überall Barricaden errichtet, wozu die bombardieten Häuſer und die Quader des Straßenpflaſters das Ma- terial lieferten. Der Conſul hatte vernommen daß das Haus eines Schwei- zers, Namens Eichholzer, verheirathet mit einer Sicilianerin, ebeufalls ver- brannt, und ein 12jähriger Knabe desſelben beim Fliehen aus dem brennenden Haus durch einen Schuß getödtet worden war. Er begab ſich an Ort und Stelle, und die Leute beſtätigten die Thatſache mit vielen Details. Man ſagte ihm: die Familie ſey gefangen genommen worden, und viele Gefangene ſeyen im Kloſter der weißen Benedictiner mit dem Kloſter verbraunt. Der Conſul wollte ſich erkundigen, und kam in ein Quartier wo gewiß 300 Häuſer abge- brannt waren, aus denen ein peſtilenzartiger Qualm kam, herrührend von verbrannten oder unter den Trümmern begrabenen Leichen. Im Kloſter ſelbſt fand er Leute welche halbverkohlte Leichname heraustrugen, und ſagten es ſeyen das die Leichen von Gefangenen welche von den neapolitaniſchen Soldaten hin- eingeſperrt worden waren, ſie haben 60 herausgetragen, und etwa 20 ſeyen noch drinnen. Das Kloſter war verbraunt worden als die Inſurgenten ſich ſeiner bemächtigten. Der Conſul richtete an Marſchall Lanza ein Schreiben, worin er ſich über die Familie Eichholzer erkundigte. Das Schreiben, ſowie die getreue Darſtellung einer Unterredung mit General Wyttenbach, legte der Conſul dem Bericht an den Bundesrath bei. Ein gleiches Schickſal wie Eich- holzer traf auch einen Franzoſen, Namens Firet, Sprachlehrer, der in dieſem Quartier wohnte. Trotzdem daß Firet mit großer Schrift an ſein Haus ge- geſchrieben: „Domicile francais,“ kam die Familie um, als ſie ſich aus den Flammen retten wollte, durch Schüſſe der Truppen. So wurde das ganze 300 Häuſer große Quartier geopfert. Eine andere Schweizerfamilie, Cafliſch, Paſtetenbäcker, welche im Palazzo reale eingeſchloſſen war, und nicht einmal die Mittel hatte ein Stück Brod zu bekommen, bat um den Schutz des ſchwei- zeriſchen Conſuls, und es gelang ihm ſie durch alle Schwierigkeiten hindurch- zuführen bis zur Conſulatswohnung. Am 3 Jun. wollte der gleiche Cafliſch in den Palazzo reale zurück um ſeine Sachen zu holen, da wurde er als Spion eingeſperrt. Der Conſul wandte ſich an die proviſoriſche Regierung; allein der Secretär Garibaldi’s erwiederte: das 13te Jägerbataillon, zum grö- ßern Theil aus Schweizern beſtehend und von Schweizerofſicieren bedient, ver- fahre ſo grauſam gegen die Einwohner, brenne Häuſer nieder und morde die Menſchen (nach andern Berichten war das 13te Bataillon gar nicht im Kampf) daß ſich die Inſurgenten genöthigt ſehen an den andern Schweizern Rache zu nehmen (!). Man ſagte dem Conſul, dieſes Bataillon ſey durch Verſprechen von Plünderung dazu verleitet worden. Der Conſul berief ſich auf alle Be- ſchlüſſe der ſchweizeriſchen Bundesverſammlung gegen den fremden Kriegsdienſt, auf das neueſte Verbot ſich anwerben zu laſſen u. ſ. w., und ſagte Particu- laren können doch nicht für die Schritte einzelner verantwortlich gemacht wer- den. Seine Raiſonnements fanden großen Widerſtand bei dieſen Leuten, die ſich nun einmal befreien wollen. Der Conſul hofft aber dieſe feindſelige Stimmung zu bewältigen, und vertraut beſonders auf die edle Geſinnung welche der Anführer Garibaldi in der letzten Zeit oft bethätigt hat, ſo durch Ab- ſendung von 2000 Mundportionen und anderen Bedürfniſſen in die Spitäler und durch Eingehen des Waffenſtillſtandes. Die Stadt habe fürchterlich ge- litten. Ein Augenzeuge ſagte: als die Inſurgenten die Klöſter der Annunzia- zione und der weißen Benedictiuer genommen, habe man ihnen mit Kartät- ſchen und Bomben den Rückzug abgeſchnitten, die Soldaten trugen Reisbün- del in Menge herbei um das Kloſter anzuzünden. Der Conſul bemerkt hier daß dieß im Widerſpruch mit dem ſtehe was ihm General Wyttenbach erzählt habe. Angeſichts der furchtbaren Scenen welche der Conſul ſah, glaubte er beim General v. Mechel Schritte thun zu müſſen (der Conſul nennt ihn wei- ter oben „notre digne compatriote“), ſowie bei ſeinen Officieren, um ihnen eine Schilderung zu machen von den unerhörten Grauſamkeiten welche er mit angeſehen habe. Er that es mit eigener Lebensgefahr; denn niemand durfte die Vorpoſten der Neapolitaner paſſiren. Es gelang ihm mit Hrn. Mechel zu ſprechen in Gegenwart des Commandanten Bosco. Er ſagte ihnen daß all dieſes Unglück durch jahrelange Tyrannei und durch die Polizei herbeigeführt worden ſey, daß die Bevölkerung aufs äußerſte getrieben worden, und ihre Armee nun, wie es ſcheine, beſtimmt ſey mit den äußerſten Opfern das Land zu unterdrücken. Seine Schilderung ſchien Eindruck zu machen, man ſuchte aber die Thatſachen in Zweifel zu ziehen. Der Conſul lud ſie ein ſich zu überzeugen und mit ihm zu kommen, aber ſie konnten ihm nicht folgen, und er mußte ſich mit ſeiner Schilderung begnügen. Eine gleiche Einladung ſchickte der ſchweizeriſche Conſul den Admiralen und Commandeurs der verſchiedenen Geſchwader, ſie ſollen ſich doch von dem furchtbaren Zuſtand überzeugen, und ihre Autorität eintreten laſſen gegen das Bombardement und die Plünderung. Der Conſul ſchreibt eudlich daß viele Soldaten der neapolitaniſchen Armee und viele von der Gendarmerie übergehen. So ſey der ſog. Capitano d’Armi, der rechte Arm des Polizeidirectors Maniscalco, mit 24 ſeiner Bertrauten zu Garibaldi übergegangen. <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <pb facs="#f0002" n="2814"/> <cb/> <p>2 <hi rendition="#g">Jun.</hi> Geſtern Nachmittag wurde das große Finanzgebäude in der<lb/> Toledoſtraße übergeben, mit ihm 5,444,444 Ducaten, von denen aber nur<lb/> etwa 100,000 der Regierung gehören. Staatsſecretär Criſpi übernahm die<lb/> Gelder und Bücher. Der Beſatzung — 125 Mann — war freier Abzug mit<lb/> Waffen und Gepäck geſtattet worden.</p><lb/> <p>Heute Morgens iſt die Nachricht eingetroffen daß der Dampfer „Utile“<lb/> mit ſeinen 100 Mann, 2000 Gewehren u. ſ. w. ohne Hinderniß in Marſala<lb/> eingelaufen iſt, und verläßlichen Berichten zufolge iſt der Dampfer „Blackwall“<lb/> mit 1500 oder 1800 Freiwilligen am 26 von Livorno abgefahren. Eine neapo-<lb/> litaniſche Fregatte, die gegen ihn ausgeſchickt worden war, will keine Spur<lb/> von ihm geſehen haben, aber ein Kauffahrer aus Gibraltar erzählt er ſey<lb/> einem Dampfer dieſer Art begegnet, der den Curs nach Marſala eingehalten<lb/> habe. Es wäre doch merkwürdig wenn auch er gerade in Marſala ein-<lb/> laufen ſollte.</p><lb/> <p>Trotz des Waffenſtillſtandes kommen fortwährend kleine Reibungen und<lb/> unliebſame Zwiſchenfälle bei den Vorpoſten vor, und beſäße Garibaldi nicht<lb/> jene ans wunderbare gränzende Macht über ſeine Leute und die geſammte<lb/> Bevölkerung, eine Einhaltung des Waffenſtillſtandes wäre geradezu unmög-<lb/> lich. So aber herrſchte ſelbſt zu den Zeiten des ſtrengſten Polizeidrucks in<lb/> der Hauptſtadt keine ſo muſterhaſte Ordnung als eben jetzt. Nur gegen <hi rendition="#g">eine</hi><lb/> Claſſe von Geſchöpfen iſt das Volk unverſöhnlich: gegen die geheimen Poli-<lb/> ciſten. Dieſe werden wie wilde Thiere gejagt, und niedergeſchoſſen wo ſie<lb/> aufgeſpürt werden können. In den erſten Tagen waren förmliche Treib-<lb/> jagden gegen ſie organiſirt, und viele der bekannteſten ermordet worden, bevor<lb/> es möglich war ſie zu ſchützen. Aber man bedenke auch wie viel Jammer<lb/> dieſe Spione über ſo viele Familien des Landes gebracht hatten!</p><lb/> <p>Die Deſertionen dauern fort, und ſonderbarerweiſe zumeiſt nur ſind es<lb/> Unterofſiciere die ihre Fahne verlaſſen. Nicht allein ſie, ſondern auch die 300 bis<lb/> 400 Gefangenen wollen ſich einreihen laſſen, und ſelbſt die Beſſern von den<lb/> fremden Regimentern fangen an ihrer räuberiſchen Cameraden ſatt zu werden.<lb/> Mit Geld ließe ſich wahrſcheinlich viel ausrichten, und an Geld iſt jetzt kein<lb/> Mangel mehr.</p><lb/> <p>Ueber die Zerſtörungen die das Bombardement angerichtet hat ließen<lb/> ſich Bände vollſchreiben. Jede einzelne Häuſerruine hat ihre eigene Geſchichte<lb/> von Grauſamkeit und Brutalität, und kaum würde ich es wagen darüber zu<lb/> berichten, gäbe es nicht ſo viele engliſche und amerikaniſche Ofſiciere die meine<lb/> Angaben als Augenzeugen beſtätigen könnten. Am allerſchrecklichſten ſieht es<lb/> in den armen dichtbevölkerten Quartieren zur Rechten und Linken des königl.<lb/> Palaſtes aus. Dort wohnen jahraus jahrein viele Familien in kleinen<lb/> armſeligen Häuſern zuſammengedrängt. Aus Angſt vor dem Bombardement<lb/> hatten ſie ſich noch enger aneinandergekeilt. Ward eines der Häuſer von einer<lb/> Bombe getroffen, flüchteten die Bewohner zum Nachbar in den Keller. Aber<lb/> als die königl. Truppen ſich zurückziehen mußten, ſteckten ſie die vom Bombar-<lb/> dement verſchonten Häuſer in Brand, und ſo verbrannten viele bei lebendigem<lb/> Leib in ihren Verſtecken. Die ganze Umgebung der Albergeria iſt mit jenem<lb/> eigenthümlichen brenzeligen Geruch, den verbrannte animaliſche Subſtanzen von<lb/> ſich geben, erfüllt, und hat einer nur den Muth in dieſe Trümmer einzu-<lb/> dringen, wird er bald auf verkohlte menſchliche Leichname ſtoßen, wird hier<lb/> einen Arm oder ein Bein, dort ein geſchwärztes Menſchenangeſicht aus Schutt-<lb/> haufen herausragen ſehen. Hunde und Ratten führen dort ein Luculliſches<lb/> Leben, und Myriaden ekelhafter Mücken fliegen ſummend auf wenn ein<lb/> Menſchentritt ſich dieſen verpeſteten Stätten naht.<note place="foot" n="*)">Obige Angaben werden beſtätigt durch die Berichte der <hi rendition="#g">ſchweizeriſchen<lb/> Conſuln</hi> in Sicilien. So ſchreibt (nach der N. <hi rendition="#g">Züricher Ztg.</hi>) der Con-<lb/> ſul in <hi rendition="#g">Palermo</hi> <hi rendition="#aq">d. d.</hi> 4 Jun.: es gebe auch Landsleute welche durch die<lb/> Ereigniſſe der letzten Tage Bleſſuren und ſchwere Berluſte erlitten haben. Wäh-<lb/> rend des Waffenſtillſtaudes ſey es ihm möglich geworden ſich nach denſelben zu<lb/> erkundigen, ſowie die Ereigniſſe in Augenſchein zu nehmen, welche jede Vor-<lb/> ſtellung überſteigen. Das Volk errichtete in allen Straßen Barricaden, um<lb/> den Sturm des 13ten Jägerbataillons des Oberſt Mechel von Baſel und des<lb/> Oberſten Bosco, Commandanten von 8 neapolitaniſchen Jägercompagnien, ab-<lb/> zuſchlagen. Letzterer gebot auch über eine Abtheilung Artillerie. Beide Corps<lb/> lagen vor der Porta Termini. Ein anderes Corps vertheidigte den Palazzo<lb/> reale und das Fort Caſtellamare. Die neapolitaniſche Armee ſey etwa 18,000<lb/> Mann ſtark; andere ſchätzen ſie auf 22,000; dagegen ſey dieſelbe zur Zeit ſeines<lb/> Briefes wohl auf die erſtere Zahl reducirt worden. Die königl. Streitkräfte<lb/> zur See ſeyen ſehr beträchtlich, und bombardiren die Stadt ſo oft das Caſtell<lb/> ſein Feuer eröffne. In der Stadt herrſche bewunderungswürdige Ordnung,<lb/> nicht ein Fall von Raub oder ähnlichen Exceſſen fey vorgekommen. Die Be-<lb/> fehle Garibaldi’s werden pünktlich vollzogen. Geſtern (3 Jun.) Mittag, wo<lb/> die Feindſeligkeiten wieder beginnen ſollten, ſchickte Marſchall Lanza einen Par-<lb/> lamentär und verlangte Verlängerung des Waffenſtillſtandes. Garibaldi wil-<lb/> ligte ein. Jede Partei hatte die Wiedereröffnung der Feindſeligkeiten zwei<lb/> Stunden vorher anzuzeigen. Unterdeſſen wurden überall Barricaden errichtet,<lb/> wozu die bombardieten Häuſer und die Quader des Straßenpflaſters das Ma-<lb/> terial lieferten. Der Conſul hatte vernommen daß das Haus eines Schwei-<lb/> zers, Namens Eichholzer, verheirathet mit einer Sicilianerin, ebeufalls ver-<lb/> brannt, und ein 12jähriger Knabe desſelben beim Fliehen aus dem brennenden<lb/> Haus durch einen Schuß getödtet worden war. Er begab ſich an Ort und<lb/> Stelle, und die Leute beſtätigten die Thatſache mit vielen Details. Man ſagte<lb/> ihm: die Familie ſey gefangen genommen worden, und viele Gefangene ſeyen<lb/> im Kloſter der weißen Benedictiner mit dem Kloſter verbraunt. Der Conſul<lb/> wollte ſich erkundigen, und kam in ein Quartier wo gewiß 300 Häuſer abge-<lb/> brannt waren, aus denen ein peſtilenzartiger Qualm kam, herrührend von<lb/> verbrannten oder unter den Trümmern begrabenen Leichen. Im Kloſter ſelbſt<lb/> fand er Leute welche halbverkohlte Leichname heraustrugen, und ſagten es ſeyen<lb/> das die Leichen von Gefangenen welche von den neapolitaniſchen Soldaten hin-<lb/> eingeſperrt worden waren, ſie haben 60 herausgetragen, und etwa 20 ſeyen<lb/> noch drinnen. Das Kloſter war verbraunt worden als die Inſurgenten ſich<lb/> ſeiner bemächtigten. Der Conſul richtete an Marſchall Lanza ein Schreiben,<lb/> worin er ſich über die Familie Eichholzer erkundigte. Das Schreiben, ſowie<lb/> die getreue Darſtellung einer Unterredung mit General Wyttenbach, legte der<lb/> Conſul dem Bericht an den Bundesrath bei. Ein gleiches Schickſal wie Eich-<lb/> holzer traf auch einen Franzoſen, Namens Firet, Sprachlehrer, der in dieſem<lb/> Quartier wohnte. Trotzdem daß Firet mit großer Schrift an ſein Haus ge-<lb/> geſchrieben: „<hi rendition="#aq">Domicile francais,</hi>“ kam die Familie um, als ſie ſich aus den<lb/> Flammen retten wollte, durch Schüſſe der Truppen. So wurde das ganze<lb/> 300 Häuſer große Quartier geopfert. Eine andere Schweizerfamilie, Cafliſch,<lb/> Paſtetenbäcker, welche im Palazzo reale eingeſchloſſen war, und nicht einmal<lb/> die Mittel hatte ein Stück Brod zu bekommen, bat um den Schutz des ſchwei-<lb/> zeriſchen Conſuls, und es gelang ihm ſie durch alle Schwierigkeiten hindurch-<lb/> zuführen bis zur Conſulatswohnung. Am 3 Jun. wollte der gleiche Cafliſch<lb/> in den Palazzo reale zurück um ſeine Sachen zu holen, da wurde er als<lb/> Spion eingeſperrt. Der Conſul wandte ſich an die proviſoriſche Regierung;<lb/> allein der Secretär Garibaldi’s erwiederte: das 13te Jägerbataillon, zum grö-<lb/> ßern Theil aus Schweizern beſtehend und von Schweizerofſicieren bedient, ver-<lb/> fahre ſo grauſam gegen die Einwohner, brenne Häuſer nieder und morde die<lb/> Menſchen (nach andern Berichten war das 13te Bataillon gar nicht im Kampf)<lb/> daß ſich die Inſurgenten genöthigt ſehen an den andern Schweizern Rache zu<lb/> nehmen (!). Man ſagte dem Conſul, dieſes Bataillon ſey durch Verſprechen<lb/> von Plünderung dazu verleitet worden. Der Conſul berief ſich auf alle Be-<lb/> ſchlüſſe der ſchweizeriſchen Bundesverſammlung gegen den fremden Kriegsdienſt,<lb/> auf das neueſte Verbot ſich anwerben zu laſſen u. ſ. w., und ſagte Particu-<lb/> laren können doch nicht für die Schritte einzelner verantwortlich gemacht wer-<lb/> den. Seine Raiſonnements fanden großen Widerſtand bei dieſen Leuten,<lb/> die ſich nun einmal befreien wollen. Der Conſul hofft aber dieſe feindſelige<lb/> Stimmung zu bewältigen, und vertraut beſonders auf die edle Geſinnung<lb/> welche der Anführer Garibaldi in der letzten Zeit oft bethätigt hat, ſo durch Ab-<lb/> ſendung von 2000 Mundportionen und anderen Bedürfniſſen in die Spitäler<lb/> und durch Eingehen des Waffenſtillſtandes. Die Stadt habe fürchterlich ge-<lb/> litten. Ein Augenzeuge ſagte: als die Inſurgenten die Klöſter der Annunzia-<lb/> zione und der weißen Benedictiuer genommen, habe man ihnen mit Kartät-<lb/> ſchen und Bomben den Rückzug abgeſchnitten, die Soldaten trugen Reisbün-<lb/> del in Menge herbei um das Kloſter anzuzünden. Der Conſul bemerkt hier<lb/> daß dieß im Widerſpruch mit dem ſtehe was ihm General Wyttenbach erzählt<lb/> habe. Angeſichts der furchtbaren Scenen welche der Conſul ſah, glaubte er<lb/> beim General v. Mechel Schritte thun zu müſſen (der Conſul nennt ihn wei-<lb/> ter oben „<hi rendition="#aq">notre digne compatriote</hi>“), ſowie bei ſeinen Officieren, um<lb/> ihnen eine Schilderung zu machen von den unerhörten Grauſamkeiten welche<lb/> er mit angeſehen habe. Er that es mit eigener Lebensgefahr; denn niemand<lb/> durfte die Vorpoſten der Neapolitaner paſſiren. Es gelang ihm mit Hrn. Mechel<lb/> zu ſprechen in Gegenwart des Commandanten Bosco. Er ſagte ihnen daß all<lb/> dieſes Unglück durch jahrelange Tyrannei und durch die Polizei herbeigeführt<lb/> worden ſey, daß die Bevölkerung aufs äußerſte getrieben worden, und ihre<lb/> Armee nun, wie es ſcheine, beſtimmt ſey mit den äußerſten Opfern das Land<lb/> zu unterdrücken. Seine Schilderung ſchien Eindruck zu machen, man ſuchte<lb/> aber die Thatſachen in Zweifel zu ziehen. Der Conſul lud ſie ein ſich zu<lb/> überzeugen und mit ihm zu kommen, aber ſie konnten ihm nicht folgen, und<lb/> er mußte ſich mit ſeiner Schilderung begnügen. Eine gleiche Einladung ſchickte<lb/> der ſchweizeriſche Conſul den Admiralen und Commandeurs der verſchiedenen<lb/> Geſchwader, ſie ſollen ſich doch von dem furchtbaren Zuſtand überzeugen, und<lb/> ihre Autorität eintreten laſſen gegen das Bombardement und die Plünderung.<lb/> Der Conſul ſchreibt eudlich daß viele Soldaten der neapolitaniſchen Armee<lb/> und viele von der Gendarmerie übergehen. So ſey der ſog. Capitano d’Armi,<lb/> der rechte Arm des Polizeidirectors Maniscalco, mit 24 ſeiner Bertrauten zu<lb/> Garibaldi übergegangen.</note> Ein Wunder iſt’s zu<lb/><cb/> nennen daß angeſichts ſolcher Scenen die Männer nicht zu Tigern, die Weiber<lb/> nicht zu Furien werden. Aber dieſes Volk iſt ſo lange in den Staub ge-<lb/> treten worden, daß es die Kraft des Widerſtandes beinahe vollſtändig ein-<lb/> gebüßt zu haben ſcheint. So viel haben ſie jetzt gelernt daß von den Bourbons<lb/> keine Gnade zu hoffen iſt, und ſo viel haben ſie denn doch ſchon von ihrer<lb/> Apathie verloren, daß ſie in den beiden letzten Tagen ganz tüchtig an den Ber-<lb/> theidigungsanſtalten mitarbeiteten. Ob das aber anhalten wird wenn erſt die<lb/> Bomben wieder durch die Luft pfeifen!</p><lb/> <p>3 <hi rendition="#g">Jun., Morgens.</hi> Vergangene Nacht um 9 Uhr iſt der neapoli-<lb/> taniſche Aviſodampfer „Saetta“ mit dem General Letizia hereingekommen.<lb/> Seine Weiſungen gehen, glaubwürdigen Mittheilungen zufolge, dahin: bis<lb/> auf den letzten Mann auszuhalten, zu dieſem Zweck die Beſatzung von Tra-<lb/> pani nebſt den aus Girgenti kommenden Truppen an ſich zu ziehen, alles zum<lb/> Kampf vorzubereiten, und mittlerweile, um Aufſchub zu gewinnen, Unter-<lb/> handlungen mit Garibaldi anzuknüpfen. Von Neapel ſchickten ſie eine Maſſe<lb/> Congreve’ſche Raketen und Orſini’ſche Bomben, ſammt der Weiſung nichts zu<lb/> ſchonen und alles zu zerſtören. Es wird ſich zeigen was wahres an dieſen<lb/> Angaben iſt.</p><lb/> <p>Heute früh war General Letizia wieder bei Garibaldi, um eine un-<lb/> beſtimmte Verlängerung des Waffenſtillſtandes zu verlangen. Auf welchen<lb/> Grund hin dieſe Forderung geſtellt und von Garibaldi zugeſtanden wurde,<lb/> vermag ich nicht zu ſagen, denn niemand war bei dieſer Unterredung zu-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [2814/0002]
2 Jun. Geſtern Nachmittag wurde das große Finanzgebäude in der
Toledoſtraße übergeben, mit ihm 5,444,444 Ducaten, von denen aber nur
etwa 100,000 der Regierung gehören. Staatsſecretär Criſpi übernahm die
Gelder und Bücher. Der Beſatzung — 125 Mann — war freier Abzug mit
Waffen und Gepäck geſtattet worden.
Heute Morgens iſt die Nachricht eingetroffen daß der Dampfer „Utile“
mit ſeinen 100 Mann, 2000 Gewehren u. ſ. w. ohne Hinderniß in Marſala
eingelaufen iſt, und verläßlichen Berichten zufolge iſt der Dampfer „Blackwall“
mit 1500 oder 1800 Freiwilligen am 26 von Livorno abgefahren. Eine neapo-
litaniſche Fregatte, die gegen ihn ausgeſchickt worden war, will keine Spur
von ihm geſehen haben, aber ein Kauffahrer aus Gibraltar erzählt er ſey
einem Dampfer dieſer Art begegnet, der den Curs nach Marſala eingehalten
habe. Es wäre doch merkwürdig wenn auch er gerade in Marſala ein-
laufen ſollte.
Trotz des Waffenſtillſtandes kommen fortwährend kleine Reibungen und
unliebſame Zwiſchenfälle bei den Vorpoſten vor, und beſäße Garibaldi nicht
jene ans wunderbare gränzende Macht über ſeine Leute und die geſammte
Bevölkerung, eine Einhaltung des Waffenſtillſtandes wäre geradezu unmög-
lich. So aber herrſchte ſelbſt zu den Zeiten des ſtrengſten Polizeidrucks in
der Hauptſtadt keine ſo muſterhaſte Ordnung als eben jetzt. Nur gegen eine
Claſſe von Geſchöpfen iſt das Volk unverſöhnlich: gegen die geheimen Poli-
ciſten. Dieſe werden wie wilde Thiere gejagt, und niedergeſchoſſen wo ſie
aufgeſpürt werden können. In den erſten Tagen waren förmliche Treib-
jagden gegen ſie organiſirt, und viele der bekannteſten ermordet worden, bevor
es möglich war ſie zu ſchützen. Aber man bedenke auch wie viel Jammer
dieſe Spione über ſo viele Familien des Landes gebracht hatten!
Die Deſertionen dauern fort, und ſonderbarerweiſe zumeiſt nur ſind es
Unterofſiciere die ihre Fahne verlaſſen. Nicht allein ſie, ſondern auch die 300 bis
400 Gefangenen wollen ſich einreihen laſſen, und ſelbſt die Beſſern von den
fremden Regimentern fangen an ihrer räuberiſchen Cameraden ſatt zu werden.
Mit Geld ließe ſich wahrſcheinlich viel ausrichten, und an Geld iſt jetzt kein
Mangel mehr.
Ueber die Zerſtörungen die das Bombardement angerichtet hat ließen
ſich Bände vollſchreiben. Jede einzelne Häuſerruine hat ihre eigene Geſchichte
von Grauſamkeit und Brutalität, und kaum würde ich es wagen darüber zu
berichten, gäbe es nicht ſo viele engliſche und amerikaniſche Ofſiciere die meine
Angaben als Augenzeugen beſtätigen könnten. Am allerſchrecklichſten ſieht es
in den armen dichtbevölkerten Quartieren zur Rechten und Linken des königl.
Palaſtes aus. Dort wohnen jahraus jahrein viele Familien in kleinen
armſeligen Häuſern zuſammengedrängt. Aus Angſt vor dem Bombardement
hatten ſie ſich noch enger aneinandergekeilt. Ward eines der Häuſer von einer
Bombe getroffen, flüchteten die Bewohner zum Nachbar in den Keller. Aber
als die königl. Truppen ſich zurückziehen mußten, ſteckten ſie die vom Bombar-
dement verſchonten Häuſer in Brand, und ſo verbrannten viele bei lebendigem
Leib in ihren Verſtecken. Die ganze Umgebung der Albergeria iſt mit jenem
eigenthümlichen brenzeligen Geruch, den verbrannte animaliſche Subſtanzen von
ſich geben, erfüllt, und hat einer nur den Muth in dieſe Trümmer einzu-
dringen, wird er bald auf verkohlte menſchliche Leichname ſtoßen, wird hier
einen Arm oder ein Bein, dort ein geſchwärztes Menſchenangeſicht aus Schutt-
haufen herausragen ſehen. Hunde und Ratten führen dort ein Luculliſches
Leben, und Myriaden ekelhafter Mücken fliegen ſummend auf wenn ein
Menſchentritt ſich dieſen verpeſteten Stätten naht. *) Ein Wunder iſt’s zu
nennen daß angeſichts ſolcher Scenen die Männer nicht zu Tigern, die Weiber
nicht zu Furien werden. Aber dieſes Volk iſt ſo lange in den Staub ge-
treten worden, daß es die Kraft des Widerſtandes beinahe vollſtändig ein-
gebüßt zu haben ſcheint. So viel haben ſie jetzt gelernt daß von den Bourbons
keine Gnade zu hoffen iſt, und ſo viel haben ſie denn doch ſchon von ihrer
Apathie verloren, daß ſie in den beiden letzten Tagen ganz tüchtig an den Ber-
theidigungsanſtalten mitarbeiteten. Ob das aber anhalten wird wenn erſt die
Bomben wieder durch die Luft pfeifen!
3 Jun., Morgens. Vergangene Nacht um 9 Uhr iſt der neapoli-
taniſche Aviſodampfer „Saetta“ mit dem General Letizia hereingekommen.
Seine Weiſungen gehen, glaubwürdigen Mittheilungen zufolge, dahin: bis
auf den letzten Mann auszuhalten, zu dieſem Zweck die Beſatzung von Tra-
pani nebſt den aus Girgenti kommenden Truppen an ſich zu ziehen, alles zum
Kampf vorzubereiten, und mittlerweile, um Aufſchub zu gewinnen, Unter-
handlungen mit Garibaldi anzuknüpfen. Von Neapel ſchickten ſie eine Maſſe
Congreve’ſche Raketen und Orſini’ſche Bomben, ſammt der Weiſung nichts zu
ſchonen und alles zu zerſtören. Es wird ſich zeigen was wahres an dieſen
Angaben iſt.
Heute früh war General Letizia wieder bei Garibaldi, um eine un-
beſtimmte Verlängerung des Waffenſtillſtandes zu verlangen. Auf welchen
Grund hin dieſe Forderung geſtellt und von Garibaldi zugeſtanden wurde,
vermag ich nicht zu ſagen, denn niemand war bei dieſer Unterredung zu-
*) Obige Angaben werden beſtätigt durch die Berichte der ſchweizeriſchen
Conſuln in Sicilien. So ſchreibt (nach der N. Züricher Ztg.) der Con-
ſul in Palermo d. d. 4 Jun.: es gebe auch Landsleute welche durch die
Ereigniſſe der letzten Tage Bleſſuren und ſchwere Berluſte erlitten haben. Wäh-
rend des Waffenſtillſtaudes ſey es ihm möglich geworden ſich nach denſelben zu
erkundigen, ſowie die Ereigniſſe in Augenſchein zu nehmen, welche jede Vor-
ſtellung überſteigen. Das Volk errichtete in allen Straßen Barricaden, um
den Sturm des 13ten Jägerbataillons des Oberſt Mechel von Baſel und des
Oberſten Bosco, Commandanten von 8 neapolitaniſchen Jägercompagnien, ab-
zuſchlagen. Letzterer gebot auch über eine Abtheilung Artillerie. Beide Corps
lagen vor der Porta Termini. Ein anderes Corps vertheidigte den Palazzo
reale und das Fort Caſtellamare. Die neapolitaniſche Armee ſey etwa 18,000
Mann ſtark; andere ſchätzen ſie auf 22,000; dagegen ſey dieſelbe zur Zeit ſeines
Briefes wohl auf die erſtere Zahl reducirt worden. Die königl. Streitkräfte
zur See ſeyen ſehr beträchtlich, und bombardiren die Stadt ſo oft das Caſtell
ſein Feuer eröffne. In der Stadt herrſche bewunderungswürdige Ordnung,
nicht ein Fall von Raub oder ähnlichen Exceſſen fey vorgekommen. Die Be-
fehle Garibaldi’s werden pünktlich vollzogen. Geſtern (3 Jun.) Mittag, wo
die Feindſeligkeiten wieder beginnen ſollten, ſchickte Marſchall Lanza einen Par-
lamentär und verlangte Verlängerung des Waffenſtillſtandes. Garibaldi wil-
ligte ein. Jede Partei hatte die Wiedereröffnung der Feindſeligkeiten zwei
Stunden vorher anzuzeigen. Unterdeſſen wurden überall Barricaden errichtet,
wozu die bombardieten Häuſer und die Quader des Straßenpflaſters das Ma-
terial lieferten. Der Conſul hatte vernommen daß das Haus eines Schwei-
zers, Namens Eichholzer, verheirathet mit einer Sicilianerin, ebeufalls ver-
brannt, und ein 12jähriger Knabe desſelben beim Fliehen aus dem brennenden
Haus durch einen Schuß getödtet worden war. Er begab ſich an Ort und
Stelle, und die Leute beſtätigten die Thatſache mit vielen Details. Man ſagte
ihm: die Familie ſey gefangen genommen worden, und viele Gefangene ſeyen
im Kloſter der weißen Benedictiner mit dem Kloſter verbraunt. Der Conſul
wollte ſich erkundigen, und kam in ein Quartier wo gewiß 300 Häuſer abge-
brannt waren, aus denen ein peſtilenzartiger Qualm kam, herrührend von
verbrannten oder unter den Trümmern begrabenen Leichen. Im Kloſter ſelbſt
fand er Leute welche halbverkohlte Leichname heraustrugen, und ſagten es ſeyen
das die Leichen von Gefangenen welche von den neapolitaniſchen Soldaten hin-
eingeſperrt worden waren, ſie haben 60 herausgetragen, und etwa 20 ſeyen
noch drinnen. Das Kloſter war verbraunt worden als die Inſurgenten ſich
ſeiner bemächtigten. Der Conſul richtete an Marſchall Lanza ein Schreiben,
worin er ſich über die Familie Eichholzer erkundigte. Das Schreiben, ſowie
die getreue Darſtellung einer Unterredung mit General Wyttenbach, legte der
Conſul dem Bericht an den Bundesrath bei. Ein gleiches Schickſal wie Eich-
holzer traf auch einen Franzoſen, Namens Firet, Sprachlehrer, der in dieſem
Quartier wohnte. Trotzdem daß Firet mit großer Schrift an ſein Haus ge-
geſchrieben: „Domicile francais,“ kam die Familie um, als ſie ſich aus den
Flammen retten wollte, durch Schüſſe der Truppen. So wurde das ganze
300 Häuſer große Quartier geopfert. Eine andere Schweizerfamilie, Cafliſch,
Paſtetenbäcker, welche im Palazzo reale eingeſchloſſen war, und nicht einmal
die Mittel hatte ein Stück Brod zu bekommen, bat um den Schutz des ſchwei-
zeriſchen Conſuls, und es gelang ihm ſie durch alle Schwierigkeiten hindurch-
zuführen bis zur Conſulatswohnung. Am 3 Jun. wollte der gleiche Cafliſch
in den Palazzo reale zurück um ſeine Sachen zu holen, da wurde er als
Spion eingeſperrt. Der Conſul wandte ſich an die proviſoriſche Regierung;
allein der Secretär Garibaldi’s erwiederte: das 13te Jägerbataillon, zum grö-
ßern Theil aus Schweizern beſtehend und von Schweizerofſicieren bedient, ver-
fahre ſo grauſam gegen die Einwohner, brenne Häuſer nieder und morde die
Menſchen (nach andern Berichten war das 13te Bataillon gar nicht im Kampf)
daß ſich die Inſurgenten genöthigt ſehen an den andern Schweizern Rache zu
nehmen (!). Man ſagte dem Conſul, dieſes Bataillon ſey durch Verſprechen
von Plünderung dazu verleitet worden. Der Conſul berief ſich auf alle Be-
ſchlüſſe der ſchweizeriſchen Bundesverſammlung gegen den fremden Kriegsdienſt,
auf das neueſte Verbot ſich anwerben zu laſſen u. ſ. w., und ſagte Particu-
laren können doch nicht für die Schritte einzelner verantwortlich gemacht wer-
den. Seine Raiſonnements fanden großen Widerſtand bei dieſen Leuten,
die ſich nun einmal befreien wollen. Der Conſul hofft aber dieſe feindſelige
Stimmung zu bewältigen, und vertraut beſonders auf die edle Geſinnung
welche der Anführer Garibaldi in der letzten Zeit oft bethätigt hat, ſo durch Ab-
ſendung von 2000 Mundportionen und anderen Bedürfniſſen in die Spitäler
und durch Eingehen des Waffenſtillſtandes. Die Stadt habe fürchterlich ge-
litten. Ein Augenzeuge ſagte: als die Inſurgenten die Klöſter der Annunzia-
zione und der weißen Benedictiuer genommen, habe man ihnen mit Kartät-
ſchen und Bomben den Rückzug abgeſchnitten, die Soldaten trugen Reisbün-
del in Menge herbei um das Kloſter anzuzünden. Der Conſul bemerkt hier
daß dieß im Widerſpruch mit dem ſtehe was ihm General Wyttenbach erzählt
habe. Angeſichts der furchtbaren Scenen welche der Conſul ſah, glaubte er
beim General v. Mechel Schritte thun zu müſſen (der Conſul nennt ihn wei-
ter oben „notre digne compatriote“), ſowie bei ſeinen Officieren, um
ihnen eine Schilderung zu machen von den unerhörten Grauſamkeiten welche
er mit angeſehen habe. Er that es mit eigener Lebensgefahr; denn niemand
durfte die Vorpoſten der Neapolitaner paſſiren. Es gelang ihm mit Hrn. Mechel
zu ſprechen in Gegenwart des Commandanten Bosco. Er ſagte ihnen daß all
dieſes Unglück durch jahrelange Tyrannei und durch die Polizei herbeigeführt
worden ſey, daß die Bevölkerung aufs äußerſte getrieben worden, und ihre
Armee nun, wie es ſcheine, beſtimmt ſey mit den äußerſten Opfern das Land
zu unterdrücken. Seine Schilderung ſchien Eindruck zu machen, man ſuchte
aber die Thatſachen in Zweifel zu ziehen. Der Conſul lud ſie ein ſich zu
überzeugen und mit ihm zu kommen, aber ſie konnten ihm nicht folgen, und
er mußte ſich mit ſeiner Schilderung begnügen. Eine gleiche Einladung ſchickte
der ſchweizeriſche Conſul den Admiralen und Commandeurs der verſchiedenen
Geſchwader, ſie ſollen ſich doch von dem furchtbaren Zuſtand überzeugen, und
ihre Autorität eintreten laſſen gegen das Bombardement und die Plünderung.
Der Conſul ſchreibt eudlich daß viele Soldaten der neapolitaniſchen Armee
und viele von der Gendarmerie übergehen. So ſey der ſog. Capitano d’Armi,
der rechte Arm des Polizeidirectors Maniscalco, mit 24 ſeiner Bertrauten zu
Garibaldi übergegangen.
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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