Allgemeine Zeitung, Nr. 76, 16. März 1848.[Spaltenumbruch]
fürchtungen, die aller Orten laut werden, zu gewinnen. Gerüchte der Sun Wien, 13 März. Heute sind bedenkliche Unruhen hier ausge- Spanien. Madrid, 6 März. Das alte System, obschon sichtbarlich erschüt- Großbritannien. London, 11 März. Das Haus der Gemeinen saß am 10 März wieder als Com- Die vertriebene französische Königsfamilie führt in Claremont ein Am 10 März erfolgte in der Bow-Kirche zu London die feierliche * London, 9 März. Der Handel welcher in den letzten Wochen *) Es kamen uns heute aus Wien bloß diese paar Zeilen eines Privat-
briefes zu. R. d. A. Z. [Spaltenumbruch]
fürchtungen, die aller Orten laut werden, zu gewinnen. Gerüchte der ☉ Wien, 13 März. Heute ſind bedenkliche Unruhen hier ausge- Spanien. Madrid, 6 März. Das alte Syſtem, obſchon ſichtbarlich erſchüt- Großbritannien. London, 11 März. Das Haus der Gemeinen ſaß am 10 März wieder als Com- Die vertriebene franzöſiſche Königsfamilie führt in Claremont ein Am 10 März erfolgte in der Bow-Kirche zu London die feierliche * London, 9 März. Der Handel welcher in den letzten Wochen *) Es kamen uns heute aus Wien bloß dieſe paar Zeilen eines Privat-
briefes zu. R. d. A. Z. <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div type="jComment" n="4"> <p><pb facs="#f0006" n="1206"/><cb/> fürchtungen, die aller Orten laut werden, zu gewinnen. Gerüchte der<lb/> freudigſten und der betrübendſten Art kreuzen ſich, man weiß nicht was<lb/> und wie. Nur eins iſt allen klar daß in jedem Gemüthe Aufregung<lb/> herrſcht, daß man Beſſeres hoffen darf. Das Mißtrauen gegen das<lb/> Papiergeld iſt ein faſt allgemeines, man mußte zur Nationalbank, zur<lb/> Sparcaſſe doppelte Wachen zur Aufrechthaltung der Ordnung ſtellen;<lb/> die heutige Wiener Zeitung ſucht dem Mißtrauen zu begegnen, indem<lb/> die Bankdirectoren in derſelben den Caſſenſtand des letzten Monats<lb/> drucken laſſen. Wie kommt es aber daß man uns plötzlich Mittheilungen<lb/> macht und in die ſonſt ſo geheimnißvoll officielle Karte blicken läßt? Das<lb/> iſt ja ein Schritt vorwärts! Man weiß die Stimmung und Geneigt-<lb/> heit des Hofes zu Conceſſionen und iſt um ſo erbitterter gegen die ſtarre<lb/> Aufrechthaltung eines morſchen Syſtems. — Von Mailand her kommen<lb/> der Handelswelt beruhigendere Votſchaften: die Nachricht von der Repu-<lb/> blik hat eine entgegengeſetzte Wirkung als man glaubte, ſie verbreitete<lb/> einen paniſchen Schrecken unter den liberalen lombardiſchen Herzögen,<lb/> Conti und Principi. Sie fürchteten plötzlich den Verluſt ihrer Titel<lb/> und haben ſich dem Vicekönig genähert. Da, wie eine Bombe, platzte<lb/> es auf dem Reichstag in Preßburg. Koſſuth hielt eine Rede in der er<lb/> bewies daß Bajonette nicht mehr die Bürgſchaften ſind mit denen man<lb/> Staaten zuſammenhält. Die geſtrige Preßburger Zeitung enthält ein<lb/> gewappnetes Schreiben gegen die Regierung an den Kaiſer, in welchem<lb/> einfach und klar eine zeitgemäße Conſtitution für alle öſterreichiſchen<lb/> Staaten gefordert wird, in welchem bei allen Ausdrücken der treueſten<lb/> Anhänglichkeit an die Dynaſtie geſagt wird: wie die Regierung die unga-<lb/> riſche Nation ſtets gehindert habe ihre Conſtitution zeitgemäß zu ent-<lb/> wickeln, wie ſie nun aber fordern müſſe und fordern dürfe daß dem ein<lb/> Ende ſey. Um Jhnen beiläuſig die Stimmung anzuzeigen an der Sie<lb/> das frühere Wien nicht erkennen werden, erzähle ich Jhnen daß in einem<lb/> der beſuchteſten Kaffeehäuſer, die nebenbei geſagt überfüllt ſind, als viele<lb/> die Zeitung ſchreiend verlangten, ein Mann auf das Billard ſtieg und<lb/> mit Stentorſtimme rief: „Jm Namen der conſtitutionellen Regierung,<lb/> ſtill! Jch werde vorleſen.“ — Erzherzog Johann iſt durch Eſtaffete nach<lb/> Wien zurückgerufen, Erzherzog Stephan langte geſtern hier an um Ver-<lb/> haltungsmaßregeln zu holen. — Die öſterreichiſchen Stände eröffnen in<lb/> dieſem Monate den Landtag; es verlautet daß ſie auf eine conſtitutionelle<lb/> Verfaſſung dringen werden. Eine andere Verſion lautet daß ſie durch<lb/> den nach der Eröffnung nach Mailand gehenden Landmarſchall Grafen<lb/> Montecuculi dem Monarchen ſagen ließen: ſie würden die Verlegenheit<lb/> der Regierung nicht benutzen. Wir ſind jedenfalls auf die Ständever-<lb/> ſammlung im höchſten Grade geſpannt, denn jetzt gilt es mehr als den<lb/> vierten Stand mit einzuziehen! Die öſterreichiſchen Herren und Ritter<lb/> ſind dießmal der Nation verantwortlich, und ihr dießmaliges Wollen und<lb/> Wirken wird hiſtoriſch werden. — Jn der Monatsverſammlung des Ge-<lb/> werbvereins trat Hr. Arthaber vor den anweſenden Erzherzog Franz Karl,<lb/> und verkündete ihm im Namen der Bürgerſchaft daß unter derſelben der<lb/> allgemeine Wunſch nach gehörigen Umgeſtaltungen im Staatsweſen lebe,<lb/> daß der geſunkene Credit des Staates auf Gewerbe und Handel den nach-<lb/> theiligſten Einfluß übe, und daß man allgemein unter den Bürgern der<lb/> Anſicht ſey daß derſelbe nur durch Umgeſtaltungen und Zugeſtändniſſe<lb/> im Staatsleben gehoben werden könne. Hierauf überreichte Hr. Arthaber<lb/> unter dem allgemeinen begeiſterten Beifalle der zahlreich verſammelten<lb/> Bürger dem Erzherzog eine Adreſſe an den Kaiſer (ſie ſindet ſich in<lb/> der Außerordentlichen Beilage der Allgemeinen Zeitung vom 12 März);<lb/> der Erzherzog, ſichtbar bewegt, übernahm dieſelbe, verſprach, ſie dem Kai-<lb/> ſer zu übergeben, verſicherte daß man den Wünſchen der Bürger nachkom-<lb/> men werde und ſchloß damit daß man in dieſen ſtürmiſchen Zeiten von<lb/> Seiten des Kaiſerhauſes auf die alte Ergebenheit der Wiener Bürger<lb/> rechne die nicht anſtehen würden, wie immer Gut und Blut dem Kaiſer-<lb/> hauſe zu weihen. Seinen Worten folgte der allgemeine Beifall der<lb/> Verſammlung. — Was ſagen Sie zu dieſer öffentlichen Demonſtration?<lb/> Die ganze Bureaukratie wird übergangen, man wagt es den gewöhn-<lb/> lichen labyrinthiſchen Schneckenweg zum Throne zu verachten! Sind das<lb/> nicht bedeutende Zeichen der Zeit? Und die Freude ſollten Sie ſehen<lb/> in der geſammten Bürgerſchaft.“</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline>☉ <hi rendition="#b">Wien,</hi> 13 März.</dateline><lb/> <p>Heute ſind bedenkliche Unruhen hier ausge-<lb/> brochen. Auf einem der öffentlichen Plätze wurde geſchoſſen, und zehn<lb/> Perſonen ſollen gefallen ſeyn. Die Vorſtadt iſt von der Stadt abgeſperrt.<lb/> Die Kanonen der Burg geladen, zahlreiches Militär aufgeboten. Ein<lb/> Handbillet des Kaiſers, worin auf die heute durch die Studenten ein-<lb/> gereichte Petition ausweichend geantwortet wurde, führte zu großer<lb/><cb/> Aufregung unter der Jugend. Man ſteht mit Beſorgniß dem Abend<lb/> entgegen. Der Erzherzog Albrecht kam ſelbſt ins Gedränge. Jm Stän-<lb/> dehauſe kam es zu ſtürmiſchen Auftritten.<note place="foot" n="*)">Es kamen uns heute aus Wien bloß dieſe paar Zeilen eines Privat-<lb/> briefes zu. R. d. A. 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Die<lb/> ſpaniſche Regierung wünſche mit Frankreich in Frieden zu leben, welches<lb/> auch die Staatsform ſey die ſich dasſelbe glaube geben zu müſſen, denn<lb/> beide Länder ſeyen beſtimmt befreundet zu ſeyn und einander zu achten.<lb/> Sie erwarte daher nur die Sanction der Nationverſammlung um mit der<lb/> Republik in Verhältniſſe zu treten wie ſie mit der gefallenen Dynaſtie<lb/> beſtanden. Uebrigens werde das Miniſterium mit den Cortes das Bud-<lb/> get berathen und nach der Geſetzlichkeit regieren, <hi rendition="#g">ſolange</hi> es ſich nicht in<lb/> die harte Nothwendigkeit verſetzt ſehen werde andere Maßregeln zu er-<lb/> greifen um die Ordnung und die Jnſtitutionen aufrechtzuerhalten, die es<lb/> entſchloſſen ſey bis auf den Tod zu vertheidigen. Die Journale welche<lb/> die Proteſtation enthielten, waren mit Beſchlag belegt worden. (Sp. 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Die Debatte über<lb/> die Einkommenſteuer wurde fortgeſetzt, jedoch abermals nicht zum Schluß<lb/> gebracht; denn man verlor ſich in eine theoretiſche Controverſe über den<lb/> Werth oder Unwerth der Peel’ſchen Finanz- und Handelspolitik, aus<lb/> welcher die Einkommenſteuer hervorgegangen. <hi rendition="#aq">„Crambe repetita,“</hi><lb/> ſagt die <hi rendition="#g">Times</hi>; „der Band von Hanſard welcher die Korngeſetzdebatte<lb/> von 1846 enthält, iſt ein wahres Bergwerk ſolchen Stoffs.“ Hr. <hi rendition="#g">Wilſon</hi><lb/> vertheidigte Peels Politik in langer Rede; er will die Einkommenſteuer<lb/> nicht nur beibehalten haben, ſondern hätte ſogar deren Erhöhung um<lb/> 2 Proc. gewünſcht; aber der Art wie ſie erhoben wird iſt auch er entge-<lb/> gen. Hr. <hi rendition="#g">Diſraeli</hi> griff die Mancheſterer Schule, d. h. die Cobden-<lb/> Macgregor’ſche Freihandelspolitik in einer Rede an welche ſelbſt die Ti-<lb/> mes, ein Freihandelsblatt, als ein Meiſterſtück ſarkaſtiſcher Polemik rühmt.<lb/> Hr. <hi rendition="#g">Gladſtone</hi> trat ihm mit einem gleich tüchtigen Vortrag entgegen.<lb/> Auf Hrn. <hi rendition="#g">Cobdens</hi> Antrag wurde dann die Verhandlung ausgeſetzt.<lb/> — Das <hi rendition="#g">Oberhaus</hi> ſaß nur wenige Minuten.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"><lb/> <p>Die vertriebene franzöſiſche Königsfamilie führt in Claremont ein<lb/> ſtilles Privatleben; ſie hat ihre Bedienung auf die möglichſt kleine Zahl<lb/> beſchränkt. Einer Angabe in der <hi rendition="#g">Times</hi> zufolge hat Ludwig Philipp<lb/> den Wunſch geäußert das Landhaus bei Twickenham wieder zu beziehen,<lb/> welches er während ſeines frühern Exils bewohnt. Es ſteht zufällig<lb/> jetzt leer, und Unterhandlungen über deſſen Miethung ſollen bereits<lb/> angeknüpft ſeyn. Twickenham iſt ein freundlich gelegenes Städtchen<lb/> an der Themſe oberhalb von London, mit ungefähr 4000 Einwohnern;<lb/> in der Nähe der herrliche Park von Strawberry-Hill und Pope’s Villa.<lb/> Die alte Königin hat gegen Lady Jane Peel geäußert: ſie hoffe in Eng-<lb/> land ihre Tage in Ruhe zu beſchließen, denn in Frankreich habe ſie, we-<lb/> nigſtens ſeit 1830, die Ruhe nicht gekannt. — Hr. Guizot, welcher bis<lb/> zum letzten Mittwoch in ſtrengſter Zurückgezogenheit in London gelebt,<lb/> empfängt und macht jetzt zahlreiche Beſuche. Die meiſten der fremden<lb/> Geſandten haben ihn beſucht. — Man bemerkt daß die Farbenordnung<lb/> der franzöſiſchen Tricolorflagge ſeit der Revolution verändert iſt: früher<lb/> war ſie blau-weiß-roth, jetzt iſt ſie blau-roth-weiß.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"><lb/> <p>Am 10 März erfolgte in der Bow-Kirche zu London die feierliche<lb/> Beſtätigung (<hi rendition="#aq">conſirmation</hi>) der Wahl des bisherigen Biſchofs von<lb/> Cheſter, <hi rendition="#aq">Dr.</hi> John Bird Sumner, zum Erzbiſchof von Canterbury.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline><hi rendition="#b">* London,</hi> 9 März.</dateline><lb/> <p>Der Handel welcher in den letzten Wochen<lb/> für die indiſchen und chineſiſchen Märkte, für Nordamerika und Merico,<lb/> ſowie für Griechenland und die Türkei mannichfaltige Belebung erhalten<lb/> hatte, iſt durch die Ereigniſſe in Frankreich auf einmal wieder zum Still-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1206/0006]
fürchtungen, die aller Orten laut werden, zu gewinnen. Gerüchte der
freudigſten und der betrübendſten Art kreuzen ſich, man weiß nicht was
und wie. Nur eins iſt allen klar daß in jedem Gemüthe Aufregung
herrſcht, daß man Beſſeres hoffen darf. Das Mißtrauen gegen das
Papiergeld iſt ein faſt allgemeines, man mußte zur Nationalbank, zur
Sparcaſſe doppelte Wachen zur Aufrechthaltung der Ordnung ſtellen;
die heutige Wiener Zeitung ſucht dem Mißtrauen zu begegnen, indem
die Bankdirectoren in derſelben den Caſſenſtand des letzten Monats
drucken laſſen. Wie kommt es aber daß man uns plötzlich Mittheilungen
macht und in die ſonſt ſo geheimnißvoll officielle Karte blicken läßt? Das
iſt ja ein Schritt vorwärts! Man weiß die Stimmung und Geneigt-
heit des Hofes zu Conceſſionen und iſt um ſo erbitterter gegen die ſtarre
Aufrechthaltung eines morſchen Syſtems. — Von Mailand her kommen
der Handelswelt beruhigendere Votſchaften: die Nachricht von der Repu-
blik hat eine entgegengeſetzte Wirkung als man glaubte, ſie verbreitete
einen paniſchen Schrecken unter den liberalen lombardiſchen Herzögen,
Conti und Principi. Sie fürchteten plötzlich den Verluſt ihrer Titel
und haben ſich dem Vicekönig genähert. Da, wie eine Bombe, platzte
es auf dem Reichstag in Preßburg. Koſſuth hielt eine Rede in der er
bewies daß Bajonette nicht mehr die Bürgſchaften ſind mit denen man
Staaten zuſammenhält. Die geſtrige Preßburger Zeitung enthält ein
gewappnetes Schreiben gegen die Regierung an den Kaiſer, in welchem
einfach und klar eine zeitgemäße Conſtitution für alle öſterreichiſchen
Staaten gefordert wird, in welchem bei allen Ausdrücken der treueſten
Anhänglichkeit an die Dynaſtie geſagt wird: wie die Regierung die unga-
riſche Nation ſtets gehindert habe ihre Conſtitution zeitgemäß zu ent-
wickeln, wie ſie nun aber fordern müſſe und fordern dürfe daß dem ein
Ende ſey. Um Jhnen beiläuſig die Stimmung anzuzeigen an der Sie
das frühere Wien nicht erkennen werden, erzähle ich Jhnen daß in einem
der beſuchteſten Kaffeehäuſer, die nebenbei geſagt überfüllt ſind, als viele
die Zeitung ſchreiend verlangten, ein Mann auf das Billard ſtieg und
mit Stentorſtimme rief: „Jm Namen der conſtitutionellen Regierung,
ſtill! Jch werde vorleſen.“ — Erzherzog Johann iſt durch Eſtaffete nach
Wien zurückgerufen, Erzherzog Stephan langte geſtern hier an um Ver-
haltungsmaßregeln zu holen. — Die öſterreichiſchen Stände eröffnen in
dieſem Monate den Landtag; es verlautet daß ſie auf eine conſtitutionelle
Verfaſſung dringen werden. Eine andere Verſion lautet daß ſie durch
den nach der Eröffnung nach Mailand gehenden Landmarſchall Grafen
Montecuculi dem Monarchen ſagen ließen: ſie würden die Verlegenheit
der Regierung nicht benutzen. Wir ſind jedenfalls auf die Ständever-
ſammlung im höchſten Grade geſpannt, denn jetzt gilt es mehr als den
vierten Stand mit einzuziehen! Die öſterreichiſchen Herren und Ritter
ſind dießmal der Nation verantwortlich, und ihr dießmaliges Wollen und
Wirken wird hiſtoriſch werden. — Jn der Monatsverſammlung des Ge-
werbvereins trat Hr. Arthaber vor den anweſenden Erzherzog Franz Karl,
und verkündete ihm im Namen der Bürgerſchaft daß unter derſelben der
allgemeine Wunſch nach gehörigen Umgeſtaltungen im Staatsweſen lebe,
daß der geſunkene Credit des Staates auf Gewerbe und Handel den nach-
theiligſten Einfluß übe, und daß man allgemein unter den Bürgern der
Anſicht ſey daß derſelbe nur durch Umgeſtaltungen und Zugeſtändniſſe
im Staatsleben gehoben werden könne. Hierauf überreichte Hr. Arthaber
unter dem allgemeinen begeiſterten Beifalle der zahlreich verſammelten
Bürger dem Erzherzog eine Adreſſe an den Kaiſer (ſie ſindet ſich in
der Außerordentlichen Beilage der Allgemeinen Zeitung vom 12 März);
der Erzherzog, ſichtbar bewegt, übernahm dieſelbe, verſprach, ſie dem Kai-
ſer zu übergeben, verſicherte daß man den Wünſchen der Bürger nachkom-
men werde und ſchloß damit daß man in dieſen ſtürmiſchen Zeiten von
Seiten des Kaiſerhauſes auf die alte Ergebenheit der Wiener Bürger
rechne die nicht anſtehen würden, wie immer Gut und Blut dem Kaiſer-
hauſe zu weihen. Seinen Worten folgte der allgemeine Beifall der
Verſammlung. — Was ſagen Sie zu dieſer öffentlichen Demonſtration?
Die ganze Bureaukratie wird übergangen, man wagt es den gewöhn-
lichen labyrinthiſchen Schneckenweg zum Throne zu verachten! Sind das
nicht bedeutende Zeichen der Zeit? Und die Freude ſollten Sie ſehen
in der geſammten Bürgerſchaft.“
☉ Wien, 13 März.
Heute ſind bedenkliche Unruhen hier ausge-
brochen. Auf einem der öffentlichen Plätze wurde geſchoſſen, und zehn
Perſonen ſollen gefallen ſeyn. Die Vorſtadt iſt von der Stadt abgeſperrt.
Die Kanonen der Burg geladen, zahlreiches Militär aufgeboten. Ein
Handbillet des Kaiſers, worin auf die heute durch die Studenten ein-
gereichte Petition ausweichend geantwortet wurde, führte zu großer
Aufregung unter der Jugend. Man ſteht mit Beſorgniß dem Abend
entgegen. Der Erzherzog Albrecht kam ſelbſt ins Gedränge. Jm Stän-
dehauſe kam es zu ſtürmiſchen Auftritten. *)
Spanien.
Madrid, 6 März.
Das alte Syſtem, obſchon ſichtbarlich erſchüt-
tert, ſucht ſich noch zu halten. Die Redacteure der progreſſiſtiſchen
Preſſe haben unterm geſtrigen Datum an die Königin eine Bittſchrift
unterzeichnet, worin ſie Jhre Maj. beſchwören dem an die Cories ge-
brachten Geſetzentwurf, betreffend die Ermächtigung zu Suspendirung
verfaſſungsmäßiger Gewährſchaften und Aufnahme eines Anlehens von
200 Mill. Realen, ihre königl. Beſtätigung zu verſagen. Dieſes Geſetz,
in der vorgeſtrigen Sitzung vom Congreß mit 148 gegen 45 Stimmen
genehmigt, liegt jetzt vor dem Senat. Bemerkenswerth iſt die Erklä-
rung des Generals Narvaez mit der die Debatte ſchloß. Das Geſetz ſey
eine bloße Vorſichtsmaßregel, eine Maſchine, kein Wurfgeſchoß. Die
ſpaniſche Regierung wünſche mit Frankreich in Frieden zu leben, welches
auch die Staatsform ſey die ſich dasſelbe glaube geben zu müſſen, denn
beide Länder ſeyen beſtimmt befreundet zu ſeyn und einander zu achten.
Sie erwarte daher nur die Sanction der Nationverſammlung um mit der
Republik in Verhältniſſe zu treten wie ſie mit der gefallenen Dynaſtie
beſtanden. Uebrigens werde das Miniſterium mit den Cortes das Bud-
get berathen und nach der Geſetzlichkeit regieren, ſolange es ſich nicht in
die harte Nothwendigkeit verſetzt ſehen werde andere Maßregeln zu er-
greifen um die Ordnung und die Jnſtitutionen aufrechtzuerhalten, die es
entſchloſſen ſey bis auf den Tod zu vertheidigen. Die Journale welche
die Proteſtation enthielten, waren mit Beſchlag belegt worden. (Sp. Bl.)
Großbritannien.
London, 11 März.
Das Haus der Gemeinen ſaß am 10 März wieder als Com-
mittee der Wege und Mittel (Subſidien-Committee). Die Debatte über
die Einkommenſteuer wurde fortgeſetzt, jedoch abermals nicht zum Schluß
gebracht; denn man verlor ſich in eine theoretiſche Controverſe über den
Werth oder Unwerth der Peel’ſchen Finanz- und Handelspolitik, aus
welcher die Einkommenſteuer hervorgegangen. „Crambe repetita,“
ſagt die Times; „der Band von Hanſard welcher die Korngeſetzdebatte
von 1846 enthält, iſt ein wahres Bergwerk ſolchen Stoffs.“ Hr. Wilſon
vertheidigte Peels Politik in langer Rede; er will die Einkommenſteuer
nicht nur beibehalten haben, ſondern hätte ſogar deren Erhöhung um
2 Proc. gewünſcht; aber der Art wie ſie erhoben wird iſt auch er entge-
gen. Hr. Diſraeli griff die Mancheſterer Schule, d. h. die Cobden-
Macgregor’ſche Freihandelspolitik in einer Rede an welche ſelbſt die Ti-
mes, ein Freihandelsblatt, als ein Meiſterſtück ſarkaſtiſcher Polemik rühmt.
Hr. Gladſtone trat ihm mit einem gleich tüchtigen Vortrag entgegen.
Auf Hrn. Cobdens Antrag wurde dann die Verhandlung ausgeſetzt.
— Das Oberhaus ſaß nur wenige Minuten.
Die vertriebene franzöſiſche Königsfamilie führt in Claremont ein
ſtilles Privatleben; ſie hat ihre Bedienung auf die möglichſt kleine Zahl
beſchränkt. Einer Angabe in der Times zufolge hat Ludwig Philipp
den Wunſch geäußert das Landhaus bei Twickenham wieder zu beziehen,
welches er während ſeines frühern Exils bewohnt. Es ſteht zufällig
jetzt leer, und Unterhandlungen über deſſen Miethung ſollen bereits
angeknüpft ſeyn. Twickenham iſt ein freundlich gelegenes Städtchen
an der Themſe oberhalb von London, mit ungefähr 4000 Einwohnern;
in der Nähe der herrliche Park von Strawberry-Hill und Pope’s Villa.
Die alte Königin hat gegen Lady Jane Peel geäußert: ſie hoffe in Eng-
land ihre Tage in Ruhe zu beſchließen, denn in Frankreich habe ſie, we-
nigſtens ſeit 1830, die Ruhe nicht gekannt. — Hr. Guizot, welcher bis
zum letzten Mittwoch in ſtrengſter Zurückgezogenheit in London gelebt,
empfängt und macht jetzt zahlreiche Beſuche. Die meiſten der fremden
Geſandten haben ihn beſucht. — Man bemerkt daß die Farbenordnung
der franzöſiſchen Tricolorflagge ſeit der Revolution verändert iſt: früher
war ſie blau-weiß-roth, jetzt iſt ſie blau-roth-weiß.
Am 10 März erfolgte in der Bow-Kirche zu London die feierliche
Beſtätigung (conſirmation) der Wahl des bisherigen Biſchofs von
Cheſter, Dr. John Bird Sumner, zum Erzbiſchof von Canterbury.
* London, 9 März.
Der Handel welcher in den letzten Wochen
für die indiſchen und chineſiſchen Märkte, für Nordamerika und Merico,
ſowie für Griechenland und die Türkei mannichfaltige Belebung erhalten
hatte, iſt durch die Ereigniſſe in Frankreich auf einmal wieder zum Still-
*) Es kamen uns heute aus Wien bloß dieſe paar Zeilen eines Privat-
briefes zu. R. d. A. Z.
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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