Allgemeine Zeitung, Nr. 24, 20. Juni 1920.Allgemeine Zeitung 20. Juni 1920 [Spaltenumbruch]
hängige Studienrat Paul Oestreich, ruft in einer Ab- Wie gefährlich diese Leute in ihrer sinnlosen Joeologie Glücklicherweise sind aber auch noch andere, wertvollere Erziehungsideals handelt. Noch wichtiger aber als der theo- Von der Reichsschulkonferenz aber darf man erwarten, Eine wirklich gesunde Neuordnung unseres Schul- Theater und Musik Münchener Theater. Prinzregenten-Theater. Aus Lope de Vegas' Stoff [irrelevantes Material]
Allgemeine Zeitung 20. Juni 1920 [Spaltenumbruch]
hängige Studienrat Paul Oeſtreich, ruft in einer Ab- Wie gefährlich dieſe Leute in ihrer ſinnloſen Joeologie Glücklicherweiſe ſind aber auch noch andere, wertvollere Erziehungsideals handelt. Noch wichtiger aber als der theo- Von der Reichsſchulkonferenz aber darf man erwarten, Eine wirklich geſunde Neuordnung unſeres Schul- Theater und Muſik Münchener Theater. Prinzregenten-Theater. Aus Lope de Vegas’ Stoff [irrelevantes Material]
<TEI> <text> <body> <div type="jVarious" n="1"> <div type="jComment" n="2"> <pb facs="#f0008" n="230"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Allgemeine Zeitung</hi> 20. Juni 1920</fw><lb/> <cb/> <p>hängige Studienrat Paul <hi rendition="#g">Oeſtreich,</hi> ruft in einer Ab-<lb/> rechnung dem ihm allzu weichen und zaghaften preußi-<lb/> ſchen Kultusminiſter Konrad Häniſch wörtlich zu: „Konrad,<lb/> werde hart! Konrad, vermittle nicht mehr! Wir ſind wenige,<lb/> aber rückſichtsloſe Geſellen!“ Von ſolchem Geiſte ſind alle<lb/> Ausführungen getragen. Es herrſcht eitel Sturm und Drang.<lb/> Man rechnet kaum mit praktiſchen Möglichkeiten, man ſchleu-<lb/> dert nur Ideen in die Maſſen, oft genug in ſcharfem Wider-<lb/> ſpruch zueinander. Bezeichnend iſt ihre Auffaſſung vom<lb/> Weſen der Freiheit. Oberlehrer <hi rendition="#g">Karſen,</hi> jetzt Direktor der<lb/> ehemaligen Kadettenanſtalt in Groß-Lichterfelde, eifert feurig<lb/> gegen jede äußere Autorität, möge ſie Vater oder Lehrer oder<lb/> Vorgeſetzter ausüben wollen, und verkündet in großen Tönen<lb/> das innere Recht des Menſchen, auch des Kindes. Aber<lb/><hi rendition="#g">Oeſtreich</hi> wettert gegen jene mutigen Schüler, die ihre<lb/> deutſchnationale Geſinnung bekunden, und ruft ſofort die<lb/> volle Autorität des Herrn Miniſters gegen dieſe Schulbuben<lb/> auf; wer ſich dem neuen Geiſte nicht füge, müſſe eben über<lb/> die Klinge ſpringen. Und Herr <hi rendition="#g">Direktor Karſen</hi> ſelbſt<lb/> wirſt jetzt die armen Kadetten, die ihr Recht auf chriſtliche<lb/> und nationale Erziehung geltend machen, erbarmungslos auf<lb/> die Straßen — alles Kriegerwaiſen! Das iſt aber die wahre<lb/> Freiheit.</p><lb/> <p>Wie gefährlich dieſe Leute in ihrer ſinnloſen Joeologie<lb/> ſind, mag noch ein Beiſpiel zeigen. 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Das iſt ungefähr das Stärkſte, was dieſe reifen<lb/> Pädagogen und Volkserzieher ſich leiſten, aber ihre ſonſtigen<lb/> Anſchauungen über Staat, Volkstum, Sittlichkeit und andere<lb/> Güter, die wir früher hochzuſchätzen gewohnt waren, ſtehen<lb/> auf gleicher Höhe, auf derſelben etwa wie das Schulpro-<lb/> gramm der Unabhängigen ſozialdemokratiſchen Partei, das<lb/> ſoeben von deren Zentraikomitee veröffentlicht wird und<lb/> nichts Geringeres als die „Sozialiſierung der Familie“ er-<lb/> ſtrebt. — Das Leſen dieſes Buches iſt weiteſten Kreiſen der<lb/> Philologen und der Elternſchaft, beſonders ſoweit ſie den<lb/> bürgerlichen Parteien angehören, zu empfehlen. Denn es<lb/> muß allgemein bekannt werden, was uns blüht, wenn dieſe<lb/> Herrſchaften den Sieg davontragen. 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Solches Material hätte auch das<lb/> „Handbuch“ bringen ſollen; denn von den Leuten, die pflicht-<lb/> gemäß zu den einzelnen Fragen der Schulreform Stellung zu<lb/> nehmen haben, war zu verlangen, daß ſie die Quellen kennen<lb/> und aus ihnen ihre Anſicht gewönnen.</p><lb/> <p>Von der Reichsſchulkonferenz aber darf man erwarten,<lb/> daß dort auch nicht alles ſo heiß gegeſſen wird, wie man es<lb/> kocht. Heinrich Schulz ſagt ſelbſt von ihr — und das iſt wirk-<lb/> lich ſtaatsmänniſche Weisheit —, unſere Hoffnung dürfe ſich<lb/> nicht auf Mehrheitsbeſchlüſſe einſtellen, die etwa der zukünf-<lb/> tigen Reichsſchulgeſetzgebung eine gebundene Marſchroute zu<lb/> geben hätten. Dazu iſt das deutſche Schulweſen noch zu ſehr<lb/> in gärender Bewegung. Aber ſie wird viel Material zuſam-<lb/> menbringen, vielleicht ſogar ſchätzenswertes; ob es „an in-<lb/> nerer Bedeutung unübertrefflich“ ſein wird, wie Herr Schulz<lb/> in ſtolzer Vaterfreude etwas voreilig meint, werden erſt die<lb/> Verhandlungen ſelbſt lehren müſſen.</p><lb/> <p>Eine wirklich <hi rendition="#g">geſunde</hi> Neuordnung unſeres Schul-<lb/> weſens dürfen wir erſt erhoffen, wenn das deutſche Volk<lb/> wieder geſundet und aus dem Taumel aller böſen Leiden-<lb/> ſchaften erwacht ſein wird, in dem es ſich bis jetzt ſelbſt zer-<lb/> fleiſcht. 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Allgemeine Zeitung 20. Juni 1920
hängige Studienrat Paul Oeſtreich, ruft in einer Ab-
rechnung dem ihm allzu weichen und zaghaften preußi-
ſchen Kultusminiſter Konrad Häniſch wörtlich zu: „Konrad,
werde hart! Konrad, vermittle nicht mehr! Wir ſind wenige,
aber rückſichtsloſe Geſellen!“ Von ſolchem Geiſte ſind alle
Ausführungen getragen. Es herrſcht eitel Sturm und Drang.
Man rechnet kaum mit praktiſchen Möglichkeiten, man ſchleu-
dert nur Ideen in die Maſſen, oft genug in ſcharfem Wider-
ſpruch zueinander. Bezeichnend iſt ihre Auffaſſung vom
Weſen der Freiheit. Oberlehrer Karſen, jetzt Direktor der
ehemaligen Kadettenanſtalt in Groß-Lichterfelde, eifert feurig
gegen jede äußere Autorität, möge ſie Vater oder Lehrer oder
Vorgeſetzter ausüben wollen, und verkündet in großen Tönen
das innere Recht des Menſchen, auch des Kindes. Aber
Oeſtreich wettert gegen jene mutigen Schüler, die ihre
deutſchnationale Geſinnung bekunden, und ruft ſofort die
volle Autorität des Herrn Miniſters gegen dieſe Schulbuben
auf; wer ſich dem neuen Geiſte nicht füge, müſſe eben über
die Klinge ſpringen. Und Herr Direktor Karſen ſelbſt
wirſt jetzt die armen Kadetten, die ihr Recht auf chriſtliche
und nationale Erziehung geltend machen, erbarmungslos auf
die Straßen — alles Kriegerwaiſen! Das iſt aber die wahre
Freiheit.
Wie gefährlich dieſe Leute in ihrer ſinnloſen Joeologie
ſind, mag noch ein Beiſpiel zeigen. Ein 31jähriger Berliner
Oberlehrer Felix Emmel verbreitet ſich über den „Gefühls-
gehalt in der neuen Erziehung“ und regt ſich heftig über die
„verderbliche, raſende Wirkung des Geſchlechtstriebes“ auf
Er fordert „Triebbejahung. Die Schule muß Mut zu rückhalt-
loſer Offenheit in allen körperlichen Dingen finden. Knaben
und Mädchen müſſen zuſammen erzogen werden und von
früh an ſich an den Anblick ihrer nackten Körper ge-
wöhnen. Die geſchlechtliche Unterweiſung muß zwanglos und
offen erfolgen.“ Er verlangt außerdem ein „Pauſenjahr“ für
die Zeit von 14—15 Jahren, das „jene Erlebniserzie-
hung vermitteln ſoll, die den Eros für das ſittliche Leben
mobiliſiert“. Das iſt ungefähr das Stärkſte, was dieſe reifen
Pädagogen und Volkserzieher ſich leiſten, aber ihre ſonſtigen
Anſchauungen über Staat, Volkstum, Sittlichkeit und andere
Güter, die wir früher hochzuſchätzen gewohnt waren, ſtehen
auf gleicher Höhe, auf derſelben etwa wie das Schulpro-
gramm der Unabhängigen ſozialdemokratiſchen Partei, das
ſoeben von deren Zentraikomitee veröffentlicht wird und
nichts Geringeres als die „Sozialiſierung der Familie“ er-
ſtrebt. — Das Leſen dieſes Buches iſt weiteſten Kreiſen der
Philologen und der Elternſchaft, beſonders ſoweit ſie den
bürgerlichen Parteien angehören, zu empfehlen. Denn es
muß allgemein bekannt werden, was uns blüht, wenn dieſe
Herrſchaften den Sieg davontragen. Man muß den Gegner
genau kennen, um den Kampf gegen ihn erfolgreich aufneh-
men zu können.
Glücklicherweiſe ſind aber auch noch andere, wertvollere
Hilfsmittel vorhanden, um ein Bild von der Lage der Schul-
reformbeſtrebungen zu gewinnen, auch für ſolche, die nicht
die Möglichkeit haben, ſich ſelbſt durch die faſt ſchon unüber-
ſehbar gewordene Maſſe der pädagogiſchen Literatur hin-
durchzuarbeiten. Da iſt namentlich ein drittes Sammelweck
zu nennen, das von katholiſcher Seite ausgeht, ſich aber durch
hervorragende Sachlichkeit und Unparteilichkeit auszeichnet:
„Schulſorderungen der Gegenwart“, herausge-
geben für den Ausſchuß für Fragen der Schulreform, Verein
Kathol. Deutſcher Lehrerinnen und Verband Kath. Ober-
lehrerinnen Deutſchlands, von A. Pfennings und M.
Rüberg (Paderborn, Ferd. Schöningh, 1919; 171 Seiten,
6.25 M.). Seinem Urſprunge nach iſt es ſelbſtverſtändlich,
daß die katholiſche Weltanſchauung für die Stellungnahme bei
der Erörterung von allerhand beſonderen Erziehungs- und
Bildungsfragen, die den erſten Teil umfaſſen, ausſchlag-
gebend iſt. Aber alle Darlegungen ſind ſo ſachlich und ver-
ſtändnisvoll gehalten, daß ſie jeder auf chriſtlichem Boden
ſtehende Leſer, auch der proteſtantiſche, in allen grundlegen-
den Hauptſachen — abgeſehen von den menigen ausſchließlich
konfeſſionellen Punkten — als zutreffend anerkennen kann;
denn die Verfaſſer ſind ſich durchweg vollbewußt, daß es ſich
bei unſerer Schulreform nicht ſo ſehr um Bekenntnisfragen
als vielmehr um Sein oder Nichtſein des chriſtlichen
Erziehungsideals handelt. Noch wichtiger aber als der theo-
retiſche Teil mit ſeinen Einzelaufſätzen iſt der Inhalt des
zweiten Teiles; dieſer bringt eine ganz vorzügliche Zu-
ſammenſtellung von Quellenſtoff, wie man ſie ſonſt nirgends
findet. Er enthält alle wichtigen, bis etwa zum Herbſt
1919 vorliegenden Schulprogramme der Gegenwart,
der großen Lehrer- und Lehrerinnenverbände und -vereine
aller Gruppen, der katholiſchen und evangeliſchen, der preußt-
ſchen und außerpreußiſchen, der Oberlehrerſchaft, der poli-
tiſchen Parteien mit Einſchluß der Sozialdemokraten und
jungſozialen Lehrer und ſchließlich auch noch die einſchlägigen
Artikel der Verfaſſung und den vom preußiſchen Kultus-
miniſterium aufgeſtellten Entwurf über die Neuordnung des
deutſchen Schulweſens. Solches Material hätte auch das
„Handbuch“ bringen ſollen; denn von den Leuten, die pflicht-
gemäß zu den einzelnen Fragen der Schulreform Stellung zu
nehmen haben, war zu verlangen, daß ſie die Quellen kennen
und aus ihnen ihre Anſicht gewönnen.
Von der Reichsſchulkonferenz aber darf man erwarten,
daß dort auch nicht alles ſo heiß gegeſſen wird, wie man es
kocht. Heinrich Schulz ſagt ſelbſt von ihr — und das iſt wirk-
lich ſtaatsmänniſche Weisheit —, unſere Hoffnung dürfe ſich
nicht auf Mehrheitsbeſchlüſſe einſtellen, die etwa der zukünf-
tigen Reichsſchulgeſetzgebung eine gebundene Marſchroute zu
geben hätten. Dazu iſt das deutſche Schulweſen noch zu ſehr
in gärender Bewegung. Aber ſie wird viel Material zuſam-
menbringen, vielleicht ſogar ſchätzenswertes; ob es „an in-
nerer Bedeutung unübertrefflich“ ſein wird, wie Herr Schulz
in ſtolzer Vaterfreude etwas voreilig meint, werden erſt die
Verhandlungen ſelbſt lehren müſſen.
Eine wirklich geſunde Neuordnung unſeres Schul-
weſens dürfen wir erſt erhoffen, wenn das deutſche Volk
wieder geſundet und aus dem Taumel aller böſen Leiden-
ſchaften erwacht ſein wird, in dem es ſich bis jetzt ſelbſt zer-
fleiſcht. Dann aber wird es gelten. drei wichtigſte Grund-
forderungen aufzuſtellen und durchzuführen: Erziehung un-
ſeres Nachwuchſes zu Arbeitſamkeit, Pflichtge-
fühl und zu ſtarker Liebe, Erkenntnis und Schätzung
deutſchen Volkstums.
—tz.—.
Theater und Muſik
Münchener Theater.
Prinzregenten-Theater. Aus Lope de Vegas’ Stoff
„Las pazes de los Reyes y Judia de Toledo“ von Grillparzer
mit den modernen Mitteln ſeiner eigenen Zeit geformt und aus
den Anſchauungen des 19. Jahrhunderts geſtaltet, bleibt die
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(2023-04-24T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
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