Allgemeine Zeitung, Nr. 76, 16. März 1848.[Spaltenumbruch]
gen. Mit dem Landtage werde er auch noch weitere an ihn gelangende K. Sachsen. * Leipzig, 12 März. Wir bewegen uns immer, aber ** Leipzig, 12 März. Durch den Landtagsabgeordneten Joseph K. Hannover. # Göttingen, 12 März. Auch wir haben Unruhen [Spaltenumbruch]
gen. Mit dem Landtage werde er auch noch weitere an ihn gelangende K. Sachſen. * Leipzig, 12 März. Wir bewegen uns immer, aber ** Leipzig, 12 März. Durch den Landtagsabgeordneten Joſeph K. Hannover. □ Göttingen, 12 März. Auch wir haben Unruhen <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div type="jArticle" n="4"> <p><pb facs="#f0004" n="1204"/><cb/> gen. Mit dem Landtage werde er auch noch weitere an ihn gelangende<lb/> Anträge erledigen. Das fand in Weimar ſtatt. Jn dem andern Theil<lb/> der Stadt Weimar-Jena, in Jena ward am Morgen des 9 die vorläu-<lb/> ſige Antwort der Landſtände auf die Petitionen der Bevölkerung von<lb/> Jena bekannt gemacht. Da ſie nicht genügend erſchien, beſchloſſen Bür-<lb/> ger und Studenten am Nachmittag in Maſſe nach Weimar zu ziehen,<lb/> und ließen ſich nur mit Mühe von dieſem Vorſatz abbringen, ſchickten<lb/> aber eine neue Deputation mit einer Adreſſe an den Großherzog, worin<lb/> derſelbe um <hi rendition="#g">ſofortiges</hi> Zugeſtändniß der nicht erledigten Punkte der<lb/> Jenaer Adreſſen erſucht wird. Vielleicht bewahrheitet ſich auch hier<lb/> das Sprichwort, ein gutes Wort findet einen guten Ort. Es ſind<lb/> die bisherigen Miniſter entlaſſen. Der Abg. Wydenbrugk iſt proviſo-<lb/> riſch an die Spitze eines neuen Miniſteriums getreten, und der Großher-<lb/> zog hat ſeine Civilliſte, wie es heißt, auf 300,000 Thlr. angeſetzt. Jn<lb/> Eiſenach haben leider tadelnswerthe Unordnungen ſtattgefunden. Jn<lb/> Rudolſtadt ſollen die Mitglieder der Regierung verjagt ſeyn. Jn Co-<lb/> burg endlich iſt der Landtag auf den 2 April zuſammenberufen, und es<lb/> iſt ihm die Vorlage von Geſetzen über vollſtändige Preßfreiheit, Peti-<lb/> tionsrecht, Volksverſammlungen und Vereidigung des Militärs auf die<lb/> Verfaſſung zugeſagt. Oeffentlichkeit, Mündlichkeit und Schwurgerichte<lb/> ſollen eingeführt werden. Auch iſt Thätigkeit der Regierung für ein<lb/> deutſches Parlament und für ein die Laſt des ſtehenden Heers erleich-<lb/> terndes Wehrſyſtem zugeſagt. Der Landtag von Meiningen hat auf<lb/> Preßfreiheit, Schwurgerichte ꝛc. angetragen.</p> </div> </div><lb/> <div n="3"> <head><hi rendition="#g">K. Sachſen</hi>.</head><lb/> <div type="jComment" n="4"> <dateline><hi rendition="#b">* Leipzig,</hi> 12 März.</dateline><lb/> <p>Wir bewegen uns immer, aber<lb/> wir kommen nicht vorwärts; wenigſtens in Vergleich mit den andern<lb/> deutſchen Staaten. Dieſe fortdauernde Aufregung ohne Ergebniſſe hat<lb/> etwas außerordentlich abſpannendes, und die Reaction benützt dieß ganz<lb/> geſchickt um in ihrem Sinne zu wirken. Sie hat auch leichteres Spiel<lb/> als die Fortſchrittsbewegung; die Leute ſetzen ſich viel lieber zur Ruhe,<lb/> als daß ſie fort und fort auf einen Punkt ohne Nachlaß der Kräfte<lb/> hinarbeiteten. Leipzig ſteht jetzt entſchieden an der Spitze der ſäch-<lb/> ſiſchen Bewegung; es hat den Beweis gegeben daß ihm das eine<lb/> Wahrheit iſt, was man häuſig nur für ſchöne Redensart hielt. Dieß<lb/> wird auch vom ganzen Lande anerkannt, und theils laufen Dankadreſſen für<lb/> Leipzigs Vorſchreiten an die ſtädtiſchen Behörden ein, theils lehnen ſich<lb/> die Städte und Dörfer in ihren Adreſſen an den König direct an die Leip-<lb/> ziger Eingaben an. Ganz anders betrachtet die Regierung die Dinge.<lb/> Sie glaubt ganz Leipzig von ein paar Schreiern verführt, und die ſtädti-<lb/> ſchen Behörden von einer Partei eingeſchüchtert. Sie kennt die eigent-<lb/> liche Stimmung ſelbſt der Ruhigſten im Lande nicht; und wenn einer un-<lb/> ſerer Miniſter dieſe Behauptung hier liest, wird er mich auch zu den<lb/> „Raiſonneurs“ zählen. Dieſe volle Unkenntniß wäre tief bedauerlich,<lb/> wenn ſie nicht unverantwortlich wäre, weil eine Folge ſtarren Einlebens<lb/> in ganz enge Reſidenzkreiſe und abſichtliche Taubheit. Und was ſind<lb/> die Folgen? Jmmer unheilbarerer Bruch zwiſchen Regierung und Volk.<lb/> So hat man jetzt Leipzig mit einer verhältnißmäßig ungeheuern Militär-<lb/> maſſe umzingelt; alle umliegenden Dörfer wimmeln von Einquartierung.<lb/> Aber dazu iſt nicht die mindeſte Veranlaſſung. Zieht man ein allnächtlich<lb/> wiederkehrendes Vivatrufen vor einigen Häuſern ab, ſo iſt in der äußern<lb/> Phyſiognomie des Lebens unſrer Stadt auch nicht der mindeſte Unter-<lb/> ſchied zwiſchen jetzt und den ruhigſten Zeiten. Da dieſe Vivatzüge nicht<lb/> geſtört werden, verlaufen ſie ſich auch in jeder Nacht ſehr raſch. Den-<lb/> noch dieſe Militärmaſſen! Jn einer heute Nachmittag abgehaltenen Stadt-<lb/> verordnetenſitzung wurde denn auch die Erklärung einſtimmig angenom-<lb/> men: „daß ſo lange dieſe militäriſchen Maßnahmen fortdauerten das<lb/> Vertrauen zwiſchen Regierten und Regierung nicht herzuſtellen ſey, weß-<lb/> halb Stadtverordnete und Stadtrath die ſofortige Zurückziehung der die<lb/> Stadt umgebenden Truppen beantragen.“ Doch war dieß nur ein Zwi-<lb/> ſchenfall; eigentlich trat die Verſammlung zuſammen um die Zuſammen-<lb/> ſtellung der Materialien zu einer Petition an den außerordentlichen Land-<lb/> tag zu berathen. Dieß Geſchäft ward einer Deputation übertragen. —<lb/> Miniſter v. Carlowitz iſt heute hier angekommen, und wird dem Ver-<lb/> nehmen nach einige Zeit als königlicher Commiſſär hier bleiben. Er<lb/> hatte Stadtverordnete und Stadtrath auf das Rathhaus beſtellt um ih-<lb/> nen Eröffnungen zu machen. Dieſe ließen zuvor durch eine Deputation<lb/> anfragen, ob eine förmliche Beſprechung der öffentlichen Angelegenhei-<lb/> ten ſtattfinden ſolle? Da Hr. v. Carlowitz erklärte daß er ſich auf Dis-<lb/> cuſſionen nicht einlaſſen könne, ſo kam die Verſammlung nicht zu Stande.<lb/> Uebrigens verſprach Hr. v. Carlowitz, es werde „wohl auch für Zurück-<lb/> ziehung der Truppen aus Leipzigs Nähe Sorge getragen werden“ wenn<lb/><cb/> man ihm dafür ſtehe — daß kein äußeres Zeichen die innere Aufre-<lb/> gung der Bevölkerung kundgebe. Dazu iſt vorderhand aber keine Hoff-<lb/> nug, ſolange die Miniſter noch in ihren Stellen bleiben. Dagegen hat<lb/> man den Petitionszug nach Dresden von ſelbſt aufgegeben, da vor Zu-<lb/> ſammentritt der Stände doch keinerlei Erledigungen zu erwarten ſte-<lb/> hen. Nur war heute die Aufregung wieder dadurch ſehr geſtiegen daß<lb/> ſich das Gerücht verbreitet hatte, die Regierung wolle die umliegenden<lb/> Truppen in kommender Nacht zu der Beſetzung der Stadt und zur Ver-<lb/> haftung der populären Männer verwenden. Jn ſolchem Falle wäre ar-<lb/> ges Blutvergießen unvermeidlich. — Wie wir vernehmen, wird auf dem<lb/> Landtage die Competenzfrage doch noch eine der erſten ſeyn; die Oppo-<lb/> ſition iſt ſehr entſchieden dafür, weil ſie die durch die jetzige Wahlweiſe<lb/> zuſammengeſetzte Kammer nicht als volksvertretend, ſondern von der Re-<lb/> gierung eingenommen betrachtet. — Dunkle Gerüchte von bedeutenden<lb/> Unruhen in Dresden, welche heute Mittag begonnen haben ſollen, er-<lb/> mangeln noch der Beſtätigung.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline><hi rendition="#b">** Leipzig,</hi> 12 März.</dateline><lb/> <p>Durch den Landtagsabgeordneten Joſeph<lb/> war für heute eine Zuſammenkunft von Vertretern ſächſiſcher Städte<lb/> ausgeſchrieben, damit man in Betreff der allgemeinen deutſchen Angele-<lb/> genheiten und der Sachſens berathe, was von Sachſen aus zu thun ſey.<lb/> Alle ſächſiſchen Städte hatten ihre Abgeſandten abgeſchickt, nur die der<lb/> Lauſitz ließen ſich entſchuldigen. Im Schützenhausſaale wurde die Ver-<lb/> ſammlung unter dem Vorſitz des Hrn. Joſeph und bei überfüllter Be-<lb/> ſetzung der Galerien abgehalten. Das Programm ſtellte vorzüglich ſie-<lb/> ben Punkte zur Debatte, unter denen man aber nach alter ſächſiſcher Art<lb/> die allgemeinen und nationalen nicht eben obenan geſtellt hatte. So war<lb/> z. B. die Debatte über das deutſche Parlament des Programms vorletzte.<lb/> Es wäre hier überflüſſig auf die Einzelheiten der Berathungen einzuge-<lb/> hen; ihr volksthümlicher Charakter iſt durch die Namen der Hauptſtimm-<lb/> führer Joſeph, Schaffrath, Biedermann, Blum, Tod, Klinger ꝛc. ſchon<lb/> genugſam angedeutet. Die hauptſächlichſten allgemeinen Uebereinkünfte<lb/> der Verhandlung waren, ſo weit ich dieſelben vernehmen konnte, bei Be-<lb/> rathung des Preßgeſetzes den Wegfall aller Präventiv- und Repreſſivmaß-<lb/> regeln, kurz jeder Macht der Verwaltung über die Preſſe als leitendes<lb/> Princip feſtzuhalten, und dieſelbe nur dem Strafgeſetz zu unterſtellen, durch<lb/> die richterliche Entſcheidung einer Jury. Nächſtdem wurden einige ſpe-<lb/> ciell ſächſiſche Berathungen in Betreff des außerordentlichen Landtags<lb/> und des Verhaltens der Oppoſition gepflogen. Zu der Verſammlung der<lb/> beabſichtigten Nationalrepräſentanten ſind die HH. 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Nachmittags verſammelten ſich auch die<lb/> Bürger. Eine Deputation von Profeſſoren (Briegleb, Fuchs, Ritter,<lb/> Zachariä) wurde nach Hannover geſendet, und fuhr ſoeben unter Vivat-<lb/> rufen der Bevölkerung ab. Hoffentlich kommt es zu einer Entfernung<lb/> des Polizeivorſtandes, der ſeine völlige Unfähigkeit zu ſeinem Amte<lb/> wiederholt bethätigt hat. Nunmehr wird es auch wahrſcheinlich zu<lb/> politiſchen Adreſſen von Seite der Bürgerſchaft kommen, die vielleicht<lb/> ſonſt unterblieben wären. Die Univerſität hat ſich nicht dazu entſchloſſen,<lb/> obwohl die Frage erörtert wurde. Man vertraut dem einberufenen<lb/> Landtag, beklagt es aber jetzt doppelt daß die Univerſität keinen Ver-<lb/> treter aus ihrer Mitte gewählt hat. Wie in Rheinpreußen, ſo findet<lb/> man auch in Hannover große Abneigung gegen ungeſetzliche und ſtür-<lb/> miſche Wege und in Göttingen vielleicht am meiſten, wo die Bürger<lb/> noch die Unruhen von 1831 und deren Folgen in guter Erinnerung<lb/> haben. Die gegenwärtige Aufregung wird übrigens noch geſteigert<lb/> durch die geſtern bekannt gegebene Jnſolvenz des erſten jüdiſchen Ban-<lb/> kierhauſes Benfey, wie man ſagt mit 150,000 Thalern, wo viele Dienſt-<lb/> boten und ärmere Leute ihre Erſparniſſe angelegt hatten. Die Woh-<lb/> nung der Chefs war geſtern ganz umlagert und mit polizeilicher Be-<lb/> wachung verſehen.</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1204/0004]
gen. Mit dem Landtage werde er auch noch weitere an ihn gelangende
Anträge erledigen. Das fand in Weimar ſtatt. Jn dem andern Theil
der Stadt Weimar-Jena, in Jena ward am Morgen des 9 die vorläu-
ſige Antwort der Landſtände auf die Petitionen der Bevölkerung von
Jena bekannt gemacht. Da ſie nicht genügend erſchien, beſchloſſen Bür-
ger und Studenten am Nachmittag in Maſſe nach Weimar zu ziehen,
und ließen ſich nur mit Mühe von dieſem Vorſatz abbringen, ſchickten
aber eine neue Deputation mit einer Adreſſe an den Großherzog, worin
derſelbe um ſofortiges Zugeſtändniß der nicht erledigten Punkte der
Jenaer Adreſſen erſucht wird. Vielleicht bewahrheitet ſich auch hier
das Sprichwort, ein gutes Wort findet einen guten Ort. Es ſind
die bisherigen Miniſter entlaſſen. Der Abg. Wydenbrugk iſt proviſo-
riſch an die Spitze eines neuen Miniſteriums getreten, und der Großher-
zog hat ſeine Civilliſte, wie es heißt, auf 300,000 Thlr. angeſetzt. Jn
Eiſenach haben leider tadelnswerthe Unordnungen ſtattgefunden. Jn
Rudolſtadt ſollen die Mitglieder der Regierung verjagt ſeyn. Jn Co-
burg endlich iſt der Landtag auf den 2 April zuſammenberufen, und es
iſt ihm die Vorlage von Geſetzen über vollſtändige Preßfreiheit, Peti-
tionsrecht, Volksverſammlungen und Vereidigung des Militärs auf die
Verfaſſung zugeſagt. Oeffentlichkeit, Mündlichkeit und Schwurgerichte
ſollen eingeführt werden. Auch iſt Thätigkeit der Regierung für ein
deutſches Parlament und für ein die Laſt des ſtehenden Heers erleich-
terndes Wehrſyſtem zugeſagt. Der Landtag von Meiningen hat auf
Preßfreiheit, Schwurgerichte ꝛc. angetragen.
K. Sachſen.
* Leipzig, 12 März.
Wir bewegen uns immer, aber
wir kommen nicht vorwärts; wenigſtens in Vergleich mit den andern
deutſchen Staaten. Dieſe fortdauernde Aufregung ohne Ergebniſſe hat
etwas außerordentlich abſpannendes, und die Reaction benützt dieß ganz
geſchickt um in ihrem Sinne zu wirken. Sie hat auch leichteres Spiel
als die Fortſchrittsbewegung; die Leute ſetzen ſich viel lieber zur Ruhe,
als daß ſie fort und fort auf einen Punkt ohne Nachlaß der Kräfte
hinarbeiteten. Leipzig ſteht jetzt entſchieden an der Spitze der ſäch-
ſiſchen Bewegung; es hat den Beweis gegeben daß ihm das eine
Wahrheit iſt, was man häuſig nur für ſchöne Redensart hielt. Dieß
wird auch vom ganzen Lande anerkannt, und theils laufen Dankadreſſen für
Leipzigs Vorſchreiten an die ſtädtiſchen Behörden ein, theils lehnen ſich
die Städte und Dörfer in ihren Adreſſen an den König direct an die Leip-
ziger Eingaben an. Ganz anders betrachtet die Regierung die Dinge.
Sie glaubt ganz Leipzig von ein paar Schreiern verführt, und die ſtädti-
ſchen Behörden von einer Partei eingeſchüchtert. Sie kennt die eigent-
liche Stimmung ſelbſt der Ruhigſten im Lande nicht; und wenn einer un-
ſerer Miniſter dieſe Behauptung hier liest, wird er mich auch zu den
„Raiſonneurs“ zählen. Dieſe volle Unkenntniß wäre tief bedauerlich,
wenn ſie nicht unverantwortlich wäre, weil eine Folge ſtarren Einlebens
in ganz enge Reſidenzkreiſe und abſichtliche Taubheit. Und was ſind
die Folgen? Jmmer unheilbarerer Bruch zwiſchen Regierung und Volk.
So hat man jetzt Leipzig mit einer verhältnißmäßig ungeheuern Militär-
maſſe umzingelt; alle umliegenden Dörfer wimmeln von Einquartierung.
Aber dazu iſt nicht die mindeſte Veranlaſſung. Zieht man ein allnächtlich
wiederkehrendes Vivatrufen vor einigen Häuſern ab, ſo iſt in der äußern
Phyſiognomie des Lebens unſrer Stadt auch nicht der mindeſte Unter-
ſchied zwiſchen jetzt und den ruhigſten Zeiten. Da dieſe Vivatzüge nicht
geſtört werden, verlaufen ſie ſich auch in jeder Nacht ſehr raſch. Den-
noch dieſe Militärmaſſen! Jn einer heute Nachmittag abgehaltenen Stadt-
verordnetenſitzung wurde denn auch die Erklärung einſtimmig angenom-
men: „daß ſo lange dieſe militäriſchen Maßnahmen fortdauerten das
Vertrauen zwiſchen Regierten und Regierung nicht herzuſtellen ſey, weß-
halb Stadtverordnete und Stadtrath die ſofortige Zurückziehung der die
Stadt umgebenden Truppen beantragen.“ Doch war dieß nur ein Zwi-
ſchenfall; eigentlich trat die Verſammlung zuſammen um die Zuſammen-
ſtellung der Materialien zu einer Petition an den außerordentlichen Land-
tag zu berathen. Dieß Geſchäft ward einer Deputation übertragen. —
Miniſter v. Carlowitz iſt heute hier angekommen, und wird dem Ver-
nehmen nach einige Zeit als königlicher Commiſſär hier bleiben. Er
hatte Stadtverordnete und Stadtrath auf das Rathhaus beſtellt um ih-
nen Eröffnungen zu machen. Dieſe ließen zuvor durch eine Deputation
anfragen, ob eine förmliche Beſprechung der öffentlichen Angelegenhei-
ten ſtattfinden ſolle? Da Hr. v. Carlowitz erklärte daß er ſich auf Dis-
cuſſionen nicht einlaſſen könne, ſo kam die Verſammlung nicht zu Stande.
Uebrigens verſprach Hr. v. Carlowitz, es werde „wohl auch für Zurück-
ziehung der Truppen aus Leipzigs Nähe Sorge getragen werden“ wenn
man ihm dafür ſtehe — daß kein äußeres Zeichen die innere Aufre-
gung der Bevölkerung kundgebe. Dazu iſt vorderhand aber keine Hoff-
nug, ſolange die Miniſter noch in ihren Stellen bleiben. Dagegen hat
man den Petitionszug nach Dresden von ſelbſt aufgegeben, da vor Zu-
ſammentritt der Stände doch keinerlei Erledigungen zu erwarten ſte-
hen. Nur war heute die Aufregung wieder dadurch ſehr geſtiegen daß
ſich das Gerücht verbreitet hatte, die Regierung wolle die umliegenden
Truppen in kommender Nacht zu der Beſetzung der Stadt und zur Ver-
haftung der populären Männer verwenden. Jn ſolchem Falle wäre ar-
ges Blutvergießen unvermeidlich. — Wie wir vernehmen, wird auf dem
Landtage die Competenzfrage doch noch eine der erſten ſeyn; die Oppo-
ſition iſt ſehr entſchieden dafür, weil ſie die durch die jetzige Wahlweiſe
zuſammengeſetzte Kammer nicht als volksvertretend, ſondern von der Re-
gierung eingenommen betrachtet. — Dunkle Gerüchte von bedeutenden
Unruhen in Dresden, welche heute Mittag begonnen haben ſollen, er-
mangeln noch der Beſtätigung.
** Leipzig, 12 März.
Durch den Landtagsabgeordneten Joſeph
war für heute eine Zuſammenkunft von Vertretern ſächſiſcher Städte
ausgeſchrieben, damit man in Betreff der allgemeinen deutſchen Angele-
genheiten und der Sachſens berathe, was von Sachſen aus zu thun ſey.
Alle ſächſiſchen Städte hatten ihre Abgeſandten abgeſchickt, nur die der
Lauſitz ließen ſich entſchuldigen. Im Schützenhausſaale wurde die Ver-
ſammlung unter dem Vorſitz des Hrn. Joſeph und bei überfüllter Be-
ſetzung der Galerien abgehalten. Das Programm ſtellte vorzüglich ſie-
ben Punkte zur Debatte, unter denen man aber nach alter ſächſiſcher Art
die allgemeinen und nationalen nicht eben obenan geſtellt hatte. So war
z. B. die Debatte über das deutſche Parlament des Programms vorletzte.
Es wäre hier überflüſſig auf die Einzelheiten der Berathungen einzuge-
hen; ihr volksthümlicher Charakter iſt durch die Namen der Hauptſtimm-
führer Joſeph, Schaffrath, Biedermann, Blum, Tod, Klinger ꝛc. ſchon
genugſam angedeutet. Die hauptſächlichſten allgemeinen Uebereinkünfte
der Verhandlung waren, ſo weit ich dieſelben vernehmen konnte, bei Be-
rathung des Preßgeſetzes den Wegfall aller Präventiv- und Repreſſivmaß-
regeln, kurz jeder Macht der Verwaltung über die Preſſe als leitendes
Princip feſtzuhalten, und dieſelbe nur dem Strafgeſetz zu unterſtellen, durch
die richterliche Entſcheidung einer Jury. Nächſtdem wurden einige ſpe-
ciell ſächſiſche Berathungen in Betreff des außerordentlichen Landtags
und des Verhaltens der Oppoſition gepflogen. Zu der Verſammlung der
beabſichtigten Nationalrepräſentanten ſind die HH. Tod und Biedermann
gewählt worden.
K. Hannover.
□ Göttingen, 12 März.
Auch wir haben Unruhen
gehabt, welche jedoch nur in entferntem Zuſammenhang mit den gegenwär-
tigen politiſchen Aufregungen ſtehen. Die Studirenden hatten, wie ander-
wärts, Verſammlungen und Berathungen über ihre Wünſche und Be-
dürfniſſe gehalten. Dieſe Nacht ging eine größere Zahl unter etwas
lauter Bewegung nach Hauſe. Es kam zu Conflicten mit den Polizei-
ſoldaten. Die herbeigeeilten Landdragoner hieben auf Geheiß des Po-
lizeivorſtandes ein und ſo wurden einige Studenten verwundet. Dieſen
Morgen kam eine requirirte Abtheilung Cuiraſſiere von Northeim, und
ſtellte ſich vor dem Univerſitätsgebäude auf, wo Senat, Profeſſoren und
Studenten verſammelt waren. Nachmittags verſammelten ſich auch die
Bürger. Eine Deputation von Profeſſoren (Briegleb, Fuchs, Ritter,
Zachariä) wurde nach Hannover geſendet, und fuhr ſoeben unter Vivat-
rufen der Bevölkerung ab. Hoffentlich kommt es zu einer Entfernung
des Polizeivorſtandes, der ſeine völlige Unfähigkeit zu ſeinem Amte
wiederholt bethätigt hat. Nunmehr wird es auch wahrſcheinlich zu
politiſchen Adreſſen von Seite der Bürgerſchaft kommen, die vielleicht
ſonſt unterblieben wären. Die Univerſität hat ſich nicht dazu entſchloſſen,
obwohl die Frage erörtert wurde. Man vertraut dem einberufenen
Landtag, beklagt es aber jetzt doppelt daß die Univerſität keinen Ver-
treter aus ihrer Mitte gewählt hat. Wie in Rheinpreußen, ſo findet
man auch in Hannover große Abneigung gegen ungeſetzliche und ſtür-
miſche Wege und in Göttingen vielleicht am meiſten, wo die Bürger
noch die Unruhen von 1831 und deren Folgen in guter Erinnerung
haben. Die gegenwärtige Aufregung wird übrigens noch geſteigert
durch die geſtern bekannt gegebene Jnſolvenz des erſten jüdiſchen Ban-
kierhauſes Benfey, wie man ſagt mit 150,000 Thalern, wo viele Dienſt-
boten und ärmere Leute ihre Erſparniſſe angelegt hatten. Die Woh-
nung der Chefs war geſtern ganz umlagert und mit polizeilicher Be-
wachung verſehen.
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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