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Allgemeine Zeitung, Nr. 42, 17. Oktober 1914.

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Allgemeine Zeitung 17. Oktober 1914.
[Spaltenumbruch] wohl noch keinem gelungen, Deutschland zu erreichen. Ich habe
mich als Kriegsfreiwilliger auch gemeldet, aber es hat gar keinen
Zweck, zu fahren, denn ich kann weder Deutschland noch mir selbst
etwas dadurch nützen, daß ich mich von den Herren Engländern
gefangen nehmen lasse. Die deutschen Konsuln im Inlande hier
und in Süd- und Mittelamerika scheinen auch ihren Kopf verloren
zu haben, denn sie schicken alle Leute nach hier. Die Menschen
sitzen nun hier in New-York herum, haben kein Geld und keine
Arbeit, denn die hiesigen Firmen, namentlich die deutschen wie
Knauth, Nachod & Kühne, Bankgeschäft, die große Importfirma
Borgfeld usw. haben hunderte von Leuten entlassen, gleich in den
ersten Tagen. Die deutschen Seefahrer auf den englischen Schiffen
sind ebenfalls von den Gesellschaften entlassen worden, so daß hier
unter allen diesen ein ziemliches Elend herrscht. Von allen Seiten
wird man angegangen, und man gibt natürlich gerne, soweit man
kann.

Ich will nun zunächst ein Thema behandeln, das Sie sicher
interessieren wird: die englisch-amerikanischen Zeitungen von
Amerika. Was von Zeitungen nur irgendwie an Gemeinheit und
Schurkigkeit geleistet werden kann, ist hier in den anglo-amerikani-
schen Zeitungen gegenüber Deutschland zu finden. In den ersten
Wochen las man in diesen Zeitungen in 20 Zmtr. hohen Ueber-
schriften nur: Kaiser defeated; Germans beaten; Germans
routed; French Victory.
Und dann folgten lange Beschrei-
bungen von deutschen Grausamkeiten gegenüber Frauen und Kin-
dern. Die Deutschen schnitten Greisen, Frauen und Kindern die
Füße ab, stachen ihnen die Augen aus, rösteten deren Körper über
dem Feuer usw. Die Schuld an diesem Kriege wurde selbstver-
ständlich dem deutschen Kaiser zugeschoben. Der Kronprinz ist schon
dreimal schwer verwundet worden. General von Emmich hat Selbst-
mord begangen, die deutsche Artillerie ist durchaus minderwertig
und Lüttich war diesen Zeitungen nach noch am 20. August nicht
gefallen. Und wenn die Deutschen einen Sieg erfochten hatten, so
fand man die Meldung in einer Ecke versteckt, im kleinsten Druck
wiedergegeben. Dann die riesenhaften amerikanischen Kenntnisse
in der Geographie: "Die Russen wollen über die westfälische Grenze
(ausgerechnet meine schöne Heimat) in Deutschland einfallen.
Osterode im Harz ist bereits von den Russen genommen. Königs-
berg hat sich den Russen ergeben und die Kosacken stehen somit
vor Berlin, da Königsberg "not fery far from Berlin" ist. Die
Tribune druckte vor einigen Tagen einen Artikel ab, den sie irgend-
wo gelesen haben wollte und in dem es nach mehreren dicken setten
Ueberschriften hieß, daß Kaiser Wilhelm Anstalten getroffen habe,
nach Amerika auszuwandern, da er überzeugt sei, den Krieg nie
gewinnen zu können, und damit auch seinen "Posten" als deutscher
Kaiser als verloren betrachte. Er hat größere Besitzungen in
Amerika gekauft und wird demnächst an der Fisth Avenue in New-
York wohnen. Lachen Sie darüber nicht: denn gerade Sie kennen
die Leichtgläubigkeit der Amerikaner in dieser Beziehung, und Sie
wissen, daß nirgendwo in der Welt ein besserer Boden für derartige
Vergiftungsversuche zu finden ist, als gerade hier in Amerika. Den
höchsten Grad der Gemeinheiten aber erreichten die Zeitungen mit
Beschreibungen von Greueltaten und Belästigungen gegenüber den
in Deutschland hängen gebliebenen Amerikanern, wogegen die
Franzosen und Engländer in ihrem Betragen gegenüber den Ameri-
kanern bis ans Ende der Welt gelobt wurden. Ihrem Schreiben
nach ist glücklicherweise die Sache gerade umgekehrt. Mit geball-
ten Fäusten mußte man all diesen Unfug tatenlos über sich er-
gehen lassen, denn in der ersten Zeit brachten auch die hiesigen
deutschen Zeitungen keine positiven Berichte über den Verlauf des
Krieges, denn das deutsche Kabel war zerschnitten. Die Deutschen
riefen eine Protestversammlung nach dem Terrace-Garten ein, wo
auch Berichterstatter der englisch-amerikanischen Presse anwesend
waren, und als einer der Redner das Gebaren dieser Presse brand-
markte und dabei mit dem Finger auf den Reporter der "Sun"
zeigte, da wurde der Kerl totenbleich und zitterte am ganzen Körper;
wahrscheinlich befürchtete er, daß nun die Deutschen eine der von
seiner Zeitung so schön beschriebenen deutschen Torturen an ihm
vollziehen würden.

Etwas geändert hat sich das, seitdem die drahtlose Telegraphie
über Sayville in Tätigkeit treten konnte, insofern wenigstens, als
jetzt die deutschen Zeitungen hier Nachrichten von deutscher Seite
aus bekommen. Die englischen Zeitungen aber haben ihre bis-
herige Tätigkeit beibehalten und der Herald, das gelbrot gefärbte
Evening Telegram und noch einige andere dieser Schundblätter
haben eine Erklärung abgegeben, daß sie keine Nachrichten über
[Spaltenumbruch] Sayville (deutscher Funkenspruch) bringen würden, da er doch aus-
schließlich Lügen seien, die daher kämen.

Lieber Freund! Wenn Sie irgendwelche Verbindungen in
Berlin und anderen Orten Deutschlands haben oder solche suchen
können, um meine Mitteilungen an die dortigen Amerikaner ge-
langen zu lassen, dann tun Sie uns und den Amerikanern den
größten Gefallen damit. Den Standpunkt der Deutschen will ich
Ihnen kurz dahin angeben: Wir machen einen Unterschied zwischen
Amerikanern und der amerikanischen Presse, die hier nicht die
amerikanischen, sondern die englischen Interessen vertritt. Wir
wissen, daß der Amerikaner ein anständiger Mensch ist und eine
anständige Gesinnung hat, wir wissen auch, daß er "fair play"
nicht allein für sich in Anspruch nimmt, sondern es auch für andere
verlangt. Und weil wir das wissen, sollten die Amerikaner sich in
Berlin an ihren Botschafter wenden und ihn veranlassen, dem
Präsidenten zu kabeln, Einspruch dagegen zu erheben, wie die
amerikanische Presse fortgesetzt und wissentlich die Deutschen ver-
leumdet. Sie sollen sich nicht gegen die Kriegsberichterstattung
wenden, -- denn das ist eine Sache, mit der sich die Amerikaner
nicht beschäftigen dürfen und sollen --, aber sie sollen energisch
protestieren gegen die Nachrichten, daß die Amerikaner in Deutsch-
land diesen scheußlichen Behandlungen ausgesetzt gewesen sein
sollen und noch seien. Sie sollten auch dafür sorgen, daß ein solcher
Protest in der amerikanischen Presse publiziert wird, damit das
amerikanische Volk auch die Wahrheit einmal in seiner eigenen
Presse zu lesen bekommt. Was die Kriegsberichterstattung an sich
anbelangt, so wissen wir ganz genau, daß sich die Zeitungen auf
die Berichte stützen müssen, die sie von den Zensoren über Paris
und London bekommen. Wir machen ihnen daraus keinen Vor-
wurf, daß sie aus diesen unwahren Berichten die 20 Zmtr. hohen
Ueberschriften fabrizieren und die deutschen Siegesnachrichten ver-
steckt in kleinstem Druck bringen, wo sie nicht gelesen werden. Das
ist kein "fair play," das ist nicht anständig, sondern ist gemein,
unanständig und des amerikanischen Volkes unwürdig. Der Präsi-
dent hat eine Aufforderung an das amerikanische Volk erlassen, sich
neutral zu verhalten, aber diese Neutralität verlangt man hier nur
von den Deutschen. Die englisch-amerikanische Presse beobachtet
jedenfalls die Neutralität nicht, sondern bricht sie jeden Tag mehr
als einmal. Die Times brachte vor wenigen Tagen einen Leit-
artikel, worin nichts weniger stand, als daß die Amerikaner den
Deutschen auch noch den Krieg erklären sollten. Und jeden Tag
bringen diese Zeitungen Leitartikel, worin dem Wunsche und der
Hoffnung Ausdruck gegeben wird, daß Deutschland in dem Kampfe
unterliegen möge. Die Amerikaner erinnern sich heute nicht mehr
der Tatsache, daß deutsches Blut in Strömen für die amerikanische
Freiheit geflossen ist. Erinnern sich auch nicht mehr der Gemein-
heiten, die ihnen die Engländer zugefügt haben

Eigentlich brauche ich Ihnen ja dies alles nicht zu schreiben,
da gerade Sie die Amerikaner und besonders ihr Pressewesen viel
besser kennen als die Mehrzahl von uns hier. In den letzten Tagen
liest man hier wieder nur Niederlagen der Deutschen um Paris
herum. Des Kronprinzen Armee ist von den amerikanischen Presse-
feldherren nunmehr schon dreimal vollständig vernichtet worden.
In den ersten drei Wochen des Krieges wurden hier von der Presse
nicht weniger als volle 1,200,000 Deutsche in den einzelnen Schlach-
ten getötet und von den Oesterreichern pro Tag mindestens ein
Armeekorps getötet. Das geht abwechselnd; den einen Tag wer-
den die Oesterreicher von den Serben geschlagen und gefangen ge-
nommen und den anderen Tag von den Russen. Letztere haben
Krakau ohne Kampf genommen und stehen nunmehr dicht vor
Breslau.

Uns beiden geht es noch soweit gut. Mittwoch, den 16.,
haben die kaufmännischen Vereine von New-York, d. h. die deut-
schen, einen Abend für das "Rote Kreuz"; der Deutsche Presse-Club
gibt am 28. September zwei Vorstellungen für den gleichen Zweck.
Alles arbeitet, sammelt, schreibt und spricht für's deutsche Vater-
land. Aber wir tun es alle gerne, und auch nach dem Kriege
werden wir unsere Pflicht tun.

Ihnen wünsche ich recht baldige und dauernde Besserung, da-
mit Sie auch mit verhauen helfen können, aber dann nicht zu
knapp, bitte! Ihr
C. S.



Allgemeine Zeitung 17. Oktober 1914.
[Spaltenumbruch] wohl noch keinem gelungen, Deutſchland zu erreichen. Ich habe
mich als Kriegsfreiwilliger auch gemeldet, aber es hat gar keinen
Zweck, zu fahren, denn ich kann weder Deutſchland noch mir ſelbſt
etwas dadurch nützen, daß ich mich von den Herren Engländern
gefangen nehmen laſſe. Die deutſchen Konſuln im Inlande hier
und in Süd- und Mittelamerika ſcheinen auch ihren Kopf verloren
zu haben, denn ſie ſchicken alle Leute nach hier. Die Menſchen
ſitzen nun hier in New-York herum, haben kein Geld und keine
Arbeit, denn die hieſigen Firmen, namentlich die deutſchen wie
Knauth, Nachod & Kühne, Bankgeſchäft, die große Importfirma
Borgfeld uſw. haben hunderte von Leuten entlaſſen, gleich in den
erſten Tagen. Die deutſchen Seefahrer auf den engliſchen Schiffen
ſind ebenfalls von den Geſellſchaften entlaſſen worden, ſo daß hier
unter allen dieſen ein ziemliches Elend herrſcht. Von allen Seiten
wird man angegangen, und man gibt natürlich gerne, ſoweit man
kann.

Ich will nun zunächſt ein Thema behandeln, das Sie ſicher
intereſſieren wird: die engliſch-amerikaniſchen Zeitungen von
Amerika. Was von Zeitungen nur irgendwie an Gemeinheit und
Schurkigkeit geleiſtet werden kann, iſt hier in den anglo-amerikani-
ſchen Zeitungen gegenüber Deutſchland zu finden. In den erſten
Wochen las man in dieſen Zeitungen in 20 Zmtr. hohen Ueber-
ſchriften nur: Kaiser defeated; Germans beaten; Germans
routed; French Victory.
Und dann folgten lange Beſchrei-
bungen von deutſchen Grauſamkeiten gegenüber Frauen und Kin-
dern. Die Deutſchen ſchnitten Greiſen, Frauen und Kindern die
Füße ab, ſtachen ihnen die Augen aus, röſteten deren Körper über
dem Feuer uſw. Die Schuld an dieſem Kriege wurde ſelbſtver-
ſtändlich dem deutſchen Kaiſer zugeſchoben. Der Kronprinz iſt ſchon
dreimal ſchwer verwundet worden. General von Emmich hat Selbſt-
mord begangen, die deutſche Artillerie iſt durchaus minderwertig
und Lüttich war dieſen Zeitungen nach noch am 20. Auguſt nicht
gefallen. Und wenn die Deutſchen einen Sieg erfochten hatten, ſo
fand man die Meldung in einer Ecke verſteckt, im kleinſten Druck
wiedergegeben. Dann die rieſenhaften amerikaniſchen Kenntniſſe
in der Geographie: „Die Ruſſen wollen über die weſtfäliſche Grenze
(ausgerechnet meine ſchöne Heimat) in Deutſchland einfallen.
Oſterode im Harz iſt bereits von den Ruſſen genommen. Königs-
berg hat ſich den Ruſſen ergeben und die Koſacken ſtehen ſomit
vor Berlin, da Königsberg „not fery far from Berlin“ iſt. Die
Tribune druckte vor einigen Tagen einen Artikel ab, den ſie irgend-
wo geleſen haben wollte und in dem es nach mehreren dicken ſetten
Ueberſchriften hieß, daß Kaiſer Wilhelm Anſtalten getroffen habe,
nach Amerika auszuwandern, da er überzeugt ſei, den Krieg nie
gewinnen zu können, und damit auch ſeinen „Poſten“ als deutſcher
Kaiſer als verloren betrachte. Er hat größere Beſitzungen in
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York wohnen. Lachen Sie darüber nicht: denn gerade Sie kennen
die Leichtgläubigkeit der Amerikaner in dieſer Beziehung, und Sie
wiſſen, daß nirgendwo in der Welt ein beſſerer Boden für derartige
Vergiftungsverſuche zu finden iſt, als gerade hier in Amerika. Den
höchſten Grad der Gemeinheiten aber erreichten die Zeitungen mit
Beſchreibungen von Greueltaten und Beläſtigungen gegenüber den
in Deutſchland hängen gebliebenen Amerikanern, wogegen die
Franzoſen und Engländer in ihrem Betragen gegenüber den Ameri-
kanern bis ans Ende der Welt gelobt wurden. Ihrem Schreiben
nach iſt glücklicherweiſe die Sache gerade umgekehrt. Mit geball-
ten Fäuſten mußte man all dieſen Unfug tatenlos über ſich er-
gehen laſſen, denn in der erſten Zeit brachten auch die hieſigen
deutſchen Zeitungen keine poſitiven Berichte über den Verlauf des
Krieges, denn das deutſche Kabel war zerſchnitten. Die Deutſchen
riefen eine Proteſtverſammlung nach dem Terrace-Garten ein, wo
auch Berichterſtatter der engliſch-amerikaniſchen Preſſe anweſend
waren, und als einer der Redner das Gebaren dieſer Preſſe brand-
markte und dabei mit dem Finger auf den Reporter der „Sun“
zeigte, da wurde der Kerl totenbleich und zitterte am ganzen Körper;
wahrſcheinlich befürchtete er, daß nun die Deutſchen eine der von
ſeiner Zeitung ſo ſchön beſchriebenen deutſchen Torturen an ihm
vollziehen würden.

Etwas geändert hat ſich das, ſeitdem die drahtloſe Telegraphie
über Sayville in Tätigkeit treten konnte, inſofern wenigſtens, als
jetzt die deutſchen Zeitungen hier Nachrichten von deutſcher Seite
aus bekommen. Die engliſchen Zeitungen aber haben ihre bis-
herige Tätigkeit beibehalten und der Herald, das gelbrot gefärbte
Evening Telegram und noch einige andere dieſer Schundblätter
haben eine Erklärung abgegeben, daß ſie keine Nachrichten über
[Spaltenumbruch] Sayville (deutſcher Funkenſpruch) bringen würden, da er doch aus-
ſchließlich Lügen ſeien, die daher kämen.

Lieber Freund! Wenn Sie irgendwelche Verbindungen in
Berlin und anderen Orten Deutſchlands haben oder ſolche ſuchen
können, um meine Mitteilungen an die dortigen Amerikaner ge-
langen zu laſſen, dann tun Sie uns und den Amerikanern den
größten Gefallen damit. Den Standpunkt der Deutſchen will ich
Ihnen kurz dahin angeben: Wir machen einen Unterſchied zwiſchen
Amerikanern und der amerikaniſchen Preſſe, die hier nicht die
amerikaniſchen, ſondern die engliſchen Intereſſen vertritt. Wir
wiſſen, daß der Amerikaner ein anſtändiger Menſch iſt und eine
anſtändige Geſinnung hat, wir wiſſen auch, daß er „fair play
nicht allein für ſich in Anſpruch nimmt, ſondern es auch für andere
verlangt. Und weil wir das wiſſen, ſollten die Amerikaner ſich in
Berlin an ihren Botſchafter wenden und ihn veranlaſſen, dem
Präſidenten zu kabeln, Einſpruch dagegen zu erheben, wie die
amerikaniſche Preſſe fortgeſetzt und wiſſentlich die Deutſchen ver-
leumdet. Sie ſollen ſich nicht gegen die Kriegsberichterſtattung
wenden, — denn das iſt eine Sache, mit der ſich die Amerikaner
nicht beſchäftigen dürfen und ſollen —, aber ſie ſollen energiſch
proteſtieren gegen die Nachrichten, daß die Amerikaner in Deutſch-
land dieſen ſcheußlichen Behandlungen ausgeſetzt geweſen ſein
ſollen und noch ſeien. Sie ſollten auch dafür ſorgen, daß ein ſolcher
Proteſt in der amerikaniſchen Preſſe publiziert wird, damit das
amerikaniſche Volk auch die Wahrheit einmal in ſeiner eigenen
Preſſe zu leſen bekommt. Was die Kriegsberichterſtattung an ſich
anbelangt, ſo wiſſen wir ganz genau, daß ſich die Zeitungen auf
die Berichte ſtützen müſſen, die ſie von den Zenſoren über Paris
und London bekommen. Wir machen ihnen daraus keinen Vor-
wurf, daß ſie aus dieſen unwahren Berichten die 20 Zmtr. hohen
Ueberſchriften fabrizieren und die deutſchen Siegesnachrichten ver-
ſteckt in kleinſtem Druck bringen, wo ſie nicht geleſen werden. Das
iſt kein „fair play,“ das iſt nicht anſtändig, ſondern iſt gemein,
unanſtändig und des amerikaniſchen Volkes unwürdig. Der Präſi-
dent hat eine Aufforderung an das amerikaniſche Volk erlaſſen, ſich
neutral zu verhalten, aber dieſe Neutralität verlangt man hier nur
von den Deutſchen. Die engliſch-amerikaniſche Preſſe beobachtet
jedenfalls die Neutralität nicht, ſondern bricht ſie jeden Tag mehr
als einmal. Die Times brachte vor wenigen Tagen einen Leit-
artikel, worin nichts weniger ſtand, als daß die Amerikaner den
Deutſchen auch noch den Krieg erklären ſollten. Und jeden Tag
bringen dieſe Zeitungen Leitartikel, worin dem Wunſche und der
Hoffnung Ausdruck gegeben wird, daß Deutſchland in dem Kampfe
unterliegen möge. Die Amerikaner erinnern ſich heute nicht mehr
der Tatſache, daß deutſches Blut in Strömen für die amerikaniſche
Freiheit gefloſſen iſt. Erinnern ſich auch nicht mehr der Gemein-
heiten, die ihnen die Engländer zugefügt haben

Eigentlich brauche ich Ihnen ja dies alles nicht zu ſchreiben,
da gerade Sie die Amerikaner und beſonders ihr Preſſeweſen viel
beſſer kennen als die Mehrzahl von uns hier. In den letzten Tagen
lieſt man hier wieder nur Niederlagen der Deutſchen um Paris
herum. Des Kronprinzen Armee iſt von den amerikaniſchen Preſſe-
feldherren nunmehr ſchon dreimal vollſtändig vernichtet worden.
In den erſten drei Wochen des Krieges wurden hier von der Preſſe
nicht weniger als volle 1,200,000 Deutſche in den einzelnen Schlach-
ten getötet und von den Oeſterreichern pro Tag mindeſtens ein
Armeekorps getötet. Das geht abwechſelnd; den einen Tag wer-
den die Oeſterreicher von den Serben geſchlagen und gefangen ge-
nommen und den anderen Tag von den Ruſſen. Letztere haben
Krakau ohne Kampf genommen und ſtehen nunmehr dicht vor
Breslau.

Uns beiden geht es noch ſoweit gut. Mittwoch, den 16.,
haben die kaufmänniſchen Vereine von New-York, d. h. die deut-
ſchen, einen Abend für das „Rote Kreuz“; der Deutſche Preſſe-Club
gibt am 28. September zwei Vorſtellungen für den gleichen Zweck.
Alles arbeitet, ſammelt, ſchreibt und ſpricht für’s deutſche Vater-
land. Aber wir tun es alle gerne, und auch nach dem Kriege
werden wir unſere Pflicht tun.

Ihnen wünſche ich recht baldige und dauernde Beſſerung, da-
mit Sie auch mit verhauen helfen können, aber dann nicht zu
knapp, bitte! Ihr
C. S.



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[614/0010] Allgemeine Zeitung 17. Oktober 1914. wohl noch keinem gelungen, Deutſchland zu erreichen. Ich habe mich als Kriegsfreiwilliger auch gemeldet, aber es hat gar keinen Zweck, zu fahren, denn ich kann weder Deutſchland noch mir ſelbſt etwas dadurch nützen, daß ich mich von den Herren Engländern gefangen nehmen laſſe. Die deutſchen Konſuln im Inlande hier und in Süd- und Mittelamerika ſcheinen auch ihren Kopf verloren zu haben, denn ſie ſchicken alle Leute nach hier. Die Menſchen ſitzen nun hier in New-York herum, haben kein Geld und keine Arbeit, denn die hieſigen Firmen, namentlich die deutſchen wie Knauth, Nachod & Kühne, Bankgeſchäft, die große Importfirma Borgfeld uſw. haben hunderte von Leuten entlaſſen, gleich in den erſten Tagen. Die deutſchen Seefahrer auf den engliſchen Schiffen ſind ebenfalls von den Geſellſchaften entlaſſen worden, ſo daß hier unter allen dieſen ein ziemliches Elend herrſcht. Von allen Seiten wird man angegangen, und man gibt natürlich gerne, ſoweit man kann. Ich will nun zunächſt ein Thema behandeln, das Sie ſicher intereſſieren wird: die engliſch-amerikaniſchen Zeitungen von Amerika. Was von Zeitungen nur irgendwie an Gemeinheit und Schurkigkeit geleiſtet werden kann, iſt hier in den anglo-amerikani- ſchen Zeitungen gegenüber Deutſchland zu finden. In den erſten Wochen las man in dieſen Zeitungen in 20 Zmtr. hohen Ueber- ſchriften nur: Kaiser defeated; Germans beaten; Germans routed; French Victory. Und dann folgten lange Beſchrei- bungen von deutſchen Grauſamkeiten gegenüber Frauen und Kin- dern. Die Deutſchen ſchnitten Greiſen, Frauen und Kindern die Füße ab, ſtachen ihnen die Augen aus, röſteten deren Körper über dem Feuer uſw. Die Schuld an dieſem Kriege wurde ſelbſtver- ſtändlich dem deutſchen Kaiſer zugeſchoben. Der Kronprinz iſt ſchon dreimal ſchwer verwundet worden. General von Emmich hat Selbſt- mord begangen, die deutſche Artillerie iſt durchaus minderwertig und Lüttich war dieſen Zeitungen nach noch am 20. Auguſt nicht gefallen. Und wenn die Deutſchen einen Sieg erfochten hatten, ſo fand man die Meldung in einer Ecke verſteckt, im kleinſten Druck wiedergegeben. Dann die rieſenhaften amerikaniſchen Kenntniſſe in der Geographie: „Die Ruſſen wollen über die weſtfäliſche Grenze (ausgerechnet meine ſchöne Heimat) in Deutſchland einfallen. Oſterode im Harz iſt bereits von den Ruſſen genommen. Königs- berg hat ſich den Ruſſen ergeben und die Koſacken ſtehen ſomit vor Berlin, da Königsberg „not fery far from Berlin“ iſt. Die Tribune druckte vor einigen Tagen einen Artikel ab, den ſie irgend- wo geleſen haben wollte und in dem es nach mehreren dicken ſetten Ueberſchriften hieß, daß Kaiſer Wilhelm Anſtalten getroffen habe, nach Amerika auszuwandern, da er überzeugt ſei, den Krieg nie gewinnen zu können, und damit auch ſeinen „Poſten“ als deutſcher Kaiſer als verloren betrachte. Er hat größere Beſitzungen in Amerika gekauft und wird demnächſt an der Fiſth Avenue in New- York wohnen. Lachen Sie darüber nicht: denn gerade Sie kennen die Leichtgläubigkeit der Amerikaner in dieſer Beziehung, und Sie wiſſen, daß nirgendwo in der Welt ein beſſerer Boden für derartige Vergiftungsverſuche zu finden iſt, als gerade hier in Amerika. Den höchſten Grad der Gemeinheiten aber erreichten die Zeitungen mit Beſchreibungen von Greueltaten und Beläſtigungen gegenüber den in Deutſchland hängen gebliebenen Amerikanern, wogegen die Franzoſen und Engländer in ihrem Betragen gegenüber den Ameri- kanern bis ans Ende der Welt gelobt wurden. Ihrem Schreiben nach iſt glücklicherweiſe die Sache gerade umgekehrt. Mit geball- ten Fäuſten mußte man all dieſen Unfug tatenlos über ſich er- gehen laſſen, denn in der erſten Zeit brachten auch die hieſigen deutſchen Zeitungen keine poſitiven Berichte über den Verlauf des Krieges, denn das deutſche Kabel war zerſchnitten. Die Deutſchen riefen eine Proteſtverſammlung nach dem Terrace-Garten ein, wo auch Berichterſtatter der engliſch-amerikaniſchen Preſſe anweſend waren, und als einer der Redner das Gebaren dieſer Preſſe brand- markte und dabei mit dem Finger auf den Reporter der „Sun“ zeigte, da wurde der Kerl totenbleich und zitterte am ganzen Körper; wahrſcheinlich befürchtete er, daß nun die Deutſchen eine der von ſeiner Zeitung ſo ſchön beſchriebenen deutſchen Torturen an ihm vollziehen würden. Etwas geändert hat ſich das, ſeitdem die drahtloſe Telegraphie über Sayville in Tätigkeit treten konnte, inſofern wenigſtens, als jetzt die deutſchen Zeitungen hier Nachrichten von deutſcher Seite aus bekommen. Die engliſchen Zeitungen aber haben ihre bis- herige Tätigkeit beibehalten und der Herald, das gelbrot gefärbte Evening Telegram und noch einige andere dieſer Schundblätter haben eine Erklärung abgegeben, daß ſie keine Nachrichten über Sayville (deutſcher Funkenſpruch) bringen würden, da er doch aus- ſchließlich Lügen ſeien, die daher kämen. Lieber Freund! Wenn Sie irgendwelche Verbindungen in Berlin und anderen Orten Deutſchlands haben oder ſolche ſuchen können, um meine Mitteilungen an die dortigen Amerikaner ge- langen zu laſſen, dann tun Sie uns und den Amerikanern den größten Gefallen damit. Den Standpunkt der Deutſchen will ich Ihnen kurz dahin angeben: Wir machen einen Unterſchied zwiſchen Amerikanern und der amerikaniſchen Preſſe, die hier nicht die amerikaniſchen, ſondern die engliſchen Intereſſen vertritt. Wir wiſſen, daß der Amerikaner ein anſtändiger Menſch iſt und eine anſtändige Geſinnung hat, wir wiſſen auch, daß er „fair play“ nicht allein für ſich in Anſpruch nimmt, ſondern es auch für andere verlangt. Und weil wir das wiſſen, ſollten die Amerikaner ſich in Berlin an ihren Botſchafter wenden und ihn veranlaſſen, dem Präſidenten zu kabeln, Einſpruch dagegen zu erheben, wie die amerikaniſche Preſſe fortgeſetzt und wiſſentlich die Deutſchen ver- leumdet. Sie ſollen ſich nicht gegen die Kriegsberichterſtattung wenden, — denn das iſt eine Sache, mit der ſich die Amerikaner nicht beſchäftigen dürfen und ſollen —, aber ſie ſollen energiſch proteſtieren gegen die Nachrichten, daß die Amerikaner in Deutſch- land dieſen ſcheußlichen Behandlungen ausgeſetzt geweſen ſein ſollen und noch ſeien. Sie ſollten auch dafür ſorgen, daß ein ſolcher Proteſt in der amerikaniſchen Preſſe publiziert wird, damit das amerikaniſche Volk auch die Wahrheit einmal in ſeiner eigenen Preſſe zu leſen bekommt. Was die Kriegsberichterſtattung an ſich anbelangt, ſo wiſſen wir ganz genau, daß ſich die Zeitungen auf die Berichte ſtützen müſſen, die ſie von den Zenſoren über Paris und London bekommen. Wir machen ihnen daraus keinen Vor- wurf, daß ſie aus dieſen unwahren Berichten die 20 Zmtr. hohen Ueberſchriften fabrizieren und die deutſchen Siegesnachrichten ver- ſteckt in kleinſtem Druck bringen, wo ſie nicht geleſen werden. Das iſt kein „fair play,“ das iſt nicht anſtändig, ſondern iſt gemein, unanſtändig und des amerikaniſchen Volkes unwürdig. Der Präſi- dent hat eine Aufforderung an das amerikaniſche Volk erlaſſen, ſich neutral zu verhalten, aber dieſe Neutralität verlangt man hier nur von den Deutſchen. Die engliſch-amerikaniſche Preſſe beobachtet jedenfalls die Neutralität nicht, ſondern bricht ſie jeden Tag mehr als einmal. Die Times brachte vor wenigen Tagen einen Leit- artikel, worin nichts weniger ſtand, als daß die Amerikaner den Deutſchen auch noch den Krieg erklären ſollten. Und jeden Tag bringen dieſe Zeitungen Leitartikel, worin dem Wunſche und der Hoffnung Ausdruck gegeben wird, daß Deutſchland in dem Kampfe unterliegen möge. Die Amerikaner erinnern ſich heute nicht mehr der Tatſache, daß deutſches Blut in Strömen für die amerikaniſche Freiheit gefloſſen iſt. Erinnern ſich auch nicht mehr der Gemein- heiten, die ihnen die Engländer zugefügt haben Eigentlich brauche ich Ihnen ja dies alles nicht zu ſchreiben, da gerade Sie die Amerikaner und beſonders ihr Preſſeweſen viel beſſer kennen als die Mehrzahl von uns hier. In den letzten Tagen lieſt man hier wieder nur Niederlagen der Deutſchen um Paris herum. Des Kronprinzen Armee iſt von den amerikaniſchen Preſſe- feldherren nunmehr ſchon dreimal vollſtändig vernichtet worden. In den erſten drei Wochen des Krieges wurden hier von der Preſſe nicht weniger als volle 1,200,000 Deutſche in den einzelnen Schlach- ten getötet und von den Oeſterreichern pro Tag mindeſtens ein Armeekorps getötet. Das geht abwechſelnd; den einen Tag wer- den die Oeſterreicher von den Serben geſchlagen und gefangen ge- nommen und den anderen Tag von den Ruſſen. Letztere haben Krakau ohne Kampf genommen und ſtehen nunmehr dicht vor Breslau. Uns beiden geht es noch ſoweit gut. Mittwoch, den 16., haben die kaufmänniſchen Vereine von New-York, d. h. die deut- ſchen, einen Abend für das „Rote Kreuz“; der Deutſche Preſſe-Club gibt am 28. September zwei Vorſtellungen für den gleichen Zweck. Alles arbeitet, ſammelt, ſchreibt und ſpricht für’s deutſche Vater- land. Aber wir tun es alle gerne, und auch nach dem Kriege werden wir unſere Pflicht tun. Ihnen wünſche ich recht baldige und dauernde Beſſerung, da- mit Sie auch mit verhauen helfen können, aber dann nicht zu knapp, bitte! Ihr C. S.

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2023-04-27T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 42, 17. Oktober 1914, S. 614. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine42_1914/10>, abgerufen am 03.12.2024.