Allgemeine Zeitung, Nr. 24, 20. Juni 1920.20. Juni 1920 Allgemeine Zeitung [Spaltenumbruch]
Jüdin von Toledo stets problematisch, denn unser vertiefteres Walter Reymer ist ganz der reflektierende, in seiner Schwäche Theater am Gärtnerplatz. Viktor Jacobis neuestes Feuilleton Klytämestra. * Klytämestra. Aegisth. * Die Szene ist ein Gemach im Palaste. Jm Hintergrund Wenn der Vorhang aufgeht, hört man den Todesschrei * Klytämestra: Ah -- -- was war das! -- -- Schau- geopfert! -- -- Geopfert? -- Nein, nein! Geschlachiet hab Aegisth (kommt scheu und vorsichtig): Gelang es? -- Klytämestra (fährt mit einem Schrei auf): Wer -- Aegisth: Nun --? Klytämestra (schwer): Er fiel -- -- Aegifth: O namenlose Freude! -- Liebste! Klytämestra: Schweig stille, Mann! Aegisth: Wie? -- Sollen wir nicht jubeln, daß wir Klytämestra: Du lachst -- -- -- und ich verzweifle! Aegisth: Warum? Sind wir doch so glücklich -- jetzt, [irrelevantes Material]
20. Juni 1920 Allgemeine Zeitung [Spaltenumbruch]
Jüdin von Toledo ſtets problematiſch, denn unſer vertiefteres Walter Reymer iſt ganz der reflektierende, in ſeiner Schwäche Theater am Gärtnerplatz. Viktor Jacobis neueſtes Feuilleton Klytämeſtra. * Klytämeſtra. Aegiſth. * Die Szene iſt ein Gemach im Palaſte. Jm Hintergrund Wenn der Vorhang aufgeht, hört man den Todesſchrei * Klytämeſtra: Ah — — was war das! — — Schau- geopfert! — — Geopfert? — Nein, nein! Geſchlachiet hab Aegiſth (kommt ſcheu und vorſichtig): Gelang es? — Klytämeſtra (fährt mit einem Schrei auf): Wer — Aegiſth: Nun —? Klytämeſtra (ſchwer): Er fiel — — Aegifth: O namenloſe Freude! — Liebſte! Klytämeſtra: Schweig ſtille, Mann! Aegiſth: Wie? — Sollen wir nicht jubeln, daß wir Klytämeſtra: Du lachſt — — — und ich verzweifle! Aegiſth: Warum? Sind wir doch ſo glücklich — jetzt, [irrelevantes Material]
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Dielleicht kam der erſtere im An-<lb/> fang vor der Begegnung mit Rahel etwas zu kurz, denn das<lb/> innerlich Unſtete tritt ja erſt unter dem Einfluß der Jüdin in<lb/> Erſcheinung. Am überzeugendſten wirkte Reymer in den Schluß-<lb/> ſzenen des zweiten und vierten Aktes, wo Rhetorik und Spiel<lb/> ſich zu plaſtiſchem Erleben formten. Es war eine noch nicht<lb/> völlig ausgereifte, aber verheißungsvolle Leiſtung. Helene Rit-<lb/> ſcher wußte den Weg zu Grillparzers Stil nicht zu finden und<lb/> verſchob dadurch das Profil des Dramas. Sie lebte und pulſierte,<lb/> eigenſinnig, verträumt, eitel und in ſinnlichſter Triebhaftigkeit,<lb/> ließ aber die ihr namentlich zu Beginn eigene kindliche Ver-<lb/> zagtheit, ja naive Anmut, vermiſſen. Als Einzelgeſtaltung gewiß<lb/> von Bedeutung, aber aus dem Rahmen Grillparzers fallend.<lb/> Emil Höfers mit einfachen Strichen gezeichneter Jude Jſaak<lb/> ſtand im Schatten unſeres bisherigen, jahrzehntelangen Ver-<lb/> treters Alois Wohlmuth, deſſen ausgezeichnete Verkörperung<lb/> längſt klaſſiſch geworden iſt. Fräulein Perſing als Eleonore<lb/> blieb um ſchlichte Größe bemüht, während Frau v. Jacobi über<lb/> die Schablone nicht hinauskam. Würdig im Männerſtolz vor<lb/> Königsthronen ſtand Georg Putſcher als aufrechter Manriquez.<lb/> Szeniſch war von einer Neueinſtudierung wenig zu ſpüren, es<lb/> war alles altes Theater im Sinne einer vergangenen Zeit.</p> </div><lb/> <div type="jComment" n="3"><lb/> <p><hi rendition="#g">Theater am Gärtnerplatz.</hi> Viktor Jacobis neueſtes<lb/> Opus „Sybill“ zeigt in Handlung, muſikaliſcher Erfindung und<lb/> Sorgfalt der Ausarbeitung Anſätze zur Beſſerung aus ſchier<lb/> hoffnungsloſem Tiefſtand der zeitgenöſſiſchen Operette. 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Rudolf Seibold hatte als „auf den<lb/> Kopf gefallener“ Jmpreſario Poire die Lacher auf ſeiner Seite<lb/> und Mizzi Weißmann war ihm eine ebenbürtige Partnerin.<lb/> Graſelli erwies ſich wieder als ein Regiſſeur von Phantaſie<lb/> und Geſchmack und Werther hielt ſein leider noch immer zu<lb/> dünnes Orcheſter mit kräftiger Hand zuſammen. Ein ohne<lb/> Zweifel erfreulicher Abend. Trotzdem, wie wäre es mit der<lb/> Neubelebung einer guten Operette der klaſſiſchen Zeit?</p><lb/> <byline>Dr. Ed. <hi rendition="#g">Scharrer-Santen.</hi></byline> </div> </div> </div><lb/> <div type="jFeuilleton" n="1"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Feuilleton</hi> </hi> </head><lb/> <div xml:id="a02a" next="#a02b" type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Klytämeſtra.</hi> </hi> </head><lb/> <byline> <hi rendition="#c">Von Heinz W. 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20. Juni 1920 Allgemeine Zeitung
Jüdin von Toledo ſtets problematiſch, denn unſer vertiefteres
pſychologiſches Empfinden fühlt ſich unbefriedigt. Alfonſos
Moral, insbeſondere ſein brutales Abwenden von der toten
Rahel, iſt nicht die unſrige. Jn Erkenntnis dieſes Mangels hat
der Dichter ſein Werk ſtark, allzuſtark mit Reflexion belaſtet,
zum Schaden des dramatiſchen Lebens. Wenn das Drama aber
heute noch hoch gewertet wird, ſo liegt dies in der erhellten,
gegenſätzlichen Charakterſchilderung des Königs und der Jüdin.
Walter Reymer iſt ganz der reflektierende, in ſeiner Schwäche
durch neue und aber neue Scheingründe ſich Cäuſchende. Halb
Herrſcher, halb Liebhaber. Dielleicht kam der erſtere im An-
fang vor der Begegnung mit Rahel etwas zu kurz, denn das
innerlich Unſtete tritt ja erſt unter dem Einfluß der Jüdin in
Erſcheinung. Am überzeugendſten wirkte Reymer in den Schluß-
ſzenen des zweiten und vierten Aktes, wo Rhetorik und Spiel
ſich zu plaſtiſchem Erleben formten. Es war eine noch nicht
völlig ausgereifte, aber verheißungsvolle Leiſtung. Helene Rit-
ſcher wußte den Weg zu Grillparzers Stil nicht zu finden und
verſchob dadurch das Profil des Dramas. Sie lebte und pulſierte,
eigenſinnig, verträumt, eitel und in ſinnlichſter Triebhaftigkeit,
ließ aber die ihr namentlich zu Beginn eigene kindliche Ver-
zagtheit, ja naive Anmut, vermiſſen. Als Einzelgeſtaltung gewiß
von Bedeutung, aber aus dem Rahmen Grillparzers fallend.
Emil Höfers mit einfachen Strichen gezeichneter Jude Jſaak
ſtand im Schatten unſeres bisherigen, jahrzehntelangen Ver-
treters Alois Wohlmuth, deſſen ausgezeichnete Verkörperung
längſt klaſſiſch geworden iſt. Fräulein Perſing als Eleonore
blieb um ſchlichte Größe bemüht, während Frau v. Jacobi über
die Schablone nicht hinauskam. Würdig im Männerſtolz vor
Königsthronen ſtand Georg Putſcher als aufrechter Manriquez.
Szeniſch war von einer Neueinſtudierung wenig zu ſpüren, es
war alles altes Theater im Sinne einer vergangenen Zeit.
Theater am Gärtnerplatz. Viktor Jacobis neueſtes
Opus „Sybill“ zeigt in Handlung, muſikaliſcher Erfindung und
Sorgfalt der Ausarbeitung Anſätze zur Beſſerung aus ſchier
hoffnungsloſem Tiefſtand der zeitgenöſſiſchen Operette. Die
endlich einmal nicht albernen Vorgänge mit leicht tragiſchem
Anklang ſind getragen von einer wohligen, anſchmiegenden
Muſik, ſlawiſch ſentimental leicht orientiert. Sybills Auftritt
im Briefmonolog und ihr Liebesduett mit dem Großfürſten im
zweiten Akt zeigen neben Melodie auch Begabung zu thema-
tiſcher Geſtaltung. Freilich fanden dieſe Hauptträger der
Operette — Sybill und Großfürſt — in Tina Hellina und Emil
Graf Vertreter, an denen man ſeine helle Freude haben konnte.
In ausgezeichneter ſtimmlicher Dispoſition wurden ſie raſch zum
Mittelpunkt des Intereſſes und erfreuten noch durch einen mit
Geſchmack getanzten Jazz. Rudolf Seibold hatte als „auf den
Kopf gefallener“ Jmpreſario Poire die Lacher auf ſeiner Seite
und Mizzi Weißmann war ihm eine ebenbürtige Partnerin.
Graſelli erwies ſich wieder als ein Regiſſeur von Phantaſie
und Geſchmack und Werther hielt ſein leider noch immer zu
dünnes Orcheſter mit kräftiger Hand zuſammen. Ein ohne
Zweifel erfreulicher Abend. Trotzdem, wie wäre es mit der
Neubelebung einer guten Operette der klaſſiſchen Zeit?
Dr. Ed. Scharrer-Santen.
Feuilleton
Klytämeſtra.
Von Heinz W. L. Doering
*
Klytämeſtra.
Aegiſth.
*
Die Szene iſt ein Gemach im Palaſte. Jm Hintergrund
ein ſchwerer, dunkelroter Vorhang. — Nacht, Mondſchein.
Wenn der Vorhang aufgeht, hört man den Todesſchrei
eines Ermordeten und deſſen dumpfen Fall. Gleich darauf
kommt Klytämeſtra in wilder Erregung hinter dem
Vorhang hervorgeſtürzt. Jn der ſchlaff herabhängenden Rech-
ten hält ſie noch mechaniſch das Mordbeil, mit der Linken
klammert ſie ſich an dem Vorhang feſt, um nicht zuſammen-
zubrechen. Schwer atmend ſteht ſie einige Augenblicke völlig
erſchöpft.
*
Klytämeſtra: Ah — — was war das! — — Schau-
derſt du nicht? — — Jch? — — Jch nicht! — — — Es iſt
ſo ſtill hier — ſo totenſtille! — — Kein Haß mehr — — alles
ſchweigt. — Horch! Nur ſein rinnendes Blut tropft leiſe zu
Boden und der bleiche Mondſtrahl glitzert geſpenſtig in der
roten Lache. — — Dein Blut, Agamemnon! — Für Rache
geopfert! — — Geopfert? — Nein, nein! Geſchlachiet hab
ich! — (Sie bemerkt das Beil und ſchleudert es von ſich.)
Fort! Mir ekelt! Mir graut vor dir! — (Sie ſinkt ſchwer
in einen Seſſel.) — Geſchlachtet — wie der Henker einen ver-
verendenden Stier. — — Jſt das meine Rache? Das?
Das! — — (Sie ſtöhnt ſchwer auf und verſinkt in düſteres
Brüten.)
Aegiſth (kommt ſcheu und vorſichtig): Gelang es? —
— Iſt er —? — Sprich doch! — — Rede! — — (Er rührt
ſie an der Schulter an.)
Klytämeſtra (fährt mit einem Schrei auf): Wer —
— Ah, du — —
Aegiſth: Nun —?
Klytämeſtra (ſchwer): Er fiel — —
Aegifth: O namenloſe Freude! — Liebſte!
Klytämeſtra: Schweig ſtille, Mann!
Aegiſth: Wie? — Sollen wir nicht jubeln, daß wir
nicht mehr vor ihm zu zittern brauchen, wenn wir uns in
den Armen liegen? — Welch Glück!
Klytämeſtra: Du lachſt — — — und ich verzweifle!
Aegiſth: Warum? Sind wir doch ſo glücklich — jetzt,
wo wir frei uns lieben, beſitzen, genießen können!
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(2023-04-24T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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