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Allgemeine Zeitung, Nr. 24, 20. Juni 1920.

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20. Juni 1920 Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch]

Gefahr als besonders drohend erscheinen ließen. Die große
Masse des Dolkes lehnt es hier ab, sich in neue Abenteuer
stürzen zu lassen, deren Kosten sie doch letzten Endes selbst
mit ihrem Blute und mit ihrem Gelde bezahlen müßte.

Wissenschaft, Kultur und Technik
Grundfragen der Reichsschulkonferenz.

Schon während des Krieges war der Gedanke auf-
getaucht, die zahllosen Anregungen und neuen Gedanken,
die auf pädagogischem Gebiete in der Zeit des gewaltigen
Völkerringens und der Erschütterung aller hergebrachten Ver-
hältnisse laut geworden waren, auf einer allgemeinen deut-
schen Schulkonferenz zu erörtern. Unter der alten Regierung
konnte er nicht mehr verwirklicht werden, die neue aber nahm
ihn gern und mit regem Eifer auf, weil sie mit vollem Rechte
in der Gewinnung der Schule und der Jugend eine Haupt-
förderung für ihre Zwecke erblickte. Das aufgeregte Jahr
ließ sie nicht dazu kommen, die alsbald geplante Reichs-
schulkonferenz
wirklich einzuberufen, aber sie wurde
für Ostern 1920 in Aussicht genommen. Die politischen Vor-
gänge des März bewirkten jedoch eine weitere Verschiebung
und nun soll sie unmittelbar nach den Wahlen im Laufe
dieses Monats Juni stattfinden.

Schon über die Zusammensetzung dieser Versammlung
ist viel geschrieben worden und es ist bezeichnend für die Ver-
hältnisse, unter denen wir leben, und für die Art, in der
wir als "freiestes Volk" regiert werden, daß die berechtigten
Wünsche der sach- und fachverständigen Kreise nur ganz unzu-
länglich berücksichtigt werden. Der Vater und Schirmherr
der Konferenz, Heinrich Schulz, Unterstaatssekretär im
Reichsministerium des Jnnern, Sozialdemokrat, früherer
Volksschullehrer und Verfasser des bekannten Buches "Die
Schulreform der Sozialdemokratie", hat ja doch selbst öffent-
lich in einer Lehrervereinsversammlung zu [Magdeburg] am
11. Dezember 1919 erklärt, daß nur "Reformfreudige" an
den Verhandlungen teilnehmen und solche Leute, die nur
bremsen würden, keinen Einfluß haben würden. Demem-
sprechend wird sie, abgesehen von den Regierungsvertretern,
wesentlich von Politikern, Volksschullehrern und Verbands-
abgeordneten besucht sein, während der Oberlehrerschaft, so-
weit sie nicht sozialistisch ist, und den Hochschullehrern nur
wenige Plätze eingeräumt sind. Von den 72 preußischen
Provinzialschulräten aber, die ja infolge ihrer sehr vielseitigen
amtlichen Erfahrungen immerhin über eine gewisse Sach-
kenntnis verfügen dürften, soll dem Vernehmen nach kein
einziger dazu einberufen sein.

Wie beschränkt der tatsächliche Einfluß der Konferenz sein
wird, geht auch daraus hervor, daß bereits mehrere amtliche
Besprechungen, im Juni und Oktober 1919, stattgefunden
haben, in denen maßgebende Richtlinien für die Entwicklung
des Schulwesens aufgestellt wurden, so für die mindestens
vierjährige Dauer der allgemeinen Grundschule, die ja übri-
gens schon durch den Artikel 146 der Verfassung festgelegt ist,
und für die Lehrerbildung.

Immerhin ist die Regierung eifrig bemüht, den Teil-
nehmern an der Konferenz ihre Arbeit zu erleichtern und vor
allem in ihnen das Bewußtsein zu erwecken, als ob sie Sach-
verständige seien. Zu diesem Zwecke hat sie soeben -- in den
letzten Maitagen -- ein umfangreiches "Handbuch für die
Reichsschulkonferenz", herausgegeben vom Zentralinstitut für
Erziehung und Unterricht in Berlin, erscheinen lassen (Leipzig,
Quelle & Meyer, 1920; 331 Seiten, geb. 30 M). Die darin
"vereinigten Darstellungen wollen zu den Einzelfragen, die
auf der Reichsschulkonferenz behandelt werden sollen, nicht
grundsätzlich Stellung nehmen und nicht abschließende Urteile
fällen, sie wollen vielmehr rein sachlich berichten über den
Gang der Entwicklung, über die wichtigsten bei der öffent-
lichen Erörterung gemachten Vorschläge und über die ver-
schiedenen Wege zur Lösung der vorliegenden Aufgaben". Das
klingt nicht übel, aber die von Heinrich Schulz im "Geleit-

[Spaltenumbruch]

wort" ausgesprochene Ansicht, daß "die überlieferte deutsche
Gründlichkeit im guten Sinne des Wortes als Pate an der
Wiege der ersten deutschen Reichskonferenz stehe", trifft doch
nicht ganz zu.

Denn das ganze dicke Werk mutet nicht eigentlich wie ein
Handbuch, sondern vielmehr wie eine Fibel für Schul-
reformer an. Wie die Fibel die Abe-Schützen in die aller-
ersten Geheimnisse der schweren Künste des Lesens und
Schreibens einführt, so will dieses Buch in die einsachsten
Grundfragen der Schulreform einweihen. Fast auf jeder
Seite merkt man es ihm an, daß es in der Hauptsache dazu
bestimmt ist, gänzlich Unkundigen eine Vorstellung von dem
zu geben, um was es sich überhaupt handelt. Wer die päda-
gogische Literatur der letzten Jahre auch nur einigermaßen
kennt, findet darin nicht einen einzigen neuen Gedanken, und
oft ist die absichtliche Einfachheit der Behandlung so weit ge-
trieben, daß nicht unwichtige Tatsachen weggelassen sind. So
ist das Werk zwar brauchbar für die Einführung angehender
junger Lehrer und Lehrerinnen während des Vorbereitungs-
dienstes, um sie mit den Grundfragen der Gegenwartspäda-
gogik bekanntzumachen, aber bei den Teilnehmern der Kon-
ferenz hätte man doch wohl angesichts der großen auf ihnen
ruhenden Verantwortlichkeit etwas mehr voraussetzen sollen
und ihnen nicht ganz so leichte Kost bieten dürfen. Denn
ganz so bequem ist es denn doch nicht, über Schulreformen
zu urteilen und zu entscheiden, daß z. B. ein einziger Aufsatz
von knapp sechs Seiten, wie der von Karl Reinhardt
"Grundschule, mittleres und höheres Schulwesen", genügt,
um Klarheit über dieses recht ansehnliche Problem zu schaffen.
Von den Konferenzteilnehmern sollte man vielmehr erwarten
dürfen, daß sie auf Grund reicher eigener Erfahrung und
gediegener Literaturkenntnis stets aus dem Vollen schöpfen
könnten und sich nicht durch den Jnhalt einiger schnell ange-
lesener Leitsäße mit dürftiger Begründung gängeln ließen.
Denn selbstverständlich sind manche Probleme auch ziemlich
einseitig behandelt, so leider auch die Ausführungen des
preußischen Ministerialdirektors Jahnke über Schul-
gemeinden und Elternbeiräte. Man versteht zwar, daß er
als Regierungsmann diese hochmodernen Einrichtungen liebt
und verteidigt, aber neben den von ihm allzu stark hervor-
gehobenen Lichtseiten haben sie auch mancherlei ernste
Schattenseiten, von denen die Teilnehmer nichts erfahren.

Im übrigen ist der Jnhalt reichhaltig. Man erhält Be-
lehrungen über die rechtlichen Grundlagen der Schulreform,
über die äußere und innere Einheit des Unterrichtswesens,
über Lehrer-, Schüler- und Elternfragen. Und doch vermißt
man dieses und jenes. Jn dem Abschnitt über die innere
Einheit des Unterrichtswesens werden der Heimatgedanke, der
Arbeitsunterricht, die staatsbürgerliche, künstlerische, gesund-
heitliche Erziehung und die Leibesübungen besprochen, aber
das, worauf der Christ immer noch einen Hauptwert legt,
fehlt: die religiöse Erziehung. Gut ist dann noch
ein Schlußaufsatz des Stadtschulrates von Hannover Dr. L.
Wespy, "Gedanken und Wünsche der Gemeinden in bezug
auf die Beteiligung von Reich, Ländern und Gemeinden an
der Schulverwaltung, Schulaufsicht und Schularbeit". Nur
ist es schade, daß alle diese schönen Gedanken vielleicht schon
gegenstandslos sind; denn es ist höchst fraglich, ob sich die
Städte in Zukunft noch -- dank unserer wunderbaren Steuer-
politik -- in so glänzender Weise wie bisher am Schulwesen
werden beteiligen können. Wichtig ist dann noch der Anhang
des Buches. Er enthält ein vollständiges Verzeichnis der Be-
ratungsgegenstände und Berichterstatter sowie sämtliche Leit-
sätze.

Es ist übrigens als sicher anzunehmen, daß sich viele
Konferenzmitglieder ihre Belehrung ganz wo anders suchen
werden als in diesem Handbuch, das ja immer noch den
Eindruck der Sachlichkeit erweckt. Es gibt nämlich eine be-
sondere Gruppe von "entschiedenen Schulreformern", die
schon im Oktober 1919 eine eigene Tagung hielten und ihre
Hochziele und Anschauungen ebenfalls in einem stattlichen
Bande den Zeitgenossen vorgelegt haben: "Entschiedene
Schulreform
" (Berlin, Erich Reiß, 1920; 160 Seiten,
7.50 M). Diese Leute bekennen sich alle als scharfe Revo-
lutionäre. Sie wollen keine Reform, keine Entwicklung, son-
dern grundstürzende Umwälzung. Ihr Führer, der Unab-

20. Juni 1920 Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch]

Gefahr als beſonders drohend erſcheinen ließen. Die große
Maſſe des Dolkes lehnt es hier ab, ſich in neue Abenteuer
ſtürzen zu laſſen, deren Koſten ſie doch letzten Endes ſelbſt
mit ihrem Blute und mit ihrem Gelde bezahlen müßte.

Wiſſenſchaft, Kultur und Technik
Grundfragen der Reichsſchulkonferenz.

Schon während des Krieges war der Gedanke auf-
getaucht, die zahlloſen Anregungen und neuen Gedanken,
die auf pädagogiſchem Gebiete in der Zeit des gewaltigen
Völkerringens und der Erſchütterung aller hergebrachten Ver-
hältniſſe laut geworden waren, auf einer allgemeinen deut-
ſchen Schulkonferenz zu erörtern. Unter der alten Regierung
konnte er nicht mehr verwirklicht werden, die neue aber nahm
ihn gern und mit regem Eifer auf, weil ſie mit vollem Rechte
in der Gewinnung der Schule und der Jugend eine Haupt-
förderung für ihre Zwecke erblickte. Das aufgeregte Jahr
ließ ſie nicht dazu kommen, die alsbald geplante Reichs-
ſchulkonferenz
wirklich einzuberufen, aber ſie wurde
für Oſtern 1920 in Ausſicht genommen. Die politiſchen Vor-
gänge des März bewirkten jedoch eine weitere Verſchiebung
und nun ſoll ſie unmittelbar nach den Wahlen im Laufe
dieſes Monats Juni ſtattfinden.

Schon über die Zuſammenſetzung dieſer Verſammlung
iſt viel geſchrieben worden und es iſt bezeichnend für die Ver-
hältniſſe, unter denen wir leben, und für die Art, in der
wir als „freieſtes Volk“ regiert werden, daß die berechtigten
Wünſche der ſach- und fachverſtändigen Kreiſe nur ganz unzu-
länglich berückſichtigt werden. Der Vater und Schirmherr
der Konferenz, Heinrich Schulz, Unterſtaatsſekretär im
Reichsminiſterium des Jnnern, Sozialdemokrat, früherer
Volksſchullehrer und Verfaſſer des bekannten Buches „Die
Schulreform der Sozialdemokratie“, hat ja doch ſelbſt öffent-
lich in einer Lehrervereinsverſammlung zu [Magdeburg] am
11. Dezember 1919 erklärt, daß nur „Reformfreudige“ an
den Verhandlungen teilnehmen und ſolche Leute, die nur
bremſen würden, keinen Einfluß haben würden. Demem-
ſprechend wird ſie, abgeſehen von den Regierungsvertretern,
weſentlich von Politikern, Volksſchullehrern und Verbands-
abgeordneten beſucht ſein, während der Oberlehrerſchaft, ſo-
weit ſie nicht ſozialiſtiſch iſt, und den Hochſchullehrern nur
wenige Plätze eingeräumt ſind. Von den 72 preußiſchen
Provinzialſchulräten aber, die ja infolge ihrer ſehr vielſeitigen
amtlichen Erfahrungen immerhin über eine gewiſſe Sach-
kenntnis verfügen dürften, ſoll dem Vernehmen nach kein
einziger dazu einberufen ſein.

Wie beſchränkt der tatſächliche Einfluß der Konferenz ſein
wird, geht auch daraus hervor, daß bereits mehrere amtliche
Beſprechungen, im Juni und Oktober 1919, ſtattgefunden
haben, in denen maßgebende Richtlinien für die Entwicklung
des Schulweſens aufgeſtellt wurden, ſo für die mindeſtens
vierjährige Dauer der allgemeinen Grundſchule, die ja übri-
gens ſchon durch den Artikel 146 der Verfaſſung feſtgelegt iſt,
und für die Lehrerbildung.

Immerhin iſt die Regierung eifrig bemüht, den Teil-
nehmern an der Konferenz ihre Arbeit zu erleichtern und vor
allem in ihnen das Bewußtſein zu erwecken, als ob ſie Sach-
verſtändige ſeien. Zu dieſem Zwecke hat ſie ſoeben — in den
letzten Maitagen — ein umfangreiches „Handbuch für die
Reichsſchulkonferenz“, herausgegeben vom Zentralinſtitut für
Erziehung und Unterricht in Berlin, erſcheinen laſſen (Leipzig,
Quelle & Meyer, 1920; 331 Seiten, geb. 30 M). Die darin
„vereinigten Darſtellungen wollen zu den Einzelfragen, die
auf der Reichsſchulkonferenz behandelt werden ſollen, nicht
grundſätzlich Stellung nehmen und nicht abſchließende Urteile
fällen, ſie wollen vielmehr rein ſachlich berichten über den
Gang der Entwicklung, über die wichtigſten bei der öffent-
lichen Erörterung gemachten Vorſchläge und über die ver-
ſchiedenen Wege zur Löſung der vorliegenden Aufgaben“. Das
klingt nicht übel, aber die von Heinrich Schulz im „Geleit-

[Spaltenumbruch]

wort“ ausgeſprochene Anſicht, daß „die überlieferte deutſche
Gründlichkeit im guten Sinne des Wortes als Pate an der
Wiege der erſten deutſchen Reichskonferenz ſtehe“, trifft doch
nicht ganz zu.

Denn das ganze dicke Werk mutet nicht eigentlich wie ein
Handbuch, ſondern vielmehr wie eine Fibel für Schul-
reformer an. Wie die Fibel die Abe-Schützen in die aller-
erſten Geheimniſſe der ſchweren Künſte des Leſens und
Schreibens einführt, ſo will dieſes Buch in die einſachſten
Grundfragen der Schulreform einweihen. Faſt auf jeder
Seite merkt man es ihm an, daß es in der Hauptſache dazu
beſtimmt iſt, gänzlich Unkundigen eine Vorſtellung von dem
zu geben, um was es ſich überhaupt handelt. Wer die päda-
gogiſche Literatur der letzten Jahre auch nur einigermaßen
kennt, findet darin nicht einen einzigen neuen Gedanken, und
oft iſt die abſichtliche Einfachheit der Behandlung ſo weit ge-
trieben, daß nicht unwichtige Tatſachen weggelaſſen ſind. So
iſt das Werk zwar brauchbar für die Einführung angehender
junger Lehrer und Lehrerinnen während des Vorbereitungs-
dienſtes, um ſie mit den Grundfragen der Gegenwartspäda-
gogik bekanntzumachen, aber bei den Teilnehmern der Kon-
ferenz hätte man doch wohl angeſichts der großen auf ihnen
ruhenden Verantwortlichkeit etwas mehr vorausſetzen ſollen
und ihnen nicht ganz ſo leichte Koſt bieten dürfen. Denn
ganz ſo bequem iſt es denn doch nicht, über Schulreformen
zu urteilen und zu entſcheiden, daß z. B. ein einziger Aufſatz
von knapp ſechs Seiten, wie der von Karl Reinhardt
„Grundſchule, mittleres und höheres Schulweſen“, genügt,
um Klarheit über dieſes recht anſehnliche Problem zu ſchaffen.
Von den Konferenzteilnehmern ſollte man vielmehr erwarten
dürfen, daß ſie auf Grund reicher eigener Erfahrung und
gediegener Literaturkenntnis ſtets aus dem Vollen ſchöpfen
könnten und ſich nicht durch den Jnhalt einiger ſchnell ange-
leſener Leitſäße mit dürftiger Begründung gängeln ließen.
Denn ſelbſtverſtändlich ſind manche Probleme auch ziemlich
einſeitig behandelt, ſo leider auch die Ausführungen des
preußiſchen Miniſterialdirektors Jahnke über Schul-
gemeinden und Elternbeiräte. Man verſteht zwar, daß er
als Regierungsmann dieſe hochmodernen Einrichtungen liebt
und verteidigt, aber neben den von ihm allzu ſtark hervor-
gehobenen Lichtſeiten haben ſie auch mancherlei ernſte
Schattenſeiten, von denen die Teilnehmer nichts erfahren.

Im übrigen iſt der Jnhalt reichhaltig. Man erhält Be-
lehrungen über die rechtlichen Grundlagen der Schulreform,
über die äußere und innere Einheit des Unterrichtsweſens,
über Lehrer-, Schüler- und Elternfragen. Und doch vermißt
man dieſes und jenes. Jn dem Abſchnitt über die innere
Einheit des Unterrichtsweſens werden der Heimatgedanke, der
Arbeitsunterricht, die ſtaatsbürgerliche, künſtleriſche, geſund-
heitliche Erziehung und die Leibesübungen beſprochen, aber
das, worauf der Chriſt immer noch einen Hauptwert legt,
fehlt: die religiöſe Erziehung. Gut iſt dann noch
ein Schlußaufſatz des Stadtſchulrates von Hannover Dr. L.
Weſpy, „Gedanken und Wünſche der Gemeinden in bezug
auf die Beteiligung von Reich, Ländern und Gemeinden an
der Schulverwaltung, Schulaufſicht und Schularbeit“. Nur
iſt es ſchade, daß alle dieſe ſchönen Gedanken vielleicht ſchon
gegenſtandslos ſind; denn es iſt höchſt fraglich, ob ſich die
Städte in Zukunft noch — dank unſerer wunderbaren Steuer-
politik — in ſo glänzender Weiſe wie bisher am Schulweſen
werden beteiligen können. Wichtig iſt dann noch der Anhang
des Buches. Er enthält ein vollſtändiges Verzeichnis der Be-
ratungsgegenſtände und Berichterſtatter ſowie ſämtliche Leit-
ſätze.

Es iſt übrigens als ſicher anzunehmen, daß ſich viele
Konferenzmitglieder ihre Belehrung ganz wo anders ſuchen
werden als in dieſem Handbuch, das ja immer noch den
Eindruck der Sachlichkeit erweckt. Es gibt nämlich eine be-
ſondere Gruppe von „entſchiedenen Schulreformern“, die
ſchon im Oktober 1919 eine eigene Tagung hielten und ihre
Hochziele und Anſchauungen ebenfalls in einem ſtattlichen
Bande den Zeitgenoſſen vorgelegt haben: „Entſchiedene
Schulreform
“ (Berlin, Erich Reiß, 1920; 160 Seiten,
7.50 M). Dieſe Leute bekennen ſich alle als ſcharfe Revo-
lutionäre. Sie wollen keine Reform, keine Entwicklung, ſon-
dern grundſtürzende Umwälzung. Ihr Führer, der Unab-

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[229/0007] 20. Juni 1920 Allgemeine Zeitung Gefahr als beſonders drohend erſcheinen ließen. Die große Maſſe des Dolkes lehnt es hier ab, ſich in neue Abenteuer ſtürzen zu laſſen, deren Koſten ſie doch letzten Endes ſelbſt mit ihrem Blute und mit ihrem Gelde bezahlen müßte. —n—n. Wiſſenſchaft, Kultur und Technik Grundfragen der Reichsſchulkonferenz. Schon während des Krieges war der Gedanke auf- getaucht, die zahlloſen Anregungen und neuen Gedanken, die auf pädagogiſchem Gebiete in der Zeit des gewaltigen Völkerringens und der Erſchütterung aller hergebrachten Ver- hältniſſe laut geworden waren, auf einer allgemeinen deut- ſchen Schulkonferenz zu erörtern. Unter der alten Regierung konnte er nicht mehr verwirklicht werden, die neue aber nahm ihn gern und mit regem Eifer auf, weil ſie mit vollem Rechte in der Gewinnung der Schule und der Jugend eine Haupt- förderung für ihre Zwecke erblickte. Das aufgeregte Jahr ließ ſie nicht dazu kommen, die alsbald geplante Reichs- ſchulkonferenz wirklich einzuberufen, aber ſie wurde für Oſtern 1920 in Ausſicht genommen. Die politiſchen Vor- gänge des März bewirkten jedoch eine weitere Verſchiebung und nun ſoll ſie unmittelbar nach den Wahlen im Laufe dieſes Monats Juni ſtattfinden. Schon über die Zuſammenſetzung dieſer Verſammlung iſt viel geſchrieben worden und es iſt bezeichnend für die Ver- hältniſſe, unter denen wir leben, und für die Art, in der wir als „freieſtes Volk“ regiert werden, daß die berechtigten Wünſche der ſach- und fachverſtändigen Kreiſe nur ganz unzu- länglich berückſichtigt werden. Der Vater und Schirmherr der Konferenz, Heinrich Schulz, Unterſtaatsſekretär im Reichsminiſterium des Jnnern, Sozialdemokrat, früherer Volksſchullehrer und Verfaſſer des bekannten Buches „Die Schulreform der Sozialdemokratie“, hat ja doch ſelbſt öffent- lich in einer Lehrervereinsverſammlung zu Magdeburg am 11. Dezember 1919 erklärt, daß nur „Reformfreudige“ an den Verhandlungen teilnehmen und ſolche Leute, die nur bremſen würden, keinen Einfluß haben würden. Demem- ſprechend wird ſie, abgeſehen von den Regierungsvertretern, weſentlich von Politikern, Volksſchullehrern und Verbands- abgeordneten beſucht ſein, während der Oberlehrerſchaft, ſo- weit ſie nicht ſozialiſtiſch iſt, und den Hochſchullehrern nur wenige Plätze eingeräumt ſind. Von den 72 preußiſchen Provinzialſchulräten aber, die ja infolge ihrer ſehr vielſeitigen amtlichen Erfahrungen immerhin über eine gewiſſe Sach- kenntnis verfügen dürften, ſoll dem Vernehmen nach kein einziger dazu einberufen ſein. Wie beſchränkt der tatſächliche Einfluß der Konferenz ſein wird, geht auch daraus hervor, daß bereits mehrere amtliche Beſprechungen, im Juni und Oktober 1919, ſtattgefunden haben, in denen maßgebende Richtlinien für die Entwicklung des Schulweſens aufgeſtellt wurden, ſo für die mindeſtens vierjährige Dauer der allgemeinen Grundſchule, die ja übri- gens ſchon durch den Artikel 146 der Verfaſſung feſtgelegt iſt, und für die Lehrerbildung. Immerhin iſt die Regierung eifrig bemüht, den Teil- nehmern an der Konferenz ihre Arbeit zu erleichtern und vor allem in ihnen das Bewußtſein zu erwecken, als ob ſie Sach- verſtändige ſeien. Zu dieſem Zwecke hat ſie ſoeben — in den letzten Maitagen — ein umfangreiches „Handbuch für die Reichsſchulkonferenz“, herausgegeben vom Zentralinſtitut für Erziehung und Unterricht in Berlin, erſcheinen laſſen (Leipzig, Quelle & Meyer, 1920; 331 Seiten, geb. 30 M). Die darin „vereinigten Darſtellungen wollen zu den Einzelfragen, die auf der Reichsſchulkonferenz behandelt werden ſollen, nicht grundſätzlich Stellung nehmen und nicht abſchließende Urteile fällen, ſie wollen vielmehr rein ſachlich berichten über den Gang der Entwicklung, über die wichtigſten bei der öffent- lichen Erörterung gemachten Vorſchläge und über die ver- ſchiedenen Wege zur Löſung der vorliegenden Aufgaben“. Das klingt nicht übel, aber die von Heinrich Schulz im „Geleit- wort“ ausgeſprochene Anſicht, daß „die überlieferte deutſche Gründlichkeit im guten Sinne des Wortes als Pate an der Wiege der erſten deutſchen Reichskonferenz ſtehe“, trifft doch nicht ganz zu. Denn das ganze dicke Werk mutet nicht eigentlich wie ein Handbuch, ſondern vielmehr wie eine Fibel für Schul- reformer an. Wie die Fibel die Abe-Schützen in die aller- erſten Geheimniſſe der ſchweren Künſte des Leſens und Schreibens einführt, ſo will dieſes Buch in die einſachſten Grundfragen der Schulreform einweihen. Faſt auf jeder Seite merkt man es ihm an, daß es in der Hauptſache dazu beſtimmt iſt, gänzlich Unkundigen eine Vorſtellung von dem zu geben, um was es ſich überhaupt handelt. Wer die päda- gogiſche Literatur der letzten Jahre auch nur einigermaßen kennt, findet darin nicht einen einzigen neuen Gedanken, und oft iſt die abſichtliche Einfachheit der Behandlung ſo weit ge- trieben, daß nicht unwichtige Tatſachen weggelaſſen ſind. So iſt das Werk zwar brauchbar für die Einführung angehender junger Lehrer und Lehrerinnen während des Vorbereitungs- dienſtes, um ſie mit den Grundfragen der Gegenwartspäda- gogik bekanntzumachen, aber bei den Teilnehmern der Kon- ferenz hätte man doch wohl angeſichts der großen auf ihnen ruhenden Verantwortlichkeit etwas mehr vorausſetzen ſollen und ihnen nicht ganz ſo leichte Koſt bieten dürfen. Denn ganz ſo bequem iſt es denn doch nicht, über Schulreformen zu urteilen und zu entſcheiden, daß z. B. ein einziger Aufſatz von knapp ſechs Seiten, wie der von Karl Reinhardt „Grundſchule, mittleres und höheres Schulweſen“, genügt, um Klarheit über dieſes recht anſehnliche Problem zu ſchaffen. Von den Konferenzteilnehmern ſollte man vielmehr erwarten dürfen, daß ſie auf Grund reicher eigener Erfahrung und gediegener Literaturkenntnis ſtets aus dem Vollen ſchöpfen könnten und ſich nicht durch den Jnhalt einiger ſchnell ange- leſener Leitſäße mit dürftiger Begründung gängeln ließen. Denn ſelbſtverſtändlich ſind manche Probleme auch ziemlich einſeitig behandelt, ſo leider auch die Ausführungen des preußiſchen Miniſterialdirektors Jahnke über Schul- gemeinden und Elternbeiräte. Man verſteht zwar, daß er als Regierungsmann dieſe hochmodernen Einrichtungen liebt und verteidigt, aber neben den von ihm allzu ſtark hervor- gehobenen Lichtſeiten haben ſie auch mancherlei ernſte Schattenſeiten, von denen die Teilnehmer nichts erfahren. Im übrigen iſt der Jnhalt reichhaltig. Man erhält Be- lehrungen über die rechtlichen Grundlagen der Schulreform, über die äußere und innere Einheit des Unterrichtsweſens, über Lehrer-, Schüler- und Elternfragen. Und doch vermißt man dieſes und jenes. Jn dem Abſchnitt über die innere Einheit des Unterrichtsweſens werden der Heimatgedanke, der Arbeitsunterricht, die ſtaatsbürgerliche, künſtleriſche, geſund- heitliche Erziehung und die Leibesübungen beſprochen, aber das, worauf der Chriſt immer noch einen Hauptwert legt, fehlt: die religiöſe Erziehung. Gut iſt dann noch ein Schlußaufſatz des Stadtſchulrates von Hannover Dr. L. Weſpy, „Gedanken und Wünſche der Gemeinden in bezug auf die Beteiligung von Reich, Ländern und Gemeinden an der Schulverwaltung, Schulaufſicht und Schularbeit“. Nur iſt es ſchade, daß alle dieſe ſchönen Gedanken vielleicht ſchon gegenſtandslos ſind; denn es iſt höchſt fraglich, ob ſich die Städte in Zukunft noch — dank unſerer wunderbaren Steuer- politik — in ſo glänzender Weiſe wie bisher am Schulweſen werden beteiligen können. Wichtig iſt dann noch der Anhang des Buches. Er enthält ein vollſtändiges Verzeichnis der Be- ratungsgegenſtände und Berichterſtatter ſowie ſämtliche Leit- ſätze. Es iſt übrigens als ſicher anzunehmen, daß ſich viele Konferenzmitglieder ihre Belehrung ganz wo anders ſuchen werden als in dieſem Handbuch, das ja immer noch den Eindruck der Sachlichkeit erweckt. Es gibt nämlich eine be- ſondere Gruppe von „entſchiedenen Schulreformern“, die ſchon im Oktober 1919 eine eigene Tagung hielten und ihre Hochziele und Anſchauungen ebenfalls in einem ſtattlichen Bande den Zeitgenoſſen vorgelegt haben: „Entſchiedene Schulreform“ (Berlin, Erich Reiß, 1920; 160 Seiten, 7.50 M). Dieſe Leute bekennen ſich alle als ſcharfe Revo- lutionäre. Sie wollen keine Reform, keine Entwicklung, ſon- dern grundſtürzende Umwälzung. Ihr Führer, der Unab-

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 24, 20. Juni 1920, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine24_1920/7>, abgerufen am 21.11.2024.