Allgemeine Zeitung, Nr. 74, 14. März 1848.[Spaltenumbruch]
machte Hr. Buchhändler Duncker der Aeltere darauf aufmerksam daß I Berlin, 11 März. Aus glaubwürdiger Quelle wird ver- Berlin, 9 März. Nach Beendigung der ständischen Ausschuß- -- Berlin, 10 März. Nachdem gestern Nachmittag um 4 Uhr [Spaltenumbruch]
machte Hr. Buchhändler Duncker der Aeltere darauf aufmerkſam daß I Berlin, 11 März. Aus glaubwürdiger Quelle wird ver- ♂ Berlin, 9 März. Nach Beendigung der ſtändiſchen Ausſchuß- — Berlin, 10 März. Nachdem geſtern Nachmittag um 4 Uhr <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div type="jArticle" n="4"> <p><pb facs="#f0004" n="1172"/><cb/> machte Hr. Buchhändler Duncker der Aeltere darauf aufmerkſam daß<lb/> im Jahre 1807, als der Feind im Land geweſen, die Einrichtung<lb/> einer ſolchen Bürgergarde innerhalb acht Tagen bewirkt worden ſey.<lb/> — Eine treffliche Abhandlung über Lamartine in Emil Fernsdorffs<lb/> „Männer und Frauen des Auslandes,“ die ſo eben hier ausgegeben<lb/> worden, wird mit großem Intereſſe geleſen, da die in ſeinem ausge-<lb/> zeichneten Rundſchreiben documentirte Richtung des Dichters und<lb/> Staatsmannes darin mit vieler Kenntniß gewürdigt iſt.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline><hi rendition="#i">I</hi><hi rendition="#b">Berlin,</hi> 11 März.</dateline> <p>Aus glaubwürdiger Quelle wird ver-<lb/> ſichert daß Preußen das Anerbieten Rußlands auf Verlangen ein<lb/><hi rendition="#g">Armeecorps über die dieſſeitigen Gränzen rücken zu laſ-<lb/> ſen abgelehnt habe,</hi> was bei der Bevölkerung außerordentliche<lb/> Freude erregt.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline>♂ <hi rendition="#b">Berlin,</hi> 9 März.</dateline> <p>Nach Beendigung der ſtändiſchen Ausſchuß-<lb/> ſitzungen haben die preußiſchen Abgeordneten, und an ihrer Spitze die<lb/> HH. v. Auerswald, v. Brünneck und Sperling, eine Schrift aufgeſetzt<lb/> in der ſie den Zuſtand der Provinz Preußen nach ihren politiſchen Be-<lb/> dürfniſſen und Wünſchen darlegen und denſelben in einer ſolchen Span-<lb/> nung ſchildern, daß ihm nur durch die Einführung allgemeiner Staats-<lb/> reformen im Sinne der drängenden Zeitforderungen abgeholfen werden<lb/> könne. Dieſe Darlegung ſchließt mit dem Wunſche daß den Abgeord-<lb/> neten ſchon jetzt vergönnt ſeyn möchte bei der Heimkehr in ihre Provinz<lb/> beſtimmte Zuſicherungen des Königs mitbringen zu dürfen, weil ſie ſich<lb/> ſonſt keines günſtigen Empfangs in ihrer Heimath zu erfreuen haben<lb/> würden. Der Wunſch dieſe Schrift dem König in einer beſonderen<lb/> Deputation zu überreichen iſt, ſoviel wir hören, bis jetzt noch nicht er-<lb/> füllt worden. Dagegen hat ſich der König bereits auf das ausdrück-<lb/> lichſte dawider erklärt die Adreſſe perſönlich entgegenzunehmen welche in<lb/> dieſen Tagen in einem Thiergartenzelt (in demſelben in welchem früher<lb/> die Bewegung der Berliner Lichtfreunde ihren Anfang erhalten) von<lb/> einigen hundert Studenten, Kaufleuten und Handwerkern berathen wor-<lb/> den. Die neun Punkte welche in dieſer Adreſſe beantragt werden, ſind:<lb/> unbedingte Preßfreiheit, vollſtändige Redefreiheit, ſofortige und voll-<lb/> ſtändige Amneſtie aller wegen politiſcher und Preßvergehen Verurtheil-<lb/> ten und Verfolgten, freies Verſammlungs- und Vereinigungsrecht,<lb/> gleiche politiſche Berechtigung aller ohne Rückſicht auf religiöſes Be-<lb/> kenntniß und Beſitz, Geſchwornengericht und Unabhängigkeit des Rich-<lb/> terſtandes, Verminderung des ſtehenden Heeres und Volksbewaffnung<lb/> mit freier Wahl der Führer, allgemeine deutſche Volksvertretung, ſchleu-<lb/> nigſte Einberufung des Vereinigten Landtags. Einer noch umfaſſen-<lb/> deren Petition als die preußiſchen Abgeordneten angedeutet haben, ſieht<lb/> man aus den Rheinlanden entgegen, deren ſtändiſche Vertreter einen<lb/> Antrag auf Zuſammenberufung eines außerordentlichen Landtags zur<lb/> Berathung principieller Staatsreformen vorbereitet haben ſollen. —<lb/> Die Stadt trägt ſeit geſtern nach ihren unteren Schichten hin, in denen<lb/> man Arbeiteraufſtände befürchten zu müſſen glaubte, wieder eine ruhi-<lb/> gere Phyflognomie, obwohl außerordentliche militäriſche Vorſichtsmaß-<lb/> regeln fortdauern. Wenngleich dieſe letzteren geheim gehalten werden, ſo<lb/> kennt man ſie doch, und ſie ſind ſo umfaſſend daß unſere Behörden ſich<lb/> Beſorgniſſen hingegeben zu haben ſcheinen für die man hier bis jetzt<lb/> noch keinen rechten realen Zuſammenhang einſieht. — Der bisherige<lb/> franzöſiſche Geſandte, Marquis de Dalmatie, der zuerſt mit der neuen<lb/> Republik ſich befreunden zu wollen ſchien, hat derſelben nichtsdeſtoweni-<lb/> ger jetzt ſeine diplomatiſchen Dienſte aufgekündigt. Die erfolgte Abbe-<lb/> rufung des preußiſchen Geſandten Hrn. v. Arnim aus Paris hat in ge-<lb/> wiſſem Betracht Befremden erregt, da man anfangs glaubte daß unſere<lb/> Regierung den <hi rendition="#aq">status quo</hi> ihres diplomatiſchen Verhältniſſes zu Frank-<lb/> reich bis auf weiteres aufrechterhalten würde. Hr. v. Arnim (der aber bis<lb/> heute noch nicht hier eingetroffen iſt) ſoll vorderhand nur durch einen preu-<lb/> ßiſchen Geſchäftsträger in Paris erſetzt werden, wozu ein bisheriger Se-<lb/> cretär der Geſandtſchaft, Graf Hatzfeld, auserſehen iſt. Hr. v. Arnim<lb/> hatte zwar einige perſönliche Berührungen mit der neuen franzöſiſchen<lb/> Regierung, namentlich mit Lamartine, dieſelben ſollen aber in keinen<lb/> eigentlichen Staatsbeziehungen beſtanden haben. — Der gegenwärtigen<lb/> Miſſion des Hrn. v. Radowitz in Wien wird hier die umfaſſendſte und<lb/> wichtigſte Bedeutung für die allgemeine Tagespolitik beigelegt. Man<lb/> glaubt ihn mit ſehr weitgehenden Vollmachten und Eröffnungen ausge-<lb/> rüſtet, welche die einzuhaltende Stellung von Oeſterreich, Rußland und<lb/> Preußen zu der neuen Republik Frankreich betreffen und die, wenn ſie<lb/><cb/> zur Vollziehung gelangen, für die Bewegung der politiſchen Dinge in<lb/> Europa entſcheidend ſeyn würden. Die gegenwärtige Lage Oeſterreichs<lb/> und Preußens dürfte jedoch der Ausführung der gehegten Plane weſent-<lb/> lich entgegentreten.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline>— <hi rendition="#b">Berlin,</hi> 10 März.</dateline> <p>Nachdem geſtern Nachmittag um 4 Uhr<lb/> die Stadtverordnetenverſammlung abgehalten war, von welcher ich<lb/> Ihnen früher gemeldet habe, ſand geſtern Abend um 8 Uhr in den ſoge-<lb/> nannten Zelten im Thiergarten die Volksverſammlung behufs einer an<lb/> den König zu richtenden Adreſſe ſtatt. Die Reſultate der Stadtverordneten-<lb/> verſammlung werden wir morgen Vormittag in einer zweiten öffentlichen<lb/> Sitzung erfahren, da erſt dann nach Anhörung des Magiſtrats Beſchluß<lb/> gefaßt werden kann. Um einen zu heftigen Andrang zu vermeiden<lb/> werden für das Publicum Einlaßkarten ausgegeben werden, nach wel-<lb/> chen bereits heute ſtarke Nachfrage iſt. Der geſtrigen Sitzung wohnte,<lb/> außer vielen hier noch anweſenden Mitgliedern der ſtändiſchen Ausſchüſſe,<lb/> auch der Fürſt v. Lichnowsky bei, der gegenwärtig in unſerer Stadt ver-<lb/> weilt. Was nun die Volksverſammlung anbetrifft, ſo war ſie von den<lb/> Studenten ausgegangen, und es ſind Ihnen bereits die Eröffnungen mit-<lb/> getheilt welche der Polizeipräſident v. Minutoli deßfalls den Leitern<lb/> dieſer Angelegenheit mündlich gemacht hatte. Dieſe Eröffnungen bildeten<lb/> den Anlaß und den Berathungsgegenſtand der zweiten Volksverſamm-<lb/> lung, da es ſich nach der zum voraus erklärten Weigerung Sr. Maj.<lb/> eine Deputation zu empfangen darum handelte wie man die Adreſſe in<lb/> die allerhöchſten Hände gelangen laſſe. Es waren zwiſchen 3000 und<lb/> 4000 Menſchen verſammelt, welche theils dem Stande der ſtudirenden<lb/> Jugend, theils dem niedern Bürgerſtande, in weit geringerem Maße den<lb/> mittlern und höheren Bürgerclaſſen angehörten; denn dieſe, obwohl der<lb/> Ausfluß der eigentlich materiellen Macht, die Repräſentanten des Be-<lb/> ſitzes ſcheinen ſich noch immer ſehr zurückzuhalten. Die Verſammlung<lb/> fand in einem großen zu ebener Erde gelegenen Saal bei offenen Fen-<lb/> ſtern und Thüren ſtatt, ſo daß der ausgeſchloſſene Theil, draußen ſtehend,<lb/> den Verhandlungen folgen konnte. Es hatte dieß allerdings große Un-<lb/> bequemlichkeiten, welche jedoch dadurch einigermaßen beſeitigt wurden<lb/> daß man die Rednerbühne unmittelbar an den Eingang rückte, ſo daß<lb/> die Redner innerhalb wie außerhalb geſehen und gehört werden konnten.<lb/> Ueber die Adreſſe ſelbſt wurde nicht weiter debattirt; man hatte die<lb/> Grundzüge in der erſten Verſammlung feſtgeſtellt und ſchien die Faſ-<lb/> ſung wie ſie durch eine erwählte Deputation erfolgt war, ſtillſchwei-<lb/> gend gutzuheißen. Wir theilen ſie nachſtehend mit, da ſie, obwohl kein<lb/> Muſterbild des Styls, doch als erſtes bedeutendes politiſches Lebens-<lb/> zeichen unſerer Stadt in der gegenwärtigen Bewegung wohl auf Beach-<lb/> tung Anſpruch hat. Sie lautet: <cit><quote>„Allerdurchlauchtigſter König, Aller-<lb/> gnädigſter König und Herr! Die ernſten Begebenheiten welche Europa<lb/> bewegen, machen ein treues Zuſammenhalten der deutſchen Fürſten und<lb/> Völker zur unabweisbaren Nothwendigkeit. Ew. Maj. haben ſelbſt das<lb/> deutſche Volk Preußens aufgefordert ſich um ſeinen König zu ſchaaren wie<lb/> eine eherne Mauer, damit die Bahn des geiſtigen und materiellen Fort-<lb/> ſchritts, welche die Völker Europa’s ſo rüſtig betreten haben, nicht durch<lb/> die Stürme der Zeit unterbrochen werde. Wir hegen daher die feſte Zu-<lb/> verſicht Ew. Maj. werde uns ein huldvolles Gehör ſchenken. Aber die<lb/> Kraft der Begeiſterung welche ein Volk um ſeinen König ſchaart, die<lb/> Kraft der Vaterlandsliebe wird weder durch den Zufall der Geburt auf<lb/> der beſtimmten Scholle, noch durch die gemeinſame Sprache und Sitte,<lb/> noch durch den äußerlichen Staatsverband ſo mächtig in einem Volke<lb/> erzeugt als durch die ſichere Gewährleiſtung freier Inſtitutionen, welche<lb/> jeden aus dem Volke mit dem gleich freien Mannesſtolze bewaffnen<lb/> dem andere Völker ihre nationale Größe verdanken. Das beſtimmte ins<lb/> Bewußtſeyn des Volkes übergegangene Bedürfniß nach größerer politi-<lb/> ſcher Freiheit iſt der ſicherſte Maßſtab zur Beurtheilung der Reife einer<lb/> Nation. Dieß Bedürfniß iſt vorhanden. Wir drängen aber mit Be-<lb/> ſonnenheit alle Wünſche zurück welche erſt die weitere Entwicklung des<lb/> geiſtigen und materiellen Fortſchritts im Volke an den Tag bringen wird,<lb/> und ſchließen uns den Wünſchen der übrigen deutſchen Völker an, welche<lb/> bereits an die deutſchen Fürſten gelangt und von einzelnen gewährt ſind.<lb/> Dieſe Wunſche ſind: 1) unbedingte Preßſreiheit; 2) vollſtändige Rede-<lb/> freiheit; 3) ſofortige und vollſtändige Amneſtie aller wegen politiſcher<lb/> und Preßvergehen Verurtheilten und Verfolgten; 4) freies Verſamm-<lb/> lungs- und Vereinigungsrecht; 5) gleiche politiſche Berechtigung aller ohne<lb/> Rückſicht auf religiöſes Bekenntniß und Beſitz; 6) Geſchwornengerichte und<lb/> Unabhängigkeit des Richterſtandes; 7) Verminderung des ſtehenden Hee-<lb/></quote></cit></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1172/0004]
machte Hr. Buchhändler Duncker der Aeltere darauf aufmerkſam daß
im Jahre 1807, als der Feind im Land geweſen, die Einrichtung
einer ſolchen Bürgergarde innerhalb acht Tagen bewirkt worden ſey.
— Eine treffliche Abhandlung über Lamartine in Emil Fernsdorffs
„Männer und Frauen des Auslandes,“ die ſo eben hier ausgegeben
worden, wird mit großem Intereſſe geleſen, da die in ſeinem ausge-
zeichneten Rundſchreiben documentirte Richtung des Dichters und
Staatsmannes darin mit vieler Kenntniß gewürdigt iſt.
I Berlin, 11 März.Aus glaubwürdiger Quelle wird ver-
ſichert daß Preußen das Anerbieten Rußlands auf Verlangen ein
Armeecorps über die dieſſeitigen Gränzen rücken zu laſ-
ſen abgelehnt habe, was bei der Bevölkerung außerordentliche
Freude erregt.
♂ Berlin, 9 März.Nach Beendigung der ſtändiſchen Ausſchuß-
ſitzungen haben die preußiſchen Abgeordneten, und an ihrer Spitze die
HH. v. Auerswald, v. Brünneck und Sperling, eine Schrift aufgeſetzt
in der ſie den Zuſtand der Provinz Preußen nach ihren politiſchen Be-
dürfniſſen und Wünſchen darlegen und denſelben in einer ſolchen Span-
nung ſchildern, daß ihm nur durch die Einführung allgemeiner Staats-
reformen im Sinne der drängenden Zeitforderungen abgeholfen werden
könne. Dieſe Darlegung ſchließt mit dem Wunſche daß den Abgeord-
neten ſchon jetzt vergönnt ſeyn möchte bei der Heimkehr in ihre Provinz
beſtimmte Zuſicherungen des Königs mitbringen zu dürfen, weil ſie ſich
ſonſt keines günſtigen Empfangs in ihrer Heimath zu erfreuen haben
würden. Der Wunſch dieſe Schrift dem König in einer beſonderen
Deputation zu überreichen iſt, ſoviel wir hören, bis jetzt noch nicht er-
füllt worden. Dagegen hat ſich der König bereits auf das ausdrück-
lichſte dawider erklärt die Adreſſe perſönlich entgegenzunehmen welche in
dieſen Tagen in einem Thiergartenzelt (in demſelben in welchem früher
die Bewegung der Berliner Lichtfreunde ihren Anfang erhalten) von
einigen hundert Studenten, Kaufleuten und Handwerkern berathen wor-
den. Die neun Punkte welche in dieſer Adreſſe beantragt werden, ſind:
unbedingte Preßfreiheit, vollſtändige Redefreiheit, ſofortige und voll-
ſtändige Amneſtie aller wegen politiſcher und Preßvergehen Verurtheil-
ten und Verfolgten, freies Verſammlungs- und Vereinigungsrecht,
gleiche politiſche Berechtigung aller ohne Rückſicht auf religiöſes Be-
kenntniß und Beſitz, Geſchwornengericht und Unabhängigkeit des Rich-
terſtandes, Verminderung des ſtehenden Heeres und Volksbewaffnung
mit freier Wahl der Führer, allgemeine deutſche Volksvertretung, ſchleu-
nigſte Einberufung des Vereinigten Landtags. Einer noch umfaſſen-
deren Petition als die preußiſchen Abgeordneten angedeutet haben, ſieht
man aus den Rheinlanden entgegen, deren ſtändiſche Vertreter einen
Antrag auf Zuſammenberufung eines außerordentlichen Landtags zur
Berathung principieller Staatsreformen vorbereitet haben ſollen. —
Die Stadt trägt ſeit geſtern nach ihren unteren Schichten hin, in denen
man Arbeiteraufſtände befürchten zu müſſen glaubte, wieder eine ruhi-
gere Phyflognomie, obwohl außerordentliche militäriſche Vorſichtsmaß-
regeln fortdauern. Wenngleich dieſe letzteren geheim gehalten werden, ſo
kennt man ſie doch, und ſie ſind ſo umfaſſend daß unſere Behörden ſich
Beſorgniſſen hingegeben zu haben ſcheinen für die man hier bis jetzt
noch keinen rechten realen Zuſammenhang einſieht. — Der bisherige
franzöſiſche Geſandte, Marquis de Dalmatie, der zuerſt mit der neuen
Republik ſich befreunden zu wollen ſchien, hat derſelben nichtsdeſtoweni-
ger jetzt ſeine diplomatiſchen Dienſte aufgekündigt. Die erfolgte Abbe-
rufung des preußiſchen Geſandten Hrn. v. Arnim aus Paris hat in ge-
wiſſem Betracht Befremden erregt, da man anfangs glaubte daß unſere
Regierung den status quo ihres diplomatiſchen Verhältniſſes zu Frank-
reich bis auf weiteres aufrechterhalten würde. Hr. v. Arnim (der aber bis
heute noch nicht hier eingetroffen iſt) ſoll vorderhand nur durch einen preu-
ßiſchen Geſchäftsträger in Paris erſetzt werden, wozu ein bisheriger Se-
cretär der Geſandtſchaft, Graf Hatzfeld, auserſehen iſt. Hr. v. Arnim
hatte zwar einige perſönliche Berührungen mit der neuen franzöſiſchen
Regierung, namentlich mit Lamartine, dieſelben ſollen aber in keinen
eigentlichen Staatsbeziehungen beſtanden haben. — Der gegenwärtigen
Miſſion des Hrn. v. Radowitz in Wien wird hier die umfaſſendſte und
wichtigſte Bedeutung für die allgemeine Tagespolitik beigelegt. Man
glaubt ihn mit ſehr weitgehenden Vollmachten und Eröffnungen ausge-
rüſtet, welche die einzuhaltende Stellung von Oeſterreich, Rußland und
Preußen zu der neuen Republik Frankreich betreffen und die, wenn ſie
zur Vollziehung gelangen, für die Bewegung der politiſchen Dinge in
Europa entſcheidend ſeyn würden. Die gegenwärtige Lage Oeſterreichs
und Preußens dürfte jedoch der Ausführung der gehegten Plane weſent-
lich entgegentreten.
— Berlin, 10 März.Nachdem geſtern Nachmittag um 4 Uhr
die Stadtverordnetenverſammlung abgehalten war, von welcher ich
Ihnen früher gemeldet habe, ſand geſtern Abend um 8 Uhr in den ſoge-
nannten Zelten im Thiergarten die Volksverſammlung behufs einer an
den König zu richtenden Adreſſe ſtatt. Die Reſultate der Stadtverordneten-
verſammlung werden wir morgen Vormittag in einer zweiten öffentlichen
Sitzung erfahren, da erſt dann nach Anhörung des Magiſtrats Beſchluß
gefaßt werden kann. Um einen zu heftigen Andrang zu vermeiden
werden für das Publicum Einlaßkarten ausgegeben werden, nach wel-
chen bereits heute ſtarke Nachfrage iſt. Der geſtrigen Sitzung wohnte,
außer vielen hier noch anweſenden Mitgliedern der ſtändiſchen Ausſchüſſe,
auch der Fürſt v. Lichnowsky bei, der gegenwärtig in unſerer Stadt ver-
weilt. Was nun die Volksverſammlung anbetrifft, ſo war ſie von den
Studenten ausgegangen, und es ſind Ihnen bereits die Eröffnungen mit-
getheilt welche der Polizeipräſident v. Minutoli deßfalls den Leitern
dieſer Angelegenheit mündlich gemacht hatte. Dieſe Eröffnungen bildeten
den Anlaß und den Berathungsgegenſtand der zweiten Volksverſamm-
lung, da es ſich nach der zum voraus erklärten Weigerung Sr. Maj.
eine Deputation zu empfangen darum handelte wie man die Adreſſe in
die allerhöchſten Hände gelangen laſſe. Es waren zwiſchen 3000 und
4000 Menſchen verſammelt, welche theils dem Stande der ſtudirenden
Jugend, theils dem niedern Bürgerſtande, in weit geringerem Maße den
mittlern und höheren Bürgerclaſſen angehörten; denn dieſe, obwohl der
Ausfluß der eigentlich materiellen Macht, die Repräſentanten des Be-
ſitzes ſcheinen ſich noch immer ſehr zurückzuhalten. Die Verſammlung
fand in einem großen zu ebener Erde gelegenen Saal bei offenen Fen-
ſtern und Thüren ſtatt, ſo daß der ausgeſchloſſene Theil, draußen ſtehend,
den Verhandlungen folgen konnte. Es hatte dieß allerdings große Un-
bequemlichkeiten, welche jedoch dadurch einigermaßen beſeitigt wurden
daß man die Rednerbühne unmittelbar an den Eingang rückte, ſo daß
die Redner innerhalb wie außerhalb geſehen und gehört werden konnten.
Ueber die Adreſſe ſelbſt wurde nicht weiter debattirt; man hatte die
Grundzüge in der erſten Verſammlung feſtgeſtellt und ſchien die Faſ-
ſung wie ſie durch eine erwählte Deputation erfolgt war, ſtillſchwei-
gend gutzuheißen. Wir theilen ſie nachſtehend mit, da ſie, obwohl kein
Muſterbild des Styls, doch als erſtes bedeutendes politiſches Lebens-
zeichen unſerer Stadt in der gegenwärtigen Bewegung wohl auf Beach-
tung Anſpruch hat. Sie lautet: „Allerdurchlauchtigſter König, Aller-
gnädigſter König und Herr! Die ernſten Begebenheiten welche Europa
bewegen, machen ein treues Zuſammenhalten der deutſchen Fürſten und
Völker zur unabweisbaren Nothwendigkeit. Ew. Maj. haben ſelbſt das
deutſche Volk Preußens aufgefordert ſich um ſeinen König zu ſchaaren wie
eine eherne Mauer, damit die Bahn des geiſtigen und materiellen Fort-
ſchritts, welche die Völker Europa’s ſo rüſtig betreten haben, nicht durch
die Stürme der Zeit unterbrochen werde. Wir hegen daher die feſte Zu-
verſicht Ew. Maj. werde uns ein huldvolles Gehör ſchenken. Aber die
Kraft der Begeiſterung welche ein Volk um ſeinen König ſchaart, die
Kraft der Vaterlandsliebe wird weder durch den Zufall der Geburt auf
der beſtimmten Scholle, noch durch die gemeinſame Sprache und Sitte,
noch durch den äußerlichen Staatsverband ſo mächtig in einem Volke
erzeugt als durch die ſichere Gewährleiſtung freier Inſtitutionen, welche
jeden aus dem Volke mit dem gleich freien Mannesſtolze bewaffnen
dem andere Völker ihre nationale Größe verdanken. Das beſtimmte ins
Bewußtſeyn des Volkes übergegangene Bedürfniß nach größerer politi-
ſcher Freiheit iſt der ſicherſte Maßſtab zur Beurtheilung der Reife einer
Nation. Dieß Bedürfniß iſt vorhanden. Wir drängen aber mit Be-
ſonnenheit alle Wünſche zurück welche erſt die weitere Entwicklung des
geiſtigen und materiellen Fortſchritts im Volke an den Tag bringen wird,
und ſchließen uns den Wünſchen der übrigen deutſchen Völker an, welche
bereits an die deutſchen Fürſten gelangt und von einzelnen gewährt ſind.
Dieſe Wunſche ſind: 1) unbedingte Preßſreiheit; 2) vollſtändige Rede-
freiheit; 3) ſofortige und vollſtändige Amneſtie aller wegen politiſcher
und Preßvergehen Verurtheilten und Verfolgten; 4) freies Verſamm-
lungs- und Vereinigungsrecht; 5) gleiche politiſche Berechtigung aller ohne
Rückſicht auf religiöſes Bekenntniß und Beſitz; 6) Geſchwornengerichte und
Unabhängigkeit des Richterſtandes; 7) Verminderung des ſtehenden Hee-
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(2022-03-29T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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