Allgemeine Zeitung, Nr. 24, 20. Juni 1920.Allgemeine Zeitung 20. Juni 1920 [Spaltenumbruch]
sozialistischen Ministern kaum mehr die Möglichkeit ge- Auch der Selbsterhaltungstrieb gebietet der Mehrheits- Auch wenn formell eine sozialistische Einheitsfront in Verschmelzungsprozeß Führer und Sieger immer die Ent- Es wird also aller Voraussicht nach in Bayern zu einer Allgemeine Zeitung 20. Juni 1920 [Spaltenumbruch]
ſozialiſtiſchen Miniſtern kaum mehr die Möglichkeit ge- Auch der Selbſterhaltungstrieb gebietet der Mehrheits- Auch wenn formell eine ſozialiſtiſche Einheitsfront in Verſchmelzungsprozeß Führer und Sieger immer die Ent- Es wird alſo aller Vorausſicht nach in Bayern zu einer <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div type="jComment" n="2"> <pb facs="#f0006" n="228"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Allgemeine Zeitung</hi> 20. Juni 1920</fw><lb/> <cb/> <p>ſozialiſtiſchen Miniſtern kaum mehr die Möglichkeit ge-<lb/> geben. Dazu hat die innerpolitiſche Konſtellation in Bayern<lb/> doch zu ſehr ſich gewandelt. Herr Hoffmann, der ehemalige<lb/> Miniſterpräſident, der jetzt wieder in den Dolksſchuldienſt<lb/> zurückgekehrt ſein ſoll, hatte für das Kommen dieſer<lb/> Wandlung ſchon vor den Wahlen das richtige Gefühl. Ob<lb/> freilich das Mittel, das er gegen den im Geiſte von ihm<lb/> ſchon vorausgeſehenen „Ruck nach rechts“ empfahl, ſich<lb/> im Ernſtfall als probat erweiſen würde, ſteht auf einem<lb/> anderen Blatte. Mit dem Gedanken eines politiſchen<lb/><hi rendition="#g">Generalſtreikes</hi> wird ja auch ſonſt in Bayern und<lb/> namentlich in München in den ſozialiſtiſchen Kreiſen ſeit<lb/> einiger Zeit wieder lebhaft geſpielt. Aber es iſt bemerkens-<lb/> wert, daß ſelbſt die Spartakiſten dieſe in Bayern inzwiſchen<lb/> doch recht zweiſchneidig gewordene Waffe nur mehr mit<lb/> einer an ihnen ganz ungewohnten Dorſicht und Behutſam-<lb/> keit anzufaſſen wagen. Der Arbeiterſchaft ſelbſt ſcheint es<lb/> nicht mehr ſo ganz an dem Derſtändnis dafür zu fehlen,<lb/> daß heute ein politiſcher Generalſtreik, der vielen Unter-<lb/> nehmern, die vor der Frage der Arbeiterentlaſſung und der<lb/> Betriebseinſchränkung oder gar -einſtellung infolge der<lb/> allgemeinen Geſchäftsſtockung ſtehen, ſogar gelegen käme,<lb/> vielleicht ſie ſelbſt am meiſten treffen würde. Mit dieſem<lb/> Kampfmittel, das als <hi rendition="#aq">ultima ralio</hi> im Hintergzunde ge-<lb/> halten, zweifellos lange eine wirkſame Drohung war, iſt<lb/> in den letzten zwei Jahren zu oft aus den nichtigſten An-<lb/> läſſen gearbeitet worden, als daß es nicht allmählich auch<lb/> anfinge, ſtumpf zu werden. Außerdem ſteht die Staats-<lb/> autorität und ſtehen der Bürger und Bauer einem General-<lb/> ſtreik der Arbeiterſchaft heute keineswegs mehr ſo macht-<lb/> und hilflos gegenüber wie vor einem Jahre.</p><lb/> <p>Auch der Selbſterhaltungstrieb gebietet der Mehrheits-<lb/> ſozialdemokratie, jetzt in der Oppoſition und in enger<lb/> Fühlung mit ihren linksſtehenden Genoſſen zu bleiben. Sie<lb/> haben zwar rund 300,000 Wähler verloren, die nicht nach<lb/> linkshin Anſchluß geſucht haben, ſondern unter die Nicht-<lb/> wähler gegangen ſind. Die hoffnung auf die Wieder-<lb/> gewinnung dieſer unzuverläſſigen Konjektural-Wähler-<lb/> Elemente aber zur Grundlage ihrer Politik zu machen,<lb/> werden die Mehrheitsſozialiſten kaum wagen. Sie werden<lb/> es um ſo weniger wagen, als auf der andern Seite mehr<lb/> als 300,000 ihrer Wähler zu den Unabhängigen hinüber-<lb/> wochſelten, weil ihnen die Politik ihrer Partei viel zu ge-<lb/> mäßigt war. Das zurückgebliebene, letzte, ſtarke Drittel<lb/> des vor einem Jahre noch ſo ſtattlichen Parteigebildes iſt<lb/> ganz unzweifelhaft in der Hauptſache ſo geartet, daß es<lb/> eine den heutigen Derhältniſſen und dem Ausfall der Wah-<lb/> len entſprechende Regierungspolitik mitzumachen ſich ſtrikte<lb/> weigern dürfte, daß demnach die Mehrheitsſozialdemokratie<lb/> als Regierungspartei Gefahr liefe, den letzten Reſt ihrer Ge-<lb/> folgſchaft, ſoweit er nicht etwa durch ſtaatliche Derſorgung ge-<lb/> bunden und intereſſiert iſt, den Unabhängigen in die Arme<lb/> zu treiben. Auch ſo geht ja, wenn nicht alles täuſcht, die Ent-<lb/> wicklung ſichtlich dahin, daß der Sozialismus in der Haupt-<lb/> maſſe ſeiner Anhänger, wenn auch unter gleichzeitiger nicht<lb/> unerheblicher Abſplitterung nach links zum reinen Bolſche-<lb/> wismus, über kurz oder lang im unabhängigen Lager ſich<lb/> wieder zuſammenfinden wird. Das iſt den Führern der<lb/> Mehrheitsſozialdemokratie ebenfalls längſt klar, und ſo<lb/> wohl ſie ſich auch in den Regierungsklubſeſſeln gefühlt haben<lb/> mögen, ſie wiſſen, daß jetzt die Zeit des Scheidens gekom-<lb/> men iſt und daß ſie ſich mit den Anabhängigen in eine Oppo-<lb/> ſitionsfront ſtellen müſſen, um den Anſchluß und die Aus-<lb/> ſicht nicht zu verpaſſen, auch im geeinigten Sozialismus<lb/> als bekehrte USP.-Pauluſſe die notwendige Rolle ſpielen<lb/> zu können.</p><lb/> <p>Auch wenn formell eine ſozialiſtiſche Einheitsfront in<lb/> Bayern zunächſt nicht hergeſtellt werden ſollte, ſo wird ſie<lb/> ſich aus dem politiſchen und parlamentariſchen Leben<lb/> heraus ſehr bald von ſelbſt ergeben. Die Unabhängigen<lb/> werden ſich nicht beeilen, da ſie nur zu warten brauchen,<lb/> bis ihnen die reifen Früchte in den Schoß fallen. 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Dem wer-<lb/> den auch die zur lieben Gewohnheit gewordenen kleinen<lb/> oder größeren häuslichen Zänkereien im ſozialiſtiſchen<lb/> Familienkreiſe keinen Abbruch tun. Die Unabhängigen<lb/> ſind der Mandatzahl nach aus der Wahlſchlacht in faſt<lb/> ſiebenfacher Stärke hervorgegangen, obwohl ſie nur unge-<lb/> fähr die Hälfte der Stimmen an ſich zu ziehen vermochten,<lb/> welche die Mehrheitsſozialiſten insgeſamt verloren haben.<lb/> Die Unabhängigen ſelbſt haben ihrerſeits wieder an die<lb/> Kommuniſten abgeben müſſen, die zwei ihrer Kandidaten<lb/> durchzubringen imſtande waren. Nun könnten dieſe wil-<lb/> den Männer auf dem verfaſſungsmäßigen Boden des Par-<lb/> lamentes brauchbare praktiſche Reformarbeit für das von<lb/> ihnen vorgeblich ſo ſehr bemitleidete und beklagte, arme<lb/> Volk leiſten, wenn es ihnen darum zu tun wäre. Sie wer-<lb/> den ſich aber hüten, und es wird werden, wie es immer<lb/> war: So lange die Radikalinskis als unverantwortliche<lb/> Demagogen im Lande herumraſen und Leichtgläubige ohne<lb/> große Mühe beſchwätzen können, erſchöpfen ſie ſich in der<lb/> Negierung alles poſitiv Schaffenden und Aufbauenden und<lb/> in utopiſtiſchen Phantaſien, werden ſie aber wirklich einmal<lb/> auf den Platz geſtellt, wo ſie richtig in der Cour tanzen<lb/> ſollen, dann können ſie es nicht, dann verſagen ſie kläglich<lb/> und wiſſen trotz aller großen Sprüche nicht anzugeben, wie<lb/> man’s beſſer macht. Das bayeriſche Volk hat am 6. Juni<lb/> mit ſeinem Wahlzettel deutlich genug bekundet, daß es keine<lb/> Luſt hat, noch einmal einen ſolch verbrecheriſchen Derſuch<lb/> der Umſetzung von Wahnſinnstheorien in die Praxis zu<lb/> dulden, wie wir ihn ſchaudernd vor einem Jahr erlebt haben.</p><lb/> <p>Es wird alſo aller Vorausſicht nach in Bayern zu einer<lb/><hi rendition="#g">reinlichen Scheidung in eine bürgerliche<lb/> Regierungsmehrheit</hi> und <hi rendition="#g">eine ſozialiſtiſche<lb/> Oppoſition</hi> kommen, deren Zahlenverhältnis zu einan-<lb/> der ſich mit den Demokraten auf bürgerlicher Seite wie<lb/> 108:47, ohne die Demokraten wie 96:47 und mit den<lb/> Demokraten auf der ſozialiſtiſchen Oppoſitionsſeite (einen<lb/> Fall, den wir nicht als möglich in Betracht ziehen möchten)<lb/> wie 96:59 ſtellen würde. 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Allgemeine Zeitung 20. Juni 1920
ſozialiſtiſchen Miniſtern kaum mehr die Möglichkeit ge-
geben. Dazu hat die innerpolitiſche Konſtellation in Bayern
doch zu ſehr ſich gewandelt. Herr Hoffmann, der ehemalige
Miniſterpräſident, der jetzt wieder in den Dolksſchuldienſt
zurückgekehrt ſein ſoll, hatte für das Kommen dieſer
Wandlung ſchon vor den Wahlen das richtige Gefühl. Ob
freilich das Mittel, das er gegen den im Geiſte von ihm
ſchon vorausgeſehenen „Ruck nach rechts“ empfahl, ſich
im Ernſtfall als probat erweiſen würde, ſteht auf einem
anderen Blatte. Mit dem Gedanken eines politiſchen
Generalſtreikes wird ja auch ſonſt in Bayern und
namentlich in München in den ſozialiſtiſchen Kreiſen ſeit
einiger Zeit wieder lebhaft geſpielt. Aber es iſt bemerkens-
wert, daß ſelbſt die Spartakiſten dieſe in Bayern inzwiſchen
doch recht zweiſchneidig gewordene Waffe nur mehr mit
einer an ihnen ganz ungewohnten Dorſicht und Behutſam-
keit anzufaſſen wagen. Der Arbeiterſchaft ſelbſt ſcheint es
nicht mehr ſo ganz an dem Derſtändnis dafür zu fehlen,
daß heute ein politiſcher Generalſtreik, der vielen Unter-
nehmern, die vor der Frage der Arbeiterentlaſſung und der
Betriebseinſchränkung oder gar -einſtellung infolge der
allgemeinen Geſchäftsſtockung ſtehen, ſogar gelegen käme,
vielleicht ſie ſelbſt am meiſten treffen würde. Mit dieſem
Kampfmittel, das als ultima ralio im Hintergzunde ge-
halten, zweifellos lange eine wirkſame Drohung war, iſt
in den letzten zwei Jahren zu oft aus den nichtigſten An-
läſſen gearbeitet worden, als daß es nicht allmählich auch
anfinge, ſtumpf zu werden. Außerdem ſteht die Staats-
autorität und ſtehen der Bürger und Bauer einem General-
ſtreik der Arbeiterſchaft heute keineswegs mehr ſo macht-
und hilflos gegenüber wie vor einem Jahre.
Auch der Selbſterhaltungstrieb gebietet der Mehrheits-
ſozialdemokratie, jetzt in der Oppoſition und in enger
Fühlung mit ihren linksſtehenden Genoſſen zu bleiben. Sie
haben zwar rund 300,000 Wähler verloren, die nicht nach
linkshin Anſchluß geſucht haben, ſondern unter die Nicht-
wähler gegangen ſind. Die hoffnung auf die Wieder-
gewinnung dieſer unzuverläſſigen Konjektural-Wähler-
Elemente aber zur Grundlage ihrer Politik zu machen,
werden die Mehrheitsſozialiſten kaum wagen. Sie werden
es um ſo weniger wagen, als auf der andern Seite mehr
als 300,000 ihrer Wähler zu den Unabhängigen hinüber-
wochſelten, weil ihnen die Politik ihrer Partei viel zu ge-
mäßigt war. Das zurückgebliebene, letzte, ſtarke Drittel
des vor einem Jahre noch ſo ſtattlichen Parteigebildes iſt
ganz unzweifelhaft in der Hauptſache ſo geartet, daß es
eine den heutigen Derhältniſſen und dem Ausfall der Wah-
len entſprechende Regierungspolitik mitzumachen ſich ſtrikte
weigern dürfte, daß demnach die Mehrheitsſozialdemokratie
als Regierungspartei Gefahr liefe, den letzten Reſt ihrer Ge-
folgſchaft, ſoweit er nicht etwa durch ſtaatliche Derſorgung ge-
bunden und intereſſiert iſt, den Unabhängigen in die Arme
zu treiben. Auch ſo geht ja, wenn nicht alles täuſcht, die Ent-
wicklung ſichtlich dahin, daß der Sozialismus in der Haupt-
maſſe ſeiner Anhänger, wenn auch unter gleichzeitiger nicht
unerheblicher Abſplitterung nach links zum reinen Bolſche-
wismus, über kurz oder lang im unabhängigen Lager ſich
wieder zuſammenfinden wird. Das iſt den Führern der
Mehrheitsſozialdemokratie ebenfalls längſt klar, und ſo
wohl ſie ſich auch in den Regierungsklubſeſſeln gefühlt haben
mögen, ſie wiſſen, daß jetzt die Zeit des Scheidens gekom-
men iſt und daß ſie ſich mit den Anabhängigen in eine Oppo-
ſitionsfront ſtellen müſſen, um den Anſchluß und die Aus-
ſicht nicht zu verpaſſen, auch im geeinigten Sozialismus
als bekehrte USP.-Pauluſſe die notwendige Rolle ſpielen
zu können.
Auch wenn formell eine ſozialiſtiſche Einheitsfront in
Bayern zunächſt nicht hergeſtellt werden ſollte, ſo wird ſie
ſich aus dem politiſchen und parlamentariſchen Leben
heraus ſehr bald von ſelbſt ergeben. Die Unabhängigen
werden ſich nicht beeilen, da ſie nur zu warten brauchen,
bis ihnen die reifen Früchte in den Schoß fallen. Auch bür-
gerliche Parteien haben in dem Wettbewerb untereinander
es ſchon mehr als einmal erfahren, daß in einem ſolchen
Verſchmelzungsprozeß Führer und Sieger immer die Ent-
ſchloſſenſten, Rückſichtsloſeſten und in ihren Verſprechungen
Skrupelloſeſten ſind. Nun haben ja die Mehrheitsſozialiſten
in dieſer Hinſicht während der Wahlbewegung einige ganz
hervorragende Proben abgelegt; allein ob ſie auf die Dauer
in der Konkurrenz gegen Unabhängige und Kommuniſten
den Rekord werden halten können, iſt doch zweifelhaft. Es
kommt übrigens auch gar nicht auf den Namen der in
dieſem Ringen obſiegenden Partei an, ſondern einzig und
allein auf den Radikalismus ihrer Forderungen. Sobald
dieſer letztere bei allen ſozialiſtiſchen Richtungen in einer
ungefähr gleichlaufenden Linie ſich bewegt, iſt die ſozia-
liſtiſche Einheitsfront in der Praxis hergeſtellt. Dem wer-
den auch die zur lieben Gewohnheit gewordenen kleinen
oder größeren häuslichen Zänkereien im ſozialiſtiſchen
Familienkreiſe keinen Abbruch tun. Die Unabhängigen
ſind der Mandatzahl nach aus der Wahlſchlacht in faſt
ſiebenfacher Stärke hervorgegangen, obwohl ſie nur unge-
fähr die Hälfte der Stimmen an ſich zu ziehen vermochten,
welche die Mehrheitsſozialiſten insgeſamt verloren haben.
Die Unabhängigen ſelbſt haben ihrerſeits wieder an die
Kommuniſten abgeben müſſen, die zwei ihrer Kandidaten
durchzubringen imſtande waren. Nun könnten dieſe wil-
den Männer auf dem verfaſſungsmäßigen Boden des Par-
lamentes brauchbare praktiſche Reformarbeit für das von
ihnen vorgeblich ſo ſehr bemitleidete und beklagte, arme
Volk leiſten, wenn es ihnen darum zu tun wäre. Sie wer-
den ſich aber hüten, und es wird werden, wie es immer
war: So lange die Radikalinskis als unverantwortliche
Demagogen im Lande herumraſen und Leichtgläubige ohne
große Mühe beſchwätzen können, erſchöpfen ſie ſich in der
Negierung alles poſitiv Schaffenden und Aufbauenden und
in utopiſtiſchen Phantaſien, werden ſie aber wirklich einmal
auf den Platz geſtellt, wo ſie richtig in der Cour tanzen
ſollen, dann können ſie es nicht, dann verſagen ſie kläglich
und wiſſen trotz aller großen Sprüche nicht anzugeben, wie
man’s beſſer macht. Das bayeriſche Volk hat am 6. Juni
mit ſeinem Wahlzettel deutlich genug bekundet, daß es keine
Luſt hat, noch einmal einen ſolch verbrecheriſchen Derſuch
der Umſetzung von Wahnſinnstheorien in die Praxis zu
dulden, wie wir ihn ſchaudernd vor einem Jahr erlebt haben.
Es wird alſo aller Vorausſicht nach in Bayern zu einer
reinlichen Scheidung in eine bürgerliche
Regierungsmehrheit und eine ſozialiſtiſche
Oppoſition kommen, deren Zahlenverhältnis zu einan-
der ſich mit den Demokraten auf bürgerlicher Seite wie
108:47, ohne die Demokraten wie 96:47 und mit den
Demokraten auf der ſozialiſtiſchen Oppoſitionsſeite (einen
Fall, den wir nicht als möglich in Betracht ziehen möchten)
wie 96:59 ſtellen würde. Wie man ſieht, gewährt der
Wahlausfall der Bayeriſchen Volkspartei in der Bildung
von Regierungsmehrheiten geradezu idealen Spielraum,
nachdem die bürgerlichen Parteien zuſammen über eine
ſtarke Zweidrittelmehrheit verfügen und der Geſamtſozia-
lismus erheblich unter ein Drittel der Stimmen ſowohl wie
der Mandate herabgeſunken iſt. Man braucht in Bayern
deswegen noch keine übertriebene Sorge zu haben, daß nun
Reaktion und Monarchie ſchon wieder auf dem Marſche
wären. Dazu iſt das bayeriſche Zentrum viel zu klug und
vorſichtig. Seine führenden Geiſter pflegen gute Witterung
zu haben für das Mögliche und Nützliche. Und auf ihrer
jüngſten Landesverſammlung hat ſich die Partei ausdrück-
lich zu dem Grundſatz des Föderalismus ohne Monar-
chie und ohne Gewaltpolitik bekannt. Die Be-
fürchtungen ängſtlicher Gemüter, die ſchon einen blutigen
Bürgerkrieg vorausſehen, wenn man die Mehrheitsſozial-
demokratie nicht wieder zur Mitarbeit zu bewegen ver-
möchte, teilen wir nicht. Die ſozialiſtiſche Preſſe hat natür-
lich ein lebhaftes Intereſſe daran, dieſes Geſpenſt dem Bür-
gertum zur Einſchüchterung möglichſt blutrünſtig an die
Wand zu malen. Jedoch, bange machen gilt nicht! Solche
Befürchtungen mögen im Reiche nördlich der Mainlinie viel-
leicht nicht ganz unbegründet ſein; bei uns im Süden und
in Bayern ganz beſonders ſind die Vorausſetzungen dafür
glücklicherweiſe nicht in dem Maße vorhanden, daß ſie die
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(2023-04-24T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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