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Allgemeine Zeitung, Nr. 336, 4. Dezember 1890.

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München, Donnerstag Allgemeine Zeitung 4. December 1890. Morgenblatt Nr. 336.
[Spaltenumbruch]
München, 3. December.

aus demselben, den Jahresbetrag von 600,000 Mark zu be-
zahlen. 3) die Regierung tritt der Gesellschaft für das Küsten-
gebiet, dessen Zubehörungen, die Insel Mafia und das im
Schutzbriefe vom 27. Februar 1885 erwähnte Gebiet das aus-
schließliche Recht auf den Eigenthumserwerb durch Occupation
an herrenlosen Grundstücken und deren unbeweglichen Zu-
behörungen, also auch an Wäldern, ab mit gewissen hier nicht
weiter in Vetracht kommenden Vorbehalten. 4) Der Gesell-
schaft wird das Recht zur Errichtung einer Bank mit dem
Privilegium einer Ausgabe von Noten ertheilt. 5) Die Gesell-
schaft verbleibt im Vesitze der ihr zustehenden Befugniß,
Kupfer- und Silbermünzen, welche an den öffentlichen Cassen
des Küstengebietes, dessen Zubehörungen und der Insel Mafia,
sowie des Gebietes des kaiserlichen Schutzbriefes vom 27. Febr.
1885 in Zahlung genommen werden müssen, zu prägen und
auszugeben. 6) Vor dem Erlaß von Gesetzen und Ver-
ordnungen für das Küstengebiet u. s. w. wird die Regierung
die Gesellschaft zur gutachtlichen Aeußerung auffordern, sofern
nicht die Dringlichkeit des Falles eine Abweichung von der
Regel erheischt.

Durch den kaiserlichen Schutzbrief vom 27. Februar 1885
war der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft, für ihr bis zu
diesem Zeitpunkte erworbenes Gebiet, und durch Schutzbrief
vom 17. Mai 1885 mit Ergänzung vom 13. December 1886
war der Neu-Guinea-Compagnie für ihr ganzes Gebiet die
Ausübung der Landeshoheit mit gewissen theils aus der Natur
der Sache sich ergebenden, theils durch Reichsgesetz festgestellten
Ausnahmen hinsichtlich der auswärtigen Verwaltung, der
Militärhoheit und der Gerichtsbarkeit verliehen worden. Die
beiden Gesellschaften hatten also auf Grund der kaiserlichen
Schutzbriefe das Necht, mit den erwähnten Beschränkungen die
gesetzgebende und die vollziehende Gewalt in ihren Schutz-
gebieten Namens des Reiches und unter Aussicht der Reichs-
regierung auszuüben.

Die den Gesellschaften verliehenen Hoheitsrechte hätten
ihnen unter gewissen Voraussetzungen von Oberaussichtswegen
und außerdem selbstverständlich durch Reichsgesetz wieder ent-
zogen werden können. Die Reichsregierung schlug aber aus
naheliegenden Gründen den Weg ein, die Gesellfchasten zur
freiwilligen Verzichtleistung auf die ihnen durch die Schutzbriefe
verliehenen Hoheitsrechte zu bewegen.

Nachdem nunmehr die beiden hier in Frage stehenden Ge-
sellschaften auf die Ausübung von Hoheitsrechten in ihren
Gebieten verzichtet haben, wird die Gefetzgebung, Necht-
sprechung und Verwaltung in allen deutschen Schutzgebieten
von nun an im Namen des Reichs von kaiserlichen
Beamten
ausgeübt und gehandhabt.

Von den den Gesellschaften verbliebenen Rechten liegt
allerdings das Recht, vor dem Erlasse von Gesetzen und Ver-
ordnungen gehört zu werden, auf dem Gebiete der Gefetz-
gebung, dasselbe ist aber von keiner schwerwiegenden Be-
deutung. Ebenso ist das der Ostafrikanischen Gesellschaft ein-
geräumte Recht der Münzprägung als ein der Gesellschaft
verlichenes Hoheitsrecht zu betrachten, das freilich in Ostafrika
doch eine etwas andere Bedeutung hat, als in Deutschland.

Von den beiden anderen hier noch in Betracht kommen-
den Nechten, dem beiden Gesellschaften verliehenen Grunder-
werbsmonopol und dem der Ostafrikanischen Gesellschaft ver-
liehenen Banknoten-Privilegium, kann keines als ein wesent-
liches Hoheitsrecht gelten. Die Ueberlassung dieser Rechte an
die Gesellschaften unterlag daher nicht dem mindesten Be-
denken, im Gegentheil mußte die Ueberlassung dieser Rechte,
namentlich des Grunderwerbsmonopols, an die Gesellschaften
im Interesse ihrer wirthschaftlichen Entwicklung als durchaus
geboten erscheinen.

Daß die mehrerwähnten Colonialgesellschaften auf die ihnen
verliehenen Hoheitsrechte verzichtet haben, ist im Interesse der
Entwicklung der deutschen Schutzgebiete nur zu begrüßen. Die
Halbheit und Unschlüssigkeit, welche die deutsche Coloniakpolitik
in den letzten Jahren nicht eben vortheilhaft auszeichnete, ist
zum nicht geringen Theil auf die Abneigung des Neichstags,
zum größeren Theil aber darauf zurückzuführen, daß die Reichs-
regierung immer noch zu viel von den Colonialgesellschaften
erwartete. So wäre man sicherlich in Südwestafrika viel früher
von Reichswegen energisch aufgetreten, wenn nicht immer noch
eine, wenn auch schwache, Hoffnung bestanden hätte, die Süd-
westafrikanische Colonialgesellschaft werde in die Lage kommen,
die Verwaktung des Schutzgebietes wenigstens theilweise zu
übernehmen, in Ostafrika aber wäre mancher verhängnißvolle
Fehler vermieden worden, wenn die Reichsregierung von An-
fang an die Sache selbst in die Hand genommen hätte. Die
Entwicklung der Dinge in Ostafrika hat den schlagendsten Be-
weis geliefert, wie bedenklich es ist, Colonialgesellschaften die
politische Regierung und Verwaltung der Colonien zu über-
[Spaltenumbruch] lassen. Geht die Sache schief, so muß doch die Regierung des
Mutterlandes eintreten, und dann natürlich stets unter mög-
lichst ungünstigen Verhältnissen.

Durch den Verzicht auf die ihnen verliehenen Hoheitsrechte
haben aber auch die Colonialgesellschaften gewonnen. Aus
der Zwitterstellung von Erwerbsgesellschaften einerseits und
öffentlichen, mit Hoheitsrechten ausgestatteten Corporationen
andrerseits erlöst, von der erdrückenden Last der öffentlichen
Verwaltung ihrer Gebiete befreit, können sie sich nun mit aller
Kraft der wirthschaftlichen Erschließung und Entwicklung der
letzteren widmen.

Sonach ist durch die neueste Entwicklung unsrer Colonial-
politik nach allen Nichtungen Klarheit geschaffen worden. Das
Reich besorgt das, was ihm zukommt, die Regierung und Ver-
waltung der Schutzgebiete, und die Colonialgesellschaften sind
auf dem wirthschaftlichen Gebiete thätig, auf dem sie allein
eine erfolgreiche Wirksamkeit entfalten können. Es besteht auch
keine Gefahr, daß jemals wieder auf das ursprüngliche eng-
angelegte Programm, möglichft Alles Colonialgesellschasten zu
überlassen, zurückgegriffen wird, schon aus dem einfachen
Grunde nicht, weil ein derartiges Zurückgreifen nicht mehr
nothwendig und auch wohl nicht mehr ausführbar ist.
Wie hervorgehoben, hatte die Regierung wohl haupt-
sächlich deßhalb ein so eng begrenztes Programm aufge-
stellt, weil sie die nöthige Unterstützung für eine energische Colo-
nialpolitik weder im Reichstage, noch im deutschen Volke zu
finden hoffte. Auch jetzt noch gibt es Gegner der activen Colo-
nialpolitik, aber soweit sind wir doch schon, daß selbst die meisten
dieser Gegner mit dem deutschen Colonialbesitz als einer unab-
wendbaren Thatsache rechnen und überzeugt sind, daß nur das
Reich selbst die Colonien regieren und verwalten kann.



Deutsches Reich.

Tel. Der Reichstag wählte in
seiner heutigen Sitzung den Abg. Schneider-Hamm (nat.-lib.)
an Stelle des Abg. Dr. Bürklin zum Schriftführer und über-
wies dann die Uebersicht über die Ausgaben und Einnahmen
des Reiches im Etatsjahre 1889/90 der Rechnungscommission.
Bei Prüfung der Wahl des Abg. v. Reden (9. hannoverischer
Wahlkreis Hameln) kritisirte Abg. Nickert die Entscheidungen
der Wahlprüfungscommission und beantragte Aussetzung der
Abstimmung über die Gültigkeit der Wahl. Abg. Auer be-
schwerte sich über die Verbote socialdemokratischer Versamm-
lungen und über Wahlbeeinflussungen; Abg. Baumbach
(Reichspartei) trat für das Recht der Kriegervereine, gegen die
Socialdemokratie Front zu machen; ein. Schließlich wurde der
Antrag Rickert angenommen. Die Wahl des Abg. Schütte
(3. braunschweigischer Wahlkreis Holzminden - Gandersheim)
wurde für gültig erklärt, dagegen die des Abg. Frhrn. v. Münch
(8. württembergischer Wahlkreis Horb-Sulz) beanstandet und
die Vornahme von Erhebungen beschlossen. Morgen um 2 Uhr
zweite Lesung der Vorlage über Helgoland und erste Berathung
der Patentgesetznovelle.


Die von der "Freis. Ztg." mehrfach
wiederholte, auch in andere Blätter übergegangene Behauptung,
daß der Regierungspräsident v. Heppe in Danzig wider seinen
Willen, gewissermaßen strafweise, nach Trier versetzt werde, ist, wie
wir auf Grund bester Information versichern können, abgesehen
von der Thatsache der Versetzung ganz und gar unbegründet. Es
liegt nicht der geringste Grund vor, der zu einer für Hrn. v. Heppe
etwa unangenehmen Versetzung bestimmen könnte, und die Gründe,
die sich sreisinnige Blätter dafür zurecht gemacht haben, beruhen
auf Einbildung. Selbstverständlich hat Hr. v. Heppe von seiner
Versetzung vor ihrem Vollzuge, der dieser Tage erfolgt ist, gewußt
und es ist auch richtig, daß Trier im allgemeinen unter den höheren
Verwaltungsbeamten als ein angenehmerer Posten gilt als Danzig.
Vermuthlich ist die falsche Deutung dadurch unterstützt worden, daß
früher irrthümlich gemeldet worden war, der Oberpräsidialrath
v. Itzenplitz in Breslau werde nach Trier kommen, während
er als Nachfolger des nach Frankfurt a. O. versetzten Hrn. v. Putt-
kamer
zum Regierungspräsidenten in Koblenz ernannt ist. --
Die Nachricht von einer Vorlage, welche zum Zwecke des Dom-
baues in Berlin
22 Mill. Mark fordere, ist bereits als un-
sicher und jedenfalls verfrüht bezeichnet worden. Dem Vernehmen
nach wird die Angelegenheit voraussichtlich im Zusammenhange
mit der Aufstellung des Etats für 1891/92 behandelt werden und
nicht in einer besonderen Borlage, sondern, wie in den bisherigen
Vorstadien, in denen ein für Art und Kosten des gesammten
Banes bindender Beschluß des Abgeordnetenhauses noch nicht zu
Stande gekommen ist, in einer Etatsforderung an den Landtag
kommen. Es ist jedoch zweifelhast, ob schon Staatsministerial-
beschlüsse hierüber vorliegen. -- Die Berufung auf die "König-
liche Gnade" in der Angelegenheit des Nachlasses von
[Spaltenumbruch] Stempelabgaben bei Fideicommißstiftungen
wird von
einigen Seiten mit der Behauptung zurückgewiefen, daß Steuern
und Abgaben nicht Strafen im Sinne des Gesetzes seien und da-
her von dem "Begnadigungsrechte" nicht die Rede sein könne.
Die königliche Gnade, d. h. die Privilegienhoheit des Staatsober-
hauptes, ist ein viel weiterer Begriff und deckt sich keineswegs
bloß mit dem Begnadigungsrechte in Straf- und Untersuchungs-
sachen. Sie wird in Form der Gesetzgebung ausgeübt, wenn eine
Classe von Personen oder Fällen unter singuläre Rechtsgrund-
sätze gestellt werden soll, in der Form der Verordnung aber,
wenn es sich um einzelne Personen und Fälle handelt. Nach
dem gemeinen deutschen Staatsrechte ist im letzteren Falle auch
in der constitutionellen Monarchie keine Mitwirkung der Stände
erforderlich (vgl. Zöpfl, Grundsätze des gem. dtsch. Staatsr. II,
§. 481). Die Fälle, daß auf eine Forderung des Steuersiscus im
Wege der Gnade verzichtet wurde, gehören keineswegs zu den
großen Seltenheiten; es wiederholt sich z. B. der Fall, daß im
guten Glauben von pensionirten Beamten zu hohe Pensions-
beträge abgehoben werden und daß die spätere Rückforderung sich
zu einer empsindlichen Härte gestalten kann. In diesem Falle
tritt die königliche Gnade als Hüterin des jus aequum ein.
Auch v. Rönne rechnet in seinem Preußischen Staatsrechte zu den
Gegenständen der Privilegienhoheit die Vefreiung einer Perfon von
gewissen öffentlichen Lasten und stellt die sog. lex specialis als
einen Act der freien Willkür des Staatsoberhauptes dar, welches
dabei die Schranken der Verfassung innezuhalten verpflichtet sek.
Könnte es zweifelhaft sein, ob die preußische Verfassung im
Lucius'schen Falle eine solche Beschränkung enthalte, so ist doch
jeder Zweifel daran ausgeschlossen, daß der König und die Mi-
nister das eingeschlagene Verfahren für zulässig erachteten. --
Den hiesigen "Politischen Nachrichten" zufolge wäre beabsich-
tigt, unter Abstandnahme von weitergehenden Plänen den Bau-
plan des hiesigen Domes auf eine würdige Predigtkirche für die
Domgemeinde zu beschränken.


Die Ausschüsse des Bundes-
raths
für das Landheer und die Festungen, für das Seewesen
und für Justizwesen traten heute zu einer Sitzung zusammen.


In dem Etat der Marineverwaltung für 1891/92
sind, wie wir schon früher in Kürze mitgetheilt haben, auch
Mittel zur Erbauung von Arbeiterwohnhäusern in Friedrichs-
ort,
am Ausgange des Kieler Hafens, ausgebracht. Es ist zunächst
der Bau von 20 Häusern in Aussicht genommen, von denen jedes
zwei Familienwohnungen enthalten soll. Jede dieser Wohnungen
soll im Erdgeschoß ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer und eine
Küche, und im Dachgeschoß noch zwei Zimmer für Einlieger ent-
halten, so daß in den projectirten 20 Häusern 40 Familien und
80 Einlieger, im ganzen also 120 Arbeiter Unterkommen finden
würden. Jedes Haus soll außerdem ein kleines Nebengebäude als
Stallung für Kleinvieh, Brennholz etc., sowie ein Stück Gemüse-
land und einen kleinen Vorgarten erhalten. Den Arbeitern wird
also ein ganz behagliches Heim bereitet werden. Die Kosten für
ein solches Haus mit Nebengebäude sind auf 13,650 M. ange-
nommen; als Gesammtforderung einschließlich für den Grunder-
werb, Straßenanlagen etc. ist die Summe von 341,000 M. in den
Etat eingestellt.


Die Artilleriewerkstatt in Spandau hat vom Kriegs-
ministerium den Auftrag zur Lieferung des neuen Armeesattels
erhalten, dessen Einführung beschlossen worden ist.


Der Kaiser sah am gestrigen Nachmittag den Neichslamzler
General v. Caprivi und auch den österreichisch-ungarischen Bot-
schafter Grafen v. Wolkenstein-Twstburg als Gäste bei sich zur
Frühstückstafel im hiesigen königlichen Schlosse. -- Im Laufe des
Nachmittags hatte der Kaiser alsdaun auch noch eine kängere
Conferenz mit dem Reichskanzler General v. Caprivi, arbeitete
dann mit dem Wirkl. Geh. Rath Dr. v. Lucanus und
hierauf mit dem Cultusminister v. Goßler. -- Im Laufe des
heutigen Vormittags nahm der Kaiser im hiesigen Schlosse die
Vorträge des Staatssecretärs Frhrn. v. Marschall, darauf des
Staatssecretärs des Reichsmarineamtes, später den des Chefs des
Marinecabinets und demnächst den des Chefs des Militärcabinets,
Generals v. Hahnke entgegen.


Nach dem "Hess. Volksbl." wäre im Januar der Besuch des
Kaisers am großherzoglich hessischen Hof zu erwarten; ein
Besuch von Mainz soll damit verbunden werden. -- Die
Kaiserin Friedrich empsing gestern das für die nächstjährige
internationale große Kunstausstellung unter dem Borsitz des
Professors A. v. Werner zusammengetretene Ausstellungscomite.
Die Kaiserin hat das Protectorat übernommen.


Nach der "Germania" ist die Mandatniederkegung des Hrn.
v. Schorlemer - Alst wegen eines Herzleidens erfolgt. Im
Wahlkreise Bochum wird dadurch eine Nachwahl erforderlich. Der
Kreis siel bei den letzten Wahlen dem Centrum zu, während er sonst,
mit Ausnahme von 1881--1884, stets nationalliberal vertreten
war. Bei der Wahl im letzten Februar wurden im ersten Wahl-
gang 18,639 nationalliberale, 4998 deutschfreisinnige, 21,889
Centrums- und 8388 socialdemokratische Stimmen abgegeben. In
der engeren Wahl siegte Hr. v. Schorlemer-Alst mit 29,869 Stimmen
über seinen nationalliberaken Gegner mit 28,824 Stimmen.

Italien.

* Nach einer der "Pol. Corr." aus Rom zugehenden Mel-
dung wird in dortigen unterrichteten Kreisen angekündigt, daß die
italienische Thronrede anläßlich der Eröffnung der Kammern
ein sehr friedliches Gepräge tragen und, gestützt auf die durch die
internationale Lage gegebenen Vorausfetzungen, die Zuversicht auf
die Erhaltung des europäischen Friedens zum Ausdrucke bringen
werde. -- Das Amtsblatt veröffentlichte bereits die Liste der
neuernannten italienischen Senatoren, und zwar: General-
lieutenant Morra di Lavriano, Chiaves, Pugliese Giannone, Fürst
di Baucina, Righi, Gerardi, Generalmajor Geymet, Marquis
de Mari, Basteris, Maurogonato-Pesaro und Graf Taverna.

Serbien.


Die Adreßdebatte, welche
drei Tage hindurch die Skupschtina beschäftigte, war ein
dentliches Spiegelbild der serbischen Volksstimmung. In beiden
Adressen, in der schließlich angenommenen radicalen, wie in dem
oppositionellen liberalen Adreßentwurfe, wurde offen und mit
bedeutender Markirung die Anlehnung Serbiens an Rußland
ausgesprochen. Aus den Reden der Skupschtina-Abgeordneten
klang es aber noch viel schärfer heraus, daß die Serben zur
russischen Politik stehen, daß diese Hinneigung auf der gemein-
samen slawischen Abstammung und der gleichen Religion be-
ruhe, als eine Sache des Herzens und Nationalgefühls ange-
sehen werde. Die freundschaftlichen Beziehungen zu Oesterreich-
Ungarn werden dagegen als eine Sache der Nothwendigkeit
bezeichnet -- einer Nothwendigkeit, die aus der geographischen
Lage entspringe. Es wird in der Adresse nicht ausgesprochen,
daß Serbien durch seine Sympathie für Rußland sich demselben
unbedingt zur politischen Verfügung stelle, wie auch nicht erklärt
wurde, daß diese Freundschaft die guten Beziehungen zu
Oesterreich-Ungarn trüben könnte, was manche Politiker be-
fürchten, aber die Hoffnung und Zuversicht klang aus den

[Spaltenumbruch]


Weise entstehen also zwei Beobachtungspunkte, aber es ergibt
sich, daß der Hörpunkt vor dem Sehpunkt liegt, der Fingerdruck
beim Hören eher erfolgt, als beim Sehen, mithin über dem Er-
kennen und Unterscheiden der beiden Buchstaben mehr Zeit ver-
geht, wenn dieselben dem Auge, als wenn sie durch die Sprache
dem Ohre dargeboten werden. Man hat gemeint, das komme
daher, weil die betreffenden Buchstaben nur conventionelle, künst-
liche Zeichen und gewissermaßen erst in Laute zu übersetzen
seien -- diese Uebersetzung wird ja dem Gehirn in dem Falle
gar nicht zugemuthet. Der wahre Grund der Verspätung liegt
offenbar darin, daß die Gesichtseindrücke langsamer wahrgenom-
men werden, als die Gehörempsindungen. Lesen, so viel an-
strengender, als Schreiben, fällt uns vollends schwerer, als Zu-
hören, so gut wir auch lesen können; Lesen erfordert Zeit, nur
die Kritiker brauchen mitunter keine. Die Lautsprache will
gehört, die Geberdensprache will gelesen sein wie die Schrift.

Durch Einwirkung des Lichtreizes auf die Netzhaut ent-
stehen Lichtempsindungen. Da nun die Trägheit eine allgemeine
Eigenschaft der Materie ist, so kann es nicht überraschen, daß
eine gewisse Zeit verstreicht, bevor auf Einwirkung des Reizes
die Netzhaut in einen merklichen Erregungszustand gerathen ist.
Auch die Schallwellen müssen auf die Endapparate unsres Ge-
hörnerven gleichsam verpflanzt und zum Gehirn getragen werden,
damit wir hören; das geht aber schneller.

Und die Geschwindigkeit des Lichtes? In einer Fünftel-
Secunde sehe ich manchen Leser den Kopf schütteln. Bekanutlich
sehen wir den Blitz eher, als wir den Donner hören; bekannt-
lich sehen die Soldaten in der Schlacht zu allererst das Feuer,
dann kommt die Kugel geflogen, dann hören sie den Knall; be-
kanntlich legt in einer Secunde das Licht 305,684,636 Meter
zurück, der Schall nur 340 Meter, der Sturm nur 16 Meter
und ein Droschkenpferd gar nur 3,8 Meter. Aber das Licht
gleicht einem Schnellläufer, der an die Pforte eines Palaftes
pocht und hier mit ebenso viel Umständlichkeiten vorgelassen
wird, wie ein gewöhnlicher Fußgänger, vielleicht sogar noch
länger warten muß, als dieser. Für ungeheure Entfernungen
ist der Schnellläufer freilich im Bortheil; mag der Portier auch
[Spaltenumbruch] noch so viel Ceremonien machen, er ist schon vorgekommen,
wenn der Fußgänger noch wandert; je kürzer der Weg ist, um
so weniger kommt seine Schnelligkeit zur Geltung. Wollten
wir mit den Mondbewohnern ein Gespräch anknüpfen, so thäten
wir gut, dem Nathe jenes Naturforschers zu folgen, der ihnen,
da sie doch Vernunft haben müßten, in Form eines riesigen
Holzbestandes den Pythagoräischen Lehrsatz demonstriren wollte;
das stärkste hörbare Signal würde nicht nur im Weltraum ver-
loren gehen, weil sich der Schall im leeren Raum nicht fort-
pflanzt und schon auf hohen Bergen in verdünnter Luft ver-
flüchtigt, sondern auch, wenn es dies nicht thäte, später zum
Bewußtsein der Mondbewohner kommen, als die frohe Bot-
schaft von dem rechtwinkeligen Dreieck. In der Nähe nützt den
Lichtstrahlen ihre große Geschwindigkeit fast nichts, ihr Verhält-
niß zu den trägeren Schallwellen gestaltet sich bei den stehenden
Empfangsformalitäten immer ungünstiger, je weniger weit sie
her sind.

Als das verborgene Leben der Körper, ihren Herzschlag,
ihre Seele kann man den Ton betrachten, den sie bei der Be-
rührung von sich geben -- der Klang ist wie ein Geist, den
ein mächtiger Zauberer in die Körperwelt gebannt hat, und der
sich klagend vernehmen läßt, sobald wir daran klopfen -- die
Seele des Universums ist der Ton, der Geist der Erde spricht
sich in Farben und Düsten aus, eindringlicher in Klängen und
in den unvergeßlichen Schwingungen, die, von der Luft bis zu
dem ausgespannten Trommelfell fortgepflanzt, auf das Gehör-
organ übertragen werden. Durch das Ohr dringt das große
Freiconcert der Natur, das Rauschen des Meeres und das
dumpfe Brausen der großstädtischen Menschenwoge, das Murmeln
der Quelle und das süße Geflüster der Liebe -- freilich auch
das Gequake der Frösche, das Gezisch der Schlangen und
Nabengekrächz --, in der Farbe gleicht es der wilden Nose, in
der Form der zierlichen Muschel, so ist es die geheime Pforte
der Seele, ein wunderbar an der Schläfe des Menschen be-
ginnendes offenes Labyrinth! -- Hindurch geht der Weg zu
unserm Herzen.



München, Donnerſtag Allgemeine Zeitung 4. December 1890. Morgenblatt Nr. 336.
[Spaltenumbruch]
München, 3. December.

aus demſelben, den Jahresbetrag von 600,000 Mark zu be-
zahlen. 3) die Regierung tritt der Geſellſchaft für das Küſten-
gebiet, deſſen Zubehörungen, die Inſel Mafia und das im
Schutzbriefe vom 27. Februar 1885 erwähnte Gebiet das aus-
ſchließliche Recht auf den Eigenthumserwerb durch Occupation
an herrenloſen Grundſtücken und deren unbeweglichen Zu-
behörungen, alſo auch an Wäldern, ab mit gewiſſen hier nicht
weiter in Vetracht kommenden Vorbehalten. 4) Der Geſell-
ſchaft wird das Recht zur Errichtung einer Bank mit dem
Privilegium einer Ausgabe von Noten ertheilt. 5) Die Geſell-
ſchaft verbleibt im Veſitze der ihr zuſtehenden Befugniß,
Kupfer- und Silbermünzen, welche an den öffentlichen Caſſen
des Küſtengebietes, deſſen Zubehörungen und der Inſel Mafia,
ſowie des Gebietes des kaiſerlichen Schutzbriefes vom 27. Febr.
1885 in Zahlung genommen werden müſſen, zu prägen und
auszugeben. 6) Vor dem Erlaß von Geſetzen und Ver-
ordnungen für das Küſtengebiet u. ſ. w. wird die Regierung
die Geſellſchaft zur gutachtlichen Aeußerung auffordern, ſofern
nicht die Dringlichkeit des Falles eine Abweichung von der
Regel erheiſcht.

Durch den kaiſerlichen Schutzbrief vom 27. Februar 1885
war der Deutſch-Oſtafrikaniſchen Geſellſchaft, für ihr bis zu
dieſem Zeitpunkte erworbenes Gebiet, und durch Schutzbrief
vom 17. Mai 1885 mit Ergänzung vom 13. December 1886
war der Neu-Guinea-Compagnie für ihr ganzes Gebiet die
Ausübung der Landeshoheit mit gewiſſen theils aus der Natur
der Sache ſich ergebenden, theils durch Reichsgeſetz feſtgeſtellten
Ausnahmen hinſichtlich der auswärtigen Verwaltung, der
Militärhoheit und der Gerichtsbarkeit verliehen worden. Die
beiden Geſellſchaften hatten alſo auf Grund der kaiſerlichen
Schutzbriefe das Necht, mit den erwähnten Beſchränkungen die
geſetzgebende und die vollziehende Gewalt in ihren Schutz-
gebieten Namens des Reiches und unter Auſſicht der Reichs-
regierung auszuüben.

Die den Geſellſchaften verliehenen Hoheitsrechte hätten
ihnen unter gewiſſen Vorausſetzungen von Oberauſſichtswegen
und außerdem ſelbſtverſtändlich durch Reichsgeſetz wieder ent-
zogen werden können. Die Reichsregierung ſchlug aber aus
naheliegenden Gründen den Weg ein, die Geſellfchaſten zur
freiwilligen Verzichtleiſtung auf die ihnen durch die Schutzbriefe
verliehenen Hoheitsrechte zu bewegen.

Nachdem nunmehr die beiden hier in Frage ſtehenden Ge-
ſellſchaften auf die Ausübung von Hoheitsrechten in ihren
Gebieten verzichtet haben, wird die Gefetzgebung, Necht-
ſprechung und Verwaltung in allen deutſchen Schutzgebieten
von nun an im Namen des Reichs von kaiſerlichen
Beamten
ausgeübt und gehandhabt.

Von den den Geſellſchaften verbliebenen Rechten liegt
allerdings das Recht, vor dem Erlaſſe von Geſetzen und Ver-
ordnungen gehört zu werden, auf dem Gebiete der Gefetz-
gebung, dasſelbe iſt aber von keiner ſchwerwiegenden Be-
deutung. Ebenſo iſt das der Oſtafrikaniſchen Geſellſchaft ein-
geräumte Recht der Münzprägung als ein der Geſellſchaft
verlichenes Hoheitsrecht zu betrachten, das freilich in Oſtafrika
doch eine etwas andere Bedeutung hat, als in Deutſchland.

Von den beiden anderen hier noch in Betracht kommen-
den Nechten, dem beiden Geſellſchaften verliehenen Grunder-
werbsmonopol und dem der Oſtafrikaniſchen Geſellſchaft ver-
liehenen Banknoten-Privilegium, kann keines als ein weſent-
liches Hoheitsrecht gelten. Die Ueberlaſſung dieſer Rechte an
die Geſellſchaften unterlag daher nicht dem mindeſten Be-
denken, im Gegentheil mußte die Ueberlaſſung dieſer Rechte,
namentlich des Grunderwerbsmonopols, an die Geſellſchaften
im Intereſſe ihrer wirthſchaftlichen Entwicklung als durchaus
geboten erſcheinen.

Daß die mehrerwähnten Colonialgeſellſchaften auf die ihnen
verliehenen Hoheitsrechte verzichtet haben, iſt im Intereſſe der
Entwicklung der deutſchen Schutzgebiete nur zu begrüßen. Die
Halbheit und Unſchlüſſigkeit, welche die deutſche Coloniakpolitik
in den letzten Jahren nicht eben vortheilhaft auszeichnete, iſt
zum nicht geringen Theil auf die Abneigung des Neichstags,
zum größeren Theil aber darauf zurückzuführen, daß die Reichs-
regierung immer noch zu viel von den Colonialgeſellſchaften
erwartete. So wäre man ſicherlich in Südweſtafrika viel früher
von Reichswegen energiſch aufgetreten, wenn nicht immer noch
eine, wenn auch ſchwache, Hoffnung beſtanden hätte, die Süd-
weſtafrikaniſche Colonialgeſellſchaft werde in die Lage kommen,
die Verwaktung des Schutzgebietes wenigſtens theilweiſe zu
übernehmen, in Oſtafrika aber wäre mancher verhängnißvolle
Fehler vermieden worden, wenn die Reichsregierung von An-
fang an die Sache ſelbſt in die Hand genommen hätte. Die
Entwicklung der Dinge in Oſtafrika hat den ſchlagendſten Be-
weis geliefert, wie bedenklich es iſt, Colonialgeſellſchaften die
politiſche Regierung und Verwaltung der Colonien zu über-
[Spaltenumbruch] laſſen. Geht die Sache ſchief, ſo muß doch die Regierung des
Mutterlandes eintreten, und dann natürlich ſtets unter mög-
lichſt ungünſtigen Verhältniſſen.

Durch den Verzicht auf die ihnen verliehenen Hoheitsrechte
haben aber auch die Colonialgeſellſchaften gewonnen. Aus
der Zwitterſtellung von Erwerbsgeſellſchaften einerſeits und
öffentlichen, mit Hoheitsrechten ausgeſtatteten Corporationen
andrerſeits erlöst, von der erdrückenden Laſt der öffentlichen
Verwaltung ihrer Gebiete befreit, können ſie ſich nun mit aller
Kraft der wirthſchaftlichen Erſchließung und Entwicklung der
letzteren widmen.

Sonach iſt durch die neueſte Entwicklung unſrer Colonial-
politik nach allen Nichtungen Klarheit geſchaffen worden. Das
Reich beſorgt das, was ihm zukommt, die Regierung und Ver-
waltung der Schutzgebiete, und die Colonialgeſellſchaften ſind
auf dem wirthſchaftlichen Gebiete thätig, auf dem ſie allein
eine erfolgreiche Wirkſamkeit entfalten können. Es beſteht auch
keine Gefahr, daß jemals wieder auf das urſprüngliche eng-
angelegte Programm, möglichft Alles Colonialgeſellſchaſten zu
überlaſſen, zurückgegriffen wird, ſchon aus dem einfachen
Grunde nicht, weil ein derartiges Zurückgreifen nicht mehr
nothwendig und auch wohl nicht mehr ausführbar iſt.
Wie hervorgehoben, hatte die Regierung wohl haupt-
ſächlich deßhalb ein ſo eng begrenztes Programm aufge-
ſtellt, weil ſie die nöthige Unterſtützung für eine energiſche Colo-
nialpolitik weder im Reichstage, noch im deutſchen Volke zu
finden hoffte. Auch jetzt noch gibt es Gegner der activen Colo-
nialpolitik, aber ſoweit ſind wir doch ſchon, daß ſelbſt die meiſten
dieſer Gegner mit dem deutſchen Colonialbeſitz als einer unab-
wendbaren Thatſache rechnen und überzeugt ſind, daß nur das
Reich ſelbſt die Colonien regieren und verwalten kann.



Deutſches Reich.

Tel. Der Reichstag wählte in
ſeiner heutigen Sitzung den Abg. Schneider-Hamm (nat.-lib.)
an Stelle des Abg. Dr. Bürklin zum Schriftführer und über-
wies dann die Ueberſicht über die Ausgaben und Einnahmen
des Reiches im Etatsjahre 1889/90 der Rechnungscommiſſion.
Bei Prüfung der Wahl des Abg. v. Reden (9. hannoveriſcher
Wahlkreis Hameln) kritiſirte Abg. Nickert die Entſcheidungen
der Wahlprüfungscommiſſion und beantragte Ausſetzung der
Abſtimmung über die Gültigkeit der Wahl. Abg. Auer be-
ſchwerte ſich über die Verbote ſocialdemokratiſcher Verſamm-
lungen und über Wahlbeeinfluſſungen; Abg. Baumbach
(Reichspartei) trat für das Recht der Kriegervereine, gegen die
Socialdemokratie Front zu machen; ein. Schließlich wurde der
Antrag Rickert angenommen. Die Wahl des Abg. Schütte
(3. braunſchweigiſcher Wahlkreis Holzminden – Gandersheim)
wurde für gültig erklärt, dagegen die des Abg. Frhrn. v. Münch
(8. württembergiſcher Wahlkreis Horb-Sulz) beanſtandet und
die Vornahme von Erhebungen beſchloſſen. Morgen um 2 Uhr
zweite Leſung der Vorlage über Helgoland und erſte Berathung
der Patentgeſetznovelle.


Die von der „Freiſ. Ztg.“ mehrfach
wiederholte, auch in andere Blätter übergegangene Behauptung,
daß der Regierungspräſident v. Heppe in Danzig wider ſeinen
Willen, gewiſſermaßen ſtrafweiſe, nach Trier verſetzt werde, iſt, wie
wir auf Grund beſter Information verſichern können, abgeſehen
von der Thatſache der Verſetzung ganz und gar unbegründet. Es
liegt nicht der geringſte Grund vor, der zu einer für Hrn. v. Heppe
etwa unangenehmen Verſetzung beſtimmen könnte, und die Gründe,
die ſich ſreiſinnige Blätter dafür zurecht gemacht haben, beruhen
auf Einbildung. Selbſtverſtändlich hat Hr. v. Heppe von ſeiner
Verſetzung vor ihrem Vollzuge, der dieſer Tage erfolgt iſt, gewußt
und es iſt auch richtig, daß Trier im allgemeinen unter den höheren
Verwaltungsbeamten als ein angenehmerer Poſten gilt als Danzig.
Vermuthlich iſt die falſche Deutung dadurch unterſtützt worden, daß
früher irrthümlich gemeldet worden war, der Oberpräſidialrath
v. Itzenplitz in Breslau werde nach Trier kommen, während
er als Nachfolger des nach Frankfurt a. O. verſetzten Hrn. v. Putt-
kamer
zum Regierungspräſidenten in Koblenz ernannt iſt. —
Die Nachricht von einer Vorlage, welche zum Zwecke des Dom-
baues in Berlin
22 Mill. Mark fordere, iſt bereits als un-
ſicher und jedenfalls verfrüht bezeichnet worden. Dem Vernehmen
nach wird die Angelegenheit vorausſichtlich im Zuſammenhange
mit der Aufſtellung des Etats für 1891/92 behandelt werden und
nicht in einer beſonderen Borlage, ſondern, wie in den bisherigen
Vorſtadien, in denen ein für Art und Koſten des geſammten
Banes bindender Beſchluß des Abgeordnetenhauſes noch nicht zu
Stande gekommen iſt, in einer Etatsforderung an den Landtag
kommen. Es iſt jedoch zweifelhaſt, ob ſchon Staatsminiſterial-
beſchlüſſe hierüber vorliegen. — Die Berufung auf die „König-
liche Gnade“ in der Angelegenheit des Nachlaſſes von
[Spaltenumbruch] Stempelabgaben bei Fideicommißſtiftungen
wird von
einigen Seiten mit der Behauptung zurückgewiefen, daß Steuern
und Abgaben nicht Strafen im Sinne des Geſetzes ſeien und da-
her von dem „Begnadigungsrechte“ nicht die Rede ſein könne.
Die königliche Gnade, d. h. die Privilegienhoheit des Staatsober-
hauptes, iſt ein viel weiterer Begriff und deckt ſich keineswegs
bloß mit dem Begnadigungsrechte in Straf- und Unterſuchungs-
ſachen. Sie wird in Form der Geſetzgebung ausgeübt, wenn eine
Claſſe von Perſonen oder Fällen unter ſinguläre Rechtsgrund-
ſätze geſtellt werden ſoll, in der Form der Verordnung aber,
wenn es ſich um einzelne Perſonen und Fälle handelt. Nach
dem gemeinen deutſchen Staatsrechte iſt im letzteren Falle auch
in der conſtitutionellen Monarchie keine Mitwirkung der Stände
erforderlich (vgl. Zöpfl, Grundſätze des gem. dtſch. Staatsr. II,
§. 481). Die Fälle, daß auf eine Forderung des Steuerſiscus im
Wege der Gnade verzichtet wurde, gehören keineswegs zu den
großen Seltenheiten; es wiederholt ſich z. B. der Fall, daß im
guten Glauben von penſionirten Beamten zu hohe Penſions-
beträge abgehoben werden und daß die ſpätere Rückforderung ſich
zu einer empſindlichen Härte geſtalten kann. In dieſem Falle
tritt die königliche Gnade als Hüterin des jus aequum ein.
Auch v. Rönne rechnet in ſeinem Preußiſchen Staatsrechte zu den
Gegenſtänden der Privilegienhoheit die Vefreiung einer Perfon von
gewiſſen öffentlichen Laſten und ſtellt die ſog. lex specialis als
einen Act der freien Willkür des Staatsoberhauptes dar, welches
dabei die Schranken der Verfaſſung innezuhalten verpflichtet ſek.
Könnte es zweifelhaft ſein, ob die preußiſche Verfaſſung im
Lucius’ſchen Falle eine ſolche Beſchränkung enthalte, ſo iſt doch
jeder Zweifel daran ausgeſchloſſen, daß der König und die Mi-
niſter das eingeſchlagene Verfahren für zuläſſig erachteten. —
Den hieſigen „Politiſchen Nachrichten“ zufolge wäre beabſich-
tigt, unter Abſtandnahme von weitergehenden Plänen den Bau-
plan des hieſigen Domes auf eine würdige Predigtkirche für die
Domgemeinde zu beſchränken.


Die Ausſchüſſe des Bundes-
raths
für das Landheer und die Feſtungen, für das Seeweſen
und für Juſtizweſen traten heute zu einer Sitzung zuſammen.


In dem Etat der Marineverwaltung für 1891/92
ſind, wie wir ſchon früher in Kürze mitgetheilt haben, auch
Mittel zur Erbauung von Arbeiterwohnhäuſern in Friedrichs-
ort,
am Ausgange des Kieler Hafens, ausgebracht. Es iſt zunächſt
der Bau von 20 Häuſern in Ausſicht genommen, von denen jedes
zwei Familienwohnungen enthalten ſoll. Jede dieſer Wohnungen
ſoll im Erdgeſchoß ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer und eine
Küche, und im Dachgeſchoß noch zwei Zimmer für Einlieger ent-
halten, ſo daß in den projectirten 20 Häuſern 40 Familien und
80 Einlieger, im ganzen alſo 120 Arbeiter Unterkommen finden
würden. Jedes Haus ſoll außerdem ein kleines Nebengebäude als
Stallung für Kleinvieh, Brennholz ꝛc., ſowie ein Stück Gemüſe-
land und einen kleinen Vorgarten erhalten. Den Arbeitern wird
alſo ein ganz behagliches Heim bereitet werden. Die Koſten für
ein ſolches Haus mit Nebengebäude ſind auf 13,650 M. ange-
nommen; als Geſammtforderung einſchließlich für den Grunder-
werb, Straßenanlagen ꝛc. iſt die Summe von 341,000 M. in den
Etat eingeſtellt.


Die Artilleriewerkſtatt in Spandau hat vom Kriegs-
miniſterium den Auftrag zur Lieferung des neuen Armeeſattels
erhalten, deſſen Einführung beſchloſſen worden iſt.


Der Kaiſer ſah am geſtrigen Nachmittag den Neichslamzler
General v. Caprivi und auch den öſterreichiſch-ungariſchen Bot-
ſchafter Grafen v. Wolkenſtein-Twſtburg als Gäſte bei ſich zur
Frühſtückstafel im hieſigen königlichen Schloſſe. — Im Laufe des
Nachmittags hatte der Kaiſer alsdaun auch noch eine kängere
Conferenz mit dem Reichskanzler General v. Caprivi, arbeitete
dann mit dem Wirkl. Geh. Rath Dr. v. Lucanus und
hierauf mit dem Cultusminiſter v. Goßler. — Im Laufe des
heutigen Vormittags nahm der Kaiſer im hieſigen Schloſſe die
Vorträge des Staatsſecretärs Frhrn. v. Marſchall, darauf des
Staatsſecretärs des Reichsmarineamtes, ſpäter den des Chefs des
Marinecabinets und demnächſt den des Chefs des Militärcabinets,
Generals v. Hahnke entgegen.


Nach dem „Heſſ. Volksbl.“ wäre im Januar der Beſuch des
Kaiſers am großherzoglich heſſiſchen Hof zu erwarten; ein
Beſuch von Mainz ſoll damit verbunden werden. — Die
Kaiſerin Friedrich empſing geſtern das für die nächſtjährige
internationale große Kunſtausſtellung unter dem Borſitz des
Profeſſors A. v. Werner zuſammengetretene Ausſtellungscomité.
Die Kaiſerin hat das Protectorat übernommen.


Nach der „Germania“ iſt die Mandatniederkegung des Hrn.
v. Schorlemer – Alſt wegen eines Herzleidens erfolgt. Im
Wahlkreiſe Bochum wird dadurch eine Nachwahl erforderlich. Der
Kreis ſiel bei den letzten Wahlen dem Centrum zu, während er ſonſt,
mit Ausnahme von 1881—1884, ſtets nationalliberal vertreten
war. Bei der Wahl im letzten Februar wurden im erſten Wahl-
gang 18,639 nationalliberale, 4998 deutſchfreiſinnige, 21,889
Centrums- und 8388 ſocialdemokratiſche Stimmen abgegeben. In
der engeren Wahl ſiegte Hr. v. Schorlemer-Alſt mit 29,869 Stimmen
über ſeinen nationalliberaken Gegner mit 28,824 Stimmen.

Italien.

* Nach einer der „Pol. Corr.“ aus Rom zugehenden Mel-
dung wird in dortigen unterrichteten Kreiſen angekündigt, daß die
italieniſche Thronrede anläßlich der Eröffnung der Kammern
ein ſehr friedliches Gepräge tragen und, geſtützt auf die durch die
internationale Lage gegebenen Vorausfetzungen, die Zuverſicht auf
die Erhaltung des europäiſchen Friedens zum Ausdrucke bringen
werde. — Das Amtsblatt veröffentlichte bereits die Liſte der
neuernannten italieniſchen Senatoren, und zwar: General-
lieutenant Morra di Lavriano, Chiaves, Puglieſe Giannone, Fürſt
di Baucina, Righi, Gerardi, Generalmajor Geymet, Marquis
de Mari, Baſteris, Maurogonato-Peſaro und Graf Taverna.

Serbien.


Die Adreßdebatte, welche
drei Tage hindurch die Skupſchtina beſchäftigte, war ein
dentliches Spiegelbild der ſerbiſchen Volksſtimmung. In beiden
Adreſſen, in der ſchließlich angenommenen radicalen, wie in dem
oppoſitionellen liberalen Adreßentwurfe, wurde offen und mit
bedeutender Markirung die Anlehnung Serbiens an Rußland
ausgeſprochen. Aus den Reden der Skupſchtina-Abgeordneten
klang es aber noch viel ſchärfer heraus, daß die Serben zur
ruſſiſchen Politik ſtehen, daß dieſe Hinneigung auf der gemein-
ſamen ſlawiſchen Abſtammung und der gleichen Religion be-
ruhe, als eine Sache des Herzens und Nationalgefühls ange-
ſehen werde. Die freundſchaftlichen Beziehungen zu Oeſterreich-
Ungarn werden dagegen als eine Sache der Nothwendigkeit
bezeichnet — einer Nothwendigkeit, die aus der geographiſchen
Lage entſpringe. Es wird in der Adreſſe nicht ausgeſprochen,
daß Serbien durch ſeine Sympathie für Rußland ſich demſelben
unbedingt zur politiſchen Verfügung ſtelle, wie auch nicht erklärt
wurde, daß dieſe Freundſchaft die guten Beziehungen zu
Oeſterreich-Ungarn trüben könnte, was manche Politiker be-
fürchten, aber die Hoffnung und Zuverſicht klang aus den

[Spaltenumbruch]


Weiſe entſtehen alſo zwei Beobachtungspunkte, aber es ergibt
ſich, daß der Hörpunkt vor dem Sehpunkt liegt, der Fingerdruck
beim Hören eher erfolgt, als beim Sehen, mithin über dem Er-
kennen und Unterſcheiden der beiden Buchſtaben mehr Zeit ver-
geht, wenn dieſelben dem Auge, als wenn ſie durch die Sprache
dem Ohre dargeboten werden. Man hat gemeint, das komme
daher, weil die betreffenden Buchſtaben nur conventionelle, künſt-
liche Zeichen und gewiſſermaßen erſt in Laute zu überſetzen
ſeien — dieſe Ueberſetzung wird ja dem Gehirn in dem Falle
gar nicht zugemuthet. Der wahre Grund der Verſpätung liegt
offenbar darin, daß die Geſichtseindrücke langſamer wahrgenom-
men werden, als die Gehörempſindungen. Leſen, ſo viel an-
ſtrengender, als Schreiben, fällt uns vollends ſchwerer, als Zu-
hören, ſo gut wir auch leſen können; Leſen erfordert Zeit, nur
die Kritiker brauchen mitunter keine. Die Lautſprache will
gehört, die Geberdenſprache will geleſen ſein wie die Schrift.

Durch Einwirkung des Lichtreizes auf die Netzhaut ent-
ſtehen Lichtempſindungen. Da nun die Trägheit eine allgemeine
Eigenſchaft der Materie iſt, ſo kann es nicht überraſchen, daß
eine gewiſſe Zeit verſtreicht, bevor auf Einwirkung des Reizes
die Netzhaut in einen merklichen Erregungszuſtand gerathen iſt.
Auch die Schallwellen müſſen auf die Endapparate unſres Ge-
hörnerven gleichſam verpflanzt und zum Gehirn getragen werden,
damit wir hören; das geht aber ſchneller.

Und die Geſchwindigkeit des Lichtes? In einer Fünftel-
Secunde ſehe ich manchen Leſer den Kopf ſchütteln. Bekanutlich
ſehen wir den Blitz eher, als wir den Donner hören; bekannt-
lich ſehen die Soldaten in der Schlacht zu allererſt das Feuer,
dann kommt die Kugel geflogen, dann hören ſie den Knall; be-
kanntlich legt in einer Secunde das Licht 305,684,636 Meter
zurück, der Schall nur 340 Meter, der Sturm nur 16 Meter
und ein Droſchkenpferd gar nur 3,8 Meter. Aber das Licht
gleicht einem Schnellläufer, der an die Pforte eines Palaftes
pocht und hier mit ebenſo viel Umſtändlichkeiten vorgelaſſen
wird, wie ein gewöhnlicher Fußgänger, vielleicht ſogar noch
länger warten muß, als dieſer. Für ungeheure Entfernungen
iſt der Schnellläufer freilich im Bortheil; mag der Portier auch
[Spaltenumbruch] noch ſo viel Ceremonien machen, er iſt ſchon vorgekommen,
wenn der Fußgänger noch wandert; je kürzer der Weg iſt, um
ſo weniger kommt ſeine Schnelligkeit zur Geltung. Wollten
wir mit den Mondbewohnern ein Geſpräch anknüpfen, ſo thäten
wir gut, dem Nathe jenes Naturforſchers zu folgen, der ihnen,
da ſie doch Vernunft haben müßten, in Form eines rieſigen
Holzbeſtandes den Pythagoräiſchen Lehrſatz demonſtriren wollte;
das ſtärkſte hörbare Signal würde nicht nur im Weltraum ver-
loren gehen, weil ſich der Schall im leeren Raum nicht fort-
pflanzt und ſchon auf hohen Bergen in verdünnter Luft ver-
flüchtigt, ſondern auch, wenn es dies nicht thäte, ſpäter zum
Bewußtſein der Mondbewohner kommen, als die frohe Bot-
ſchaft von dem rechtwinkeligen Dreieck. In der Nähe nützt den
Lichtſtrahlen ihre große Geſchwindigkeit faſt nichts, ihr Verhält-
niß zu den trägeren Schallwellen geſtaltet ſich bei den ſtehenden
Empfangsformalitäten immer ungünſtiger, je weniger weit ſie
her ſind.

Als das verborgene Leben der Körper, ihren Herzſchlag,
ihre Seele kann man den Ton betrachten, den ſie bei der Be-
rührung von ſich geben — der Klang iſt wie ein Geiſt, den
ein mächtiger Zauberer in die Körperwelt gebannt hat, und der
ſich klagend vernehmen läßt, ſobald wir daran klopfen — die
Seele des Univerſums iſt der Ton, der Geiſt der Erde ſpricht
ſich in Farben und Düſten aus, eindringlicher in Klängen und
in den unvergeßlichen Schwingungen, die, von der Luft bis zu
dem ausgeſpannten Trommelfell fortgepflanzt, auf das Gehör-
organ übertragen werden. Durch das Ohr dringt das große
Freiconcert der Natur, das Rauſchen des Meeres und das
dumpfe Brauſen der großſtädtiſchen Menſchenwoge, das Murmeln
der Quelle und das ſüße Geflüſter der Liebe — freilich auch
das Gequake der Fröſche, das Geziſch der Schlangen und
Nabengekrächz —, in der Farbe gleicht es der wilden Noſe, in
der Form der zierlichen Muſchel, ſo iſt es die geheime Pforte
der Seele, ein wunderbar an der Schläfe des Menſchen be-
ginnendes offenes Labyrinth! — Hindurch geht der Weg zu
unſerm Herzen.



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&#x017F;chwerte &#x017F;ich über die Verbote &#x017F;ocialdemokrati&#x017F;cher Ver&#x017F;amm-<lb/>
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(3. braun&#x017F;chweigi&#x017F;cher Wahlkreis Holzminden &#x2013; Gandersheim)<lb/>
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Vermuthlich i&#x017F;t die fal&#x017F;che Deutung dadurch unter&#x017F;tützt worden, daß<lb/>
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Vor&#x017F;tadien, in denen ein für Art und Ko&#x017F;ten des ge&#x017F;ammten<lb/>
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[2/0002] München, Donnerſtag Allgemeine Zeitung 4. December 1890. Morgenblatt Nr. 336. München, 3. December.aus demſelben, den Jahresbetrag von 600,000 Mark zu be- zahlen. 3) die Regierung tritt der Geſellſchaft für das Küſten- gebiet, deſſen Zubehörungen, die Inſel Mafia und das im Schutzbriefe vom 27. Februar 1885 erwähnte Gebiet das aus- ſchließliche Recht auf den Eigenthumserwerb durch Occupation an herrenloſen Grundſtücken und deren unbeweglichen Zu- behörungen, alſo auch an Wäldern, ab mit gewiſſen hier nicht weiter in Vetracht kommenden Vorbehalten. 4) Der Geſell- ſchaft wird das Recht zur Errichtung einer Bank mit dem Privilegium einer Ausgabe von Noten ertheilt. 5) Die Geſell- ſchaft verbleibt im Veſitze der ihr zuſtehenden Befugniß, Kupfer- und Silbermünzen, welche an den öffentlichen Caſſen des Küſtengebietes, deſſen Zubehörungen und der Inſel Mafia, ſowie des Gebietes des kaiſerlichen Schutzbriefes vom 27. 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Die beiden Geſellſchaften hatten alſo auf Grund der kaiſerlichen Schutzbriefe das Necht, mit den erwähnten Beſchränkungen die geſetzgebende und die vollziehende Gewalt in ihren Schutz- gebieten Namens des Reiches und unter Auſſicht der Reichs- regierung auszuüben. Die den Geſellſchaften verliehenen Hoheitsrechte hätten ihnen unter gewiſſen Vorausſetzungen von Oberauſſichtswegen und außerdem ſelbſtverſtändlich durch Reichsgeſetz wieder ent- zogen werden können. Die Reichsregierung ſchlug aber aus naheliegenden Gründen den Weg ein, die Geſellfchaſten zur freiwilligen Verzichtleiſtung auf die ihnen durch die Schutzbriefe verliehenen Hoheitsrechte zu bewegen. Nachdem nunmehr die beiden hier in Frage ſtehenden Ge- ſellſchaften auf die Ausübung von Hoheitsrechten in ihren Gebieten verzichtet haben, wird die Gefetzgebung, Necht- ſprechung und Verwaltung in allen deutſchen Schutzgebieten von nun an im Namen des Reichs von kaiſerlichen Beamten ausgeübt und gehandhabt. Von den den Geſellſchaften verbliebenen Rechten liegt allerdings das Recht, vor dem Erlaſſe von Geſetzen und Ver- ordnungen gehört zu werden, auf dem Gebiete der Gefetz- gebung, dasſelbe iſt aber von keiner ſchwerwiegenden Be- deutung. Ebenſo iſt das der Oſtafrikaniſchen Geſellſchaft ein- geräumte Recht der Münzprägung als ein der Geſellſchaft verlichenes Hoheitsrecht zu betrachten, das freilich in Oſtafrika doch eine etwas andere Bedeutung hat, als in Deutſchland. Von den beiden anderen hier noch in Betracht kommen- den Nechten, dem beiden Geſellſchaften verliehenen Grunder- werbsmonopol und dem der Oſtafrikaniſchen Geſellſchaft ver- liehenen Banknoten-Privilegium, kann keines als ein weſent- liches Hoheitsrecht gelten. Die Ueberlaſſung dieſer Rechte an die Geſellſchaften unterlag daher nicht dem mindeſten Be- denken, im Gegentheil mußte die Ueberlaſſung dieſer Rechte, namentlich des Grunderwerbsmonopols, an die Geſellſchaften im Intereſſe ihrer wirthſchaftlichen Entwicklung als durchaus geboten erſcheinen. Daß die mehrerwähnten Colonialgeſellſchaften auf die ihnen verliehenen Hoheitsrechte verzichtet haben, iſt im Intereſſe der Entwicklung der deutſchen Schutzgebiete nur zu begrüßen. Die Halbheit und Unſchlüſſigkeit, welche die deutſche Coloniakpolitik in den letzten Jahren nicht eben vortheilhaft auszeichnete, iſt zum nicht geringen Theil auf die Abneigung des Neichstags, zum größeren Theil aber darauf zurückzuführen, daß die Reichs- regierung immer noch zu viel von den Colonialgeſellſchaften erwartete. So wäre man ſicherlich in Südweſtafrika viel früher von Reichswegen energiſch aufgetreten, wenn nicht immer noch eine, wenn auch ſchwache, Hoffnung beſtanden hätte, die Süd- weſtafrikaniſche Colonialgeſellſchaft werde in die Lage kommen, die Verwaktung des Schutzgebietes wenigſtens theilweiſe zu übernehmen, in Oſtafrika aber wäre mancher verhängnißvolle Fehler vermieden worden, wenn die Reichsregierung von An- fang an die Sache ſelbſt in die Hand genommen hätte. Die Entwicklung der Dinge in Oſtafrika hat den ſchlagendſten Be- weis geliefert, wie bedenklich es iſt, Colonialgeſellſchaften die politiſche Regierung und Verwaltung der Colonien zu über- laſſen. Geht die Sache ſchief, ſo muß doch die Regierung des Mutterlandes eintreten, und dann natürlich ſtets unter mög- lichſt ungünſtigen Verhältniſſen. Durch den Verzicht auf die ihnen verliehenen Hoheitsrechte haben aber auch die Colonialgeſellſchaften gewonnen. Aus der Zwitterſtellung von Erwerbsgeſellſchaften einerſeits und öffentlichen, mit Hoheitsrechten ausgeſtatteten Corporationen andrerſeits erlöst, von der erdrückenden Laſt der öffentlichen Verwaltung ihrer Gebiete befreit, können ſie ſich nun mit aller Kraft der wirthſchaftlichen Erſchließung und Entwicklung der letzteren widmen. Sonach iſt durch die neueſte Entwicklung unſrer Colonial- politik nach allen Nichtungen Klarheit geſchaffen worden. Das Reich beſorgt das, was ihm zukommt, die Regierung und Ver- waltung der Schutzgebiete, und die Colonialgeſellſchaften ſind auf dem wirthſchaftlichen Gebiete thätig, auf dem ſie allein eine erfolgreiche Wirkſamkeit entfalten können. Es beſteht auch keine Gefahr, daß jemals wieder auf das urſprüngliche eng- angelegte Programm, möglichft Alles Colonialgeſellſchaſten zu überlaſſen, zurückgegriffen wird, ſchon aus dem einfachen Grunde nicht, weil ein derartiges Zurückgreifen nicht mehr nothwendig und auch wohl nicht mehr ausführbar iſt. Wie hervorgehoben, hatte die Regierung wohl haupt- ſächlich deßhalb ein ſo eng begrenztes Programm aufge- ſtellt, weil ſie die nöthige Unterſtützung für eine energiſche Colo- nialpolitik weder im Reichstage, noch im deutſchen Volke zu finden hoffte. Auch jetzt noch gibt es Gegner der activen Colo- nialpolitik, aber ſoweit ſind wir doch ſchon, daß ſelbſt die meiſten dieſer Gegner mit dem deutſchen Colonialbeſitz als einer unab- wendbaren Thatſache rechnen und überzeugt ſind, daß nur das Reich ſelbſt die Colonien regieren und verwalten kann. Deutſches Reich. * Berlin, 3. Dec. Tel. Der Reichstag wählte in ſeiner heutigen Sitzung den Abg. Schneider-Hamm (nat.-lib.) an Stelle des Abg. Dr. Bürklin zum Schriftführer und über- wies dann die Ueberſicht über die Ausgaben und Einnahmen des Reiches im Etatsjahre 1889/90 der Rechnungscommiſſion. Bei Prüfung der Wahl des Abg. v. Reden (9. hannoveriſcher Wahlkreis Hameln) kritiſirte Abg. Nickert die Entſcheidungen der Wahlprüfungscommiſſion und beantragte Ausſetzung der Abſtimmung über die Gültigkeit der Wahl. Abg. Auer be- ſchwerte ſich über die Verbote ſocialdemokratiſcher Verſamm- lungen und über Wahlbeeinfluſſungen; Abg. Baumbach (Reichspartei) trat für das Recht der Kriegervereine, gegen die Socialdemokratie Front zu machen; ein. Schließlich wurde der Antrag Rickert angenommen. Die Wahl des Abg. Schütte (3. braunſchweigiſcher Wahlkreis Holzminden – Gandersheim) wurde für gültig erklärt, dagegen die des Abg. Frhrn. v. Münch (8. württembergiſcher Wahlkreis Horb-Sulz) beanſtandet und die Vornahme von Erhebungen beſchloſſen. Morgen um 2 Uhr zweite Leſung der Vorlage über Helgoland und erſte Berathung der Patentgeſetznovelle. &#xfffc; Berlin, 2. Dec. Die von der „Freiſ. Ztg.“ mehrfach wiederholte, auch in andere Blätter übergegangene Behauptung, daß der Regierungspräſident v. Heppe in Danzig wider ſeinen Willen, gewiſſermaßen ſtrafweiſe, nach Trier verſetzt werde, iſt, wie wir auf Grund beſter Information verſichern können, abgeſehen von der Thatſache der Verſetzung ganz und gar unbegründet. Es liegt nicht der geringſte Grund vor, der zu einer für Hrn. v. Heppe etwa unangenehmen Verſetzung beſtimmen könnte, und die Gründe, die ſich ſreiſinnige Blätter dafür zurecht gemacht haben, beruhen auf Einbildung. Selbſtverſtändlich hat Hr. v. Heppe von ſeiner Verſetzung vor ihrem Vollzuge, der dieſer Tage erfolgt iſt, gewußt und es iſt auch richtig, daß Trier im allgemeinen unter den höheren Verwaltungsbeamten als ein angenehmerer Poſten gilt als Danzig. Vermuthlich iſt die falſche Deutung dadurch unterſtützt worden, daß früher irrthümlich gemeldet worden war, der Oberpräſidialrath v. Itzenplitz in Breslau werde nach Trier kommen, während er als Nachfolger des nach Frankfurt a. O. verſetzten Hrn. v. Putt- kamer zum Regierungspräſidenten in Koblenz ernannt iſt. — Die Nachricht von einer Vorlage, welche zum Zwecke des Dom- baues in Berlin 22 Mill. Mark fordere, iſt bereits als un- ſicher und jedenfalls verfrüht bezeichnet worden. Dem Vernehmen nach wird die Angelegenheit vorausſichtlich im Zuſammenhange mit der Aufſtellung des Etats für 1891/92 behandelt werden und nicht in einer beſonderen Borlage, ſondern, wie in den bisherigen Vorſtadien, in denen ein für Art und Koſten des geſammten Banes bindender Beſchluß des Abgeordnetenhauſes noch nicht zu Stande gekommen iſt, in einer Etatsforderung an den Landtag kommen. Es iſt jedoch zweifelhaſt, ob ſchon Staatsminiſterial- beſchlüſſe hierüber vorliegen. — Die Berufung auf die „König- liche Gnade“ in der Angelegenheit des Nachlaſſes von Stempelabgaben bei Fideicommißſtiftungen wird von einigen Seiten mit der Behauptung zurückgewiefen, daß Steuern und Abgaben nicht Strafen im Sinne des Geſetzes ſeien und da- her von dem „Begnadigungsrechte“ nicht die Rede ſein könne. Die königliche Gnade, d. h. die Privilegienhoheit des Staatsober- hauptes, iſt ein viel weiterer Begriff und deckt ſich keineswegs bloß mit dem Begnadigungsrechte in Straf- und Unterſuchungs- ſachen. Sie wird in Form der Geſetzgebung ausgeübt, wenn eine Claſſe von Perſonen oder Fällen unter ſinguläre Rechtsgrund- ſätze geſtellt werden ſoll, in der Form der Verordnung aber, wenn es ſich um einzelne Perſonen und Fälle handelt. Nach dem gemeinen deutſchen Staatsrechte iſt im letzteren Falle auch in der conſtitutionellen Monarchie keine Mitwirkung der Stände erforderlich (vgl. Zöpfl, Grundſätze des gem. dtſch. Staatsr. II, §. 481). Die Fälle, daß auf eine Forderung des Steuerſiscus im Wege der Gnade verzichtet wurde, gehören keineswegs zu den großen Seltenheiten; es wiederholt ſich z. B. der Fall, daß im guten Glauben von penſionirten Beamten zu hohe Penſions- beträge abgehoben werden und daß die ſpätere Rückforderung ſich zu einer empſindlichen Härte geſtalten kann. In dieſem Falle tritt die königliche Gnade als Hüterin des jus aequum ein. Auch v. Rönne rechnet in ſeinem Preußiſchen Staatsrechte zu den Gegenſtänden der Privilegienhoheit die Vefreiung einer Perfon von gewiſſen öffentlichen Laſten und ſtellt die ſog. lex specialis als einen Act der freien Willkür des Staatsoberhauptes dar, welches dabei die Schranken der Verfaſſung innezuhalten verpflichtet ſek. Könnte es zweifelhaft ſein, ob die preußiſche Verfaſſung im Lucius’ſchen Falle eine ſolche Beſchränkung enthalte, ſo iſt doch jeder Zweifel daran ausgeſchloſſen, daß der König und die Mi- niſter das eingeſchlagene Verfahren für zuläſſig erachteten. — Den hieſigen „Politiſchen Nachrichten“ zufolge wäre beabſich- tigt, unter Abſtandnahme von weitergehenden Plänen den Bau- plan des hieſigen Domes auf eine würdige Predigtkirche für die Domgemeinde zu beſchränken. * Berlin, 2. Dec. Die Ausſchüſſe des Bundes- raths für das Landheer und die Feſtungen, für das Seeweſen und für Juſtizweſen traten heute zu einer Sitzung zuſammen. In dem Etat der Marineverwaltung für 1891/92 ſind, wie wir ſchon früher in Kürze mitgetheilt haben, auch Mittel zur Erbauung von Arbeiterwohnhäuſern in Friedrichs- ort, am Ausgange des Kieler Hafens, ausgebracht. Es iſt zunächſt der Bau von 20 Häuſern in Ausſicht genommen, von denen jedes zwei Familienwohnungen enthalten ſoll. Jede dieſer Wohnungen ſoll im Erdgeſchoß ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer und eine Küche, und im Dachgeſchoß noch zwei Zimmer für Einlieger ent- halten, ſo daß in den projectirten 20 Häuſern 40 Familien und 80 Einlieger, im ganzen alſo 120 Arbeiter Unterkommen finden würden. Jedes Haus ſoll außerdem ein kleines Nebengebäude als Stallung für Kleinvieh, Brennholz ꝛc., ſowie ein Stück Gemüſe- land und einen kleinen Vorgarten erhalten. Den Arbeitern wird alſo ein ganz behagliches Heim bereitet werden. Die Koſten für ein ſolches Haus mit Nebengebäude ſind auf 13,650 M. ange- nommen; als Geſammtforderung einſchließlich für den Grunder- werb, Straßenanlagen ꝛc. iſt die Summe von 341,000 M. in den Etat eingeſtellt. Die Artilleriewerkſtatt in Spandau hat vom Kriegs- miniſterium den Auftrag zur Lieferung des neuen Armeeſattels erhalten, deſſen Einführung beſchloſſen worden iſt. Der Kaiſer ſah am geſtrigen Nachmittag den Neichslamzler General v. Caprivi und auch den öſterreichiſch-ungariſchen Bot- ſchafter Grafen v. Wolkenſtein-Twſtburg als Gäſte bei ſich zur Frühſtückstafel im hieſigen königlichen Schloſſe. — Im Laufe des Nachmittags hatte der Kaiſer alsdaun auch noch eine kängere Conferenz mit dem Reichskanzler General v. Caprivi, arbeitete dann mit dem Wirkl. Geh. Rath Dr. v. Lucanus und hierauf mit dem Cultusminiſter v. Goßler. — Im Laufe des heutigen Vormittags nahm der Kaiſer im hieſigen Schloſſe die Vorträge des Staatsſecretärs Frhrn. v. Marſchall, darauf des Staatsſecretärs des Reichsmarineamtes, ſpäter den des Chefs des Marinecabinets und demnächſt den des Chefs des Militärcabinets, Generals v. Hahnke entgegen. Nach dem „Heſſ. Volksbl.“ wäre im Januar der Beſuch des Kaiſers am großherzoglich heſſiſchen Hof zu erwarten; ein Beſuch von Mainz ſoll damit verbunden werden. — Die Kaiſerin Friedrich empſing geſtern das für die nächſtjährige internationale große Kunſtausſtellung unter dem Borſitz des Profeſſors A. v. Werner zuſammengetretene Ausſtellungscomité. Die Kaiſerin hat das Protectorat übernommen. Nach der „Germania“ iſt die Mandatniederkegung des Hrn. v. Schorlemer – Alſt wegen eines Herzleidens erfolgt. Im Wahlkreiſe Bochum wird dadurch eine Nachwahl erforderlich. Der Kreis ſiel bei den letzten Wahlen dem Centrum zu, während er ſonſt, mit Ausnahme von 1881—1884, ſtets nationalliberal vertreten war. Bei der Wahl im letzten Februar wurden im erſten Wahl- gang 18,639 nationalliberale, 4998 deutſchfreiſinnige, 21,889 Centrums- und 8388 ſocialdemokratiſche Stimmen abgegeben. In der engeren Wahl ſiegte Hr. v. Schorlemer-Alſt mit 29,869 Stimmen über ſeinen nationalliberaken Gegner mit 28,824 Stimmen. Italien. * Nach einer der „Pol. Corr.“ aus Rom zugehenden Mel- dung wird in dortigen unterrichteten Kreiſen angekündigt, daß die italieniſche Thronrede anläßlich der Eröffnung der Kammern ein ſehr friedliches Gepräge tragen und, geſtützt auf die durch die internationale Lage gegebenen Vorausfetzungen, die Zuverſicht auf die Erhaltung des europäiſchen Friedens zum Ausdrucke bringen werde. — Das Amtsblatt veröffentlichte bereits die Liſte der neuernannten italieniſchen Senatoren, und zwar: General- lieutenant Morra di Lavriano, Chiaves, Puglieſe Giannone, Fürſt di Baucina, Righi, Gerardi, Generalmajor Geymet, Marquis de Mari, Baſteris, Maurogonato-Peſaro und Graf Taverna. Serbien. ## Belgrad, 30. Nov. Die Adreßdebatte, welche drei Tage hindurch die Skupſchtina beſchäftigte, war ein dentliches Spiegelbild der ſerbiſchen Volksſtimmung. In beiden Adreſſen, in der ſchließlich angenommenen radicalen, wie in dem oppoſitionellen liberalen Adreßentwurfe, wurde offen und mit bedeutender Markirung die Anlehnung Serbiens an Rußland ausgeſprochen. Aus den Reden der Skupſchtina-Abgeordneten klang es aber noch viel ſchärfer heraus, daß die Serben zur ruſſiſchen Politik ſtehen, daß dieſe Hinneigung auf der gemein- ſamen ſlawiſchen Abſtammung und der gleichen Religion be- ruhe, als eine Sache des Herzens und Nationalgefühls ange- ſehen werde. Die freundſchaftlichen Beziehungen zu Oeſterreich- Ungarn werden dagegen als eine Sache der Nothwendigkeit bezeichnet — einer Nothwendigkeit, die aus der geographiſchen Lage entſpringe. Es wird in der Adreſſe nicht ausgeſprochen, daß Serbien durch ſeine Sympathie für Rußland ſich demſelben unbedingt zur politiſchen Verfügung ſtelle, wie auch nicht erklärt wurde, daß dieſe Freundſchaft die guten Beziehungen zu Oeſterreich-Ungarn trüben könnte, was manche Politiker be- fürchten, aber die Hoffnung und Zuverſicht klang aus den Weiſe entſtehen alſo zwei Beobachtungspunkte, aber es ergibt ſich, daß der Hörpunkt vor dem Sehpunkt liegt, der Fingerdruck beim Hören eher erfolgt, als beim Sehen, mithin über dem Er- kennen und Unterſcheiden der beiden Buchſtaben mehr Zeit ver- geht, wenn dieſelben dem Auge, als wenn ſie durch die Sprache dem Ohre dargeboten werden. Man hat gemeint, das komme daher, weil die betreffenden Buchſtaben nur conventionelle, künſt- liche Zeichen und gewiſſermaßen erſt in Laute zu überſetzen ſeien — dieſe Ueberſetzung wird ja dem Gehirn in dem Falle gar nicht zugemuthet. Der wahre Grund der Verſpätung liegt offenbar darin, daß die Geſichtseindrücke langſamer wahrgenom- men werden, als die Gehörempſindungen. Leſen, ſo viel an- ſtrengender, als Schreiben, fällt uns vollends ſchwerer, als Zu- hören, ſo gut wir auch leſen können; Leſen erfordert Zeit, nur die Kritiker brauchen mitunter keine. Die Lautſprache will gehört, die Geberdenſprache will geleſen ſein wie die Schrift. Durch Einwirkung des Lichtreizes auf die Netzhaut ent- ſtehen Lichtempſindungen. Da nun die Trägheit eine allgemeine Eigenſchaft der Materie iſt, ſo kann es nicht überraſchen, daß eine gewiſſe Zeit verſtreicht, bevor auf Einwirkung des Reizes die Netzhaut in einen merklichen Erregungszuſtand gerathen iſt. Auch die Schallwellen müſſen auf die Endapparate unſres Ge- hörnerven gleichſam verpflanzt und zum Gehirn getragen werden, damit wir hören; das geht aber ſchneller. Und die Geſchwindigkeit des Lichtes? In einer Fünftel- Secunde ſehe ich manchen Leſer den Kopf ſchütteln. Bekanutlich ſehen wir den Blitz eher, als wir den Donner hören; bekannt- lich ſehen die Soldaten in der Schlacht zu allererſt das Feuer, dann kommt die Kugel geflogen, dann hören ſie den Knall; be- kanntlich legt in einer Secunde das Licht 305,684,636 Meter zurück, der Schall nur 340 Meter, der Sturm nur 16 Meter und ein Droſchkenpferd gar nur 3,8 Meter. Aber das Licht gleicht einem Schnellläufer, der an die Pforte eines Palaftes pocht und hier mit ebenſo viel Umſtändlichkeiten vorgelaſſen wird, wie ein gewöhnlicher Fußgänger, vielleicht ſogar noch länger warten muß, als dieſer. Für ungeheure Entfernungen iſt der Schnellläufer freilich im Bortheil; mag der Portier auch noch ſo viel Ceremonien machen, er iſt ſchon vorgekommen, wenn der Fußgänger noch wandert; je kürzer der Weg iſt, um ſo weniger kommt ſeine Schnelligkeit zur Geltung. Wollten wir mit den Mondbewohnern ein Geſpräch anknüpfen, ſo thäten wir gut, dem Nathe jenes Naturforſchers zu folgen, der ihnen, da ſie doch Vernunft haben müßten, in Form eines rieſigen Holzbeſtandes den Pythagoräiſchen Lehrſatz demonſtriren wollte; das ſtärkſte hörbare Signal würde nicht nur im Weltraum ver- loren gehen, weil ſich der Schall im leeren Raum nicht fort- pflanzt und ſchon auf hohen Bergen in verdünnter Luft ver- flüchtigt, ſondern auch, wenn es dies nicht thäte, ſpäter zum Bewußtſein der Mondbewohner kommen, als die frohe Bot- ſchaft von dem rechtwinkeligen Dreieck. In der Nähe nützt den Lichtſtrahlen ihre große Geſchwindigkeit faſt nichts, ihr Verhält- niß zu den trägeren Schallwellen geſtaltet ſich bei den ſtehenden Empfangsformalitäten immer ungünſtiger, je weniger weit ſie her ſind. Als das verborgene Leben der Körper, ihren Herzſchlag, ihre Seele kann man den Ton betrachten, den ſie bei der Be- rührung von ſich geben — der Klang iſt wie ein Geiſt, den ein mächtiger Zauberer in die Körperwelt gebannt hat, und der ſich klagend vernehmen läßt, ſobald wir daran klopfen — die Seele des Univerſums iſt der Ton, der Geiſt der Erde ſpricht ſich in Farben und Düſten aus, eindringlicher in Klängen und in den unvergeßlichen Schwingungen, die, von der Luft bis zu dem ausgeſpannten Trommelfell fortgepflanzt, auf das Gehör- organ übertragen werden. Durch das Ohr dringt das große Freiconcert der Natur, das Rauſchen des Meeres und das dumpfe Brauſen der großſtädtiſchen Menſchenwoge, das Murmeln der Quelle und das ſüße Geflüſter der Liebe — freilich auch das Gequake der Fröſche, das Geziſch der Schlangen und Nabengekrächz —, in der Farbe gleicht es der wilden Noſe, in der Form der zierlichen Muſchel, ſo iſt es die geheime Pforte der Seele, ein wunderbar an der Schläfe des Menſchen be- ginnendes offenes Labyrinth! — Hindurch geht der Weg zu unſerm Herzen.

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-03-29T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 336, 4. Dezember 1890, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine336_1890/2>, abgerufen am 21.11.2024.