Allgemeine Zeitung, Nr. 22, 6. Juni 1920.6. Juni 1920 Allgemeine Zeitung [Spaltenumbruch] nisses beruft der Kreiswahlleiter den Kreiswahlausschuß, Das Ergebnis des 6. Juni wird jedenfalls in seiner Art Wissenschaft, Kultur und Technik Der Germanen-Name. Die Frage nach Ursprung und Bedeutung des Namens Die erste Frage gilt dem Ursprung des Namens, seiner Untersuchen wir einerseits die Angaben, die Cäsar und 6. Juni 1920 Allgemeine Zeitung [Spaltenumbruch] niſſes beruft der Kreiswahlleiter den Kreiswahlausſchuß, Das Ergebnis des 6. Juni wird jedenfalls in ſeiner Art Wiſſenſchaft, Kultur und Technik Der Germanen-Name. Die Frage nach Urſprung und Bedeutung des Namens Die erſte Frage gilt dem Urſprung des Namens, ſeiner Unterſuchen wir einerſeits die Angaben, die Cäſar und <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <pb facs="#f0005" n="211"/> <fw place="top" type="header">6. 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Der Reichswahlaus-<lb/> ſchuß verfügt dann noch über dieſe Stimmen. Das iſt, wie man<lb/> ſieht, im ganzen doch noch eine ziemlich umſtändliche Prozedur und<lb/> es werden wohl acht Tage vergehen, bis das geſamte Reſultat<lb/> vorliegt. Und wenn man ſelbſtverſtändlich ein allgemeines Bild<lb/> von dem Wahlergebnis vorausſichtlich ſchon am Montag erhalten<lb/> wird, ſo wird ſich doch die vielleicht entſcheidende Frage, ob die<lb/> bisherige Koalition in ausreichender Stärke aus der Wahlſchlacht<lb/> zurückkehrt, um die Regierung weiterzuführen, unter Umſtänden<lb/> erſt ganz zuletzt entſcheiden, weil es dabei auf einige wenige<lb/> Mandate ankommen kann. Wünſchenswert im Jntereſſe der<lb/> Stabilität unſerer inneren Verhältniſſe wäre es zweifellos, wenn<lb/> die Stärke der Koalitionsparteien wenigſtens zur Not dazu aus-<lb/> reichte, denn dann wird ſich die Verbreiterung nach links oder<lb/> nach rechts leichter herbeiführen laſſen. 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Es iſt<lb/> dies wohl die bedeutendſte aller bisherigen Unterſuchungen<lb/> des Namens. Einen dritten Verſuch, der an Jakob Grimms<lb/> Vermutung anknüpft, hat der Germaniſt <hi rendition="#g">Friedr. Kluge</hi><lb/> unternommen (Beilage Nr. 40 zur „Kölniſchen Zeitung“ vom<lb/> 6. Okt. 1918). Jhm kommt nahe ein Artikel von R. <hi rendition="#g">Much</hi><lb/><cb/> „G. Z. in Hoops“ Reallexikon der germaniſchen Altertums-<lb/> kunde (Bd. 2, S. 18 2 ff.).</p><lb/> <p>Die erſte Frage gilt dem <hi rendition="#g">Urſprung</hi> des Namens, ſeiner<lb/> ſprachlichen Herkunft. Dann erſt läßt ſich ſeine <hi rendition="#g">Bedeutung</hi><lb/> erörtern. Nun liegt die Sache heute ſo, daß man für das<lb/> Wort „Germani“ lateiniſchen (Birt), keltiſchen (Norden) oder<lb/> germaniſchen (Kluge) Urſprung nachzuweiſen ſucht. Daraus<lb/> ergeben ſich dann ganz verſchiedene Bedeutungen. 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Ganz unmöglich iſt die Er-<lb/> klärung „Ger-menner“ (Sper-menner), weil damals das<lb/> Wort für Ger „<hi rendition="#aq">Gaiso</hi>“ gelautet haben muß und weil nicht<lb/> die Lanze, ſondern Schwert und Axt die charakteriſtiſchen<lb/> Waffen der Germanen waren. Die zweite Deutung hält<lb/> Germani nicht für einen Namen, ſondern findet darin den<lb/> Sinn Beute, Land oder Gold „begehrende Leute“. Dafür<lb/> werden die „<hi rendition="#aq">gerndiu die</hi>“ (bettelndes oder lohnforderndes<lb/> Volk) des Mittelalters angeführt. Auch liegt hier ein<lb/> althochdeutſches Zeitwort <hi rendition="#aq">gërôn</hi> vor. Der Name müßte<lb/> dann aus <hi rendition="#aq">Geramanniz</hi> entſtanden ſein, der ſich in der<lb/> Tat einmal auf einer lateiniſchen Jnſchrift als <hi rendition="#aq">Geramanila</hi><lb/> (doch neben <hi rendition="#aq">Germanila</hi>) findet. 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6. Juni 1920 Allgemeine Zeitung
niſſes beruft der Kreiswahlleiter den Kreiswahlausſchuß,
ſobald der Eingang ſämtlicher Wahlniederſchriften aus den Wahl-
bezirken zu erwarten iſt. Dann werden die Reſtſtimmen, die
auf verbundene Wahlvorſchläge gefallen ſind, dem Verbandswahl-
leiter, Reſtſtimmen, die auf Wahlvorſchläge gefallen ſind, die mit
einem Reichswahlvorſchlag angeſchloſſen ſind, dem Reichswahlleiter
mitgeteilt; der Verbandswahlausſchuß ſtellt dann feſt, wieviel Ab-
geordnetenſitze auf die Reſtſtimmen der verbundenen Kreiswahl-
vorſchläge fallen und welchem Kreisvorſchlage ſie zukommen, und
teilt die Zuteilung der Sitze den beteiligten Kreiswahlleitern,
die im Wahlkreisverband verbrauchten oder nicht berückſichtigten
Reſtſtimmen dem Reichswahlleiter mit. Der Reichswahlaus-
ſchuß verfügt dann noch über dieſe Stimmen. Das iſt, wie man
ſieht, im ganzen doch noch eine ziemlich umſtändliche Prozedur und
es werden wohl acht Tage vergehen, bis das geſamte Reſultat
vorliegt. Und wenn man ſelbſtverſtändlich ein allgemeines Bild
von dem Wahlergebnis vorausſichtlich ſchon am Montag erhalten
wird, ſo wird ſich doch die vielleicht entſcheidende Frage, ob die
bisherige Koalition in ausreichender Stärke aus der Wahlſchlacht
zurückkehrt, um die Regierung weiterzuführen, unter Umſtänden
erſt ganz zuletzt entſcheiden, weil es dabei auf einige wenige
Mandate ankommen kann. Wünſchenswert im Jntereſſe der
Stabilität unſerer inneren Verhältniſſe wäre es zweifellos, wenn
die Stärke der Koalitionsparteien wenigſtens zur Not dazu aus-
reichte, denn dann wird ſich die Verbreiterung nach links oder
nach rechts leichter herbeiführen laſſen. Seine Bedingungen ſtel-
len, den Frieden diktieren kann ja nur, wer unentbehrlich iſt.
Das haben die Demokraten, die in der bisherigen Koalition
nicht unentbehrlich waren, weil Zentrum und Mehrheitsſozial-
demokratie mit zuſammen 255 von 423 Mandaten für die Mehr-
heitsbildung allein bequem ausreichten, deutlich genug geſpürt.
Jnſofern könnte die Demokratiſche Partei ſogar trotz der mit
ziemlicher Sicherheit zu erwartenden Mandatseinbuße an poli-
tiſchem Einfluß gewinnen.
Das Ergebnis des 6. Juni wird jedenfalls in ſeiner Art
ſo wichtig ſein wie das der Wahlen zur verfaſſunggebenden
Nationalverſammlung, und wenn man unſeres Erachtens nicht
gerade in dem Sinne von einem Schickſalstage reden darf, daß
etwa die Exiſtenz unſeres Reiches und Volkes auf dem Spiele
ſtünde, ſo iſt doch das eine jedenfalls richtig, daß das deutſche
Volk an dieſem Tage ſein Schickſal ſich ſelber ſchafft, und daß eine
heilige Pflicht gegen ſein Volk unterläßt, wer ſich dieſem Tage ent-
zieht.
— z.
Wiſſenſchaft, Kultur und Technik
Der Germanen-Name.
Von Prof. Dr. R. Stübe.
Die Frage nach Urſprung und Bedeutung des Namens
„Germanen“ iſt ſeit langem und vielfach erörtert worden,
ohne daß es bisher gelungen wäre, eine unbeſtrittene Erklärung
zu gewinnen. Neuerdings ſind mehrere höchſt gehaltvolle
Arbeiten erſchienen, deren Ergebniſſe auch in weiteren Kreiſen
Beachtung verdienen. Das anziehend geſchriebene Buch von
Theod. Birt (Die Germanen. Eine Erklärung der Ueber-
lieferung über Bedeutung und Herkunft des Völkernamens.
München 1917) wird ſchon durch den weit über die Fachkreiſe
hinaus bekannten Namen des ausgezeichneten Marburger
Philologen Beachtung und — vielleicht allzuleicht — Glauben
finden. Eine freilich ſehr gewagte ſprachliche Erklärung hat
Fr. Hartmann verſucht in der Fachzeitſchrift „Glotta“ Bd. 9
(1917) S. 1 fs. Er geht mit Birts Erklärung zuſammen.
Aber gerade die Grundlagen dieſer Auffaſſung ſind aufs
ſchwerſte erſchüttert worden durch Ed. Norden (Germani.
Ein grammatiſch-ethnologiſches Problem. Sitzungsberichte der
Berliner Akademie der Wiſſenſchaften 1918, Heft 5). Es iſt
dies wohl die bedeutendſte aller bisherigen Unterſuchungen
des Namens. Einen dritten Verſuch, der an Jakob Grimms
Vermutung anknüpft, hat der Germaniſt Friedr. Kluge
unternommen (Beilage Nr. 40 zur „Kölniſchen Zeitung“ vom
6. Okt. 1918). Jhm kommt nahe ein Artikel von R. Much
„G. Z. in Hoops“ Reallexikon der germaniſchen Altertums-
kunde (Bd. 2, S. 18 2 ff.).
Die erſte Frage gilt dem Urſprung des Namens, ſeiner
ſprachlichen Herkunft. Dann erſt läßt ſich ſeine Bedeutung
erörtern. Nun liegt die Sache heute ſo, daß man für das
Wort „Germani“ lateiniſchen (Birt), keltiſchen (Norden) oder
germaniſchen (Kluge) Urſprung nachzuweiſen ſucht. Daraus
ergeben ſich dann ganz verſchiedene Bedeutungen. Schon
das noch herrſchende Wirrſal der Erklärungen, die doch mit
den feinſten Mitteln moderner Sprachwiſſenſchaft und Geſchichts-
forſchung unternommen ſind, wird auch dem Laien verraten,
daß hier tatſächlich größte Schwierigkeiten vorliegen.
Unterſuchen wir einerſeits die Angaben, die Cäſar und
Tacitus über den Namen „Germani“ machen, andrerſeits
den mittelalterlichen Gebrauch des Namens Germanus, ſo
weiſt der letztere zweifellos in romaniſches Gebiet, und zwar
in das romaniſierte Keltenland. Gerade hier aber ſind die
lateiniſche, keltiſche und germaniſche Sprache nebeneinander
wirkſam geweſen und haben ſich vielfach durchdrungen.
Aus dem Urſprungsgebiet können wir alſo nichts über die
Herkunft des Namens ſchließen. Verſuchen wir es alſo zunächſt
mit der Ableitung aus dem Germaniſchen. Zunächſt ſeien
zwei Erklärungen erledigt, die in weiteren Kreiſen auch heute
noch oft angenommen werden. Ganz unmöglich iſt die Er-
klärung „Ger-menner“ (Sper-menner), weil damals das
Wort für Ger „Gaiso“ gelautet haben muß und weil nicht
die Lanze, ſondern Schwert und Axt die charakteriſtiſchen
Waffen der Germanen waren. Die zweite Deutung hält
Germani nicht für einen Namen, ſondern findet darin den
Sinn Beute, Land oder Gold „begehrende Leute“. Dafür
werden die „gerndiu die“ (bettelndes oder lohnforderndes
Volk) des Mittelalters angeführt. Auch liegt hier ein
althochdeutſches Zeitwort gërôn vor. Der Name müßte
dann aus Geramanniz entſtanden ſein, der ſich in der
Tat einmal auf einer lateiniſchen Jnſchrift als Geramanila
(doch neben Germanila) findet. Jndes ſind für dieſe Deutung
wohl weniger ſprachliche Gründe entſcheidend geweſen, als
vielmehr einige Angaben Cäſars, wonach germaniſche Scharen
mehrfach als Landſuchende in Gallien erſchienen oder auch
gegen Sold in den Dienſt galliſcher Stammesfürſten traten.
Sollten derartige Fälle geeignet ſein, einem Volke den Namen
zu geben? Es war ſicher nicht für die Germanen allein be-
zeichnend. So muß auch dieſe Deutung mindeſtens fraglich
bleiben. Sodann iſt verſucht worden, Germanus zu erklären
als Zuſammenſetzung von Ga-ermans, wobei ga „Zuſammen,
gemeinſam“ bedeutet (wie in Ge-noſſen). Jn erman oder
irman ſucht man dann den Volksnamen, ſo daß Ga-ermans
„Volksgenoſſen“ bedeuten würde (ſo Wilh. Wackernagel 1844).
Dieſe Erklärung iſt kaum haltbar, da der Vokal der Bildungs-
ſilbe ga in zuſammengeſetzten Worten nicht verſchwindet.
Zweifellos iſt der Name Germanus nur durch römiſche
Ueberlieferung bekannt. Es liegt alſo die Vermutung nahe,
daß er eine römiſche Umbildung eines deutſchen Wortes
ſein kann. Dafür ſprechen zwei Tatſachen: der Name
lautet Germānus; ein langes und betontes a in zweiter Silbe
war dem germaniſchen für die Zeit unbekannt, wo die
Römer den Namen bezeugen, d. h. für das 1. Jahrh. v. Chr.
bis ins 4. Jahrh. n. Chr. An zweiter Stelle ſind nieder-
fränkiſche und altſächſiſche Ortsnamen, wie Germenberga,
Germenulf, Girminsburg, Zeugen für den Germanennamen.
Hier iſt nicht zweifelhaft, daß bereits die romaniſierte Form
des Namens zugrunde liegt. Jſt ein deutſcher Name aber
romaniſiert worden, ſo fragt ſich, wie er lautete. Hier hat
nun Kluge einen Gedanken Jakob Grimms erneuert. Die
Form Germānus macht zweifellos nicht den Eindruck einer
deutſchen Wortbildung, wohl aber könnte ſie eine volks-
ethymologiſche römiſche Umbildung ſein, die durch das
lateiniſche germanus (echt) hervorgerufen ſein mag. Dann
dürfen wir wohl in dem Namen ein germaniſches Ermănos
vermuten, das uns in dem Ermanarich (d. h. „Volkskönig“)
überliefert iſt. Altgermaniſche Männernamen ſind öfter aus
Völkernamen abgeleitet, z. B. Bojorix (Bojerkönig), Theu-
dorix (Teutonenkönig), Engelhard (Kühn wie in Angle).
Was aber bedeutet nun Ermanos? Es liegt nahe, an das
vielfach überlieferte Wort erman oder irnim zu denken, in
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(2023-04-24T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
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