Allgemeine Zeitung, Nr. 39, 8. Februar 1850.[Spaltenumbruch]
andern Liberalen und Männern welche die Zeit verstehen, den Abgeord- g Berlin, 5 Febr. Gestern ist endlich die langangekündigte öster- * Posen, 1 Febr. Von einem soeben aus dem Königreich Polen Oesterreich. # Wien, 2 Febr. Das Ereigniß im Piräeus, von *) S. Allg. Ztg. vom 5 Febr.
[Spaltenumbruch]
andern Liberalen und Männern welche die Zeit verſtehen, den Abgeord- γ Berlin, 5 Febr. Geſtern iſt endlich die langangekündigte öſter- * Poſen, 1 Febr. Von einem ſoeben aus dem Königreich Polen Oeſterreich. # Wien, 2 Febr. Das Ereigniß im Piräeus, von *) S. Allg. Ztg. vom 5 Febr.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div n="3"> <div type="jComment" n="4"> <p><pb facs="#f0003" n="611"/><cb/> andern Liberalen und Männern welche die Zeit verſtehen, den Abgeord-<lb/> neten v. Wittgenſtein, Major Vincke, Aldenhoven, Generalſteuerdirector<lb/> Kühne; können wir nicht auch Reichenſperger dazu rechnen, und wo es<lb/> gilt der Verſinſterung und dem Rückwärts entgegenzutreten oder gar der<lb/> bewußten Abſicht das Werk in Erfurt von vornherein zu zerſtören, auch<lb/> vor allem unſere Berliner Deputirten, die Miniſter Manteuffel, Bodel-<lb/> ſchwing, Graf Bülow? Auch Graf Brandenburg geht gewiß nicht hin<lb/> um die Arbeit ſeines Königs zu vernichten. Ihnen ſchließen ſich an Prä-<lb/> ſident Flottwell, Hr. v. Uſedom. Wir kennen viele Abgeordnete noch<lb/> nicht, wir haben auch viele gleichgeſinnte in den erſten unvollkommenen<lb/> Liſten überſehen, ſchon darnach aber läßt ſich erwarten daß der freie Sinn<lb/> der noch nicht an einer Zukunft verzweifelt, vertreten ſeyn und Worte ſin-<lb/> den wird die in Deutſchland widerhallen. Wenn uns auch die Namen<lb/> Gerlach, Buß und Stahl und Ritter und der Landrath Manteuffel neben<lb/> dem Hrn. v. Bismark-Schönhauſen auf den erſten Augenblick erſchreck-<lb/> ten, dieſe Partei wird nur klein bleiben. Sie wird dort den Geiſt ver-<lb/> treten der verneint, und er muß nach der alten Satzung ſeinen Advocaten<lb/> haben. Sie mögen die Oppoſition bilden, möchte ſie aber für den Reichs-<lb/> tag, wie ſie es in Deutſchland iſt, immer in der Minderheit bleiben. Weit<lb/> gefährlicher iſt die große conſervativ paſſive Schaar, die aus allen preußiſchen<lb/> Provinzen dahin zuſammenſtrömt, Männer die, wie der General v. Reyher,<lb/> um keiner andern Urſache willen gewählt wurden als weil ſie gute Men-<lb/> ſchen ſind, ihre Pflicht und alles thun was ihr König wünſcht. Daß es<lb/> in einem deutſchen Lande möglich iſt ſolche Männer in ein legislatives<lb/> Parlament zu wählen verräth, eben nur den Stand des politiſchen Intereſſe<lb/> in den Geſammtmaſſen unſerer Bevölkerung, oder es iſt die Frucht vor der<lb/> Demokratenherrſchaft. Der Angſt vor ihr iſt jeder gut, welcher nicht den<lb/> Geiſt hat um ein Umſturzmann zu werden, und wer viel denkt und Ideen<lb/> verfolgt, könnte doch ein Idealiſt werden. Idealiſten aber ſtürzen auch<lb/> um. Dazwiſchen finden ſich auch geſchmeidige Politiker, die wir durch<lb/> Keller repräſentirt ſehen. Sie ſind nur gefährlich wenn die Macht die<lb/> ſich herausſtellt, der Freiheit gefährlich zu werden droht. Bilden dieſe<lb/> beiden letzteren Schichten die Majorität im Erfurter Parlament, ſo ruht<lb/> allerdings die Gewalt und die Entſcheidung in den Händen der preußi-<lb/> ſchen Miniſter, die Berlin und Erfurt dahin geſandt. Möchte Man-<lb/> teuffels Wort mehr als ein Wort, eine Wahrheit ſeyn, daß er „dem edlen<lb/> Heinrich v. Gagern“ vertrauensvoll die Hand reichen wolle zum großen<lb/> gemeinſamen Werke. Er könnte ſchon jetzt viel thun um ſich und ſeinen<lb/> Genoſſen Vertrauen zu verſchaffen, wenn er in den vielen Doppelwahlen die<lb/> auf ihn und Hrn. v. Bodelſchwingh gefallen ſind, die Aufmerkſamkeit der<lb/> Wähler und ſeinen Einfluß dahin lenkte daß durch die Neuwahlen die<lb/> ausgezeichneten Männer berückſichtigt würden die man im Parlament<lb/> erwartete — und ſie erlagen der Ungunſt der Umſtände. Wenn es auch<lb/> Gegner wären! Gegner hat der preußiſche Miniſter bei dieſer Kopfzahl<lb/> von Anhängern nicht mehr zu fürchten, er muß ſie wünſchen damit nicht<lb/> er und ſeine Freunde immer nöthig haben der Reaction perſönlich entgegen-<lb/> zutreten, daß vielmehr eine gewiegte Schaar Redner da iſt, bereit im Ein-<lb/> zelgefecht die Lanze mit ihnen zu brechen.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline>γ <hi rendition="#b">Berlin,</hi> 5 Febr.</dateline> <p>Geſtern iſt endlich die langangekündigte öſter-<lb/> reichiſche Denkſchrift über eine neue Zolleinigung an das hieſige Cabinet<lb/> gelangt, und zwar auf doppeltem Wege: durch Ritter v. Prokeſch und von<lb/> den dieſſeitigen Bundescommiſſarien aus Frankfurt. Sie findet, ſoviel ich<lb/> erfahren, die wohlgemeinteſte Aufnahme, und man wird den öſterreichiſchen<lb/> Intereſſen ſehr gern entgegenkommen, ohne die deutſchen zu verletzen. —<lb/> Noch ſind die fünf Regierungs-Commiſſarien welche die Unterhandlungen<lb/> unmittelbar mit dem Reichstage in Erfurt zu leiten haben werden, vom<lb/> Verwaltungsrathe nicht gewählt. Bezeichnet werden jedoch der jetzige<lb/> Naſſau’ſche Bevollmächtigte Vollpracht (als unzweifelhafte Wahl), ſodanu<lb/> Hr. v. Radowitz und Hr. v. Bodelſchwingh. Ob Hrn. v. Radowitz’s Stellung<lb/> in Frankfurt mit einem ſolchen neuen Mandate wird vereinigt werden<lb/> können, das wird jedoch in Zweifel gezogen. Nur eine zeitweilige Vertre-<lb/> tung in Frankfurt ſcheint die Uebernahme des neuen Mandats möglich zu<lb/> machen, und ſie dürfte wohl auch für die erſten Wochen des Erfurter<lb/> Reichstages angeordnet werden. — Der Vollpracht’ſche weitere Vortrag<lb/> über die tranſitoriſchen Veränderungsvorſchläge zum Entwurf vom 28 Mai<lb/> iſt ſehr mager ausgefallen, und enthält nur ſehr wenige Beſtimmungen. Er<lb/> wird in einer der nächſten Sitzungen des Verwaltungsrathes zur Bera-<lb/> thung kommen. Auch die Berathung des Berichtes über das gegen Hanno-<lb/> ver und Sachſen beim Bundesſchiedsgericht in Erfurt anhängig zu machende<lb/> Verfahren ſteht bevor. 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Ueber die allgemeine Stärke der ruſſiſchen Armee in Polen iſt<lb/> es, wie mein Gewährsmann verſichert, unmöglich auch nur annähernd<lb/> eine Zahl anzugeben, da die Truppen fortwährend auf Hin- und Hermär-<lb/> ſchen begriffen ſeyen, und ſelten länger als acht Tage in einem Stand-<lb/> quartier verblieben. Die Recrutirung hatte ihren Fortgang, und die<lb/> jungen polniſchen Mannſchaften wurden ſofort nach Rußland ſelbſt diri-<lb/> girt, wo ſie wahrſcheinlich in die kaukaſiſche Armee eingereiht werden;<lb/> auf den polniſchen Dörfern ſoll man faſt gar keine jungen Männer mehr<lb/> ſehen, nur die Juden finden Mittel und Wege ſich der Conſeription zu<lb/> entziehen. Die furchtbare Kälte — 30° R. — und die ungebeuern<lb/> Schneemaſſen die alle Felder bedecken, machen das Reiſen nicht nur im<lb/> Königreich Polen, ſondern auch in unſerer Provinz ſehr gefährlich, indem<lb/> hungrige Wölfe ſich überall als Wegelagerer zeigen; in Polen ſind be-<lb/> reits mehrere Landleute und Soldaten, auch ein Poſtillon von ihnen zer-<lb/> riſſen worden, und vor wenigen Tagen iſt ſogar 3 bis 4 Meilen von hier<lb/> die große Poſt von einer Schaar Wölfe angefallen worden, wie heute<lb/> officiell angezeigt wird. — Die geſtrige Deputirtenwahl (für Erfurt) hatte<lb/> hier einen merkwürdigen Parteienkampf hervorgerufen: die reactionäre<lb/> Partei, die durch die Spitzen des ſogenannten Vaterlandsvereins reprä-<lb/> ſentirt wird, hatte ungeheure Anſtrengungen gemacht ihren Candidaten,<lb/> einen pietiſtiſchen Geiſtlichen, durchzubringen; dennoch trug der geſunde<lb/> Sinn der übrigen Wahlmänner, deren überhaupt nur 145 erſchienen wa-<lb/> ren, einen entſcheidenden Sieg davon. Unſer ehemaliger verdienſtvoller<lb/> Oberpräſident, der Miniſter Flottwell, wurde mit 95 Stimmen zum De-<lb/> putirten erwählt, während der gegneriſche Candidat nur 50 Stimmen da-<lb/> von trug. Im allgemeinen glaubt man hier aber noch gar nicht an das<lb/> Zuſtandekommen des Erfurter Reichstags.</p> </div> </div><lb/> <div n="3"> <head><hi rendition="#g">Oeſterreich</hi>.</head><lb/> <div type="jComment" n="4"> <dateline># <hi rendition="#b">Wien,</hi> 2 Febr.</dateline> <p>Das Ereigniß im Piräeus, von<lb/> dem uns erſt geſtern ſpät Abends die erſte Kunde zukam, tritt in ſeiner ganzen<lb/> Grellheit hervor durch die diplomatiſche Correſpondenz welche der heutige<lb/> „Lloyd“ in dieſer Beziehung mittheilt.<note place="foot" n="*)">S. Allg. Ztg. vom 5 Febr.</note> Wir haben von Lord Palmer-<lb/> ſton wohl ſchon wiederholte Beweiſe von Bravour in brutaler Verhöhnung<lb/> des Völkerrechtes erhalten, und die perſiden Tricks mit welchen die engli-<lb/> ſche Diplomatie von jeher die Exiſtenz eines ſelbſtändigen Griechenlands<lb/> zu untergraben trachtete, um ſich eine Vervollſtändigung ihrer Macht im<lb/> Archipel zu ſichern und das arme griechiſche Inſelvolk von der Concurrenz<lb/> mit der engliſchen Schifffahrt in den griechiſchen Gewäſſern ſo viel mög-<lb/> lich auszuſchließen, ſind nur zu bekannt. Aber ein Unternehmen von ſo<lb/> maßloſer Inſolenz und rückſichtsloſem Trotzen auf die Macht des Stärke-<lb/> ren iſt in der That in der Geſchichte des modernen Völkerrechts noch kaum<lb/> vorgekommen. Dagegen treten wahrlich das Wegführen der däniſchen<lb/> Flotte und die übrigen See-Abenteuer ähnlicher Art, in deren Erinne-<lb/> rung das Herz des in Beurtheilung fremder Nationen ſo ſtrengen Eng-<lb/> länders ſchwillt, faſt in den Hindergrund, denn dort galt es doch den gro-<lb/> ßen Zweck des Kampfs gegen Frankreich. Zum Wahrzeichen mag dieß<lb/> Ereigniß gut ſeyn für die übrigen Nationen, wie es in Wirklichkeit mit<lb/> dem europäiſchen Völkerrecht beſtellt iſt, und ob in der That noch von dem<lb/> vielgerühmten politiſchen Gleichgewichte die Rede ſeyn kann, wo das<lb/> Fauſtrecht ſo mitten im Frieden dem Nachbar die Thüren einſchlägt. Ge-<lb/> wiß ſind Oeſterreich und Deutſchland (wenn dieſes anders exiſtirte!) am<lb/> wenigſten in der Lage dem Uebermuthe des brittiſchen Cabinets gleichgültig<lb/> zuzuſehen, da ſie ſich nur mit zu viel Grunde ſagen können daß der Schlag<lb/> der gegenwärtig in Athen gefallen, im Herzen auf Trieſt und Hamburg<lb/> gewiß mit nicht minderem Seelenvergnügen geführt würde. Vorderhand<lb/> habe ich aber noch von keinem diplomatiſchen Schritte des hieſigen Cabi-<lb/> nets in dieſer Beziehung gehört. Während die Gewalt ſo im nahen<lb/> Oſten haust, geht bei uns die Organiſation des Gerichtsweſens fort-<lb/> während der Vervollſtändigung entgegen. Dießmal handelt es ſich nur<lb/> um Beſetzung der Poſten der Räthe an allen Landesgerichten der älteren<lb/> Kronländer. Auch hier hat das Juſtizminiſterium ſorgſame |Beachtung<lb/> der Anſprüche der bereits länger dienenden Juſtizbeamten bewieſen. Nur<lb/> in Wien ſieht ein nicht geringer Theil der bisherigen Civiljuſtizräthe der<lb/> Verſetzung in Ruheſtand entgegen. Das Publicum, das unter den zahl-<lb/> reichen Mißbräuchen und Gebrechen der bisherigen ſtädtiſchen Rechtspflege<lb/> dahier nicht wenig litt, begrüßt jedoch dieſen Act der gebotenen Strenge<lb/> mit ungetheiltem Beifall. Nächſtens ſehen wir auch dem organiſchen<lb/> Statut entgegen, durch welches der oberſte Gerichtshof für die ganze Mon-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [611/0003]
andern Liberalen und Männern welche die Zeit verſtehen, den Abgeord-
neten v. Wittgenſtein, Major Vincke, Aldenhoven, Generalſteuerdirector
Kühne; können wir nicht auch Reichenſperger dazu rechnen, und wo es
gilt der Verſinſterung und dem Rückwärts entgegenzutreten oder gar der
bewußten Abſicht das Werk in Erfurt von vornherein zu zerſtören, auch
vor allem unſere Berliner Deputirten, die Miniſter Manteuffel, Bodel-
ſchwing, Graf Bülow? Auch Graf Brandenburg geht gewiß nicht hin
um die Arbeit ſeines Königs zu vernichten. Ihnen ſchließen ſich an Prä-
ſident Flottwell, Hr. v. Uſedom. Wir kennen viele Abgeordnete noch
nicht, wir haben auch viele gleichgeſinnte in den erſten unvollkommenen
Liſten überſehen, ſchon darnach aber läßt ſich erwarten daß der freie Sinn
der noch nicht an einer Zukunft verzweifelt, vertreten ſeyn und Worte ſin-
den wird die in Deutſchland widerhallen. Wenn uns auch die Namen
Gerlach, Buß und Stahl und Ritter und der Landrath Manteuffel neben
dem Hrn. v. Bismark-Schönhauſen auf den erſten Augenblick erſchreck-
ten, dieſe Partei wird nur klein bleiben. Sie wird dort den Geiſt ver-
treten der verneint, und er muß nach der alten Satzung ſeinen Advocaten
haben. Sie mögen die Oppoſition bilden, möchte ſie aber für den Reichs-
tag, wie ſie es in Deutſchland iſt, immer in der Minderheit bleiben. Weit
gefährlicher iſt die große conſervativ paſſive Schaar, die aus allen preußiſchen
Provinzen dahin zuſammenſtrömt, Männer die, wie der General v. Reyher,
um keiner andern Urſache willen gewählt wurden als weil ſie gute Men-
ſchen ſind, ihre Pflicht und alles thun was ihr König wünſcht. Daß es
in einem deutſchen Lande möglich iſt ſolche Männer in ein legislatives
Parlament zu wählen verräth, eben nur den Stand des politiſchen Intereſſe
in den Geſammtmaſſen unſerer Bevölkerung, oder es iſt die Frucht vor der
Demokratenherrſchaft. Der Angſt vor ihr iſt jeder gut, welcher nicht den
Geiſt hat um ein Umſturzmann zu werden, und wer viel denkt und Ideen
verfolgt, könnte doch ein Idealiſt werden. Idealiſten aber ſtürzen auch
um. Dazwiſchen finden ſich auch geſchmeidige Politiker, die wir durch
Keller repräſentirt ſehen. Sie ſind nur gefährlich wenn die Macht die
ſich herausſtellt, der Freiheit gefährlich zu werden droht. Bilden dieſe
beiden letzteren Schichten die Majorität im Erfurter Parlament, ſo ruht
allerdings die Gewalt und die Entſcheidung in den Händen der preußi-
ſchen Miniſter, die Berlin und Erfurt dahin geſandt. Möchte Man-
teuffels Wort mehr als ein Wort, eine Wahrheit ſeyn, daß er „dem edlen
Heinrich v. Gagern“ vertrauensvoll die Hand reichen wolle zum großen
gemeinſamen Werke. Er könnte ſchon jetzt viel thun um ſich und ſeinen
Genoſſen Vertrauen zu verſchaffen, wenn er in den vielen Doppelwahlen die
auf ihn und Hrn. v. Bodelſchwingh gefallen ſind, die Aufmerkſamkeit der
Wähler und ſeinen Einfluß dahin lenkte daß durch die Neuwahlen die
ausgezeichneten Männer berückſichtigt würden die man im Parlament
erwartete — und ſie erlagen der Ungunſt der Umſtände. Wenn es auch
Gegner wären! Gegner hat der preußiſche Miniſter bei dieſer Kopfzahl
von Anhängern nicht mehr zu fürchten, er muß ſie wünſchen damit nicht
er und ſeine Freunde immer nöthig haben der Reaction perſönlich entgegen-
zutreten, daß vielmehr eine gewiegte Schaar Redner da iſt, bereit im Ein-
zelgefecht die Lanze mit ihnen zu brechen.
γ Berlin, 5 Febr. Geſtern iſt endlich die langangekündigte öſter-
reichiſche Denkſchrift über eine neue Zolleinigung an das hieſige Cabinet
gelangt, und zwar auf doppeltem Wege: durch Ritter v. Prokeſch und von
den dieſſeitigen Bundescommiſſarien aus Frankfurt. Sie findet, ſoviel ich
erfahren, die wohlgemeinteſte Aufnahme, und man wird den öſterreichiſchen
Intereſſen ſehr gern entgegenkommen, ohne die deutſchen zu verletzen. —
Noch ſind die fünf Regierungs-Commiſſarien welche die Unterhandlungen
unmittelbar mit dem Reichstage in Erfurt zu leiten haben werden, vom
Verwaltungsrathe nicht gewählt. Bezeichnet werden jedoch der jetzige
Naſſau’ſche Bevollmächtigte Vollpracht (als unzweifelhafte Wahl), ſodanu
Hr. v. Radowitz und Hr. v. Bodelſchwingh. Ob Hrn. v. Radowitz’s Stellung
in Frankfurt mit einem ſolchen neuen Mandate wird vereinigt werden
können, das wird jedoch in Zweifel gezogen. Nur eine zeitweilige Vertre-
tung in Frankfurt ſcheint die Uebernahme des neuen Mandats möglich zu
machen, und ſie dürfte wohl auch für die erſten Wochen des Erfurter
Reichstages angeordnet werden. — Der Vollpracht’ſche weitere Vortrag
über die tranſitoriſchen Veränderungsvorſchläge zum Entwurf vom 28 Mai
iſt ſehr mager ausgefallen, und enthält nur ſehr wenige Beſtimmungen. Er
wird in einer der nächſten Sitzungen des Verwaltungsrathes zur Bera-
thung kommen. Auch die Berathung des Berichtes über das gegen Hanno-
ver und Sachſen beim Bundesſchiedsgericht in Erfurt anhängig zu machende
Verfahren ſteht bevor. Wie ich höre hat Preußen, geſtützt auf die einge-
holten Rechtsgutachten, den Beſchwerdeantrag beim Verwaltungsrath ſelbſt
erhoben.
* Poſen, 1 Febr. Von einem ſoeben aus dem Königreich Polen
zurückkehrenden hieſigen Einwohner erfahre ich daß das zwiſchen den
Städten Konin und Kolno ſo ſchnell zuſammengezogene ruſſiſche Armee-
corps zwiſchen 30 und 40,000 Mann ſtart ſey, und daß alles was zur
Mobiliſirung gehört, mit ſolcher Eile betrieben werde als ob die Trup-
pen in nächſter Zeit ins Feld rücken ſollten. Beſonders zahlreich iſt das
Armeecorps mit Artillerie verſehen, die in ganz vortrefflichem Zuſtande
ſeyn ſoll. Ueber die allgemeine Stärke der ruſſiſchen Armee in Polen iſt
es, wie mein Gewährsmann verſichert, unmöglich auch nur annähernd
eine Zahl anzugeben, da die Truppen fortwährend auf Hin- und Hermär-
ſchen begriffen ſeyen, und ſelten länger als acht Tage in einem Stand-
quartier verblieben. Die Recrutirung hatte ihren Fortgang, und die
jungen polniſchen Mannſchaften wurden ſofort nach Rußland ſelbſt diri-
girt, wo ſie wahrſcheinlich in die kaukaſiſche Armee eingereiht werden;
auf den polniſchen Dörfern ſoll man faſt gar keine jungen Männer mehr
ſehen, nur die Juden finden Mittel und Wege ſich der Conſeription zu
entziehen. Die furchtbare Kälte — 30° R. — und die ungebeuern
Schneemaſſen die alle Felder bedecken, machen das Reiſen nicht nur im
Königreich Polen, ſondern auch in unſerer Provinz ſehr gefährlich, indem
hungrige Wölfe ſich überall als Wegelagerer zeigen; in Polen ſind be-
reits mehrere Landleute und Soldaten, auch ein Poſtillon von ihnen zer-
riſſen worden, und vor wenigen Tagen iſt ſogar 3 bis 4 Meilen von hier
die große Poſt von einer Schaar Wölfe angefallen worden, wie heute
officiell angezeigt wird. — Die geſtrige Deputirtenwahl (für Erfurt) hatte
hier einen merkwürdigen Parteienkampf hervorgerufen: die reactionäre
Partei, die durch die Spitzen des ſogenannten Vaterlandsvereins reprä-
ſentirt wird, hatte ungeheure Anſtrengungen gemacht ihren Candidaten,
einen pietiſtiſchen Geiſtlichen, durchzubringen; dennoch trug der geſunde
Sinn der übrigen Wahlmänner, deren überhaupt nur 145 erſchienen wa-
ren, einen entſcheidenden Sieg davon. Unſer ehemaliger verdienſtvoller
Oberpräſident, der Miniſter Flottwell, wurde mit 95 Stimmen zum De-
putirten erwählt, während der gegneriſche Candidat nur 50 Stimmen da-
von trug. Im allgemeinen glaubt man hier aber noch gar nicht an das
Zuſtandekommen des Erfurter Reichstags.
Oeſterreich.
# Wien, 2 Febr. Das Ereigniß im Piräeus, von
dem uns erſt geſtern ſpät Abends die erſte Kunde zukam, tritt in ſeiner ganzen
Grellheit hervor durch die diplomatiſche Correſpondenz welche der heutige
„Lloyd“ in dieſer Beziehung mittheilt. *) Wir haben von Lord Palmer-
ſton wohl ſchon wiederholte Beweiſe von Bravour in brutaler Verhöhnung
des Völkerrechtes erhalten, und die perſiden Tricks mit welchen die engli-
ſche Diplomatie von jeher die Exiſtenz eines ſelbſtändigen Griechenlands
zu untergraben trachtete, um ſich eine Vervollſtändigung ihrer Macht im
Archipel zu ſichern und das arme griechiſche Inſelvolk von der Concurrenz
mit der engliſchen Schifffahrt in den griechiſchen Gewäſſern ſo viel mög-
lich auszuſchließen, ſind nur zu bekannt. Aber ein Unternehmen von ſo
maßloſer Inſolenz und rückſichtsloſem Trotzen auf die Macht des Stärke-
ren iſt in der That in der Geſchichte des modernen Völkerrechts noch kaum
vorgekommen. Dagegen treten wahrlich das Wegführen der däniſchen
Flotte und die übrigen See-Abenteuer ähnlicher Art, in deren Erinne-
rung das Herz des in Beurtheilung fremder Nationen ſo ſtrengen Eng-
länders ſchwillt, faſt in den Hindergrund, denn dort galt es doch den gro-
ßen Zweck des Kampfs gegen Frankreich. Zum Wahrzeichen mag dieß
Ereigniß gut ſeyn für die übrigen Nationen, wie es in Wirklichkeit mit
dem europäiſchen Völkerrecht beſtellt iſt, und ob in der That noch von dem
vielgerühmten politiſchen Gleichgewichte die Rede ſeyn kann, wo das
Fauſtrecht ſo mitten im Frieden dem Nachbar die Thüren einſchlägt. Ge-
wiß ſind Oeſterreich und Deutſchland (wenn dieſes anders exiſtirte!) am
wenigſten in der Lage dem Uebermuthe des brittiſchen Cabinets gleichgültig
zuzuſehen, da ſie ſich nur mit zu viel Grunde ſagen können daß der Schlag
der gegenwärtig in Athen gefallen, im Herzen auf Trieſt und Hamburg
gewiß mit nicht minderem Seelenvergnügen geführt würde. Vorderhand
habe ich aber noch von keinem diplomatiſchen Schritte des hieſigen Cabi-
nets in dieſer Beziehung gehört. Während die Gewalt ſo im nahen
Oſten haust, geht bei uns die Organiſation des Gerichtsweſens fort-
während der Vervollſtändigung entgegen. Dießmal handelt es ſich nur
um Beſetzung der Poſten der Räthe an allen Landesgerichten der älteren
Kronländer. Auch hier hat das Juſtizminiſterium ſorgſame |Beachtung
der Anſprüche der bereits länger dienenden Juſtizbeamten bewieſen. Nur
in Wien ſieht ein nicht geringer Theil der bisherigen Civiljuſtizräthe der
Verſetzung in Ruheſtand entgegen. Das Publicum, das unter den zahl-
reichen Mißbräuchen und Gebrechen der bisherigen ſtädtiſchen Rechtspflege
dahier nicht wenig litt, begrüßt jedoch dieſen Act der gebotenen Strenge
mit ungetheiltem Beifall. Nächſtens ſehen wir auch dem organiſchen
Statut entgegen, durch welches der oberſte Gerichtshof für die ganze Mon-
*) S. Allg. Ztg. vom 5 Febr.
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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