Allgemeine Zeitung, Nr. 342, 10. Dezember 1890.München, Mittwoch Allgemeine Zeitung 10. December 1890. Morgenblatt Nr. 342. [Spaltenumbruch]
die Gudrun im Vergleich zur Ilias und Odyssee. Auch ist Von vornherein aber geben wir zu, daß diese Ausführung Die scharfe Verurtheilung des Realgymnasiums, an dessen Ob die Frage des Berechtigungswesens oder anders Kurzum, es ist eine Fülle anregender Ideen, die uns aus Deutsches Reich. * Berlin, 9. Dec. Tel. In der heutigen Sitzung * Berlin, 8. Dec. Auf eine Eingabe des "Vereins für christ- "Berlin, 18. November 1890. Die an des Kaisers und In dem Bescheide des Ministers Maybach vom 25. Novem- "daß der Frage der Sonntagsruhe seitens der Staats- Die "Köln. Ztg." bemerkt zu den Nachrichten über den even- Demselben Blatte zufolge erachtet die Regierung es im Italien. * Bernardino Grimaldi, der neue italienische Finanz- von Orleans umspannenden Deutschen stand das I. bayerische Es waren die alten Gegner vom Tage vorher, welche am Eisig kalt brachen Abend und Nacht an jenem 2. De- Am 3. December wurde geschlagen bei Artenay, am Um Mitternacht des 4./5. December ritt der Großherzog Aber noch war nicht Alles gethan. Die Loire-Armee Anstatt Erholung und Ruhe beginnt mit dem 7. December Das 1. bayerische Armeecorps, das nicht einmal mehr die Für Viele, Viele sind die Weihnachten 1870 keine fröh- Aber auch manche bleiche Frau hatte unter Thränen München, Mittwoch Allgemeine Zeitung 10. December 1890. Morgenblatt Nr. 342. [Spaltenumbruch]
die Gudrun im Vergleich zur Ilias und Odyſſee. Auch iſt Von vornherein aber geben wir zu, daß dieſe Ausführung Die ſcharfe Verurtheilung des Realgymnaſiums, an deſſen Ob die Frage des Berechtigungsweſens oder anders Kurzum, es iſt eine Fülle anregender Ideen, die uns aus Deutſches Reich. * Berlin, 9. Dec. Tel. In der heutigen Sitzung * Berlin, 8. Dec. Auf eine Eingabe des „Vereins für chriſt- „Berlin, 18. November 1890. Die an des Kaiſers und In dem Beſcheide des Miniſters Maybach vom 25. Novem- „daß der Frage der Sonntagsruhe ſeitens der Staats- Die „Köln. Ztg.“ bemerkt zu den Nachrichten über den even- Demſelben Blatte zufolge erachtet die Regierung es im Italien. * Bernardino Grimaldi, der neue italieniſche Finanz- von Orléans umſpannenden Deutſchen ſtand das I. bayeriſche Es waren die alten Gegner vom Tage vorher, welche am Eiſig kalt brachen Abend und Nacht an jenem 2. De- Am 3. December wurde geſchlagen bei Artenay, am Um Mitternacht des 4./5. December ritt der Großherzog Aber noch war nicht Alles gethan. Die Loire-Armee Anſtatt Erholung und Ruhe beginnt mit dem 7. December Das 1. bayeriſche Armeecorps, das nicht einmal mehr die Für Viele, Viele ſind die Weihnachten 1870 keine fröh- Aber auch manche bleiche Frau hatte unter Thränen <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0002" n="2"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">München, Mittwoch Allgemeine Zeitung</hi> 10. December 1890. Morgenblatt Nr. 342.</fw><lb/> <cb/> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div xml:id="a01b" prev="#a01a" type="jArticle" n="3"> <p>die Gudrun im Vergleich zur Ilias und Odyſſee. Auch iſt<lb/> offenbar mit den „jungen Griechen und Römern“ nur ge-<lb/> meint, was der Kaiſer gleich dahinter als das Product „der<lb/> klöſterlichen Erziehung des Mittelalters“ charakteriſirt, und die<lb/> Ausführung iſt einzuſchränken durch den Schlußſatz, der mit aller<lb/> Beſtimmtheit claſſiſche Gymnaſien mit claſſiſcher Bildung<lb/> fordert. Es folgt wohl daraus, daß nur die mißbräuchliche,<lb/> ſchematiſche, die Form über den Inhalt ſetzende Behandlung<lb/> der alten Sprachen und ſpeciell des Lateiniſchen gemeint ſein<lb/> kann, und dagegen wird ſich wenig einwenden laſſen. Auch<lb/> dem lateiniſchen Aufſatz legt man in Uebereinſtimmung mit<lb/> dem Urtheil des Kaiſers <hi rendition="#g">die</hi> entſcheidende Wichtigkeit nicht bei,<lb/> daß ihm zuliebe eine Vertiefung des deutſchen und geſchicht-<lb/> lichen Unterrichts geopfert werden ſollte. Eine ſtärkere Werth-<lb/> ſchätzung des deutſchen Aufſatzes — ohne daß jedoch derſelbe<lb/> der Mittelpunkt werden ſoll, wie verlangt wird, denn gerade<lb/> die Feitigkeit im Ausdruck iſt eine Gabe, die durchaus nicht<lb/> nothwendig mit geiſtiger Reife eines Schülers identiſch iſt und<lb/> in häufigen Fällen erſt ſehr ſpät und in eigenartiger Weiſe<lb/> zur Ausbildung gelangt — eine ſtärkere Werthſchätzung des<lb/> deutſchen Aufſatzes alſo entſpricht den Wünſchen auch der<lb/> ſtrengen Anhänger unſres claſſiſchen Gymnaſiums, und es<lb/> wird eine Frage der Methodik ſein, wie dieſem fruchtbaren<lb/> Gedanken auch fruchtbare Entwicklung zu ſichern ſei. Das-<lb/> ſelbe gilt von den Wünſchen des Kaiſers in Bezug auf die<lb/> vaterländiſche Geſchichte. Es iſt undenkbar, das claſſiſche<lb/> Gymnaſium als ein claſſiſches zu erhalten, wenn die liebevolle<lb/> und eingehende Behandlung der Geſchichte des Alterthums,<lb/> und zwar ſpeciell der griechiſchen und römiſchen — die orien-<lb/> taliſche, ſoweit ſie nicht Einleitung zu den beiden iſt, gehört<lb/> auf die Univerſität — ihren Platz nicht behauptet; auch iſt es<lb/> ein Kennzeichen deutſcher Bildung, daß der Ausblick auf die<lb/> Weltgeſchichte nicht durch den Parteiſtandpunkt engherzig<lb/> nationaler Auffaſſung gefälſcht wird. Die Entwidlung ge-<lb/> ſunden nationalen Gefühls läßt ſich mit gerechter Beurtheilung<lb/> der Nachbarn nicht nur vereinigen, ſondern wird durch dieſelbe<lb/> bedingt. Unſre hervorragendſten Patrioten und Staatsmänner<lb/> ſind ſtets zugleich hervorragende Kenner der Geſchichte unſrer<lb/> Culturvölker geweſen. Der methodiſchen Schulung und dem<lb/> richtigen Tact des Lehrers wird es an der Hand eines richtig<lb/> gedachten Lehrplanes zufallen, die Grenzen zwiſchen der vater-<lb/> ländiſchen Geſchichte und der der allgemeinen Entwicklung der<lb/> Menſchheit ſo zu ziehen, daß darüber das nationale Gleich-<lb/> gewicht nicht verloren geht.</p><lb/> <p>Von vornherein aber geben wir zu, daß dieſe Ausführung<lb/> nicht gilt für die niederen Schulen, die in knapp bemeſſener<lb/> Zeit eine in ſich möglichſt abgeſchloſſene Bildung und Lebens-<lb/> anſchauung zu übermitteln haben; und abſolut richtig iſt der<lb/> Gedanke, in das hiſtoriſche Unterrichtsfeld dieſer Schulen auch<lb/> die plaſtiſchen Ereigniſſe der neueſten deutſchen Geſchichte von<lb/> den Freiheitskriegen bis zum Tode Kaiſer Wilhelms hineinzu-<lb/> ziehen.</p><lb/> <p>Die ſcharfe Verurtheilung des Realgymnaſiums, an deſſen<lb/> Stelle der Kaiſer eine zweite Gattung Schulen mit Realbildung<lb/> ſetzen will, ſtößt unſrer Meinung nach auf einen nicht be-<lb/> rechtigten Widerſpruch, denn jene zweite Gattung Schulen wird<lb/> ſchließlich mit dem Realgymnaſium, das vom lateiniſchen Ballaſt<lb/> befreit iſt, identiſch ſein. Doch wird dieſe Frage noch ſo leb-<lb/> haſte Verhandlungen hervorrufen, daß wir für heute auf ein<lb/> näheres Eingehen verzichten können.</p><lb/> <p>Ob die Frage des Berechtigungsweſens oder anders<lb/> formulirt: des Bildungscenſus für den einjährigen Dienſt, die<lb/> vom Kaiſer angeregte Löſung finden wird, mag dahingeſtellt<lb/> bleiben. Die Entlaſtung der Gymnaſien von der Zahl der<lb/> Schüler, die nur den einjährigen Dienſt erſtreben, iſt ein ſo<lb/> allgemein anerkanntes Bedürfniß, daß ihm in der einen oder<lb/> in der anderen Weiſe wird Rechnung getragen werden müſſen.<lb/> Ueber das „Wie?“ gehen die Meinungen weit auseinander.<lb/> Dasſelbe gilt von der Verminderung des Lehrſtoffes durch<lb/> einfachere Geſtaltung der Examina. Die vom Kaiſer in dieſer<lb/> Richtung hingeworfenen Gedanken ſind gewiß beachtenswerth,<lb/> verlangen aber allſeitige Prüfung auf die vorausſichtlich zu er-<lb/> wartenden Folgen. Kaiſer Wilhelm hat ſelbſt darauf hin-<lb/> gewieſen, wie weſentlich die Ausführung jener Zukunftspläne<lb/><cb/> davon abhängt, wie das Lehrermaterial beſchaffen iſt, dem die<lb/> Durchführung derſelben zufällt. Die Frage der Ueberbürdung<lb/> ſteht gerade hiemit im engſten Zuſammenhang, und die wahr-<lb/> baft abſchreckenden Daten über die Kaſſeler Zuſtände gelten<lb/> für den Durchſchnitt unſrer Gymnaſien als keineswegs zu-<lb/> treffend. Ebenſowenig kann eine Claſſe von 30 Schülern, für<lb/> Berlin z. B., als überfüllt gelten, vielmehr würde ein Herab-<lb/> ſinken auf nur 30 bei unſern Zuſtänden für beinahe ideal<lb/> gelten können. Unſre Lehrer haben in Gymnaſien und Gemeinde-<lb/> ſchulen mit weit ungünſtigeren Zahlen zu kämpfen und die<lb/> Feſthaltung von 30 als Maximum müßte ſchließlich doch zur<lb/> Genchmigung neuer Gymnaſien führen.</p><lb/> <p>Kurzum, es iſt eine Fülle anregender Ideen, die uns aus<lb/> der Rede des Kaiſers entgegentritt, und wir zweifeln nicht<lb/> daran, daß ihre allſeitige Erwägung zu einem Fortſchritt in<lb/> unſerm nationalen Schulweſen führen wird. Zunächſt aber iſt<lb/> es doch nur eine Schul<hi rendition="#g">frage,</hi> und wenn die Formulirungen der<lb/> heute tagenden Commiſſion zu einer Geſetzesvorlage geworden<lb/> ſind, ſteht ihnen noch die Berathung im Landtage bevor. Wir<lb/> haben vollſte Garantie, daß in dieſer Lebensfrage des deutſchen<lb/> Volkes die Entſcheidung nicht übers Knie gebrochen wird.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Deutſches Reich.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline>* <hi rendition="#b">Berlin,</hi> 9. Dec.</dateline> <p><hi rendition="#g">Tel.</hi> In der heutigen Sitzung<lb/> des <hi rendition="#g">Reichstages</hi> wurde die Vorlage über <hi rendition="#g">Helgoland</hi> in<lb/> dritter Berathung mit einem Zuſatz angenommen, wonach das<lb/> Geſetz mit der Verkündigung in Kraft tritt. Hierauf begann<lb/> die <hi rendition="#g">Etatsberathung.</hi> Staatsſecretär v. <hi rendition="#g">Maltzahn</hi> be-<lb/> ziffert die im nächſten Jahre an die Bundesſtaaten zu ver-<lb/> theilenden Ueberſchüſſe auf 66 bis 68 Millionen, den Ueber<lb/> ſchuß der Reichscaſſe auf 10 Millionen. Ob mit dem Zins-<lb/> fuß der Schuldzinſen wieder auf 3 1/2 Procent zurückgegangen<lb/> werde, ſei eine offene Frage. Abg. <hi rendition="#g">Richter</hi> verlangt an-<lb/> geſichts der günſtigen Ergebniſſe der Einnahmen eine Ermäßi-<lb/> gung der Lebensmittelzölle. Das Alters- und Invaliditäts-<lb/> verſicherungsgeſetz ſei ein Sprung in den Abgrund, für welchen er<lb/> keine Verantwortung übernchme. Reichskanzler v. <hi rendition="#g">Caprivi</hi><lb/> bemerkt, die Zölle könnten vielleicht künftig geändert werden;<lb/> die Aeußerungen der freiſinnigen Vlätter über dieſen Punkt<lb/> ſeien indeß den Verhandlungen mit den auswärtigen Mächten<lb/> nicht förderlich. Die Regierung halte das Invaliditätsgeſetz<lb/> für ſo ſegensreich, daß ſie es dem Volke keinen Tag länger<lb/> vorenthalten wolle. Mit der angeblichen weiteren Vermehrung<lb/> der Heeresausgaben ſei es nichts. Abg. <hi rendition="#g">Bebel</hi> billigt den<lb/> Weg, den die Regierung mit dem Alters- und Invaliditäts-<lb/> geſetz betreten, lehnt aber das Budget ab, welches eine ſteigende<lb/> Feindſeligkeit der Nationalitäten ausdrücke. Die Berathung<lb/> wird morgen fortgeſetzt.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline>* <hi rendition="#b">Berlin,</hi> 8. Dec.</dateline> <p>Auf eine Eingabe des „Vereins für chriſt-<lb/> liche Volksbildung“ an den Kaiſer in Sachen der <hi rendition="#g">Sonntags-<lb/> ruhe der Poſt-, Telegraphen- und Eiſenbahnbeamten</hi><lb/> iſt der „Kreuzztg.“ zufolge nachſtehende Beſcheide eingelaufen:</p><lb/> <floatingText> <body> <div n="1"> <dateline>„Berlin, 18. November 1890.</dateline> <p>Die an des Kaiſers und<lb/> Königs Majeſtät gerichtete Vorſtellung vom 30. October, in<lb/> welcher Eure Hochehrwürden für Erweiterung der Sonntagsruhe<lb/> eintreten, iſt auf Allerhöchſten Befehl an den Reichskanzler<lb/> (Reichspoſtamt) und die königlich preußiſchen Miniſter der öffent-<lb/> lichen Arbeiten und des Innern zur Prüfung abgegeben worden.<lb/> Nachdem für den Geſchäftebereich der Reichspoſt- und Telegraphen-<lb/> verwaltung die Prüfung ſtattgefunden hat, eröffne ich Ew. Hoch-<lb/> ehrwürden, daß der Poſt- und Telegraphendienſt an den Sonn-<lb/> und Feiertagen <hi rendition="#g">bereits ſoweit eingeſchränkt</hi> iſt, als ſich<lb/> dies mit den allgemeinen Intereſſen und mit der Sicherheit des<lb/> Betriebes irgend verträgt. Ew. Hochehrwürden wird anheim ge-<lb/> ſtellt, dem Hrn. Mitunterzeichner Ihrer Vorſtellung vom Vor-<lb/> ſtehenden Kenntniß zu geben. gez. v. <hi rendition="#g">Stephan.</hi> — An den<lb/> Pfarrer Hrn. <hi rendition="#aq">Lic.</hi> Weber, Hochehrwürden. München-Gladbach.“</p> </div> </body> </floatingText><lb/> <p>In dem Beſcheide des Miniſters <hi rendition="#g">Maybach</hi> vom 25. Novem-<lb/> ber 1890 heißt es:</p><lb/> <floatingText> <body> <div n="1"> <p>„daß der Frage der Sonntagsruhe ſeitens der Staats-<lb/> eiſenbahnverwaltung fortgeſetzt beſondere Aufmerkſamkeit zugewen-<lb/> det wird, und insbeſondere Fürſorge getroffen iſt, um den Beam-<lb/><cb/> ten und Arbeitern an den Sonn- und Feſttagen ſoweit als mög-<lb/> lich zum Beſuche des Gottesdienſtes, ſowie zur Ruhe und Er-<lb/> holung Gelegenheit zu geben. Eine weitergehende allgemeine<lb/> Ausdehnung der Sonntagsruhe im Eiſenbahndienſte würde. ab-<lb/> geſehen von den dabei in Frage kommenden allgemeinen Verkehrs-<lb/> intereſſen, ſchon <hi rendition="#g">im Intereſſe der Ordnung und Sicher-<lb/> heit des Eiſenbahnbetriebes den ernſteſten Schwierig-<lb/> keiten begegnen</hi> und unter den beſtehenden Verhältniſſen nicht<lb/> durchführbar ſein. Ob und inwieweit im einzelnen noch Erleich-<lb/> terungen eintreten können, unterliegt der pflichtgemäßen Prüſung<lb/> der zuſtändigen Verwaltungsbehörden, welche dieſerhalb bereits<lb/> wiederholt mit den erforderlichen Weiſungen verſehen ſind. Indem<lb/> ich Ew. Hochehrwürden anheimgebe, dem Hrn. Mitunterzeichner<lb/> der Eingabe hievon Kenntniß zu geben, bemerke ich, daß Sie von<lb/> Seiten des Hrn. Miniſters des Innern nach Befinden beſonderen<lb/> Beſcheid zu gewärtigen haben. Der Miniſter der öffentlichen<lb/> Arbeiten. gez. <hi rendition="#g">Maybach.“</hi></p> </div> </body> </floatingText><lb/> <p>Die „Köln. Ztg.“ bemerkt zu den Nachrichten über den even-<lb/> kuellen Rücktritt des Cultusminiſters v. <hi rendition="#g">Goßler:</hi> „Wir unſrerſeits<lb/> können nicht im Zweifel darüber ſein, daß das Scheiden eines<lb/> Cultusminiſters, der dem wachſenden Uebermuth des Ultramon-<lb/> tanismus den charaltervollen Widerſtand einer feſtbegründeten<lb/> ſtaatlichen Geſinnung entgegengeſetzt und ſich auf allen Gebieten<lb/> ſeiner amtlichen Thätigkeit ſo glänzend bewährt hat, in weiteſten<lb/> Kreiſen mit einer ſehr ſchmerzlichen Erregung aufgenommen werden<lb/> würde.“</p><lb/> <p>Demſelben Blatte zufolge erachtet die Regierung es im<lb/> öffentlichen Intereſſe geboten, der durch Herſtellung und Berkauf<lb/><hi rendition="#g">künſtlicher Kaffeebohnen</hi> bewirkten Verletzung des Nahrungs-<lb/> mittelgeſetzes entgegenzutreten. Dieſe Kaffeebohnen ſind für ſich<lb/> allein zur Bereitung eines dem Kaffee in Geſchmack und Wirkung<lb/> ähnlichen Getränks <hi rendition="#g">nicht</hi> verwendbar und ſind daher auch nicht<lb/> in erſter Linie als ein Erſatzmittel des Kaffees zu betrachten,<lb/> ſondern vorwiegend dazu beſtimmt, in <hi rendition="#g">Vermiſchung mit<lb/> natürlichen Kaffeebohnen</hi> im Handel verwerthet zu werden.<lb/> Es handelt ſich nach eingehenden Unterſuchungen um ein Fabricat<lb/> aus geringwerthigem Kaffee. Nun iſt der Verkauf eines ſolchen<lb/> Gemiſches nicht zu verbieten, ſobald der Waare eine Be-<lb/> zeichnung gegeben wird, die jede Täuſchung über ihre Beſchaffen-<lb/> heit ausſchließt. Immerhin aber bleibt in dieſem Falle die Ge-<lb/> fahr einer Täuſchung beſtehen, und die Anpreiſung der betreffenden<lb/> Maſchinen zur Anſertigung der künſtlichen Kaffeebohnen hat eine<lb/> Täuſchung des Publicums zur Vorausſetzung. Es ſoll daher eine<lb/><hi rendition="#g">kaiſer liche Verordnung</hi> ergehen, daß auf Grund des Rahrungs-<lb/> mittelge ſetzes die <hi rendition="#g">Herſtellung, der Verkauf und das Feik-<lb/> halten von Maſchinen zur Anfertigung künſtlicher<lb/> Kaffeebohnen verboten wird.</hi></p> </div> </div><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Italien.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>* Bernardino <hi rendition="#g">Grimaldi,</hi> der neue italieniſche Finanz-<lb/> miniſter, deſſen Ernennung ein Abends eingelaufenes Telegramm<lb/> meldet, vertritt ſeit dem Jahre 1876 ſeine Vaterſtadt Catan-<lb/> zaro in der Deputirtenkammer. Ein Anhänger Cairoli’s, ver-<lb/> waltete er unter deſſen erſter Miniſterpräſidentſchaft das<lb/> Generalſeeretariat des Miniſteriums für die öffentlichen Arbeiten,<lb/> übernahm dann im December 1878 an Stelle des ins Mini-<lb/> ſterium des Innern berufenen Abg. Morana das ſchwierige<lb/> Referat über das Eiſenbahnbaugeſetz, das er ſo meiſterhaft<lb/> verſah, daß er mit einem Schlage zu den hervorragendſten<lb/> Perſönlichkeiten der Kammer gehörte. Im Sommer 1879<lb/> trat er als Finanzminiſter in das dritte Miniſterium Derretis<lb/> ein, machte ſich aber durch ſeine rückhaltloſe Darlegung<lb/> der trüben Finanzlage des Landes bald die Mehrheit ſeiner<lb/> Miniſtercollegen zu Gegnern, ſo daß er aus dem Cabinet<lb/> ausſcheiden mußte. Einige Jahre ſpäter, im März 1884,<lb/> wurde er nach dem Rücktritte Berti’s in das transformiſtiſche<lb/> Cabinet als Miniſter für Ackerbau und Handel berufen, hatte<lb/> aber als Freihändler den Angriffen des ſchutzzöllneriſchen<lb/> Referenten über ſein Reſſortbudget. des Abg. Lucca, gegenüber<lb/> einen ſchweren Stand. Am 29. December 1888 übernahm er<lb/> das Finanzportefeuille, das er aber wenige Monate ſpäter an<lb/> Seismit-Doda abgeben mußte. Seither war er einfacher Ab-<lb/> geordneter und ein geſuchter Vertheidiger; der Oppoſition<lb/> gegen Criſpi hat er ſich nicht angeſchloſſen. — Einer römi-</p> </div> </div> </div><lb/> <div type="jFeuilleton" n="1"> <div xml:id="a02b" prev="#a02a" type="jComment" n="2"> <p>von Orl<hi rendition="#aq">é</hi>ans umſpannenden Deutſchen ſtand das <hi rendition="#aq">I.</hi> bayeriſche<lb/> Armeecorps und auf dieſes warf ſich auch hier zuerſt am<lb/> 1. December in übermächtigem Anlaufe der Gegner. Bei<lb/> Villepion und Org<hi rendition="#aq">è</hi>res wurde heiß gekämpft gegen die drei<lb/> Diviſionen des franzöſiſchen 16. Armeecorps. Der tapfere<lb/> Commandeur der 1. bayeriſchen Diviſion, Generallieutenant<lb/> v. Stephan, ſank, gleichzeitig durch Granatſplitter und Chaſſepot-<lb/> Geſchoſſe getroffen, ſchwer verwundet vom Pferde. Prinz Leopold<lb/> von Bayern hielt mit nur noch vier gefechtsfähigen Geſchützen<lb/> der 4. ſechspfündigen Batterie heldenmüthig aus; auf nächſte<lb/> Entfernung bringt er durch Schnellfeuer mit Granatkartätſchen<lb/> den anſtürmenden Feind zum Halten. Unerſchütterlich zum<lb/> Kampf mit Kolben und Bajonett entſchloſſen, halten zwei Com-<lb/> pagnien des Leib-Negiments bei jener tapferen Batterie aus,<lb/> trotzdem ſie keine Patronen mehr beſaßen. Das herbeieilende<lb/> 2. Jägerbataillon beſeitigt die drohende Gefahr auf dieſem<lb/> Theile des Schlachtfeldes. Um 5 Uhr Abends ſtellten die<lb/> Franzoſen das Feuer ein. Unbeläſtigt konnten die bayeriſchen<lb/> Brigaden nach Org<hi rendition="#aq">è</hi>res abrücken. Aber die Vorpoſten blieben<lb/> die Nacht über dicht am Feinde, der den eigentlichen ent-<lb/> ſcheidenden Angriff erſt am folgenden Tage auszuführen ge-<lb/> dachte. Auch am 2. December traf der erſte Stoß wieder die<lb/> Bayern bei Ch<hi rendition="#aq">â</hi>teau Goury und Ferme Mor<hi rendition="#aq">â</hi>le. Die Schlacht<lb/> ſelbſt führt den Namen Schlacht von Loigny-Poupry. Sie iſt<lb/> eine der entſcheidendſten, aber auch eine der blutigſten des<lb/> ganzen Feldzuges. Durch die flammende Proclamation<lb/> Gambetta’s, welcher den glücklichen Durchbruch der Armee von<lb/> Paris dem Lande verkündet hatte, zu neuem Muthe erweckt,<lb/> verſuchte der franzöſiſche Elan in verzweifelter Anſtrengung die<lb/> deutſche Minderzahl zu erdrücken. Hart genug iſt am 2. De-<lb/> cember 1870 auf den Feldern von Lumeau, Loigny und<lb/> Poupry gekämpft worden. Aber als der frühe Abend eines<lb/> Decembertages hereinbrach, da erklang es doch „Victoria!“ auf<lb/> Seiten der Deutſchen.</p><lb/> <p>Es waren die alten Gegner vom Tage vorher, welche am<lb/> 2. December die bayeriſche Schlachtlinie anfielen. Die gelichteten<lb/> Bataillone des 3. und 12. Infanterieregiments mußten nach<lb/> hartnäckiger Gegenwehr ihre Stellungen räumen. Der Com-<lb/> mandeur des 3. Infanterieregiments, Oberſt Schuch, war zu<lb/> Tode getroſſen, 31 Officiere und 580 Mann der hier fechtenden<lb/> fünf Bataillone jener beiden Regimenter hatte das feindliche<lb/> Blei hingeſtreckt. Der Führer des 1. Infanterieregiments,<lb/> Major Daffenreither, wird tödtlich verwundet. In dem hin-<lb/> und herwogenden Kampfe gegen immer wachſende Uebermacht<lb/> gelingt es aber doch noch der 5. und 8. Compagnie des Leib-<lb/> Regiments, dem Feinde das Gehölz bei Ferme Mor<hi rendition="#aq">â</hi>le zu ent-<lb/> reißen; auch trifft die 2. Infanteriebrigade noch rechtzeitig ein,<lb/><cb/> um das Gefecht wieder herzuſtellen. Auch auf anderen Punkten<lb/> des weiten Kampffeldes gelingt es hauptſächlich unter Mit-<lb/> wirkung der über alles Lob erhabenen bayeriſchen Artillerie,<lb/> die eigenen Stellungen zu behaupten, bis endlich Hanſeaten<lb/> und Mecklenburger dem Feinde in die Flanke ſtoßen, um ihm<lb/> dann bei Loigny-Lumeau nach erbittertem Ringen die Sieges-<lb/> palme zu entreißen, die er ſchon erkämpft wähnte, während<lb/> bei Poupry die 22. Diviſion mit zäher Tapferkeit das viel-<lb/> umſtrittene Kampffeld zum Siegesfeld geſtaltete. Nach der<lb/> Schlacht von Sedan iſt der Tag von Loigny-Poupry der<lb/> blutigſte geweſen in der Geſchichte des <hi rendition="#aq">I.</hi> bayeriſchen Armec-<lb/> corps. 104 Officiere, 2192 Mann waren todt und verwundet,<lb/> während der Geſammtverluſt der Deutſchen am 2. December<lb/> 201 Officiere, 3938 Mann betrug.</p><lb/> <p>Eiſig kalt brachen Abend und Nacht an jenem 2. De-<lb/> cember herein. Die weiten Schneefeloer beleuchteten blutigroth<lb/> brennende Dörfer und Gehöfte. Mancher Schwerverwundete,<lb/> der nicht rechtzeitig mehr geborgen werden konnte, verfiel er-<lb/> ſtarrt dem Todesſchlaf. Die Ueberlebenden, die Geſunden<lb/> aber rüſteten von neuem zur Schlacht, zum Kampf, ſie hatten<lb/> keine Zeit, der Todten zu gedenken. Das iſt das furchtbare<lb/> Geſetz des Krieges!</p><lb/> <p>Am 3. December wurde geſchlagen bei Artenay, am<lb/> 4. December wurde gekämpft um die lang umſtrittene Sieges-<lb/> beute — um <hi rendition="#g">Orl<hi rendition="#aq">é</hi>aus.</hi></p><lb/> <p>Um Mitternacht des 4./5. December ritt der Großherzog<lb/> von Mecklenburg an der Spitze ſeiner Truppen in Orl<hi rendition="#aq">é</hi>ans<lb/> ein, hierunter auch die 2. bayeriſche Infanteriebrigade. Am<lb/> Morgen des 5. December hielt Prinz Friedrich Karl Heerſchau<lb/> über die einziehende zweite Armee. Der ſieggekrönte Feldherr<lb/> ließ an der Statue der Jungfrau die Truppen vorübermarſchiren,<lb/> die von dem „jungfräulichen“ Metz an die Loire geeilt waren, um<lb/> die Stadt der Jungfrau, die ſie aber diesmal nicht geſchützt<lb/> hatte, wieder in deutſche Gewalt zu bringen. Tauſende von gefan-<lb/> genen Franzoſen bildeten Staffage bei dieſem gewaltig packenden<lb/> Schauſpiel. Sie ſchauten verwundert auf, als aus den ſonſt laut-<lb/> loſen Reihen der Truppen, die defilirten wie auf dem Paradefelde,<lb/> laut brauſende Hurrahs erſchollen für den Helden von Mars-<lb/> la-Tour und Gravelotte, der nun auch Bezwinger geworden<lb/> von Orl<hi rendition="#aq">é</hi>ans und Bezwinger der Loire-Armee.</p><lb/> <p>Aber noch war nicht Alles gethan. Die Loire-Armee<lb/> war zwar bezwungen, aber nicht zertrümmert. Es galt, ſie<lb/> aus dem Thal der Loire zu vertreiben, ſie unſchädlich zu machen<lb/> auf längere Zeit. Dieſe Aufgabe ſchien jedoch damals leichter, als<lb/> ſie es wirklich war. Niemand glaubte am 5. December 1870,<lb/> daß die nächſten Tage noch erbitterte, verluſtreiche Kämpfe<lb/> mit der fliehenden, anſcheinend demoraliſirten Loire-Armee<lb/><cb/> bringen würden. Das iſt die Wahrheit. Deſto empfindlicher<lb/> und größer war deßhalb auch der Rückſchlag, als es der<lb/> Energie des Generals Chanzy gelang, vom 7. bis 10. De-<lb/> cember ſeinen Truppen eine Widerſtandskraft und Kampf-<lb/> fähigkeit einzuflößen, die deutſcherſeits jedenfalls in dieſem<lb/> Maße nicht erwartet worden war und eigentlich auch nicht<lb/> erwartet werden konnte.</p><lb/> <p>Anſtatt Erholung und Ruhe beginnt mit dem 7. December<lb/> eine Reihe von Gefechten, welche unter der Geſammtbezeichnung<lb/> Schlacht von Beaugency-Cravant zuſammengefaßt werden.<lb/> Am 7. December fochten die Bayern bei Grand Chatre, am<lb/> 8. December bei Beaumont und Cravant mit großer Aus-<lb/> zeichnung. Am 9. December errangen ſie neuen Ruhm bei<lb/> Le M<hi rendition="#aq">é</hi>e und Villorceau, obgleich ihre Batterien, welche bisher<lb/> ſo hervorragenden Antheil an allen Kämpfen genommen hatten,<lb/> zum Theil gefechtsunfähig geworden waren und in Folge<lb/> deſſen zurückgenommen werden mußten. Sie theilten dieſes<lb/> Schickſal mit den Batterien der 22. Diviſion, von deren ſechs<lb/> Batterien ſchließlich nur noch zwei verwendbar blieben. Es<lb/> war Zeit, daß Erholung eintrat, da das Material anfing zu<lb/> verſagen. Das Perſonal durfte nicht verſagen und es<lb/> verſagte auch nicht. General Chanzy trat am 10. December<lb/> den Rückzug an, verfolgt bis nach Vand<hi rendition="#aq">ô</hi>me. Er war von der<lb/> Loire vertrieben und ſah auch deren Ufer nicht wieder, trotzdem<lb/> ſeine Armee den hochtönenden Namen „Loire-Armee“ beibehielt.</p><lb/> <p>Das 1. bayeriſche Armeecorps, das nicht einmal mehr die<lb/> Stärke einer Diviſion aufweist, war am 10. December auf Orl<hi rendition="#aq">é</hi>ans<lb/> inſtradirt worden. Die 4. Infanteriebrigade und 6 Batterien<lb/> nahmen noch an der Verfolgung der Franzoſen bis zum<lb/> 16. December theil. Aber auch mit dem Abmarſche nach<lb/> Orl<hi rendition="#aq">é</hi>ans war das Kilometern noch nicht zu Ende. Ruhe fand<lb/> das Armeecorps erſt wieder vor Paris. Und dieſe Ruhe hatte es<lb/> verdient. Es hat gekämpft, geſtritten und gelitten wie kein anderes<lb/> deutſches Corps. Es hat mit ſeinem Herzblut am reichlichſten die<lb/> deutſchen Siege an der Loire eingelöst und es hat unver-<lb/> gänglichen Anſpruch darauf, in der Ruhmesgeſchichte jener<lb/> ewig denkwürdigen Tage an erſter Stelle genannt zu werden.</p><lb/> <p>Für Viele, Viele ſind die Weihnachten 1870 keine fröh-<lb/> liche gewefen. In Deutſchland hat vor zwanzig Jahren mancher<lb/> Kindermund gefragt: wo iſt der Vater, warum kommt er nicht<lb/> zum lieben Weihnachtsſeſte? Glücklich die, welche antworten<lb/> konnten, er ſteht im Felde, aber im nächſten Jahre wird er<lb/> wieder bei uns ſein.</p><lb/> <p>Aber auch manche bleiche Frau hatte unter Thränen<lb/> mit zuckendem Munde und blutendem Herzen nur die Antwort:<lb/> Er liegt in fremder Erde, im wälſchen Lande, er iſt in ewigen<lb/> Schlaf gebettet — an der Loire!</p> </div> </div><lb/> </body> </text> </TEI> [2/0002]
München, Mittwoch Allgemeine Zeitung 10. December 1890. Morgenblatt Nr. 342.
die Gudrun im Vergleich zur Ilias und Odyſſee. Auch iſt
offenbar mit den „jungen Griechen und Römern“ nur ge-
meint, was der Kaiſer gleich dahinter als das Product „der
klöſterlichen Erziehung des Mittelalters“ charakteriſirt, und die
Ausführung iſt einzuſchränken durch den Schlußſatz, der mit aller
Beſtimmtheit claſſiſche Gymnaſien mit claſſiſcher Bildung
fordert. Es folgt wohl daraus, daß nur die mißbräuchliche,
ſchematiſche, die Form über den Inhalt ſetzende Behandlung
der alten Sprachen und ſpeciell des Lateiniſchen gemeint ſein
kann, und dagegen wird ſich wenig einwenden laſſen. Auch
dem lateiniſchen Aufſatz legt man in Uebereinſtimmung mit
dem Urtheil des Kaiſers die entſcheidende Wichtigkeit nicht bei,
daß ihm zuliebe eine Vertiefung des deutſchen und geſchicht-
lichen Unterrichts geopfert werden ſollte. Eine ſtärkere Werth-
ſchätzung des deutſchen Aufſatzes — ohne daß jedoch derſelbe
der Mittelpunkt werden ſoll, wie verlangt wird, denn gerade
die Feitigkeit im Ausdruck iſt eine Gabe, die durchaus nicht
nothwendig mit geiſtiger Reife eines Schülers identiſch iſt und
in häufigen Fällen erſt ſehr ſpät und in eigenartiger Weiſe
zur Ausbildung gelangt — eine ſtärkere Werthſchätzung des
deutſchen Aufſatzes alſo entſpricht den Wünſchen auch der
ſtrengen Anhänger unſres claſſiſchen Gymnaſiums, und es
wird eine Frage der Methodik ſein, wie dieſem fruchtbaren
Gedanken auch fruchtbare Entwicklung zu ſichern ſei. Das-
ſelbe gilt von den Wünſchen des Kaiſers in Bezug auf die
vaterländiſche Geſchichte. Es iſt undenkbar, das claſſiſche
Gymnaſium als ein claſſiſches zu erhalten, wenn die liebevolle
und eingehende Behandlung der Geſchichte des Alterthums,
und zwar ſpeciell der griechiſchen und römiſchen — die orien-
taliſche, ſoweit ſie nicht Einleitung zu den beiden iſt, gehört
auf die Univerſität — ihren Platz nicht behauptet; auch iſt es
ein Kennzeichen deutſcher Bildung, daß der Ausblick auf die
Weltgeſchichte nicht durch den Parteiſtandpunkt engherzig
nationaler Auffaſſung gefälſcht wird. Die Entwidlung ge-
ſunden nationalen Gefühls läßt ſich mit gerechter Beurtheilung
der Nachbarn nicht nur vereinigen, ſondern wird durch dieſelbe
bedingt. Unſre hervorragendſten Patrioten und Staatsmänner
ſind ſtets zugleich hervorragende Kenner der Geſchichte unſrer
Culturvölker geweſen. Der methodiſchen Schulung und dem
richtigen Tact des Lehrers wird es an der Hand eines richtig
gedachten Lehrplanes zufallen, die Grenzen zwiſchen der vater-
ländiſchen Geſchichte und der der allgemeinen Entwicklung der
Menſchheit ſo zu ziehen, daß darüber das nationale Gleich-
gewicht nicht verloren geht.
Von vornherein aber geben wir zu, daß dieſe Ausführung
nicht gilt für die niederen Schulen, die in knapp bemeſſener
Zeit eine in ſich möglichſt abgeſchloſſene Bildung und Lebens-
anſchauung zu übermitteln haben; und abſolut richtig iſt der
Gedanke, in das hiſtoriſche Unterrichtsfeld dieſer Schulen auch
die plaſtiſchen Ereigniſſe der neueſten deutſchen Geſchichte von
den Freiheitskriegen bis zum Tode Kaiſer Wilhelms hineinzu-
ziehen.
Die ſcharfe Verurtheilung des Realgymnaſiums, an deſſen
Stelle der Kaiſer eine zweite Gattung Schulen mit Realbildung
ſetzen will, ſtößt unſrer Meinung nach auf einen nicht be-
rechtigten Widerſpruch, denn jene zweite Gattung Schulen wird
ſchließlich mit dem Realgymnaſium, das vom lateiniſchen Ballaſt
befreit iſt, identiſch ſein. Doch wird dieſe Frage noch ſo leb-
haſte Verhandlungen hervorrufen, daß wir für heute auf ein
näheres Eingehen verzichten können.
Ob die Frage des Berechtigungsweſens oder anders
formulirt: des Bildungscenſus für den einjährigen Dienſt, die
vom Kaiſer angeregte Löſung finden wird, mag dahingeſtellt
bleiben. Die Entlaſtung der Gymnaſien von der Zahl der
Schüler, die nur den einjährigen Dienſt erſtreben, iſt ein ſo
allgemein anerkanntes Bedürfniß, daß ihm in der einen oder
in der anderen Weiſe wird Rechnung getragen werden müſſen.
Ueber das „Wie?“ gehen die Meinungen weit auseinander.
Dasſelbe gilt von der Verminderung des Lehrſtoffes durch
einfachere Geſtaltung der Examina. Die vom Kaiſer in dieſer
Richtung hingeworfenen Gedanken ſind gewiß beachtenswerth,
verlangen aber allſeitige Prüfung auf die vorausſichtlich zu er-
wartenden Folgen. Kaiſer Wilhelm hat ſelbſt darauf hin-
gewieſen, wie weſentlich die Ausführung jener Zukunftspläne
davon abhängt, wie das Lehrermaterial beſchaffen iſt, dem die
Durchführung derſelben zufällt. Die Frage der Ueberbürdung
ſteht gerade hiemit im engſten Zuſammenhang, und die wahr-
baft abſchreckenden Daten über die Kaſſeler Zuſtände gelten
für den Durchſchnitt unſrer Gymnaſien als keineswegs zu-
treffend. Ebenſowenig kann eine Claſſe von 30 Schülern, für
Berlin z. B., als überfüllt gelten, vielmehr würde ein Herab-
ſinken auf nur 30 bei unſern Zuſtänden für beinahe ideal
gelten können. Unſre Lehrer haben in Gymnaſien und Gemeinde-
ſchulen mit weit ungünſtigeren Zahlen zu kämpfen und die
Feſthaltung von 30 als Maximum müßte ſchließlich doch zur
Genchmigung neuer Gymnaſien führen.
Kurzum, es iſt eine Fülle anregender Ideen, die uns aus
der Rede des Kaiſers entgegentritt, und wir zweifeln nicht
daran, daß ihre allſeitige Erwägung zu einem Fortſchritt in
unſerm nationalen Schulweſen führen wird. Zunächſt aber iſt
es doch nur eine Schulfrage, und wenn die Formulirungen der
heute tagenden Commiſſion zu einer Geſetzesvorlage geworden
ſind, ſteht ihnen noch die Berathung im Landtage bevor. Wir
haben vollſte Garantie, daß in dieſer Lebensfrage des deutſchen
Volkes die Entſcheidung nicht übers Knie gebrochen wird.
Deutſches Reich.
* Berlin, 9. Dec. Tel. In der heutigen Sitzung
des Reichstages wurde die Vorlage über Helgoland in
dritter Berathung mit einem Zuſatz angenommen, wonach das
Geſetz mit der Verkündigung in Kraft tritt. Hierauf begann
die Etatsberathung. Staatsſecretär v. Maltzahn be-
ziffert die im nächſten Jahre an die Bundesſtaaten zu ver-
theilenden Ueberſchüſſe auf 66 bis 68 Millionen, den Ueber
ſchuß der Reichscaſſe auf 10 Millionen. Ob mit dem Zins-
fuß der Schuldzinſen wieder auf 3 1/2 Procent zurückgegangen
werde, ſei eine offene Frage. Abg. Richter verlangt an-
geſichts der günſtigen Ergebniſſe der Einnahmen eine Ermäßi-
gung der Lebensmittelzölle. Das Alters- und Invaliditäts-
verſicherungsgeſetz ſei ein Sprung in den Abgrund, für welchen er
keine Verantwortung übernchme. Reichskanzler v. Caprivi
bemerkt, die Zölle könnten vielleicht künftig geändert werden;
die Aeußerungen der freiſinnigen Vlätter über dieſen Punkt
ſeien indeß den Verhandlungen mit den auswärtigen Mächten
nicht förderlich. Die Regierung halte das Invaliditätsgeſetz
für ſo ſegensreich, daß ſie es dem Volke keinen Tag länger
vorenthalten wolle. Mit der angeblichen weiteren Vermehrung
der Heeresausgaben ſei es nichts. Abg. Bebel billigt den
Weg, den die Regierung mit dem Alters- und Invaliditäts-
geſetz betreten, lehnt aber das Budget ab, welches eine ſteigende
Feindſeligkeit der Nationalitäten ausdrücke. Die Berathung
wird morgen fortgeſetzt.
* Berlin, 8. Dec. Auf eine Eingabe des „Vereins für chriſt-
liche Volksbildung“ an den Kaiſer in Sachen der Sonntags-
ruhe der Poſt-, Telegraphen- und Eiſenbahnbeamten
iſt der „Kreuzztg.“ zufolge nachſtehende Beſcheide eingelaufen:
„Berlin, 18. November 1890. Die an des Kaiſers und
Königs Majeſtät gerichtete Vorſtellung vom 30. October, in
welcher Eure Hochehrwürden für Erweiterung der Sonntagsruhe
eintreten, iſt auf Allerhöchſten Befehl an den Reichskanzler
(Reichspoſtamt) und die königlich preußiſchen Miniſter der öffent-
lichen Arbeiten und des Innern zur Prüfung abgegeben worden.
Nachdem für den Geſchäftebereich der Reichspoſt- und Telegraphen-
verwaltung die Prüfung ſtattgefunden hat, eröffne ich Ew. Hoch-
ehrwürden, daß der Poſt- und Telegraphendienſt an den Sonn-
und Feiertagen bereits ſoweit eingeſchränkt iſt, als ſich
dies mit den allgemeinen Intereſſen und mit der Sicherheit des
Betriebes irgend verträgt. Ew. Hochehrwürden wird anheim ge-
ſtellt, dem Hrn. Mitunterzeichner Ihrer Vorſtellung vom Vor-
ſtehenden Kenntniß zu geben. gez. v. Stephan. — An den
Pfarrer Hrn. Lic. Weber, Hochehrwürden. München-Gladbach.“
In dem Beſcheide des Miniſters Maybach vom 25. Novem-
ber 1890 heißt es:
„daß der Frage der Sonntagsruhe ſeitens der Staats-
eiſenbahnverwaltung fortgeſetzt beſondere Aufmerkſamkeit zugewen-
det wird, und insbeſondere Fürſorge getroffen iſt, um den Beam-
ten und Arbeitern an den Sonn- und Feſttagen ſoweit als mög-
lich zum Beſuche des Gottesdienſtes, ſowie zur Ruhe und Er-
holung Gelegenheit zu geben. Eine weitergehende allgemeine
Ausdehnung der Sonntagsruhe im Eiſenbahndienſte würde. ab-
geſehen von den dabei in Frage kommenden allgemeinen Verkehrs-
intereſſen, ſchon im Intereſſe der Ordnung und Sicher-
heit des Eiſenbahnbetriebes den ernſteſten Schwierig-
keiten begegnen und unter den beſtehenden Verhältniſſen nicht
durchführbar ſein. Ob und inwieweit im einzelnen noch Erleich-
terungen eintreten können, unterliegt der pflichtgemäßen Prüſung
der zuſtändigen Verwaltungsbehörden, welche dieſerhalb bereits
wiederholt mit den erforderlichen Weiſungen verſehen ſind. Indem
ich Ew. Hochehrwürden anheimgebe, dem Hrn. Mitunterzeichner
der Eingabe hievon Kenntniß zu geben, bemerke ich, daß Sie von
Seiten des Hrn. Miniſters des Innern nach Befinden beſonderen
Beſcheid zu gewärtigen haben. Der Miniſter der öffentlichen
Arbeiten. gez. Maybach.“
Die „Köln. Ztg.“ bemerkt zu den Nachrichten über den even-
kuellen Rücktritt des Cultusminiſters v. Goßler: „Wir unſrerſeits
können nicht im Zweifel darüber ſein, daß das Scheiden eines
Cultusminiſters, der dem wachſenden Uebermuth des Ultramon-
tanismus den charaltervollen Widerſtand einer feſtbegründeten
ſtaatlichen Geſinnung entgegengeſetzt und ſich auf allen Gebieten
ſeiner amtlichen Thätigkeit ſo glänzend bewährt hat, in weiteſten
Kreiſen mit einer ſehr ſchmerzlichen Erregung aufgenommen werden
würde.“
Demſelben Blatte zufolge erachtet die Regierung es im
öffentlichen Intereſſe geboten, der durch Herſtellung und Berkauf
künſtlicher Kaffeebohnen bewirkten Verletzung des Nahrungs-
mittelgeſetzes entgegenzutreten. Dieſe Kaffeebohnen ſind für ſich
allein zur Bereitung eines dem Kaffee in Geſchmack und Wirkung
ähnlichen Getränks nicht verwendbar und ſind daher auch nicht
in erſter Linie als ein Erſatzmittel des Kaffees zu betrachten,
ſondern vorwiegend dazu beſtimmt, in Vermiſchung mit
natürlichen Kaffeebohnen im Handel verwerthet zu werden.
Es handelt ſich nach eingehenden Unterſuchungen um ein Fabricat
aus geringwerthigem Kaffee. Nun iſt der Verkauf eines ſolchen
Gemiſches nicht zu verbieten, ſobald der Waare eine Be-
zeichnung gegeben wird, die jede Täuſchung über ihre Beſchaffen-
heit ausſchließt. Immerhin aber bleibt in dieſem Falle die Ge-
fahr einer Täuſchung beſtehen, und die Anpreiſung der betreffenden
Maſchinen zur Anſertigung der künſtlichen Kaffeebohnen hat eine
Täuſchung des Publicums zur Vorausſetzung. Es ſoll daher eine
kaiſer liche Verordnung ergehen, daß auf Grund des Rahrungs-
mittelge ſetzes die Herſtellung, der Verkauf und das Feik-
halten von Maſchinen zur Anfertigung künſtlicher
Kaffeebohnen verboten wird.
Italien.
* Bernardino Grimaldi, der neue italieniſche Finanz-
miniſter, deſſen Ernennung ein Abends eingelaufenes Telegramm
meldet, vertritt ſeit dem Jahre 1876 ſeine Vaterſtadt Catan-
zaro in der Deputirtenkammer. Ein Anhänger Cairoli’s, ver-
waltete er unter deſſen erſter Miniſterpräſidentſchaft das
Generalſeeretariat des Miniſteriums für die öffentlichen Arbeiten,
übernahm dann im December 1878 an Stelle des ins Mini-
ſterium des Innern berufenen Abg. Morana das ſchwierige
Referat über das Eiſenbahnbaugeſetz, das er ſo meiſterhaft
verſah, daß er mit einem Schlage zu den hervorragendſten
Perſönlichkeiten der Kammer gehörte. Im Sommer 1879
trat er als Finanzminiſter in das dritte Miniſterium Derretis
ein, machte ſich aber durch ſeine rückhaltloſe Darlegung
der trüben Finanzlage des Landes bald die Mehrheit ſeiner
Miniſtercollegen zu Gegnern, ſo daß er aus dem Cabinet
ausſcheiden mußte. Einige Jahre ſpäter, im März 1884,
wurde er nach dem Rücktritte Berti’s in das transformiſtiſche
Cabinet als Miniſter für Ackerbau und Handel berufen, hatte
aber als Freihändler den Angriffen des ſchutzzöllneriſchen
Referenten über ſein Reſſortbudget. des Abg. Lucca, gegenüber
einen ſchweren Stand. Am 29. December 1888 übernahm er
das Finanzportefeuille, das er aber wenige Monate ſpäter an
Seismit-Doda abgeben mußte. Seither war er einfacher Ab-
geordneter und ein geſuchter Vertheidiger; der Oppoſition
gegen Criſpi hat er ſich nicht angeſchloſſen. — Einer römi-
von Orléans umſpannenden Deutſchen ſtand das I. bayeriſche
Armeecorps und auf dieſes warf ſich auch hier zuerſt am
1. December in übermächtigem Anlaufe der Gegner. Bei
Villepion und Orgères wurde heiß gekämpft gegen die drei
Diviſionen des franzöſiſchen 16. Armeecorps. Der tapfere
Commandeur der 1. bayeriſchen Diviſion, Generallieutenant
v. Stephan, ſank, gleichzeitig durch Granatſplitter und Chaſſepot-
Geſchoſſe getroffen, ſchwer verwundet vom Pferde. Prinz Leopold
von Bayern hielt mit nur noch vier gefechtsfähigen Geſchützen
der 4. ſechspfündigen Batterie heldenmüthig aus; auf nächſte
Entfernung bringt er durch Schnellfeuer mit Granatkartätſchen
den anſtürmenden Feind zum Halten. Unerſchütterlich zum
Kampf mit Kolben und Bajonett entſchloſſen, halten zwei Com-
pagnien des Leib-Negiments bei jener tapferen Batterie aus,
trotzdem ſie keine Patronen mehr beſaßen. Das herbeieilende
2. Jägerbataillon beſeitigt die drohende Gefahr auf dieſem
Theile des Schlachtfeldes. Um 5 Uhr Abends ſtellten die
Franzoſen das Feuer ein. Unbeläſtigt konnten die bayeriſchen
Brigaden nach Orgères abrücken. Aber die Vorpoſten blieben
die Nacht über dicht am Feinde, der den eigentlichen ent-
ſcheidenden Angriff erſt am folgenden Tage auszuführen ge-
dachte. Auch am 2. December traf der erſte Stoß wieder die
Bayern bei Château Goury und Ferme Morâle. Die Schlacht
ſelbſt führt den Namen Schlacht von Loigny-Poupry. Sie iſt
eine der entſcheidendſten, aber auch eine der blutigſten des
ganzen Feldzuges. Durch die flammende Proclamation
Gambetta’s, welcher den glücklichen Durchbruch der Armee von
Paris dem Lande verkündet hatte, zu neuem Muthe erweckt,
verſuchte der franzöſiſche Elan in verzweifelter Anſtrengung die
deutſche Minderzahl zu erdrücken. Hart genug iſt am 2. De-
cember 1870 auf den Feldern von Lumeau, Loigny und
Poupry gekämpft worden. Aber als der frühe Abend eines
Decembertages hereinbrach, da erklang es doch „Victoria!“ auf
Seiten der Deutſchen.
Es waren die alten Gegner vom Tage vorher, welche am
2. December die bayeriſche Schlachtlinie anfielen. Die gelichteten
Bataillone des 3. und 12. Infanterieregiments mußten nach
hartnäckiger Gegenwehr ihre Stellungen räumen. Der Com-
mandeur des 3. Infanterieregiments, Oberſt Schuch, war zu
Tode getroſſen, 31 Officiere und 580 Mann der hier fechtenden
fünf Bataillone jener beiden Regimenter hatte das feindliche
Blei hingeſtreckt. Der Führer des 1. Infanterieregiments,
Major Daffenreither, wird tödtlich verwundet. In dem hin-
und herwogenden Kampfe gegen immer wachſende Uebermacht
gelingt es aber doch noch der 5. und 8. Compagnie des Leib-
Regiments, dem Feinde das Gehölz bei Ferme Morâle zu ent-
reißen; auch trifft die 2. Infanteriebrigade noch rechtzeitig ein,
um das Gefecht wieder herzuſtellen. Auch auf anderen Punkten
des weiten Kampffeldes gelingt es hauptſächlich unter Mit-
wirkung der über alles Lob erhabenen bayeriſchen Artillerie,
die eigenen Stellungen zu behaupten, bis endlich Hanſeaten
und Mecklenburger dem Feinde in die Flanke ſtoßen, um ihm
dann bei Loigny-Lumeau nach erbittertem Ringen die Sieges-
palme zu entreißen, die er ſchon erkämpft wähnte, während
bei Poupry die 22. Diviſion mit zäher Tapferkeit das viel-
umſtrittene Kampffeld zum Siegesfeld geſtaltete. Nach der
Schlacht von Sedan iſt der Tag von Loigny-Poupry der
blutigſte geweſen in der Geſchichte des I. bayeriſchen Armec-
corps. 104 Officiere, 2192 Mann waren todt und verwundet,
während der Geſammtverluſt der Deutſchen am 2. December
201 Officiere, 3938 Mann betrug.
Eiſig kalt brachen Abend und Nacht an jenem 2. De-
cember herein. Die weiten Schneefeloer beleuchteten blutigroth
brennende Dörfer und Gehöfte. Mancher Schwerverwundete,
der nicht rechtzeitig mehr geborgen werden konnte, verfiel er-
ſtarrt dem Todesſchlaf. Die Ueberlebenden, die Geſunden
aber rüſteten von neuem zur Schlacht, zum Kampf, ſie hatten
keine Zeit, der Todten zu gedenken. Das iſt das furchtbare
Geſetz des Krieges!
Am 3. December wurde geſchlagen bei Artenay, am
4. December wurde gekämpft um die lang umſtrittene Sieges-
beute — um Orléaus.
Um Mitternacht des 4./5. December ritt der Großherzog
von Mecklenburg an der Spitze ſeiner Truppen in Orléans
ein, hierunter auch die 2. bayeriſche Infanteriebrigade. Am
Morgen des 5. December hielt Prinz Friedrich Karl Heerſchau
über die einziehende zweite Armee. Der ſieggekrönte Feldherr
ließ an der Statue der Jungfrau die Truppen vorübermarſchiren,
die von dem „jungfräulichen“ Metz an die Loire geeilt waren, um
die Stadt der Jungfrau, die ſie aber diesmal nicht geſchützt
hatte, wieder in deutſche Gewalt zu bringen. Tauſende von gefan-
genen Franzoſen bildeten Staffage bei dieſem gewaltig packenden
Schauſpiel. Sie ſchauten verwundert auf, als aus den ſonſt laut-
loſen Reihen der Truppen, die defilirten wie auf dem Paradefelde,
laut brauſende Hurrahs erſchollen für den Helden von Mars-
la-Tour und Gravelotte, der nun auch Bezwinger geworden
von Orléans und Bezwinger der Loire-Armee.
Aber noch war nicht Alles gethan. Die Loire-Armee
war zwar bezwungen, aber nicht zertrümmert. Es galt, ſie
aus dem Thal der Loire zu vertreiben, ſie unſchädlich zu machen
auf längere Zeit. Dieſe Aufgabe ſchien jedoch damals leichter, als
ſie es wirklich war. Niemand glaubte am 5. December 1870,
daß die nächſten Tage noch erbitterte, verluſtreiche Kämpfe
mit der fliehenden, anſcheinend demoraliſirten Loire-Armee
bringen würden. Das iſt die Wahrheit. Deſto empfindlicher
und größer war deßhalb auch der Rückſchlag, als es der
Energie des Generals Chanzy gelang, vom 7. bis 10. De-
cember ſeinen Truppen eine Widerſtandskraft und Kampf-
fähigkeit einzuflößen, die deutſcherſeits jedenfalls in dieſem
Maße nicht erwartet worden war und eigentlich auch nicht
erwartet werden konnte.
Anſtatt Erholung und Ruhe beginnt mit dem 7. December
eine Reihe von Gefechten, welche unter der Geſammtbezeichnung
Schlacht von Beaugency-Cravant zuſammengefaßt werden.
Am 7. December fochten die Bayern bei Grand Chatre, am
8. December bei Beaumont und Cravant mit großer Aus-
zeichnung. Am 9. December errangen ſie neuen Ruhm bei
Le Mée und Villorceau, obgleich ihre Batterien, welche bisher
ſo hervorragenden Antheil an allen Kämpfen genommen hatten,
zum Theil gefechtsunfähig geworden waren und in Folge
deſſen zurückgenommen werden mußten. Sie theilten dieſes
Schickſal mit den Batterien der 22. Diviſion, von deren ſechs
Batterien ſchließlich nur noch zwei verwendbar blieben. Es
war Zeit, daß Erholung eintrat, da das Material anfing zu
verſagen. Das Perſonal durfte nicht verſagen und es
verſagte auch nicht. General Chanzy trat am 10. December
den Rückzug an, verfolgt bis nach Vandôme. Er war von der
Loire vertrieben und ſah auch deren Ufer nicht wieder, trotzdem
ſeine Armee den hochtönenden Namen „Loire-Armee“ beibehielt.
Das 1. bayeriſche Armeecorps, das nicht einmal mehr die
Stärke einer Diviſion aufweist, war am 10. December auf Orléans
inſtradirt worden. Die 4. Infanteriebrigade und 6 Batterien
nahmen noch an der Verfolgung der Franzoſen bis zum
16. December theil. Aber auch mit dem Abmarſche nach
Orléans war das Kilometern noch nicht zu Ende. Ruhe fand
das Armeecorps erſt wieder vor Paris. Und dieſe Ruhe hatte es
verdient. Es hat gekämpft, geſtritten und gelitten wie kein anderes
deutſches Corps. Es hat mit ſeinem Herzblut am reichlichſten die
deutſchen Siege an der Loire eingelöst und es hat unver-
gänglichen Anſpruch darauf, in der Ruhmesgeſchichte jener
ewig denkwürdigen Tage an erſter Stelle genannt zu werden.
Für Viele, Viele ſind die Weihnachten 1870 keine fröh-
liche gewefen. In Deutſchland hat vor zwanzig Jahren mancher
Kindermund gefragt: wo iſt der Vater, warum kommt er nicht
zum lieben Weihnachtsſeſte? Glücklich die, welche antworten
konnten, er ſteht im Felde, aber im nächſten Jahre wird er
wieder bei uns ſein.
Aber auch manche bleiche Frau hatte unter Thränen
mit zuckendem Munde und blutendem Herzen nur die Antwort:
Er liegt in fremder Erde, im wälſchen Lande, er iſt in ewigen
Schlaf gebettet — an der Loire!
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(2022-04-08T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
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