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Allgemeine Zeitung, Nr. 335, 3. Dezember 1890.

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München, Mittwoch Allgemeine Beitung 3. December 1890. Morgenblatt Nr. 335.


[Spaltenumbruch]
Deutsches Reich.

und das, was er damals grundlegend für uns gethan hat,
das ist die Basis gewesen, auf der unser Reich auf-
erstanden ist. Wahrlich mit Recht hat der große König
gesagt, als er am Sarge dieses hohen Fürsten stand: 'Für-
wahr, der Mann hat viel gethan!' Ja, Meine Herren, Ich
kann nur wiederholen, was Ich heute früh sagte, und was
auch Ihnen, den Vertretern des Regiments des Großen Kur-
fürsten, gilt: Wir wollen fortfahren festzuhalten an der Gottes-
furcht, Treue, Hingebung und am Gehorsam! Ich erhebe Mein
Glas und trinke es auf das Wohl Brandenburg-Preußens:
Hurrah! -- Hurrah! -- Hurrah!"

Bei der Feier vor dem Denkmal des Großen Kur-
fürsten
hielt der Kaiser an die Truppen folgende Ansprache:
"Cameraden! Wir feiern das Andenken der 250jährigen Thron-
besteigung Meines großen Ahnherrn, des Großen Kursürsten. Er
war es, der den ersten Grundstein zur Festigung des Kurfürsten-
thums Brandenburg gelegt hat, aus dem demnächst das Königreich
Preußen und schließlich das deutsche Kaiserthum hervorging. Er
gründete sich ein neues Heer, in dem Gottesfurcht, Treue, un-
bedingter Gehorsam und unentwegtes Zusammenhalten herrsch-
ten. Wir Brandenburger wissen, was er in der Schlacht von
Fehrbellin unter Einsetzung seiner Persönlichkeit geleistet hat.
Auch seine Thaten auf dem Felde des Friedens, wodurch er
seinen Staat stärkte, sind von der Geschichte unvergessen. Im
Andenken an die Thaten des Großen Kurfürsten rufen wir
auf das Wohl Brandenburgs, Preußens und Deutschlands ein
dreimaliges Hurrah!"


Die Aeußerungen des Kaisers über die
Nothwendigkeit der Förderung des Baues von Canälen beginnt
bereits Früchte zu tragen. Der hannoversche Landesdirector Frhr.
v. Hammerstein, der sich wiederholt öffentlich darüber beklagt hat,
daß er nicht zu einer Audienz beim Arbeitsminister wegen des
Rhein-Weser-Ems-Canals gelangen könne, hat dieser Tage
eine Audienz wegen dieser Angelegenheit bei Hrn. v. Maybach ge-
habt. Der Minister hat sich bei dieser Gelegenheit, wie schon tele-
graphisch in Kürze gemeldet worden, dahin ausgesprochen, daß er
keineswegs Gegner des Mittellandcanals (Bevergern-Minden-
Hannover-Wolmirstedt) sei, denselben vielmehr für ein dringend
nothwendiges Werk halte, welches den Eisenbahnen keine Con-
currenz machen, dieselben vielmehr entlasten werde. Als vor
Jahren der Küstencanal (Oldenburg-Vegesack-Stade) den Vorzug
erhalten habe, sei dies aus militärischen Gründen geschehen; man
habe eine binnenländische Wasserverbindung zwischen Wilhelms-
haven und dem Nordsee-Caual zu schaffen gewünscht. Nachdem
nun aber Helgoland erworben, sei dieser Grund weggefallen.
Wenn die Canalvereine dem Ministerium die gesammelten Gelder
für die Vorarbeiten geben wollen -- es sind zu diesem Zwecke
bekanntlich 55,000 M. beisammen -- so werde er die Sache mit
allen Kräften fördern und hoffentlich bald zu einem endgültigen
Project ausgestalten können. -- Am 4. December soll in Hannover
eine Versammlung der Canalvorstände stattfinden.

Der Centralverein für Hebung der deutschen Fluß- und
Canalschifffahrt wird sich in seiner am 17. December d. J. statt-
findenden Sitzung mit der Frage der Canalisirung der
Mosel
beschäftigen. Der Vericht ruht in den Händen des Re-
gierungsbaumeisters Havestedt-Berlin. Stadtbaurath Frühling-
Königsberg wird in derselben Sitzung über den Masurischen Canal
sprechen.


Der Bischof von Münster, Dr. Hermann Dingelstadt,
hat an seinen Diöcesanklerus einen eindringlichen Erlaß zur Be-
kämpfung der Socialdemokratie gerichtet. Die Seelforger
des Bisthums werden "zu einer ganz ausnehmenden Wachsamkeit
und zu gesteigerter Vorsicht" ermahnt. Der Bischof empfiehlt den-
selben das Studium der socialistischen Lehren und der bezeichnend-
sten Auslassungen der socialdemokratischen Führer, damit sie jeder-
zeit im Stande seien, die wahren Ziele socialistischer Agitationen
ebenso klar wie bestimmt darzulegen und den Widerstreit ihrer
Forderungen mit den christlichen Glaubens- und Sittenlehren, sowie
die Undurchsührbarkeit derselben zu beleuchten. Ferner wird den
Geistlichen empfohlen, die Verbreitung klar gefaßter und gemein-
verständlicher Flugschriften über denselben Gegenstand sich angelegen
sein zu lassen. Als besonders geeignet wird für den ersten Zweck
die Schrift "Der Socialismus" von Victor Cathrein, für den letz-
teren das Werkchen "Der Socialdemokrat kommt! Ein Warnungs-
ruf von einem alten Dorfpfarrer", genannt. Zum Schluß werden
die Geistlichen gebeten, die öffentlichen Versammlungen der Social-
demokraten, wo es angeht, selbst zu besuchen und darauf hinzu-
wirken, daß ein möglichst zahlreicher Besuch auch von Seiten der
gutgesinnten Gemeinde-Eingesessenen und namentlich solcher statt-
[Spaltenumbruch] finde, welche auf die Vorträge der Anstifter in klaren Widerlegungen
zu erwidern vermögen.


* Die "Deutsche Revue" veröffentlicht in einer Biographie
des verstorbenen Kriegsministers v. Roon verschiedene inter-
essante Schriftstücke, darunter in dem neuesten Heft ein Schrei-
ben des Kaisers Wilhelm, durch welches dieser eine Dif-
ferenz mit seinem Kriegsminister beilegte und das für den Edel-
sinn des Monarchen sehr charakteristisch ist. In einer am
19. Juni 1866 abgehaltenen Conferenz kam, nach Roons darüber
gemachten Notizen -- die künftige Verwendung der in der
Formation begriffenen vierten Bataillone zur Sprache. Die
Erörterung war lebhast und der König wies den bezüglichen
Vorschlag Roons mit ungeduldigen Aeußerungen zurück, durch
welche dieser so verletzt wurde, daß er sich weiterer Rathschläge
enthielt und gleich nachher an Bismarck die Mittheilung machte:
"Ich fordere noch heute meine Verabschiedung als Minister, ich
lasse mich nicht so ...... behandeln." Auf der Stelle ant-
wortete ihm Bismarck: "Thun Sie nichts Nasches, mein
Herzensfreund, in übler Lage! Der König ist im Begriff,
Ihnen zu schreiben. Er hat sich, wie es scheint, geärgert, weil
Sie boudirten oder so schienen. Ihr v. B." Während Roon
dennoch sein Gesuch schrieb (in welchem er um eine andere,
"wenn auch untergeordnete Verwendung vor dem Feinde" bitten
wollte), war in der That das königliche Handschreiben
schon unterwegs. Es lautete:

"Berlin, 19. 6. 66. Aus Ihrem Schweigen während des
zweiten Theiles der heutigen Berathung muß Ich leider entnehmen,
daß Sie sich verstimmt fühlten über Meine gereizten nervösen
Aeußerungen. Wenn Ich Sie damit verletzt habe, so war dies
natürlich nie Meine Absicht, da Ich Ihnen zu unendlich viel ver-
danke! und thut Mir dies aufrichtig leid und bitte Ich von Herzen
dieserhalb um Vergebung. Um so mehr verwunderte Mich Ihr
Schweigen, da wir über die Sache, die Formationen quest. einig
sind, und nur nicht über die Verwendung derselben, die Mir sebr
bedenklich erscheint. Doch bis dahin ist noch Zeit, um zu berathen
und zu überlegen. Sie wissen es ebenso gut wie Ich, was Nervo-
sität ist, also haben Sie Nachsicht mit Mir! denn Meine Nerven
sind seit 3 Wochen hallaly! Ihr dankbarst ergebener Wilhelm."

Das Entlassungsgesuch wurde natürlich nicht abgesandt.

Oesterreich-Ungarn.


Die Budgetdebatte ist noch nicht zu
Ende, noch sind das Justiz- und Landesvertheidigungsministerium
zu verhandeln; schon aber kann das Cabinet Szapary die
Bilanz ziehen, und fürwahr, dieselbe wird nicht zu Ungunsten
der Regierung ausfallen. Die parlamentarischen Geschehnisse
der jüngsten Wochen haben in erster Reihe ein Resultat zu Tage
gefördert, das eigentlich gar nicht beabsichtigt gewesen, heute
jedoch, da es existirt, die Stellung des gegenwärtigen Cabinets
in ungeahntem Maße befestigt hat. Es zeigte sich nämlich,
daß an der Spitze der einzelnen Ressorts Männer stehen, die
nicht nur in Ermangelung besserer Kräfte schlecht und recht ihr
Amt zu verwalten wissen und von heute auf morgen interi-
mistisch als brauchbare Nothbehelfe zu verwenden sind, sondern
daß sie durch ihre selbst- und zielbewußte Politik, vermöge ihrer
geistigen Capacität und Charakterstärke in allen Verhältnissen
ihren Mann zu stellen vermögen. Diejenigen, die das Cabinet
Szarary nur für ein Uebergangsministerium hielten, haben im
Laufe der Budgetdebatte die Erfahrung machen können, daß
dieses Cabinet alle Erfordernisse der Dauerhaftigkeit in sich
trägt. Und das scheint uns das wichtigste Moment zu sein,
das sich aus dieser Debatte ergeben. In allen auftauchenden
Fragen zeigte sich nicht nur die einmüthigste Solidarität unter
den Mitgliedern der Regierung; es erwies sich auch, daß hier
nach einem einheitlichen Programme vorgegangen wird, über dessen
einzelne Punkte völlige Klarheit herrscht, und daß der feste Wille be-
steht, dieses Programm mit aller Energie, aber dabei doch mit kluger
Vorsicht, ohne Ueberstürzung und mit möglichster Schonung
des Bestehenden durchzuführen. Am meisten trug zu den
Siegen des Cabinets der Cultus- und Unterrichtsminister Graf
Albin Csaky bei, dem die Verhandlungen betreffend die Weg-
taufungsfrage reichliche Gelegenheit boten, nicht nur seine ora-
torischen Talente zu bekunden, sondern auch einen so tiefen
staatsmännischen Sinn und solch unerschütterliche Charakter-
festigkeit zu zeigen, daß sein Auftreten und Eingreifen in die
Debatte jedesmal geradezu imponirend wirkte und ihn von
Triumph zu Triumph führte. Knapp vor dem Beginn dieser
Verhandlungen haben wir an dieser Stelle eine Darstellung
des gegenwärtigen Standes der Wegtaufungsfrage gegeben;
[Spaltenumbruch] an diesem Stande ist im Laufe der Debatte wenig geändert
worden; die Frage selbst ist in kein neues Stadium getreten;
aber sie ist doch mit dem bedeutsamen Ergebnisse abgeschlossen
worden, daß an der Spitze des Cultusressorts ein Mann steht,
der gegenüber dem Andrängen der confessionellen und politischen
Extremen unverrückt den Standpunkt des ausschließlich staat-
lichen
Interesses im Auge behält, der unbeirrt von dem mäch-
tigen Einflusse des Klerus einzig und allein den Anforderungen
des Staates Genüge zu leisten bestrebt ist. Dieses zweite
Resultat der Budgetdebatte fällt nicht minder schwer zu Gunsten
der Regierung in die Wagschale, als das Zeugniß ihrer Dauer-
hastigkeit.

Serbien.

Der heute von der Skupschtina
angenommene Adreßentwurf der radicalen Majorität schließt
sich in den Fragen der innern Politik vollkommen
den in der Thronrede entwickelten Gesichtspunkten an und
sagt dann wörtlich:

"Mit großer Befriedigung hat die nationale
Volksversammlung vernommen, daß unsre Beziehungen zu allen
Staaten befriedigend und freundschaftlich sind, weil sie es voll-
kommen zu würdigen weiß, wie werthvoll diese guten Beziehungen
in dem heute so sehr entwickelten internationalen Verkehre sind,
besonders aber für einen Staat, der, wie der unsre, mit seiner innern
politischen und ökonomischen Umgestaltung und mit seiner finan-
ziellen Consolidirung beschäftigt ist. Noch größer ist die Befriedi-
gung der nationalen Volksversammlung darüber, daß die nationale
Politik, die den Traditionen und Bestrebungen der Nation ent-
spricht, bei den großen europäischen Staaten Vertrauen und freund-
schaftliches Wohlwollen findet. Indem die nationale Volksversamm-
lung für diese wohlwollende Gesinnung den Mächten ihren Dank
auspricht, erachtet sie es für ihre Pflicht, auch bei diesem feierlichen
Anlasse die stete tiefe Erkenntlichkeit des serbischen
Volkes dem erhabenen Kaiser des uns brüderlichen
russischen Volkes
auszudrücken, der, wie immer, so auch in neuester
Zeit, dem Königreich Serbien und dem serbischen Volke besondere
Beweise seines Wohlwollens gegeben hat; dies ist uns eine mächtige
und sichere Bürgschaft, daß die Bande aufrichtiger Freundschaft
zwischen dem russischen und serbischen Volke sich dauernd erhalten
werden. Die nationale Volksversammlung bedauert es, daß sie
gelegentlich dieser Versicherungen ihrer Befriedigung auch des
schweren Eindruckes gedenken muß, welchen auf das serbische Volk
gewisse Ereignisse und Erscheinungen hervorgerufen haben, welche
die internationalen Interessen und die Würde unsres Staates be-
rühren. Zu diesen Ereignissen gehört vor allem die meuchlerische
Ermordung unseres Viceconsuls in Pristina, welche die Gefühle des
serbischen Volkes, das stets zu allen Opfern bereit ist, wenn es
die nationale Ehre und die Würde des Staates zu wahren gilt,
tief verletzt hat. Unter dem schweren Eindrucke dieses Ereignisses,
zugleich auf die je besseren Beziehungen zu dem osmanischen Kaiser-
reiche einen großen Werth legend, erwartet die nationale Volks-
vertretung, daß sich je eher die Zuversicht bewahrheite, daß diese
Frage bald im Einvernehmen mit der hohen Pforte aus-
getragen werde, und zwar auf eine solche Weise, die der
Würde der einen wie der andern Seite entspricht und den
verletzten Gefühlen des serbischen Volkes Genugthuung gibt.
Die zweite unangenehme Erscheinung auf dem Gebiete unsrer
internationalen Beziehungen bestand in der Erschwerung eines
Theiles unsrer Landesausfuhr in Folge der außerordentlichen Maß-
nahmen, die eine Zeit lang an unsrer Grenze angewendet wurden.
Die nationale Volksversammlung freut sich, daß es der Regierung
gelungen ist, durch gegenseitige Aufklärung und Verständigung
mit der benachbarten österreichisch-ungarischen Monarchie die er-
wähnten Hindernisse zu beseitigen und den vertragsmäßigen Zu-
stand wiederherzustellen. In vollständiger Würdigung der Noth-
wendigkeit guter und freundschaftlicher Beziehungen zu dem großen
Nachbarstaate erwartet die nationale Volksversammlung, daß durch
loyales gegenseitiges Entgegenkommen in Zukunft solche Vor-
kommnisse vermieden werden; aber unter allen Umständen erachtet
sie, daß die Regierung zugleich im Einvernehmen mit der nationalen
Volksvertretung zur Realisirung aller Maßregeln schreiten soll,
welche nöthig sind, damit uns eventuelle ähnliche Ereignisse nicht
überraschen und unvorbereitet treffen können. Die nationale Volks-
versammlung freut sich, daß auch unser Staat an dem culturellen
Werke, welches nach den Bestimmungen des Berliner Vertrags
seitens der österreichisch-ungarischen Monarchie zur Regelung des
Eisernen Thores in Angriff genommen wurde, mitzuwirken ver-
mochte."

Weiter bezieht sich die Adresse auf die Balkanstaaten,
der ganze Passus ist aber lediglich eine Paraphrase der Thronrede. --



Feuilleton.

Anna und des Fidelio, die freilich ihre Hauptwirkung erst auf
der Bühne erzielen. Die Künstlerin war bekanntlich als contract-
brüchig von den deutschen Theaterdirectoren in die Acht erklärt,
wurde aber, so viel man hört, nach ihrer Rückkehr aus Amerika
durch kaiserliche Huld begnadigt und wird hoffentlich bald
wieder auf unsern Bühnen erscheinen. Bei dem Mangel an
wirklich hervorragenden Vertreterinnen des dramatischen Faches
kann diese Aussicht nur mit Freuden begrüßt werden. Lobendes
ist ferner über eine Novität zu sagen, mit welcher ein junger,
aus Mannheim stammender Componist, Robert Kahn, bei
Bülow debütirte, der seine Studien bei Kiel und Herzogenberg
gemacht hat und schließlich noch einige Zeit bei Meister Jo-
hannes Brahms war. Bereits im vorigen Jahre brachte das
Joachim'sche Quartett, das mit Recht sehr wählerisch in der
Aufführung moderner Werke ist, ein Quartett von diesem un-
gemein begabten Tonkünstler. Auch fanden seitens des trefflichen
Hochschulenchors schon mehrere seiner kleineren Chorwerke und
Lieder a capella eine beachtenswerthe Aufsührung. Im dritten
Concert endlich hörten wir Schumanns Frühlings-Symphonie
B-dur, Beethovens achte, F-dur, und eine neue norwegische
Rhapsodie von Johann Svendsen, die gegen diese Meister-
werke freilich einigermaßen abfiel. Der Solist dieses Abends
war Cesar Thomson, der mit vortrefflichen technischen
Mitteln Bruchs zweites Violinconcert vortrug.

Die beliebten Symphonie-Abende der Königlichen Capelle
zum Besten ihres Wittwen- und Waisenfonds im Opernhause
haben in so fern eine Aenderung erfahren, als sie in Zukunft
nicht mehr im Foyer, sondern im Theaterraum der Oper statt-
finden. Die Einrichtung ist derart getroffen, daß der eiserne
Vorhang den ganzen Abend heruntergelassen bleibt, und daß
vor demselben in gleicher Höhe der Bühne für die sehr zahl-
reiche Capelle über dem gewöhnlichen, tiefliegenden Orchester-
raum ein Podium in das Proscenium hineingebaut wird. Der
Anblick der riesigen schwarzen Masse der eisernen Wand war
freilich recht unschön, und es dürfte wohl zeitgemäß sein, solche
düsteren Ungethüme ein wenig durch möglichst gute Malereien
zu verschönern und aufzufrischen, so daß sie sich dem übrigen
Schmucke eines Kunsttempels anpassen. Die Capelle felbst zeigte
sich ganz auf der Höhe ihres festbegründeten Nufes. Die Aus-
führung wechfelt je nach der individuellen Verschiedenheit der
beiden Dirigenten, der Capellmeister Kahl und Sucher. Das
erste Concert brachte am Geburtstage des Kaisers Friedrich
[Spaltenumbruch] Beethovens Eroica-Symphonie, deren Trauermarsch den Manen
des hohen Verstorbenen galt, Schumanns C-dur-Symphonie,
mehrere sehr günstig aufgenommene Gesangsvorträge der Frau
Emilie Herzog und zum Andenken an den verstorbenen, so
vielbesprochenen Capellmeister Deppe eine Ouverture zu Körners
"Zriny" von Ludwig Deppe, anerkennenswerthe, brave
Capellmeistermusik, aber auch nicht mehr. Der zweite Abend
frischte unter anderm die symphonische Dichtung "Tasso" von
Lifzt in einer sehr schwungvollen Wiedergabe auf und erfreute
durch Schumanns Manfred-Musik mit Declamation der Mit-
glieder des königlichen Schauspielhauses, Frl. Clara Meyer und
Hrn. Kahle.

Die altbewährte Singakademie, der älteste und ehr-
würdigste Gesangverein, den Berlin besitzt, der im Mai des
nächsten Jahres sein hundertjähriges Stiftungsfest feiern wird,
für welches schon jetzt umfangreiche Vorbereitungen getroffen
werden, begann ihre Abonnementsconcerte mit Händels Ora-
torium "Salomo". Es war erst die fünfte Aufführung dieses
1749 entstandenen Werkes während des langen Zeitraums
des Wirkens des Vereins, aber doch der vollgültige Beweis für
die Frische der gewaltigen Händel'schen Kunst. Neben den Chören
gibt es hier sehr anziehende, zum Theil ziemlich opernmäßige
Arien und Concertnummern. Die Stimmung ist vorwiegend
heiter und friedlich. Man verspürt nichts von der trotzigen
Kraft und Ernsthaftigkeit mächtiger Völkerkämpfe wie im
"Messias", "Josua" und "Israel". Salomo erscheint als der
jugendfrische König, der von Glück und Glanz umstrahlt ist. Im
ersten Theile wird seine Macht und Größe im neuerbauten
Tempel gepriesen und die Liebe zu seiner tugendreichen Königin
geschildert. Glanzstellen sind ein warmes herzliches Duett
und ein freilich etwas süßlicher Schlußchor voll Nachtigallen-
sang und Blumendust, der zweite Theil veranschaulicht den
Streit der beiden Frauen um ihr Kind und Salomo's weises
Urtheil, wobei Gelegenheit zu trefflicher Charakteristik in
Chören, Duetten und Terzetten gegeben ist. Der dritte Theil
bringt die Huldigung der Königin von Saba, einige conven-
tionelle Arien, dafür aber desto schönere Chöre, namentlich den
kräftigen Kriegergesang und den ergreifenden Chor von der
hoffnungslosen Liebe Qual und Schmerz, wie sie Tod und
Verzweiflung bringt. Die Chöre unter Martin Blumners
Leitung gingen vortrefflich. Von den Solisten waren nur
die beiden Damen hervorragend, namentlich Hermine Spies
[Spaltenumbruch] als Salomo. Sie wußte wieder einmal ihre schöne Altstimme
mit weiser Mäßigung auf der Bahn classischer Auffassung zu
halten, und auch Fräulein Helene Oberbeck aus Dortmund
erfreute durch ernstes künstlerisches Streben.

Von Solistenconcerten ist an erster Stelle ein Liederabend
von Frau Amalie Joachim hervorzuheben, ein Abend, den
man über allem Schönen und Schönsten, das der Winter
bringt, schwerlich vergessen kann. Bemerkenswerth war ferner
ein Concert von Lillian Sanderson, welche unter anderm
fünf sehr günstig aufgenommene Stücke aus den Volks- und
Handwerkerliedern (op. 49) von August Lungert sang, von
denen sich namentlich der "Schuhmacher" als wirksam erwies.
In einem Kirchenconcert erhielten die Damen v. Schelhorn
und Schmidtlein mit Duetten von Clani und Pergolesi ver-
dienten Beifall. Eugen Gura gab zwei gut besuchte Lieder-
abende, und Eduard Feßler zeigte sich als routinirter
Theatersänger. Unter den Clavierspielern ragte bisher unstreitig
Professor Heinrich Barth hervor, einer der zuverlässigsten,
geschultesten und fleißigsten Virtuosen der Neuzeit, der großen
Ernst mit feinem Geschmack verbindet, der mit männlicher Neife
die Technik beherrscht wie Wenige. Einen guten Eindruck
hinterließ ferner der Pianist Paul Pabst an zwei Clavier-
abenden, einmal mit Orchester, wenngleich das Publicum noch
nicht so zahlreich erschienen war, wie er es verdiente. Der
bisher wenig bekannte Clavierkünstler zeigte sich in allen Sätteln
gerecht, in virtuosenhaften russischen Compositionen, wie in
ernsten ehrwürdigen Stücken von Bach und Händel, in der
tiessinnigen C-moll-Sonate op. 111 von Beethoven, in den
Etudes symphoniques von Schumann und in der Inter-
pretation von Chopin'schen und Brahms'schen Werken.

Natürlich fehlt es der Saison auch nicht an einem neuen
Wunderkinde: Otto Hegner, der bereits dreimal vor das
Publicum getreten ist und trotz seiner dreizehn Jahre wie ein
Erwachsener das Beste mit bestem Geschmack zu interpretiren versteht.
Bach, Beethoven, Chopin, Lifzt, Mendelssohn und -- Hegner
(eine gutgearbeitete fünfsätzige Suite) waren die Autoren, die
er uns vorführte, in einer Weise, die seinem Lehrer Hans Huber
in Basel Ehre machte, ihn selbst aber im Zustande einer Reife,
Sicherheit und Vertrautheit mit den Geheimnissen der Kunst
zeigte, die manchen berühmten Meister beschämen könnte.



München, Mittwoch Allgemeine Beitung 3. December 1890. Morgenblatt Nr. 335.


[Spaltenumbruch]
Deutſches Reich.

und das, was er damals grundlegend für uns gethan hat,
das iſt die Baſis geweſen, auf der unſer Reich auf-
erſtanden iſt. Wahrlich mit Recht hat der große König
geſagt, als er am Sarge dieſes hohen Fürſten ſtand: ’Für-
wahr, der Mann hat viel gethan!’ Ja, Meine Herren, Ich
kann nur wiederholen, was Ich heute früh ſagte, und was
auch Ihnen, den Vertretern des Regiments des Großen Kur-
fürſten, gilt: Wir wollen fortfahren feſtzuhalten an der Gottes-
furcht, Treue, Hingebung und am Gehorſam! Ich erhebe Mein
Glas und trinke es auf das Wohl Brandenburg-Preußens:
Hurrah! — Hurrah! — Hurrah!“

Bei der Feier vor dem Denkmal des Großen Kur-
fürſten
hielt der Kaiſer an die Truppen folgende Anſprache:
„Cameraden! Wir feiern das Andenken der 250jährigen Thron-
beſteigung Meines großen Ahnherrn, des Großen Kurſürſten. Er
war es, der den erſten Grundſtein zur Feſtigung des Kurfürſten-
thums Brandenburg gelegt hat, aus dem demnächſt das Königreich
Preußen und ſchließlich das deutſche Kaiſerthum hervorging. Er
gründete ſich ein neues Heer, in dem Gottesfurcht, Treue, un-
bedingter Gehorſam und unentwegtes Zuſammenhalten herrſch-
ten. Wir Brandenburger wiſſen, was er in der Schlacht von
Fehrbellin unter Einſetzung ſeiner Perſönlichkeit geleiſtet hat.
Auch ſeine Thaten auf dem Felde des Friedens, wodurch er
ſeinen Staat ſtärkte, ſind von der Geſchichte unvergeſſen. Im
Andenken an die Thaten des Großen Kurfürſten rufen wir
auf das Wohl Brandenburgs, Preußens und Deutſchlands ein
dreimaliges Hurrah!“


Die Aeußerungen des Kaiſers über die
Nothwendigkeit der Förderung des Baues von Canälen beginnt
bereits Früchte zu tragen. Der hannoverſche Landesdirector Frhr.
v. Hammerſtein, der ſich wiederholt öffentlich darüber beklagt hat,
daß er nicht zu einer Audienz beim Arbeitsminiſter wegen des
Rhein-Weſer-Ems-Canals gelangen könne, hat dieſer Tage
eine Audienz wegen dieſer Angelegenheit bei Hrn. v. Maybach ge-
habt. Der Miniſter hat ſich bei dieſer Gelegenheit, wie ſchon tele-
graphiſch in Kürze gemeldet worden, dahin ausgeſprochen, daß er
keineswegs Gegner des Mittellandcanals (Bevergern-Minden-
Hannover-Wolmirſtedt) ſei, denſelben vielmehr für ein dringend
nothwendiges Werk halte, welches den Eiſenbahnen keine Con-
currenz machen, dieſelben vielmehr entlaſten werde. Als vor
Jahren der Küſtencanal (Oldenburg-Vegeſack-Stade) den Vorzug
erhalten habe, ſei dies aus militäriſchen Gründen geſchehen; man
habe eine binnenländiſche Waſſerverbindung zwiſchen Wilhelms-
haven und dem Nordſee-Caual zu ſchaffen gewünſcht. Nachdem
nun aber Helgoland erworben, ſei dieſer Grund weggefallen.
Wenn die Canalvereine dem Miniſterium die geſammelten Gelder
für die Vorarbeiten geben wollen — es ſind zu dieſem Zwecke
bekanntlich 55,000 M. beiſammen — ſo werde er die Sache mit
allen Kräften fördern und hoffentlich bald zu einem endgültigen
Project ausgeſtalten können. — Am 4. December ſoll in Hannover
eine Verſammlung der Canalvorſtände ſtattfinden.

Der Centralverein für Hebung der deutſchen Fluß- und
Canalſchifffahrt wird ſich in ſeiner am 17. December d. J. ſtatt-
findenden Sitzung mit der Frage der Canaliſirung der
Moſel
beſchäftigen. Der Vericht ruht in den Händen des Re-
gierungsbaumeiſters Haveſtedt-Berlin. Stadtbaurath Frühling-
Königsberg wird in derſelben Sitzung über den Maſuriſchen Canal
ſprechen.


Der Biſchof von Münſter, Dr. Hermann Dingelſtadt,
hat an ſeinen Diöceſanklerus einen eindringlichen Erlaß zur Be-
kämpfung der Socialdemokratie gerichtet. Die Seelforger
des Bisthums werden „zu einer ganz ausnehmenden Wachſamkeit
und zu geſteigerter Vorſicht“ ermahnt. Der Biſchof empfiehlt den-
ſelben das Studium der ſocialiſtiſchen Lehren und der bezeichnend-
ſten Auslaſſungen der ſocialdemokratiſchen Führer, damit ſie jeder-
zeit im Stande ſeien, die wahren Ziele ſocialiſtiſcher Agitationen
ebenſo klar wie beſtimmt darzulegen und den Widerſtreit ihrer
Forderungen mit den chriſtlichen Glaubens- und Sittenlehren, ſowie
die Undurchſührbarkeit derſelben zu beleuchten. Ferner wird den
Geiſtlichen empfohlen, die Verbreitung klar gefaßter und gemein-
verſtändlicher Flugſchriften über denſelben Gegenſtand ſich angelegen
ſein zu laſſen. Als beſonders geeignet wird für den erſten Zweck
die Schrift „Der Socialismus“ von Victor Cathrein, für den letz-
teren das Werkchen „Der Socialdemokrat kommt! Ein Warnungs-
ruf von einem alten Dorfpfarrer“, genannt. Zum Schluß werden
die Geiſtlichen gebeten, die öffentlichen Verſammlungen der Social-
demokraten, wo es angeht, ſelbſt zu beſuchen und darauf hinzu-
wirken, daß ein möglichſt zahlreicher Beſuch auch von Seiten der
gutgeſinnten Gemeinde-Eingeſeſſenen und namentlich ſolcher ſtatt-
[Spaltenumbruch] finde, welche auf die Vorträge der Anſtifter in klaren Widerlegungen
zu erwidern vermögen.


* Die „Deutſche Revue“ veröffentlicht in einer Biographie
des verſtorbenen Kriegsminiſters v. Roon verſchiedene inter-
eſſante Schriftſtücke, darunter in dem neueſten Heft ein Schrei-
ben des Kaiſers Wilhelm, durch welches dieſer eine Dif-
ferenz mit ſeinem Kriegsminiſter beilegte und das für den Edel-
ſinn des Monarchen ſehr charakteriſtiſch iſt. In einer am
19. Juni 1866 abgehaltenen Conferenz kam, nach Roons darüber
gemachten Notizen — die künftige Verwendung der in der
Formation begriffenen vierten Bataillone zur Sprache. Die
Erörterung war lebhaſt und der König wies den bezüglichen
Vorſchlag Roons mit ungeduldigen Aeußerungen zurück, durch
welche dieſer ſo verletzt wurde, daß er ſich weiterer Rathſchläge
enthielt und gleich nachher an Bismarck die Mittheilung machte:
„Ich fordere noch heute meine Verabſchiedung als Miniſter, ich
laſſe mich nicht ſo ...... behandeln.“ Auf der Stelle ant-
wortete ihm Bismarck: „Thun Sie nichts Naſches, mein
Herzensfreund, in übler Lage! Der König iſt im Begriff,
Ihnen zu ſchreiben. Er hat ſich, wie es ſcheint, geärgert, weil
Sie boudirten oder ſo ſchienen. Ihr v. B.“ Während Roon
dennoch ſein Geſuch ſchrieb (in welchem er um eine andere,
„wenn auch untergeordnete Verwendung vor dem Feinde“ bitten
wollte), war in der That das königliche Handſchreiben
ſchon unterwegs. Es lautete:

„Berlin, 19. 6. 66. Aus Ihrem Schweigen während des
zweiten Theiles der heutigen Berathung muß Ich leider entnehmen,
daß Sie ſich verſtimmt fühlten über Meine gereizten nervöſen
Aeußerungen. Wenn Ich Sie damit verletzt habe, ſo war dies
natürlich nie Meine Abſicht, da Ich Ihnen zu unendlich viel ver-
danke! und thut Mir dies aufrichtig leid und bitte Ich von Herzen
dieſerhalb um Vergebung. Um ſo mehr verwunderte Mich Ihr
Schweigen, da wir über die Sache, die Formationen quest. einig
ſind, und nur nicht über die Verwendung derſelben, die Mir ſebr
bedenklich erſcheint. Doch bis dahin iſt noch Zeit, um zu berathen
und zu überlegen. Sie wiſſen es ebenſo gut wie Ich, was Nervo-
ſität iſt, alſo haben Sie Nachſicht mit Mir! denn Meine Nerven
ſind ſeit 3 Wochen hallaly! Ihr dankbarſt ergebener Wilhelm.“

Das Entlaſſungsgeſuch wurde natürlich nicht abgeſandt.

Oeſterreich-Ungarn.


Die Budgetdebatte iſt noch nicht zu
Ende, noch ſind das Juſtiz- und Landesvertheidigungsminiſterium
zu verhandeln; ſchon aber kann das Cabinet Szapáry die
Bilanz ziehen, und fürwahr, dieſelbe wird nicht zu Ungunſten
der Regierung ausfallen. Die parlamentariſchen Geſchehniſſe
der jüngſten Wochen haben in erſter Reihe ein Reſultat zu Tage
gefördert, das eigentlich gar nicht beabſichtigt geweſen, heute
jedoch, da es exiſtirt, die Stellung des gegenwärtigen Cabinets
in ungeahntem Maße befeſtigt hat. Es zeigte ſich nämlich,
daß an der Spitze der einzelnen Reſſorts Männer ſtehen, die
nicht nur in Ermangelung beſſerer Kräfte ſchlecht und recht ihr
Amt zu verwalten wiſſen und von heute auf morgen interi-
miſtiſch als brauchbare Nothbehelfe zu verwenden ſind, ſondern
daß ſie durch ihre ſelbſt- und zielbewußte Politik, vermöge ihrer
geiſtigen Capacität und Charakterſtärke in allen Verhältniſſen
ihren Mann zu ſtellen vermögen. Diejenigen, die das Cabinet
Szaráry nur für ein Uebergangsminiſterium hielten, haben im
Laufe der Budgetdebatte die Erfahrung machen können, daß
dieſes Cabinet alle Erforderniſſe der Dauerhaftigkeit in ſich
trägt. Und das ſcheint uns das wichtigſte Moment zu ſein,
das ſich aus dieſer Debatte ergeben. In allen auftauchenden
Fragen zeigte ſich nicht nur die einmüthigſte Solidarität unter
den Mitgliedern der Regierung; es erwies ſich auch, daß hier
nach einem einheitlichen Programme vorgegangen wird, über deſſen
einzelne Punkte völlige Klarheit herrſcht, und daß der feſte Wille be-
ſteht, dieſes Programm mit aller Energie, aber dabei doch mit kluger
Vorſicht, ohne Ueberſtürzung und mit möglichſter Schonung
des Beſtehenden durchzuführen. Am meiſten trug zu den
Siegen des Cabinets der Cultus- und Unterrichtsminiſter Graf
Albin Cſáky bei, dem die Verhandlungen betreffend die Weg-
taufungsfrage reichliche Gelegenheit boten, nicht nur ſeine ora-
toriſchen Talente zu bekunden, ſondern auch einen ſo tiefen
ſtaatsmänniſchen Sinn und ſolch unerſchütterliche Charakter-
feſtigkeit zu zeigen, daß ſein Auftreten und Eingreifen in die
Debatte jedesmal geradezu imponirend wirkte und ihn von
Triumph zu Triumph führte. Knapp vor dem Beginn dieſer
Verhandlungen haben wir an dieſer Stelle eine Darſtellung
des gegenwärtigen Standes der Wegtaufungsfrage gegeben;
[Spaltenumbruch] an dieſem Stande iſt im Laufe der Debatte wenig geändert
worden; die Frage ſelbſt iſt in kein neues Stadium getreten;
aber ſie iſt doch mit dem bedeutſamen Ergebniſſe abgeſchloſſen
worden, daß an der Spitze des Cultusreſſorts ein Mann ſteht,
der gegenüber dem Andrängen der confeſſionellen und politiſchen
Extremen unverrückt den Standpunkt des ausſchließlich ſtaat-
lichen
Intereſſes im Auge behält, der unbeirrt von dem mäch-
tigen Einfluſſe des Klerus einzig und allein den Anforderungen
des Staates Genüge zu leiſten beſtrebt iſt. Dieſes zweite
Reſultat der Budgetdebatte fällt nicht minder ſchwer zu Gunſten
der Regierung in die Wagſchale, als das Zeugniß ihrer Dauer-
haſtigkeit.

Serbien.

Der heute von der Skupſchtina
angenommene Adreßentwurf der radicalen Majorität ſchließt
ſich in den Fragen der innern Politik vollkommen
den in der Thronrede entwickelten Geſichtspunkten an und
ſagt dann wörtlich:

„Mit großer Befriedigung hat die nationale
Volksverſammlung vernommen, daß unſre Beziehungen zu allen
Staaten befriedigend und freundſchaftlich ſind, weil ſie es voll-
kommen zu würdigen weiß, wie werthvoll dieſe guten Beziehungen
in dem heute ſo ſehr entwickelten internationalen Verkehre ſind,
beſonders aber für einen Staat, der, wie der unſre, mit ſeiner innern
politiſchen und ökonomiſchen Umgeſtaltung und mit ſeiner finan-
ziellen Conſolidirung beſchäftigt iſt. Noch größer iſt die Befriedi-
gung der nationalen Volksverſammlung darüber, daß die nationale
Politik, die den Traditionen und Beſtrebungen der Nation ent-
ſpricht, bei den großen europäiſchen Staaten Vertrauen und freund-
ſchaftliches Wohlwollen findet. Indem die nationale Volksverſamm-
lung für dieſe wohlwollende Geſinnung den Mächten ihren Dank
auspricht, erachtet ſie es für ihre Pflicht, auch bei dieſem feierlichen
Anlaſſe die ſtete tiefe Erkenntlichkeit des ſerbiſchen
Volkes dem erhabenen Kaiſer des uns brüderlichen
ruſſiſchen Volkes
auszudrücken, der, wie immer, ſo auch in neueſter
Zeit, dem Königreich Serbien und dem ſerbiſchen Volke beſondere
Beweiſe ſeines Wohlwollens gegeben hat; dies iſt uns eine mächtige
und ſichere Bürgſchaft, daß die Bande aufrichtiger Freundſchaft
zwiſchen dem ruſſiſchen und ſerbiſchen Volke ſich dauernd erhalten
werden. Die nationale Volksverſammlung bedauert es, daß ſie
gelegentlich dieſer Verſicherungen ihrer Befriedigung auch des
ſchweren Eindruckes gedenken muß, welchen auf das ſerbiſche Volk
gewiſſe Ereigniſſe und Erſcheinungen hervorgerufen haben, welche
die internationalen Intereſſen und die Würde unſres Staates be-
rühren. Zu dieſen Ereigniſſen gehört vor allem die meuchleriſche
Ermordung unſeres Viceconſuls in Priſtina, welche die Gefühle des
ſerbiſchen Volkes, das ſtets zu allen Opfern bereit iſt, wenn es
die nationale Ehre und die Würde des Staates zu wahren gilt,
tief verletzt hat. Unter dem ſchweren Eindrucke dieſes Ereigniſſes,
zugleich auf die je beſſeren Beziehungen zu dem osmaniſchen Kaiſer-
reiche einen großen Werth legend, erwartet die nationale Volks-
vertretung, daß ſich je eher die Zuverſicht bewahrheite, daß dieſe
Frage bald im Einvernehmen mit der hohen Pforte aus-
getragen werde, und zwar auf eine ſolche Weiſe, die der
Würde der einen wie der andern Seite entſpricht und den
verletzten Gefühlen des ſerbiſchen Volkes Genugthuung gibt.
Die zweite unangenehme Erſcheinung auf dem Gebiete unſrer
internationalen Beziehungen beſtand in der Erſchwerung eines
Theiles unſrer Landesausfuhr in Folge der außerordentlichen Maß-
nahmen, die eine Zeit lang an unſrer Grenze angewendet wurden.
Die nationale Volksverſammlung freut ſich, daß es der Regierung
gelungen iſt, durch gegenſeitige Aufklärung und Verſtändigung
mit der benachbarten öſterreichiſch-ungariſchen Monarchie die er-
wähnten Hinderniſſe zu beſeitigen und den vertragsmäßigen Zu-
ſtand wiederherzuſtellen. In vollſtändiger Würdigung der Noth-
wendigkeit guter und freundſchaftlicher Beziehungen zu dem großen
Nachbarſtaate erwartet die nationale Volksverſammlung, daß durch
loyales gegenſeitiges Entgegenkommen in Zukunft ſolche Vor-
kommniſſe vermieden werden; aber unter allen Umſtänden erachtet
ſie, daß die Regierung zugleich im Einvernehmen mit der nationalen
Volksvertretung zur Realiſirung aller Maßregeln ſchreiten ſoll,
welche nöthig ſind, damit uns eventuelle ähnliche Ereigniſſe nicht
überraſchen und unvorbereitet treffen können. Die nationale Volks-
verſammlung freut ſich, daß auch unſer Staat an dem culturellen
Werke, welches nach den Beſtimmungen des Berliner Vertrags
ſeitens der öſterreichiſch-ungariſchen Monarchie zur Regelung des
Eiſernen Thores in Angriff genommen wurde, mitzuwirken ver-
mochte.“

Weiter bezieht ſich die Adreſſe auf die Balkanſtaaten,
der ganze Paſſus iſt aber lediglich eine Paraphraſe der Thronrede. —



Feuilleton.

Anna und des Fidelio, die freilich ihre Hauptwirkung erſt auf
der Bühne erzielen. Die Künſtlerin war bekanntlich als contract-
brüchig von den deutſchen Theaterdirectoren in die Acht erklärt,
wurde aber, ſo viel man hört, nach ihrer Rückkehr aus Amerika
durch kaiſerliche Huld begnadigt und wird hoffentlich bald
wieder auf unſern Bühnen erſcheinen. Bei dem Mangel an
wirklich hervorragenden Vertreterinnen des dramatiſchen Faches
kann dieſe Ausſicht nur mit Freuden begrüßt werden. Lobendes
iſt ferner über eine Novität zu ſagen, mit welcher ein junger,
aus Mannheim ſtammender Componiſt, Robert Kahn, bei
Bülow debütirte, der ſeine Studien bei Kiel und Herzogenberg
gemacht hat und ſchließlich noch einige Zeit bei Meiſter Jo-
hannes Brahms war. Bereits im vorigen Jahre brachte das
Joachim’ſche Quartett, das mit Recht ſehr wähleriſch in der
Aufführung moderner Werke iſt, ein Quartett von dieſem un-
gemein begabten Tonkünſtler. Auch fanden ſeitens des trefflichen
Hochſchulenchors ſchon mehrere ſeiner kleineren Chorwerke und
Lieder a capella eine beachtenswerthe Aufſührung. Im dritten
Concert endlich hörten wir Schumanns Frühlings-Symphonie
B-dur, Beethovens achte, F-dur, und eine neue norwegiſche
Rhapſodie von Johann Svendſen, die gegen dieſe Meiſter-
werke freilich einigermaßen abfiel. Der Soliſt dieſes Abends
war Céſar Thomſon, der mit vortrefflichen techniſchen
Mitteln Bruchs zweites Violinconcert vortrug.

Die beliebten Symphonie-Abende der Königlichen Capelle
zum Beſten ihres Wittwen- und Waiſenfonds im Opernhauſe
haben in ſo fern eine Aenderung erfahren, als ſie in Zukunft
nicht mehr im Foyer, ſondern im Theaterraum der Oper ſtatt-
finden. Die Einrichtung iſt derart getroffen, daß der eiſerne
Vorhang den ganzen Abend heruntergelaſſen bleibt, und daß
vor demſelben in gleicher Höhe der Bühne für die ſehr zahl-
reiche Capelle über dem gewöhnlichen, tiefliegenden Orcheſter-
raum ein Podium in das Proſcenium hineingebaut wird. Der
Anblick der rieſigen ſchwarzen Maſſe der eiſernen Wand war
freilich recht unſchön, und es dürfte wohl zeitgemäß ſein, ſolche
düſteren Ungethüme ein wenig durch möglichſt gute Malereien
zu verſchönern und aufzufriſchen, ſo daß ſie ſich dem übrigen
Schmucke eines Kunſttempels anpaſſen. Die Capelle felbſt zeigte
ſich ganz auf der Höhe ihres feſtbegründeten Nufes. Die Aus-
führung wechfelt je nach der individuellen Verſchiedenheit der
beiden Dirigenten, der Capellmeiſter Kahl und Sucher. Das
erſte Concert brachte am Geburtstage des Kaiſers Friedrich
[Spaltenumbruch] Beethovens Eroica-Symphonie, deren Trauermarſch den Manen
des hohen Verſtorbenen galt, Schumanns C-dur-Symphonie,
mehrere ſehr günſtig aufgenommene Geſangsvorträge der Frau
Emilie Herzog und zum Andenken an den verſtorbenen, ſo
vielbeſprochenen Capellmeiſter Deppe eine Ouverture zu Körners
„Zriny“ von Ludwig Deppe, anerkennenswerthe, brave
Capellmeiſtermuſik, aber auch nicht mehr. Der zweite Abend
friſchte unter anderm die ſymphoniſche Dichtung „Taſſo“ von
Lifzt in einer ſehr ſchwungvollen Wiedergabe auf und erfreute
durch Schumanns Manfred-Muſik mit Declamation der Mit-
glieder des königlichen Schauſpielhauſes, Frl. Clara Meyer und
Hrn. Kahle.

Die altbewährte Singakademie, der älteſte und ehr-
würdigſte Geſangverein, den Berlin beſitzt, der im Mai des
nächſten Jahres ſein hundertjähriges Stiftungsfeſt feiern wird,
für welches ſchon jetzt umfangreiche Vorbereitungen getroffen
werden, begann ihre Abonnementsconcerte mit Händels Ora-
torium „Salomo“. Es war erſt die fünfte Aufführung dieſes
1749 entſtandenen Werkes während des langen Zeitraums
des Wirkens des Vereins, aber doch der vollgültige Beweis für
die Friſche der gewaltigen Händel’ſchen Kunſt. Neben den Chören
gibt es hier ſehr anziehende, zum Theil ziemlich opernmäßige
Arien und Concertnummern. Die Stimmung iſt vorwiegend
heiter und friedlich. Man verſpürt nichts von der trotzigen
Kraft und Ernſthaftigkeit mächtiger Völkerkämpfe wie im
„Meſſias“, „Joſua“ und „Iſrael“. Salomo erſcheint als der
jugendfriſche König, der von Glück und Glanz umſtrahlt iſt. Im
erſten Theile wird ſeine Macht und Größe im neuerbauten
Tempel geprieſen und die Liebe zu ſeiner tugendreichen Königin
geſchildert. Glanzſtellen ſind ein warmes herzliches Duett
und ein freilich etwas ſüßlicher Schlußchor voll Nachtigallen-
ſang und Blumenduſt, der zweite Theil veranſchaulicht den
Streit der beiden Frauen um ihr Kind und Salomo’s weiſes
Urtheil, wobei Gelegenheit zu trefflicher Charakteriſtik in
Chören, Duetten und Terzetten gegeben iſt. Der dritte Theil
bringt die Huldigung der Königin von Saba, einige conven-
tionelle Arien, dafür aber deſto ſchönere Chöre, namentlich den
kräftigen Kriegergeſang und den ergreifenden Chor von der
hoffnungsloſen Liebe Qual und Schmerz, wie ſie Tod und
Verzweiflung bringt. Die Chöre unter Martin Blumners
Leitung gingen vortrefflich. Von den Soliſten waren nur
die beiden Damen hervorragend, namentlich Hermine Spies
[Spaltenumbruch] als Salomo. Sie wußte wieder einmal ihre ſchöne Altſtimme
mit weiſer Mäßigung auf der Bahn claſſiſcher Auffaſſung zu
halten, und auch Fräulein Helene Oberbeck aus Dortmund
erfreute durch ernſtes künſtleriſches Streben.

Von Soliſtenconcerten iſt an erſter Stelle ein Liederabend
von Frau Amalie Joachim hervorzuheben, ein Abend, den
man über allem Schönen und Schönſten, das der Winter
bringt, ſchwerlich vergeſſen kann. Bemerkenswerth war ferner
ein Concert von Lillian Sanderſon, welche unter anderm
fünf ſehr günſtig aufgenommene Stücke aus den Volks- und
Handwerkerliedern (op. 49) von Auguſt Lungert ſang, von
denen ſich namentlich der „Schuhmacher“ als wirkſam erwies.
In einem Kirchenconcert erhielten die Damen v. Schelhorn
und Schmidtlein mit Duetten von Clani und Pergoleſi ver-
dienten Beifall. Eugen Gura gab zwei gut beſuchte Lieder-
abende, und Eduard Feßler zeigte ſich als routinirter
Theaterſänger. Unter den Clavierſpielern ragte bisher unſtreitig
Profeſſor Heinrich Barth hervor, einer der zuverläſſigſten,
geſchulteſten und fleißigſten Virtuoſen der Neuzeit, der großen
Ernſt mit feinem Geſchmack verbindet, der mit männlicher Neife
die Technik beherrſcht wie Wenige. Einen guten Eindruck
hinterließ ferner der Pianiſt Paul Pabſt an zwei Clavier-
abenden, einmal mit Orcheſter, wenngleich das Publicum noch
nicht ſo zahlreich erſchienen war, wie er es verdiente. Der
bisher wenig bekannte Clavierkünſtler zeigte ſich in allen Sätteln
gerecht, in virtuoſenhaften ruſſiſchen Compoſitionen, wie in
ernſten ehrwürdigen Stücken von Bach und Händel, in der
tieſſinnigen C-moll-Sonate op. 111 von Beethoven, in den
Etudes symphoniques von Schumann und in der Inter-
pretation von Chopin’ſchen und Brahms’ſchen Werken.

Natürlich fehlt es der Saiſon auch nicht an einem neuen
Wunderkinde: Otto Hegner, der bereits dreimal vor das
Publicum getreten iſt und trotz ſeiner dreizehn Jahre wie ein
Erwachſener das Beſte mit beſtem Geſchmack zu interpretiren verſteht.
Bach, Beethoven, Chopin, Lifzt, Mendelsſohn und — Hegner
(eine gutgearbeitete fünfſätzige Suite) waren die Autoren, die
er uns vorführte, in einer Weiſe, die ſeinem Lehrer Hans Huber
in Baſel Ehre machte, ihn ſelbſt aber im Zuſtande einer Reife,
Sicherheit und Vertrautheit mit den Geheimniſſen der Kunſt
zeigte, die manchen berühmten Meiſter beſchämen könnte.



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&#x017F;chaftliches Wohlwollen findet. Indem die nationale Volksver&#x017F;amm-<lb/>
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rühren. Zu die&#x017F;en Ereigni&#x017F;&#x017F;en gehört vor allem die meuchleri&#x017F;che<lb/>
Ermordung un&#x017F;eres Vicecon&#x017F;uls in Pri&#x017F;tina, welche die Gefühle des<lb/>
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Nachbar&#x017F;taate erwartet die nationale Volksver&#x017F;ammlung, daß durch<lb/>
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gibt es hier &#x017F;ehr anziehende, zum Theil ziemlich opernmäßige<lb/>
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&#x201E;Me&#x017F;&#x017F;ias&#x201C;, &#x201E;Jo&#x017F;ua&#x201C; und &#x201E;I&#x017F;rael&#x201C;. Salomo er&#x017F;cheint als der<lb/>
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&#x017F;ang und Blumendu&#x017F;t, der zweite Theil veran&#x017F;chaulicht den<lb/>
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Chören, Duetten und Terzetten gegeben i&#x017F;t. Der dritte Theil<lb/>
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Verzweiflung bringt. Die Chöre unter <hi rendition="#g">Martin Blumners</hi><lb/>
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[2/0002] München, Mittwoch Allgemeine Beitung 3. December 1890. Morgenblatt Nr. 335. Deutſches Reich.und das, was er damals grundlegend für uns gethan hat, das iſt die Baſis geweſen, auf der unſer Reich auf- erſtanden iſt. Wahrlich mit Recht hat der große König geſagt, als er am Sarge dieſes hohen Fürſten ſtand: ’Für- wahr, der Mann hat viel gethan!’ Ja, Meine Herren, Ich kann nur wiederholen, was Ich heute früh ſagte, und was auch Ihnen, den Vertretern des Regiments des Großen Kur- fürſten, gilt: Wir wollen fortfahren feſtzuhalten an der Gottes- furcht, Treue, Hingebung und am Gehorſam! Ich erhebe Mein Glas und trinke es auf das Wohl Brandenburg-Preußens: Hurrah! — Hurrah! — Hurrah!“ Bei der Feier vor dem Denkmal des Großen Kur- fürſten hielt der Kaiſer an die Truppen folgende Anſprache: „Cameraden! Wir feiern das Andenken der 250jährigen Thron- beſteigung Meines großen Ahnherrn, des Großen Kurſürſten. Er war es, der den erſten Grundſtein zur Feſtigung des Kurfürſten- thums Brandenburg gelegt hat, aus dem demnächſt das Königreich Preußen und ſchließlich das deutſche Kaiſerthum hervorging. Er gründete ſich ein neues Heer, in dem Gottesfurcht, Treue, un- bedingter Gehorſam und unentwegtes Zuſammenhalten herrſch- ten. Wir Brandenburger wiſſen, was er in der Schlacht von Fehrbellin unter Einſetzung ſeiner Perſönlichkeit geleiſtet hat. Auch ſeine Thaten auf dem Felde des Friedens, wodurch er ſeinen Staat ſtärkte, ſind von der Geſchichte unvergeſſen. Im Andenken an die Thaten des Großen Kurfürſten rufen wir auf das Wohl Brandenburgs, Preußens und Deutſchlands ein dreimaliges Hurrah!“ * Berlin, 1. Dec. Die Aeußerungen des Kaiſers über die Nothwendigkeit der Förderung des Baues von Canälen beginnt bereits Früchte zu tragen. Der hannoverſche Landesdirector Frhr. v. Hammerſtein, der ſich wiederholt öffentlich darüber beklagt hat, daß er nicht zu einer Audienz beim Arbeitsminiſter wegen des Rhein-Weſer-Ems-Canals gelangen könne, hat dieſer Tage eine Audienz wegen dieſer Angelegenheit bei Hrn. v. Maybach ge- habt. Der Miniſter hat ſich bei dieſer Gelegenheit, wie ſchon tele- graphiſch in Kürze gemeldet worden, dahin ausgeſprochen, daß er keineswegs Gegner des Mittellandcanals (Bevergern-Minden- Hannover-Wolmirſtedt) ſei, denſelben vielmehr für ein dringend nothwendiges Werk halte, welches den Eiſenbahnen keine Con- currenz machen, dieſelben vielmehr entlaſten werde. Als vor Jahren der Küſtencanal (Oldenburg-Vegeſack-Stade) den Vorzug erhalten habe, ſei dies aus militäriſchen Gründen geſchehen; man habe eine binnenländiſche Waſſerverbindung zwiſchen Wilhelms- haven und dem Nordſee-Caual zu ſchaffen gewünſcht. Nachdem nun aber Helgoland erworben, ſei dieſer Grund weggefallen. Wenn die Canalvereine dem Miniſterium die geſammelten Gelder für die Vorarbeiten geben wollen — es ſind zu dieſem Zwecke bekanntlich 55,000 M. beiſammen — ſo werde er die Sache mit allen Kräften fördern und hoffentlich bald zu einem endgültigen Project ausgeſtalten können. — Am 4. December ſoll in Hannover eine Verſammlung der Canalvorſtände ſtattfinden. Der Centralverein für Hebung der deutſchen Fluß- und Canalſchifffahrt wird ſich in ſeiner am 17. December d. J. ſtatt- findenden Sitzung mit der Frage der Canaliſirung der Moſel beſchäftigen. Der Vericht ruht in den Händen des Re- gierungsbaumeiſters Haveſtedt-Berlin. Stadtbaurath Frühling- Königsberg wird in derſelben Sitzung über den Maſuriſchen Canal ſprechen. Der Biſchof von Münſter, Dr. Hermann Dingelſtadt, hat an ſeinen Diöceſanklerus einen eindringlichen Erlaß zur Be- kämpfung der Socialdemokratie gerichtet. Die Seelforger des Bisthums werden „zu einer ganz ausnehmenden Wachſamkeit und zu geſteigerter Vorſicht“ ermahnt. Der Biſchof empfiehlt den- ſelben das Studium der ſocialiſtiſchen Lehren und der bezeichnend- ſten Auslaſſungen der ſocialdemokratiſchen Führer, damit ſie jeder- zeit im Stande ſeien, die wahren Ziele ſocialiſtiſcher Agitationen ebenſo klar wie beſtimmt darzulegen und den Widerſtreit ihrer Forderungen mit den chriſtlichen Glaubens- und Sittenlehren, ſowie die Undurchſührbarkeit derſelben zu beleuchten. Ferner wird den Geiſtlichen empfohlen, die Verbreitung klar gefaßter und gemein- verſtändlicher Flugſchriften über denſelben Gegenſtand ſich angelegen ſein zu laſſen. Als beſonders geeignet wird für den erſten Zweck die Schrift „Der Socialismus“ von Victor Cathrein, für den letz- teren das Werkchen „Der Socialdemokrat kommt! Ein Warnungs- ruf von einem alten Dorfpfarrer“, genannt. Zum Schluß werden die Geiſtlichen gebeten, die öffentlichen Verſammlungen der Social- demokraten, wo es angeht, ſelbſt zu beſuchen und darauf hinzu- wirken, daß ein möglichſt zahlreicher Beſuch auch von Seiten der gutgeſinnten Gemeinde-Eingeſeſſenen und namentlich ſolcher ſtatt- finde, welche auf die Vorträge der Anſtifter in klaren Widerlegungen zu erwidern vermögen. * Die „Deutſche Revue“ veröffentlicht in einer Biographie des verſtorbenen Kriegsminiſters v. Roon verſchiedene inter- eſſante Schriftſtücke, darunter in dem neueſten Heft ein Schrei- ben des Kaiſers Wilhelm, durch welches dieſer eine Dif- ferenz mit ſeinem Kriegsminiſter beilegte und das für den Edel- ſinn des Monarchen ſehr charakteriſtiſch iſt. In einer am 19. Juni 1866 abgehaltenen Conferenz kam, nach Roons darüber gemachten Notizen — die künftige Verwendung der in der Formation begriffenen vierten Bataillone zur Sprache. Die Erörterung war lebhaſt und der König wies den bezüglichen Vorſchlag Roons mit ungeduldigen Aeußerungen zurück, durch welche dieſer ſo verletzt wurde, daß er ſich weiterer Rathſchläge enthielt und gleich nachher an Bismarck die Mittheilung machte: „Ich fordere noch heute meine Verabſchiedung als Miniſter, ich laſſe mich nicht ſo ...... behandeln.“ Auf der Stelle ant- wortete ihm Bismarck: „Thun Sie nichts Naſches, mein Herzensfreund, in übler Lage! Der König iſt im Begriff, Ihnen zu ſchreiben. Er hat ſich, wie es ſcheint, geärgert, weil Sie boudirten oder ſo ſchienen. Ihr v. B.“ Während Roon dennoch ſein Geſuch ſchrieb (in welchem er um eine andere, „wenn auch untergeordnete Verwendung vor dem Feinde“ bitten wollte), war in der That das königliche Handſchreiben ſchon unterwegs. Es lautete: „Berlin, 19. 6. 66. Aus Ihrem Schweigen während des zweiten Theiles der heutigen Berathung muß Ich leider entnehmen, daß Sie ſich verſtimmt fühlten über Meine gereizten nervöſen Aeußerungen. Wenn Ich Sie damit verletzt habe, ſo war dies natürlich nie Meine Abſicht, da Ich Ihnen zu unendlich viel ver- danke! und thut Mir dies aufrichtig leid und bitte Ich von Herzen dieſerhalb um Vergebung. Um ſo mehr verwunderte Mich Ihr Schweigen, da wir über die Sache, die Formationen quest. einig ſind, und nur nicht über die Verwendung derſelben, die Mir ſebr bedenklich erſcheint. Doch bis dahin iſt noch Zeit, um zu berathen und zu überlegen. Sie wiſſen es ebenſo gut wie Ich, was Nervo- ſität iſt, alſo haben Sie Nachſicht mit Mir! denn Meine Nerven ſind ſeit 3 Wochen hallaly! Ihr dankbarſt ergebener Wilhelm.“ Das Entlaſſungsgeſuch wurde natürlich nicht abgeſandt. Oeſterreich-Ungarn. &#xfffc; Peſt, 30. Nov. Die Budgetdebatte iſt noch nicht zu Ende, noch ſind das Juſtiz- und Landesvertheidigungsminiſterium zu verhandeln; ſchon aber kann das Cabinet Szapáry die Bilanz ziehen, und fürwahr, dieſelbe wird nicht zu Ungunſten der Regierung ausfallen. Die parlamentariſchen Geſchehniſſe der jüngſten Wochen haben in erſter Reihe ein Reſultat zu Tage gefördert, das eigentlich gar nicht beabſichtigt geweſen, heute jedoch, da es exiſtirt, die Stellung des gegenwärtigen Cabinets in ungeahntem Maße befeſtigt hat. Es zeigte ſich nämlich, daß an der Spitze der einzelnen Reſſorts Männer ſtehen, die nicht nur in Ermangelung beſſerer Kräfte ſchlecht und recht ihr Amt zu verwalten wiſſen und von heute auf morgen interi- miſtiſch als brauchbare Nothbehelfe zu verwenden ſind, ſondern daß ſie durch ihre ſelbſt- und zielbewußte Politik, vermöge ihrer geiſtigen Capacität und Charakterſtärke in allen Verhältniſſen ihren Mann zu ſtellen vermögen. Diejenigen, die das Cabinet Szaráry nur für ein Uebergangsminiſterium hielten, haben im Laufe der Budgetdebatte die Erfahrung machen können, daß dieſes Cabinet alle Erforderniſſe der Dauerhaftigkeit in ſich trägt. Und das ſcheint uns das wichtigſte Moment zu ſein, das ſich aus dieſer Debatte ergeben. In allen auftauchenden Fragen zeigte ſich nicht nur die einmüthigſte Solidarität unter den Mitgliedern der Regierung; es erwies ſich auch, daß hier nach einem einheitlichen Programme vorgegangen wird, über deſſen einzelne Punkte völlige Klarheit herrſcht, und daß der feſte Wille be- ſteht, dieſes Programm mit aller Energie, aber dabei doch mit kluger Vorſicht, ohne Ueberſtürzung und mit möglichſter Schonung des Beſtehenden durchzuführen. Am meiſten trug zu den Siegen des Cabinets der Cultus- und Unterrichtsminiſter Graf Albin Cſáky bei, dem die Verhandlungen betreffend die Weg- taufungsfrage reichliche Gelegenheit boten, nicht nur ſeine ora- toriſchen Talente zu bekunden, ſondern auch einen ſo tiefen ſtaatsmänniſchen Sinn und ſolch unerſchütterliche Charakter- feſtigkeit zu zeigen, daß ſein Auftreten und Eingreifen in die Debatte jedesmal geradezu imponirend wirkte und ihn von Triumph zu Triumph führte. Knapp vor dem Beginn dieſer Verhandlungen haben wir an dieſer Stelle eine Darſtellung des gegenwärtigen Standes der Wegtaufungsfrage gegeben; an dieſem Stande iſt im Laufe der Debatte wenig geändert worden; die Frage ſelbſt iſt in kein neues Stadium getreten; aber ſie iſt doch mit dem bedeutſamen Ergebniſſe abgeſchloſſen worden, daß an der Spitze des Cultusreſſorts ein Mann ſteht, der gegenüber dem Andrängen der confeſſionellen und politiſchen Extremen unverrückt den Standpunkt des ausſchließlich ſtaat- lichen Intereſſes im Auge behält, der unbeirrt von dem mäch- tigen Einfluſſe des Klerus einzig und allein den Anforderungen des Staates Genüge zu leiſten beſtrebt iſt. Dieſes zweite Reſultat der Budgetdebatte fällt nicht minder ſchwer zu Gunſten der Regierung in die Wagſchale, als das Zeugniß ihrer Dauer- haſtigkeit. Serbien. × Belgrad, 29. Nov. Der heute von der Skupſchtina angenommene Adreßentwurf der radicalen Majorität ſchließt ſich in den Fragen der innern Politik vollkommen den in der Thronrede entwickelten Geſichtspunkten an und ſagt dann wörtlich: „Mit großer Befriedigung hat die nationale Volksverſammlung vernommen, daß unſre Beziehungen zu allen Staaten befriedigend und freundſchaftlich ſind, weil ſie es voll- kommen zu würdigen weiß, wie werthvoll dieſe guten Beziehungen in dem heute ſo ſehr entwickelten internationalen Verkehre ſind, beſonders aber für einen Staat, der, wie der unſre, mit ſeiner innern politiſchen und ökonomiſchen Umgeſtaltung und mit ſeiner finan- ziellen Conſolidirung beſchäftigt iſt. Noch größer iſt die Befriedi- gung der nationalen Volksverſammlung darüber, daß die nationale Politik, die den Traditionen und Beſtrebungen der Nation ent- ſpricht, bei den großen europäiſchen Staaten Vertrauen und freund- ſchaftliches Wohlwollen findet. Indem die nationale Volksverſamm- lung für dieſe wohlwollende Geſinnung den Mächten ihren Dank auspricht, erachtet ſie es für ihre Pflicht, auch bei dieſem feierlichen Anlaſſe die ſtete tiefe Erkenntlichkeit des ſerbiſchen Volkes dem erhabenen Kaiſer des uns brüderlichen ruſſiſchen Volkes auszudrücken, der, wie immer, ſo auch in neueſter Zeit, dem Königreich Serbien und dem ſerbiſchen Volke beſondere Beweiſe ſeines Wohlwollens gegeben hat; dies iſt uns eine mächtige und ſichere Bürgſchaft, daß die Bande aufrichtiger Freundſchaft zwiſchen dem ruſſiſchen und ſerbiſchen Volke ſich dauernd erhalten werden. Die nationale Volksverſammlung bedauert es, daß ſie gelegentlich dieſer Verſicherungen ihrer Befriedigung auch des ſchweren Eindruckes gedenken muß, welchen auf das ſerbiſche Volk gewiſſe Ereigniſſe und Erſcheinungen hervorgerufen haben, welche die internationalen Intereſſen und die Würde unſres Staates be- rühren. Zu dieſen Ereigniſſen gehört vor allem die meuchleriſche Ermordung unſeres Viceconſuls in Priſtina, welche die Gefühle des ſerbiſchen Volkes, das ſtets zu allen Opfern bereit iſt, wenn es die nationale Ehre und die Würde des Staates zu wahren gilt, tief verletzt hat. Unter dem ſchweren Eindrucke dieſes Ereigniſſes, zugleich auf die je beſſeren Beziehungen zu dem osmaniſchen Kaiſer- reiche einen großen Werth legend, erwartet die nationale Volks- vertretung, daß ſich je eher die Zuverſicht bewahrheite, daß dieſe Frage bald im Einvernehmen mit der hohen Pforte aus- getragen werde, und zwar auf eine ſolche Weiſe, die der Würde der einen wie der andern Seite entſpricht und den verletzten Gefühlen des ſerbiſchen Volkes Genugthuung gibt. Die zweite unangenehme Erſcheinung auf dem Gebiete unſrer internationalen Beziehungen beſtand in der Erſchwerung eines Theiles unſrer Landesausfuhr in Folge der außerordentlichen Maß- nahmen, die eine Zeit lang an unſrer Grenze angewendet wurden. Die nationale Volksverſammlung freut ſich, daß es der Regierung gelungen iſt, durch gegenſeitige Aufklärung und Verſtändigung mit der benachbarten öſterreichiſch-ungariſchen Monarchie die er- wähnten Hinderniſſe zu beſeitigen und den vertragsmäßigen Zu- ſtand wiederherzuſtellen. In vollſtändiger Würdigung der Noth- wendigkeit guter und freundſchaftlicher Beziehungen zu dem großen Nachbarſtaate erwartet die nationale Volksverſammlung, daß durch loyales gegenſeitiges Entgegenkommen in Zukunft ſolche Vor- kommniſſe vermieden werden; aber unter allen Umſtänden erachtet ſie, daß die Regierung zugleich im Einvernehmen mit der nationalen Volksvertretung zur Realiſirung aller Maßregeln ſchreiten ſoll, welche nöthig ſind, damit uns eventuelle ähnliche Ereigniſſe nicht überraſchen und unvorbereitet treffen können. Die nationale Volks- verſammlung freut ſich, daß auch unſer Staat an dem culturellen Werke, welches nach den Beſtimmungen des Berliner Vertrags ſeitens der öſterreichiſch-ungariſchen Monarchie zur Regelung des Eiſernen Thores in Angriff genommen wurde, mitzuwirken ver- mochte.“ Weiter bezieht ſich die Adreſſe auf die Balkanſtaaten, der ganze Paſſus iſt aber lediglich eine Paraphraſe der Thronrede. — Feuilleton. Anna und des Fidelio, die freilich ihre Hauptwirkung erſt auf der Bühne erzielen. Die Künſtlerin war bekanntlich als contract- brüchig von den deutſchen Theaterdirectoren in die Acht erklärt, wurde aber, ſo viel man hört, nach ihrer Rückkehr aus Amerika durch kaiſerliche Huld begnadigt und wird hoffentlich bald wieder auf unſern Bühnen erſcheinen. Bei dem Mangel an wirklich hervorragenden Vertreterinnen des dramatiſchen Faches kann dieſe Ausſicht nur mit Freuden begrüßt werden. Lobendes iſt ferner über eine Novität zu ſagen, mit welcher ein junger, aus Mannheim ſtammender Componiſt, Robert Kahn, bei Bülow debütirte, der ſeine Studien bei Kiel und Herzogenberg gemacht hat und ſchließlich noch einige Zeit bei Meiſter Jo- hannes Brahms war. Bereits im vorigen Jahre brachte das Joachim’ſche Quartett, das mit Recht ſehr wähleriſch in der Aufführung moderner Werke iſt, ein Quartett von dieſem un- gemein begabten Tonkünſtler. Auch fanden ſeitens des trefflichen Hochſchulenchors ſchon mehrere ſeiner kleineren Chorwerke und Lieder a capella eine beachtenswerthe Aufſührung. Im dritten Concert endlich hörten wir Schumanns Frühlings-Symphonie B-dur, Beethovens achte, F-dur, und eine neue norwegiſche Rhapſodie von Johann Svendſen, die gegen dieſe Meiſter- werke freilich einigermaßen abfiel. Der Soliſt dieſes Abends war Céſar Thomſon, der mit vortrefflichen techniſchen Mitteln Bruchs zweites Violinconcert vortrug. Die beliebten Symphonie-Abende der Königlichen Capelle zum Beſten ihres Wittwen- und Waiſenfonds im Opernhauſe haben in ſo fern eine Aenderung erfahren, als ſie in Zukunft nicht mehr im Foyer, ſondern im Theaterraum der Oper ſtatt- finden. Die Einrichtung iſt derart getroffen, daß der eiſerne Vorhang den ganzen Abend heruntergelaſſen bleibt, und daß vor demſelben in gleicher Höhe der Bühne für die ſehr zahl- reiche Capelle über dem gewöhnlichen, tiefliegenden Orcheſter- raum ein Podium in das Proſcenium hineingebaut wird. Der Anblick der rieſigen ſchwarzen Maſſe der eiſernen Wand war freilich recht unſchön, und es dürfte wohl zeitgemäß ſein, ſolche düſteren Ungethüme ein wenig durch möglichſt gute Malereien zu verſchönern und aufzufriſchen, ſo daß ſie ſich dem übrigen Schmucke eines Kunſttempels anpaſſen. Die Capelle felbſt zeigte ſich ganz auf der Höhe ihres feſtbegründeten Nufes. Die Aus- führung wechfelt je nach der individuellen Verſchiedenheit der beiden Dirigenten, der Capellmeiſter Kahl und Sucher. Das erſte Concert brachte am Geburtstage des Kaiſers Friedrich Beethovens Eroica-Symphonie, deren Trauermarſch den Manen des hohen Verſtorbenen galt, Schumanns C-dur-Symphonie, mehrere ſehr günſtig aufgenommene Geſangsvorträge der Frau Emilie Herzog und zum Andenken an den verſtorbenen, ſo vielbeſprochenen Capellmeiſter Deppe eine Ouverture zu Körners „Zriny“ von Ludwig Deppe, anerkennenswerthe, brave Capellmeiſtermuſik, aber auch nicht mehr. Der zweite Abend friſchte unter anderm die ſymphoniſche Dichtung „Taſſo“ von Lifzt in einer ſehr ſchwungvollen Wiedergabe auf und erfreute durch Schumanns Manfred-Muſik mit Declamation der Mit- glieder des königlichen Schauſpielhauſes, Frl. Clara Meyer und Hrn. Kahle. Die altbewährte Singakademie, der älteſte und ehr- würdigſte Geſangverein, den Berlin beſitzt, der im Mai des nächſten Jahres ſein hundertjähriges Stiftungsfeſt feiern wird, für welches ſchon jetzt umfangreiche Vorbereitungen getroffen werden, begann ihre Abonnementsconcerte mit Händels Ora- torium „Salomo“. Es war erſt die fünfte Aufführung dieſes 1749 entſtandenen Werkes während des langen Zeitraums des Wirkens des Vereins, aber doch der vollgültige Beweis für die Friſche der gewaltigen Händel’ſchen Kunſt. Neben den Chören gibt es hier ſehr anziehende, zum Theil ziemlich opernmäßige Arien und Concertnummern. Die Stimmung iſt vorwiegend heiter und friedlich. Man verſpürt nichts von der trotzigen Kraft und Ernſthaftigkeit mächtiger Völkerkämpfe wie im „Meſſias“, „Joſua“ und „Iſrael“. Salomo erſcheint als der jugendfriſche König, der von Glück und Glanz umſtrahlt iſt. Im erſten Theile wird ſeine Macht und Größe im neuerbauten Tempel geprieſen und die Liebe zu ſeiner tugendreichen Königin geſchildert. Glanzſtellen ſind ein warmes herzliches Duett und ein freilich etwas ſüßlicher Schlußchor voll Nachtigallen- ſang und Blumenduſt, der zweite Theil veranſchaulicht den Streit der beiden Frauen um ihr Kind und Salomo’s weiſes Urtheil, wobei Gelegenheit zu trefflicher Charakteriſtik in Chören, Duetten und Terzetten gegeben iſt. Der dritte Theil bringt die Huldigung der Königin von Saba, einige conven- tionelle Arien, dafür aber deſto ſchönere Chöre, namentlich den kräftigen Kriegergeſang und den ergreifenden Chor von der hoffnungsloſen Liebe Qual und Schmerz, wie ſie Tod und Verzweiflung bringt. Die Chöre unter Martin Blumners Leitung gingen vortrefflich. Von den Soliſten waren nur die beiden Damen hervorragend, namentlich Hermine Spies als Salomo. Sie wußte wieder einmal ihre ſchöne Altſtimme mit weiſer Mäßigung auf der Bahn claſſiſcher Auffaſſung zu halten, und auch Fräulein Helene Oberbeck aus Dortmund erfreute durch ernſtes künſtleriſches Streben. Von Soliſtenconcerten iſt an erſter Stelle ein Liederabend von Frau Amalie Joachim hervorzuheben, ein Abend, den man über allem Schönen und Schönſten, das der Winter bringt, ſchwerlich vergeſſen kann. Bemerkenswerth war ferner ein Concert von Lillian Sanderſon, welche unter anderm fünf ſehr günſtig aufgenommene Stücke aus den Volks- und Handwerkerliedern (op. 49) von Auguſt Lungert ſang, von denen ſich namentlich der „Schuhmacher“ als wirkſam erwies. In einem Kirchenconcert erhielten die Damen v. Schelhorn und Schmidtlein mit Duetten von Clani und Pergoleſi ver- dienten Beifall. Eugen Gura gab zwei gut beſuchte Lieder- abende, und Eduard Feßler zeigte ſich als routinirter Theaterſänger. Unter den Clavierſpielern ragte bisher unſtreitig Profeſſor Heinrich Barth hervor, einer der zuverläſſigſten, geſchulteſten und fleißigſten Virtuoſen der Neuzeit, der großen Ernſt mit feinem Geſchmack verbindet, der mit männlicher Neife die Technik beherrſcht wie Wenige. Einen guten Eindruck hinterließ ferner der Pianiſt Paul Pabſt an zwei Clavier- abenden, einmal mit Orcheſter, wenngleich das Publicum noch nicht ſo zahlreich erſchienen war, wie er es verdiente. Der bisher wenig bekannte Clavierkünſtler zeigte ſich in allen Sätteln gerecht, in virtuoſenhaften ruſſiſchen Compoſitionen, wie in ernſten ehrwürdigen Stücken von Bach und Händel, in der tieſſinnigen C-moll-Sonate op. 111 von Beethoven, in den Etudes symphoniques von Schumann und in der Inter- pretation von Chopin’ſchen und Brahms’ſchen Werken. Natürlich fehlt es der Saiſon auch nicht an einem neuen Wunderkinde: Otto Hegner, der bereits dreimal vor das Publicum getreten iſt und trotz ſeiner dreizehn Jahre wie ein Erwachſener das Beſte mit beſtem Geſchmack zu interpretiren verſteht. Bach, Beethoven, Chopin, Lifzt, Mendelsſohn und — Hegner (eine gutgearbeitete fünfſätzige Suite) waren die Autoren, die er uns vorführte, in einer Weiſe, die ſeinem Lehrer Hans Huber in Baſel Ehre machte, ihn ſelbſt aber im Zuſtande einer Reife, Sicherheit und Vertrautheit mit den Geheimniſſen der Kunſt zeigte, die manchen berühmten Meiſter beſchämen könnte. Hans Müller.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 335, 3. Dezember 1890, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine335_1890/2>, abgerufen am 21.11.2024.