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Allgemeine Zeitung, Nr. 342, 10. Dezember 1890.

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München, Mittwoch Allgemeine Zeitung 10. December 1890. Morgenblatt Nr. 342.
[Spaltenumbruch]

die Gudrun im Vergleich zur Ilias und Odyssee. Auch ist
offenbar mit den "jungen Griechen und Römern" nur ge-
meint, was der Kaiser gleich dahinter als das Product "der
klösterlichen Erziehung des Mittelalters" charakterisirt, und die
Ausführung ist einzuschränken durch den Schlußsatz, der mit aller
Bestimmtheit classische Gymnasien mit classischer Bildung
fordert. Es folgt wohl daraus, daß nur die mißbräuchliche,
schematische, die Form über den Inhalt setzende Behandlung
der alten Sprachen und speciell des Lateinischen gemeint sein
kann, und dagegen wird sich wenig einwenden lassen. Auch
dem lateinischen Aufsatz legt man in Uebereinstimmung mit
dem Urtheil des Kaisers die entscheidende Wichtigkeit nicht bei,
daß ihm zuliebe eine Vertiefung des deutschen und geschicht-
lichen Unterrichts geopfert werden sollte. Eine stärkere Werth-
schätzung des deutschen Aufsatzes -- ohne daß jedoch derselbe
der Mittelpunkt werden soll, wie verlangt wird, denn gerade
die Feitigkeit im Ausdruck ist eine Gabe, die durchaus nicht
nothwendig mit geistiger Reife eines Schülers identisch ist und
in häufigen Fällen erst sehr spät und in eigenartiger Weise
zur Ausbildung gelangt -- eine stärkere Werthschätzung des
deutschen Aufsatzes also entspricht den Wünschen auch der
strengen Anhänger unsres classischen Gymnasiums, und es
wird eine Frage der Methodik sein, wie diesem fruchtbaren
Gedanken auch fruchtbare Entwicklung zu sichern sei. Das-
selbe gilt von den Wünschen des Kaisers in Bezug auf die
vaterländische Geschichte. Es ist undenkbar, das classische
Gymnasium als ein classisches zu erhalten, wenn die liebevolle
und eingehende Behandlung der Geschichte des Alterthums,
und zwar speciell der griechischen und römischen -- die orien-
talische, soweit sie nicht Einleitung zu den beiden ist, gehört
auf die Universität -- ihren Platz nicht behauptet; auch ist es
ein Kennzeichen deutscher Bildung, daß der Ausblick auf die
Weltgeschichte nicht durch den Parteistandpunkt engherzig
nationaler Auffassung gefälscht wird. Die Entwidlung ge-
sunden nationalen Gefühls läßt sich mit gerechter Beurtheilung
der Nachbarn nicht nur vereinigen, sondern wird durch dieselbe
bedingt. Unsre hervorragendsten Patrioten und Staatsmänner
sind stets zugleich hervorragende Kenner der Geschichte unsrer
Culturvölker gewesen. Der methodischen Schulung und dem
richtigen Tact des Lehrers wird es an der Hand eines richtig
gedachten Lehrplanes zufallen, die Grenzen zwischen der vater-
ländischen Geschichte und der der allgemeinen Entwicklung der
Menschheit so zu ziehen, daß darüber das nationale Gleich-
gewicht nicht verloren geht.

Von vornherein aber geben wir zu, daß diese Ausführung
nicht gilt für die niederen Schulen, die in knapp bemessener
Zeit eine in sich möglichst abgeschlossene Bildung und Lebens-
anschauung zu übermitteln haben; und absolut richtig ist der
Gedanke, in das historische Unterrichtsfeld dieser Schulen auch
die plastischen Ereignisse der neuesten deutschen Geschichte von
den Freiheitskriegen bis zum Tode Kaiser Wilhelms hineinzu-
ziehen.

Die scharfe Verurtheilung des Realgymnasiums, an dessen
Stelle der Kaiser eine zweite Gattung Schulen mit Realbildung
setzen will, stößt unsrer Meinung nach auf einen nicht be-
rechtigten Widerspruch, denn jene zweite Gattung Schulen wird
schließlich mit dem Realgymnasium, das vom lateinischen Ballast
befreit ist, identisch sein. Doch wird diese Frage noch so leb-
haste Verhandlungen hervorrufen, daß wir für heute auf ein
näheres Eingehen verzichten können.

Ob die Frage des Berechtigungswesens oder anders
formulirt: des Bildungscensus für den einjährigen Dienst, die
vom Kaiser angeregte Lösung finden wird, mag dahingestellt
bleiben. Die Entlastung der Gymnasien von der Zahl der
Schüler, die nur den einjährigen Dienst erstreben, ist ein so
allgemein anerkanntes Bedürfniß, daß ihm in der einen oder
in der anderen Weise wird Rechnung getragen werden müssen.
Ueber das "Wie?" gehen die Meinungen weit auseinander.
Dasselbe gilt von der Verminderung des Lehrstoffes durch
einfachere Gestaltung der Examina. Die vom Kaiser in dieser
Richtung hingeworfenen Gedanken sind gewiß beachtenswerth,
verlangen aber allseitige Prüfung auf die voraussichtlich zu er-
wartenden Folgen. Kaiser Wilhelm hat selbst darauf hin-
gewiesen, wie wesentlich die Ausführung jener Zukunftspläne
[Spaltenumbruch] davon abhängt, wie das Lehrermaterial beschaffen ist, dem die
Durchführung derselben zufällt. Die Frage der Ueberbürdung
steht gerade hiemit im engsten Zusammenhang, und die wahr-
baft abschreckenden Daten über die Kasseler Zustände gelten
für den Durchschnitt unsrer Gymnasien als keineswegs zu-
treffend. Ebensowenig kann eine Classe von 30 Schülern, für
Berlin z. B., als überfüllt gelten, vielmehr würde ein Herab-
sinken auf nur 30 bei unsern Zuständen für beinahe ideal
gelten können. Unsre Lehrer haben in Gymnasien und Gemeinde-
schulen mit weit ungünstigeren Zahlen zu kämpfen und die
Festhaltung von 30 als Maximum müßte schließlich doch zur
Genchmigung neuer Gymnasien führen.

Kurzum, es ist eine Fülle anregender Ideen, die uns aus
der Rede des Kaisers entgegentritt, und wir zweifeln nicht
daran, daß ihre allseitige Erwägung zu einem Fortschritt in
unserm nationalen Schulwesen führen wird. Zunächst aber ist
es doch nur eine Schulfrage, und wenn die Formulirungen der
heute tagenden Commission zu einer Gesetzesvorlage geworden
sind, steht ihnen noch die Berathung im Landtage bevor. Wir
haben vollste Garantie, daß in dieser Lebensfrage des deutschen
Volkes die Entscheidung nicht übers Knie gebrochen wird.



Deutsches Reich.

Tel. In der heutigen Sitzung
des Reichstages wurde die Vorlage über Helgoland in
dritter Berathung mit einem Zusatz angenommen, wonach das
Gesetz mit der Verkündigung in Kraft tritt. Hierauf begann
die Etatsberathung. Staatssecretär v. Maltzahn be-
ziffert die im nächsten Jahre an die Bundesstaaten zu ver-
theilenden Ueberschüsse auf 66 bis 68 Millionen, den Ueber
schuß der Reichscasse auf 10 Millionen. Ob mit dem Zins-
fuß der Schuldzinsen wieder auf 3 1/2 Procent zurückgegangen
werde, sei eine offene Frage. Abg. Richter verlangt an-
gesichts der günstigen Ergebnisse der Einnahmen eine Ermäßi-
gung der Lebensmittelzölle. Das Alters- und Invaliditäts-
versicherungsgesetz sei ein Sprung in den Abgrund, für welchen er
keine Verantwortung übernchme. Reichskanzler v. Caprivi
bemerkt, die Zölle könnten vielleicht künftig geändert werden;
die Aeußerungen der freisinnigen Vlätter über diesen Punkt
seien indeß den Verhandlungen mit den auswärtigen Mächten
nicht förderlich. Die Regierung halte das Invaliditätsgesetz
für so segensreich, daß sie es dem Volke keinen Tag länger
vorenthalten wolle. Mit der angeblichen weiteren Vermehrung
der Heeresausgaben sei es nichts. Abg. Bebel billigt den
Weg, den die Regierung mit dem Alters- und Invaliditäts-
gesetz betreten, lehnt aber das Budget ab, welches eine steigende
Feindseligkeit der Nationalitäten ausdrücke. Die Berathung
wird morgen fortgesetzt.

Auf eine Eingabe des "Vereins für christ-
liche Volksbildung" an den Kaiser in Sachen der Sonntags-
ruhe der Post-, Telegraphen- und Eisenbahnbeamten

ist der "Kreuzztg." zufolge nachstehende Bescheide eingelaufen:

Die an des Kaisers und
Königs Majestät gerichtete Vorstellung vom 30. October, in
welcher Eure Hochehrwürden für Erweiterung der Sonntagsruhe
eintreten, ist auf Allerhöchsten Befehl an den Reichskanzler
(Reichspostamt) und die königlich preußischen Minister der öffent-
lichen Arbeiten und des Innern zur Prüfung abgegeben worden.
Nachdem für den Geschäftebereich der Reichspost- und Telegraphen-
verwaltung die Prüfung stattgefunden hat, eröffne ich Ew. Hoch-
ehrwürden, daß der Post- und Telegraphendienst an den Sonn-
und Feiertagen bereits soweit eingeschränkt ist, als sich
dies mit den allgemeinen Interessen und mit der Sicherheit des
Betriebes irgend verträgt. Ew. Hochehrwürden wird anheim ge-
stellt, dem Hrn. Mitunterzeichner Ihrer Vorstellung vom Vor-
stehenden Kenntniß zu geben. gez. v. Stephan. -- An den
Pfarrer Hrn. Lic. Weber, Hochehrwürden. München-Gladbach."

In dem Bescheide des Ministers Maybach vom 25. Novem-
ber 1890 heißt es:

"daß der Frage der Sonntagsruhe seitens der Staats-
eisenbahnverwaltung fortgesetzt besondere Aufmerksamkeit zugewen-
det wird, und insbesondere Fürsorge getroffen ist, um den Beam-
[Spaltenumbruch] ten und Arbeitern an den Sonn- und Festtagen soweit als mög-
lich zum Besuche des Gottesdienstes, sowie zur Ruhe und Er-
holung Gelegenheit zu geben. Eine weitergehende allgemeine
Ausdehnung der Sonntagsruhe im Eisenbahndienste würde. ab-
gesehen von den dabei in Frage kommenden allgemeinen Verkehrs-
interessen, schon im Interesse der Ordnung und Sicher-
heit des Eisenbahnbetriebes den ernstesten Schwierig-
keiten begegnen
und unter den bestehenden Verhältnissen nicht
durchführbar sein. Ob und inwieweit im einzelnen noch Erleich-
terungen eintreten können, unterliegt der pflichtgemäßen Prüsung
der zuständigen Verwaltungsbehörden, welche dieserhalb bereits
wiederholt mit den erforderlichen Weisungen versehen sind. Indem
ich Ew. Hochehrwürden anheimgebe, dem Hrn. Mitunterzeichner
der Eingabe hievon Kenntniß zu geben, bemerke ich, daß Sie von
Seiten des Hrn. Ministers des Innern nach Befinden besonderen
Bescheid zu gewärtigen haben. Der Minister der öffentlichen
Arbeiten. gez. Maybach."

Die "Köln. Ztg." bemerkt zu den Nachrichten über den even-
kuellen Rücktritt des Cultusministers v. Goßler: "Wir unsrerseits
können nicht im Zweifel darüber sein, daß das Scheiden eines
Cultusministers, der dem wachsenden Uebermuth des Ultramon-
tanismus den charaltervollen Widerstand einer festbegründeten
staatlichen Gesinnung entgegengesetzt und sich auf allen Gebieten
seiner amtlichen Thätigkeit so glänzend bewährt hat, in weitesten
Kreisen mit einer sehr schmerzlichen Erregung aufgenommen werden
würde."

Demselben Blatte zufolge erachtet die Regierung es im
öffentlichen Interesse geboten, der durch Herstellung und Berkauf
künstlicher Kaffeebohnen bewirkten Verletzung des Nahrungs-
mittelgesetzes entgegenzutreten. Diese Kaffeebohnen sind für sich
allein zur Bereitung eines dem Kaffee in Geschmack und Wirkung
ähnlichen Getränks nicht verwendbar und sind daher auch nicht
in erster Linie als ein Ersatzmittel des Kaffees zu betrachten,
sondern vorwiegend dazu bestimmt, in Vermischung mit
natürlichen Kaffeebohnen
im Handel verwerthet zu werden.
Es handelt sich nach eingehenden Untersuchungen um ein Fabricat
aus geringwerthigem Kaffee. Nun ist der Verkauf eines solchen
Gemisches nicht zu verbieten, sobald der Waare eine Be-
zeichnung gegeben wird, die jede Täuschung über ihre Beschaffen-
heit ausschließt. Immerhin aber bleibt in diesem Falle die Ge-
fahr einer Täuschung bestehen, und die Anpreisung der betreffenden
Maschinen zur Ansertigung der künstlichen Kaffeebohnen hat eine
Täuschung des Publicums zur Voraussetzung. Es soll daher eine
kaiser liche Verordnung ergehen, daß auf Grund des Rahrungs-
mittelge setzes die Herstellung, der Verkauf und das Feik-
halten von Maschinen zur Anfertigung künstlicher
Kaffeebohnen verboten wird.

Italien.

* Bernardino Grimaldi, der neue italienische Finanz-
minister, dessen Ernennung ein Abends eingelaufenes Telegramm
meldet, vertritt seit dem Jahre 1876 seine Vaterstadt Catan-
zaro in der Deputirtenkammer. Ein Anhänger Cairoli's, ver-
waltete er unter dessen erster Ministerpräsidentschaft das
Generalseeretariat des Ministeriums für die öffentlichen Arbeiten,
übernahm dann im December 1878 an Stelle des ins Mini-
sterium des Innern berufenen Abg. Morana das schwierige
Referat über das Eisenbahnbaugesetz, das er so meisterhaft
versah, daß er mit einem Schlage zu den hervorragendsten
Persönlichkeiten der Kammer gehörte. Im Sommer 1879
trat er als Finanzminister in das dritte Ministerium Derretis
ein, machte sich aber durch seine rückhaltlose Darlegung
der trüben Finanzlage des Landes bald die Mehrheit seiner
Ministercollegen zu Gegnern, so daß er aus dem Cabinet
ausscheiden mußte. Einige Jahre später, im März 1884,
wurde er nach dem Rücktritte Berti's in das transformistische
Cabinet als Minister für Ackerbau und Handel berufen, hatte
aber als Freihändler den Angriffen des schutzzöllnerischen
Referenten über sein Ressortbudget. des Abg. Lucca, gegenüber
einen schweren Stand. Am 29. December 1888 übernahm er
das Finanzportefeuille, das er aber wenige Monate später an
Seismit-Doda abgeben mußte. Seither war er einfacher Ab-
geordneter und ein gesuchter Vertheidiger; der Opposition
gegen Crispi hat er sich nicht angeschlossen. -- Einer römi-

von Orleans umspannenden Deutschen stand das I. bayerische
Armeecorps und auf dieses warf sich auch hier zuerst am
1. December in übermächtigem Anlaufe der Gegner. Bei
Villepion und Orgeres wurde heiß gekämpft gegen die drei
Divisionen des französischen 16. Armeecorps. Der tapfere
Commandeur der 1. bayerischen Division, Generallieutenant
v. Stephan, sank, gleichzeitig durch Granatsplitter und Chassepot-
Geschosse getroffen, schwer verwundet vom Pferde. Prinz Leopold
von Bayern hielt mit nur noch vier gefechtsfähigen Geschützen
der 4. sechspfündigen Batterie heldenmüthig aus; auf nächste
Entfernung bringt er durch Schnellfeuer mit Granatkartätschen
den anstürmenden Feind zum Halten. Unerschütterlich zum
Kampf mit Kolben und Bajonett entschlossen, halten zwei Com-
pagnien des Leib-Negiments bei jener tapferen Batterie aus,
trotzdem sie keine Patronen mehr besaßen. Das herbeieilende
2. Jägerbataillon beseitigt die drohende Gefahr auf diesem
Theile des Schlachtfeldes. Um 5 Uhr Abends stellten die
Franzosen das Feuer ein. Unbelästigt konnten die bayerischen
Brigaden nach Orgeres abrücken. Aber die Vorposten blieben
die Nacht über dicht am Feinde, der den eigentlichen ent-
scheidenden Angriff erst am folgenden Tage auszuführen ge-
dachte. Auch am 2. December traf der erste Stoß wieder die
Bayern bei Chateau Goury und Ferme Morale. Die Schlacht
selbst führt den Namen Schlacht von Loigny-Poupry. Sie ist
eine der entscheidendsten, aber auch eine der blutigsten des
ganzen Feldzuges. Durch die flammende Proclamation
Gambetta's, welcher den glücklichen Durchbruch der Armee von
Paris dem Lande verkündet hatte, zu neuem Muthe erweckt,
versuchte der französische Elan in verzweifelter Anstrengung die
deutsche Minderzahl zu erdrücken. Hart genug ist am 2. De-
cember 1870 auf den Feldern von Lumeau, Loigny und
Poupry gekämpft worden. Aber als der frühe Abend eines
Decembertages hereinbrach, da erklang es doch "Victoria!" auf
Seiten der Deutschen.

Es waren die alten Gegner vom Tage vorher, welche am
2. December die bayerische Schlachtlinie anfielen. Die gelichteten
Bataillone des 3. und 12. Infanterieregiments mußten nach
hartnäckiger Gegenwehr ihre Stellungen räumen. Der Com-
mandeur des 3. Infanterieregiments, Oberst Schuch, war zu
Tode getrossen, 31 Officiere und 580 Mann der hier fechtenden
fünf Bataillone jener beiden Regimenter hatte das feindliche
Blei hingestreckt. Der Führer des 1. Infanterieregiments,
Major Daffenreither, wird tödtlich verwundet. In dem hin-
und herwogenden Kampfe gegen immer wachsende Uebermacht
gelingt es aber doch noch der 5. und 8. Compagnie des Leib-
Regiments, dem Feinde das Gehölz bei Ferme Morale zu ent-
reißen; auch trifft die 2. Infanteriebrigade noch rechtzeitig ein,
[Spaltenumbruch] um das Gefecht wieder herzustellen. Auch auf anderen Punkten
des weiten Kampffeldes gelingt es hauptsächlich unter Mit-
wirkung der über alles Lob erhabenen bayerischen Artillerie,
die eigenen Stellungen zu behaupten, bis endlich Hanseaten
und Mecklenburger dem Feinde in die Flanke stoßen, um ihm
dann bei Loigny-Lumeau nach erbittertem Ringen die Sieges-
palme zu entreißen, die er schon erkämpft wähnte, während
bei Poupry die 22. Division mit zäher Tapferkeit das viel-
umstrittene Kampffeld zum Siegesfeld gestaltete. Nach der
Schlacht von Sedan ist der Tag von Loigny-Poupry der
blutigste gewesen in der Geschichte des I. bayerischen Armec-
corps. 104 Officiere, 2192 Mann waren todt und verwundet,
während der Gesammtverlust der Deutschen am 2. December
201 Officiere, 3938 Mann betrug.

Eisig kalt brachen Abend und Nacht an jenem 2. De-
cember herein. Die weiten Schneefeloer beleuchteten blutigroth
brennende Dörfer und Gehöfte. Mancher Schwerverwundete,
der nicht rechtzeitig mehr geborgen werden konnte, verfiel er-
starrt dem Todesschlaf. Die Ueberlebenden, die Gesunden
aber rüsteten von neuem zur Schlacht, zum Kampf, sie hatten
keine Zeit, der Todten zu gedenken. Das ist das furchtbare
Gesetz des Krieges!

Am 3. December wurde geschlagen bei Artenay, am
4. December wurde gekämpft um die lang umstrittene Sieges-
beute -- um Orleaus.

Um Mitternacht des 4./5. December ritt der Großherzog
von Mecklenburg an der Spitze seiner Truppen in Orleans
ein, hierunter auch die 2. bayerische Infanteriebrigade. Am
Morgen des 5. December hielt Prinz Friedrich Karl Heerschau
über die einziehende zweite Armee. Der sieggekrönte Feldherr
ließ an der Statue der Jungfrau die Truppen vorübermarschiren,
die von dem "jungfräulichen" Metz an die Loire geeilt waren, um
die Stadt der Jungfrau, die sie aber diesmal nicht geschützt
hatte, wieder in deutsche Gewalt zu bringen. Tausende von gefan-
genen Franzosen bildeten Staffage bei diesem gewaltig packenden
Schauspiel. Sie schauten verwundert auf, als aus den sonst laut-
losen Reihen der Truppen, die defilirten wie auf dem Paradefelde,
laut brausende Hurrahs erschollen für den Helden von Mars-
la-Tour und Gravelotte, der nun auch Bezwinger geworden
von Orleans und Bezwinger der Loire-Armee.

Aber noch war nicht Alles gethan. Die Loire-Armee
war zwar bezwungen, aber nicht zertrümmert. Es galt, sie
aus dem Thal der Loire zu vertreiben, sie unschädlich zu machen
auf längere Zeit. Diese Aufgabe schien jedoch damals leichter, als
sie es wirklich war. Niemand glaubte am 5. December 1870,
daß die nächsten Tage noch erbitterte, verlustreiche Kämpfe
mit der fliehenden, anscheinend demoralisirten Loire-Armee
[Spaltenumbruch] bringen würden. Das ist die Wahrheit. Desto empfindlicher
und größer war deßhalb auch der Rückschlag, als es der
Energie des Generals Chanzy gelang, vom 7. bis 10. De-
cember seinen Truppen eine Widerstandskraft und Kampf-
fähigkeit einzuflößen, die deutscherseits jedenfalls in diesem
Maße nicht erwartet worden war und eigentlich auch nicht
erwartet werden konnte.

Anstatt Erholung und Ruhe beginnt mit dem 7. December
eine Reihe von Gefechten, welche unter der Gesammtbezeichnung
Schlacht von Beaugency-Cravant zusammengefaßt werden.
Am 7. December fochten die Bayern bei Grand Chatre, am
8. December bei Beaumont und Cravant mit großer Aus-
zeichnung. Am 9. December errangen sie neuen Ruhm bei
Le Mee und Villorceau, obgleich ihre Batterien, welche bisher
so hervorragenden Antheil an allen Kämpfen genommen hatten,
zum Theil gefechtsunfähig geworden waren und in Folge
dessen zurückgenommen werden mußten. Sie theilten dieses
Schicksal mit den Batterien der 22. Division, von deren sechs
Batterien schließlich nur noch zwei verwendbar blieben. Es
war Zeit, daß Erholung eintrat, da das Material anfing zu
versagen. Das Personal durfte nicht versagen und es
versagte auch nicht. General Chanzy trat am 10. December
den Rückzug an, verfolgt bis nach Vandome. Er war von der
Loire vertrieben und sah auch deren Ufer nicht wieder, trotzdem
seine Armee den hochtönenden Namen "Loire-Armee" beibehielt.

Das 1. bayerische Armeecorps, das nicht einmal mehr die
Stärke einer Division aufweist, war am 10. December auf Orleans
instradirt worden. Die 4. Infanteriebrigade und 6 Batterien
nahmen noch an der Verfolgung der Franzosen bis zum
16. December theil. Aber auch mit dem Abmarsche nach
Orleans war das Kilometern noch nicht zu Ende. Ruhe fand
das Armeecorps erst wieder vor Paris. Und diese Ruhe hatte es
verdient. Es hat gekämpft, gestritten und gelitten wie kein anderes
deutsches Corps. Es hat mit seinem Herzblut am reichlichsten die
deutschen Siege an der Loire eingelöst und es hat unver-
gänglichen Anspruch darauf, in der Ruhmesgeschichte jener
ewig denkwürdigen Tage an erster Stelle genannt zu werden.

Für Viele, Viele sind die Weihnachten 1870 keine fröh-
liche gewefen. In Deutschland hat vor zwanzig Jahren mancher
Kindermund gefragt: wo ist der Vater, warum kommt er nicht
zum lieben Weihnachtsseste? Glücklich die, welche antworten
konnten, er steht im Felde, aber im nächsten Jahre wird er
wieder bei uns sein.

Aber auch manche bleiche Frau hatte unter Thränen
mit zuckendem Munde und blutendem Herzen nur die Antwort:
Er liegt in fremder Erde, im wälschen Lande, er ist in ewigen
Schlaf gebettet -- an der Loire!

München, Mittwoch Allgemeine Zeitung 10. December 1890. Morgenblatt Nr. 342.
[Spaltenumbruch]

die Gudrun im Vergleich zur Ilias und Odyſſee. Auch iſt
offenbar mit den „jungen Griechen und Römern“ nur ge-
meint, was der Kaiſer gleich dahinter als das Product „der
klöſterlichen Erziehung des Mittelalters“ charakteriſirt, und die
Ausführung iſt einzuſchränken durch den Schlußſatz, der mit aller
Beſtimmtheit claſſiſche Gymnaſien mit claſſiſcher Bildung
fordert. Es folgt wohl daraus, daß nur die mißbräuchliche,
ſchematiſche, die Form über den Inhalt ſetzende Behandlung
der alten Sprachen und ſpeciell des Lateiniſchen gemeint ſein
kann, und dagegen wird ſich wenig einwenden laſſen. Auch
dem lateiniſchen Aufſatz legt man in Uebereinſtimmung mit
dem Urtheil des Kaiſers die entſcheidende Wichtigkeit nicht bei,
daß ihm zuliebe eine Vertiefung des deutſchen und geſchicht-
lichen Unterrichts geopfert werden ſollte. Eine ſtärkere Werth-
ſchätzung des deutſchen Aufſatzes — ohne daß jedoch derſelbe
der Mittelpunkt werden ſoll, wie verlangt wird, denn gerade
die Feitigkeit im Ausdruck iſt eine Gabe, die durchaus nicht
nothwendig mit geiſtiger Reife eines Schülers identiſch iſt und
in häufigen Fällen erſt ſehr ſpät und in eigenartiger Weiſe
zur Ausbildung gelangt — eine ſtärkere Werthſchätzung des
deutſchen Aufſatzes alſo entſpricht den Wünſchen auch der
ſtrengen Anhänger unſres claſſiſchen Gymnaſiums, und es
wird eine Frage der Methodik ſein, wie dieſem fruchtbaren
Gedanken auch fruchtbare Entwicklung zu ſichern ſei. Das-
ſelbe gilt von den Wünſchen des Kaiſers in Bezug auf die
vaterländiſche Geſchichte. Es iſt undenkbar, das claſſiſche
Gymnaſium als ein claſſiſches zu erhalten, wenn die liebevolle
und eingehende Behandlung der Geſchichte des Alterthums,
und zwar ſpeciell der griechiſchen und römiſchen — die orien-
taliſche, ſoweit ſie nicht Einleitung zu den beiden iſt, gehört
auf die Univerſität — ihren Platz nicht behauptet; auch iſt es
ein Kennzeichen deutſcher Bildung, daß der Ausblick auf die
Weltgeſchichte nicht durch den Parteiſtandpunkt engherzig
nationaler Auffaſſung gefälſcht wird. Die Entwidlung ge-
ſunden nationalen Gefühls läßt ſich mit gerechter Beurtheilung
der Nachbarn nicht nur vereinigen, ſondern wird durch dieſelbe
bedingt. Unſre hervorragendſten Patrioten und Staatsmänner
ſind ſtets zugleich hervorragende Kenner der Geſchichte unſrer
Culturvölker geweſen. Der methodiſchen Schulung und dem
richtigen Tact des Lehrers wird es an der Hand eines richtig
gedachten Lehrplanes zufallen, die Grenzen zwiſchen der vater-
ländiſchen Geſchichte und der der allgemeinen Entwicklung der
Menſchheit ſo zu ziehen, daß darüber das nationale Gleich-
gewicht nicht verloren geht.

Von vornherein aber geben wir zu, daß dieſe Ausführung
nicht gilt für die niederen Schulen, die in knapp bemeſſener
Zeit eine in ſich möglichſt abgeſchloſſene Bildung und Lebens-
anſchauung zu übermitteln haben; und abſolut richtig iſt der
Gedanke, in das hiſtoriſche Unterrichtsfeld dieſer Schulen auch
die plaſtiſchen Ereigniſſe der neueſten deutſchen Geſchichte von
den Freiheitskriegen bis zum Tode Kaiſer Wilhelms hineinzu-
ziehen.

Die ſcharfe Verurtheilung des Realgymnaſiums, an deſſen
Stelle der Kaiſer eine zweite Gattung Schulen mit Realbildung
ſetzen will, ſtößt unſrer Meinung nach auf einen nicht be-
rechtigten Widerſpruch, denn jene zweite Gattung Schulen wird
ſchließlich mit dem Realgymnaſium, das vom lateiniſchen Ballaſt
befreit iſt, identiſch ſein. Doch wird dieſe Frage noch ſo leb-
haſte Verhandlungen hervorrufen, daß wir für heute auf ein
näheres Eingehen verzichten können.

Ob die Frage des Berechtigungsweſens oder anders
formulirt: des Bildungscenſus für den einjährigen Dienſt, die
vom Kaiſer angeregte Löſung finden wird, mag dahingeſtellt
bleiben. Die Entlaſtung der Gymnaſien von der Zahl der
Schüler, die nur den einjährigen Dienſt erſtreben, iſt ein ſo
allgemein anerkanntes Bedürfniß, daß ihm in der einen oder
in der anderen Weiſe wird Rechnung getragen werden müſſen.
Ueber das „Wie?“ gehen die Meinungen weit auseinander.
Dasſelbe gilt von der Verminderung des Lehrſtoffes durch
einfachere Geſtaltung der Examina. Die vom Kaiſer in dieſer
Richtung hingeworfenen Gedanken ſind gewiß beachtenswerth,
verlangen aber allſeitige Prüfung auf die vorausſichtlich zu er-
wartenden Folgen. Kaiſer Wilhelm hat ſelbſt darauf hin-
gewieſen, wie weſentlich die Ausführung jener Zukunftspläne
[Spaltenumbruch] davon abhängt, wie das Lehrermaterial beſchaffen iſt, dem die
Durchführung derſelben zufällt. Die Frage der Ueberbürdung
ſteht gerade hiemit im engſten Zuſammenhang, und die wahr-
baft abſchreckenden Daten über die Kaſſeler Zuſtände gelten
für den Durchſchnitt unſrer Gymnaſien als keineswegs zu-
treffend. Ebenſowenig kann eine Claſſe von 30 Schülern, für
Berlin z. B., als überfüllt gelten, vielmehr würde ein Herab-
ſinken auf nur 30 bei unſern Zuſtänden für beinahe ideal
gelten können. Unſre Lehrer haben in Gymnaſien und Gemeinde-
ſchulen mit weit ungünſtigeren Zahlen zu kämpfen und die
Feſthaltung von 30 als Maximum müßte ſchließlich doch zur
Genchmigung neuer Gymnaſien führen.

Kurzum, es iſt eine Fülle anregender Ideen, die uns aus
der Rede des Kaiſers entgegentritt, und wir zweifeln nicht
daran, daß ihre allſeitige Erwägung zu einem Fortſchritt in
unſerm nationalen Schulweſen führen wird. Zunächſt aber iſt
es doch nur eine Schulfrage, und wenn die Formulirungen der
heute tagenden Commiſſion zu einer Geſetzesvorlage geworden
ſind, ſteht ihnen noch die Berathung im Landtage bevor. Wir
haben vollſte Garantie, daß in dieſer Lebensfrage des deutſchen
Volkes die Entſcheidung nicht übers Knie gebrochen wird.



Deutſches Reich.

Tel. In der heutigen Sitzung
des Reichstages wurde die Vorlage über Helgoland in
dritter Berathung mit einem Zuſatz angenommen, wonach das
Geſetz mit der Verkündigung in Kraft tritt. Hierauf begann
die Etatsberathung. Staatsſecretär v. Maltzahn be-
ziffert die im nächſten Jahre an die Bundesſtaaten zu ver-
theilenden Ueberſchüſſe auf 66 bis 68 Millionen, den Ueber
ſchuß der Reichscaſſe auf 10 Millionen. Ob mit dem Zins-
fuß der Schuldzinſen wieder auf 3 1/2 Procent zurückgegangen
werde, ſei eine offene Frage. Abg. Richter verlangt an-
geſichts der günſtigen Ergebniſſe der Einnahmen eine Ermäßi-
gung der Lebensmittelzölle. Das Alters- und Invaliditäts-
verſicherungsgeſetz ſei ein Sprung in den Abgrund, für welchen er
keine Verantwortung übernchme. Reichskanzler v. Caprivi
bemerkt, die Zölle könnten vielleicht künftig geändert werden;
die Aeußerungen der freiſinnigen Vlätter über dieſen Punkt
ſeien indeß den Verhandlungen mit den auswärtigen Mächten
nicht förderlich. Die Regierung halte das Invaliditätsgeſetz
für ſo ſegensreich, daß ſie es dem Volke keinen Tag länger
vorenthalten wolle. Mit der angeblichen weiteren Vermehrung
der Heeresausgaben ſei es nichts. Abg. Bebel billigt den
Weg, den die Regierung mit dem Alters- und Invaliditäts-
geſetz betreten, lehnt aber das Budget ab, welches eine ſteigende
Feindſeligkeit der Nationalitäten ausdrücke. Die Berathung
wird morgen fortgeſetzt.

Auf eine Eingabe des „Vereins für chriſt-
liche Volksbildung“ an den Kaiſer in Sachen der Sonntags-
ruhe der Poſt-, Telegraphen- und Eiſenbahnbeamten

iſt der „Kreuzztg.“ zufolge nachſtehende Beſcheide eingelaufen:

Die an des Kaiſers und
Königs Majeſtät gerichtete Vorſtellung vom 30. October, in
welcher Eure Hochehrwürden für Erweiterung der Sonntagsruhe
eintreten, iſt auf Allerhöchſten Befehl an den Reichskanzler
(Reichspoſtamt) und die königlich preußiſchen Miniſter der öffent-
lichen Arbeiten und des Innern zur Prüfung abgegeben worden.
Nachdem für den Geſchäftebereich der Reichspoſt- und Telegraphen-
verwaltung die Prüfung ſtattgefunden hat, eröffne ich Ew. Hoch-
ehrwürden, daß der Poſt- und Telegraphendienſt an den Sonn-
und Feiertagen bereits ſoweit eingeſchränkt iſt, als ſich
dies mit den allgemeinen Intereſſen und mit der Sicherheit des
Betriebes irgend verträgt. Ew. Hochehrwürden wird anheim ge-
ſtellt, dem Hrn. Mitunterzeichner Ihrer Vorſtellung vom Vor-
ſtehenden Kenntniß zu geben. gez. v. Stephan. — An den
Pfarrer Hrn. Lic. Weber, Hochehrwürden. München-Gladbach.“

In dem Beſcheide des Miniſters Maybach vom 25. Novem-
ber 1890 heißt es:

„daß der Frage der Sonntagsruhe ſeitens der Staats-
eiſenbahnverwaltung fortgeſetzt beſondere Aufmerkſamkeit zugewen-
det wird, und insbeſondere Fürſorge getroffen iſt, um den Beam-
[Spaltenumbruch] ten und Arbeitern an den Sonn- und Feſttagen ſoweit als mög-
lich zum Beſuche des Gottesdienſtes, ſowie zur Ruhe und Er-
holung Gelegenheit zu geben. Eine weitergehende allgemeine
Ausdehnung der Sonntagsruhe im Eiſenbahndienſte würde. ab-
geſehen von den dabei in Frage kommenden allgemeinen Verkehrs-
intereſſen, ſchon im Intereſſe der Ordnung und Sicher-
heit des Eiſenbahnbetriebes den ernſteſten Schwierig-
keiten begegnen
und unter den beſtehenden Verhältniſſen nicht
durchführbar ſein. Ob und inwieweit im einzelnen noch Erleich-
terungen eintreten können, unterliegt der pflichtgemäßen Prüſung
der zuſtändigen Verwaltungsbehörden, welche dieſerhalb bereits
wiederholt mit den erforderlichen Weiſungen verſehen ſind. Indem
ich Ew. Hochehrwürden anheimgebe, dem Hrn. Mitunterzeichner
der Eingabe hievon Kenntniß zu geben, bemerke ich, daß Sie von
Seiten des Hrn. Miniſters des Innern nach Befinden beſonderen
Beſcheid zu gewärtigen haben. Der Miniſter der öffentlichen
Arbeiten. gez. Maybach.“

Die „Köln. Ztg.“ bemerkt zu den Nachrichten über den even-
kuellen Rücktritt des Cultusminiſters v. Goßler: „Wir unſrerſeits
können nicht im Zweifel darüber ſein, daß das Scheiden eines
Cultusminiſters, der dem wachſenden Uebermuth des Ultramon-
tanismus den charaltervollen Widerſtand einer feſtbegründeten
ſtaatlichen Geſinnung entgegengeſetzt und ſich auf allen Gebieten
ſeiner amtlichen Thätigkeit ſo glänzend bewährt hat, in weiteſten
Kreiſen mit einer ſehr ſchmerzlichen Erregung aufgenommen werden
würde.“

Demſelben Blatte zufolge erachtet die Regierung es im
öffentlichen Intereſſe geboten, der durch Herſtellung und Berkauf
künſtlicher Kaffeebohnen bewirkten Verletzung des Nahrungs-
mittelgeſetzes entgegenzutreten. Dieſe Kaffeebohnen ſind für ſich
allein zur Bereitung eines dem Kaffee in Geſchmack und Wirkung
ähnlichen Getränks nicht verwendbar und ſind daher auch nicht
in erſter Linie als ein Erſatzmittel des Kaffees zu betrachten,
ſondern vorwiegend dazu beſtimmt, in Vermiſchung mit
natürlichen Kaffeebohnen
im Handel verwerthet zu werden.
Es handelt ſich nach eingehenden Unterſuchungen um ein Fabricat
aus geringwerthigem Kaffee. Nun iſt der Verkauf eines ſolchen
Gemiſches nicht zu verbieten, ſobald der Waare eine Be-
zeichnung gegeben wird, die jede Täuſchung über ihre Beſchaffen-
heit ausſchließt. Immerhin aber bleibt in dieſem Falle die Ge-
fahr einer Täuſchung beſtehen, und die Anpreiſung der betreffenden
Maſchinen zur Anſertigung der künſtlichen Kaffeebohnen hat eine
Täuſchung des Publicums zur Vorausſetzung. Es ſoll daher eine
kaiſer liche Verordnung ergehen, daß auf Grund des Rahrungs-
mittelge ſetzes die Herſtellung, der Verkauf und das Feik-
halten von Maſchinen zur Anfertigung künſtlicher
Kaffeebohnen verboten wird.

Italien.

* Bernardino Grimaldi, der neue italieniſche Finanz-
miniſter, deſſen Ernennung ein Abends eingelaufenes Telegramm
meldet, vertritt ſeit dem Jahre 1876 ſeine Vaterſtadt Catan-
zaro in der Deputirtenkammer. Ein Anhänger Cairoli’s, ver-
waltete er unter deſſen erſter Miniſterpräſidentſchaft das
Generalſeeretariat des Miniſteriums für die öffentlichen Arbeiten,
übernahm dann im December 1878 an Stelle des ins Mini-
ſterium des Innern berufenen Abg. Morana das ſchwierige
Referat über das Eiſenbahnbaugeſetz, das er ſo meiſterhaft
verſah, daß er mit einem Schlage zu den hervorragendſten
Perſönlichkeiten der Kammer gehörte. Im Sommer 1879
trat er als Finanzminiſter in das dritte Miniſterium Derretis
ein, machte ſich aber durch ſeine rückhaltloſe Darlegung
der trüben Finanzlage des Landes bald die Mehrheit ſeiner
Miniſtercollegen zu Gegnern, ſo daß er aus dem Cabinet
ausſcheiden mußte. Einige Jahre ſpäter, im März 1884,
wurde er nach dem Rücktritte Berti’s in das transformiſtiſche
Cabinet als Miniſter für Ackerbau und Handel berufen, hatte
aber als Freihändler den Angriffen des ſchutzzöllneriſchen
Referenten über ſein Reſſortbudget. des Abg. Lucca, gegenüber
einen ſchweren Stand. Am 29. December 1888 übernahm er
das Finanzportefeuille, das er aber wenige Monate ſpäter an
Seismit-Doda abgeben mußte. Seither war er einfacher Ab-
geordneter und ein geſuchter Vertheidiger; der Oppoſition
gegen Criſpi hat er ſich nicht angeſchloſſen. — Einer römi-

von Orléans umſpannenden Deutſchen ſtand das I. bayeriſche
Armeecorps und auf dieſes warf ſich auch hier zuerſt am
1. December in übermächtigem Anlaufe der Gegner. Bei
Villepion und Orgères wurde heiß gekämpft gegen die drei
Diviſionen des franzöſiſchen 16. Armeecorps. Der tapfere
Commandeur der 1. bayeriſchen Diviſion, Generallieutenant
v. Stephan, ſank, gleichzeitig durch Granatſplitter und Chaſſepot-
Geſchoſſe getroffen, ſchwer verwundet vom Pferde. Prinz Leopold
von Bayern hielt mit nur noch vier gefechtsfähigen Geſchützen
der 4. ſechspfündigen Batterie heldenmüthig aus; auf nächſte
Entfernung bringt er durch Schnellfeuer mit Granatkartätſchen
den anſtürmenden Feind zum Halten. Unerſchütterlich zum
Kampf mit Kolben und Bajonett entſchloſſen, halten zwei Com-
pagnien des Leib-Negiments bei jener tapferen Batterie aus,
trotzdem ſie keine Patronen mehr beſaßen. Das herbeieilende
2. Jägerbataillon beſeitigt die drohende Gefahr auf dieſem
Theile des Schlachtfeldes. Um 5 Uhr Abends ſtellten die
Franzoſen das Feuer ein. Unbeläſtigt konnten die bayeriſchen
Brigaden nach Orgères abrücken. Aber die Vorpoſten blieben
die Nacht über dicht am Feinde, der den eigentlichen ent-
ſcheidenden Angriff erſt am folgenden Tage auszuführen ge-
dachte. Auch am 2. December traf der erſte Stoß wieder die
Bayern bei Château Goury und Ferme Morâle. Die Schlacht
ſelbſt führt den Namen Schlacht von Loigny-Poupry. Sie iſt
eine der entſcheidendſten, aber auch eine der blutigſten des
ganzen Feldzuges. Durch die flammende Proclamation
Gambetta’s, welcher den glücklichen Durchbruch der Armee von
Paris dem Lande verkündet hatte, zu neuem Muthe erweckt,
verſuchte der franzöſiſche Elan in verzweifelter Anſtrengung die
deutſche Minderzahl zu erdrücken. Hart genug iſt am 2. De-
cember 1870 auf den Feldern von Lumeau, Loigny und
Poupry gekämpft worden. Aber als der frühe Abend eines
Decembertages hereinbrach, da erklang es doch „Victoria!“ auf
Seiten der Deutſchen.

Es waren die alten Gegner vom Tage vorher, welche am
2. December die bayeriſche Schlachtlinie anfielen. Die gelichteten
Bataillone des 3. und 12. Infanterieregiments mußten nach
hartnäckiger Gegenwehr ihre Stellungen räumen. Der Com-
mandeur des 3. Infanterieregiments, Oberſt Schuch, war zu
Tode getroſſen, 31 Officiere und 580 Mann der hier fechtenden
fünf Bataillone jener beiden Regimenter hatte das feindliche
Blei hingeſtreckt. Der Führer des 1. Infanterieregiments,
Major Daffenreither, wird tödtlich verwundet. In dem hin-
und herwogenden Kampfe gegen immer wachſende Uebermacht
gelingt es aber doch noch der 5. und 8. Compagnie des Leib-
Regiments, dem Feinde das Gehölz bei Ferme Morâle zu ent-
reißen; auch trifft die 2. Infanteriebrigade noch rechtzeitig ein,
[Spaltenumbruch] um das Gefecht wieder herzuſtellen. Auch auf anderen Punkten
des weiten Kampffeldes gelingt es hauptſächlich unter Mit-
wirkung der über alles Lob erhabenen bayeriſchen Artillerie,
die eigenen Stellungen zu behaupten, bis endlich Hanſeaten
und Mecklenburger dem Feinde in die Flanke ſtoßen, um ihm
dann bei Loigny-Lumeau nach erbittertem Ringen die Sieges-
palme zu entreißen, die er ſchon erkämpft wähnte, während
bei Poupry die 22. Diviſion mit zäher Tapferkeit das viel-
umſtrittene Kampffeld zum Siegesfeld geſtaltete. Nach der
Schlacht von Sedan iſt der Tag von Loigny-Poupry der
blutigſte geweſen in der Geſchichte des I. bayeriſchen Armec-
corps. 104 Officiere, 2192 Mann waren todt und verwundet,
während der Geſammtverluſt der Deutſchen am 2. December
201 Officiere, 3938 Mann betrug.

Eiſig kalt brachen Abend und Nacht an jenem 2. De-
cember herein. Die weiten Schneefeloer beleuchteten blutigroth
brennende Dörfer und Gehöfte. Mancher Schwerverwundete,
der nicht rechtzeitig mehr geborgen werden konnte, verfiel er-
ſtarrt dem Todesſchlaf. Die Ueberlebenden, die Geſunden
aber rüſteten von neuem zur Schlacht, zum Kampf, ſie hatten
keine Zeit, der Todten zu gedenken. Das iſt das furchtbare
Geſetz des Krieges!

Am 3. December wurde geſchlagen bei Artenay, am
4. December wurde gekämpft um die lang umſtrittene Sieges-
beute — um Orléaus.

Um Mitternacht des 4./5. December ritt der Großherzog
von Mecklenburg an der Spitze ſeiner Truppen in Orléans
ein, hierunter auch die 2. bayeriſche Infanteriebrigade. Am
Morgen des 5. December hielt Prinz Friedrich Karl Heerſchau
über die einziehende zweite Armee. Der ſieggekrönte Feldherr
ließ an der Statue der Jungfrau die Truppen vorübermarſchiren,
die von dem „jungfräulichen“ Metz an die Loire geeilt waren, um
die Stadt der Jungfrau, die ſie aber diesmal nicht geſchützt
hatte, wieder in deutſche Gewalt zu bringen. Tauſende von gefan-
genen Franzoſen bildeten Staffage bei dieſem gewaltig packenden
Schauſpiel. Sie ſchauten verwundert auf, als aus den ſonſt laut-
loſen Reihen der Truppen, die defilirten wie auf dem Paradefelde,
laut brauſende Hurrahs erſchollen für den Helden von Mars-
la-Tour und Gravelotte, der nun auch Bezwinger geworden
von Orléans und Bezwinger der Loire-Armee.

Aber noch war nicht Alles gethan. Die Loire-Armee
war zwar bezwungen, aber nicht zertrümmert. Es galt, ſie
aus dem Thal der Loire zu vertreiben, ſie unſchädlich zu machen
auf längere Zeit. Dieſe Aufgabe ſchien jedoch damals leichter, als
ſie es wirklich war. Niemand glaubte am 5. December 1870,
daß die nächſten Tage noch erbitterte, verluſtreiche Kämpfe
mit der fliehenden, anſcheinend demoraliſirten Loire-Armee
[Spaltenumbruch] bringen würden. Das iſt die Wahrheit. Deſto empfindlicher
und größer war deßhalb auch der Rückſchlag, als es der
Energie des Generals Chanzy gelang, vom 7. bis 10. De-
cember ſeinen Truppen eine Widerſtandskraft und Kampf-
fähigkeit einzuflößen, die deutſcherſeits jedenfalls in dieſem
Maße nicht erwartet worden war und eigentlich auch nicht
erwartet werden konnte.

Anſtatt Erholung und Ruhe beginnt mit dem 7. December
eine Reihe von Gefechten, welche unter der Geſammtbezeichnung
Schlacht von Beaugency-Cravant zuſammengefaßt werden.
Am 7. December fochten die Bayern bei Grand Chatre, am
8. December bei Beaumont und Cravant mit großer Aus-
zeichnung. Am 9. December errangen ſie neuen Ruhm bei
Le Mée und Villorceau, obgleich ihre Batterien, welche bisher
ſo hervorragenden Antheil an allen Kämpfen genommen hatten,
zum Theil gefechtsunfähig geworden waren und in Folge
deſſen zurückgenommen werden mußten. Sie theilten dieſes
Schickſal mit den Batterien der 22. Diviſion, von deren ſechs
Batterien ſchließlich nur noch zwei verwendbar blieben. Es
war Zeit, daß Erholung eintrat, da das Material anfing zu
verſagen. Das Perſonal durfte nicht verſagen und es
verſagte auch nicht. General Chanzy trat am 10. December
den Rückzug an, verfolgt bis nach Vandôme. Er war von der
Loire vertrieben und ſah auch deren Ufer nicht wieder, trotzdem
ſeine Armee den hochtönenden Namen „Loire-Armee“ beibehielt.

Das 1. bayeriſche Armeecorps, das nicht einmal mehr die
Stärke einer Diviſion aufweist, war am 10. December auf Orléans
inſtradirt worden. Die 4. Infanteriebrigade und 6 Batterien
nahmen noch an der Verfolgung der Franzoſen bis zum
16. December theil. Aber auch mit dem Abmarſche nach
Orléans war das Kilometern noch nicht zu Ende. Ruhe fand
das Armeecorps erſt wieder vor Paris. Und dieſe Ruhe hatte es
verdient. Es hat gekämpft, geſtritten und gelitten wie kein anderes
deutſches Corps. Es hat mit ſeinem Herzblut am reichlichſten die
deutſchen Siege an der Loire eingelöst und es hat unver-
gänglichen Anſpruch darauf, in der Ruhmesgeſchichte jener
ewig denkwürdigen Tage an erſter Stelle genannt zu werden.

Für Viele, Viele ſind die Weihnachten 1870 keine fröh-
liche gewefen. In Deutſchland hat vor zwanzig Jahren mancher
Kindermund gefragt: wo iſt der Vater, warum kommt er nicht
zum lieben Weihnachtsſeſte? Glücklich die, welche antworten
konnten, er ſteht im Felde, aber im nächſten Jahre wird er
wieder bei uns ſein.

Aber auch manche bleiche Frau hatte unter Thränen
mit zuckendem Munde und blutendem Herzen nur die Antwort:
Er liegt in fremder Erde, im wälſchen Lande, er iſt in ewigen
Schlaf gebettet — an der Loire!

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[2/0002] München, Mittwoch Allgemeine Zeitung 10. December 1890. Morgenblatt Nr. 342. die Gudrun im Vergleich zur Ilias und Odyſſee. Auch iſt offenbar mit den „jungen Griechen und Römern“ nur ge- meint, was der Kaiſer gleich dahinter als das Product „der klöſterlichen Erziehung des Mittelalters“ charakteriſirt, und die Ausführung iſt einzuſchränken durch den Schlußſatz, der mit aller Beſtimmtheit claſſiſche Gymnaſien mit claſſiſcher Bildung fordert. Es folgt wohl daraus, daß nur die mißbräuchliche, ſchematiſche, die Form über den Inhalt ſetzende Behandlung der alten Sprachen und ſpeciell des Lateiniſchen gemeint ſein kann, und dagegen wird ſich wenig einwenden laſſen. Auch dem lateiniſchen Aufſatz legt man in Uebereinſtimmung mit dem Urtheil des Kaiſers die entſcheidende Wichtigkeit nicht bei, daß ihm zuliebe eine Vertiefung des deutſchen und geſchicht- lichen Unterrichts geopfert werden ſollte. Eine ſtärkere Werth- ſchätzung des deutſchen Aufſatzes — ohne daß jedoch derſelbe der Mittelpunkt werden ſoll, wie verlangt wird, denn gerade die Feitigkeit im Ausdruck iſt eine Gabe, die durchaus nicht nothwendig mit geiſtiger Reife eines Schülers identiſch iſt und in häufigen Fällen erſt ſehr ſpät und in eigenartiger Weiſe zur Ausbildung gelangt — eine ſtärkere Werthſchätzung des deutſchen Aufſatzes alſo entſpricht den Wünſchen auch der ſtrengen Anhänger unſres claſſiſchen Gymnaſiums, und es wird eine Frage der Methodik ſein, wie dieſem fruchtbaren Gedanken auch fruchtbare Entwicklung zu ſichern ſei. Das- ſelbe gilt von den Wünſchen des Kaiſers in Bezug auf die vaterländiſche Geſchichte. Es iſt undenkbar, das claſſiſche Gymnaſium als ein claſſiſches zu erhalten, wenn die liebevolle und eingehende Behandlung der Geſchichte des Alterthums, und zwar ſpeciell der griechiſchen und römiſchen — die orien- taliſche, ſoweit ſie nicht Einleitung zu den beiden iſt, gehört auf die Univerſität — ihren Platz nicht behauptet; auch iſt es ein Kennzeichen deutſcher Bildung, daß der Ausblick auf die Weltgeſchichte nicht durch den Parteiſtandpunkt engherzig nationaler Auffaſſung gefälſcht wird. Die Entwidlung ge- ſunden nationalen Gefühls läßt ſich mit gerechter Beurtheilung der Nachbarn nicht nur vereinigen, ſondern wird durch dieſelbe bedingt. Unſre hervorragendſten Patrioten und Staatsmänner ſind ſtets zugleich hervorragende Kenner der Geſchichte unſrer Culturvölker geweſen. Der methodiſchen Schulung und dem richtigen Tact des Lehrers wird es an der Hand eines richtig gedachten Lehrplanes zufallen, die Grenzen zwiſchen der vater- ländiſchen Geſchichte und der der allgemeinen Entwicklung der Menſchheit ſo zu ziehen, daß darüber das nationale Gleich- gewicht nicht verloren geht. Von vornherein aber geben wir zu, daß dieſe Ausführung nicht gilt für die niederen Schulen, die in knapp bemeſſener Zeit eine in ſich möglichſt abgeſchloſſene Bildung und Lebens- anſchauung zu übermitteln haben; und abſolut richtig iſt der Gedanke, in das hiſtoriſche Unterrichtsfeld dieſer Schulen auch die plaſtiſchen Ereigniſſe der neueſten deutſchen Geſchichte von den Freiheitskriegen bis zum Tode Kaiſer Wilhelms hineinzu- ziehen. Die ſcharfe Verurtheilung des Realgymnaſiums, an deſſen Stelle der Kaiſer eine zweite Gattung Schulen mit Realbildung ſetzen will, ſtößt unſrer Meinung nach auf einen nicht be- rechtigten Widerſpruch, denn jene zweite Gattung Schulen wird ſchließlich mit dem Realgymnaſium, das vom lateiniſchen Ballaſt befreit iſt, identiſch ſein. Doch wird dieſe Frage noch ſo leb- haſte Verhandlungen hervorrufen, daß wir für heute auf ein näheres Eingehen verzichten können. Ob die Frage des Berechtigungsweſens oder anders formulirt: des Bildungscenſus für den einjährigen Dienſt, die vom Kaiſer angeregte Löſung finden wird, mag dahingeſtellt bleiben. Die Entlaſtung der Gymnaſien von der Zahl der Schüler, die nur den einjährigen Dienſt erſtreben, iſt ein ſo allgemein anerkanntes Bedürfniß, daß ihm in der einen oder in der anderen Weiſe wird Rechnung getragen werden müſſen. Ueber das „Wie?“ gehen die Meinungen weit auseinander. Dasſelbe gilt von der Verminderung des Lehrſtoffes durch einfachere Geſtaltung der Examina. Die vom Kaiſer in dieſer Richtung hingeworfenen Gedanken ſind gewiß beachtenswerth, verlangen aber allſeitige Prüfung auf die vorausſichtlich zu er- wartenden Folgen. Kaiſer Wilhelm hat ſelbſt darauf hin- gewieſen, wie weſentlich die Ausführung jener Zukunftspläne davon abhängt, wie das Lehrermaterial beſchaffen iſt, dem die Durchführung derſelben zufällt. Die Frage der Ueberbürdung ſteht gerade hiemit im engſten Zuſammenhang, und die wahr- baft abſchreckenden Daten über die Kaſſeler Zuſtände gelten für den Durchſchnitt unſrer Gymnaſien als keineswegs zu- treffend. Ebenſowenig kann eine Claſſe von 30 Schülern, für Berlin z. B., als überfüllt gelten, vielmehr würde ein Herab- ſinken auf nur 30 bei unſern Zuſtänden für beinahe ideal gelten können. Unſre Lehrer haben in Gymnaſien und Gemeinde- ſchulen mit weit ungünſtigeren Zahlen zu kämpfen und die Feſthaltung von 30 als Maximum müßte ſchließlich doch zur Genchmigung neuer Gymnaſien führen. Kurzum, es iſt eine Fülle anregender Ideen, die uns aus der Rede des Kaiſers entgegentritt, und wir zweifeln nicht daran, daß ihre allſeitige Erwägung zu einem Fortſchritt in unſerm nationalen Schulweſen führen wird. Zunächſt aber iſt es doch nur eine Schulfrage, und wenn die Formulirungen der heute tagenden Commiſſion zu einer Geſetzesvorlage geworden ſind, ſteht ihnen noch die Berathung im Landtage bevor. Wir haben vollſte Garantie, daß in dieſer Lebensfrage des deutſchen Volkes die Entſcheidung nicht übers Knie gebrochen wird. Deutſches Reich. * Berlin, 9. Dec. Tel. In der heutigen Sitzung des Reichstages wurde die Vorlage über Helgoland in dritter Berathung mit einem Zuſatz angenommen, wonach das Geſetz mit der Verkündigung in Kraft tritt. Hierauf begann die Etatsberathung. Staatsſecretär v. Maltzahn be- ziffert die im nächſten Jahre an die Bundesſtaaten zu ver- theilenden Ueberſchüſſe auf 66 bis 68 Millionen, den Ueber ſchuß der Reichscaſſe auf 10 Millionen. Ob mit dem Zins- fuß der Schuldzinſen wieder auf 3 1/2 Procent zurückgegangen werde, ſei eine offene Frage. Abg. Richter verlangt an- geſichts der günſtigen Ergebniſſe der Einnahmen eine Ermäßi- gung der Lebensmittelzölle. Das Alters- und Invaliditäts- verſicherungsgeſetz ſei ein Sprung in den Abgrund, für welchen er keine Verantwortung übernchme. Reichskanzler v. Caprivi bemerkt, die Zölle könnten vielleicht künftig geändert werden; die Aeußerungen der freiſinnigen Vlätter über dieſen Punkt ſeien indeß den Verhandlungen mit den auswärtigen Mächten nicht förderlich. Die Regierung halte das Invaliditätsgeſetz für ſo ſegensreich, daß ſie es dem Volke keinen Tag länger vorenthalten wolle. Mit der angeblichen weiteren Vermehrung der Heeresausgaben ſei es nichts. Abg. Bebel billigt den Weg, den die Regierung mit dem Alters- und Invaliditäts- geſetz betreten, lehnt aber das Budget ab, welches eine ſteigende Feindſeligkeit der Nationalitäten ausdrücke. Die Berathung wird morgen fortgeſetzt. * Berlin, 8. Dec. Auf eine Eingabe des „Vereins für chriſt- liche Volksbildung“ an den Kaiſer in Sachen der Sonntags- ruhe der Poſt-, Telegraphen- und Eiſenbahnbeamten iſt der „Kreuzztg.“ zufolge nachſtehende Beſcheide eingelaufen: „Berlin, 18. November 1890. Die an des Kaiſers und Königs Majeſtät gerichtete Vorſtellung vom 30. October, in welcher Eure Hochehrwürden für Erweiterung der Sonntagsruhe eintreten, iſt auf Allerhöchſten Befehl an den Reichskanzler (Reichspoſtamt) und die königlich preußiſchen Miniſter der öffent- lichen Arbeiten und des Innern zur Prüfung abgegeben worden. Nachdem für den Geſchäftebereich der Reichspoſt- und Telegraphen- verwaltung die Prüfung ſtattgefunden hat, eröffne ich Ew. Hoch- ehrwürden, daß der Poſt- und Telegraphendienſt an den Sonn- und Feiertagen bereits ſoweit eingeſchränkt iſt, als ſich dies mit den allgemeinen Intereſſen und mit der Sicherheit des Betriebes irgend verträgt. Ew. Hochehrwürden wird anheim ge- ſtellt, dem Hrn. Mitunterzeichner Ihrer Vorſtellung vom Vor- ſtehenden Kenntniß zu geben. gez. v. Stephan. — An den Pfarrer Hrn. Lic. Weber, Hochehrwürden. München-Gladbach.“ In dem Beſcheide des Miniſters Maybach vom 25. Novem- ber 1890 heißt es: „daß der Frage der Sonntagsruhe ſeitens der Staats- eiſenbahnverwaltung fortgeſetzt beſondere Aufmerkſamkeit zugewen- det wird, und insbeſondere Fürſorge getroffen iſt, um den Beam- ten und Arbeitern an den Sonn- und Feſttagen ſoweit als mög- lich zum Beſuche des Gottesdienſtes, ſowie zur Ruhe und Er- holung Gelegenheit zu geben. Eine weitergehende allgemeine Ausdehnung der Sonntagsruhe im Eiſenbahndienſte würde. ab- geſehen von den dabei in Frage kommenden allgemeinen Verkehrs- intereſſen, ſchon im Intereſſe der Ordnung und Sicher- heit des Eiſenbahnbetriebes den ernſteſten Schwierig- keiten begegnen und unter den beſtehenden Verhältniſſen nicht durchführbar ſein. Ob und inwieweit im einzelnen noch Erleich- terungen eintreten können, unterliegt der pflichtgemäßen Prüſung der zuſtändigen Verwaltungsbehörden, welche dieſerhalb bereits wiederholt mit den erforderlichen Weiſungen verſehen ſind. Indem ich Ew. Hochehrwürden anheimgebe, dem Hrn. Mitunterzeichner der Eingabe hievon Kenntniß zu geben, bemerke ich, daß Sie von Seiten des Hrn. Miniſters des Innern nach Befinden beſonderen Beſcheid zu gewärtigen haben. Der Miniſter der öffentlichen Arbeiten. gez. Maybach.“ Die „Köln. Ztg.“ bemerkt zu den Nachrichten über den even- kuellen Rücktritt des Cultusminiſters v. Goßler: „Wir unſrerſeits können nicht im Zweifel darüber ſein, daß das Scheiden eines Cultusminiſters, der dem wachſenden Uebermuth des Ultramon- tanismus den charaltervollen Widerſtand einer feſtbegründeten ſtaatlichen Geſinnung entgegengeſetzt und ſich auf allen Gebieten ſeiner amtlichen Thätigkeit ſo glänzend bewährt hat, in weiteſten Kreiſen mit einer ſehr ſchmerzlichen Erregung aufgenommen werden würde.“ Demſelben Blatte zufolge erachtet die Regierung es im öffentlichen Intereſſe geboten, der durch Herſtellung und Berkauf künſtlicher Kaffeebohnen bewirkten Verletzung des Nahrungs- mittelgeſetzes entgegenzutreten. Dieſe Kaffeebohnen ſind für ſich allein zur Bereitung eines dem Kaffee in Geſchmack und Wirkung ähnlichen Getränks nicht verwendbar und ſind daher auch nicht in erſter Linie als ein Erſatzmittel des Kaffees zu betrachten, ſondern vorwiegend dazu beſtimmt, in Vermiſchung mit natürlichen Kaffeebohnen im Handel verwerthet zu werden. Es handelt ſich nach eingehenden Unterſuchungen um ein Fabricat aus geringwerthigem Kaffee. Nun iſt der Verkauf eines ſolchen Gemiſches nicht zu verbieten, ſobald der Waare eine Be- zeichnung gegeben wird, die jede Täuſchung über ihre Beſchaffen- heit ausſchließt. Immerhin aber bleibt in dieſem Falle die Ge- fahr einer Täuſchung beſtehen, und die Anpreiſung der betreffenden Maſchinen zur Anſertigung der künſtlichen Kaffeebohnen hat eine Täuſchung des Publicums zur Vorausſetzung. Es ſoll daher eine kaiſer liche Verordnung ergehen, daß auf Grund des Rahrungs- mittelge ſetzes die Herſtellung, der Verkauf und das Feik- halten von Maſchinen zur Anfertigung künſtlicher Kaffeebohnen verboten wird. Italien. * Bernardino Grimaldi, der neue italieniſche Finanz- miniſter, deſſen Ernennung ein Abends eingelaufenes Telegramm meldet, vertritt ſeit dem Jahre 1876 ſeine Vaterſtadt Catan- zaro in der Deputirtenkammer. Ein Anhänger Cairoli’s, ver- waltete er unter deſſen erſter Miniſterpräſidentſchaft das Generalſeeretariat des Miniſteriums für die öffentlichen Arbeiten, übernahm dann im December 1878 an Stelle des ins Mini- ſterium des Innern berufenen Abg. Morana das ſchwierige Referat über das Eiſenbahnbaugeſetz, das er ſo meiſterhaft verſah, daß er mit einem Schlage zu den hervorragendſten Perſönlichkeiten der Kammer gehörte. Im Sommer 1879 trat er als Finanzminiſter in das dritte Miniſterium Derretis ein, machte ſich aber durch ſeine rückhaltloſe Darlegung der trüben Finanzlage des Landes bald die Mehrheit ſeiner Miniſtercollegen zu Gegnern, ſo daß er aus dem Cabinet ausſcheiden mußte. Einige Jahre ſpäter, im März 1884, wurde er nach dem Rücktritte Berti’s in das transformiſtiſche Cabinet als Miniſter für Ackerbau und Handel berufen, hatte aber als Freihändler den Angriffen des ſchutzzöllneriſchen Referenten über ſein Reſſortbudget. des Abg. Lucca, gegenüber einen ſchweren Stand. Am 29. December 1888 übernahm er das Finanzportefeuille, das er aber wenige Monate ſpäter an Seismit-Doda abgeben mußte. Seither war er einfacher Ab- geordneter und ein geſuchter Vertheidiger; der Oppoſition gegen Criſpi hat er ſich nicht angeſchloſſen. — Einer römi- von Orléans umſpannenden Deutſchen ſtand das I. bayeriſche Armeecorps und auf dieſes warf ſich auch hier zuerſt am 1. December in übermächtigem Anlaufe der Gegner. Bei Villepion und Orgères wurde heiß gekämpft gegen die drei Diviſionen des franzöſiſchen 16. Armeecorps. Der tapfere Commandeur der 1. bayeriſchen Diviſion, Generallieutenant v. Stephan, ſank, gleichzeitig durch Granatſplitter und Chaſſepot- Geſchoſſe getroffen, ſchwer verwundet vom Pferde. Prinz Leopold von Bayern hielt mit nur noch vier gefechtsfähigen Geſchützen der 4. ſechspfündigen Batterie heldenmüthig aus; auf nächſte Entfernung bringt er durch Schnellfeuer mit Granatkartätſchen den anſtürmenden Feind zum Halten. Unerſchütterlich zum Kampf mit Kolben und Bajonett entſchloſſen, halten zwei Com- pagnien des Leib-Negiments bei jener tapferen Batterie aus, trotzdem ſie keine Patronen mehr beſaßen. Das herbeieilende 2. Jägerbataillon beſeitigt die drohende Gefahr auf dieſem Theile des Schlachtfeldes. Um 5 Uhr Abends ſtellten die Franzoſen das Feuer ein. Unbeläſtigt konnten die bayeriſchen Brigaden nach Orgères abrücken. Aber die Vorpoſten blieben die Nacht über dicht am Feinde, der den eigentlichen ent- ſcheidenden Angriff erſt am folgenden Tage auszuführen ge- dachte. Auch am 2. December traf der erſte Stoß wieder die Bayern bei Château Goury und Ferme Morâle. Die Schlacht ſelbſt führt den Namen Schlacht von Loigny-Poupry. Sie iſt eine der entſcheidendſten, aber auch eine der blutigſten des ganzen Feldzuges. Durch die flammende Proclamation Gambetta’s, welcher den glücklichen Durchbruch der Armee von Paris dem Lande verkündet hatte, zu neuem Muthe erweckt, verſuchte der franzöſiſche Elan in verzweifelter Anſtrengung die deutſche Minderzahl zu erdrücken. Hart genug iſt am 2. De- cember 1870 auf den Feldern von Lumeau, Loigny und Poupry gekämpft worden. Aber als der frühe Abend eines Decembertages hereinbrach, da erklang es doch „Victoria!“ auf Seiten der Deutſchen. Es waren die alten Gegner vom Tage vorher, welche am 2. December die bayeriſche Schlachtlinie anfielen. Die gelichteten Bataillone des 3. und 12. Infanterieregiments mußten nach hartnäckiger Gegenwehr ihre Stellungen räumen. Der Com- mandeur des 3. Infanterieregiments, Oberſt Schuch, war zu Tode getroſſen, 31 Officiere und 580 Mann der hier fechtenden fünf Bataillone jener beiden Regimenter hatte das feindliche Blei hingeſtreckt. Der Führer des 1. Infanterieregiments, Major Daffenreither, wird tödtlich verwundet. In dem hin- und herwogenden Kampfe gegen immer wachſende Uebermacht gelingt es aber doch noch der 5. und 8. Compagnie des Leib- Regiments, dem Feinde das Gehölz bei Ferme Morâle zu ent- reißen; auch trifft die 2. Infanteriebrigade noch rechtzeitig ein, um das Gefecht wieder herzuſtellen. Auch auf anderen Punkten des weiten Kampffeldes gelingt es hauptſächlich unter Mit- wirkung der über alles Lob erhabenen bayeriſchen Artillerie, die eigenen Stellungen zu behaupten, bis endlich Hanſeaten und Mecklenburger dem Feinde in die Flanke ſtoßen, um ihm dann bei Loigny-Lumeau nach erbittertem Ringen die Sieges- palme zu entreißen, die er ſchon erkämpft wähnte, während bei Poupry die 22. Diviſion mit zäher Tapferkeit das viel- umſtrittene Kampffeld zum Siegesfeld geſtaltete. Nach der Schlacht von Sedan iſt der Tag von Loigny-Poupry der blutigſte geweſen in der Geſchichte des I. bayeriſchen Armec- corps. 104 Officiere, 2192 Mann waren todt und verwundet, während der Geſammtverluſt der Deutſchen am 2. December 201 Officiere, 3938 Mann betrug. Eiſig kalt brachen Abend und Nacht an jenem 2. De- cember herein. Die weiten Schneefeloer beleuchteten blutigroth brennende Dörfer und Gehöfte. Mancher Schwerverwundete, der nicht rechtzeitig mehr geborgen werden konnte, verfiel er- ſtarrt dem Todesſchlaf. Die Ueberlebenden, die Geſunden aber rüſteten von neuem zur Schlacht, zum Kampf, ſie hatten keine Zeit, der Todten zu gedenken. Das iſt das furchtbare Geſetz des Krieges! Am 3. December wurde geſchlagen bei Artenay, am 4. December wurde gekämpft um die lang umſtrittene Sieges- beute — um Orléaus. Um Mitternacht des 4./5. December ritt der Großherzog von Mecklenburg an der Spitze ſeiner Truppen in Orléans ein, hierunter auch die 2. bayeriſche Infanteriebrigade. Am Morgen des 5. December hielt Prinz Friedrich Karl Heerſchau über die einziehende zweite Armee. Der ſieggekrönte Feldherr ließ an der Statue der Jungfrau die Truppen vorübermarſchiren, die von dem „jungfräulichen“ Metz an die Loire geeilt waren, um die Stadt der Jungfrau, die ſie aber diesmal nicht geſchützt hatte, wieder in deutſche Gewalt zu bringen. Tauſende von gefan- genen Franzoſen bildeten Staffage bei dieſem gewaltig packenden Schauſpiel. Sie ſchauten verwundert auf, als aus den ſonſt laut- loſen Reihen der Truppen, die defilirten wie auf dem Paradefelde, laut brauſende Hurrahs erſchollen für den Helden von Mars- la-Tour und Gravelotte, der nun auch Bezwinger geworden von Orléans und Bezwinger der Loire-Armee. Aber noch war nicht Alles gethan. Die Loire-Armee war zwar bezwungen, aber nicht zertrümmert. Es galt, ſie aus dem Thal der Loire zu vertreiben, ſie unſchädlich zu machen auf längere Zeit. Dieſe Aufgabe ſchien jedoch damals leichter, als ſie es wirklich war. Niemand glaubte am 5. December 1870, daß die nächſten Tage noch erbitterte, verluſtreiche Kämpfe mit der fliehenden, anſcheinend demoraliſirten Loire-Armee bringen würden. Das iſt die Wahrheit. Deſto empfindlicher und größer war deßhalb auch der Rückſchlag, als es der Energie des Generals Chanzy gelang, vom 7. bis 10. De- cember ſeinen Truppen eine Widerſtandskraft und Kampf- fähigkeit einzuflößen, die deutſcherſeits jedenfalls in dieſem Maße nicht erwartet worden war und eigentlich auch nicht erwartet werden konnte. Anſtatt Erholung und Ruhe beginnt mit dem 7. December eine Reihe von Gefechten, welche unter der Geſammtbezeichnung Schlacht von Beaugency-Cravant zuſammengefaßt werden. Am 7. December fochten die Bayern bei Grand Chatre, am 8. December bei Beaumont und Cravant mit großer Aus- zeichnung. Am 9. December errangen ſie neuen Ruhm bei Le Mée und Villorceau, obgleich ihre Batterien, welche bisher ſo hervorragenden Antheil an allen Kämpfen genommen hatten, zum Theil gefechtsunfähig geworden waren und in Folge deſſen zurückgenommen werden mußten. Sie theilten dieſes Schickſal mit den Batterien der 22. Diviſion, von deren ſechs Batterien ſchließlich nur noch zwei verwendbar blieben. Es war Zeit, daß Erholung eintrat, da das Material anfing zu verſagen. Das Perſonal durfte nicht verſagen und es verſagte auch nicht. General Chanzy trat am 10. December den Rückzug an, verfolgt bis nach Vandôme. Er war von der Loire vertrieben und ſah auch deren Ufer nicht wieder, trotzdem ſeine Armee den hochtönenden Namen „Loire-Armee“ beibehielt. Das 1. bayeriſche Armeecorps, das nicht einmal mehr die Stärke einer Diviſion aufweist, war am 10. December auf Orléans inſtradirt worden. Die 4. Infanteriebrigade und 6 Batterien nahmen noch an der Verfolgung der Franzoſen bis zum 16. December theil. Aber auch mit dem Abmarſche nach Orléans war das Kilometern noch nicht zu Ende. Ruhe fand das Armeecorps erſt wieder vor Paris. Und dieſe Ruhe hatte es verdient. Es hat gekämpft, geſtritten und gelitten wie kein anderes deutſches Corps. Es hat mit ſeinem Herzblut am reichlichſten die deutſchen Siege an der Loire eingelöst und es hat unver- gänglichen Anſpruch darauf, in der Ruhmesgeſchichte jener ewig denkwürdigen Tage an erſter Stelle genannt zu werden. Für Viele, Viele ſind die Weihnachten 1870 keine fröh- liche gewefen. In Deutſchland hat vor zwanzig Jahren mancher Kindermund gefragt: wo iſt der Vater, warum kommt er nicht zum lieben Weihnachtsſeſte? Glücklich die, welche antworten konnten, er ſteht im Felde, aber im nächſten Jahre wird er wieder bei uns ſein. Aber auch manche bleiche Frau hatte unter Thränen mit zuckendem Munde und blutendem Herzen nur die Antwort: Er liegt in fremder Erde, im wälſchen Lande, er iſt in ewigen Schlaf gebettet — an der Loire!

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 342, 10. Dezember 1890, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine342_1890/2>, abgerufen am 01.06.2024.