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Allgemeine Zeitung, Nr. 17, 21. Januar 1929.

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"AZ am Abend" Nr. 17 Montag, den 21. Januar


Rembrandts Radierungen in der
Graph. Sammlung des bayer. Staates
[Spaltenumbruch]

Die Direktion der Staatlichen Graphischen
Sammlung hat dankenswerterweise nunmehr auch
der breiteren Oeffentlichkeit in einer umfassenden
Ausstellung Gelegenheit gegeben, ihre neulich nur
privatim zugänglich gemachte, unschätzbar wert-
volle Sammlung von Originalradierungen Rem-
brandts in Augenschein zu nehmen.

Es ist ein Hochgenuß und eine überaus lebens-
volle Quelle des Studiums hier geboten für
jeden, der dem einzigartigen Radier-Genie Rem-
brandts nähertreten möchte. Wir stehen hier vor
den überreichen Dokumenten des Schaffens eines
auf einsamer Höhe stehenden Künstlers und durch
schweres Leid immer mehr verinnerlichten Men-
schen, den selbst das bitterste Lebensschicksal nicht
gänzlich zu lähmen vermochte, und der bis zu
seinem in tiefem Elend auslaufenden Leben in
erstaunlicher Ueberfülle durchgehend erst-
klassige Werke
geschaffen hat.

Rembrandt hatte an Erfolg und Lebensstellung
eine in damaliger Zeit einem Künstler selten er-
reichbare Höhe erklommen. Der Tod aber seiner
heißgeliebten reizenden ersten Frau Saskia,
die treubesorgt seine Lebenshaltung überwacht
hatte, und sein unbändiger Trieb, wertvolle
Kunstobjekte zu sammeln, brachten ihn in einen
grausamen, gründlichen Verfall seiner finanziellen
Verhältnisse, so daß er den letzten Teil seines
Lebens in tiefster Armut verbringen mußte. Das
alles hat wohl die Ausströmungen seines Genius
eingreifend beeinflußt, sie aber durchaus nicht
versiegen lassen.

Als Radierer nun ist Rembrandt heute wohl
unbestritten als ein zuvor, noch nachher erreichtes
Genie anerkannt, das die technischen Mittel die-
ser Kunst wahrhaft souverän beherrscht und mit
ihnen geradezu erstaunlich lebendige und beseelte
Wirkungen erzielt.

Es ist nun, zumal für Süddeutsche, welche mit
leichter beflügelten Tänzerschritten durchs Leben
gleiten, nicht gerade leicht und bequem, sich in
die oft spröde, ja derbe und fanatisch nach un-
geschminkter Wahrheit strebende Formensprache
dieses knorrigen, niederdeutschen Künstlers einzu-
leben. Wer sich aber in sie eingefühlt hat, kommt
zu ganz wundersamen, oft tief aufwühlenden Er-
lebnissen. Rembrandt versenkt sich tief-ernst hin-
gegeben in die Beobachtung der Natur, die er
niemals konventionell oder maniriert verschönt
oder gewaltsam ummodelt, wie das heute man-
chen als alleinseligmachend gilt. Um so mehr aber
belebt und beseelt er die Naturformen. Schier
unerschöpflich ist die Differenziertheit seiner [Formen-
sprache. Man fühlt das besonders stark,
wenn man die Arbeit seiner Schüler und Nach-
folger zu unvollendeten Arbeiten des Meisters
beobachtet. Seine schöpferische Phantasie aber
lebt sich aus in einer oft geradezu erstaunlichen
W[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt] und Großzügigkeit, vor allem in der
wundervoll geheimnistiefen Gestaltung von Licht
und Schatten, was besonders in seinem heute
weltberühmten "Helldunkel" unerreicht in Er-
scheinung trat. Stets auf dem Boden der Natur
stehend, entfaltete er eine erstaunlich reine und
vielgestaltene Schöpferphantasie.
Die in unserer Ausstellung vorliegenden Radie-]
rungen der frühen und mittleren Schaffens-
periode, als ihm das Glück noch ungetrübt
lächelte, sind von einer freien, lichten und hei-
teren Prägung. Und zumal die Gemälde jener
Zeit weisen oft gleißenden Pomp auf.

Mit wachsender Verelendung nehmen die
dämmrigen Schatten immer mehr zu, welche den
Meister dann zu jenem gerühmten "Helldunkel"
von tief poesievoller, rätselhafter Schönheit ver-
klärte. In jeder Schaffensperiode aber ist alles,
was er gestaltet hat, auch das Unscheinbare und
[gemeinlich] häßlich Genannte mit unendlicher
Liebe und seelischer Vertiefung aufgefaßt und
also in höhere Sphären gehoben. Man steht oft
ergriffen und tief aufgewühlt vor so viel Liebe
und seelischer Vornehmheit.

Die Porträtköpfe seiner engeren Familie aus
der Frühzeit, dann die verschiedensten Selbst-
porträts und physiognomischen Studien an sich
selber vor dem Spiegel erscheinen in kecken Stri-
chen, licht und locker. Doch immer schwerblütiger
und umschatteter wird das Lebenswerk unter dem
wachsend harten Druck seiner Erlebnisse.

Nur auf Weniges können wir noch besonders
hinweisen. Als unschätzbare Blüte des reifsten
Schaffens des Meisters tritt uns vor allem das
weltberühmte "Hundertguldenblatt": "Christus
heilt die Kranken" in zwei Fassungen, beide in
hervorragenden Abdrucken von heute fabelhaftem
Werte entgegen Hier wie auf den Blättern "Die
drei Kreuze", in einem herrlichen Abdrucke, "Die
Darstellung Christi", die in wundervoll trans-
parentem Helldunkel gehaltene "Verkündigung
der Hirten", der "Tod der Maria" usw. tritt die
von übersprudelnder Phantasie erfüllte geniale
Schöpferkraft Rembrandts geradezu blendend in
Erscheinung. Welch zauberhafte Wirkung erreicht
der Künftler da vor allem durch wundervolle Be-
handlung des Lichtes!

Neben den zahlreichen Selbstporträts aus allen
Schaffensperioden stehen Bildnisse der Zeit-
genossen von einer oft frappierenden Lebendigkeit
und Charakteristik im seelischen Ausdruck. Das
köstlich beobachtete "Selbstporträt zeichnend" ist
in einem wunderbar durchsichtigen Helldunkel
behandelt -- ein erstklassiger Abdruck!

Ferner seien noch kurz hingewiesen auf Meister-
stücke wie "Greis in weitem Samtmantel" (1632),
"Der Kupferstichverleger Clement de Jonge"
(1651), "Der Maler Jan Asselyn" um 1648,
"Der holländische Goldschmied Jan Luime"
(1656), die alle glänzend scharf charakteristert sind
bei wundervoll freier malerischer Behandlung.

Wie überragend sicher Rembrandt den mensch-
lichen Akt beherrscht hat, dafür zeugen Darstel-
lungen wie "Adam und Eva", "Nackte Frau auf
einer Bank sitzend", "Jupiter und Antiope", "Die
Frau mit dem Pfeil", "Die Frau beim Ofen",
köstliche Drucke voller Leben!

Auserlesene Proben der meisterhaften Behand-
lung des Lichtes begegnen uns in dem ungemein
klaren, hellen Drucke "Jesus kehrt mit seinen
Eltern aus dem Tempel heim". Ferner in der
"Darbringung im Tempel", das ganz erfüllt ist
von einer geradezu zauberhaften, geheimnisvoll
lebendigen Erscheinung alles Körperlichen im um-
flutenden Lichte. Und verwandte Vorzüge weist
der sogenannte "Faust" auf. "Der hl. Hierony-
mus in Meditation", "Die Anbetung der Hirten
[bei Laternenschein" seien noch besonders als mar-
kante Beispiele der überragenden Meisterschaft in
Behandlung des Helldunkel hervorgehoben --
ausgezeichnete Drucke.
Nicht vergessen dürfen wir die [unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt] Kunst
des Meisters in der Darstellung landschaftlicher
Motive. Was einem [unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]
[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt] ist die auch weltberühmte, hier in
einem prachtvollen Drucke ausgestellte "Landschaft
mit den drei Bäumen". Köstlich ist stets der
wirkungsvolle Kontrast der allgemein [unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]
hellen Fernen mit den überzeugend [unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt] und
kraftvoll herausgearbeiteten Vordergründen [unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]
[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt] "Die Hütten am Kanal", "Die Windmühle;,]
"Die Hütte bei dem großen Baum", "Ansicht von
Amsterdam", "Hütte hinter dem Plankenzaun",
"Die Hütte und der Heuschober", "Die Land-
schaft mit der saufenden Kuh", "Die drei Hütten",
die von geradezu dramatischem Leben beseelte
"Landschaft mit dem Turm".

Noch vieles wäre hervorzuheben aus diesem
wahrhaft imponierenden Lebenswerke, dessen
Abschluß leider so unglücklich war, nachdem man
begonnen hatte, elegantere Produkte gesellschaft-
lich gewandterer Macher den urwüchsigen
Aeußerungen eines einzigartigen Genies vorzu-
ziehen. Das alte Lied! -- -- --

Im ganzen erleben wir in dieser Ausstellung
eine geradezu staunenerregende Ueberfülle höchst-
gearteter schöpferischer Arbeit, wie sie seit Dürernicht mehr erlebt wurde, die vor allem einem

höchst modernen Kunstprogramm gegenüber dar-
tut, daß man durchaus nicht die Natur verleug-
nen muß, um ein höchst eigenpersönlicher
Schöpfer
zu werden. Und vor allem würde
es einem künstlerischen Nachwuchse nicht schaden,
gründlich dieses überragend große, von tiefstem
Ernste und leidenschaftlichem Streben nach un-
geschminkter Wahrheit und Echtheit sich anzu-
sehen. Ein Dokument stetiger strenger Arbeit!
Eine sehr begrüßenswerte Ergänzung würde eine
Ausstellung von Rembrandts Handzeichnungen
darstellen -- auch wenn sie so nur in guten
Nachbildungen möglich wäre.



Der Nemisee und seine Geheimnisse

Die beiden Vergnügungsboote des Kaisers Caligula

Zu den Angelegenheiten, um die sich
Mussolini persönlich sehr stark bekümmert,
gehört auch die Trockenlegung des Nemi-
sees, auf dessem Boden zwei altrömische
Schiffe liegen. Diese Zeugen der Vergangen-
heit will man den Blicken der Gegenwart
wieder zugänglich machen, nachdem sie sich
viele Jahrhunderte lang im Boden und
unter den Wassern des Sees versteckt haben.
Die mächtige elektrische Pumpanlage, die
den See allmählich leeren soll, ist im Okto-
ber v. J. von Mussolini selbst feierlich in
Gang gesetzt worden. Sie hat den Wasser-
spiegel inzwischen
um annähernd drei Meter gesenkt.

Die Lösung des Geheimnisses, das der See
so lange verschlossen gehalten hat, rückt
immer näher heran. Was wird sie bringen?

In der Nachbarschaft des Nemisees hat
sich durch alle die Jahrhunderte hindurch die
Ueberlieferung lebendig erhalten, daß nicht
weit von den Ufern des Sees entfernt und
in verhältnismäßig geringer Tiefe ein Schiff
des Kaisers Tiberius liege. Der Kar-
dinal Prospero Colonna stellte die Lage des
Schiffes im Jahre 1446 fest. Man machte
damals auch den Versuch, das Schiff mit
Haken zu fassen und mit Hilfe langer Taue
in die Höhe zu ziehen. Es kam aber nur
ein mit Blei eingefaßtes Stück des Hecks
zum Vorschein, das vom Schiff abgebrochen
war. Das übrige blieb in der Tiefe.

Weitere Hebeversuche wurden in den
Jahren 1535, 1827 und 1895 gemacht. Es
wurden dabei ziemlich große Mengen von
[Schiffsholz und Nägeln zutage gefördert,
ferner das Stück eines Mosaikbodens, ver-
schiedene Verzierungen und eine Reihe von
Bronzefiguren, auch alle&sr Bestandteile, wie
man sie an Bord eine&sr reich ausgestatteten
Vergnügungsboote&sr wohl antrifft. Dann
machte man zwei sehr wichtige Entdeckungen.
Zunächst wurde da&sr Stück eines Wasser-
[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt] zutage gefördert, das sicher zu dem
Schiff gehörte und da&sr
den Namen de&sr Kaisers Caligula
trug. Damit war bewiesen] daß das Haus-
boot nicht dem Kaiser Tiberius, sondern sei-
nem Nachfolger Caligula gehört hatte. Fer-
ner wurde festgestellt, daß noch ein zweites
Vergnügungsboot, etwas entfernt von dem
ersten und größer als dieses, in tieferem
Wasser auf dem Boden des Sees ruhte.

Inzwischen hat man die Maße genauer
festgestellt. Das Caligula-Boot ist etwa
70 Meter lang und etwas mehr als 20
Meter breit. Es liegt in einer Tiefe von
5 bis 13 Meter. Das zweite Boot ist 80
Meter lang und mehr als 25 Meter breit
und liegt in einer Tiefe von 16 bis 23 Meter.
[Spaltenumbruch] Das Bemerkenswerteste an diesen Maßen ist
die ungewöhnliche Breite, die das sonst
übliche Verhältnis der Breite zur Länge
etwa um das Doppelte übertrifft. Auch die-
ser Umstand weist deutlich darauf hin, daß
es sich um
Hausboote oder Vergnügungsschiffe
handelt, auf denen der Kaiser mit seinem
Gefolge längere Zeit zu wohnen pflegte.
Unter diesen Umständen wird man erwar-
ten können, daß man an Bord der Schiffe
sehr viel Interessantes findet.

Die römische Gesellschaft hielt sich während
des Winters in den sonnigen Gegenden des
flachen Landes auf. In der heißen Zeit war
der Nemisee und seine Umgebung eine der
beliebtesten Sommerfrischen. Viele reiche
Römer hatten dort ihre Villen. Der See
liegt in der albanischen Hügellandschaft, etwa
350 Meter über dem Meeresspiegel. Er füllt
die
Oeffnung eines erloschenen Kraters.
Seine eigene Schönheit und die seiner Um-
gebung üben heute noch eine ebenso große
Anziehungskraft aus, wie vor 1900 Jahren.
Der Spiegel des Sees ist fast immer ganz
glatt und seine klaren Wasser werfen das
schöne Bild der grünen Hänge, die rings
um den Rand des Kraters bis zu einer Höhe
von 100 Metern emporsteigen, in wunder-
barer Deutlichkeit zurück.

War der Nemisee in ähnlicher Weise im
Sommer belebt, woran wir nicht zu zweifeln
brauchen, so besteht alle Aussicht, neben den
beiden bereits festgestellten Booten noch
weitere Wasserfahrzeuge zu finden. Nach den
oben wiedergegebenen Sätzen des Sueto-
nius zu schließen, sind die im Nemisee ruhen-
den Boote wahrscheinlich Prachtbauten ge-
wesen. Kurz vor Suetonius hat Plutarch
das Vergnügungsboot beschrieben, auf dem
Cleopatra den Markus Antonius empfing.
"Der Bug," so heißt es da, "war mit Gold
bedeckt, die Segel waren von Purpur und
die
Ruder aus Silber.
Die Königin lag unter einem mit Gold ver-
zierten Thronhimmel. Zu beiden Seiten
ihrer Lagerstätte standen Knaben, die ihr
Luft zufächelten." Wahrscheinlich hatte Cleo-
patra für den Empfang des Markus Anto-
nius ein besonders schönes Boot ausgewählt.
Aber sicher waren die Vergnügungsboote der
Kaiser und der reichen Römer zu jener Zeit
alle mehr oder weniger von derselben Bau-
art und Ausstattung, wie Plutarch sie schil-
dert. Es ist nicht ausgeschlossen, daß mehrere
Boote dieser Art auf dem Boden des Nemi-
sees ruhen. Sie mögen stark gelitten haben,
aber sie werden sicher die Mühe lohnen, die
man jetzt auf ihre Freilegung verwendet.

[irrelevantes Material]
„AZ am Abend“ Nr. 17 Montag, den 21. Januar


Rembrandts Radierungen in der
Graph. Sammlung des bayer. Staates
[Spaltenumbruch]

Die Direktion der Staatlichen Graphiſchen
Sammlung hat dankenswerterweiſe nunmehr auch
der breiteren Oeffentlichkeit in einer umfaſſenden
Ausſtellung Gelegenheit gegeben, ihre neulich nur
privatim zugänglich gemachte, unſchätzbar wert-
volle Sammlung von Originalradierungen Rem-
brandts in Augenſchein zu nehmen.

Es iſt ein Hochgenuß und eine überaus lebens-
volle Quelle des Studiums hier geboten für
jeden, der dem einzigartigen Radier-Genie Rem-
brandts nähertreten möchte. Wir ſtehen hier vor
den überreichen Dokumenten des Schaffens eines
auf einſamer Höhe ſtehenden Künſtlers und durch
ſchweres Leid immer mehr verinnerlichten Men-
ſchen, den ſelbſt das bitterſte Lebensſchickſal nicht
gänzlich zu lähmen vermochte, und der bis zu
ſeinem in tiefem Elend auslaufenden Leben in
erſtaunlicher Ueberfülle durchgehend erſt-
klaſſige Werke
geſchaffen hat.

Rembrandt hatte an Erfolg und Lebensſtellung
eine in damaliger Zeit einem Künſtler ſelten er-
reichbare Höhe erklommen. Der Tod aber ſeiner
heißgeliebten reizenden erſten Frau Saskia,
die treubeſorgt ſeine Lebenshaltung überwacht
hatte, und ſein unbändiger Trieb, wertvolle
Kunſtobjekte zu ſammeln, brachten ihn in einen
grauſamen, gründlichen Verfall ſeiner finanziellen
Verhältniſſe, ſo daß er den letzten Teil ſeines
Lebens in tiefſter Armut verbringen mußte. Das
alles hat wohl die Ausſtrömungen ſeines Genius
eingreifend beeinflußt, ſie aber durchaus nicht
verſiegen laſſen.

Als Radierer nun iſt Rembrandt heute wohl
unbeſtritten als ein zuvor, noch nachher erreichtes
Genie anerkannt, das die techniſchen Mittel die-
ſer Kunſt wahrhaft ſouverän beherrſcht und mit
ihnen geradezu erſtaunlich lebendige und beſeelte
Wirkungen erzielt.

Es iſt nun, zumal für Süddeutſche, welche mit
leichter beflügelten Tänzerſchritten durchs Leben
gleiten, nicht gerade leicht und bequem, ſich in
die oft ſpröde, ja derbe und fanatiſch nach un-
geſchminkter Wahrheit ſtrebende Formenſprache
dieſes knorrigen, niederdeutſchen Künſtlers einzu-
leben. Wer ſich aber in ſie eingefühlt hat, kommt
zu ganz wunderſamen, oft tief aufwühlenden Er-
lebniſſen. Rembrandt verſenkt ſich tief-ernſt hin-
gegeben in die Beobachtung der Natur, die er
niemals konventionell oder maniriert verſchönt
oder gewaltſam ummodelt, wie das heute man-
chen als alleinſeligmachend gilt. Um ſo mehr aber
belebt und beſeelt er die Naturformen. Schier
unerſchöpflich iſt die Differenziertheit ſeiner [Formen-
ſprache. Man fühlt das beſonders ſtark,
wenn man die Arbeit ſeiner Schüler und Nach-
folger zu unvollendeten Arbeiten des Meiſters
beobachtet. Seine ſchöpferiſche Phantaſie aber
lebt ſich aus in einer oft geradezu erſtaunlichen
W[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt] und Großzügigkeit, vor allem in der
wundervoll geheimnistiefen Geſtaltung von Licht
und Schatten, waſ beſonders in ſeinem heute
weltberühmten „Helldunkel“ unerreicht in Er-
ſcheinung trat. Stets auf dem Boden der Natur
ſtehend, entfaltete er eine erſtaunlich reine und
vielgeſtaltene Schöpferphantaſie.
Die in unſerer Ausſtellung vorliegenden Radie-]
rungen der frühen und mittleren Schaffens-
periode, als ihm das Glück noch ungetrübt
lächelte, ſind von einer freien, lichten und hei-
teren Prägung. Und zumal die Gemälde jener
Zeit weiſen oft gleißenden Pomp auf.

Mit wachſender Verelendung nehmen die
dämmrigen Schatten immer mehr zu, welche den
Meiſter dann zu jenem gerühmten „Helldunkel“
von tief poeſievoller, rätſelhafter Schönheit ver-
klärte. In jeder Schaffensperiode aber iſt alles,
was er geſtaltet hat, auch das Unſcheinbare und
[gemeinlich] häßlich Genannte mit unendlicher
Liebe und ſeeliſcher Vertiefung aufgefaßt und
alſo in höhere Sphären gehoben. Man ſteht oft
ergriffen und tief aufgewühlt vor ſo viel Liebe
und ſeeliſcher Vornehmheit.

Die Porträtköpfe ſeiner engeren Familie aus
der Frühzeit, dann die verſchiedenſten Selbſt-
porträts und phyſiognomiſchen Studien an ſich
ſelber vor dem Spiegel erſcheinen in kecken Stri-
chen, licht und locker. Doch immer ſchwerblütiger
und umſchatteter wird das Lebenswerk unter dem
wachſend harten Druck ſeiner Erlebniſſe.

Nur auf Weniges können wir noch beſonders
hinweiſen. Als unſchätzbare Blüte des reifſten
Schaffens des Meiſters tritt uns vor allem das
weltberühmte „Hundertguldenblatt“: „Chriſtus
heilt die Kranken“ in zwei Faſſungen, beide in
hervorragenden Abdrucken von heute fabelhaftem
Werte entgegen Hier wie auf den Blättern „Die
drei Kreuze“, in einem herrlichen Abdrucke, „Die
Darſtellung Chriſti“, die in wundervoll trans-
parentem Helldunkel gehaltene „Verkündigung
der Hirten“, der „Tod der Maria“ uſw. tritt die
von überſprudelnder Phantaſie erfüllte geniale
Schöpferkraft Rembrandts geradezu blendend in
Erſcheinung. Welch zauberhafte Wirkung erreicht
der Künftler da vor allem durch wundervolle Be-
handlung des Lichtes!

Neben den zahlreichen Selbſtporträts aus allen
Schaffensperioden ſtehen Bildniſſe der Zeit-
genoſſen von einer oft frappierenden Lebendigkeit
und Charakteriſtik im ſeeliſchen Ausdruck. Das
köſtlich beobachtete „Selbſtporträt zeichnend“ iſt
in einem wunderbar durchſichtigen Helldunkel
behandelt — ein erſtklaſſiger Abdruck!

Ferner ſeien noch kurz hingewieſen auf Meiſter-
ſtücke wie „Greis in weitem Samtmantel“ (1632),
„Der Kupferſtichverleger Clement de Jonge“
(1651), „Der Maler Jan Aſſelyn“ um 1648,
„Der holländiſche Goldſchmied Jan Luime
(1656), die alle glänzend ſcharf charakteriſtert ſind
bei wundervoll freier maleriſcher Behandlung.

Wie überragend ſicher Rembrandt den menſch-
lichen Akt beherrſcht hat, dafür zeugen Darſtel-
lungen wie „Adam und Eva“, „Nackte Frau auf
einer Bank ſitzend“, „Jupiter und Antiope“, „Die
Frau mit dem Pfeil“, „Die Frau beim Ofen“,
köſtliche Drucke voller Leben!

Auserleſene Proben der meiſterhaften Behand-
lung des Lichtes begegnen uns in dem ungemein
klaren, hellen Drucke „Jeſus kehrt mit ſeinen
Eltern aus dem Tempel heim“. Ferner in der
„Darbringung im Tempel“, das ganz erfüllt iſt
von einer geradezu zauberhaften, geheimnisvoll
lebendigen Erſcheinung alles Körperlichen im um-
flutenden Lichte. Und verwandte Vorzüge weiſt
der ſogenannte „Fauſt“ auf. „Der hl. Hierony-
mus in Meditation“, „Die Anbetung der Hirten
[bei Laternenſchein“ ſeien noch beſonders alſ mar-
kante Beiſpiele der überragenden Meiſterſchaft in
Behandlung deſ Helldunkel hervorgehoben —
ausgezeichnete Drucke.
Nicht vergeſſen dürfen wir die [unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt] Kunſt
des Meiſters in der Darſtellung landſchaftlicher
Motive. Was einem [unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]
[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt] iſt die auch weltberühmte, hier in
einem prachtvollen Drucke auſgeſtellte „Landſchaft
mit den drei Bäumen“. Köſtlich iſt ſtets der
wirkungsvolle Kontraſt der allgemein [unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]
hellen Fernen mit den überzeugend [unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt] und
kraftvoll herausgearbeiteten Vordergründen [unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]
[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt] „Die Hütten am Kanal“, „Die Windmühle;,]
„Die Hütte bei dem großen Baum“, „Anſicht von
Amſterdam“, „Hütte hinter dem Plankenzaun“,
„Die Hütte und der Heuſchober“, „Die Land-
ſchaft mit der ſaufenden Kuh“, „Die drei Hütten“,
die von geradezu dramatiſchem Leben beſeelte
„Landſchaft mit dem Turm“.

Noch vieles wäre hervorzuheben aus dieſem
wahrhaft imponierenden Lebenswerke, deſſen
Abſchluß leider ſo unglücklich war, nachdem man
begonnen hatte, elegantere Produkte geſellſchaft-
lich gewandterer Macher den urwüchſigen
Aeußerungen eines einzigartigen Genies vorzu-
ziehen. Das alte Lied! — — —

Im ganzen erleben wir in dieſer Ausſtellung
eine geradezu ſtaunenerregende Ueberfülle höchſt-
gearteter ſchöpferiſcher Arbeit, wie ſie ſeit Dürernicht mehr erlebt wurde, die vor allem einem

höchſt modernen Kunſtprogramm gegenüber dar-
tut, daß man durchaus nicht die Natur verleug-
nen muß, um ein höchſt eigenperſönlicher
Schöpfer
zu werden. Und vor allem würde
es einem künſtleriſchen Nachwuchſe nicht ſchaden,
gründlich dieſes überragend große, von tiefſtem
Ernſte und leidenſchaftlichem Streben nach un-
geſchminkter Wahrheit und Echtheit ſich anzu-
ſehen. Ein Dokument ſtetiger ſtrenger Arbeit!
Eine ſehr begrüßenswerte Ergänzung würde eine
Ausſtellung von Rembrandts Handzeichnungen
darſtellen — auch wenn ſie ſo nur in guten
Nachbildungen möglich wäre.



Der Nemiſee und ſeine Geheimniſſe

Die beiden Vergnügungsboote des Kaiſers Caligula

Zu den Angelegenheiten, um die ſich
Muſſolini perſönlich ſehr ſtark bekümmert,
gehört auch die Trockenlegung des Nemi-
ſees, auf deſſem Boden zwei altrömiſche
Schiffe liegen. Dieſe Zeugen der Vergangen-
heit will man den Blicken der Gegenwart
wieder zugänglich machen, nachdem ſie ſich
viele Jahrhunderte lang im Boden und
unter den Waſſern des Sees verſteckt haben.
Die mächtige elektriſche Pumpanlage, die
den See allmählich leeren ſoll, iſt im Okto-
ber v. J. von Muſſolini ſelbſt feierlich in
Gang geſetzt worden. Sie hat den Waſſer-
ſpiegel inzwiſchen
um annähernd drei Meter geſenkt.

Die Löſung des Geheimniſſes, das der See
ſo lange verſchloſſen gehalten hat, rückt
immer näher heran. Was wird ſie bringen?

In der Nachbarſchaft des Nemiſees hat
ſich durch alle die Jahrhunderte hindurch die
Ueberlieferung lebendig erhalten, daß nicht
weit von den Ufern des Sees entfernt und
in verhältnismäßig geringer Tiefe ein Schiff
des Kaiſers Tiberius liege. Der Kar-
dinal Proſpero Colonna ſtellte die Lage des
Schiffes im Jahre 1446 feſt. Man machte
damals auch den Verſuch, das Schiff mit
Haken zu faſſen und mit Hilfe langer Taue
in die Höhe zu ziehen. Es kam aber nur
ein mit Blei eingefaßtes Stück des Hecks
zum Vorſchein, das vom Schiff abgebrochen
war. Das übrige blieb in der Tiefe.

Weitere Hebeverſuche wurden in den
Jahren 1535, 1827 und 1895 gemacht. Es
wurden dabei ziemlich große Mengen von
[Schiffsholz und Nägeln zutage gefördert,
ferner daſ Stück eineſ Moſaikbodens, ver-
ſchiedene Verzierungen und eine Reihe von
Bronzefiguren, auch alle&ſr Beſtandteile, wie
man ſie an Bord eine&ſr reich ausgeſtatteten
Vergnügungſboote&ſr wohl antrifft. Dann
machte man zwei ſehr wichtige Entdeckungen.
Zunächſt wurde da&ſr Stück eines Waſſer-
[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt] zutage gefördert, das ſicher zu dem
Schiff gehörte und da&ſr
den Namen de&ſr Kaiſers Caligula
trug. Damit war bewieſen] daß das Haus-
boot nicht dem Kaiſer Tiberius, ſondern ſei-
nem Nachfolger Caligula gehört hatte. Fer-
ner wurde feſtgeſtellt, daß noch ein zweites
Vergnügungsboot, etwas entfernt von dem
erſten und größer als dieſes, in tieferem
Waſſer auf dem Boden des Sees ruhte.

Inzwiſchen hat man die Maße genauer
feſtgeſtellt. Das Caligula-Boot iſt etwa
70 Meter lang und etwas mehr als 20
Meter breit. Es liegt in einer Tiefe von
5 bis 13 Meter. Das zweite Boot iſt 80
Meter lang und mehr als 25 Meter breit
und liegt in einer Tiefe von 16 bis 23 Meter.
[Spaltenumbruch] Das Bemerkenswerteſte an dieſen Maßen iſt
die ungewöhnliche Breite, die das ſonſt
übliche Verhältnis der Breite zur Länge
etwa um das Doppelte übertrifft. Auch die-
ſer Umſtand weiſt deutlich darauf hin, daß
es ſich um
Hausboote oder Vergnügungsſchiffe
handelt, auf denen der Kaiſer mit ſeinem
Gefolge längere Zeit zu wohnen pflegte.
Unter dieſen Umſtänden wird man erwar-
ten können, daß man an Bord der Schiffe
ſehr viel Intereſſantes findet.

Die römiſche Geſellſchaft hielt ſich während
des Winters in den ſonnigen Gegenden des
flachen Landes auf. In der heißen Zeit war
der Nemiſee und ſeine Umgebung eine der
beliebteſten Sommerfriſchen. Viele reiche
Römer hatten dort ihre Villen. Der See
liegt in der albaniſchen Hügellandſchaft, etwa
350 Meter über dem Meeresſpiegel. Er füllt
die
Oeffnung eines erloſchenen Kraters.
Seine eigene Schönheit und die ſeiner Um-
gebung üben heute noch eine ebenſo große
Anziehungskraft aus, wie vor 1900 Jahren.
Der Spiegel des Sees iſt faſt immer ganz
glatt und ſeine klaren Waſſer werfen das
ſchöne Bild der grünen Hänge, die rings
um den Rand des Kraters bis zu einer Höhe
von 100 Metern emporſteigen, in wunder-
barer Deutlichkeit zurück.

War der Nemiſee in ähnlicher Weiſe im
Sommer belebt, woran wir nicht zu zweifeln
brauchen, ſo beſteht alle Ausſicht, neben den
beiden bereits feſtgeſtellten Booten noch
weitere Waſſerfahrzeuge zu finden. Nach den
oben wiedergegebenen Sätzen des Sueto-
nius zu ſchließen, ſind die im Nemiſee ruhen-
den Boote wahrſcheinlich Prachtbauten ge-
weſen. Kurz vor Suetonius hat Plutarch
das Vergnügungsboot beſchrieben, auf dem
Cleopatra den Markus Antonius empfing.
„Der Bug,“ ſo heißt es da, „war mit Gold
bedeckt, die Segel waren von Purpur und
die
Ruder aus Silber.
Die Königin lag unter einem mit Gold ver-
zierten Thronhimmel. Zu beiden Seiten
ihrer Lagerſtätte ſtanden Knaben, die ihr
Luft zufächelten.“ Wahrſcheinlich hatte Cleo-
patra für den Empfang des Markus Anto-
nius ein beſonders ſchönes Boot ausgewählt.
Aber ſicher waren die Vergnügungsboote der
Kaiſer und der reichen Römer zu jener Zeit
alle mehr oder weniger von derſelben Bau-
art und Ausſtattung, wie Plutarch ſie ſchil-
dert. Es iſt nicht ausgeſchloſſen, daß mehrere
Boote dieſer Art auf dem Boden des Nemi-
ſees ruhen. Sie mögen ſtark gelitten haben,
aber ſie werden ſicher die Mühe lohnen, die
man jetzt auf ihre Freilegung verwendet.

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[10/0010] „AZ am Abend“ Nr. 17 Montag, den 21. Januar Rembrandts Radierungen in der Graph. Sammlung des bayer. Staates Die Direktion der Staatlichen Graphiſchen Sammlung hat dankenswerterweiſe nunmehr auch der breiteren Oeffentlichkeit in einer umfaſſenden Ausſtellung Gelegenheit gegeben, ihre neulich nur privatim zugänglich gemachte, unſchätzbar wert- volle Sammlung von Originalradierungen Rem- brandts in Augenſchein zu nehmen. Es iſt ein Hochgenuß und eine überaus lebens- volle Quelle des Studiums hier geboten für jeden, der dem einzigartigen Radier-Genie Rem- brandts nähertreten möchte. Wir ſtehen hier vor den überreichen Dokumenten des Schaffens eines auf einſamer Höhe ſtehenden Künſtlers und durch ſchweres Leid immer mehr verinnerlichten Men- ſchen, den ſelbſt das bitterſte Lebensſchickſal nicht gänzlich zu lähmen vermochte, und der bis zu ſeinem in tiefem Elend auslaufenden Leben in erſtaunlicher Ueberfülle durchgehend erſt- klaſſige Werke geſchaffen hat. Rembrandt hatte an Erfolg und Lebensſtellung eine in damaliger Zeit einem Künſtler ſelten er- reichbare Höhe erklommen. Der Tod aber ſeiner heißgeliebten reizenden erſten Frau Saskia, die treubeſorgt ſeine Lebenshaltung überwacht hatte, und ſein unbändiger Trieb, wertvolle Kunſtobjekte zu ſammeln, brachten ihn in einen grauſamen, gründlichen Verfall ſeiner finanziellen Verhältniſſe, ſo daß er den letzten Teil ſeines Lebens in tiefſter Armut verbringen mußte. Das alles hat wohl die Ausſtrömungen ſeines Genius eingreifend beeinflußt, ſie aber durchaus nicht verſiegen laſſen. Als Radierer nun iſt Rembrandt heute wohl unbeſtritten als ein zuvor, noch nachher erreichtes Genie anerkannt, das die techniſchen Mittel die- ſer Kunſt wahrhaft ſouverän beherrſcht und mit ihnen geradezu erſtaunlich lebendige und beſeelte Wirkungen erzielt. Es iſt nun, zumal für Süddeutſche, welche mit leichter beflügelten Tänzerſchritten durchs Leben gleiten, nicht gerade leicht und bequem, ſich in die oft ſpröde, ja derbe und fanatiſch nach un- geſchminkter Wahrheit ſtrebende Formenſprache dieſes knorrigen, niederdeutſchen Künſtlers einzu- leben. Wer ſich aber in ſie eingefühlt hat, kommt zu ganz wunderſamen, oft tief aufwühlenden Er- lebniſſen. Rembrandt verſenkt ſich tief-ernſt hin- gegeben in die Beobachtung der Natur, die er niemals konventionell oder maniriert verſchönt oder gewaltſam ummodelt, wie das heute man- chen als alleinſeligmachend gilt. Um ſo mehr aber belebt und beſeelt er die Naturformen. Schier unerſchöpflich iſt die Differenziertheit ſeiner Formen- ſprache. Man fühlt das beſonders ſtark, wenn man die Arbeit ſeiner Schüler und Nach- folger zu unvollendeten Arbeiten des Meiſters beobachtet. Seine ſchöpferiſche Phantaſie aber lebt ſich aus in einer oft geradezu erſtaunlichen W_ und Großzügigkeit, vor allem in der wundervoll geheimnistiefen Geſtaltung von Licht und Schatten, waſ beſonders in ſeinem heute weltberühmten „Helldunkel“ unerreicht in Er- ſcheinung trat. Stets auf dem Boden der Natur ſtehend, entfaltete er eine erſtaunlich reine und vielgeſtaltene Schöpferphantaſie. Die in unſerer Ausſtellung vorliegenden Radie- rungen der frühen und mittleren Schaffens- periode, als ihm das Glück noch ungetrübt lächelte, ſind von einer freien, lichten und hei- teren Prägung. Und zumal die Gemälde jener Zeit weiſen oft gleißenden Pomp auf. Mit wachſender Verelendung nehmen die dämmrigen Schatten immer mehr zu, welche den Meiſter dann zu jenem gerühmten „Helldunkel“ von tief poeſievoller, rätſelhafter Schönheit ver- klärte. In jeder Schaffensperiode aber iſt alles, was er geſtaltet hat, auch das Unſcheinbare und gemeinlich häßlich Genannte mit unendlicher Liebe und ſeeliſcher Vertiefung aufgefaßt und alſo in höhere Sphären gehoben. Man ſteht oft ergriffen und tief aufgewühlt vor ſo viel Liebe und ſeeliſcher Vornehmheit. Die Porträtköpfe ſeiner engeren Familie aus der Frühzeit, dann die verſchiedenſten Selbſt- porträts und phyſiognomiſchen Studien an ſich ſelber vor dem Spiegel erſcheinen in kecken Stri- chen, licht und locker. Doch immer ſchwerblütiger und umſchatteter wird das Lebenswerk unter dem wachſend harten Druck ſeiner Erlebniſſe. Nur auf Weniges können wir noch beſonders hinweiſen. Als unſchätzbare Blüte des reifſten Schaffens des Meiſters tritt uns vor allem das weltberühmte „Hundertguldenblatt“: „Chriſtus heilt die Kranken“ in zwei Faſſungen, beide in hervorragenden Abdrucken von heute fabelhaftem Werte entgegen Hier wie auf den Blättern „Die drei Kreuze“, in einem herrlichen Abdrucke, „Die Darſtellung Chriſti“, die in wundervoll trans- parentem Helldunkel gehaltene „Verkündigung der Hirten“, der „Tod der Maria“ uſw. tritt die von überſprudelnder Phantaſie erfüllte geniale Schöpferkraft Rembrandts geradezu blendend in Erſcheinung. Welch zauberhafte Wirkung erreicht der Künftler da vor allem durch wundervolle Be- handlung des Lichtes! Neben den zahlreichen Selbſtporträts aus allen Schaffensperioden ſtehen Bildniſſe der Zeit- genoſſen von einer oft frappierenden Lebendigkeit und Charakteriſtik im ſeeliſchen Ausdruck. Das köſtlich beobachtete „Selbſtporträt zeichnend“ iſt in einem wunderbar durchſichtigen Helldunkel behandelt — ein erſtklaſſiger Abdruck! Ferner ſeien noch kurz hingewieſen auf Meiſter- ſtücke wie „Greis in weitem Samtmantel“ (1632), „Der Kupferſtichverleger Clement de Jonge“ (1651), „Der Maler Jan Aſſelyn“ um 1648, „Der holländiſche Goldſchmied Jan Luime“ (1656), die alle glänzend ſcharf charakteriſtert ſind bei wundervoll freier maleriſcher Behandlung. Wie überragend ſicher Rembrandt den menſch- lichen Akt beherrſcht hat, dafür zeugen Darſtel- lungen wie „Adam und Eva“, „Nackte Frau auf einer Bank ſitzend“, „Jupiter und Antiope“, „Die Frau mit dem Pfeil“, „Die Frau beim Ofen“, köſtliche Drucke voller Leben! Auserleſene Proben der meiſterhaften Behand- lung des Lichtes begegnen uns in dem ungemein klaren, hellen Drucke „Jeſus kehrt mit ſeinen Eltern aus dem Tempel heim“. Ferner in der „Darbringung im Tempel“, das ganz erfüllt iſt von einer geradezu zauberhaften, geheimnisvoll lebendigen Erſcheinung alles Körperlichen im um- flutenden Lichte. Und verwandte Vorzüge weiſt der ſogenannte „Fauſt“ auf. „Der hl. Hierony- mus in Meditation“, „Die Anbetung der Hirten bei Laternenſchein“ ſeien noch beſonders alſ mar- kante Beiſpiele der überragenden Meiſterſchaft in Behandlung deſ Helldunkel hervorgehoben — ausgezeichnete Drucke. Nicht vergeſſen dürfen wir die _ Kunſt des Meiſters in der Darſtellung landſchaftlicher Motive. Was einem _ _ iſt die auch weltberühmte, hier in einem prachtvollen Drucke auſgeſtellte „Landſchaft mit den drei Bäumen“. Köſtlich iſt ſtets der wirkungsvolle Kontraſt der allgemein _ hellen Fernen mit den überzeugend _ und kraftvoll herausgearbeiteten Vordergründen _ _ „Die Hütten am Kanal“, „Die Windmühle;, „Die Hütte bei dem großen Baum“, „Anſicht von Amſterdam“, „Hütte hinter dem Plankenzaun“, „Die Hütte und der Heuſchober“, „Die Land- ſchaft mit der ſaufenden Kuh“, „Die drei Hütten“, die von geradezu dramatiſchem Leben beſeelte „Landſchaft mit dem Turm“. Noch vieles wäre hervorzuheben aus dieſem wahrhaft imponierenden Lebenswerke, deſſen Abſchluß leider ſo unglücklich war, nachdem man begonnen hatte, elegantere Produkte geſellſchaft- lich gewandterer Macher den urwüchſigen Aeußerungen eines einzigartigen Genies vorzu- ziehen. Das alte Lied! — — — Im ganzen erleben wir in dieſer Ausſtellung eine geradezu ſtaunenerregende Ueberfülle höchſt- gearteter ſchöpferiſcher Arbeit, wie ſie ſeit Dürernicht mehr erlebt wurde, die vor allem einem höchſt modernen Kunſtprogramm gegenüber dar- tut, daß man durchaus nicht die Natur verleug- nen muß, um ein höchſt eigenperſönlicher Schöpfer zu werden. Und vor allem würde es einem künſtleriſchen Nachwuchſe nicht ſchaden, gründlich dieſes überragend große, von tiefſtem Ernſte und leidenſchaftlichem Streben nach un- geſchminkter Wahrheit und Echtheit ſich anzu- ſehen. Ein Dokument ſtetiger ſtrenger Arbeit! Eine ſehr begrüßenswerte Ergänzung würde eine Ausſtellung von Rembrandts Handzeichnungen darſtellen — auch wenn ſie ſo nur in guten Nachbildungen möglich wäre. W. Ehringhauſen. Der Nemiſee und ſeine Geheimniſſe Die beiden Vergnügungsboote des Kaiſers Caligula Zu den Angelegenheiten, um die ſich Muſſolini perſönlich ſehr ſtark bekümmert, gehört auch die Trockenlegung des Nemi- ſees, auf deſſem Boden zwei altrömiſche Schiffe liegen. Dieſe Zeugen der Vergangen- heit will man den Blicken der Gegenwart wieder zugänglich machen, nachdem ſie ſich viele Jahrhunderte lang im Boden und unter den Waſſern des Sees verſteckt haben. Die mächtige elektriſche Pumpanlage, die den See allmählich leeren ſoll, iſt im Okto- ber v. J. von Muſſolini ſelbſt feierlich in Gang geſetzt worden. Sie hat den Waſſer- ſpiegel inzwiſchen um annähernd drei Meter geſenkt. Die Löſung des Geheimniſſes, das der See ſo lange verſchloſſen gehalten hat, rückt immer näher heran. Was wird ſie bringen? In der Nachbarſchaft des Nemiſees hat ſich durch alle die Jahrhunderte hindurch die Ueberlieferung lebendig erhalten, daß nicht weit von den Ufern des Sees entfernt und in verhältnismäßig geringer Tiefe ein Schiff des Kaiſers Tiberius liege. Der Kar- dinal Proſpero Colonna ſtellte die Lage des Schiffes im Jahre 1446 feſt. Man machte damals auch den Verſuch, das Schiff mit Haken zu faſſen und mit Hilfe langer Taue in die Höhe zu ziehen. Es kam aber nur ein mit Blei eingefaßtes Stück des Hecks zum Vorſchein, das vom Schiff abgebrochen war. Das übrige blieb in der Tiefe. Weitere Hebeverſuche wurden in den Jahren 1535, 1827 und 1895 gemacht. Es wurden dabei ziemlich große Mengen von Schiffsholz und Nägeln zutage gefördert, ferner daſ Stück eineſ Moſaikbodens, ver- ſchiedene Verzierungen und eine Reihe von Bronzefiguren, auch alle&ſr Beſtandteile, wie man ſie an Bord eine&ſr reich ausgeſtatteten Vergnügungſboote&ſr wohl antrifft. Dann machte man zwei ſehr wichtige Entdeckungen. Zunächſt wurde da&ſr Stück eines Waſſer- _ zutage gefördert, das ſicher zu dem Schiff gehörte und da&ſr den Namen de&ſr Kaiſers Caligula trug. Damit war bewieſen daß das Haus- boot nicht dem Kaiſer Tiberius, ſondern ſei- nem Nachfolger Caligula gehört hatte. Fer- ner wurde feſtgeſtellt, daß noch ein zweites Vergnügungsboot, etwas entfernt von dem erſten und größer als dieſes, in tieferem Waſſer auf dem Boden des Sees ruhte. Inzwiſchen hat man die Maße genauer feſtgeſtellt. Das Caligula-Boot iſt etwa 70 Meter lang und etwas mehr als 20 Meter breit. Es liegt in einer Tiefe von 5 bis 13 Meter. Das zweite Boot iſt 80 Meter lang und mehr als 25 Meter breit und liegt in einer Tiefe von 16 bis 23 Meter. Das Bemerkenswerteſte an dieſen Maßen iſt die ungewöhnliche Breite, die das ſonſt übliche Verhältnis der Breite zur Länge etwa um das Doppelte übertrifft. Auch die- ſer Umſtand weiſt deutlich darauf hin, daß es ſich um Hausboote oder Vergnügungsſchiffe handelt, auf denen der Kaiſer mit ſeinem Gefolge längere Zeit zu wohnen pflegte. Unter dieſen Umſtänden wird man erwar- ten können, daß man an Bord der Schiffe ſehr viel Intereſſantes findet. Die römiſche Geſellſchaft hielt ſich während des Winters in den ſonnigen Gegenden des flachen Landes auf. In der heißen Zeit war der Nemiſee und ſeine Umgebung eine der beliebteſten Sommerfriſchen. Viele reiche Römer hatten dort ihre Villen. Der See liegt in der albaniſchen Hügellandſchaft, etwa 350 Meter über dem Meeresſpiegel. Er füllt die Oeffnung eines erloſchenen Kraters. Seine eigene Schönheit und die ſeiner Um- gebung üben heute noch eine ebenſo große Anziehungskraft aus, wie vor 1900 Jahren. Der Spiegel des Sees iſt faſt immer ganz glatt und ſeine klaren Waſſer werfen das ſchöne Bild der grünen Hänge, die rings um den Rand des Kraters bis zu einer Höhe von 100 Metern emporſteigen, in wunder- barer Deutlichkeit zurück. War der Nemiſee in ähnlicher Weiſe im Sommer belebt, woran wir nicht zu zweifeln brauchen, ſo beſteht alle Ausſicht, neben den beiden bereits feſtgeſtellten Booten noch weitere Waſſerfahrzeuge zu finden. Nach den oben wiedergegebenen Sätzen des Sueto- nius zu ſchließen, ſind die im Nemiſee ruhen- den Boote wahrſcheinlich Prachtbauten ge- weſen. Kurz vor Suetonius hat Plutarch das Vergnügungsboot beſchrieben, auf dem Cleopatra den Markus Antonius empfing. „Der Bug,“ ſo heißt es da, „war mit Gold bedeckt, die Segel waren von Purpur und die Ruder aus Silber. Die Königin lag unter einem mit Gold ver- zierten Thronhimmel. Zu beiden Seiten ihrer Lagerſtätte ſtanden Knaben, die ihr Luft zufächelten.“ Wahrſcheinlich hatte Cleo- patra für den Empfang des Markus Anto- nius ein beſonders ſchönes Boot ausgewählt. Aber ſicher waren die Vergnügungsboote der Kaiſer und der reichen Römer zu jener Zeit alle mehr oder weniger von derſelben Bau- art und Ausſtattung, wie Plutarch ſie ſchil- dert. Es iſt nicht ausgeſchloſſen, daß mehrere Boote dieſer Art auf dem Boden des Nemi- ſees ruhen. Sie mögen ſtark gelitten haben, aber ſie werden ſicher die Mühe lohnen, die man jetzt auf ihre Freilegung verwendet. _

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 17, 21. Januar 1929, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine17_1929/10>, abgerufen am 21.11.2024.