Allgemeine Zeitung, Nr. 46, 15. Februar 1871.[Spaltenumbruch]
den französischen Geschäftsträger, ein Geleitschein für Hrn. Jules Favre Einiges Interesse erregte die königliche Botschaft über die Hei- Zu den Erklärungen Gladstone's über den Geleitschein macht der ^ London, 10 Febr. Trotz des prachtvollen Frühlingswetters [Spaltenumbruch]
den franzöſiſchen Geſchäftsträger, ein Geleitſchein für Hrn. Jules Favre Einiges Intereſſe erregte die königliche Botſchaft über die Hei- Zu den Erklärungen Gladſtone’s über den Geleitſchein macht der △ London, 10 Febr. Trotz des prachtvollen Frühlingswetters <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div type="jArticle" n="3"> <p><pb facs="#f0006" n="766"/><cb/> den franzöſiſchen Geſchäftsträger, ein Geleitſchein für Hrn. Jules Favre<lb/> durch die preußiſchen Linien nachgeſucht, der es ihm geſtatten würde der<lb/> Londoner Conferenz beizuwohnen. Dieſes Geſuch wurde durch Lord Gran-<lb/> ville und die gütige Vermittlung des deutſchen Botſchafters, Grafen Bern-<lb/> ſtorff, weiter befördert, und die Antwort des Grafen Bismarck gieng dahin:<lb/> daß ein Geleitſchein für Hrn. Jules Favre zu deſſen Verfügung ſtehe, daß<lb/> derſelbe aber abgeholt werden müſſe. Als Grund für letzteres gab Graf<lb/> Bismarck an daß auf einen deutſchen Parlamentär von den Franzoſen ge-<lb/> feuert worden ſei. Ob dieſe Angabe irrig iſt oder nicht, braucht nicht wei-<lb/> ter unterſucht zu werden; genug, der Geleitſchein wurde nicht eingeſchickt,<lb/> und am 13 Jan. wandte ſich Hr. Jules Favre darauf ſelbſt an den Grafen<lb/> Bismarck. Die Antwort war: daß das Geſuch nicht an ihn, ſondern an<lb/> die Militärbehörden gerichtet werden müſſe. Am 18 Jan. ſchrieb Hr. Odo<lb/> Ruſſell an Lord Granville, und erklärte: es ſeien weder von den Militär-<lb/> behörden noch vom Grafen Bismarck in dieſer Angelegenheit Schwierig-<lb/> keiten gemacht worden, und der franzöſiſche Miniſter habe nur um den Ge-<lb/> leitſchein zu erſuchen, ſo werde er ihn erhalten; allein am 22 Jan., als das<lb/> Bombardement von Paris begonnen hatte, erklärten die Militärbehörden<lb/> der deutſchen Armee: niemand könne während des Bombardements die<lb/> Stadt verlaſſen oder von außerhalb in dieſelbe hineingelangen, und<lb/> das iſt ohne Zweifel der Umſtand welcher von einigen als runde Ver-<lb/> weigerung deſſen gedeutet worden iſt was die Deutſchen früher ſelbſt ein-<lb/> geräumt hatten. Es war auch unzweifelhaft eine Weigerung, allein eine<lb/> Weigerung der ein Grund beigefügt war, und zu derſelben Zeit wo die deut-<lb/> ſchen Behörden dieſen Beſcheid ertheilt hatten, oder doch am nächſten Tage,<lb/> denn das war am 23 Jan., ſchrieb Hr. J. Favre: es lägen verſchiedene<lb/> Gründe vor, auf die er nicht im einzelnen eingehen wolle, welche ihn, ganz<lb/> abgeſehen von dem Entſchluſſe der Deutſchen, abhalten würden ſich aus<lb/> der Stadt zu entfernen unter ſo kritiſchen Zeitverhältniſſen wie die welche<lb/> mittlerweile eingetreten. Was die Schritte Lord Granville’s anbetrifft,<lb/> ſo werden dieſelben ganz klar aus den auf den Tiſch des Hauſes nieder-<lb/> gelegten Actenſtücken hervorgehen, welche ſich bald in den Händen der<lb/> Mitglieder des Hauſes befinden werden.“ — Der <hi rendition="#g">Admiralitäts-<lb/> Secretär</hi> machte, auf eine Erkundigung über den Umfang der zur <hi rendition="#g">Ver-<lb/> proviantirung von Paris</hi> zur Verfügung geſtellten Vorräthe, die<lb/> Mittheilung: es ſei gegenwärtig ſo viel Proviant in den Magazinen, daß<lb/> man 2500 Tonnen, im Werthe von 50,000 Pf. St., für Paris abgeben<lb/> könne, ohne den geringſten Nachtheil für den Dienſt der Flotte. (Hört! Hört!)<lb/> In Erwartung der betreffenden Nachfrage habe die Admiralität bedeutende<lb/> Quantitäten Mehl, Zwieback, geſalzenes Rind- und Schweinfleiſch,<lb/> conſervirtes Rindfleiſch, Suppe, Fleiſchextract und conſervirtes Hammel-<lb/> fleiſch, ſowie Schiffe zum Transport desſelben bereit gehalten, und ſobald<lb/> das auswärtige Amt ſein Anſuchen geſtellt, ſei ſofort telegraphiſch<lb/> von der Admiralität Befehl ergangen daß mit Verladung dieſer Schiffe<lb/> begonnen werde. Am 9 d. Nachmittags ſeien darauf der „Tutor,“ der<lb/> „Buffalo“ und der „Helicon“ von Portsmouth, Deptford und Devonport<lb/> nach Dieppe abgegangen. Die „Tamar“ und der „Buzzard“ ſeien im<lb/> Laufe des Tages ebendahin abgeſegelt, und der „Valorous“ ſowie der<lb/> „Lord Paumure“ ſeien für den 11 d. zur Abfahrt gerüſtet. Im Nothfall<lb/> könne die Admiralität noch 1000 Tonnen mehr abgeben.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Einiges Intereſſe erregte die <hi rendition="#g">königliche Botſchaft</hi> über die Hei-<lb/> rath der Prinzeſſin Louiſe, welche von dem Premier dem Hauſe vorgelegt<lb/> wurde. Dieſelbe war der im Oberhaus verleſenen durchaus ähnlich, und<lb/> wurde, wie es Sitte iſt, mit entblößtem Haupte von den Mitgliedern ver-<lb/> nommen. Die Botſchaft wird am 13 d. zur Erwägung kommen. Die<lb/> Vorlage zur Wegräumung der <hi rendition="#g">religiöſen Beſchränkungen</hi> an den<lb/> Univerſitäten <hi rendition="#g">Oxford und Cambridge</hi> wurde darauf von Gladſtone<lb/> eingebracht, motivirt und zum erſtenmal geleſen, und nachdem man mit<lb/> einigen andern Vorlagen ein gleiches gethan, vertagte ſich das Haus.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Zu den Erklärungen Gladſtone’s über den Geleitſchein macht der<lb/> conſervative „Standard“ einen Commentar, der nicht unverdient iſt. <cit><quote>„Die<lb/> Worte des Premier — ſagt das Oppoſitionsblatt — bilden eine gute Probe<lb/> von Hrn. Gladſtone’s oratoriſchem Styl. Sie enthalten nichts was wir<lb/> nicht ſchon vorher wußten, bringen es aber richtig zu Stande die preußi-<lb/> ſche Regierung, deren ehrliches Verfahren in der Anfrage durchaus nicht<lb/> in Zweifel geſtellt war, und überhaupt auch von wenigen nur bezweifelt<lb/> worden wäre wenn Hr. Gladſtone nicht ihre Vertheidigung übernommen<lb/> hätte, des Wortbruches zu überführen.“</quote></cit></p> </div><lb/> <div type="jComment" n="3"> <dateline>△ <hi rendition="#b">London,</hi> 10 Febr.</dateline> <p>Trotz des prachtvollen Frühlingswetters<lb/> war die Zahl der loyalen Unterthanen welche geſtern die königliche Auf-<lb/> fahrt zur Parlamentseröffnung im Park, auf der Straße und vor dem<lb/> Weſtminſterpalaſt erwarteten, viel geringer als in früheren Jahren. Enthu-<lb/> ſiaſtiſche Demonſtrationen, in denen John Bull ſonſt nicht ungeübt zu ſein<lb/> pflegt, fanden, ſo weit wir ſehen und hören konnten, gar nicht ſtatt, was auch<lb/> die Feſtbeſchreiber der Tagespreſſe vernommen zu haben vorgeben. Aber<lb/> wie? Iſt denn die engliſche Loyalität im Erbleichen, und zwar gegenüber „der<lb/> beſten Königin die je auf dem conſtitutionellen Throne Großbritanniens<lb/> geſeſſen,“ wie dieſer Tage der radicale Hr. Locke vor ſeinen Wählern ſagte?<lb/> Wir wiſſen es nicht; aber wir müſſen geſtehen daß die Unbeweglichkeit wo-<lb/> mit das Publikum geſtern die acht blaßgelben Iſabellen trotz der rothen<lb/> mit glänzenden Königskronen verzierten Geſchirre an ſich vorüber trotten<lb/><cb/> ließ, und die geradezu beleidigenden Discuſſionen und Proteſte zu denen<lb/> die erwartete Mitgift der Prinzeſſin Louiſe in weiten Kreiſen der Bevölke-<lb/> rung Anlaß gibt, uns als bedenkliche, den herkömmlichen Anſichten vom<lb/> engliſchen Nationalcharakter ſchroff widerſprechende Zeichen erſcheinen, von<lb/> denen wir nur wünſchen wollen daß ſie ſich nicht als prophetiſche „Zeichen<lb/> der Zeit“ erweiſen mögen. Im „Hauſe der Lords“ dagegen wurde die An-<lb/> kunft der Königin und der Beginn der Hof- und Staatsaction mit viel<lb/> größerem Intereſſe erwartet. Die Peereſſes und die deſignirten Peereſſes hatten<lb/> nicht nur die ihnen zukommenden Sitze vollſtändig eingenommen, ſondern<lb/> auch ihre unberechtigten, der engliſchen Verfaſſung und der lordlichen Haus-<lb/> ordnung nur durch Galanterie und Sitte empfohlenen Töchter und Baſen<lb/> ſo zahlreich mit ſich geführt, und ſo weitläufig herausgeputzt, daß für einen<lb/> deutſchen Zeitungscorreſpondenten, deſſen Nationalität ohnehin in dieſem<lb/> Augenblick nicht faſhionable iſt, kein Plätzchen erübrigt werden konnte.<lb/> Die Leſer werden dieſe Zurückſetzung ebenſo leicht verſchmerzen als wir es<lb/> ſelbſt gethan haben. — Wenn der Telegraph Ihnen die Thronrede wört-<lb/> lich zugeführt, ſo hat die tyranniſche Sitte der Preſſe eine Contribution<lb/> auferlegt die mit der Bedeutung des Actenſtückes kaum im Verhältniß<lb/> ſtehen dürfte. Sie iſt die längſte Rede die je ein engliſches Blatt ſeinem<lb/> Souverän zur Parlamentseröffnung in den Mund gelegt. Wenn man<lb/> nichts zu ſagen hat, oder nichts ſagen will, ſo entledigt man ſich dieſer<lb/> ſchweren Pflicht am beſten dadurch daß man viel ſagt. Dieß iſt denn auch<lb/> mit einer ſo unverfänglichen Volubilität geſchehen, daß eigentlich niemand<lb/> weiß was er aus dem Actenſtück machen ſoll, und ſelbſt Hr. Diſraeli ſich<lb/> den Stoff für eine anſtändige Oppoſitionsrede bei der Adreßdebatte mit<lb/> Umgehung der Thronrede aus der Geſchichte holen mußte. Zwei Drittel<lb/> des Actenſtückes ſind der auswärtigen Politik gewidmet, und davon minde-<lb/> ſtens die Hälfte dem deutſch-franzöſiſchen Kriege. Von dem den inneren<lb/> Angelegenheiten überlaſſenen Drittel müſſen wir eigentlich noch die Haupt-<lb/> paragraphen, welche die Armeereform betreffen, abziehen, denn dieſe werden<lb/> auch noch durch die auswärtige Politik motivirt. Wir ſehen alſo ſchon ganz<lb/> äußerlich daß es die auswärtigen Angelegenheiten ſind welche in der dieß-<lb/> jährigen Seſſion das brittiſche Parlament vorzugsweiſe beſchäftigen werden<lb/> und ſollen. Nicht daß es an der Ankündigung von ſeit lange erwarteten<lb/> heilſamen und nothwendigen Reformen der inneren Politik fehlte! Daran<lb/> iſt im Gegentheil ein ſolcher Ueberfluß, daß die Geſetzgeber weder Zeit<lb/> noch Luſt haben werden um die Verſprechungen der Thronrede zu erfüllen.<lb/> Nicht nur angekündigt, ſondern bereits in die parlamentariſche Tagesord-<lb/> nung eingeſchrieben ſind: die Univerſities Teſt Bill (Oeffnung der Univer-<lb/> ſitäten für alle Glaubensbekenntniſſe) — Bill zur Einführung der geheimen<lb/> Abſtimmung (Ballot) — Schulreform für Schottland — Bill zur Ordnung<lb/> der Trades’-Unions u. ſ. w. von der Regierung; und von unabhängigen<lb/> Mitgliedern: der Antrag auf Abſchaffung des Officierſtellenkaufs in der<lb/> Armee und des vom Kriegsminiſterium unabhängigen und unverantwort-<lb/> lichen Oberbefehlshabers mit ſeinen <hi rendition="#aq">Horse-guards,</hi> von Hrn. Trevelyan —<lb/> auf geſetzliche Gültigkeit der Heirath mit einer Schwägerin (dieſe in jeder<lb/> Seſſion figurirende Bill iſt auch dießmal wieder von Hrn. Chambers an-<lb/> gekündigt) — auf Beſeitigung der engliſchen Staatskirche nach dem Vor-<lb/> bilde Irlands u. ſ. w. u. ſ. w. Die meiſten dieſer Ankündigungen werden<lb/> natürlich fromme Wünſche bleiben. Die Seſſion iſt für die auswärtige<lb/> Politik von Amerika bis nach Rußland und wo möglich noch weiter bis<lb/> nach China und Japan beſtimmt, und das eigentliche parlamentariſche Ge-<lb/> ſchäft, das freilich neben der höheren und niederen Kannegießerei, neben<lb/> den ſympathiſchen und antipathiſchen Gefühlsergüſſen nur gelegentliche<lb/> Beachtung finden kann, wird die durch die verſchiedenartigſten und unred-<lb/> lichſten Motive erzeugte Frage der Armeereform ſein. Daß dieß die ein-<lb/> zige Frage ſei auf welche die kämpfenden Parteien Furcht und Hoffnung<lb/> ſetzen, gieng ſchon aus der geſtrigen Adreßdebatte klar hervor. — Die<lb/> „Times“ bezeichnet nicht mit Unrecht die vorherrſchende Eigenſchaft der<lb/> geſtrigen Debatte als „Unwirklichkeit,“ und ſie ſucht in den redneriſchen<lb/> Leiſtungen nicht nur der Antragſteller, ſondern auch ihrer Opponenten und<lb/> der Parteiführer nichts als „elegante Spielereien,“ mit denen man ſich am<lb/> Vorabend eines ernſten Kampfes die Zeit zu vertreiben ſucht. Charakte-<lb/> riſtiſch war die Rede Diſraeli’s. Seiner Anſicht nach lag vom Anfang an<lb/> die ganze Gefahr des Ausbruches auf der franzöſiſchen Seite, und er will<lb/> daher nicht begreifen können weßhalb England nicht im Verein mit Ruß-<lb/> land, mit dem er ſchon im vergangenen Jahre zur Cooperation gerathen,<lb/> einen wirkſameren Druck ausgeübt, um den damaligen Kaiſer der Franzoſen<lb/> vom Krieg abzuhalten. Dazu hätte freilich die von ihm verlangte „be-<lb/> waffnete Neutralität“ gehört, und es ſei klar daß ſich eine ſolche ohne<lb/> Waffen nicht behaupten laſſe. Das gegenwärtige Cabinet habe aber ge-<lb/> rade ſeinem Verſprechen die Nation zu entwaffnen und ihre Wehrkraft für<lb/> ſo und ſo viele Shillinge und Pence zu ſchwächen ſeinen Amtsantritt<lb/> und ſeine Popularität verdankt. Bei dieſem Punkt wurde Hr. Diſraeli<lb/> ſo erregt, daß er aus der Rolle eines Anſtandsredners fiel und ſeinem Geg-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [766/0006]
den franzöſiſchen Geſchäftsträger, ein Geleitſchein für Hrn. Jules Favre
durch die preußiſchen Linien nachgeſucht, der es ihm geſtatten würde der
Londoner Conferenz beizuwohnen. Dieſes Geſuch wurde durch Lord Gran-
ville und die gütige Vermittlung des deutſchen Botſchafters, Grafen Bern-
ſtorff, weiter befördert, und die Antwort des Grafen Bismarck gieng dahin:
daß ein Geleitſchein für Hrn. Jules Favre zu deſſen Verfügung ſtehe, daß
derſelbe aber abgeholt werden müſſe. Als Grund für letzteres gab Graf
Bismarck an daß auf einen deutſchen Parlamentär von den Franzoſen ge-
feuert worden ſei. Ob dieſe Angabe irrig iſt oder nicht, braucht nicht wei-
ter unterſucht zu werden; genug, der Geleitſchein wurde nicht eingeſchickt,
und am 13 Jan. wandte ſich Hr. Jules Favre darauf ſelbſt an den Grafen
Bismarck. Die Antwort war: daß das Geſuch nicht an ihn, ſondern an
die Militärbehörden gerichtet werden müſſe. Am 18 Jan. ſchrieb Hr. Odo
Ruſſell an Lord Granville, und erklärte: es ſeien weder von den Militär-
behörden noch vom Grafen Bismarck in dieſer Angelegenheit Schwierig-
keiten gemacht worden, und der franzöſiſche Miniſter habe nur um den Ge-
leitſchein zu erſuchen, ſo werde er ihn erhalten; allein am 22 Jan., als das
Bombardement von Paris begonnen hatte, erklärten die Militärbehörden
der deutſchen Armee: niemand könne während des Bombardements die
Stadt verlaſſen oder von außerhalb in dieſelbe hineingelangen, und
das iſt ohne Zweifel der Umſtand welcher von einigen als runde Ver-
weigerung deſſen gedeutet worden iſt was die Deutſchen früher ſelbſt ein-
geräumt hatten. Es war auch unzweifelhaft eine Weigerung, allein eine
Weigerung der ein Grund beigefügt war, und zu derſelben Zeit wo die deut-
ſchen Behörden dieſen Beſcheid ertheilt hatten, oder doch am nächſten Tage,
denn das war am 23 Jan., ſchrieb Hr. J. Favre: es lägen verſchiedene
Gründe vor, auf die er nicht im einzelnen eingehen wolle, welche ihn, ganz
abgeſehen von dem Entſchluſſe der Deutſchen, abhalten würden ſich aus
der Stadt zu entfernen unter ſo kritiſchen Zeitverhältniſſen wie die welche
mittlerweile eingetreten. Was die Schritte Lord Granville’s anbetrifft,
ſo werden dieſelben ganz klar aus den auf den Tiſch des Hauſes nieder-
gelegten Actenſtücken hervorgehen, welche ſich bald in den Händen der
Mitglieder des Hauſes befinden werden.“ — Der Admiralitäts-
Secretär machte, auf eine Erkundigung über den Umfang der zur Ver-
proviantirung von Paris zur Verfügung geſtellten Vorräthe, die
Mittheilung: es ſei gegenwärtig ſo viel Proviant in den Magazinen, daß
man 2500 Tonnen, im Werthe von 50,000 Pf. St., für Paris abgeben
könne, ohne den geringſten Nachtheil für den Dienſt der Flotte. (Hört! Hört!)
In Erwartung der betreffenden Nachfrage habe die Admiralität bedeutende
Quantitäten Mehl, Zwieback, geſalzenes Rind- und Schweinfleiſch,
conſervirtes Rindfleiſch, Suppe, Fleiſchextract und conſervirtes Hammel-
fleiſch, ſowie Schiffe zum Transport desſelben bereit gehalten, und ſobald
das auswärtige Amt ſein Anſuchen geſtellt, ſei ſofort telegraphiſch
von der Admiralität Befehl ergangen daß mit Verladung dieſer Schiffe
begonnen werde. Am 9 d. Nachmittags ſeien darauf der „Tutor,“ der
„Buffalo“ und der „Helicon“ von Portsmouth, Deptford und Devonport
nach Dieppe abgegangen. Die „Tamar“ und der „Buzzard“ ſeien im
Laufe des Tages ebendahin abgeſegelt, und der „Valorous“ ſowie der
„Lord Paumure“ ſeien für den 11 d. zur Abfahrt gerüſtet. Im Nothfall
könne die Admiralität noch 1000 Tonnen mehr abgeben.
Einiges Intereſſe erregte die königliche Botſchaft über die Hei-
rath der Prinzeſſin Louiſe, welche von dem Premier dem Hauſe vorgelegt
wurde. Dieſelbe war der im Oberhaus verleſenen durchaus ähnlich, und
wurde, wie es Sitte iſt, mit entblößtem Haupte von den Mitgliedern ver-
nommen. Die Botſchaft wird am 13 d. zur Erwägung kommen. Die
Vorlage zur Wegräumung der religiöſen Beſchränkungen an den
Univerſitäten Oxford und Cambridge wurde darauf von Gladſtone
eingebracht, motivirt und zum erſtenmal geleſen, und nachdem man mit
einigen andern Vorlagen ein gleiches gethan, vertagte ſich das Haus.
Zu den Erklärungen Gladſtone’s über den Geleitſchein macht der
conſervative „Standard“ einen Commentar, der nicht unverdient iſt. „Die
Worte des Premier — ſagt das Oppoſitionsblatt — bilden eine gute Probe
von Hrn. Gladſtone’s oratoriſchem Styl. Sie enthalten nichts was wir
nicht ſchon vorher wußten, bringen es aber richtig zu Stande die preußi-
ſche Regierung, deren ehrliches Verfahren in der Anfrage durchaus nicht
in Zweifel geſtellt war, und überhaupt auch von wenigen nur bezweifelt
worden wäre wenn Hr. Gladſtone nicht ihre Vertheidigung übernommen
hätte, des Wortbruches zu überführen.“
△ London, 10 Febr. Trotz des prachtvollen Frühlingswetters
war die Zahl der loyalen Unterthanen welche geſtern die königliche Auf-
fahrt zur Parlamentseröffnung im Park, auf der Straße und vor dem
Weſtminſterpalaſt erwarteten, viel geringer als in früheren Jahren. Enthu-
ſiaſtiſche Demonſtrationen, in denen John Bull ſonſt nicht ungeübt zu ſein
pflegt, fanden, ſo weit wir ſehen und hören konnten, gar nicht ſtatt, was auch
die Feſtbeſchreiber der Tagespreſſe vernommen zu haben vorgeben. Aber
wie? Iſt denn die engliſche Loyalität im Erbleichen, und zwar gegenüber „der
beſten Königin die je auf dem conſtitutionellen Throne Großbritanniens
geſeſſen,“ wie dieſer Tage der radicale Hr. Locke vor ſeinen Wählern ſagte?
Wir wiſſen es nicht; aber wir müſſen geſtehen daß die Unbeweglichkeit wo-
mit das Publikum geſtern die acht blaßgelben Iſabellen trotz der rothen
mit glänzenden Königskronen verzierten Geſchirre an ſich vorüber trotten
ließ, und die geradezu beleidigenden Discuſſionen und Proteſte zu denen
die erwartete Mitgift der Prinzeſſin Louiſe in weiten Kreiſen der Bevölke-
rung Anlaß gibt, uns als bedenkliche, den herkömmlichen Anſichten vom
engliſchen Nationalcharakter ſchroff widerſprechende Zeichen erſcheinen, von
denen wir nur wünſchen wollen daß ſie ſich nicht als prophetiſche „Zeichen
der Zeit“ erweiſen mögen. Im „Hauſe der Lords“ dagegen wurde die An-
kunft der Königin und der Beginn der Hof- und Staatsaction mit viel
größerem Intereſſe erwartet. Die Peereſſes und die deſignirten Peereſſes hatten
nicht nur die ihnen zukommenden Sitze vollſtändig eingenommen, ſondern
auch ihre unberechtigten, der engliſchen Verfaſſung und der lordlichen Haus-
ordnung nur durch Galanterie und Sitte empfohlenen Töchter und Baſen
ſo zahlreich mit ſich geführt, und ſo weitläufig herausgeputzt, daß für einen
deutſchen Zeitungscorreſpondenten, deſſen Nationalität ohnehin in dieſem
Augenblick nicht faſhionable iſt, kein Plätzchen erübrigt werden konnte.
Die Leſer werden dieſe Zurückſetzung ebenſo leicht verſchmerzen als wir es
ſelbſt gethan haben. — Wenn der Telegraph Ihnen die Thronrede wört-
lich zugeführt, ſo hat die tyranniſche Sitte der Preſſe eine Contribution
auferlegt die mit der Bedeutung des Actenſtückes kaum im Verhältniß
ſtehen dürfte. Sie iſt die längſte Rede die je ein engliſches Blatt ſeinem
Souverän zur Parlamentseröffnung in den Mund gelegt. Wenn man
nichts zu ſagen hat, oder nichts ſagen will, ſo entledigt man ſich dieſer
ſchweren Pflicht am beſten dadurch daß man viel ſagt. Dieß iſt denn auch
mit einer ſo unverfänglichen Volubilität geſchehen, daß eigentlich niemand
weiß was er aus dem Actenſtück machen ſoll, und ſelbſt Hr. Diſraeli ſich
den Stoff für eine anſtändige Oppoſitionsrede bei der Adreßdebatte mit
Umgehung der Thronrede aus der Geſchichte holen mußte. Zwei Drittel
des Actenſtückes ſind der auswärtigen Politik gewidmet, und davon minde-
ſtens die Hälfte dem deutſch-franzöſiſchen Kriege. Von dem den inneren
Angelegenheiten überlaſſenen Drittel müſſen wir eigentlich noch die Haupt-
paragraphen, welche die Armeereform betreffen, abziehen, denn dieſe werden
auch noch durch die auswärtige Politik motivirt. Wir ſehen alſo ſchon ganz
äußerlich daß es die auswärtigen Angelegenheiten ſind welche in der dieß-
jährigen Seſſion das brittiſche Parlament vorzugsweiſe beſchäftigen werden
und ſollen. Nicht daß es an der Ankündigung von ſeit lange erwarteten
heilſamen und nothwendigen Reformen der inneren Politik fehlte! Daran
iſt im Gegentheil ein ſolcher Ueberfluß, daß die Geſetzgeber weder Zeit
noch Luſt haben werden um die Verſprechungen der Thronrede zu erfüllen.
Nicht nur angekündigt, ſondern bereits in die parlamentariſche Tagesord-
nung eingeſchrieben ſind: die Univerſities Teſt Bill (Oeffnung der Univer-
ſitäten für alle Glaubensbekenntniſſe) — Bill zur Einführung der geheimen
Abſtimmung (Ballot) — Schulreform für Schottland — Bill zur Ordnung
der Trades’-Unions u. ſ. w. von der Regierung; und von unabhängigen
Mitgliedern: der Antrag auf Abſchaffung des Officierſtellenkaufs in der
Armee und des vom Kriegsminiſterium unabhängigen und unverantwort-
lichen Oberbefehlshabers mit ſeinen Horse-guards, von Hrn. Trevelyan —
auf geſetzliche Gültigkeit der Heirath mit einer Schwägerin (dieſe in jeder
Seſſion figurirende Bill iſt auch dießmal wieder von Hrn. Chambers an-
gekündigt) — auf Beſeitigung der engliſchen Staatskirche nach dem Vor-
bilde Irlands u. ſ. w. u. ſ. w. Die meiſten dieſer Ankündigungen werden
natürlich fromme Wünſche bleiben. Die Seſſion iſt für die auswärtige
Politik von Amerika bis nach Rußland und wo möglich noch weiter bis
nach China und Japan beſtimmt, und das eigentliche parlamentariſche Ge-
ſchäft, das freilich neben der höheren und niederen Kannegießerei, neben
den ſympathiſchen und antipathiſchen Gefühlsergüſſen nur gelegentliche
Beachtung finden kann, wird die durch die verſchiedenartigſten und unred-
lichſten Motive erzeugte Frage der Armeereform ſein. Daß dieß die ein-
zige Frage ſei auf welche die kämpfenden Parteien Furcht und Hoffnung
ſetzen, gieng ſchon aus der geſtrigen Adreßdebatte klar hervor. — Die
„Times“ bezeichnet nicht mit Unrecht die vorherrſchende Eigenſchaft der
geſtrigen Debatte als „Unwirklichkeit,“ und ſie ſucht in den redneriſchen
Leiſtungen nicht nur der Antragſteller, ſondern auch ihrer Opponenten und
der Parteiführer nichts als „elegante Spielereien,“ mit denen man ſich am
Vorabend eines ernſten Kampfes die Zeit zu vertreiben ſucht. Charakte-
riſtiſch war die Rede Diſraeli’s. Seiner Anſicht nach lag vom Anfang an
die ganze Gefahr des Ausbruches auf der franzöſiſchen Seite, und er will
daher nicht begreifen können weßhalb England nicht im Verein mit Ruß-
land, mit dem er ſchon im vergangenen Jahre zur Cooperation gerathen,
einen wirkſameren Druck ausgeübt, um den damaligen Kaiſer der Franzoſen
vom Krieg abzuhalten. Dazu hätte freilich die von ihm verlangte „be-
waffnete Neutralität“ gehört, und es ſei klar daß ſich eine ſolche ohne
Waffen nicht behaupten laſſe. Das gegenwärtige Cabinet habe aber ge-
rade ſeinem Verſprechen die Nation zu entwaffnen und ihre Wehrkraft für
ſo und ſo viele Shillinge und Pence zu ſchwächen ſeinen Amtsantritt
und ſeine Popularität verdankt. Bei dieſem Punkt wurde Hr. Diſraeli
ſo erregt, daß er aus der Rolle eines Anſtandsredners fiel und ſeinem Geg-
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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