Allgemeine Zeitung, Nr. 344, 12. Dezember 1890.
Reichskanzler v. Caprivi: Meine Herren! Der Hr. Abg. Abg. Hahn (deutschcons.) entschuldigt Hrn. v. Frege, der Abg. v. Kardorff (Reichspartei): Hrn. Bebel kann ich zu- Abg. Wisser (wildlib.): In der Rede Bebels war so viel Damit schließt die Debatte. Nach einer Reihe persönlicher Ich freue mich, daß Herr Bebel Untersuchungen über die Einem von allen Parteien unterstützten Antrag gemäß wird Die Schulreform-Conferenz in Berlin. * Berlin, 11. Dec. Tel. In der gestrigen Sitzung der
Reichskanzler v. Caprivi: Meine Herren! Der Hr. Abg. Abg. Hahn (deutſchconſ.) entſchuldigt Hrn. v. Frege, der Abg. v. Kardorff (Reichspartei): Hrn. Bebel kann ich zu- Abg. Wiſſer (wildlib.): In der Rede Bebels war ſo viel Damit ſchließt die Debatte. Nach einer Reihe perſönlicher Ich freue mich, daß Herr Bebel Unterſuchungen über die Einem von allen Parteien unterſtützten Antrag gemäß wird Die Schulreform-Conferenz in Berlin. * Berlin, 11. Dec. Tel. In der geſtrigen Sitzung der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <cit> <quote><pb facs="#f0006" n="6"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">München, Freitag Allgemeine Zeitung 12. December 1890. Zweites Morgenblatt Nr. 344.</hi></fw><lb/><cb/> unſre Induſtrie die Ausfuhr nach Oeſterreich erleichtern, und da-<lb/> gegen müſſen wir die Conceſſionen machen, die nöthig ſind, damit<lb/> von der anderen Seite Conceſſionen gemacht werden. Man muß<lb/> Tarifſätze binden, beſtimmte Zölle für längere Zeit feſtlegen, denn<lb/> es kommt weniger darauf an, wie die Zölle ſind, als daß ſie feſt-<lb/> gelegt werden auf lange Zeit, daß nicht immer damit agitirt werden kann<lb/> und Unſicherheit in dem Zuſtande der beiden Länder herbeigeführt wird.<lb/> Wenn es aber eine Gefahr hätte, ſeine Meinung zu äußeren, ſo<lb/> wäre überhaupt nie ein Handelsvertrag gemacht worden. Der Abg.<lb/> v. Frege hat geſtern ſogar — er hat ihn ſpäter erfreulicher Weiſe<lb/> modiſicirt — ſo einen leiſen Schatten eines Verdachtes des Landes-<lb/> verraths ausgebreitet über die, welche ſich erdreiſteten, Meinungen<lb/> über dieſe Handelsverträge zu äußern. Der Abg. Graf Behr berief<lb/> ſich auch darauf, daß jetzt ſo viel von der Freigebung der Vieh-<lb/> einſuhr die Rede iſt. Wer hat ſich denn darum bemüht? Die<lb/> bayeriſche Regierung, und wenn ich nicht irre, die ſächſiſche Regie-<lb/> rung haben ſich dieſen Schein von Landesverrath zu Schulden<lb/> kommen laſſen, indem ſie laut und vernehmlich dafür agitirten.<lb/> Nein, mit ſolchen Rückſichten in der Oeffentlichkeit Diplomatie zu<lb/> machen, geht nicht an. Es ſchadet auch nichts. Die Geheimniſſe,<lb/> die hier ausgeplaudert werden, ſind das, was man <hi rendition="#aq">le secret du<lb/> public</hi> nennt. Die Delegirten der beiden Regierungen werden,<lb/> wenn ſie in ihren Conferenzzimmern zuſammen geſeſſen<lb/> haben, ſich damit nicht aufgehalten haben; ſie wiſſen<lb/> ganz genau, daß es keine Geheimniſſe auszuplaudern gibt.<lb/> Ich ſehe in ſolcher Meinungsäußerung ſo wenig Schaden, daß ich<lb/> gern meine, wenn auch nur beiläufige Mitwirkung zu einer neuen,<lb/> dieſer Tage erſcheinenden Denkſchrift hergegeben habe, welche nach-<lb/> weist, wie bedenklich es wäre, ſeitens der deutſchen Regierung<lb/> auf den Vorſchlag von Differentialzöllen einzugehen, und ich glaube<lb/> mir herausnehmen zu dürfen, dieſe Denkſchrift, die nicht von mir<lb/> ausgeht, ſondern nur von mir begutachtet iſt, der Regierung und<lb/> den Herren Collegen beſtens zu empfehlen. Ich glaube damit den<lb/> Weg für die künftige Beſprechung dieſer zarten Angelegenheit des<lb/> öſterreichiſchen Handelsvertrags geebnet und das Mißverſtändniß<lb/> zwiſchen uns und dem Reichskanzler definitiv beſeitigt zu haben.<lb/> Hr. v. Frege beſchäftigt ſich auch mit der Silberfrage. Es iſt für<lb/> die Verhandlungen des Reichstages nicht ſehr vortheilhaft, dieſe<lb/> verwickelte Frage ſo beiläufig mit einem Piſtolenſchuß im Vorüber-<lb/> gehen anzuſchießen. Ich will auf die verſchiedenen Aeußerungen<lb/> des Abg. v. Frege nicht eingehen, ſondern erſt abwarten, ob An-<lb/> träge aus dem Hauſe oder, was ich nicht entfernt fürchte,<lb/> Vorſchläge der Regierung kommen. Ich meine allerdings, daß wir<lb/> den Reſt von Silber, den wir leider noch haben, nicht zu den<lb/> ſchlechten Preiſen des letzten Jahres von 42 bis 45 Pence hätten<lb/> verkaufen ſollen. Aber wäre man meiner Anſicht gefolgt, als ich<lb/> 1879 mich widerſetzte, daß die Verkäufe ſiſtirt würden, als das<lb/> Silber auf 51 und 52 ſtand, ſo hätte man es zu einem Preiſe ver-<lb/> kauft, der jetzt wohl die höchſte aller Utopien der Silbergläubigen erweist.<lb/> Die Bemerkung des Abg. Windthorſt, daß die neueſte deutſche An-<lb/> leihe auch vom Ausland ſtark gezeichnet ſei, iſt allerdings richtig.<lb/> Zwar haben nicht gerade Frankreich und England, wohl aber die<lb/> Belgier ſehr ſtarke Summen von dieſer Anleihe übernommen, aber<lb/> Hrn. v. Frege kann ich verſichern, daß die Belgier ſich auch nicht<lb/> mit einem Pfennig daran betheiligt hätten, wenn ſie daran<lb/> zweifelten, daß wir Zinſen und Capital jemals anders zu zahlen<lb/> willens wären, als in Gold und Goldeswerth. (Heiterkeit.) Im<lb/> übrigen ſehe ich ganz ruhig dem Gang der Dinge entgegen, ſo-<lb/> weit es ſich um unſer liebes Deutſchland handelt. Seit ich auf<lb/> der Breſche ſtehe für unſre gute ſolvable Reichswährung, ſeit bei-<lb/> nahe 15 Jahren, ſeit ich das furchtbare Fiasco erlebt habe, das<lb/> die Silberleute in Amerika und damit in der ganzen Welt gemacht<lb/> haben, bin ich ganz ruhig darüber, daß uns keine Gefährdung<lb/> unſrer Währung bevorſteht. Auch das Ausland kann ſich ganz ruhig<lb/> auf die Zahlungsfähigkeit des Deutſchen Reichs in Gold verlaſſen.<lb/> Wir ſehen wahrſcheinlich einem neuen Experiment auf dieſem<lb/> intereſſanten Gebiete entgegen. Wir hören aus Amerika, daß die<lb/> demokratiſche Partei, die zwar eine Gegnerin der Zollmaßnahmen<lb/> der Mac Kinley-Bill, aber womöglich eine noch eifrigere Partei-<lb/> gängerin der Silberbill iſt, die <hi rendition="#aq">Free Coinage</hi> proclamiren wird<lb/> und zwar nach dem alten Paritätsverhältniß von 1 : 15 ½,<lb/> während das factiſche Verhältniß jetzt 1 : 30 iſt. Das wird ein<lb/> ſehr intereſſantes Schauſpiel ſein; da wird geſchehen, was die<lb/> Herren Bimetalliſten immer von Frankreich gewünſcht haben, daß<lb/> eine große Nation von 66 Millionen dieſes Experiment machen<lb/> wird, und wir können einmal ruhig ſehen, wie die Dinge ver-<lb/> laufen. Sollte wirklich ein amerikaniſcher Emiſſär herüberkommen,<lb/> um die verſchiedenen europäiſchen Staaten zur Mitwirkung an<lb/> dieſem ſchönen Experiment einzuladen, ich bin ganz ſicher, daß,<lb/> obwohl Hr. v. Scholz, ein allerdings ſehr feiner Kenner<lb/> der Münzverhältniſſe, nicht mehr hier iſt, auch ſein jetziger<lb/> Nachfolger Hr. Miquel — dieſes Vertrauen habe ich<lb/> abſolut zu ihm — uns nicht den Amerikanern ausliefern wird mit<lb/> ihren Experimenten, das Silber in die Höhe zu bringen. Nun<lb/> noch ein Wort an meinen hochverehrten, etwas ſchalkhaften Freund<lb/><hi rendition="#aq">Dr.</hi> Windthorſt. Er hat erklärt, die Anſicht, daß man jetzt noch<lb/> Oſtafrika aufgeben ſolle, könne er nicht theilen; aus Nationalſtolz<lb/> würde er niemals darauf eingehen. Es wundert mich, daß ein<lb/> Mann, der unter dem Feldgeſchrei von „national“ ſo viel zu leiden<lb/> gehabt hat, nun kein anderes Argument mir gegenüber anzuführen<lb/> hat, als wieder eben dieſes Feldgeſchrei. (Sehr gut! links.) Ich<lb/> kann leider nur dem Abg. Bebel Recht geben, daß Hr. Windthorſt<lb/> ſeit der Zeit, wo wir zuerſt mit Colonialpolitik befaßt wurden, ein<lb/><hi rendition="#aq">„tantum mutatus ab illo“</hi> geworden iſt, und ſeine gewandteſte<lb/> Dialectik wird an ihm die Mohrenwäſche nicht fertig bringen, die<lb/> nöthig wäre, um uns zu zeigen, daß er immer ſo wie jetzt in dem<lb/> Verhätniß zu den Negern in Oſtafrika geſtanden hätte. (Heiterkeit.)<lb/> In der Commiſſion vom Jahre 1884 theilte noch der Abg. Windt-<lb/> horſt meine ablehnende Haltung gegen die Colonialpolitik und<lb/> gebrauchte ſelbſt mehrfach das Wort „Colonialſchwindel“. Seit<lb/> ſeinem Colonialantrag hat eine erhebliche Wandlung bei ihm<lb/> ſtattgefunden. Ihm vorzugsweiſe iſt es zuzuſchreiben, daß wir ſo<lb/> tief in die Colonialpolitik hineingerathen ſind, ſeitdem er aus<lb/> einem Saulus ein Paulus geworden iſt. Wie ſein Weg nach<lb/> Damascus gegangen iſt, darüber kann ich nur Vermuthungen an-<lb/> ſtellen. Jetzt gehört er aber unſtreitig zu den ſtärkſten Colonial-<lb/> ſchwärmern des Deutſchen Reiches; er will ſogar in Afrika Be-<lb/> völkerungs- und Niederlaſſungspolitik treiben — ein Gedanke, der<lb/> ſelbſt in unſern Weißbüchern noch nicht aufgetaucht iſt. Heute erſt<lb/> hat Hr. Windthorſt uns dieſe Flagge gehißt. Aus welchem<lb/> Grunde? Es iſt geſtern oder heute ein Mann bei ihm geweſen,<lb/> der ſich in Oſtafrika glaubt anſiedeln zu können! Wenn der Abg.<lb/> Windthorſt ſolche Unterhaltungen für durchſchlagende Belehrungen<lb/> hält, möchte ich ihn in Zukunft bitten, ſolch einen Mann einmal<lb/> mit in den Vorſaal des Reichstags zu bringen, damit wir von ſol-<lb/> chen Belehrungen doch auch etwas profitiren. (Heiterkeit.) Ich halte die<lb/> Zukunft von Oſtafrika, inſofern unſre Ausgaben lohnend wieder-<lb/> erſtattet werden ſollen, für ein Buch mit ſieben Siegeln: die Erfolge<lb/> ſind höchſt ungewiß, die Entbehrungen der Steuerzahler im höch-<lb/> ſten Grade gewiß. Der Abg. Scipio hat geſtern aus einer mir<lb/> ganz begreiflichen Discretion die außerordentlich ſchönen Ausſichten<lb/> der Oſtafrikaniſchen Geſellſchaft nicht ausplaudern wollen; vielleicht<lb/><cb/> wird das hier ſpäter ein Anderer thun. Einſtweilen bin ich auch<lb/> noch nicht der Anſicht des Abg. Windthorſt, daß das Reich eine<lb/> Eiſenbahn von der Küſte nach dem Kilimandſcharo bauen ſoll.<lb/> Wenn aber der Abg. Windthorſt hier einen dahin gehenden An-<lb/> trag ſtellt, wird er die Mojorität des Hauſes haben, meine Stimme<lb/> aber nicht. Wird die Bahn gebaut, ſo bin ich dafür, daß die<lb/> erſte Locomotive, die in den dunklen Welttheil hineinführt, „<hi rendition="#aq">Dr.</hi><lb/> Ludwig Windthorſt“ heißt. (Große Heiterkeit.)</quote> </cit><lb/> <p> <hi rendition="#b">Reichskanzler v. Caprivi:</hi> </p> <cit> <quote>Meine Herren! Der Hr. Abg.<lb/> Bamberger hat die Güte gehabt, zu erklären, mit Rückſicht auf<lb/> meine mangelhafte Vorbildung und meine kurze Schulung in den<lb/> Geſchäften, denen obzuliegen jetzt meine Pflicht iſt, wolle er mir<lb/> Schonung angedeihen laſſen. Er hat in der ihm eigenen urbanen<lb/> Art denſelben Gedanken gegeben, den im Frühjahr an anderer<lb/> Stelle der Hr. Abg. Richter in die Worte kleidete, man wolle<lb/> mir <hi rendition="#g">ja</hi> noch einige Schonzeit geben. (Heiterkeit). Was meine<lb/> Perſon anlangt — und es iſt mir jedesmal leid, wenn ich von<lb/> derſelben hier ſprechen muß, aber ich ſehe mich dazu genöthigt —<lb/> ſo habe ich noch nie in meinem Leben von irgend Jemand Scho-<lb/> nung verlangt, und ich würde bitten, auch hier mir dieſelbe nicht<lb/> angedeihen zu laſſen. Ich weiß auch nicht, ob die Regierung in<lb/> der Zeit, ſeit ich die Ehre habe, ihr vorzuſtehen, Dinge getrieben<lb/> hat, die ihr den Ruf zuziehen könnten, ſie wäre ſchonungsbedürftig.<lb/> So lieb mir dieſe freundliche Aeußerung des Hrn. Bamberger<lb/> iſt, ſo muß ich ihm doch ſagen: der Ton, den der Hr. Abg.<lb/> Richter neulich anſchlug, war mir in dem Augenblick lieber.<lb/> Ich befand mich hier — Sie werden erlauben, daß ich das Bild<lb/> eines alten Soldaten gebrauche — in dem Gefühl eines Officiers,<lb/> der weiß, er iſt in der Nähe des Feindes, er kommt aber noch<lb/> nicht heraus; endlich fällt der erſte Kanonenſchuß und man hat<lb/> das erlöſende Gefühl: da iſt er (Heiterkeit). Ich darf übrigens<lb/> annehmen, daß die wenigen Worte, die ich in Bezug auf unſer<lb/> Verhältniß zu Oeſterreich geäußert habe, doch nicht ſo ganz werth-<lb/> los geweſen ſein können; denn dieſelbe Partei hat heute nun<lb/> ihren dritten Redner gegen dieſe wenigen Worte ins Gefecht ge-<lb/> ſchickt, und, um bei demſelben Bilde zu bleiben, der alte Soldat<lb/> hat das beruhigende Gefühl, aus dem groben Geſchützfeuer in das<lb/> kleine Gewehrfeuer gekommen zu ſein. (Heiterkeit rechts.) Weil<lb/> ich der Meinung bin, daß es nicht richtig ſei, während Vertrags-<lb/> verhandlungen mit anderen Staaten im Gange ſind, Aeußerungen<lb/> in ſo gewichtigen Körperſchaften, wie dieſes Haus es iſt, laut<lb/> werden zu laſſen, enthalte ich mich auch noch heute jedes Eingehens<lb/> auf die Einzelheiten, die der Hr. Abg. Bamberger angeführt hat.<lb/> Ich bin nach wie vor der Ueberzeugung, die ich geſtern ausſprach,<lb/> und wenn ich auch nicht annähernd die wirthſchaftspolitiſchen Kennt-<lb/> niſſe des Hrn. Abg. Bamberger habe, ſo wird er mir vielleicht zu-<lb/> geben, daß er nicht die Kenntniß über die politiſchen Verhandlun-<lb/> gen hat, die in Bezug auf dieſen Vertrag geſchwebt haben und<lb/> ſchweben, wie ich. Und iſt dieſe Vorausſetzung richtig, ſo darf ich<lb/> ausſprechen, daß ich Aeußerungen aus dieſer Verſammlung, ſo lange<lb/> Verhandlungen ſchweben, für durchaus ſchädlich halte. Wenn<lb/> ich auch Neuling in parlamentariſchen Sitten bin, ſo möchte ich<lb/> doch annehmen, daß ich mit der Bitte, die ich neulich ausſprach<lb/> — und wie ich glaube, war meine Bitte nicht gereizt; die Ant-<lb/> wort darauf fiel weniger ſchüchtern aus — mich nicht ins Unrecht<lb/> geſetzt habe. So viel ich weiß, beſteht in faſt allen parla-<lb/> mentariſchen Körperſchaften und vor allen Dingen in den<lb/> engliſchen, denen man doch conſtitutionelle Routine füglich<lb/> nicht abſprechen kann, die Sitte, daß, wenn der Vertreter der<lb/> Regierung ſich dahin ausſpricht, daß politiſche Aeußerungen und<lb/> namentlich über ſchwebende Verhandlungen ſchädlich ſein könnten,<lb/> die Debatte abgebrochen wird. (Sehr richtig! rechts.) Ich habe<lb/> keine Macht, dies zu erzwingen, ich kann nur conſtatiren, daß,<lb/> wenn durch ſolche Aeußerungen Schaden geſchieht, die Verant-<lb/> wortung nicht auf mir liegt; ich habe, ſoweit es in meinen ge-<lb/> ringen Kräften ſteht, davor gewarnt. Der Herr Abgeordnete hat<lb/> zwei Stellen aus der Rede des Hrn. Abg. Plener vorgeleſen,<lb/> einer Rede, die, wenn auch aus einer anderen Zeitung, mir in<lb/> demſelben telegraphiſchen Auszuge vorliegt wie ihm; es iſt<lb/> nicht der Urtext. Er hat eine Stelle vorgeleſen, die von<lb/> der Verbilligung der Lebensmittel handelte, und iſt darauf<lb/> zu einer dritten Stelle übergegangen, die von den dif-<lb/> ferentiellen Zöllen handelte. Die zwiſchenliegende Stelle hat<lb/> der Herr Abgeordnete aber nicht im Wortlaut wiedergegeben, wie<lb/> die Zeitung ſie gibt, ſondern er hat ſie in ſeinen Aeußerungen<lb/> umſchrieben. Nun möge es mir erlaubt ſein, die zwiſchenliegende<lb/> Stelle vorzuleſen. Nachdem alſo der Abg. Plener von den Lebens-<lb/> mitteln geſprochen hat, ſagt er: „Deutſchland muß dabei aus<lb/> innerpolitiſchen Gründen hier Ermäßigungen unter allen Umſtänden<lb/> eintreten laſſen, ohne daſür erſt von uns beſondere Compenſationen<lb/> verlangen zu können.“ Ich ſtelle nochmals der Erwägung des<lb/> Hauſes anheim, ob Aeußerungen, wie ſie hier gefallen ſind, geeignet<lb/> ſind, den Abg. Plener und die Oeſterreicher in der Meinung zu<lb/> beſtärken, daß Deutſchland unter allen Umſtänden aus innerpoli-<lb/> tiſchen Gründen Ermäßigungen eintreten laſſen muß oder nicht.<lb/> (Bravo! Sehr gut! Rechts).</quote> </cit><lb/> <p>Abg. <hi rendition="#b">Hahn</hi> (deutſchconſ.) entſchuldigt Hrn. v. <hi rendition="#g">Frege,</hi> der<lb/> zu einer Berathung des Landesculturraths nach Dresden berufen<lb/> ſei. Nach ſeiner Rückkehr werde er Hrn. Bebel antworten. Nach<lb/> Bebels Brandrede hätte Hr. Bamberger ſich wohl hüten ſollen,<lb/> ſolche Worte ins Volk zu ſchleudern: es hätten ſich die Parteien<lb/> verbündet, um vereinigt dem Volke das Fell über die Ohren zu<lb/> ziehen. (Zuſtimmung rechts.) Redner vertheidigt die Getreide-<lb/> zölle und die Colonialpolitik. Die Socialdemokraten ſagen immer,<lb/> was ſie nicht wollen; ſie nennen das beſtehende Steuerſyſtem einen<lb/> Unſinn, aber ſie ſagen nicht, welche Steuern ſie denn wollen.<lb/> Daß auch andere Leute als die Socialdemokraten die Reichen<lb/> heranziehen wollen zur Steuer, beweist der Verſuch der Conſerva-<lb/> tiven, die reicheren Einkommen mit 5 Procent heranzuziehen. Alle<lb/> irdiſchen Verhältniſſe haben Fehler, die man verbeſſern kann. Im<lb/> Zukunftsſtaat Bebels wird auch nicht alle Noth aus der Welt ge-<lb/> ſchafft ſein. Wenn Bebel die Verhältniſſe auf dem Lande im<lb/> Oſten kennen würde, dann würde er wiſſen, daß die Wohnungen<lb/> auf dem Lande viel beſſer ſind als die Keller- und Dach-<lb/> wohnungen in den großen Städten, welche die armen Arbeiter zu<lb/> hohen Preiſen nehmen müſſen. Hr. Bebel ſagt uns nicht, was er<lb/> an die Stelle der beſtehenden Staats- und Geſellſchafts-<lb/> ordnung ſetzen will. Wenn die Socialdemokraten den Land-<lb/> bewohnern ihren Gott und ihre Königstreue aus dem Herzen reden<lb/> wollen, dann wiſſen die Landbewohner, wie ſie ſich zu verhalten<lb/> haben. (Beifall rechts.)</p><lb/> <p>Abg. <hi rendition="#b">v. Kardorff</hi> (Reichspartei):</p> <cit> <quote>Hrn. Bebel kann ich zu-<lb/> geben, daß die Wohnungsverhältniſſe in Schleſien nicht immer ſo<lb/> gut waren, wie in den andern Provinzen, aber ſie waren immer<lb/> noch beſſer, als die Wohnungen der Arbeiter in den Städten.<lb/> Die Arbeiter gehen nicht dahin, wo die Lebensmittel billiger ſind,<lb/> ſondern dahin, wo ſie theurer ſind. Die Rede Bebels war eine<lb/> geſchickte Agitationsrede, aber wir wiſſen, daß wir mit einer ge-<lb/> fährlichen Geſellſchaft zu kämpfen haben und werden mit ihren<lb/> fertig werden. Der Umſturz der beſtehenden Geſellſchaftsordnung<lb/> würde nur zu einer Anarchie führen, denn nur in der friedlichen<lb/><cb/> Entwicklung laſſen ſich die Fortſchritte des Geiſtes erreichen, die<lb/> wir jetzt erreicht haben und weiter erreichen werden. Die Social-<lb/> demokraten wollen dieſe friedliche Entwicklung nicht, ſprechen aber<lb/> ihre Gedanken nicht offen aus. Ich will es aber offen ausſprechen,<lb/> daß die beſtehende Geſetzgebung zur Bekämpfung der Social-<lb/> demokratie nicht ausreicht. Die Erfahrung wird es bald<lb/> lehren. (Widerſpruch links.) Wenn die Staatsmaſchine bei großen<lb/> Strikes ſtill ſteht, ſo iſt die Geſetzgebung nicht ausreichend. Ich<lb/> will wünſchen, daß ich Unrecht habe. (Zuſtimmung rechts.)</quote> </cit><lb/> <p>Abg. <hi rendition="#b">Wiſſer</hi> (wildlib.):</p> <cit> <quote>In der Rede Bebels war ſo viel<lb/> Gutes und Richtiges enthalten, daß dadurch das Unrichtige über-<lb/> wogen wird; aber die Antworten der letzten beiden Redner waren<lb/> nicht geeignet, das Unrichtige zu widerlegen, ſie zeigten nur die<lb/> Reformbedürftigkeit der Zuſtände. Das Zollſyſtem kommt nur den<lb/> großen Betrieben zugute; die Franckenſtein’ſche Clauſel des Zoll-<lb/> tarifgeſetzes zwingt das Reich, ſeine Einnahmen an die einzelnen<lb/> Staaten zu vertheilen und ſeinerſeits Schulden aufzunehmen;<lb/> hoffentlich wird dieſer Uebelſtand bald beſeitigt. Die Zuckerſteuer<lb/> ſoll endlich reformirt werden, es müßte nun auch die Differential-<lb/> ſteuer für den Spiritus einheitlich geregelt werden. Mit der Er-<lb/> mäßigung der landwirthſchaftlichen Zölle wird auch die Ermäßigung<lb/> der Induſtrieſchutzzölle Hand in Hand gehen müſſen.</quote> </cit><lb/> <p>Damit ſchließt die Debatte. Nach einer Reihe perſönlicher<lb/> Bemerkungen erklärt Abg. v. <hi rendition="#b">Liebermann</hi> (Antiſemit) zur Geſchäſts-<lb/> ordnung:</p> <cit> <quote>Ich freue mich, daß Herr Bebel Unterſuchungen über die<lb/> Lage der ländlichen Bevölkerung anſtellen will. Er wird dabei auf<lb/> merkwürdige antiſemitiſche Ergebniſſe kommen.</quote> </cit><lb/> <p>Einem von allen Parteien unterſtützten Antrag gemäß wird<lb/> darauf ein großer Theil des Etats der <hi rendition="#g">Budgetcommiſſion</hi><lb/> überwieſen. Ohne Debatte erledigt das Haus dann noch die <hi rendition="#g">Denk-<lb/> ſchrift</hi> über die Ausführung der <hi rendition="#g">Anleihegeſetze</hi> und die zweite<lb/> Berathung des Geſetzentwurfs, betreffend die <hi rendition="#g">Controle des<lb/> Reichshaushaltsetats für</hi> 1890/91. Schluß gegen 5 Uhr.<lb/> Nächſte Sitzung Freitag 11 Uhr. Tagesordnung: Erſte und zweite<lb/> Berathung des Handelsvertrags mit der Türkei. Erſte Leſung der<lb/> Vorlage über die Zuckerſteuer.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Die Schulreform-Conferenz in Berlin.</hi> </hi> </head><lb/> <dateline>* <hi rendition="#b">Berlin,</hi> 11. Dec.</dateline> <p><hi rendition="#g">Tel.</hi> In der geſtrigen Sitzung der<lb/> Conferenz zur Berathung von Fragen, betreffend das höhere Schul-<lb/> weſen, nahmen nach Schluß des letzten Berichts noch das Wort:<lb/> Der Geh. Oberregierungsrath <hi rendition="#g">Wehrenpfennig,</hi> welcher die be-<lb/> ſtehenden Schularten vom Standpunkt des Bedürfniſſes der tech-<lb/> niſchen Hochſchulen beleuchtete, der Geh. Regierungsrath <hi rendition="#aq">Dr.</hi><lb/><hi rendition="#g">Schottmüller,</hi> der Geh. Oberregierungsrath <hi rendition="#aq">Dr.</hi> <hi rendition="#g">Stauder,</hi><lb/> welcher thatſächliche Mittheilungen über die Entwicklung und die<lb/> Arten der höheren Schulen in Preußen, deren Ausbreitung und<lb/> Benutzung machte, der Geh. Regierungsrath <hi rendition="#aq">Dr.</hi> <hi rendition="#g">Klix,</hi> welcher<lb/> neben dem gegenwärtigen Gymnaſium ein lateiniſches Gymnaſium<lb/> für möglich erachtete, v. <hi rendition="#g">Schenckendorff,</hi> welcher die ſocialpoli-<lb/> tiſche Seite der Frage betonte, und der Geh. Commercienrath<lb/><hi rendition="#g">Kaſelowsky,</hi> welcher die Wünſche des Gewerbeſtandes zum Aus-<lb/> druck brachte. Die heutige Sitzung wurde durch den Cultusmini-<lb/> ſter v. <hi rendition="#g">Goßler</hi> mit der Mittheilung eröffnet, daß er die Sitzungen<lb/> der Conferenz, einem aus der Verſammlung ihm zugegangenen<lb/> Antrage entſprechend, nicht über den 17. oder 18. December aus-<lb/> zudehnen beabſichtige. Die Discuſſion über die Fragen der Bei-<lb/> behaltung der beſtehenden Schularten und des Lehrplans der Real-<lb/> gymnaſien wurde fortgeſetzt. Es ſprachen hiezu: Gymnaſialdirector<lb/><hi rendition="#aq">Dr.</hi> <hi rendition="#g">Eitner,</hi> Prof. <hi rendition="#aq">Dr.</hi> <hi rendition="#g">Paulſen,</hi> welcher für Beibehaltung<lb/> der Realgymnaſien eintrat, Realgymnaſialdirector <hi rendition="#aq">Dr.</hi> <hi rendition="#g">Schlee,</hi><lb/> welcher ſich in gleichem Sinne ausſprach, Stadtſchulrath <hi rendition="#aq">Dr.</hi> <hi rendition="#g">Ber-<lb/> tram</hi> und der Geh. Regierungsrath <hi rendition="#aq">Dr.</hi> <hi rendition="#g">Albrecht.</hi> Das Schlußwort<lb/> hatten Realgymnaſialdirector <hi rendition="#aq">Dr.</hi> <hi rendition="#g">Matthias,</hi> <hi rendition="#aq">Dr.</hi> <hi rendition="#g">Frick</hi> und<lb/> Realgymnaſialdirector <hi rendition="#aq">Dr.</hi> <hi rendition="#g">Schauenburg.</hi> Hierauf wurde unter<lb/> einſtweiliger weiterer Ausſetzung der Abſtimmung zur Berathung<lb/> der Frage übergegangen: „Empfiehlt es ſich: <hi rendition="#aq">a</hi>) an Orten, wo<lb/> ſich nur gymnaſiale oder realgymnaſiale Anſtalten befinden, in den<lb/> drei unteren Claſſen nach örtlichem Bedarf neben und ſtatt des<lb/> Latein einen verſtärkten deutſchen und modern-fremdſprachlichen<lb/> Unterricht einzuführen? <hi rendition="#aq">b</hi>) an Orten, wo nur lateinloſe höhere<lb/> Schulen ſind, an deren drei unteren Claſſen nach örtlichem Bedarf<lb/> lateiniſchen Unterricht anzugliedern? <hi rendition="#aq">c</hi>) alle ſiebenſtufigen Anſtalten<lb/> (Progymnaſien, Realprogymnaſien und Realſchulen) auf ſechsſtuſige<lb/> zurückzuführen? <hi rendition="#aq">d</hi>) den Lehrplan der Realſchulen und der höheren<lb/> Bürgerſchulen gleich zu geſtalten und beide ſo einzurichten, daß un-<lb/> beſchadet der anders gearteten methodiſchen Behandlung des Lehr-<lb/> ſtoffes und des Abſchluſſes des Bildungsgangs die Fortſetzung des-<lb/> ſelben auf die Oberrealſchule erleichtert wird? Hiezu ſind folgende<lb/> Anträge geſtellt: zu <hi rendition="#aq">a</hi>) von <hi rendition="#aq">Dr.</hi> <hi rendition="#g">Kropatſcheck:</hi> die Worte „neben<lb/> und“ vor „ſtatt des Latein“ zu ſtreichen; von Stadtſchulrath <hi rendition="#aq">Dr.</hi> <hi rendition="#g">Ber-<lb/> tram:</hi> die Nebenfrage zu ſtellen: Empfiehlt es ſich, für den Fall<lb/> der Bejahung der Frage zu <hi rendition="#aq">a</hi>) das Latein erſt in Tertia beginnen<lb/> zu laſſen und die dadurch freigewordene Zeit zum verſtärkten Be-<lb/> triebe einer modernen fremden Sprache, bezw. des Deutſchen und<lb/> der Geometrie zu verwenden? Zu <hi rendition="#aq">c</hi> von Profeſſor <hi rendition="#aq">Dr.</hi> <hi rendition="#g">Paulſen:</hi><lb/> Vor „zurückzuführen“ die Worte „in der Regel“ einzuſchieben; von<lb/> Gymnaſialdirector <hi rendition="#aq">Dr.</hi> <hi rendition="#g">Schulze:</hi> Die Rebenfrage zu ſtellen: Em-<lb/> pfiehlt es ſich für den Fall der Bejahung der Frage zu <hi rendition="#aq">c</hi>, an den<lb/> Schluß des ſechsten Jahrescurſus dieſer Schulen Entlaſſungs-<lb/> prüfungen zu verlegen? Als Berichterſtatter zur vorbezeichneten<lb/> Frage ſprachen Gewerbeſchuldirector <hi rendition="#aq">Dr.</hi> <hi rendition="#g">Holzmüller,</hi> Stadt-<lb/> ſchulrath <hi rendition="#aq">Dr.</hi> <hi rendition="#g">Bertram</hi> und Gymnaſialdirector <hi rendition="#aq">Dr.</hi> <hi rendition="#g">Schulze,</hi><lb/> als Antragſteller außerdem <hi rendition="#aq">Dr.</hi> <hi rendition="#g">Kropatſcheck</hi> und Profeſſor<lb/><hi rendition="#g">Paulſen.</hi> An der Discuſſion nahmen theil: Geh. Ober-<lb/> regierungsrath <hi rendition="#aq">Dr.</hi> <hi rendition="#g">Stauder,</hi> geh. Oberfinanzrath <hi rendition="#g">Germar</hi> (als<lb/> Commiſſar des Finanzminiſteriums), die Directoren <hi rendition="#aq">Dr.</hi> <hi rendition="#g">Fiedler,</hi><lb/><hi rendition="#aq">Dr.</hi> <hi rendition="#g">Matthias,</hi> ſowie der Geh. Baurath <hi rendition="#g">Ende.</hi> Der Antrag<lb/><hi rendition="#g">Kropatſcheck</hi> wurde <hi rendition="#g">angenommen,</hi> der Antrag <hi rendition="#g">Paulſen<lb/> abgelehnt.</hi> Die von Stadtſchulrath <hi rendition="#g">Bertram</hi> angeregte Frage<lb/> wurde in der Abſtimmung <hi rendition="#g">verneint,</hi> die Frage des Gymnaſialdirectors<lb/><hi rendition="#g">Schulzebejaht,</hi> ebenſo nahezu einſtimmig die <hi rendition="#g">Hauptfragen</hi> zu <hi rendition="#aq">a</hi><lb/> und <hi rendition="#aq">d.</hi> Dem Vernehmen nach wurde im Fortgange der heutigen<lb/> Sitzung der Schulconferenz die Frage, ob es ſich empfiehlt, an<lb/> die auf einen neunjährigen Lehrgang angelegten Anſtalten mit<lb/> Rückſicht auf Schüler, welche vor Vollendung desſelben ins<lb/> praktiſche Leben übertreten, einen früheren relativen Abſchluß nach<lb/> dem ſechsten Jahrescurſus eintreten zu laſſen, mit großer Majo-<lb/> rität bejaht. Die weitere Frage, ob zur Förderung eines erfolg-<lb/> reichen Unterrichtes anderweitige oder neue Normen über die<lb/> Maximalfrequenz der Claſſen, die zuläſſige Schülerzahl und die<lb/> Claſſenzahl der Geſammtanſtalt, über eine durchgängige Trennung<lb/> der Tertia und Secunda in zwei Claſſen nach Jahrescurſen,<lb/> ſowie über die Pflichtſtunden der Lehrer wünſchenswerth ſeien,<lb/> wurde faſt einſtimmig bejaht. Die Maximalfrequenz, auch für<lb/> die unteren Claſſen, wurde auf 40, die zuläſſige Geſammtſchüler-<lb/> zahl auf 400, die zuläſſige Pflichtſtundenzahl der Lehrer auf 22<lb/> bemeſſen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </floatingText> </p> </div> </body> </text> </TEI> [6/0006]
München, Freitag Allgemeine Zeitung 12. December 1890. Zweites Morgenblatt Nr. 344.
unſre Induſtrie die Ausfuhr nach Oeſterreich erleichtern, und da-
gegen müſſen wir die Conceſſionen machen, die nöthig ſind, damit
von der anderen Seite Conceſſionen gemacht werden. Man muß
Tarifſätze binden, beſtimmte Zölle für längere Zeit feſtlegen, denn
es kommt weniger darauf an, wie die Zölle ſind, als daß ſie feſt-
gelegt werden auf lange Zeit, daß nicht immer damit agitirt werden kann
und Unſicherheit in dem Zuſtande der beiden Länder herbeigeführt wird.
Wenn es aber eine Gefahr hätte, ſeine Meinung zu äußeren, ſo
wäre überhaupt nie ein Handelsvertrag gemacht worden. Der Abg.
v. Frege hat geſtern ſogar — er hat ihn ſpäter erfreulicher Weiſe
modiſicirt — ſo einen leiſen Schatten eines Verdachtes des Landes-
verraths ausgebreitet über die, welche ſich erdreiſteten, Meinungen
über dieſe Handelsverträge zu äußern. Der Abg. Graf Behr berief
ſich auch darauf, daß jetzt ſo viel von der Freigebung der Vieh-
einſuhr die Rede iſt. Wer hat ſich denn darum bemüht? Die
bayeriſche Regierung, und wenn ich nicht irre, die ſächſiſche Regie-
rung haben ſich dieſen Schein von Landesverrath zu Schulden
kommen laſſen, indem ſie laut und vernehmlich dafür agitirten.
Nein, mit ſolchen Rückſichten in der Oeffentlichkeit Diplomatie zu
machen, geht nicht an. Es ſchadet auch nichts. Die Geheimniſſe,
die hier ausgeplaudert werden, ſind das, was man le secret du
public nennt. Die Delegirten der beiden Regierungen werden,
wenn ſie in ihren Conferenzzimmern zuſammen geſeſſen
haben, ſich damit nicht aufgehalten haben; ſie wiſſen
ganz genau, daß es keine Geheimniſſe auszuplaudern gibt.
Ich ſehe in ſolcher Meinungsäußerung ſo wenig Schaden, daß ich
gern meine, wenn auch nur beiläufige Mitwirkung zu einer neuen,
dieſer Tage erſcheinenden Denkſchrift hergegeben habe, welche nach-
weist, wie bedenklich es wäre, ſeitens der deutſchen Regierung
auf den Vorſchlag von Differentialzöllen einzugehen, und ich glaube
mir herausnehmen zu dürfen, dieſe Denkſchrift, die nicht von mir
ausgeht, ſondern nur von mir begutachtet iſt, der Regierung und
den Herren Collegen beſtens zu empfehlen. Ich glaube damit den
Weg für die künftige Beſprechung dieſer zarten Angelegenheit des
öſterreichiſchen Handelsvertrags geebnet und das Mißverſtändniß
zwiſchen uns und dem Reichskanzler definitiv beſeitigt zu haben.
Hr. v. Frege beſchäftigt ſich auch mit der Silberfrage. Es iſt für
die Verhandlungen des Reichstages nicht ſehr vortheilhaft, dieſe
verwickelte Frage ſo beiläufig mit einem Piſtolenſchuß im Vorüber-
gehen anzuſchießen. Ich will auf die verſchiedenen Aeußerungen
des Abg. v. Frege nicht eingehen, ſondern erſt abwarten, ob An-
träge aus dem Hauſe oder, was ich nicht entfernt fürchte,
Vorſchläge der Regierung kommen. Ich meine allerdings, daß wir
den Reſt von Silber, den wir leider noch haben, nicht zu den
ſchlechten Preiſen des letzten Jahres von 42 bis 45 Pence hätten
verkaufen ſollen. Aber wäre man meiner Anſicht gefolgt, als ich
1879 mich widerſetzte, daß die Verkäufe ſiſtirt würden, als das
Silber auf 51 und 52 ſtand, ſo hätte man es zu einem Preiſe ver-
kauft, der jetzt wohl die höchſte aller Utopien der Silbergläubigen erweist.
Die Bemerkung des Abg. Windthorſt, daß die neueſte deutſche An-
leihe auch vom Ausland ſtark gezeichnet ſei, iſt allerdings richtig.
Zwar haben nicht gerade Frankreich und England, wohl aber die
Belgier ſehr ſtarke Summen von dieſer Anleihe übernommen, aber
Hrn. v. Frege kann ich verſichern, daß die Belgier ſich auch nicht
mit einem Pfennig daran betheiligt hätten, wenn ſie daran
zweifelten, daß wir Zinſen und Capital jemals anders zu zahlen
willens wären, als in Gold und Goldeswerth. (Heiterkeit.) Im
übrigen ſehe ich ganz ruhig dem Gang der Dinge entgegen, ſo-
weit es ſich um unſer liebes Deutſchland handelt. Seit ich auf
der Breſche ſtehe für unſre gute ſolvable Reichswährung, ſeit bei-
nahe 15 Jahren, ſeit ich das furchtbare Fiasco erlebt habe, das
die Silberleute in Amerika und damit in der ganzen Welt gemacht
haben, bin ich ganz ruhig darüber, daß uns keine Gefährdung
unſrer Währung bevorſteht. Auch das Ausland kann ſich ganz ruhig
auf die Zahlungsfähigkeit des Deutſchen Reichs in Gold verlaſſen.
Wir ſehen wahrſcheinlich einem neuen Experiment auf dieſem
intereſſanten Gebiete entgegen. Wir hören aus Amerika, daß die
demokratiſche Partei, die zwar eine Gegnerin der Zollmaßnahmen
der Mac Kinley-Bill, aber womöglich eine noch eifrigere Partei-
gängerin der Silberbill iſt, die Free Coinage proclamiren wird
und zwar nach dem alten Paritätsverhältniß von 1 : 15 ½,
während das factiſche Verhältniß jetzt 1 : 30 iſt. Das wird ein
ſehr intereſſantes Schauſpiel ſein; da wird geſchehen, was die
Herren Bimetalliſten immer von Frankreich gewünſcht haben, daß
eine große Nation von 66 Millionen dieſes Experiment machen
wird, und wir können einmal ruhig ſehen, wie die Dinge ver-
laufen. Sollte wirklich ein amerikaniſcher Emiſſär herüberkommen,
um die verſchiedenen europäiſchen Staaten zur Mitwirkung an
dieſem ſchönen Experiment einzuladen, ich bin ganz ſicher, daß,
obwohl Hr. v. Scholz, ein allerdings ſehr feiner Kenner
der Münzverhältniſſe, nicht mehr hier iſt, auch ſein jetziger
Nachfolger Hr. Miquel — dieſes Vertrauen habe ich
abſolut zu ihm — uns nicht den Amerikanern ausliefern wird mit
ihren Experimenten, das Silber in die Höhe zu bringen. Nun
noch ein Wort an meinen hochverehrten, etwas ſchalkhaften Freund
Dr. Windthorſt. Er hat erklärt, die Anſicht, daß man jetzt noch
Oſtafrika aufgeben ſolle, könne er nicht theilen; aus Nationalſtolz
würde er niemals darauf eingehen. Es wundert mich, daß ein
Mann, der unter dem Feldgeſchrei von „national“ ſo viel zu leiden
gehabt hat, nun kein anderes Argument mir gegenüber anzuführen
hat, als wieder eben dieſes Feldgeſchrei. (Sehr gut! links.) Ich
kann leider nur dem Abg. Bebel Recht geben, daß Hr. Windthorſt
ſeit der Zeit, wo wir zuerſt mit Colonialpolitik befaßt wurden, ein
„tantum mutatus ab illo“ geworden iſt, und ſeine gewandteſte
Dialectik wird an ihm die Mohrenwäſche nicht fertig bringen, die
nöthig wäre, um uns zu zeigen, daß er immer ſo wie jetzt in dem
Verhätniß zu den Negern in Oſtafrika geſtanden hätte. (Heiterkeit.)
In der Commiſſion vom Jahre 1884 theilte noch der Abg. Windt-
horſt meine ablehnende Haltung gegen die Colonialpolitik und
gebrauchte ſelbſt mehrfach das Wort „Colonialſchwindel“. Seit
ſeinem Colonialantrag hat eine erhebliche Wandlung bei ihm
ſtattgefunden. Ihm vorzugsweiſe iſt es zuzuſchreiben, daß wir ſo
tief in die Colonialpolitik hineingerathen ſind, ſeitdem er aus
einem Saulus ein Paulus geworden iſt. Wie ſein Weg nach
Damascus gegangen iſt, darüber kann ich nur Vermuthungen an-
ſtellen. Jetzt gehört er aber unſtreitig zu den ſtärkſten Colonial-
ſchwärmern des Deutſchen Reiches; er will ſogar in Afrika Be-
völkerungs- und Niederlaſſungspolitik treiben — ein Gedanke, der
ſelbſt in unſern Weißbüchern noch nicht aufgetaucht iſt. Heute erſt
hat Hr. Windthorſt uns dieſe Flagge gehißt. Aus welchem
Grunde? Es iſt geſtern oder heute ein Mann bei ihm geweſen,
der ſich in Oſtafrika glaubt anſiedeln zu können! Wenn der Abg.
Windthorſt ſolche Unterhaltungen für durchſchlagende Belehrungen
hält, möchte ich ihn in Zukunft bitten, ſolch einen Mann einmal
mit in den Vorſaal des Reichstags zu bringen, damit wir von ſol-
chen Belehrungen doch auch etwas profitiren. (Heiterkeit.) Ich halte die
Zukunft von Oſtafrika, inſofern unſre Ausgaben lohnend wieder-
erſtattet werden ſollen, für ein Buch mit ſieben Siegeln: die Erfolge
ſind höchſt ungewiß, die Entbehrungen der Steuerzahler im höch-
ſten Grade gewiß. Der Abg. Scipio hat geſtern aus einer mir
ganz begreiflichen Discretion die außerordentlich ſchönen Ausſichten
der Oſtafrikaniſchen Geſellſchaft nicht ausplaudern wollen; vielleicht
wird das hier ſpäter ein Anderer thun. Einſtweilen bin ich auch
noch nicht der Anſicht des Abg. Windthorſt, daß das Reich eine
Eiſenbahn von der Küſte nach dem Kilimandſcharo bauen ſoll.
Wenn aber der Abg. Windthorſt hier einen dahin gehenden An-
trag ſtellt, wird er die Mojorität des Hauſes haben, meine Stimme
aber nicht. Wird die Bahn gebaut, ſo bin ich dafür, daß die
erſte Locomotive, die in den dunklen Welttheil hineinführt, „Dr.
Ludwig Windthorſt“ heißt. (Große Heiterkeit.)
Reichskanzler v. Caprivi:
Meine Herren! Der Hr. Abg.
Bamberger hat die Güte gehabt, zu erklären, mit Rückſicht auf
meine mangelhafte Vorbildung und meine kurze Schulung in den
Geſchäften, denen obzuliegen jetzt meine Pflicht iſt, wolle er mir
Schonung angedeihen laſſen. Er hat in der ihm eigenen urbanen
Art denſelben Gedanken gegeben, den im Frühjahr an anderer
Stelle der Hr. Abg. Richter in die Worte kleidete, man wolle
mir ja noch einige Schonzeit geben. (Heiterkeit). Was meine
Perſon anlangt — und es iſt mir jedesmal leid, wenn ich von
derſelben hier ſprechen muß, aber ich ſehe mich dazu genöthigt —
ſo habe ich noch nie in meinem Leben von irgend Jemand Scho-
nung verlangt, und ich würde bitten, auch hier mir dieſelbe nicht
angedeihen zu laſſen. Ich weiß auch nicht, ob die Regierung in
der Zeit, ſeit ich die Ehre habe, ihr vorzuſtehen, Dinge getrieben
hat, die ihr den Ruf zuziehen könnten, ſie wäre ſchonungsbedürftig.
So lieb mir dieſe freundliche Aeußerung des Hrn. Bamberger
iſt, ſo muß ich ihm doch ſagen: der Ton, den der Hr. Abg.
Richter neulich anſchlug, war mir in dem Augenblick lieber.
Ich befand mich hier — Sie werden erlauben, daß ich das Bild
eines alten Soldaten gebrauche — in dem Gefühl eines Officiers,
der weiß, er iſt in der Nähe des Feindes, er kommt aber noch
nicht heraus; endlich fällt der erſte Kanonenſchuß und man hat
das erlöſende Gefühl: da iſt er (Heiterkeit). Ich darf übrigens
annehmen, daß die wenigen Worte, die ich in Bezug auf unſer
Verhältniß zu Oeſterreich geäußert habe, doch nicht ſo ganz werth-
los geweſen ſein können; denn dieſelbe Partei hat heute nun
ihren dritten Redner gegen dieſe wenigen Worte ins Gefecht ge-
ſchickt, und, um bei demſelben Bilde zu bleiben, der alte Soldat
hat das beruhigende Gefühl, aus dem groben Geſchützfeuer in das
kleine Gewehrfeuer gekommen zu ſein. (Heiterkeit rechts.) Weil
ich der Meinung bin, daß es nicht richtig ſei, während Vertrags-
verhandlungen mit anderen Staaten im Gange ſind, Aeußerungen
in ſo gewichtigen Körperſchaften, wie dieſes Haus es iſt, laut
werden zu laſſen, enthalte ich mich auch noch heute jedes Eingehens
auf die Einzelheiten, die der Hr. Abg. Bamberger angeführt hat.
Ich bin nach wie vor der Ueberzeugung, die ich geſtern ausſprach,
und wenn ich auch nicht annähernd die wirthſchaftspolitiſchen Kennt-
niſſe des Hrn. Abg. Bamberger habe, ſo wird er mir vielleicht zu-
geben, daß er nicht die Kenntniß über die politiſchen Verhandlun-
gen hat, die in Bezug auf dieſen Vertrag geſchwebt haben und
ſchweben, wie ich. Und iſt dieſe Vorausſetzung richtig, ſo darf ich
ausſprechen, daß ich Aeußerungen aus dieſer Verſammlung, ſo lange
Verhandlungen ſchweben, für durchaus ſchädlich halte. Wenn
ich auch Neuling in parlamentariſchen Sitten bin, ſo möchte ich
doch annehmen, daß ich mit der Bitte, die ich neulich ausſprach
— und wie ich glaube, war meine Bitte nicht gereizt; die Ant-
wort darauf fiel weniger ſchüchtern aus — mich nicht ins Unrecht
geſetzt habe. So viel ich weiß, beſteht in faſt allen parla-
mentariſchen Körperſchaften und vor allen Dingen in den
engliſchen, denen man doch conſtitutionelle Routine füglich
nicht abſprechen kann, die Sitte, daß, wenn der Vertreter der
Regierung ſich dahin ausſpricht, daß politiſche Aeußerungen und
namentlich über ſchwebende Verhandlungen ſchädlich ſein könnten,
die Debatte abgebrochen wird. (Sehr richtig! rechts.) Ich habe
keine Macht, dies zu erzwingen, ich kann nur conſtatiren, daß,
wenn durch ſolche Aeußerungen Schaden geſchieht, die Verant-
wortung nicht auf mir liegt; ich habe, ſoweit es in meinen ge-
ringen Kräften ſteht, davor gewarnt. Der Herr Abgeordnete hat
zwei Stellen aus der Rede des Hrn. Abg. Plener vorgeleſen,
einer Rede, die, wenn auch aus einer anderen Zeitung, mir in
demſelben telegraphiſchen Auszuge vorliegt wie ihm; es iſt
nicht der Urtext. Er hat eine Stelle vorgeleſen, die von
der Verbilligung der Lebensmittel handelte, und iſt darauf
zu einer dritten Stelle übergegangen, die von den dif-
ferentiellen Zöllen handelte. Die zwiſchenliegende Stelle hat
der Herr Abgeordnete aber nicht im Wortlaut wiedergegeben, wie
die Zeitung ſie gibt, ſondern er hat ſie in ſeinen Aeußerungen
umſchrieben. Nun möge es mir erlaubt ſein, die zwiſchenliegende
Stelle vorzuleſen. Nachdem alſo der Abg. Plener von den Lebens-
mitteln geſprochen hat, ſagt er: „Deutſchland muß dabei aus
innerpolitiſchen Gründen hier Ermäßigungen unter allen Umſtänden
eintreten laſſen, ohne daſür erſt von uns beſondere Compenſationen
verlangen zu können.“ Ich ſtelle nochmals der Erwägung des
Hauſes anheim, ob Aeußerungen, wie ſie hier gefallen ſind, geeignet
ſind, den Abg. Plener und die Oeſterreicher in der Meinung zu
beſtärken, daß Deutſchland unter allen Umſtänden aus innerpoli-
tiſchen Gründen Ermäßigungen eintreten laſſen muß oder nicht.
(Bravo! Sehr gut! Rechts).
Abg. Hahn (deutſchconſ.) entſchuldigt Hrn. v. Frege, der
zu einer Berathung des Landesculturraths nach Dresden berufen
ſei. Nach ſeiner Rückkehr werde er Hrn. Bebel antworten. Nach
Bebels Brandrede hätte Hr. Bamberger ſich wohl hüten ſollen,
ſolche Worte ins Volk zu ſchleudern: es hätten ſich die Parteien
verbündet, um vereinigt dem Volke das Fell über die Ohren zu
ziehen. (Zuſtimmung rechts.) Redner vertheidigt die Getreide-
zölle und die Colonialpolitik. Die Socialdemokraten ſagen immer,
was ſie nicht wollen; ſie nennen das beſtehende Steuerſyſtem einen
Unſinn, aber ſie ſagen nicht, welche Steuern ſie denn wollen.
Daß auch andere Leute als die Socialdemokraten die Reichen
heranziehen wollen zur Steuer, beweist der Verſuch der Conſerva-
tiven, die reicheren Einkommen mit 5 Procent heranzuziehen. Alle
irdiſchen Verhältniſſe haben Fehler, die man verbeſſern kann. Im
Zukunftsſtaat Bebels wird auch nicht alle Noth aus der Welt ge-
ſchafft ſein. Wenn Bebel die Verhältniſſe auf dem Lande im
Oſten kennen würde, dann würde er wiſſen, daß die Wohnungen
auf dem Lande viel beſſer ſind als die Keller- und Dach-
wohnungen in den großen Städten, welche die armen Arbeiter zu
hohen Preiſen nehmen müſſen. Hr. Bebel ſagt uns nicht, was er
an die Stelle der beſtehenden Staats- und Geſellſchafts-
ordnung ſetzen will. Wenn die Socialdemokraten den Land-
bewohnern ihren Gott und ihre Königstreue aus dem Herzen reden
wollen, dann wiſſen die Landbewohner, wie ſie ſich zu verhalten
haben. (Beifall rechts.)
Abg. v. Kardorff (Reichspartei):
Hrn. Bebel kann ich zu-
geben, daß die Wohnungsverhältniſſe in Schleſien nicht immer ſo
gut waren, wie in den andern Provinzen, aber ſie waren immer
noch beſſer, als die Wohnungen der Arbeiter in den Städten.
Die Arbeiter gehen nicht dahin, wo die Lebensmittel billiger ſind,
ſondern dahin, wo ſie theurer ſind. Die Rede Bebels war eine
geſchickte Agitationsrede, aber wir wiſſen, daß wir mit einer ge-
fährlichen Geſellſchaft zu kämpfen haben und werden mit ihren
fertig werden. Der Umſturz der beſtehenden Geſellſchaftsordnung
würde nur zu einer Anarchie führen, denn nur in der friedlichen
Entwicklung laſſen ſich die Fortſchritte des Geiſtes erreichen, die
wir jetzt erreicht haben und weiter erreichen werden. Die Social-
demokraten wollen dieſe friedliche Entwicklung nicht, ſprechen aber
ihre Gedanken nicht offen aus. Ich will es aber offen ausſprechen,
daß die beſtehende Geſetzgebung zur Bekämpfung der Social-
demokratie nicht ausreicht. Die Erfahrung wird es bald
lehren. (Widerſpruch links.) Wenn die Staatsmaſchine bei großen
Strikes ſtill ſteht, ſo iſt die Geſetzgebung nicht ausreichend. Ich
will wünſchen, daß ich Unrecht habe. (Zuſtimmung rechts.)
Abg. Wiſſer (wildlib.):
In der Rede Bebels war ſo viel
Gutes und Richtiges enthalten, daß dadurch das Unrichtige über-
wogen wird; aber die Antworten der letzten beiden Redner waren
nicht geeignet, das Unrichtige zu widerlegen, ſie zeigten nur die
Reformbedürftigkeit der Zuſtände. Das Zollſyſtem kommt nur den
großen Betrieben zugute; die Franckenſtein’ſche Clauſel des Zoll-
tarifgeſetzes zwingt das Reich, ſeine Einnahmen an die einzelnen
Staaten zu vertheilen und ſeinerſeits Schulden aufzunehmen;
hoffentlich wird dieſer Uebelſtand bald beſeitigt. Die Zuckerſteuer
ſoll endlich reformirt werden, es müßte nun auch die Differential-
ſteuer für den Spiritus einheitlich geregelt werden. Mit der Er-
mäßigung der landwirthſchaftlichen Zölle wird auch die Ermäßigung
der Induſtrieſchutzzölle Hand in Hand gehen müſſen.
Damit ſchließt die Debatte. Nach einer Reihe perſönlicher
Bemerkungen erklärt Abg. v. Liebermann (Antiſemit) zur Geſchäſts-
ordnung:
Ich freue mich, daß Herr Bebel Unterſuchungen über die
Lage der ländlichen Bevölkerung anſtellen will. Er wird dabei auf
merkwürdige antiſemitiſche Ergebniſſe kommen.
Einem von allen Parteien unterſtützten Antrag gemäß wird
darauf ein großer Theil des Etats der Budgetcommiſſion
überwieſen. Ohne Debatte erledigt das Haus dann noch die Denk-
ſchrift über die Ausführung der Anleihegeſetze und die zweite
Berathung des Geſetzentwurfs, betreffend die Controle des
Reichshaushaltsetats für 1890/91. Schluß gegen 5 Uhr.
Nächſte Sitzung Freitag 11 Uhr. Tagesordnung: Erſte und zweite
Berathung des Handelsvertrags mit der Türkei. Erſte Leſung der
Vorlage über die Zuckerſteuer.
Die Schulreform-Conferenz in Berlin.
* Berlin, 11. Dec. Tel. In der geſtrigen Sitzung der
Conferenz zur Berathung von Fragen, betreffend das höhere Schul-
weſen, nahmen nach Schluß des letzten Berichts noch das Wort:
Der Geh. Oberregierungsrath Wehrenpfennig, welcher die be-
ſtehenden Schularten vom Standpunkt des Bedürfniſſes der tech-
niſchen Hochſchulen beleuchtete, der Geh. Regierungsrath Dr.
Schottmüller, der Geh. Oberregierungsrath Dr. Stauder,
welcher thatſächliche Mittheilungen über die Entwicklung und die
Arten der höheren Schulen in Preußen, deren Ausbreitung und
Benutzung machte, der Geh. Regierungsrath Dr. Klix, welcher
neben dem gegenwärtigen Gymnaſium ein lateiniſches Gymnaſium
für möglich erachtete, v. Schenckendorff, welcher die ſocialpoli-
tiſche Seite der Frage betonte, und der Geh. Commercienrath
Kaſelowsky, welcher die Wünſche des Gewerbeſtandes zum Aus-
druck brachte. Die heutige Sitzung wurde durch den Cultusmini-
ſter v. Goßler mit der Mittheilung eröffnet, daß er die Sitzungen
der Conferenz, einem aus der Verſammlung ihm zugegangenen
Antrage entſprechend, nicht über den 17. oder 18. December aus-
zudehnen beabſichtige. Die Discuſſion über die Fragen der Bei-
behaltung der beſtehenden Schularten und des Lehrplans der Real-
gymnaſien wurde fortgeſetzt. Es ſprachen hiezu: Gymnaſialdirector
Dr. Eitner, Prof. Dr. Paulſen, welcher für Beibehaltung
der Realgymnaſien eintrat, Realgymnaſialdirector Dr. Schlee,
welcher ſich in gleichem Sinne ausſprach, Stadtſchulrath Dr. Ber-
tram und der Geh. Regierungsrath Dr. Albrecht. Das Schlußwort
hatten Realgymnaſialdirector Dr. Matthias, Dr. Frick und
Realgymnaſialdirector Dr. Schauenburg. Hierauf wurde unter
einſtweiliger weiterer Ausſetzung der Abſtimmung zur Berathung
der Frage übergegangen: „Empfiehlt es ſich: a) an Orten, wo
ſich nur gymnaſiale oder realgymnaſiale Anſtalten befinden, in den
drei unteren Claſſen nach örtlichem Bedarf neben und ſtatt des
Latein einen verſtärkten deutſchen und modern-fremdſprachlichen
Unterricht einzuführen? b) an Orten, wo nur lateinloſe höhere
Schulen ſind, an deren drei unteren Claſſen nach örtlichem Bedarf
lateiniſchen Unterricht anzugliedern? c) alle ſiebenſtufigen Anſtalten
(Progymnaſien, Realprogymnaſien und Realſchulen) auf ſechsſtuſige
zurückzuführen? d) den Lehrplan der Realſchulen und der höheren
Bürgerſchulen gleich zu geſtalten und beide ſo einzurichten, daß un-
beſchadet der anders gearteten methodiſchen Behandlung des Lehr-
ſtoffes und des Abſchluſſes des Bildungsgangs die Fortſetzung des-
ſelben auf die Oberrealſchule erleichtert wird? Hiezu ſind folgende
Anträge geſtellt: zu a) von Dr. Kropatſcheck: die Worte „neben
und“ vor „ſtatt des Latein“ zu ſtreichen; von Stadtſchulrath Dr. Ber-
tram: die Nebenfrage zu ſtellen: Empfiehlt es ſich, für den Fall
der Bejahung der Frage zu a) das Latein erſt in Tertia beginnen
zu laſſen und die dadurch freigewordene Zeit zum verſtärkten Be-
triebe einer modernen fremden Sprache, bezw. des Deutſchen und
der Geometrie zu verwenden? Zu c von Profeſſor Dr. Paulſen:
Vor „zurückzuführen“ die Worte „in der Regel“ einzuſchieben; von
Gymnaſialdirector Dr. Schulze: Die Rebenfrage zu ſtellen: Em-
pfiehlt es ſich für den Fall der Bejahung der Frage zu c, an den
Schluß des ſechsten Jahrescurſus dieſer Schulen Entlaſſungs-
prüfungen zu verlegen? Als Berichterſtatter zur vorbezeichneten
Frage ſprachen Gewerbeſchuldirector Dr. Holzmüller, Stadt-
ſchulrath Dr. Bertram und Gymnaſialdirector Dr. Schulze,
als Antragſteller außerdem Dr. Kropatſcheck und Profeſſor
Paulſen. An der Discuſſion nahmen theil: Geh. Ober-
regierungsrath Dr. Stauder, geh. Oberfinanzrath Germar (als
Commiſſar des Finanzminiſteriums), die Directoren Dr. Fiedler,
Dr. Matthias, ſowie der Geh. Baurath Ende. Der Antrag
Kropatſcheck wurde angenommen, der Antrag Paulſen
abgelehnt. Die von Stadtſchulrath Bertram angeregte Frage
wurde in der Abſtimmung verneint, die Frage des Gymnaſialdirectors
Schulzebejaht, ebenſo nahezu einſtimmig die Hauptfragen zu a
und d. Dem Vernehmen nach wurde im Fortgange der heutigen
Sitzung der Schulconferenz die Frage, ob es ſich empfiehlt, an
die auf einen neunjährigen Lehrgang angelegten Anſtalten mit
Rückſicht auf Schüler, welche vor Vollendung desſelben ins
praktiſche Leben übertreten, einen früheren relativen Abſchluß nach
dem ſechsten Jahrescurſus eintreten zu laſſen, mit großer Majo-
rität bejaht. Die weitere Frage, ob zur Förderung eines erfolg-
reichen Unterrichtes anderweitige oder neue Normen über die
Maximalfrequenz der Claſſen, die zuläſſige Schülerzahl und die
Claſſenzahl der Geſammtanſtalt, über eine durchgängige Trennung
der Tertia und Secunda in zwei Claſſen nach Jahrescurſen,
ſowie über die Pflichtſtunden der Lehrer wünſchenswerth ſeien,
wurde faſt einſtimmig bejaht. Die Maximalfrequenz, auch für
die unteren Claſſen, wurde auf 40, die zuläſſige Geſammtſchüler-
zahl auf 400, die zuläſſige Pflichtſtundenzahl der Lehrer auf 22
bemeſſen.
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
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