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Allgemeine Zeitung, Nr. 45, 14. Februar 1871.

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[Spaltenumbruch] netenhaus über die Aufhebung des Belagerungsstandes in den Küsten-
landen verhandeln. -- Gestern haben unsere Stadtverordneten den Antrag
des Magistrats auf Erhöhung der Einkommensteuer um das doppelte zum
zweitenmal abgelehnt, und den städtischen Haushalts-Etat demgemäß
herabgesetzt.

Oesterreichisch-ungarische Monarchie.

Der Kaiser hat vor seiner Abreise nach Meran
noch den japanischen Handelsminister Nakashima Tsutsio Ro-Kami und
den mit diesem hier verweilenden Fürsten Suieta empfangen. Die beiden
Fremden wurden vom Hofrath v. Gagern eingeführt. Der Kaiser unterhielt
sich mit ihnen in englischer Sprache. -- Jn Meran ist der Kaiser gestern
Nachmittag angekommen. Ein officieller Empfang fand nicht ftatt; der
Kaiser kehrt zur Reichsrathseröffnung nach Wien zurück, die Kaiserin
jedoch bleibt bis Ende März in Meran. -- Einige Wiener Blätter haben
aus den volkswirthschaftlichen Schriften des neuen Handelsministers Dr.
Schäffle Waffen gegen denselben zu schmieden gesucht, in nicht sehr glück-
licher und -- man muß gestehen -- auch nicht sehr loyaler Weise, indem
durch willkürliche Zusammenstellung herausgerissener Sätze dem Angefein-
deten alberne und sogar unsittliche Jdeen untergeschoben wurden. Die
"Wiener Abendpost" nimmt hievon Anlaß das volkswirthschaftliche System
des Professors Schäffle zum Schutze des Ministers Schäffle in kurzen Um-
rissen darzulegen, und schließt diese Auseinandersetzung mit der auf aus-
drücklicher Ermächtigung beruhenden Mittheilung daß der Handelsminister
bei Uebernahme seines Portefeuille's auf das bestimmteste ausgesprochen:
nur österreichische Jnteressen, nicht Reminiscenzen seiner frühern politischen
Parteistellung in Deutschland, können forthin für seine Thätigkeit maß-
gebend sein. "Derselbe wünscht und kann als Handelsminister nur eine
Politik des Friedens und guter Beziehungen zu allen Mächten wün-
schen. Auf den Gang der auswärtigen Politik, welche lediglich Reichs-
angelegenheit ist, kann daher aus der Berufung in das Ministerium
gar nichts geschlossen werden. Die politische Vergangenheit des Hrn.
Ministers im deutschen Parteileben ist durch seine jetzige Stellung
wie durch die äußern Ereignisse eine völlig abgeschlossene, und hat gar keine
andere Bedeutung mehr als diejenige einer erfahrungsmäßigen Gewähr
dafür daß der Hr. Handelsminister seinem neuen großen Vaterlande
genau so unerschrocken treu sein wird wie er es seiner württembergischen
Heimath gewesen ist." -- Jn einem heute veröffentlichten Umlaufschreiben
an die Handels- und Gewerbekammern ruft der Handelsminister, geleitet
von der Ueberzeugung "daß die Pflege der Jndustrie, des Handels und
des Communicationswefens der Staatsverwaltung nur dann gelingen
kann wenn sie hiefür die Mitwirkung der Geschäftswelt und aller Kreise
der betheiligten Bevölkerung eifrig sucht und umfassend findet," diese Unter-
stützung an, und verbindet damit die feste Zusage: daß er selbst keine Mühe
scheuen werde um in allen Fragen von Belang möglichst durch Autopsie
und persönlichen Verkehr die zu seinen verantwortungsvollen Entscheidungen
erforderliche unmittelbare Einsicht zu gewinnen, dem Gang der Geschäfte
einen schnellen Lauf zu geben, alle unberechtigten Sonderinteressen auszu-
schließen, stets dem Fortschritte zu dienen, aber auch alle unreifen Experi-
mente zu vermeiden. "Mögen mir" -- heißt es wörtlich -- "Ew. H. nament-
lich bei der bald bevorstehenden nachdrücklichen Jnangriffnahme der Re-
formen im Gebiete des Eisenbahnwesens, wie solche einen wesentlichen
Bestandtheil des von Sr. k. und k. apostolischen Majestät a. h. genehmigten
volkswirthschaftlichen Programms der Regierung bilden, Jhren ganzen
Beistand leihen!" -- Der Secundogenitur des fürstlichen Hauses Liechten-
stein ist ein erblicher Sitz im Herrenhause verliehen worden.

Großbritaunien.

Das auswärtige Amt veröffentlicht heute die folgende Depesche
Jules Favre's an Lord Granville:


Herr Graf! Von
Hrn. Marshall, welcher persönlich im Auftrage Hrn. Odo Russells kam, habe ich
mündliche Mittheilung über das in Dieppe und Calais erfolgte Eintreffen
bedeutender Sendungen von Lebensmitteln erhalten, welche die Bevölke-
rung von London und die englische Regierung der Bevölkerung von Paris
geschickt haben. Es ist unnöthig Ew. Excellenz zu sagen wie sehr ich durch
diese edelmüthigen Zeichen der Theilnahme gerührt bin. Erlauben Sie mir
in denselben einen Beweis jenes schätzenswerthen Gefühles der Einigkeit
zu sehen welches alle Nationen mit einander verketten sollte, anstatt daß
sie einander bekämpfen und ausrotten. Jhrem intelligenten Heimathslande
blieb es vorbehalten der Welt dieses Beispiel der Theilnahme für Mißge-
schick zu geben. Jch bitte Sie der Dolmetsch meiner Dankbarkeit gegen-
über Jhren Mitbürgern, gegenüber den Bewohnern von London zu sein.
Die Einwohner von Paris haben grausam gelitten und leiden noch immer
sehr, aber sie trösten sich mit dem Gedanken ihre Pflicht gethan zu haben
und durch Beweise von Hochschätzung und Theilnahme belohnt zu werden,
wie Sie ihnen dieselben darzubieten die Güte hatten. Jch habe die Ehre
u. s. w.


Die Königin ist gestern in Windsor ange-
kommen um morgen das Parlament in Person zu eröffnen. Wenn das
mit einer Staatsaction verbundene hösische Gepränge, dessen Vernach-
lässigung der Königin Victoria von gewissen Gesellschaftskreisen, vorab
von den Luxuswaarenhändlern und ihren hoffähigen Kunden, sehr verü belt
[Spaltenumbruch] wurde, da zu dienen kann die schwankende Popularität des Gladstone'schen
Gouvernements zu befestigen, so ist ihm diese Hülfe wohl zu gönnen; denn
es befindet sich in einer bedenklichen Lage, die dadurch nicht erleichtert wird
daß sie den Stempel der frivolen Selbstverschuldung an der Stirn trägt.
Die den "Sympathie wechsel" vorbereitenden journalistischen Leistungen
in der "Edinburgh Review," der auf der ganzen Linie der ministeriellen
Presse ausgetheilte Tagesb efehl der sittlichen Entrüstung gegen die "grau-
samen Eroberungs- und Reactionsgelüste" des deutschen "Feudalismus,"
der sentimentalen Bewunderung der "heroischen Franzosen," als verdienter
Vorkämpfer für Freiheit und Civilisation, die heuchlerische Vorspiegelung
deutsch-russischer Jnvasionsgefahren, von denen England bedroht sein sollte
-- wirkten nach zwei Seiten hin gegen das Jnteresse und, wie wir fürchten --
gegen den Bestand des liberalen Ministeriums. Während sie auf der einen
Seite die Tories zu einer berechneten Agitation für eine sogenannte "Ar-
mee-Neorganisation," d. h. für eine kostspielige Wiederbelebung des Mili-
tarismus ermuthigten, bekräftigten sie die unabhängig-liberale Partei in
ihrem Mißtrauen gegen die Tendenzen des Cabinets. Es stellte sich bald
heraus daß das Feldgeschrei der "Armeereform" in den Regierungskreisen
selbst ein sympathisches Echo weckte. Der alte Whiggeist trug den Sieg
davon über den bürgerlichen Liberalismus. Hr. Bright trat aus dem Ca-
binet, die dadurch veranlaßten Veränderungen in der Verwaltung wurden
ganz im Sinne der Whiginteressen vorgenommen, und erbitterten die
zurückgesetzten unabhängigen Liberalen zu einer Opposition die in
der bevorstehenden Parlamentssession zu einem entscheidenden Aus-
bruche kommen dürfte. So beginnt die Session unter nicht ge-
ringen Schwierigkeiten für die Regierung. Die öffentliche Meinung ist er-
regt, und die Stimmung der politischen Parteien kritisch. Das Geschrei
nach Jntervention für Frankreich ist freilich nicht ernsthaft gemeint. Keine
Partei verlangt eine solche Jntervention, und die große Mehrzahl der
Nation ist überzeugt daß Englands Neutralität von keiner parlamentari-
schen Jntrigue erschüttert werden kann. Aber gleichwohl ist der Teufel
der Armeereorganisation leichtsinnig an die Wand gemalt worden. Die
Reform welche die Radicalen verlangen, besteht in Aufhebung des Officier-
stellenkaufs, der Si necuren und des von dem verantwortlichen Kriegs-
ministerium unabhängigen Obercommando's. Die Tories hoffen einfach
eine Vergrößerung der Armee durchzusetzen, ohne an den Mißbräuchen,
welche zugleich Privilegien der herrschenden Classe sind, zu rütteln.
Hr. Gladstone selbst dagegen hofft durch ein Compromiß durchzuschlüpfen.
Nach allem was man über die Einzelheiten der von der Regierung vor-
bereiteten Bill zur Reform der Armee erfährt, kann diese nach keiner Seite
hin befriedigen. Sie beantragt eine theilweise Abschaffung des Stellen-
kaufs, eine theilweise Beschränkung der Machtvollkommenheit des Obercom-
mando's (Horse-guards), eine theilweise Verschmelzung der Freiwilligen
mit der Miliz zu einer defensiven Reserve, eine theilweise Erhöhung des
Budgets u. s. w. Diese halbe Maßregel wird keine Partei befriedigen.
-- Daß die auswärtigen Fragen in der dießjährigen Parlamentssession
vorherrschen werden, ist um so wahrscheinlicher, als die Tories alles mög-
liche aufbieten um die öffentliche Aufmerksamkeit von den gefürchteten Re-
formeu des Ballot, der Gleichstellung aller Religionsbekenntnisse auf den
Universitäten, der liberalen Ausdehnung des Schulgesetzes u. s. w. abzu-
lenken suchen. Dieß geschieht natürlich am wirksamften durch sensationelle
Kannegießerei über die auswärtigen Angelegenheiten. Auf wüthende
Declamationen gegen Deutschland und auf sympathische Gefühlsergüsse
für Frankreich müssen wir uns daher gefaßt machen. -- Der Fall Gam-
betta's ist an der Börse und im Publicum mit großer Befriedigung aufge-
nommen worden. Man sehnt sich hier aufrichtig nach dem Frieden,
seitdem es sich herausgestellt hat daß der Krieg sich nicht mehr so
gut bezahlt wie am Ende des vergangenen Jahres. Frankreich
hat nur noch für Kriegsbedürfnisse Geld, und der Verbrauch englischer
Waaren in Deutschland hat abgenommen. Der Bericht des Handelsamtes
über den Monat Januar weist zwar eine Vergrößerung der Einfuhr um
9 Mill. Pf. St., aber eine Verringerung der Ausfuhr um 21/2 Mill. im
Ver gleich zu dem Ergebnisse desselben Monats im vergangenen Jahre nach.
-- Dasselbe Amt veröffentlicht einen officiellen Bericht über den Ertrag
der Diamantenausbeute in Südafrika. Jm Jahre 1869 wurden 141 Dia-
manten im Werthe von 7405 Pf. St. nach England eingeführt; im Jahre
1870 schon 5661 im Werthe von 124,910 Pf. St. Vom Januar 1869
bis jetzt 5802 Diamanten im Werthe von 200,000 Pf. St. Die Ausbeute
und der Gewinn waren aber noch viel größer, da ein beträchtlicher Theil
der gewonnenen Diamanten ohne Declaration ausgeführt worden ist. Der
Ertrag der südafrikanischen Diamantenfelder wächst täglich und übt bereits
einen bemerklichen Druck auf den Markt aus. Diamanten sind heute billiger
als vor drei Jahren, und man fürchtet oder hofft daß sie noch bedeutend
in ihrem Werth sinken werden. -- Die Pontus-Conferenz hielt gestern
wieder eine Sitzung, und vertagte sich auf einen später festzusetzenden Tag.

[Spaltenumbruch] netenhaus über die Aufhebung des Belagerungsſtandes in den Küſten-
landen verhandeln. — Geſtern haben unſere Stadtverordneten den Antrag
des Magiſtrats auf Erhöhung der Einkommenſteuer um das doppelte zum
zweitenmal abgelehnt, und den ſtädtiſchen Haushalts-Etat demgemäß
herabgeſetzt.

Oeſterreichiſch-ungariſche Monarchie.

Der Kaiſer hat vor ſeiner Abreiſe nach Meran
noch den japaniſchen Handelsminiſter Nakashima Tſutſio Ro-Kami und
den mit dieſem hier verweilenden Fürſten Suieta empfangen. Die beiden
Fremden wurden vom Hofrath v. Gagern eingeführt. Der Kaiſer unterhielt
ſich mit ihnen in engliſcher Sprache. — Jn Meran iſt der Kaiſer geſtern
Nachmittag angekommen. Ein officieller Empfang fand nicht ftatt; der
Kaiſer kehrt zur Reichsrathseröffnung nach Wien zurück, die Kaiſerin
jedoch bleibt bis Ende März in Meran. — Einige Wiener Blätter haben
aus den volkswirthſchaftlichen Schriften des neuen Handelsminiſters Dr.
Schäffle Waffen gegen denſelben zu ſchmieden geſucht, in nicht ſehr glück-
licher und — man muß geſtehen — auch nicht ſehr loyaler Weiſe, indem
durch willkürliche Zuſammenſtellung herausgeriſſener Sätze dem Angefein-
deten alberne und ſogar unſittliche Jdeen untergeſchoben wurden. Die
„Wiener Abendpoſt“ nimmt hievon Anlaß das volkswirthſchaftliche Syſtem
des Profeſſors Schäffle zum Schutze des Miniſters Schäffle in kurzen Um-
riſſen darzulegen, und ſchließt dieſe Auseinanderſetzung mit der auf aus-
drücklicher Ermächtigung beruhenden Mittheilung daß der Handelsminiſter
bei Uebernahme ſeines Portefeuille’s auf das beſtimmteſte ausgeſprochen:
nur öſterreichiſche Jntereſſen, nicht Reminiſcenzen ſeiner frühern politiſchen
Parteiſtellung in Deutſchland, können forthin für ſeine Thätigkeit maß-
gebend ſein. „Derſelbe wünſcht und kann als Handelsminiſter nur eine
Politik des Friedens und guter Beziehungen zu allen Mächten wün-
ſchen. Auf den Gang der auswärtigen Politik, welche lediglich Reichs-
angelegenheit iſt, kann daher aus der Berufung in das Miniſterium
gar nichts geſchloſſen werden. Die politiſche Vergangenheit des Hrn.
Miniſters im deutſchen Parteileben iſt durch ſeine jetzige Stellung
wie durch die äußern Ereigniſſe eine völlig abgeſchloſſene, und hat gar keine
andere Bedeutung mehr als diejenige einer erfahrungsmäßigen Gewähr
dafür daß der Hr. Handelsminiſter ſeinem neuen großen Vaterlande
genau ſo unerſchrocken treu ſein wird wie er es ſeiner württembergiſchen
Heimath geweſen iſt.“ — Jn einem heute veröffentlichten Umlaufſchreiben
an die Handels- und Gewerbekammern ruft der Handelsminiſter, geleitet
von der Ueberzeugung „daß die Pflege der Jnduſtrie, des Handels und
des Communicationswefens der Staatsverwaltung nur dann gelingen
kann wenn ſie hiefür die Mitwirkung der Geſchäftswelt und aller Kreiſe
der betheiligten Bevölkerung eifrig ſucht und umfaſſend findet,“ dieſe Unter-
ſtützung an, und verbindet damit die feſte Zuſage: daß er ſelbſt keine Mühe
ſcheuen werde um in allen Fragen von Belang möglichſt durch Autopſie
und perſönlichen Verkehr die zu ſeinen verantwortungsvollen Entſcheidungen
erforderliche unmittelbare Einſicht zu gewinnen, dem Gang der Geſchäfte
einen ſchnellen Lauf zu geben, alle unberechtigten Sonderintereſſen auszu-
ſchließen, ſtets dem Fortſchritte zu dienen, aber auch alle unreifen Experi-
mente zu vermeiden. „Mögen mir“ — heißt es wörtlich — „Ew. H. nament-
lich bei der bald bevorſtehenden nachdrücklichen Jnangriffnahme der Re-
formen im Gebiete des Eiſenbahnweſens, wie ſolche einen weſentlichen
Beſtandtheil des von Sr. k. und k. apoſtoliſchen Majeſtät a. h. genehmigten
volkswirthſchaftlichen Programms der Regierung bilden, Jhren ganzen
Beiſtand leihen!“ — Der Secundogenitur des fürſtlichen Hauſes Liechten-
ſtein iſt ein erblicher Sitz im Herrenhauſe verliehen worden.

Großbritaunien.

Das auswärtige Amt veröffentlicht heute die folgende Depeſche
Jules Favre’s an Lord Granville:


Herr Graf! Von
Hrn. Marſhall, welcher perſönlich im Auftrage Hrn. Odo Ruſſells kam, habe ich
mündliche Mittheilung über das in Dieppe und Calais erfolgte Eintreffen
bedeutender Sendungen von Lebensmitteln erhalten, welche die Bevölke-
rung von London und die engliſche Regierung der Bevölkerung von Paris
geſchickt haben. Es iſt unnöthig Ew. Excellenz zu ſagen wie ſehr ich durch
dieſe edelmüthigen Zeichen der Theilnahme gerührt bin. Erlauben Sie mir
in denſelben einen Beweis jenes ſchätzenswerthen Gefühles der Einigkeit
zu ſehen welches alle Nationen mit einander verketten ſollte, anſtatt daß
ſie einander bekämpfen und ausrotten. Jhrem intelligenten Heimathslande
blieb es vorbehalten der Welt dieſes Beiſpiel der Theilnahme für Mißge-
ſchick zu geben. Jch bitte Sie der Dolmetſch meiner Dankbarkeit gegen-
über Jhren Mitbürgern, gegenüber den Bewohnern von London zu ſein.
Die Einwohner von Paris haben grauſam gelitten und leiden noch immer
ſehr, aber ſie tröſten ſich mit dem Gedanken ihre Pflicht gethan zu haben
und durch Beweiſe von Hochſchätzung und Theilnahme belohnt zu werden,
wie Sie ihnen dieſelben darzubieten die Güte hatten. Jch habe die Ehre
u. ſ. w.


Die Königin iſt geſtern in Windſor ange-
kommen um morgen das Parlament in Perſon zu eröffnen. Wenn das
mit einer Staatsaction verbundene höſiſche Gepränge, deſſen Vernach-
läſſigung der Königin Victoria von gewiſſen Geſellſchaftskreiſen, vorab
von den Luxuswaarenhändlern und ihren hoffähigen Kunden, ſehr verü belt
[Spaltenumbruch] wurde, da zu dienen kann die ſchwankende Popularität des Gladſtone’ſchen
Gouvernements zu befeſtigen, ſo iſt ihm dieſe Hülfe wohl zu gönnen; denn
es befindet ſich in einer bedenklichen Lage, die dadurch nicht erleichtert wird
daß ſie den Stempel der frivolen Selbſtverſchuldung an der Stirn trägt.
Die den „Sympathie wechſel“ vorbereitenden journaliſtiſchen Leiſtungen
in der „Edinburgh Review,“ der auf der ganzen Linie der miniſteriellen
Preſſe ausgetheilte Tagesb efehl der ſittlichen Entrüſtung gegen die „grau-
ſamen Eroberungs- und Reactionsgelüſte“ des deutſchen „Feudalismus,“
der ſentimentalen Bewunderung der „heroiſchen Franzoſen,“ als verdienter
Vorkämpfer für Freiheit und Civiliſation, die heuchleriſche Vorſpiegelung
deutſch-ruſſiſcher Jnvaſionsgefahren, von denen England bedroht ſein ſollte
— wirkten nach zwei Seiten hin gegen das Jntereſſe und, wie wir fürchten —
gegen den Beſtand des liberalen Miniſteriums. Während ſie auf der einen
Seite die Tories zu einer berechneten Agitation für eine ſogenannte „Ar-
mee-Neorganiſation,“ d. h. für eine koſtſpielige Wiederbelebung des Mili-
tarismus ermuthigten, bekräftigten ſie die unabhängig-liberale Partei in
ihrem Mißtrauen gegen die Tendenzen des Cabinets. Es ſtellte ſich bald
heraus daß das Feldgeſchrei der „Armeereform“ in den Regierungskreiſen
ſelbſt ein ſympathiſches Echo weckte. Der alte Whiggeiſt trug den Sieg
davon über den bürgerlichen Liberalismus. Hr. Bright trat aus dem Ca-
binet, die dadurch veranlaßten Veränderungen in der Verwaltung wurden
ganz im Sinne der Whigintereſſen vorgenommen, und erbitterten die
zurückgeſetzten unabhängigen Liberalen zu einer Oppoſition die in
der bevorſtehenden Parlamentsſeſſion zu einem entſcheidenden Aus-
bruche kommen dürfte. So beginnt die Seſſion unter nicht ge-
ringen Schwierigkeiten für die Regierung. Die öffentliche Meinung iſt er-
regt, und die Stimmung der politiſchen Parteien kritiſch. Das Geſchrei
nach Jntervention für Frankreich iſt freilich nicht ernſthaft gemeint. Keine
Partei verlangt eine ſolche Jntervention, und die große Mehrzahl der
Nation iſt überzeugt daß Englands Neutralität von keiner parlamentari-
ſchen Jntrigue erſchüttert werden kann. Aber gleichwohl iſt der Teufel
der Armeereorganiſation leichtſinnig an die Wand gemalt worden. Die
Reform welche die Radicalen verlangen, beſteht in Aufhebung des Officier-
ſtellenkaufs, der Si necuren und des von dem verantwortlichen Kriegs-
miniſterium unabhängigen Obercommando’s. Die Tories hoffen einfach
eine Vergrößerung der Armee durchzuſetzen, ohne an den Mißbräuchen,
welche zugleich Privilegien der herrſchenden Claſſe ſind, zu rütteln.
Hr. Gladſtone ſelbſt dagegen hofft durch ein Compromiß durchzuſchlüpfen.
Nach allem was man über die Einzelheiten der von der Regierung vor-
bereiteten Bill zur Reform der Armee erfährt, kann dieſe nach keiner Seite
hin befriedigen. Sie beantragt eine theilweiſe Abſchaffung des Stellen-
kaufs, eine theilweiſe Beſchränkung der Machtvollkommenheit des Obercom-
mando’s (Horse-guards), eine theilweiſe Verſchmelzung der Freiwilligen
mit der Miliz zu einer defenſiven Reſerve, eine theilweiſe Erhöhung des
Budgets u. ſ. w. Dieſe halbe Maßregel wird keine Partei befriedigen.
— Daß die auswärtigen Fragen in der dießjährigen Parlamentsſeſſion
vorherrſchen werden, iſt um ſo wahrſcheinlicher, als die Tories alles mög-
liche aufbieten um die öffentliche Aufmerkſamkeit von den gefürchteten Re-
formeu des Ballot, der Gleichſtellung aller Religionsbekenntniſſe auf den
Univerſitäten, der liberalen Ausdehnung des Schulgeſetzes u. ſ. w. abzu-
lenken ſuchen. Dieß geſchieht natürlich am wirkſamften durch ſenſationelle
Kannegießerei über die auswärtigen Angelegenheiten. Auf wüthende
Declamationen gegen Deutſchland und auf ſympathiſche Gefühlsergüſſe
für Frankreich müſſen wir uns daher gefaßt machen. — Der Fall Gam-
betta’s iſt an der Börſe und im Publicum mit großer Befriedigung aufge-
nommen worden. Man ſehnt ſich hier aufrichtig nach dem Frieden,
ſeitdem es ſich herausgeſtellt hat daß der Krieg ſich nicht mehr ſo
gut bezahlt wie am Ende des vergangenen Jahres. Frankreich
hat nur noch für Kriegsbedürfniſſe Geld, und der Verbrauch engliſcher
Waaren in Deutſchland hat abgenommen. Der Bericht des Handelsamtes
über den Monat Januar weist zwar eine Vergrößerung der Einfuhr um
9 Mill. Pf. St., aber eine Verringerung der Ausfuhr um 2½ Mill. im
Ver gleich zu dem Ergebniſſe desſelben Monats im vergangenen Jahre nach.
— Dasſelbe Amt veröffentlicht einen officiellen Bericht über den Ertrag
der Diamantenausbeute in Südafrika. Jm Jahre 1869 wurden 141 Dia-
manten im Werthe von 7405 Pf. St. nach England eingeführt; im Jahre
1870 ſchon 5661 im Werthe von 124,910 Pf. St. Vom Januar 1869
bis jetzt 5802 Diamanten im Werthe von 200,000 Pf. St. Die Ausbeute
und der Gewinn waren aber noch viel größer, da ein beträchtlicher Theil
der gewonnenen Diamanten ohne Declaration ausgeführt worden iſt. Der
Ertrag der ſüdafrikaniſchen Diamantenfelder wächst täglich und übt bereits
einen bemerklichen Druck auf den Markt aus. Diamanten ſind heute billiger
als vor drei Jahren, und man fürchtet oder hofft daß ſie noch bedeutend
in ihrem Werth ſinken werden. — Die Pontus-Conferenz hielt geſtern
wieder eine Sitzung, und vertagte ſich auf einen ſpäter feſtzuſetzenden Tag.

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[746/0006] netenhaus über die Aufhebung des Belagerungsſtandes in den Küſten- landen verhandeln. — Geſtern haben unſere Stadtverordneten den Antrag des Magiſtrats auf Erhöhung der Einkommenſteuer um das doppelte zum zweitenmal abgelehnt, und den ſtädtiſchen Haushalts-Etat demgemäß herabgeſetzt. Oeſterreichiſch-ungariſche Monarchie. * Wien, 12 Febr. Der Kaiſer hat vor ſeiner Abreiſe nach Meran noch den japaniſchen Handelsminiſter Nakashima Tſutſio Ro-Kami und den mit dieſem hier verweilenden Fürſten Suieta empfangen. Die beiden Fremden wurden vom Hofrath v. Gagern eingeführt. Der Kaiſer unterhielt ſich mit ihnen in engliſcher Sprache. — Jn Meran iſt der Kaiſer geſtern Nachmittag angekommen. Ein officieller Empfang fand nicht ftatt; der Kaiſer kehrt zur Reichsrathseröffnung nach Wien zurück, die Kaiſerin jedoch bleibt bis Ende März in Meran. — Einige Wiener Blätter haben aus den volkswirthſchaftlichen Schriften des neuen Handelsminiſters Dr. Schäffle Waffen gegen denſelben zu ſchmieden geſucht, in nicht ſehr glück- licher und — man muß geſtehen — auch nicht ſehr loyaler Weiſe, indem durch willkürliche Zuſammenſtellung herausgeriſſener Sätze dem Angefein- deten alberne und ſogar unſittliche Jdeen untergeſchoben wurden. Die „Wiener Abendpoſt“ nimmt hievon Anlaß das volkswirthſchaftliche Syſtem des Profeſſors Schäffle zum Schutze des Miniſters Schäffle in kurzen Um- riſſen darzulegen, und ſchließt dieſe Auseinanderſetzung mit der auf aus- drücklicher Ermächtigung beruhenden Mittheilung daß der Handelsminiſter bei Uebernahme ſeines Portefeuille’s auf das beſtimmteſte ausgeſprochen: nur öſterreichiſche Jntereſſen, nicht Reminiſcenzen ſeiner frühern politiſchen Parteiſtellung in Deutſchland, können forthin für ſeine Thätigkeit maß- gebend ſein. „Derſelbe wünſcht und kann als Handelsminiſter nur eine Politik des Friedens und guter Beziehungen zu allen Mächten wün- ſchen. Auf den Gang der auswärtigen Politik, welche lediglich Reichs- angelegenheit iſt, kann daher aus der Berufung in das Miniſterium gar nichts geſchloſſen werden. Die politiſche Vergangenheit des Hrn. Miniſters im deutſchen Parteileben iſt durch ſeine jetzige Stellung wie durch die äußern Ereigniſſe eine völlig abgeſchloſſene, und hat gar keine andere Bedeutung mehr als diejenige einer erfahrungsmäßigen Gewähr dafür daß der Hr. Handelsminiſter ſeinem neuen großen Vaterlande genau ſo unerſchrocken treu ſein wird wie er es ſeiner württembergiſchen Heimath geweſen iſt.“ — Jn einem heute veröffentlichten Umlaufſchreiben an die Handels- und Gewerbekammern ruft der Handelsminiſter, geleitet von der Ueberzeugung „daß die Pflege der Jnduſtrie, des Handels und des Communicationswefens der Staatsverwaltung nur dann gelingen kann wenn ſie hiefür die Mitwirkung der Geſchäftswelt und aller Kreiſe der betheiligten Bevölkerung eifrig ſucht und umfaſſend findet,“ dieſe Unter- ſtützung an, und verbindet damit die feſte Zuſage: daß er ſelbſt keine Mühe ſcheuen werde um in allen Fragen von Belang möglichſt durch Autopſie und perſönlichen Verkehr die zu ſeinen verantwortungsvollen Entſcheidungen erforderliche unmittelbare Einſicht zu gewinnen, dem Gang der Geſchäfte einen ſchnellen Lauf zu geben, alle unberechtigten Sonderintereſſen auszu- ſchließen, ſtets dem Fortſchritte zu dienen, aber auch alle unreifen Experi- mente zu vermeiden. „Mögen mir“ — heißt es wörtlich — „Ew. H. nament- lich bei der bald bevorſtehenden nachdrücklichen Jnangriffnahme der Re- formen im Gebiete des Eiſenbahnweſens, wie ſolche einen weſentlichen Beſtandtheil des von Sr. k. und k. apoſtoliſchen Majeſtät a. h. genehmigten volkswirthſchaftlichen Programms der Regierung bilden, Jhren ganzen Beiſtand leihen!“ — Der Secundogenitur des fürſtlichen Hauſes Liechten- ſtein iſt ein erblicher Sitz im Herrenhauſe verliehen worden. Großbritaunien. London, 10 Febr. Das auswärtige Amt veröffentlicht heute die folgende Depeſche Jules Favre’s an Lord Granville: „Paris, 3 Februar. Herr Graf! Von Hrn. Marſhall, welcher perſönlich im Auftrage Hrn. Odo Ruſſells kam, habe ich mündliche Mittheilung über das in Dieppe und Calais erfolgte Eintreffen bedeutender Sendungen von Lebensmitteln erhalten, welche die Bevölke- rung von London und die engliſche Regierung der Bevölkerung von Paris geſchickt haben. Es iſt unnöthig Ew. Excellenz zu ſagen wie ſehr ich durch dieſe edelmüthigen Zeichen der Theilnahme gerührt bin. Erlauben Sie mir in denſelben einen Beweis jenes ſchätzenswerthen Gefühles der Einigkeit zu ſehen welches alle Nationen mit einander verketten ſollte, anſtatt daß ſie einander bekämpfen und ausrotten. Jhrem intelligenten Heimathslande blieb es vorbehalten der Welt dieſes Beiſpiel der Theilnahme für Mißge- ſchick zu geben. Jch bitte Sie der Dolmetſch meiner Dankbarkeit gegen- über Jhren Mitbürgern, gegenüber den Bewohnern von London zu ſein. Die Einwohner von Paris haben grauſam gelitten und leiden noch immer ſehr, aber ſie tröſten ſich mit dem Gedanken ihre Pflicht gethan zu haben und durch Beweiſe von Hochſchätzung und Theilnahme belohnt zu werden, wie Sie ihnen dieſelben darzubieten die Güte hatten. Jch habe die Ehre u. ſ. w. Jules Favre.“ Δ London, 8 Febr. Die Königin iſt geſtern in Windſor ange- kommen um morgen das Parlament in Perſon zu eröffnen. Wenn das mit einer Staatsaction verbundene höſiſche Gepränge, deſſen Vernach- läſſigung der Königin Victoria von gewiſſen Geſellſchaftskreiſen, vorab von den Luxuswaarenhändlern und ihren hoffähigen Kunden, ſehr verü belt wurde, da zu dienen kann die ſchwankende Popularität des Gladſtone’ſchen Gouvernements zu befeſtigen, ſo iſt ihm dieſe Hülfe wohl zu gönnen; denn es befindet ſich in einer bedenklichen Lage, die dadurch nicht erleichtert wird daß ſie den Stempel der frivolen Selbſtverſchuldung an der Stirn trägt. 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Es ſtellte ſich bald heraus daß das Feldgeſchrei der „Armeereform“ in den Regierungskreiſen ſelbſt ein ſympathiſches Echo weckte. Der alte Whiggeiſt trug den Sieg davon über den bürgerlichen Liberalismus. Hr. Bright trat aus dem Ca- binet, die dadurch veranlaßten Veränderungen in der Verwaltung wurden ganz im Sinne der Whigintereſſen vorgenommen, und erbitterten die zurückgeſetzten unabhängigen Liberalen zu einer Oppoſition die in der bevorſtehenden Parlamentsſeſſion zu einem entſcheidenden Aus- bruche kommen dürfte. So beginnt die Seſſion unter nicht ge- ringen Schwierigkeiten für die Regierung. Die öffentliche Meinung iſt er- regt, und die Stimmung der politiſchen Parteien kritiſch. Das Geſchrei nach Jntervention für Frankreich iſt freilich nicht ernſthaft gemeint. Keine Partei verlangt eine ſolche Jntervention, und die große Mehrzahl der Nation iſt überzeugt daß Englands Neutralität von keiner parlamentari- ſchen Jntrigue erſchüttert werden kann. Aber gleichwohl iſt der Teufel der Armeereorganiſation leichtſinnig an die Wand gemalt worden. Die Reform welche die Radicalen verlangen, beſteht in Aufhebung des Officier- ſtellenkaufs, der Si necuren und des von dem verantwortlichen Kriegs- miniſterium unabhängigen Obercommando’s. Die Tories hoffen einfach eine Vergrößerung der Armee durchzuſetzen, ohne an den Mißbräuchen, welche zugleich Privilegien der herrſchenden Claſſe ſind, zu rütteln. Hr. Gladſtone ſelbſt dagegen hofft durch ein Compromiß durchzuſchlüpfen. Nach allem was man über die Einzelheiten der von der Regierung vor- bereiteten Bill zur Reform der Armee erfährt, kann dieſe nach keiner Seite hin befriedigen. Sie beantragt eine theilweiſe Abſchaffung des Stellen- kaufs, eine theilweiſe Beſchränkung der Machtvollkommenheit des Obercom- mando’s (Horse-guards), eine theilweiſe Verſchmelzung der Freiwilligen mit der Miliz zu einer defenſiven Reſerve, eine theilweiſe Erhöhung des Budgets u. ſ. w. Dieſe halbe Maßregel wird keine Partei befriedigen. — Daß die auswärtigen Fragen in der dießjährigen Parlamentsſeſſion vorherrſchen werden, iſt um ſo wahrſcheinlicher, als die Tories alles mög- liche aufbieten um die öffentliche Aufmerkſamkeit von den gefürchteten Re- formeu des Ballot, der Gleichſtellung aller Religionsbekenntniſſe auf den Univerſitäten, der liberalen Ausdehnung des Schulgeſetzes u. ſ. w. abzu- lenken ſuchen. Dieß geſchieht natürlich am wirkſamften durch ſenſationelle Kannegießerei über die auswärtigen Angelegenheiten. Auf wüthende Declamationen gegen Deutſchland und auf ſympathiſche Gefühlsergüſſe für Frankreich müſſen wir uns daher gefaßt machen. — Der Fall Gam- betta’s iſt an der Börſe und im Publicum mit großer Befriedigung aufge- nommen worden. Man ſehnt ſich hier aufrichtig nach dem Frieden, ſeitdem es ſich herausgeſtellt hat daß der Krieg ſich nicht mehr ſo gut bezahlt wie am Ende des vergangenen Jahres. Frankreich hat nur noch für Kriegsbedürfniſſe Geld, und der Verbrauch engliſcher Waaren in Deutſchland hat abgenommen. Der Bericht des Handelsamtes über den Monat Januar weist zwar eine Vergrößerung der Einfuhr um 9 Mill. Pf. St., aber eine Verringerung der Ausfuhr um 2½ Mill. im Ver gleich zu dem Ergebniſſe desſelben Monats im vergangenen Jahre nach. — Dasſelbe Amt veröffentlicht einen officiellen Bericht über den Ertrag der Diamantenausbeute in Südafrika. Jm Jahre 1869 wurden 141 Dia- manten im Werthe von 7405 Pf. St. nach England eingeführt; im Jahre 1870 ſchon 5661 im Werthe von 124,910 Pf. St. Vom Januar 1869 bis jetzt 5802 Diamanten im Werthe von 200,000 Pf. St. Die Ausbeute und der Gewinn waren aber noch viel größer, da ein beträchtlicher Theil der gewonnenen Diamanten ohne Declaration ausgeführt worden iſt. Der Ertrag der ſüdafrikaniſchen Diamantenfelder wächst täglich und übt bereits einen bemerklichen Druck auf den Markt aus. Diamanten ſind heute billiger als vor drei Jahren, und man fürchtet oder hofft daß ſie noch bedeutend in ihrem Werth ſinken werden. — Die Pontus-Conferenz hielt geſtern wieder eine Sitzung, und vertagte ſich auf einen ſpäter feſtzuſetzenden Tag.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen, Susanne Haaf: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 45, 14. Februar 1871, S. 746. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine45_1871/6>, abgerufen am 13.06.2024.