Allgemeine Zeitung, Nr. 32, 1. Februar 1850.
* Wien, 28 Jan. Sie werden vielleich: im gestrigen "Oesterrei- ss Wien, 28 Jan. Wir sind doch nicht in so hoffnungsloser
* Wien, 28 Jan. Sie werden vielleich: im geſtrigen „Oeſterrei- ss Wien, 28 Jan. Wir ſind doch nicht in ſo hoffnungsloſer <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div type="jArticle" n="4"> <p><pb facs="#f0006" n="502"/><lb/><cb/> Rothſchild unterhandelt wird. Der Hof von Neapel ſoll dieſe Anleihe<lb/> garantiren, da er ebenſowohl wie der Wiener die dringende Nothwendig-<lb/> keit einer baldigen Wiederherſtellung der päpſtlichen Gewalt zu Rom er-<lb/> kannt hat. Der Erzherzog Albrecht kehrt übermorgen nach Prag zurück;<lb/> er ſoll nach Wien gekommen ſeyn um ſeine letzten Inſtructionen zu holen.<lb/> Die Herzogin von Augoulème und der Herzog von Bordeaux befinden ſich<lb/> in Venedig. Man erzählt ſich daß viele Legitimiſten hier anweſend ſind.<lb/> In den höhern Kreiſen circulirt eine ſehr niedliche Vignette, die den Na-<lb/> men Heinrichs <hi rendition="#aq">V</hi> in einer Lilienkrone mit der Unterſchrift trägt: „Frank-<lb/> reich vergißt Dich nicht!“ Die Nachrichten von der Exredition Mamula’s<lb/> lauten zufriedenſtellend; der Oberſt iſt ohne Widerſtand in Cattaro ein-<lb/> gerückt. Man hofft den Auſſtand ohne viel Blutvergießen unterdrücken<lb/> zu können. Die Montenegriner bleiben ruhig. Ihr Bladika Petrowitſch<lb/> liegt ſchwer krank.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline>* <hi rendition="#b">Wien,</hi> 28 Jan.</dateline><lb/> <p>Sie werden vielleich: im geſtrigen „Oeſterrei-<lb/> chiſchen Correſpondenten“ mit Befremden einen Aufſatz über die jetzigen<lb/> Preßzuſtände geleſen haben, worin ſie ſo kläglich geſchildert werden wie<lb/> damals als Kaiſer Joſeph <hi rendition="#aq">II</hi> die Cenſur aufhob. Obgleich der Artikel<lb/> aus einer guten Feder gefloſſen iſt und am Schluſſe eine bittere Wahrheit<lb/> enthält, ſo würde man nur fälſchlich ein Gewicht auf die Aeußerungen<lb/> dieſes Blattes legen. Fürſt Schwarzenberg iſt allerdings der Patron des<lb/> Journals, allein nur höchſt ſelten wird es benutzt über gewiſſe Anſichten<lb/> des Miniſteriums eine Stimme laut werden zu laſſen. Die meiſten Ar-<lb/> tikel und auch der erwähnte kommen aus unſchuldigen Herzen und find die<lb/> Ergüſſe ſehr ſtiller Leute. Intereſſant iſt für uns der Bericht der Wiener<lb/> Sternwarte über unſere meteorologiſchen Errungenſchaften; ſeit dieſes<lb/> Inſtitut beſteht, nämlich ſeit 1775, iſt eine Kälte von — 20º,4 noch nicht<lb/> beobachtet worden; der niedrigſte Stand des Thermometers ſeit jener Zeit<lb/> zeigte im Jahr 1785 doch nur — 18º,3. — Heute kommt der Fauſt im<lb/> Burgtheater zur Aufführung, Hr. Wagner aus Berlin gibt die Titelrolle;<lb/> wenn er aber nicht einen andern Fauſt bringt als er in Berlin und Leip-<lb/> zig früher brachte, dürfte er bei den Wienern wenig Glück in dieſer Rolle<lb/> machen. Unſer Faſching iſt verhältnißmäßig ſtill. <hi rendition="#aq">L’Autriche s’attriste!</hi><lb/> ſagt man von gewiſſen Seiten, aber mit Unrecht. Die Wiener ſind ern-<lb/> ſter und gelaſſener geworden, das kindiſche Spielzeug von ehedem ſagt<lb/> ihnen nicht mehr zu. Nebenbei aber wirkt noch ein anderer Grund, die<lb/> beiſpielloſe Vertheuerung des Lebens, welche großentheils eine Folge un-<lb/> ſerer papiergeſegneten Finanzzuſtände iſt. Die Peſther Zeitung macht in<lb/> einem ſehr verſtändigen Artikel auf die Albernheit aufmerkſam daß die<lb/> Silberſcheidemünze noch immer aufgehäuft wird. Von den für 9 Mill.<lb/> ausgeprägten 6 Kreuzerſtücken läßt ſich gar nichts mehr ſehen, und doch<lb/> hat dieſe Münze ſo wenig Feingehalt daß die preußiſche und bayeriſche<lb/> Regierung ſie ſtreng verpönten!</p> </div><lb/> <div type="jComment" n="4"><lb/> <dateline><hi rendition="#aq">ss</hi><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Wien</hi>,</hi> 28 Jan.</dateline><lb/> <p>Wir ſind doch nicht in ſo hoffnungsloſer<lb/> Lage als es in trüben Stunden manchmal ſcheinen mag, zwar können<lb/> wir uns noch immer über die Langſamkeit beſchweren womit man in<lb/> Wien zu einem Entſchluß gelangt, indeſſen hat dieſe Langſamkeit, weil<lb/> ſie ein Kind der Vorſicht iſt, auch bedeutende Vortheile. Oeſterreich hat<lb/> verblümt und offen erklärt ſeine Vorſchläge nicht eher laut werden zu<lb/> laſſen als bis die Mittel zum Durchſetzen bereits vorhanden. Die Armee<lb/> in Böhmen, wie ich Ihnen ſtets verſichert, hat keine militäriſchen Zwecke.<lb/> Auch mußte die große ungariſche Armee doch irgendwo untergebracht<lb/> werden, wenn ſie einer Provinz allein und noch dazu dem ſehr erſchöpften<lb/> Ungarn nicht überläſtig werden ſollte. Es lag auch ſehr nahe Böhmen<lb/> zum Standquartier zu wählen, welches von allen Kronländern während<lb/> der letzten Kriege am wenigſten von Truppen gedrückt worden. Allein<lb/> die Aufſtellung dicht an der ſächſiſchen Gränze, ebenſo wie die Verbindung<lb/> Badens mit Vorarlberg durch den Bodenſee iſt gewiß nicht bedeutungs-<lb/> los. Sachſen wie Baden ſtehen unter dem Einfluß Preußens, und wenn<lb/> man auch weit entfernt iſt ſichtliche Gewalt irgendwem anzuthun, ſo ergibt<lb/> ſich doch von ſelbſt daß jene nahgerückten Truppenkörper auf die Ent-<lb/> ſchlüſſe in Karlsruhe und Dresden derart wirken daß man an beiden<lb/> Orten fühlt, man könne ſich mit größerer Freiheit über das Anſinnen<lb/> der Preußen beſtimmen. Man zweifelt noch immer bei Ihnen an Oeſter-<lb/> reichs „deutſchen“ Abſichten. Ich kann Ihnen darüber nur oft Geſagtes<lb/> wiederholen: man kennt hier keine ſentimentale Politik, und um des<lb/> bloßen Gedankens willen rührt man hier keine Hand. Das Bild eines<lb/> mächtigen ſtrengdeutſchen Reiches mag und ſoll der Phantaſie Ihrer Pa-<lb/> trioten im Reich ſchmeicheln; der Oeſterreicher, der ſeit langem einem<lb/> großen Staat angehört, fühlt das weniger lebhaft, er fühlt es in der<lb/> Mehrzahl gar nicht. So herb es klingen mag, ich darf es nicht ver-<lb/> ſchweigen, denn die Wahrheit geht dem Plato vor. Wem es bis jetzt<lb/> noch nicht klar geweſen, der mag in folgendem einen ſchlagenden Beweis<lb/> dafür finden. Während bei uns in dem heißem Sturm der Revolution<lb/> Stichwörter auftauchten, wie „vollſtändigſtes Aufgehen in Deutſchland“,<lb/><cb/> hat man hier in Wien ſelbſt in den ſchwarz-roth-goldenſten Aufwallungen<lb/> niemals dieſe Worte gebraucht. Das Wiener Stichwort in der ganzen<lb/> Periode vom März bis October hieß nur „innigſter Anſchluß an Deutſch-<lb/> land.“ Man thut der großen Maſſe Unrecht, wenn man ihr allen poli-<lb/> tiſchen Sinn abſpricht: fehlt ihr auch ſtets das höhere Verſtändniß, ſo hat<lb/> ſie immer einen gewiſſen zuverläſſigen Inſtinct, und den kann man ihr<lb/> ablauſchen, wenn man die Stichwörter ſich anſieht die ſich im Volksmunde<lb/> erhalten haben, denn ſie ſind eine ähnliche Erſcheinung wie die Sprüch-<lb/> wörter. Geben wir alſo vorerſt die Hoffnung auf daß wir auf dem<lb/> Weg des Enthuſiasmus das politiſche Ganze zu Stande bringen, vielleicht<lb/> gelangen wir minder gefährlich und ſicherer durch Verſtandesgründe zu<lb/> demſelbem Ziel. Oeſterreich muß die Einigung Deutſchlands wollen in<lb/> doppelter Hinſicht, einmal als Großmacht, und dann wegen ſeiner deut-<lb/> ſchen Provinzen. Die geographiſche Lage zwingt Oeſterreich und Preußen<lb/> zur engen Allianz; wären ſie nicht durch ein Bündniß vereinigt, ſo hätten<lb/> beide Staaten ſich nach drei Seiten gegen fremde Mächte zu decken. Alle<lb/> Continentalſtaaten müſſen ihre militäriſchen Kräfte deſto höher anſpannen<lb/> jemehr ſie Landesgränzen zu vertheidigen haben. Frankreich braucht nur<lb/> die Rheinlinie zu decken, Rußland nur die polniſche Gränze, beide Staaten<lb/> können auch im günſtigen Moment die Offenſive ergreifen, denn ſie haben<lb/> eine Deckung des Rückens nie nöthig; Oeſterreich und Preußen wür-<lb/> den dagegen nur mit Gefahr angreifen, und darum iſt das ſogenannte<lb/> Mittelreich ein Staat des Friedens, der ſich immer nur vertheidigen wird.<lb/> Ohne eine enge Allianz Preußens und Oeſterreichs gibt es keine Garantie<lb/> daß ſich napoleoniſche Scenen wiederholen, mag der Napoleon in krapp-<lb/> rothen Hoſen vom Weſten, oder als Pikenreiter vom Oſten kommen.<lb/> Daß die Einigung mit Preußen, wie ſie aus den Wiener Verträgen ſich<lb/> herausgebildet, nicht zureichend feſt war, das hat Oeſterreich in den letzten<lb/> Jahren zu ſeinem Verluſt erfahren; ſtand man ſich doch vor wenig Mona-<lb/> ten noch ſo gegenüber daß man nicht wußte, ob man nicht mehr als einen<lb/> kühl gewordenen Freund an der Spree erblicken ſolle. Aus dem Drei-<lb/> königsverſuch mußte Oeſterreich merken daß ſein gefährlichſter Gegner in<lb/> Deutſchland ein dynaſtiſches Intereſſe war und die Allianz mit Preußen<lb/> auf viel zäberen Grund vor Anker gelegt werden müſſe, als den trügeriſchen<lb/> der Hoffreundſchaft. Wären auch nicht volkswirthſchaftliche Bedürfniſſe<lb/> mit im Spiel, der Plan des Hrn. v. Bruck zur Zolleinigung wäre ein<lb/> diplomatiſches Meiſterſtück, eben weil er der dynaſtiſchen Politik, welche<lb/> ſich in Sondergedanken gefiel, kurzweg ein Ende macht. Haben wir ein<lb/> Handelsgebiet, ſo wird ſich mit der Zeit die auswärtige Politik ſo ver-<lb/> ſchmelzen daß man ſpäter gar nicht mehr unterſcheiden kann zwiſchen<lb/> öſterreichiſcher und preußiſcher Politik. In dem Vorſchlägen welche<lb/> Oeſterreich jetzt vorlegen will, wird alſo ſehr ſcharf geſchieden werden<lb/> zwiſchen einer völkerrechtlichen, handelspolitiſchen und der eigentlichen<lb/> nationalen Einigung. Warum ſoll der Magyar, der Pole, der Italiener<lb/> in einer Handelsfrage mit dem Schwaben und Oſtpreußen nicht berathen<lb/> und ſtimmen können? Die zweite Rückſicht aus welcher Oeſterreich die<lb/> Einigung wollen muß und müſſen wird, ſind ſeine deutſchen Provinzen.<lb/> Ein geſunder verſtändiger Gedanke, wenn er einmal dem Menſchen ganz<lb/> klar geworden, hat in ſich die eigenthümliche Kraft daß er ſich nicht durch<lb/> einen minder guten verdrängen läßt; Oeſterreich durch koſtſpielige Er-<lb/> fahrungen gewitzigt, will einmal die Centraliſation, und es wird wenig-<lb/> ſtens die adminiſtrative niemals wieder aufgeben. Dagegen wenn man<lb/> überhaupt jemals daran dachte, geſteht man ſich ſchon jetzt ein daß vor-<lb/> ausſichtlich auf lange Zeit die legislatoriſche Einheit, die gänzliche und<lb/> vollſtändige Einheit nicht möglich ſey, ohne der Natur ſich ſelbſt rächende<lb/> Gewalt anzuthun. Um nur eins zu erwähnen, ſo denkt man nicht daran<lb/> Schwurgerichte für den ganzen Kaiſerſtaat einzuführen, Galizien, Ungarn<lb/> und Oberitalien werden dieſe Inſtitution nicht erhalten aus früher von mir<lb/> entwickelten Gründen. So wird es noch mit mehreren andern politiſchen<lb/> Inſtitutionen werden, und es ſcheint faſt als ob man noch in ganz andern<lb/> Stücken als in der politiſchen Verfaſſung den öſtlichen Kronländern eine<lb/> gewiſſe Sonderſtellung laſſen wollte. Dagegen iſt es unerläßlich daß<lb/> wenn der Verkehr mit Deutſchland geöffnet wird, auf einem gewiſſen Ge-<lb/> biet Einheit zwiſchen Deutſchland und den deutſchen Provinzen hergeſtellt<lb/> wird. Dieſes gewiſſe Gebiet iſt das politiſche Verhältniß der Bürger<lb/> zum Staat. Es iſt nothwendig z. B. daß wir dann in dem ganzen<lb/> Deutſchland ein Preßgeſetz, dasſelbe Geſetz über Verſammlungen und<lb/> Vereine, dasſelbe Geſetz über das Petitionsrecht haben. Nehmen Sie<lb/> einen concreten Fall an. Täglich leſen wir hier deutſche Zeitungen,<lb/> worin die öſterreichiſche Regierung auf die perfideſte Weiſe verdächtigt<lb/> wird. Wenn dieſe deutſchen Zeitungen das gegen die Regierung ſchrie-<lb/> ben unter welcher ſie ſtehen, ſo würde man ſie vor die Preßgerichte ziehen<lb/> können und vielleicht beſtrafen. Oeſterreich kann das nicht thun, es<lb/> könnte jetzt jene Blätter verbieten, ſpäter aber, wo wir einen gemeinſamen<lb/> Verkehr haben ſollen, würde auch das nicht angehen, es muß alſo eine<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [502/0006]
Rothſchild unterhandelt wird. Der Hof von Neapel ſoll dieſe Anleihe
garantiren, da er ebenſowohl wie der Wiener die dringende Nothwendig-
keit einer baldigen Wiederherſtellung der päpſtlichen Gewalt zu Rom er-
kannt hat. Der Erzherzog Albrecht kehrt übermorgen nach Prag zurück;
er ſoll nach Wien gekommen ſeyn um ſeine letzten Inſtructionen zu holen.
Die Herzogin von Augoulème und der Herzog von Bordeaux befinden ſich
in Venedig. Man erzählt ſich daß viele Legitimiſten hier anweſend ſind.
In den höhern Kreiſen circulirt eine ſehr niedliche Vignette, die den Na-
men Heinrichs V in einer Lilienkrone mit der Unterſchrift trägt: „Frank-
reich vergißt Dich nicht!“ Die Nachrichten von der Exredition Mamula’s
lauten zufriedenſtellend; der Oberſt iſt ohne Widerſtand in Cattaro ein-
gerückt. Man hofft den Auſſtand ohne viel Blutvergießen unterdrücken
zu können. Die Montenegriner bleiben ruhig. Ihr Bladika Petrowitſch
liegt ſchwer krank.
* Wien, 28 Jan.
Sie werden vielleich: im geſtrigen „Oeſterrei-
chiſchen Correſpondenten“ mit Befremden einen Aufſatz über die jetzigen
Preßzuſtände geleſen haben, worin ſie ſo kläglich geſchildert werden wie
damals als Kaiſer Joſeph II die Cenſur aufhob. Obgleich der Artikel
aus einer guten Feder gefloſſen iſt und am Schluſſe eine bittere Wahrheit
enthält, ſo würde man nur fälſchlich ein Gewicht auf die Aeußerungen
dieſes Blattes legen. Fürſt Schwarzenberg iſt allerdings der Patron des
Journals, allein nur höchſt ſelten wird es benutzt über gewiſſe Anſichten
des Miniſteriums eine Stimme laut werden zu laſſen. Die meiſten Ar-
tikel und auch der erwähnte kommen aus unſchuldigen Herzen und find die
Ergüſſe ſehr ſtiller Leute. Intereſſant iſt für uns der Bericht der Wiener
Sternwarte über unſere meteorologiſchen Errungenſchaften; ſeit dieſes
Inſtitut beſteht, nämlich ſeit 1775, iſt eine Kälte von — 20º,4 noch nicht
beobachtet worden; der niedrigſte Stand des Thermometers ſeit jener Zeit
zeigte im Jahr 1785 doch nur — 18º,3. — Heute kommt der Fauſt im
Burgtheater zur Aufführung, Hr. Wagner aus Berlin gibt die Titelrolle;
wenn er aber nicht einen andern Fauſt bringt als er in Berlin und Leip-
zig früher brachte, dürfte er bei den Wienern wenig Glück in dieſer Rolle
machen. Unſer Faſching iſt verhältnißmäßig ſtill. L’Autriche s’attriste!
ſagt man von gewiſſen Seiten, aber mit Unrecht. Die Wiener ſind ern-
ſter und gelaſſener geworden, das kindiſche Spielzeug von ehedem ſagt
ihnen nicht mehr zu. Nebenbei aber wirkt noch ein anderer Grund, die
beiſpielloſe Vertheuerung des Lebens, welche großentheils eine Folge un-
ſerer papiergeſegneten Finanzzuſtände iſt. Die Peſther Zeitung macht in
einem ſehr verſtändigen Artikel auf die Albernheit aufmerkſam daß die
Silberſcheidemünze noch immer aufgehäuft wird. Von den für 9 Mill.
ausgeprägten 6 Kreuzerſtücken läßt ſich gar nichts mehr ſehen, und doch
hat dieſe Münze ſo wenig Feingehalt daß die preußiſche und bayeriſche
Regierung ſie ſtreng verpönten!
ss Wien, 28 Jan.
Wir ſind doch nicht in ſo hoffnungsloſer
Lage als es in trüben Stunden manchmal ſcheinen mag, zwar können
wir uns noch immer über die Langſamkeit beſchweren womit man in
Wien zu einem Entſchluß gelangt, indeſſen hat dieſe Langſamkeit, weil
ſie ein Kind der Vorſicht iſt, auch bedeutende Vortheile. Oeſterreich hat
verblümt und offen erklärt ſeine Vorſchläge nicht eher laut werden zu
laſſen als bis die Mittel zum Durchſetzen bereits vorhanden. Die Armee
in Böhmen, wie ich Ihnen ſtets verſichert, hat keine militäriſchen Zwecke.
Auch mußte die große ungariſche Armee doch irgendwo untergebracht
werden, wenn ſie einer Provinz allein und noch dazu dem ſehr erſchöpften
Ungarn nicht überläſtig werden ſollte. Es lag auch ſehr nahe Böhmen
zum Standquartier zu wählen, welches von allen Kronländern während
der letzten Kriege am wenigſten von Truppen gedrückt worden. Allein
die Aufſtellung dicht an der ſächſiſchen Gränze, ebenſo wie die Verbindung
Badens mit Vorarlberg durch den Bodenſee iſt gewiß nicht bedeutungs-
los. Sachſen wie Baden ſtehen unter dem Einfluß Preußens, und wenn
man auch weit entfernt iſt ſichtliche Gewalt irgendwem anzuthun, ſo ergibt
ſich doch von ſelbſt daß jene nahgerückten Truppenkörper auf die Ent-
ſchlüſſe in Karlsruhe und Dresden derart wirken daß man an beiden
Orten fühlt, man könne ſich mit größerer Freiheit über das Anſinnen
der Preußen beſtimmen. Man zweifelt noch immer bei Ihnen an Oeſter-
reichs „deutſchen“ Abſichten. Ich kann Ihnen darüber nur oft Geſagtes
wiederholen: man kennt hier keine ſentimentale Politik, und um des
bloßen Gedankens willen rührt man hier keine Hand. Das Bild eines
mächtigen ſtrengdeutſchen Reiches mag und ſoll der Phantaſie Ihrer Pa-
trioten im Reich ſchmeicheln; der Oeſterreicher, der ſeit langem einem
großen Staat angehört, fühlt das weniger lebhaft, er fühlt es in der
Mehrzahl gar nicht. So herb es klingen mag, ich darf es nicht ver-
ſchweigen, denn die Wahrheit geht dem Plato vor. Wem es bis jetzt
noch nicht klar geweſen, der mag in folgendem einen ſchlagenden Beweis
dafür finden. Während bei uns in dem heißem Sturm der Revolution
Stichwörter auftauchten, wie „vollſtändigſtes Aufgehen in Deutſchland“,
hat man hier in Wien ſelbſt in den ſchwarz-roth-goldenſten Aufwallungen
niemals dieſe Worte gebraucht. Das Wiener Stichwort in der ganzen
Periode vom März bis October hieß nur „innigſter Anſchluß an Deutſch-
land.“ Man thut der großen Maſſe Unrecht, wenn man ihr allen poli-
tiſchen Sinn abſpricht: fehlt ihr auch ſtets das höhere Verſtändniß, ſo hat
ſie immer einen gewiſſen zuverläſſigen Inſtinct, und den kann man ihr
ablauſchen, wenn man die Stichwörter ſich anſieht die ſich im Volksmunde
erhalten haben, denn ſie ſind eine ähnliche Erſcheinung wie die Sprüch-
wörter. Geben wir alſo vorerſt die Hoffnung auf daß wir auf dem
Weg des Enthuſiasmus das politiſche Ganze zu Stande bringen, vielleicht
gelangen wir minder gefährlich und ſicherer durch Verſtandesgründe zu
demſelbem Ziel. Oeſterreich muß die Einigung Deutſchlands wollen in
doppelter Hinſicht, einmal als Großmacht, und dann wegen ſeiner deut-
ſchen Provinzen. Die geographiſche Lage zwingt Oeſterreich und Preußen
zur engen Allianz; wären ſie nicht durch ein Bündniß vereinigt, ſo hätten
beide Staaten ſich nach drei Seiten gegen fremde Mächte zu decken. Alle
Continentalſtaaten müſſen ihre militäriſchen Kräfte deſto höher anſpannen
jemehr ſie Landesgränzen zu vertheidigen haben. Frankreich braucht nur
die Rheinlinie zu decken, Rußland nur die polniſche Gränze, beide Staaten
können auch im günſtigen Moment die Offenſive ergreifen, denn ſie haben
eine Deckung des Rückens nie nöthig; Oeſterreich und Preußen wür-
den dagegen nur mit Gefahr angreifen, und darum iſt das ſogenannte
Mittelreich ein Staat des Friedens, der ſich immer nur vertheidigen wird.
Ohne eine enge Allianz Preußens und Oeſterreichs gibt es keine Garantie
daß ſich napoleoniſche Scenen wiederholen, mag der Napoleon in krapp-
rothen Hoſen vom Weſten, oder als Pikenreiter vom Oſten kommen.
Daß die Einigung mit Preußen, wie ſie aus den Wiener Verträgen ſich
herausgebildet, nicht zureichend feſt war, das hat Oeſterreich in den letzten
Jahren zu ſeinem Verluſt erfahren; ſtand man ſich doch vor wenig Mona-
ten noch ſo gegenüber daß man nicht wußte, ob man nicht mehr als einen
kühl gewordenen Freund an der Spree erblicken ſolle. Aus dem Drei-
königsverſuch mußte Oeſterreich merken daß ſein gefährlichſter Gegner in
Deutſchland ein dynaſtiſches Intereſſe war und die Allianz mit Preußen
auf viel zäberen Grund vor Anker gelegt werden müſſe, als den trügeriſchen
der Hoffreundſchaft. Wären auch nicht volkswirthſchaftliche Bedürfniſſe
mit im Spiel, der Plan des Hrn. v. Bruck zur Zolleinigung wäre ein
diplomatiſches Meiſterſtück, eben weil er der dynaſtiſchen Politik, welche
ſich in Sondergedanken gefiel, kurzweg ein Ende macht. Haben wir ein
Handelsgebiet, ſo wird ſich mit der Zeit die auswärtige Politik ſo ver-
ſchmelzen daß man ſpäter gar nicht mehr unterſcheiden kann zwiſchen
öſterreichiſcher und preußiſcher Politik. In dem Vorſchlägen welche
Oeſterreich jetzt vorlegen will, wird alſo ſehr ſcharf geſchieden werden
zwiſchen einer völkerrechtlichen, handelspolitiſchen und der eigentlichen
nationalen Einigung. Warum ſoll der Magyar, der Pole, der Italiener
in einer Handelsfrage mit dem Schwaben und Oſtpreußen nicht berathen
und ſtimmen können? Die zweite Rückſicht aus welcher Oeſterreich die
Einigung wollen muß und müſſen wird, ſind ſeine deutſchen Provinzen.
Ein geſunder verſtändiger Gedanke, wenn er einmal dem Menſchen ganz
klar geworden, hat in ſich die eigenthümliche Kraft daß er ſich nicht durch
einen minder guten verdrängen läßt; Oeſterreich durch koſtſpielige Er-
fahrungen gewitzigt, will einmal die Centraliſation, und es wird wenig-
ſtens die adminiſtrative niemals wieder aufgeben. Dagegen wenn man
überhaupt jemals daran dachte, geſteht man ſich ſchon jetzt ein daß vor-
ausſichtlich auf lange Zeit die legislatoriſche Einheit, die gänzliche und
vollſtändige Einheit nicht möglich ſey, ohne der Natur ſich ſelbſt rächende
Gewalt anzuthun. Um nur eins zu erwähnen, ſo denkt man nicht daran
Schwurgerichte für den ganzen Kaiſerſtaat einzuführen, Galizien, Ungarn
und Oberitalien werden dieſe Inſtitution nicht erhalten aus früher von mir
entwickelten Gründen. So wird es noch mit mehreren andern politiſchen
Inſtitutionen werden, und es ſcheint faſt als ob man noch in ganz andern
Stücken als in der politiſchen Verfaſſung den öſtlichen Kronländern eine
gewiſſe Sonderſtellung laſſen wollte. Dagegen iſt es unerläßlich daß
wenn der Verkehr mit Deutſchland geöffnet wird, auf einem gewiſſen Ge-
biet Einheit zwiſchen Deutſchland und den deutſchen Provinzen hergeſtellt
wird. Dieſes gewiſſe Gebiet iſt das politiſche Verhältniß der Bürger
zum Staat. Es iſt nothwendig z. B. daß wir dann in dem ganzen
Deutſchland ein Preßgeſetz, dasſelbe Geſetz über Verſammlungen und
Vereine, dasſelbe Geſetz über das Petitionsrecht haben. Nehmen Sie
einen concreten Fall an. Täglich leſen wir hier deutſche Zeitungen,
worin die öſterreichiſche Regierung auf die perfideſte Weiſe verdächtigt
wird. Wenn dieſe deutſchen Zeitungen das gegen die Regierung ſchrie-
ben unter welcher ſie ſtehen, ſo würde man ſie vor die Preßgerichte ziehen
können und vielleicht beſtrafen. Oeſterreich kann das nicht thun, es
könnte jetzt jene Blätter verbieten, ſpäter aber, wo wir einen gemeinſamen
Verkehr haben ſollen, würde auch das nicht angehen, es muß alſo eine
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(2022-02-11T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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