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Allgemeine Zeitung, Nr. 45, 14. Februar 1871.

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[Spaltenumbruch] geschichtliche von Dr. Wilhelm Scherer, beide in Wien, bearbeitet. Es lag
in der Natur des Gegenstandes daß die letztere Aufgabe lohnender aus-
fallen mußte als die erstere. Bei einem verhältnißmäßig so kleinen Land-
striche wie das Elsaß, der noch nicht einmal einen politischen Complex bil-
dete, können historische Ereignisse in der Regel erst in zweiter Linie in Be-
tracht kommen. Vielleicht würde es zum Vortheil dieses Theiles gereicht
haben wenn die allgemein politischen Verhältnisse des deutschen Reichs
etwas ausführlicher entwickelt worden wären. Die Bekanntschaft mit
ihnen ist überall vorausgesetzt, so daß die localgeschichtlichen Berührungs-
punkte nicht immer in ihrer vollen Klarheit zu Tage treten. Bei den cul-
turhistorischen Bildern wird dieser Mangel weniger fühlbar. Hier sind es
wichtige Höhepunkte um die sich die Darstellung dreht, die von ihrer Seite
aus einen weitstrahlenden Einfluß auf die Gesammtheitz des Reichs aus-
übten, so daß die gesonderte Betrachtung eher ein abgerundetes Ganzes
bilden konnte.

Die Geschichte der überrheinischen Provinzen, als Wohnsitzen unserer
germanischen Vorfahren, beginnt mit den Zeiten Cäsars und Ariovists.
Aber erst von der Mitte des 5. Jahrhunderts an kann von einem dauernden
Besitze der Germanen gesprochen werden. Der südliche Theil des Elsaßer
Landes wurde von Gliedern alemannischen, der nördliche von solchen frän-
kischen Stammes bewohnt. Anfänglich scheinen die keltischen Ureinwohner
noch ein bedeutendes, wenn auch nicht politisch tonangebendes, Bevölke-
rungselement ausgemacht zu haben. Wenigstens hat sich dem Lande dar-
aus der Name gebildet, der ihm auch noch in den Zeiten ankleben blieb
als das Deutschthum zur vollkommenen und unvermischten Ausbreitung
gekommen war. Das um das 7. Jahrhundert blühende fränkische Herr-
schergeschlecht der Etichonen hatte sich nämlich Herzoge der Elisassen, d. i.
der fremden Bewohner, genannt. Unter den Kaisern machte das Elsaß eine
Zeitlang einen Bestandtheil des von Lothar I gegründeten und nach seinem
Namen benannten, aber rasch zerfallenen Mittelreichs aus, an welches jetzt
nur noch die kleine Provinz Lothringen erinnert. Die darauf folgenden
politischen Schicksale unterscheiden sich nicht wesentlich von denen irgend-
einer andern deutschen Mark. Hin- und hergeworfen von einem Besitzer
zum andern, haben sich im Oberelsaß (Sundgau) am längsten die Habs-
burger als Landgrafen behauptet, während das Niederelsaß einer staats-
rechtlichen Vielgestaltigkeit anheimfiel, aus welcher die auffallend stark ver-
tretenen freien Reichsstädte hervorleuchten. Jn diesen letztern sollte sich
bald ein gewaltiger Schwung geistigen Lebens entfalten. Auf Grundlage
aufgeblühten Wohlstandes und fördernder Wechselwirkung unter einander
sehen wir in diesem Gränzland eine Cultur sich entwickeln wie in keinem
anderen Gebiete des Reichs. Es gemahnt uns traurig beim Anblick der
jetzigen Verwälschung der Gesinnung, wenn wir bemerken daß es gerade
das specifische Deutschthum war welches damals mit gehobener Freudig-
keit und bewußtem Stolze verfochten wurde und in seiner reinsten Form
zu Tage trat. War es doch der elsäßische Mönch Otfried welcher schon
im 9. Jahrhundert durch poetische Verdeutschung der heiligen Bücher in
seiner Evangelien-Harmonie das einzige zu schaffen suchte was nach seiner
Meinung den Landsleuten noch fehle, "daß sie Gottes Lob in ihrer eigenen
Zunge singen;" und ist doch nicht minder als erster deutscher Philosoph,
welcher die Muttersprache zum Ausdruckmittel seiner Lehrthätigkeit machte,
der Mystiker Meister Eckardt (+ 1327) zu Straßburg zu nennen! Was
aber sollen wir weiter sagen von Namen wie Heinrich der Glichesaere,
Sebastian Brandt, Thomas Murner, Reinmar von Hagenau, Gottfried
von Straßburg, Jakob Twinger, und den vielen andern welche Stamm-
säulen einer Literaturepoche waren wie wir Nationalen keine wieder ge-
habt haben! Ja, es war ein hoher Aufschwung germanischer Culturent-
wicklung, dem aber der Umschlag nicht fehlen sollte, der Umschlag welcher
eingeleitet wurde durch die glänzendste Aeußerung des deutschen Geistes,
die Reformation. Straßburg mit seinen thatkräftigen Bürgermeistern
und seinen Theologen stand unter den süddeutschen Reichsstädten in der
reformatorischen Bewegung mit voran. Auch als es galt den neuen Glau-
ben mit den Waffen zu vertheidigen, legte es ein bedeutendes Gewicht in
die Wagschale. Als aber die unglücklichen Ereignisse welche sich an den
Namen des schmalkaldischen Bundes heften ihre niederdrückenden Schat-
ten auszubreiten begannen, da ließ sich die freie Reichsstadt zu einer Hand-
lung hinreißen die man beim schonendsten Urtheil immer als eine bekla-
genswerthe, von religiöser Ueberreiztheit eingeflößte That wird bezeichnen
müssen. Jm Jahre 1546 war es als sich Straßburg beim Anrücken des
Heeres Karls V zum erstenmal um Schutz ihres bedrohten Glaubens gegen
den Kaiser an den allerchristlichsten König Heinrich II von Frankreich
wandte, und das Gesuch unter Betonung der immer gepflegten freundnach-
barlichen Beziehungen, hauptsächlich durch den Hinweis zu bekräftigen
suchte wie gefährlich ein übermächtiges Kaiserthum für Frankreich selbst
werden könne. Mit Eifer wurde diese Gelegenheit von Heinrich II er-
griffen die Straßburger seiner stets bereiten Fürsorge zu versichern, wel-
[Spaltenumbruch] cher Gesinnung er durch Bewilligung einer Subsidienanleihe von 80,000
Goldthalern Ausdruck zu verleihen suchte. Jndessen erfüllte diese Unter-
stützung nicht ihren Zweck, sie verhinderte die schimpfliche Demüthigung
der Straßburger Abgesandten im Heerlager Karls V zu Nördlingen nicht,
und ebensowenig, die Einführung des so genannten Jnterims, durch das die
Reformation lahmgelegt, und die Hauptvorkämpfer derselben im Elsaß, die
Prediger Butzer und Fagius, in die Fremde zu wandern gezwungen wurden.
Es folgte eine trübe, unerquickliche Epoche, die sich erst nach Abschluß des
Augsburger Religionsfriedens (1555) wieder zu bessern begann. Der Plan
Heinrichs II, sich schon damals der Stadt durch einen Handstreich zu bemächti-
gen, scheiterte an der Vorsicht und Wachsamkeit der Bürger, aber nichts-
destoweniger vollzog sich um diese Zeit etwas westlicher die erste jener ver-
hängnißvollen Abtrennungen vom Reiche, welche dem Raube der übrigen
Ländertheile den Boden ebnete. Metz, Toul und Verdun fielen durch
einen Subsidienvertrag, welchen Moriz von Sachsen in seinem Krieg gegen
den Kaiser mit Heinrich II abgeschlossen hatte, an Frankreich.

Es ist über diese Ereignisse und ihre bewegenden Ursachen viel ge-
schrieben und gestritten worden, und vielleicht ist man deßhalb noch nicht
zu einer abschließenden Ansicht gekommen, weil man nicht beachtet hat daß
sich hier, wie wir glauben, zwei verschiedene aber in ihrer Art gleich-
berechtigte Geschichtsmomente gegenüberstehen. Jedenfalls können wir
uns nicht zu der Auffassung der HH. Verfasser bekennen, wenn die
ganze Schuld für das Unglück der Abtrennung dem Kaiser aufgebürdet, und
die Handlungen des Landesfürsten und der Städte dadurch zu beschönigen
gesucht werden daß man Karl V. der als "Spanier" selber ein Fremder
gewesen sei, nicht die Lehnstreue zu halten gebraucht habe, und die Bünd-
nisse mit dem Auslande darum gerechtfertigt erschienen. Wir mögen nicht
so unbedenklich jene Auffassung als zutreffend unterschreiben welche sich in
dem Satze ausdrückt: "Für uns Deutsche aber, die wir die Geschichte jener
Zeit zu beschreiben in der Lage sind, ist es eine der tröstlichsten Erschei-
nungen daß wir mit solcher Sicherheit es aussprechen können: der Ge-
danke der Losreißung des herrlichsten Gränzlandes vom deutschen Reiche
nahm seinen Ursprung in dem katholisirenden Fanatismus Karls V, in der
unerträglichen Uebermacht des römischen Kaiserthums, in der Hülflosigkeit
des alten Reiches seine Machtstellung und die Freiheit der Gewissen zu-
gleich und gleichermaßen aufrecht zu erhalten" (S. 218). So unbedingte
Entgegenstellung des römischen Kaiserthums und des deutschen Reichs ist
uns für die damalige Zeit unverständlich. Auch war Karl V. gewiß kein
katholischer Fanatiker. Jhm kam es wesentlich darauf an widerspänstige
Reichsglieder zum Gehorsam zurückzubringen und dabei die Wurzel der
Auflehnung auszurotten. Man kann, den obigen Satz umkehrend, ge-
wiß mit gleichem Recht behaupten: die Schwäche des Reiches sei aus dem
Mangel der kaiserlichen Autorität gegenüber dem anarchischen Reformirungs-
fanatismus des Landesfürstenthums herzuleiten. Es klebte dem Kaiser-
thum als dem weltlichen Richtschwert der christlichen Kirche eben ein kosmo-
politischer Charakter an, der erst später durch die Jdee des nation alen
Kaiserthums
aus dem Felde geschlagen werden konnte. Zwar datiren
die ersten Anfänge zu dieser Jdee aus jener Zeit, aber es wäre viel zu viel
gesagt wenn man behaupten wollte: die protestantischen Fürsten hätten dieses
Ziel klar vor Augen gehabt oder ihren politischen Schwerpunkt darauf ge-
legt. Von seinem Standpunkt aus handelte Karl V. jedenfalls ganz cor-
rect gegen die reformatorische Bewegung zu Felde zu ziehen, wenn ihm
die Geschichte nachher auch nicht Recht gegeben hat. Die Reformation war
nothwendig, aber sie bedingte eben so sehr eine Form der Reichsidee. Für
diese politische Frage hat die Zeit leider keinen Luther aufzuweisen; es
bedurfte eines jahrhundertelangen schweren Einzel- und Massenkampfes,
um nach mannichfachen An- und Rückläufen endlich zu einem Ziele zu ge-
langen, das wir erst in diesen Tagen zur Ueberraschung unserer selbst sich
erfüllen sehen sollten. Der Protestantismus darf es sich jetzt getrost gestehen
daß ihm die Hauptschuld an der Zerrüttung des heiligen römischen
Reiches und nicht minder die unmittelbare Veranlassung zufällt welche die
Entfremdung der westlichen Gränzmark herbeigeführt hat. Sie ist gesühnt
worden in diesen Tagen. Eine protestantische Macht mußte die preisge-
gebenen Güter zurückerwerben, es war eine heilige Schuld, welche gezahlt
werden mußte und welche gezahlt worden ist, so ganz und voll wie es uns
die kühnste Hoffnung nicht hatte eingeben können. Und was sollen wir
noch sagen! Die Zeiten haben sich erfüllt, unser deutsches Volk jauchzt
heute seinem Nationalkaiser zu, der ihm versprochen und bewiesen hat daß
er ihm entgegenzubringen weiß Treue um Treue! Heil uns daß wir
diesen Tag erleben durften!

Der zweite Halbband, dessen Erscheinen noch aussteht, wird die Kata-
strophe des Elsaßes, seine Fremdherrschaft und seine Wiedergewinnung zu
behandeln haben. Die Darstellung sowohl in den geschichtlichen als bei
den culturhistorischen Abschnitten ist eben so fließend wie geistvoll und mit
kunstvoller Heraushebung der Hauptsachen vor den nebensächlichen Mo-

[Spaltenumbruch] geſchichtliche von Dr. Wilhelm Scherer, beide in Wien, bearbeitet. Es lag
in der Natur des Gegenſtandes daß die letztere Aufgabe lohnender aus-
fallen mußte als die erſtere. Bei einem verhältnißmäßig ſo kleinen Land-
ſtriche wie das Elſaß, der noch nicht einmal einen politiſchen Complex bil-
dete, können hiſtoriſche Ereigniſſe in der Regel erſt in zweiter Linie in Be-
tracht kommen. Vielleicht würde es zum Vortheil dieſes Theiles gereicht
haben wenn die allgemein politiſchen Verhältniſſe des deutſchen Reichs
etwas ausführlicher entwickelt worden wären. Die Bekanntſchaft mit
ihnen iſt überall vorausgeſetzt, ſo daß die localgeſchichtlichen Berührungs-
punkte nicht immer in ihrer vollen Klarheit zu Tage treten. Bei den cul-
turhiſtoriſchen Bildern wird dieſer Mangel weniger fühlbar. Hier ſind es
wichtige Höhepunkte um die ſich die Darſtellung dreht, die von ihrer Seite
aus einen weitſtrahlenden Einfluß auf die Geſammtheitz des Reichs aus-
übten, ſo daß die geſonderte Betrachtung eher ein abgerundetes Ganzes
bilden konnte.

Die Geſchichte der überrheiniſchen Provinzen, als Wohnſitzen unſerer
germaniſchen Vorfahren, beginnt mit den Zeiten Cäſars und Arioviſts.
Aber erſt von der Mitte des 5. Jahrhunderts an kann von einem dauernden
Beſitze der Germanen geſprochen werden. Der ſüdliche Theil des Elſaßer
Landes wurde von Gliedern alemanniſchen, der nördliche von ſolchen frän-
kiſchen Stammes bewohnt. Anfänglich ſcheinen die keltiſchen Ureinwohner
noch ein bedeutendes, wenn auch nicht politiſch tonangebendes, Bevölke-
rungselement ausgemacht zu haben. Wenigſtens hat ſich dem Lande dar-
aus der Name gebildet, der ihm auch noch in den Zeiten ankleben blieb
als das Deutſchthum zur vollkommenen und unvermiſchten Ausbreitung
gekommen war. Das um das 7. Jahrhundert blühende fränkiſche Herr-
ſchergeſchlecht der Etichonen hatte ſich nämlich Herzoge der Eliſaſſen, d. i.
der fremden Bewohner, genannt. Unter den Kaiſern machte das Elſaß eine
Zeitlang einen Beſtandtheil des von Lothar I gegründeten und nach ſeinem
Namen benannten, aber raſch zerfallenen Mittelreichs aus, an welches jetzt
nur noch die kleine Provinz Lothringen erinnert. Die darauf folgenden
politiſchen Schickſale unterſcheiden ſich nicht weſentlich von denen irgend-
einer andern deutſchen Mark. Hin- und hergeworfen von einem Beſitzer
zum andern, haben ſich im Oberelſaß (Sundgau) am längſten die Habs-
burger als Landgrafen behauptet, während das Niederelſaß einer ſtaats-
rechtlichen Vielgeſtaltigkeit anheimfiel, aus welcher die auffallend ſtark ver-
tretenen freien Reichsſtädte hervorleuchten. Jn dieſen letztern ſollte ſich
bald ein gewaltiger Schwung geiſtigen Lebens entfalten. Auf Grundlage
aufgeblühten Wohlſtandes und fördernder Wechſelwirkung unter einander
ſehen wir in dieſem Gränzland eine Cultur ſich entwickeln wie in keinem
anderen Gebiete des Reichs. Es gemahnt uns traurig beim Anblick der
jetzigen Verwälſchung der Geſinnung, wenn wir bemerken daß es gerade
das ſpecifiſche Deutſchthum war welches damals mit gehobener Freudig-
keit und bewußtem Stolze verfochten wurde und in ſeiner reinſten Form
zu Tage trat. War es doch der elſäßiſche Mönch Otfried welcher ſchon
im 9. Jahrhundert durch poetiſche Verdeutſchung der heiligen Bücher in
ſeiner Evangelien-Harmonie das einzige zu ſchaffen ſuchte was nach ſeiner
Meinung den Landsleuten noch fehle, „daß ſie Gottes Lob in ihrer eigenen
Zunge ſingen;“ und iſt doch nicht minder als erſter deutſcher Philoſoph,
welcher die Mutterſprache zum Ausdruckmittel ſeiner Lehrthätigkeit machte,
der Myſtiker Meiſter Eckardt († 1327) zu Straßburg zu nennen! Was
aber ſollen wir weiter ſagen von Namen wie Heinrich der Glicheſaere,
Sebaſtian Brandt, Thomas Murner, Reinmar von Hagenau, Gottfried
von Straßburg, Jakob Twinger, und den vielen andern welche Stamm-
ſäulen einer Literaturepoche waren wie wir Nationalen keine wieder ge-
habt haben! Ja, es war ein hoher Aufſchwung germaniſcher Culturent-
wicklung, dem aber der Umſchlag nicht fehlen ſollte, der Umſchlag welcher
eingeleitet wurde durch die glänzendſte Aeußerung des deutſchen Geiſtes,
die Reformation. Straßburg mit ſeinen thatkräftigen Bürgermeiſtern
und ſeinen Theologen ſtand unter den ſüddeutſchen Reichsſtädten in der
reformatoriſchen Bewegung mit voran. Auch als es galt den neuen Glau-
ben mit den Waffen zu vertheidigen, legte es ein bedeutendes Gewicht in
die Wagſchale. Als aber die unglücklichen Ereigniſſe welche ſich an den
Namen des ſchmalkaldiſchen Bundes heften ihre niederdrückenden Schat-
ten auszubreiten begannen, da ließ ſich die freie Reichsſtadt zu einer Hand-
lung hinreißen die man beim ſchonendſten Urtheil immer als eine bekla-
genswerthe, von religiöſer Ueberreiztheit eingeflößte That wird bezeichnen
müſſen. Jm Jahre 1546 war es als ſich Straßburg beim Anrücken des
Heeres Karls V zum erſtenmal um Schutz ihres bedrohten Glaubens gegen
den Kaiſer an den allerchriſtlichſten König Heinrich II von Frankreich
wandte, und das Geſuch unter Betonung der immer gepflegten freundnach-
barlichen Beziehungen, hauptſächlich durch den Hinweis zu bekräftigen
ſuchte wie gefährlich ein übermächtiges Kaiſerthum für Frankreich ſelbſt
werden könne. Mit Eifer wurde dieſe Gelegenheit von Heinrich II er-
griffen die Straßburger ſeiner ſtets bereiten Fürſorge zu verſichern, wel-
[Spaltenumbruch] cher Geſinnung er durch Bewilligung einer Subſidienanleihe von 80,000
Goldthalern Ausdruck zu verleihen ſuchte. Jndeſſen erfüllte dieſe Unter-
ſtützung nicht ihren Zweck, ſie verhinderte die ſchimpfliche Demüthigung
der Straßburger Abgeſandten im Heerlager Karls V zu Nördlingen nicht,
und ebenſowenig, die Einführung des ſo genannten Jnterims, durch das die
Reformation lahmgelegt, und die Hauptvorkämpfer derſelben im Elſaß, die
Prediger Butzer und Fagius, in die Fremde zu wandern gezwungen wurden.
Es folgte eine trübe, unerquickliche Epoche, die ſich erſt nach Abſchluß des
Augsburger Religionsfriedens (1555) wieder zu beſſern begann. Der Plan
Heinrichs II, ſich ſchon damals der Stadt durch einen Handſtreich zu bemächti-
gen, ſcheiterte an der Vorſicht und Wachſamkeit der Bürger, aber nichts-
deſtoweniger vollzog ſich um dieſe Zeit etwas weſtlicher die erſte jener ver-
hängnißvollen Abtrennungen vom Reiche, welche dem Raube der übrigen
Ländertheile den Boden ebnete. Metz, Toul und Verdun fielen durch
einen Subſidienvertrag, welchen Moriz von Sachſen in ſeinem Krieg gegen
den Kaiſer mit Heinrich II abgeſchloſſen hatte, an Frankreich.

Es iſt über dieſe Ereigniſſe und ihre bewegenden Urſachen viel ge-
ſchrieben und geſtritten worden, und vielleicht iſt man deßhalb noch nicht
zu einer abſchließenden Anſicht gekommen, weil man nicht beachtet hat daß
ſich hier, wie wir glauben, zwei verſchiedene aber in ihrer Art gleich-
berechtigte Geſchichtsmomente gegenüberſtehen. Jedenfalls können wir
uns nicht zu der Auffaſſung der HH. Verfaſſer bekennen, wenn die
ganze Schuld für das Unglück der Abtrennung dem Kaiſer aufgebürdet, und
die Handlungen des Landesfürſten und der Städte dadurch zu beſchönigen
geſucht werden daß man Karl V. der als „Spanier“ ſelber ein Fremder
geweſen ſei, nicht die Lehnstreue zu halten gebraucht habe, und die Bünd-
niſſe mit dem Auslande darum gerechtfertigt erſchienen. Wir mögen nicht
ſo unbedenklich jene Auffaſſung als zutreffend unterſchreiben welche ſich in
dem Satze ausdrückt: „Für uns Deutſche aber, die wir die Geſchichte jener
Zeit zu beſchreiben in der Lage ſind, iſt es eine der tröſtlichſten Erſchei-
nungen daß wir mit ſolcher Sicherheit es ausſprechen können: der Ge-
danke der Losreißung des herrlichſten Gränzlandes vom deutſchen Reiche
nahm ſeinen Urſprung in dem katholiſirenden Fanatismus Karls V, in der
unerträglichen Uebermacht des römiſchen Kaiſerthums, in der Hülfloſigkeit
des alten Reiches ſeine Machtſtellung und die Freiheit der Gewiſſen zu-
gleich und gleichermaßen aufrecht zu erhalten“ (S. 218). So unbedingte
Entgegenſtellung des römiſchen Kaiſerthums und des deutſchen Reichs iſt
uns für die damalige Zeit unverſtändlich. Auch war Karl V. gewiß kein
katholiſcher Fanatiker. Jhm kam es weſentlich darauf an widerſpänſtige
Reichsglieder zum Gehorſam zurückzubringen und dabei die Wurzel der
Auflehnung auszurotten. Man kann, den obigen Satz umkehrend, ge-
wiß mit gleichem Recht behaupten: die Schwäche des Reiches ſei aus dem
Mangel der kaiſerlichen Autorität gegenüber dem anarchiſchen Reformirungs-
fanatismus des Landesfürſtenthums herzuleiten. Es klebte dem Kaiſer-
thum als dem weltlichen Richtſchwert der chriſtlichen Kirche eben ein kosmo-
politiſcher Charakter an, der erſt ſpäter durch die Jdee des nation alen
Kaiſerthums
aus dem Felde geſchlagen werden konnte. Zwar datiren
die erſten Anfänge zu dieſer Jdee aus jener Zeit, aber es wäre viel zu viel
geſagt wenn man behaupten wollte: die proteſtantiſchen Fürſten hätten dieſes
Ziel klar vor Augen gehabt oder ihren politiſchen Schwerpunkt darauf ge-
legt. Von ſeinem Standpunkt aus handelte Karl V. jedenfalls ganz cor-
rect gegen die reformatoriſche Bewegung zu Felde zu ziehen, wenn ihm
die Geſchichte nachher auch nicht Recht gegeben hat. Die Reformation war
nothwendig, aber ſie bedingte eben ſo ſehr eine Form der Reichsidee. Für
dieſe politiſche Frage hat die Zeit leider keinen Luther aufzuweiſen; es
bedurfte eines jahrhundertelangen ſchweren Einzel- und Maſſenkampfes,
um nach mannichfachen An- und Rückläufen endlich zu einem Ziele zu ge-
langen, das wir erſt in dieſen Tagen zur Ueberraſchung unſerer ſelbſt ſich
erfüllen ſehen ſollten. Der Proteſtantismus darf es ſich jetzt getroſt geſtehen
daß ihm die Hauptſchuld an der Zerrüttung des heiligen römiſchen
Reiches und nicht minder die unmittelbare Veranlaſſung zufällt welche die
Entfremdung der weſtlichen Gränzmark herbeigeführt hat. Sie iſt geſühnt
worden in dieſen Tagen. Eine proteſtantiſche Macht mußte die preisge-
gebenen Güter zurückerwerben, es war eine heilige Schuld, welche gezahlt
werden mußte und welche gezahlt worden iſt, ſo ganz und voll wie es uns
die kühnſte Hoffnung nicht hatte eingeben können. Und was ſollen wir
noch ſagen! Die Zeiten haben ſich erfüllt, unſer deutſches Volk jauchzt
heute ſeinem Nationalkaiſer zu, der ihm verſprochen und bewieſen hat daß
er ihm entgegenzubringen weiß Treue um Treue! Heil uns daß wir
dieſen Tag erleben durften!

Der zweite Halbband, deſſen Erſcheinen noch ausſteht, wird die Kata-
ſtrophe des Elſaßes, ſeine Fremdherrſchaft und ſeine Wiedergewinnung zu
behandeln haben. Die Darſtellung ſowohl in den geſchichtlichen als bei
den culturhiſtoriſchen Abſchnitten iſt eben ſo fließend wie geiſtvoll und mit
kunſtvoller Heraushebung der Hauptſachen vor den nebenſächlichen Mo-

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[750/0010] geſchichtliche von Dr. Wilhelm Scherer, beide in Wien, bearbeitet. Es lag in der Natur des Gegenſtandes daß die letztere Aufgabe lohnender aus- fallen mußte als die erſtere. Bei einem verhältnißmäßig ſo kleinen Land- ſtriche wie das Elſaß, der noch nicht einmal einen politiſchen Complex bil- dete, können hiſtoriſche Ereigniſſe in der Regel erſt in zweiter Linie in Be- tracht kommen. Vielleicht würde es zum Vortheil dieſes Theiles gereicht haben wenn die allgemein politiſchen Verhältniſſe des deutſchen Reichs etwas ausführlicher entwickelt worden wären. Die Bekanntſchaft mit ihnen iſt überall vorausgeſetzt, ſo daß die localgeſchichtlichen Berührungs- punkte nicht immer in ihrer vollen Klarheit zu Tage treten. Bei den cul- turhiſtoriſchen Bildern wird dieſer Mangel weniger fühlbar. Hier ſind es wichtige Höhepunkte um die ſich die Darſtellung dreht, die von ihrer Seite aus einen weitſtrahlenden Einfluß auf die Geſammtheitz des Reichs aus- übten, ſo daß die geſonderte Betrachtung eher ein abgerundetes Ganzes bilden konnte. Die Geſchichte der überrheiniſchen Provinzen, als Wohnſitzen unſerer germaniſchen Vorfahren, beginnt mit den Zeiten Cäſars und Arioviſts. Aber erſt von der Mitte des 5. Jahrhunderts an kann von einem dauernden Beſitze der Germanen geſprochen werden. Der ſüdliche Theil des Elſaßer Landes wurde von Gliedern alemanniſchen, der nördliche von ſolchen frän- kiſchen Stammes bewohnt. Anfänglich ſcheinen die keltiſchen Ureinwohner noch ein bedeutendes, wenn auch nicht politiſch tonangebendes, Bevölke- rungselement ausgemacht zu haben. Wenigſtens hat ſich dem Lande dar- aus der Name gebildet, der ihm auch noch in den Zeiten ankleben blieb als das Deutſchthum zur vollkommenen und unvermiſchten Ausbreitung gekommen war. Das um das 7. 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Auf Grundlage aufgeblühten Wohlſtandes und fördernder Wechſelwirkung unter einander ſehen wir in dieſem Gränzland eine Cultur ſich entwickeln wie in keinem anderen Gebiete des Reichs. Es gemahnt uns traurig beim Anblick der jetzigen Verwälſchung der Geſinnung, wenn wir bemerken daß es gerade das ſpecifiſche Deutſchthum war welches damals mit gehobener Freudig- keit und bewußtem Stolze verfochten wurde und in ſeiner reinſten Form zu Tage trat. War es doch der elſäßiſche Mönch Otfried welcher ſchon im 9. Jahrhundert durch poetiſche Verdeutſchung der heiligen Bücher in ſeiner Evangelien-Harmonie das einzige zu ſchaffen ſuchte was nach ſeiner Meinung den Landsleuten noch fehle, „daß ſie Gottes Lob in ihrer eigenen Zunge ſingen;“ und iſt doch nicht minder als erſter deutſcher Philoſoph, welcher die Mutterſprache zum Ausdruckmittel ſeiner Lehrthätigkeit machte, der Myſtiker Meiſter Eckardt († 1327) zu Straßburg zu nennen! Was aber ſollen wir weiter ſagen von Namen wie Heinrich der Glicheſaere, Sebaſtian Brandt, Thomas Murner, Reinmar von Hagenau, Gottfried von Straßburg, Jakob Twinger, und den vielen andern welche Stamm- ſäulen einer Literaturepoche waren wie wir Nationalen keine wieder ge- habt haben! Ja, es war ein hoher Aufſchwung germaniſcher Culturent- wicklung, dem aber der Umſchlag nicht fehlen ſollte, der Umſchlag welcher eingeleitet wurde durch die glänzendſte Aeußerung des deutſchen Geiſtes, die Reformation. Straßburg mit ſeinen thatkräftigen Bürgermeiſtern und ſeinen Theologen ſtand unter den ſüddeutſchen Reichsſtädten in der reformatoriſchen Bewegung mit voran. Auch als es galt den neuen Glau- ben mit den Waffen zu vertheidigen, legte es ein bedeutendes Gewicht in die Wagſchale. Als aber die unglücklichen Ereigniſſe welche ſich an den Namen des ſchmalkaldiſchen Bundes heften ihre niederdrückenden Schat- ten auszubreiten begannen, da ließ ſich die freie Reichsſtadt zu einer Hand- lung hinreißen die man beim ſchonendſten Urtheil immer als eine bekla- genswerthe, von religiöſer Ueberreiztheit eingeflößte That wird bezeichnen müſſen. Jm Jahre 1546 war es als ſich Straßburg beim Anrücken des Heeres Karls V zum erſtenmal um Schutz ihres bedrohten Glaubens gegen den Kaiſer an den allerchriſtlichſten König Heinrich II von Frankreich wandte, und das Geſuch unter Betonung der immer gepflegten freundnach- barlichen Beziehungen, hauptſächlich durch den Hinweis zu bekräftigen ſuchte wie gefährlich ein übermächtiges Kaiſerthum für Frankreich ſelbſt werden könne. Mit Eifer wurde dieſe Gelegenheit von Heinrich II er- griffen die Straßburger ſeiner ſtets bereiten Fürſorge zu verſichern, wel- cher Geſinnung er durch Bewilligung einer Subſidienanleihe von 80,000 Goldthalern Ausdruck zu verleihen ſuchte. Jndeſſen erfüllte dieſe Unter- ſtützung nicht ihren Zweck, ſie verhinderte die ſchimpfliche Demüthigung der Straßburger Abgeſandten im Heerlager Karls V zu Nördlingen nicht, und ebenſowenig, die Einführung des ſo genannten Jnterims, durch das die Reformation lahmgelegt, und die Hauptvorkämpfer derſelben im Elſaß, die Prediger Butzer und Fagius, in die Fremde zu wandern gezwungen wurden. Es folgte eine trübe, unerquickliche Epoche, die ſich erſt nach Abſchluß des Augsburger Religionsfriedens (1555) wieder zu beſſern begann. 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Wir mögen nicht ſo unbedenklich jene Auffaſſung als zutreffend unterſchreiben welche ſich in dem Satze ausdrückt: „Für uns Deutſche aber, die wir die Geſchichte jener Zeit zu beſchreiben in der Lage ſind, iſt es eine der tröſtlichſten Erſchei- nungen daß wir mit ſolcher Sicherheit es ausſprechen können: der Ge- danke der Losreißung des herrlichſten Gränzlandes vom deutſchen Reiche nahm ſeinen Urſprung in dem katholiſirenden Fanatismus Karls V, in der unerträglichen Uebermacht des römiſchen Kaiſerthums, in der Hülfloſigkeit des alten Reiches ſeine Machtſtellung und die Freiheit der Gewiſſen zu- gleich und gleichermaßen aufrecht zu erhalten“ (S. 218). So unbedingte Entgegenſtellung des römiſchen Kaiſerthums und des deutſchen Reichs iſt uns für die damalige Zeit unverſtändlich. Auch war Karl V. gewiß kein katholiſcher Fanatiker. Jhm kam es weſentlich darauf an widerſpänſtige Reichsglieder zum Gehorſam zurückzubringen und dabei die Wurzel der Auflehnung auszurotten. Man kann, den obigen Satz umkehrend, ge- wiß mit gleichem Recht behaupten: die Schwäche des Reiches ſei aus dem Mangel der kaiſerlichen Autorität gegenüber dem anarchiſchen Reformirungs- fanatismus des Landesfürſtenthums herzuleiten. Es klebte dem Kaiſer- thum als dem weltlichen Richtſchwert der chriſtlichen Kirche eben ein kosmo- politiſcher Charakter an, der erſt ſpäter durch die Jdee des nation alen Kaiſerthums aus dem Felde geſchlagen werden konnte. Zwar datiren die erſten Anfänge zu dieſer Jdee aus jener Zeit, aber es wäre viel zu viel geſagt wenn man behaupten wollte: die proteſtantiſchen Fürſten hätten dieſes Ziel klar vor Augen gehabt oder ihren politiſchen Schwerpunkt darauf ge- legt. Von ſeinem Standpunkt aus handelte Karl V. jedenfalls ganz cor- rect gegen die reformatoriſche Bewegung zu Felde zu ziehen, wenn ihm die Geſchichte nachher auch nicht Recht gegeben hat. Die Reformation war nothwendig, aber ſie bedingte eben ſo ſehr eine Form der Reichsidee. 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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 45, 14. Februar 1871, S. 750. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine45_1871/10>, abgerufen am 01.06.2024.