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Allgemeine Zeitung, Nr. 83, 26. März 1900.

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München, Montag Allgemeine Zeitung. 26. März 1900. Nr. 83.
[Spaltenumbruch]

nehmungsgeistes in Kleinasien erreicht wurde, wesentlich
auf die ebenso liebenswürdige wie bestimmte Energie der
deutschen Diplomatie zurückzuführen ist. Im übrigen weiß
man speziell auch in den deutschfeindlichen Lagern in Eng-
land, daß die Gelegenheit einer finanziellen Betheiligung
an den deutschen Bahnunternehmungen auch dem eng-
lischen Kapital gegeben ist.

Beilänsig sei bemerkt, daß diejenigen zu weit gehen,
welche von einer Geneigtheit des Sultans sprechen, der
deutschen Kolonisation von Kleinasien Vorschub zu leisten.
Wie wenig Kleinasien für eine deutsche Kolonisation in
Betracht kommen kann, ist erst vor kurzem von sachver-
ständiger Seite in der Allg. Ztg. dargelegt worden. Jeden-
falls kann sich keine befreundete Macht, und speziell auch
Rußland nicht beschweren, daß die Gewinnung von Stütz-
punkten und Garantien für die Bethätigung des wirth-
schaftlichen Unternehmungsgeistes in Kleinasien von deut-
scher Seite erstrebt worden ist oder erstrebt werde auf
Kosten des Einflusses oder der Rechte Anderer.

Vom Tage.

Tel. Prinz Heinrich von
Preußen
traf gestern Vormittag in Begleitung des Hof-
marschalls v. Seckendorff in Bremerhaven ein und be-
suchte das Kaiserdock, die Modellversuchsstation, den Nord-
deutschen Lloyd und den Dampfer "Kaiser Wilhelm der
Große". Der Präsident des Verwaltungsraths des Nord-
deutschen Lloyd, Geo Plate, daukte in seinem Toast dem
Prinzen für das hohe Interesse, welches er dem Norddeutschen
Lloyd entgegenbringe. Dem persönlichen Auftreten des
Prinzen Heinrich in Ostasien sei der gewaltige Auf-
schwung des deutschen Handels dort mitzu-
verdanken.
Binnen Jahresfrist werde der Lloyd dort
40 Küstendampfer in Betrieb haben. Prinz Heinrich ant-
wortete mit einem Hoch auf den Norddeutschen Lloyd und
versicherte diesen seiner dauernden Sympathie. Um 21/2 Uhr
trat Prinz Heinrich die Nückreise nach Bremen an.

Die Erbgroßherzogin von Oldenburg wurde
gestern von einem Prinzen und einer Prinzessin
glücklich entbunden. Beide Kinder sind bald nach der Geburt
gestorben.

Im hiesigen Nathhaussaale tagte gestern eine vom Komitee
gegen die kunst- und literaturfeindlichen Be-
strebungen der lex Heinze
einberufene Versammlung.
Es waren nur Herren geladen. Unter Anderen sprachen Pro-
fessor Eberlein, Engelhorn, Vorsitzender des Börsenvereins
deutscher Buchhändler, Direktor Brahm vom Deutschen
Theater und zum Schluß Hermann Sudermann, der die
Gründung eines Goethe-Bundes empfahl.

Die endgültige Beilegung des Tischlerstriles wurde
gestern in einer von mehr als 5000 Tischlergesellen besuchten,
sehr stürmisch verlaufenen Generalversammlung beschlossen.

Der "Nat. Korr." zufolge wird der Hochwasser- und
Ueberschwemmungsschaden in Preußen pro 1899 auf
einer Fläche von 275,443 Hektar auf 21,384,650 M. geschätzt.

Parlamentarisches.

Aus der für die morgen im
Reichstag stattsindende dritte Etatsberathung vor-
liegenden Zusammenstellung der Beschlüsse zweiter Lesung
ergibt sich, daß in der letzteren der Etat nur nuwesentliche
Aenderungen erfahren hat. Während der Etat nach der
Regierungsvorlage mit 2,058,333,551 M. balanzirte, balanzirt
er nach den Beschlüssen der zweiten Lesung mit 2,059,825,412
Mark; neu hinzugefügt ist im Etatsgesetz die Ermächtigung
an den Reichskanzler, zur Bestreitung einmaliger außer-
ordentlicher Ausgaben der Verwaltungen des Reichsheeres,
der Marine und der Reichseisenbahn 72,620,029 M. im Wege
des Kredits flüssig zu machen. Als § 6 sind dem Etatsgesetz
die bekannten Grundsätze über die provisorische Regelung des
Postscheckverkehrs hinzugefügt worden mit der Schlußklausel,
daß das Postscheckwesen spätestens bis zum 1. April 1905
auf dem Weg der Gesetzgebung geregelt werden soll. Rück-
ständig sind aus der zweiten Lesung des Etats sieben Reso-
lutionen geblieben; die Abstimmung darüber ist infolge der
jedesmaligen Beschlußunfähigkeit bis zur dritten Berathung
ausgesetzt worden. Diese Resolutionen betreffen folgende
[Spaltenumbruch] Materien: die für die Ausrüstungsgegenstände von Schiffen
bestehende Zollfreiheit aufzuheben; den Verkauf der künst-
lichen Süßstoffe an die Apotheken zu verweisen mit
der Maßgabe, daß sie nur auf ärztliche Anordnung
ausgegeben werden dürfen; die Erhöhung des Stempelsteuer-
satzes für Loose öffentlicher Lotterien von 10 auf 20 Proz.;
die Herabsetzung der Patentgebühren; die Gleichstellung der
Roßärzte in der Armee mit den entsprechenden Klassen der
Veterinärärzte der bayerischen Armee; die Forderung der
Maturitätsprüfung für die militärärztliche Laufbahn und die
Festsetzung des thierärztlichen Studiums auf neun Semester.
Eine Resolution zum Heeresetat geht dahin, jedem Heeres-
pflichtigen mindestens einmal während der Ableistung der
aktiven Dienstzeit einen Heimathsurlaub mit unentgeltlicher
Eisenbahnbeförderung zu gewähren. Schließlich sollen durch
einen Nachtragsetat die Gehälter der Bureau-Assistenten und
Kanzlisten der Reichspost- und Telegraphenverwaltung und
der Post- und Telegraphenassistenten und Postverwalter in
der Weise normirt werden, daß sie von 1500 auf 3000 M.
steigen, und zwar in der ersten Stufe um 300 M. und in
den folgenden um je 200 M., während zur Zeit die 300 M.-
Stufe die letzte ist.

Oesterreich-Ungarn.
Adel und Klerns in Böhmen.

Der Schlüssel zur böhmischen
Frage liegt, wie zum Verständniß der Sache nicht scharf
genug hervorgehoben werden kann, in der Hand des hohen
Adels
dieses Landes, insbesondere der feudalen Gruppe,
welcher durch geschickt gelegte Fäden thatsächlich die Führung
der tschechischen Abgeordneten zugefallen ist. In diesem Kreise
nun scheint ein gewisser Umschwung eingetreten zu sein. Der
feudale Großgrund besitz, der dem Ausgleich der beiden
Volksstämme längere Zeit große Schwierigkeiten in den Weg
legte, befreundet sich allgemach mit dem Gedanken
einer Veilegung des Streites;
bisher war gerade für
die hervorragendsten Mitglieder dieser Gruppe der Gedanke
maßgebend, daß der Gegensatz der Nationalitäten ihre Macht
im Lande verstärke; doch bricht nunmehr die Einsicht durch,
daß dem hohen Adel die Macht aus den Händen gleiten
müßte, wenn die Gegensätze sich noch mehr verschärfen und
die Radikalen in beiden nationalen Lagern die Führung
an sich reißen und damit den staatlichen Organismus be-
drohen. So ist die mildere Stimmung zu erklären, die in
den letzten Wochen in Vöhmen platzgriff. Gerüchte sind auf-
getaucht des Inhalts, daß der fendale Adel endlich den
Widerstand gegen ein Kompromiß mit der deut-
schen verfassungstreuen Gruppe aufgeben wolle

und bereit sei, von den 70 Laudtagsmandaten, die er inne-
hat, eine Anzahl, etwa 20, der deutschen Minorität zu über-
lassen. Hoffentlich eilt hier nicht der Wunsch den Thatsachen
voraus. Das Verhalten des feudalen Adels, insbesondere
seines Führers, des Fürsten Georg Lobkowitz, in dieser
Frage wird der Prüfstein dafür sein, ob auf dieser Seite
ernstlich an die Herstellung des inneren Friedens gedacht wird.
Auch nach einer anderen Richtung zeigt sich das Unhaltbare
in der schroffen Haltung, welche ein Theil des hohen Adels
und des Klerus in Böhmen gegenüber allen Rathschlägen der
Mäßigung einnahm. Der unversöhnlichste unter allen böhmi-
schen Bischöfen ist Dr. Brynych von Königgrätz, ein Heiß-
sporu, der sich auch mit seinen kirchlichen Vorgesehten übel
verträgt. Es fiel schon auf, daß er unmittelbar nach der
Inthronisation des neuen Erzbischofs von Prag, Baron
Skrbensky, Prag verließ, an der Festtafel nicht theilnahm,
daß er sich ebenso des Besuchs in Rom enthielt, zu welchem
dem Brauche nach jeder Bischof nach seiner Einsetzung ver-
pflichtet ist. Schließlich mußte er von der Kurie ad audiendum
verbum
nach Rom berufen werden. Indessen folgte er,
wie die "Narodni Listy" melden, dieser Aufforderung nicht,
mit dem Hinweise darauf, daß die Aerzte ihm die Reise nach
Rom verbieten. Es ist ganz unwahrscheinlich, daß die Mah-
nung der Kurie von der österreichischen Regierung veranlaßt
wurde, da das Ministerium Koerber die Anzahl der Konflikte
im Lande gewiß nicht vergrößern will. Es zeigt sich eben,
daß Naturen wie Bischof Brynych nicht bloß in nationalen,
sondern auch in kirchlichen Angelegenheiten dazu nicht zu ver-
[Spaltenumbruch] halten find, die Wege des Friedens und der Versöhnung zu
gehen. Die tschechischen Blätter nehmen natürlich seine Partei,
da er der Tschechisirung im Visthum Königgrätz mit allen
Kräften Vorschub leistet. Die Ernennung eines solchen Heiß-
sporns zum Vischof war nur zu einer Zeit möglich gewesen,
da es als Grundsatz galt, über das deutsche Element in Oester-
reich hinwegzuschreiten.

Der deutsche Kronprinz in Ungarn?

F. Eine interessante Meldung kommt aus Ungarn, die
an den Besuch anknüpft, den der preußische Hauptmann
v. Bülow, ein Bruder des Staatssekretärs, und Major
Greziczky im Auftrage des Deutschen Kaisers dem 7. Husaren-
regiment in Debrezin abstatteten, dessen Inhaber Kaiser
Wilhelm ist. Wie Debreziner Blätter melden, machten die
deutschen Gäste bei einem vom Offizierkorps ihnen zu Ehren
veranstalteten Banket die Mittheilung, der deutsche Kron-
prinz Friedrich Wilhelm
beabsichtige, im Herbst d. J.
zum Besuche des Regiments, dessen Leutnant er ist, nach
Debrezin zu kommen.

Großbritannien.
Die Dum-Dums im Parlament.

Im Parlament fragte Abgeord-
neter Middlemore, "ob Dum-Dum-Kugeln in diesem
Krieg von den englischen Soldaten verwendet wurden".
Darauf kam es zu folgendem, recht interessanten Zwiegespräch
zwischen Unterstaatssekretär Wyndham und dem irischen
Abg. Dillon: Unterstaatssekretär Wyndham: "Die Kugel,
die in Südafrika für die Gewehre benutzt wird, ist Marke II,
ein festes Geschoß, Kugeln der Marke V wurden zurück-
beordert und sind niemals von den Truppen verwendet
worden. Auch Dum-Dum-Kugeln sind von den Truppen
nicht benutzt worden." Abg. Dillon: "Ist es nicht That-
sache,
daß eine ungeheure Auzahl Kugeln Marke IV,
expansive Hohlspitzkugeln, an die Truppen nach Südasrika
geschickt wurden?" Wyndham: "Nein, das kann nicht
Thatsache sein; ich denke, der Abgeordnete kennt die That-
sache. Die Kugel Marke IV war das vorschrifts-
mäßige Geschoß
und die ursprüngliche Garnison in Süd-
afrika hatte dieselbe, aber die Kugeln sind zurückbeordert und
sind niemals in diesem Krieg gebraucht worden." Ab-
geordneter Dillon: "Ich frage nur, ob thatsächlich viele
Millionen Kugeln der Marke IV in den Händen der Truppen
in Südafrika waren oder nicht." Wyndham: "Sie wurden
zurückbeordert, ohne gebraucht zu sein. Sie wurden in
Magazine gelegt." Abg. Dillon: "Aber sie wurden nicht nach
England zurückgebracht?" Wyndham: "Das weiß ich nicht."
Der Abg. Jeffrey's fragt, ob die Buren in diesem Kriege
Explosivkugeln benntzt haben, erhält indessen keine Antwort.
Es ist also nach den Erklärungen des Unterstaatssekretärs
für Krieg Thatsache, daß die südafrikanischen Garnisonen die
berüchtigten Expansivkugeln, die sich hinter der unschuldigen
Bezeichnung Marke IV verbergen, gehabt haben. Es ist der
Auftrag gegeben, sie zurückzusenden, aber der Unterstaats-
sekretär weiß nicht, ob das geschehen ist, und sagt ins-
besondere auch nicht, wann sie zurückbeordert worden sind.
Die Buren behaupten, gerade von der berüchtigten Marke IV große
Mengen gefunden zu haben, und da sie nach letzten Depeschen
mehrere Kisten dieser Geschosse, die sie in Natal erbentet
haben, an das Kriegsministerium nach London als Beweis-
material eingeschickt haben, so läßt sich doch wohl annehmen,
daß Lord Roberts sich auch in seiner geharnischten Erklärung
betreffend die Nichtverwendung expansiver Kugeln getänscht
hat. Seine eigenen und die späterhin von England ab-
gesandten Truppen mögen feste Kugeln führen, aber die Zu-
rückbeorderung der expansiven Kugeln von den Truppen in
Natal, die die erste Garnison bildeten, scheint zu spät erfolgt
oder nicht beachtet worden zu sein. Das Gravirendste an
der Sache ist, daß der Kriegssekretär "nicht weiß", was in
seinem Ressort vorgeht.

Die Beziehungen zu Frankreich.

Tel. In seiner gestrigen Rede
bei dem Festmahl der Stadtverbände besprach der Handels-
minister Ritchie die Behauptung der französischen Blätter,
daß England Frankreich nach einer glücklichen Beendigung



[Spaltenumbruch]

des Geliebten. Aber sie geht sachte aus der Welt, fast heim-
lich, wie auf den Zehenspitzen schleicht sie sich durch die dunkle
Thür des Todes, das liebe Geschöpf; ihre letzte Bitte, daß
der soeben mit der "Andern" vermählte Geliebte sich ihres
Kindes, seines Kindes, annehme, daß die Andere das selt-
same Brautgeschenk mit gütiger Seele und sansten Armen
empfange, wer vermöchte sie ihr abzuschlagen? Laßt die äugst-
lichen, dicken Spießbürger immerhin über den unerhörten Fall
ihren hochweisen Familienrath halten, zwei wackere junge
Herzen finden sich doch zufammen; sowie Gilberte Gewißheit
erlangt hat, daß sie keinen Grund habe, auf die Todte eifer-
süchtig zu sein, jubelt sie ihrem kleinen Maler entgegen: "Da
bin ich, da hast du mich, nimm mich!" Aber das Kind?
"Ich will nicht kleiner sein als sie! Wo ist das Kind?" Auf-
regung und Verwirrung lösen sich so mit zarter und an-
muthiger Menschlichkeit. -- "Musotte" wurde bisher in
Deutschland gewöhnlich in der dreiaktigen Bearbeitung ge-
geben, in der die psychologische Feinheit und epische Anschau-
lichkeit auf Kosten der dramatischen Technik hervortreten.
Gestern im Schauspielhaus wurde leider nur der zweite Akt
gespielt, der am Sterbebett Musotte's, und dadurch die feine
psychologische Studie Maupassants zur rührenden Soloscene
für die Darstellerin der Titelrolle, während doch der Schwer-
punkt in der ausgezeichneten Milieuschilderung und vor allem
im Charakter der Gilberte liegt. Regie und Darstellung
machten gut, was durch die Streichung der zwei Akte ge-
sündigt war. Frl. Rauch als Musotte war von rührender
Lieblichkeit. Auf die beiden anderen Einakter einzugehen,
liegt kein Grund vor, da sie Repertoirestücke sind.

x. Der Lehrergesang-Verein brachte am vergangenen
Samstag im Kaimsaal die "Antigone" von Sophokles (in
der Douner'schen Uebertragung) mit Mendelssohns Musik für
Chor, Doppelchor und Orchester zur Aufführung. Mendels-
sohn schrieb die Komposition im Jahre 1840 auf Veranlassung
des Königs Friedrich Wilhelm IV. Er hatte großen Erfolg
damit. Der bedeutendere Theil der zeitgenössischen Kritik ersah
in der Arbeit ein Wunder von Stiltreue, und die verschie-
denen Männerchorvereinigungen rissen sich um die Wieder-
gabe. Heute, nach dem musikdramatischen Reformations-
sturm, ist die Schätzung des Werkes auf das liefste Niveau
gesunken: man hat nur Augen für die Mängel und man
spricht bei jeder, stets seltener sich wiederholenden Aufführung
lediglich von "Pictät gegen den Meister". Das geht zu weit.
Wenn auch nicht geleugnet werden kann, daß die Anlage
[Spaltenumbruch] durch die unnatürliche Mischung: verbindende Dichtung
(gesprochen) -- Melodram -- Chorgesang, schon in den
Grundrissen total verzeichnet ist, und daß Mendelssohns
musikalischer Deklamation die unglaublichsten Schnitzer be-
gegnen (woran das gräcisirte Deutsch der Donner'schen Ueber-
setzung freilich die meiste Schuld trägt), so darf man doch
nicht übersehen, wie edel und tief der Tonsetzer den gewaltigen
Gehalt der Tragödie empfunden hat, wie eindringlich er den
betrachtenden Chor sprechen läßt und welchen Reichthum an
glänzenden Detailzügen er im Orchester vor uns ausbreitet.
Der Vortrag des Werkes verlangt tüchtige Kräfte. Nur ein
so vorzüglich gebildeter Chor wie der Lehrergesangverein ist
imstande, über die Schwächen der Anlage hinweg des Hörers
Interesse emporzuheben und ganz auf die einzelnen Schön-
heiten zu konzentriren. Der Eindruck war denn auch sehr
erfreulich. Die Direktion lag in den Händen des Hrn. Albin
Sturm; den verbindenden Text sprach Hr. Lothar Schmidt
mit hohem künstlerischen Verstande und deutlichster Accentuirung.
Den genußreichen Abend eröffnete Beethovens Ouverture "Die
Geschöpfe des Prometheus", vom Kaim-Orchester unter Sieg-
mund v. Hauseggers Leitung temperamentvoll gespielt.
War sie nothwendig?

Der alte Holtei weiß in seinen
"Vierzig Jahren" Wunder von der Unwiderstehlichkeit der
Theaterpassion zu melden. Blaublut und kleine Leute zieht
sie in ihren Wirbel. Sie stiftet die abenteuerlichsten, mehr
oder (meist) weniger legitimen Liebesbündnisse, verleitet Reiche
zu kosispieligen Bühnengründungen, bringt Theaternarren,
wie den Grafen Hahn an den Bettelstab, verklärt Häßliche
zum Abgott der Weiber u. s. w. Die gleiche heillose (nur
durch behutsame Vermögensverwaltung abgekühlte) Theater-
gluth lodert in einem Wiener Millionär, dessen Familjen-
name in der Industrie Weltruf hat: Philipp Haas. Der
Mann ist kürzlich vom Kaiser baronisirt worden. Er huldigt
dem Waidwerk, ist Großgrundbesitzer, stattlich von Ansehen
und des Irrglaubens, daß er Theaterstücke schreiben, sceniren
und als Hauptdarsteller beleben kann. Vor einigen Jahren
trat er zu wohlthätigem Zweck (der gar oft die ärgsten Un-
thaten gegen den guten Geschmack decken muß) im Hamburger
Thalia-Theater auf. Seither wiederholte er das Wagestück
im Carl-Theater und endlich spielte er vor Kaiser Franz Joseph
dieser Tage im Raimund-Theater in einer selbstverfaßten
Komödie "Andreas Gerhard". "Muaß dös sein?" so
fragt eine komische Figur in Anzengrubers "Heimg'funden".

[Spaltenumbruch]

Nikolaus Dumba +. Nicht
einen Künstler im gewöhnlichen Sinne, aber einen seltenen
Kunstfreund, Kunstförderer und - beschützer, einen vornehmsten
Lebenskünstler haben wir in Excellenz Dumba verloren, der
gestern in Budapest einem Schlaganfall erlag. Am 24. Juli
hätte er das Jubiläumsalter, das 70. Jahr, erreicht, der Tod
hat ihn nunmehr, jäh und mild, den vielfachen Ehrungen
entzogen, womit Wien, seine Vaterstadt, ihn bedacht hätte.
Was dieser Wiener aus makedonischem Blute in künstlerischer
Beziehung für Wien gethau, füllt ein schönstes und bestes
Blatt der Kaiserstadtannalen. Er förderte nicht allein die
Kunst, er kämpfte für sie und die Künstler, denen er auch
einen Theil jener sozialen Stellung erstritt, welche sie heute
in Wien genießen. Jede Stunde, welche er seiner politischen
Thätigkeit, seinen geschäftlichen Sorgen, die ihm als vielfachem
Millionär nicht erspart blieben, abtrotzen konnte, war der
Kunst, der Musik und der bildenden Kunst, gewidmet. Dumba,
dem begeisterten Schubert-Verehrer und Schubert-Sänger, ver-
danken wir das Kundmann'sche Schubert-Denkmal, das erste
einem Künstler in Wien gewidmete. Unter den Köstlich-
keiten, welche das Dumba-Palais am Parkring besitzt,
ist der Schubert-Schatz mit die köstlichste. Ohne ihn
hätte es keine Schubert-Ausstellung gegeben. Und die bil-
dende Kunst! Sie schuldet ihm ein Denkmal. Makarts so
fruchtbare venetianische Reise, die vielfach bestimmend für die
Weiterentwicklung des großen Koloristen gewesen, ist eine der
glücklichsten Anregungen Dumba's gewesen. Die Plafond-
und Wandgemälde im Arbeitszimmer Dumba's sind ein kost-
barer Theil des Makart-Werkes. Einen neuen Musiksaal
und Speisefaal ließ sich der reiche Mäcen in den letzten Jahren
durch Gustav Klimt und Franz Matsch malerisch aus-
schmücken. Im ersteren Prachtraum, dessen Empireformen
Klimt'sche Eutwürfe sind, befinden sich des Künstlers be-
kaunte Bilder "Die Musik" und "Schubert am Klavier". Den
herrlichen Musen-Fries im Speisesaal hat Matsch gemalt, die
lichttragenden Hermen sind von Zumbusch, Hellmer, Kund-
mann und Weyr. Dumba war Mitglied des Herrenhauses,
Geheimrath und einer der reichsten Männer Wiens, aber
auch einer der liebenswürdigsten. Im Verkehr mit ihm
hatte man niemals das Gefühl seiner Millionen. Und das
war nicht der letzte der vielen Vorzüge, die diesen Mann so
populär gemacht haben.



München, Montag Allgemeine Zeitung. 26. März 1900. Nr. 83.
[Spaltenumbruch]

nehmungsgeiſtes in Kleinaſien erreicht wurde, weſentlich
auf die ebenſo liebenswürdige wie beſtimmte Energie der
deutſchen Diplomatie zurückzuführen iſt. Im übrigen weiß
man ſpeziell auch in den deutſchfeindlichen Lagern in Eng-
land, daß die Gelegenheit einer finanziellen Betheiligung
an den deutſchen Bahnunternehmungen auch dem eng-
liſchen Kapital gegeben iſt.

Beilänſig ſei bemerkt, daß diejenigen zu weit gehen,
welche von einer Geneigtheit des Sultans ſprechen, der
deutſchen Koloniſation von Kleinaſien Vorſchub zu leiſten.
Wie wenig Kleinaſien für eine deutſche Koloniſation in
Betracht kommen kann, iſt erſt vor kurzem von ſachver-
ſtändiger Seite in der Allg. Ztg. dargelegt worden. Jeden-
falls kann ſich keine befreundete Macht, und ſpeziell auch
Rußland nicht beſchweren, daß die Gewinnung von Stütz-
punkten und Garantien für die Bethätigung des wirth-
ſchaftlichen Unternehmungsgeiſtes in Kleinaſien von deut-
ſcher Seite erſtrebt worden iſt oder erſtrebt werde auf
Koſten des Einfluſſes oder der Rechte Anderer.

Vom Tage.

Tel. Prinz Heinrich von
Preußen
traf geſtern Vormittag in Begleitung des Hof-
marſchalls v. Seckendorff in Bremerhaven ein und be-
ſuchte das Kaiſerdock, die Modellverſuchsſtation, den Nord-
deutſchen Lloyd und den Dampfer „Kaiſer Wilhelm der
Große“. Der Präſident des Verwaltungsraths des Nord-
deutſchen Lloyd, Geo Plate, daukte in ſeinem Toaſt dem
Prinzen für das hohe Intereſſe, welches er dem Norddeutſchen
Lloyd entgegenbringe. Dem perſönlichen Auftreten des
Prinzen Heinrich in Oſtaſien ſei der gewaltige Auf-
ſchwung des deutſchen Handels dort mitzu-
verdanken.
Binnen Jahresfriſt werde der Lloyd dort
40 Küſtendampfer in Betrieb haben. Prinz Heinrich ant-
wortete mit einem Hoch auf den Norddeutſchen Lloyd und
verſicherte dieſen ſeiner dauernden Sympathie. Um 2½ Uhr
trat Prinz Heinrich die Nückreiſe nach Bremen an.

Die Erbgroßherzogin von Oldenburg wurde
geſtern von einem Prinzen und einer Prinzeſſin
glücklich entbunden. Beide Kinder ſind bald nach der Geburt
geſtorben.

Im hieſigen Nathhausſaale tagte geſtern eine vom Komitee
gegen die kunſt- und literaturfeindlichen Be-
ſtrebungen der lex Heinze
einberufene Verſammlung.
Es waren nur Herren geladen. Unter Anderen ſprachen Pro-
feſſor Eberlein, Engelhorn, Vorſitzender des Börſenvereins
deutſcher Buchhändler, Direktor Brahm vom Deutſchen
Theater und zum Schluß Hermann Sudermann, der die
Gründung eines Goethe-Bundes empfahl.

Die endgültige Beilegung des Tiſchlerſtriles wurde
geſtern in einer von mehr als 5000 Tiſchlergeſellen beſuchten,
ſehr ſtürmiſch verlaufenen Generalverſammlung beſchloſſen.

Der „Nat. Korr.“ zufolge wird der Hochwaſſer- und
Ueberſchwemmungsſchaden in Preußen pro 1899 auf
einer Fläche von 275,443 Hektar auf 21,384,650 M. geſchätzt.

Parlamentariſches.

Aus der für die morgen im
Reichstag ſtattſindende dritte Etatsberathung vor-
liegenden Zuſammenſtellung der Beſchlüſſe zweiter Leſung
ergibt ſich, daß in der letzteren der Etat nur nuweſentliche
Aenderungen erfahren hat. Während der Etat nach der
Regierungsvorlage mit 2,058,333,551 M. balanzirte, balanzirt
er nach den Beſchlüſſen der zweiten Leſung mit 2,059,825,412
Mark; neu hinzugefügt iſt im Etatsgeſetz die Ermächtigung
an den Reichskanzler, zur Beſtreitung einmaliger außer-
ordentlicher Ausgaben der Verwaltungen des Reichsheeres,
der Marine und der Reichseiſenbahn 72,620,029 M. im Wege
des Kredits flüſſig zu machen. Als § 6 ſind dem Etatsgeſetz
die bekannten Grundſätze über die proviſoriſche Regelung des
Poſtſcheckverkehrs hinzugefügt worden mit der Schlußklauſel,
daß das Poſtſcheckweſen ſpäteſtens bis zum 1. April 1905
auf dem Weg der Geſetzgebung geregelt werden ſoll. Rück-
ſtändig ſind aus der zweiten Leſung des Etats ſieben Reſo-
lutionen geblieben; die Abſtimmung darüber iſt infolge der
jedesmaligen Beſchlußunfähigkeit bis zur dritten Berathung
ausgeſetzt worden. Dieſe Reſolutionen betreffen folgende
[Spaltenumbruch] Materien: die für die Ausrüſtungsgegenſtände von Schiffen
beſtehende Zollfreiheit aufzuheben; den Verkauf der künſt-
lichen Süßſtoffe an die Apotheken zu verweiſen mit
der Maßgabe, daß ſie nur auf ärztliche Anordnung
ausgegeben werden dürfen; die Erhöhung des Stempelſteuer-
ſatzes für Looſe öffentlicher Lotterien von 10 auf 20 Proz.;
die Herabſetzung der Patentgebühren; die Gleichſtellung der
Roßärzte in der Armee mit den entſprechenden Klaſſen der
Veterinärärzte der bayeriſchen Armee; die Forderung der
Maturitätsprüfung für die militärärztliche Laufbahn und die
Feſtſetzung des thierärztlichen Studiums auf neun Semeſter.
Eine Reſolution zum Heeresetat geht dahin, jedem Heeres-
pflichtigen mindeſtens einmal während der Ableiſtung der
aktiven Dienſtzeit einen Heimathsurlaub mit unentgeltlicher
Eiſenbahnbeförderung zu gewähren. Schließlich ſollen durch
einen Nachtragsetat die Gehälter der Bureau-Aſſiſtenten und
Kanzliſten der Reichspoſt- und Telegraphenverwaltung und
der Poſt- und Telegraphenaſſiſtenten und Poſtverwalter in
der Weiſe normirt werden, daß ſie von 1500 auf 3000 M.
ſteigen, und zwar in der erſten Stufe um 300 M. und in
den folgenden um je 200 M., während zur Zeit die 300 M.-
Stufe die letzte iſt.

Oeſterreich-Ungarn.
Adel und Klerns in Böhmen.

Der Schlüſſel zur böhmiſchen
Frage liegt, wie zum Verſtändniß der Sache nicht ſcharf
genug hervorgehoben werden kann, in der Hand des hohen
Adels
dieſes Landes, insbeſondere der feudalen Gruppe,
welcher durch geſchickt gelegte Fäden thatſächlich die Führung
der tſchechiſchen Abgeordneten zugefallen iſt. In dieſem Kreiſe
nun ſcheint ein gewiſſer Umſchwung eingetreten zu ſein. Der
feudale Großgrund beſitz, der dem Ausgleich der beiden
Volksſtämme längere Zeit große Schwierigkeiten in den Weg
legte, befreundet ſich allgemach mit dem Gedanken
einer Veilegung des Streites;
bisher war gerade für
die hervorragendſten Mitglieder dieſer Gruppe der Gedanke
maßgebend, daß der Gegenſatz der Nationalitäten ihre Macht
im Lande verſtärke; doch bricht nunmehr die Einſicht durch,
daß dem hohen Adel die Macht aus den Händen gleiten
müßte, wenn die Gegenſätze ſich noch mehr verſchärfen und
die Radikalen in beiden nationalen Lagern die Führung
an ſich reißen und damit den ſtaatlichen Organismus be-
drohen. So iſt die mildere Stimmung zu erklären, die in
den letzten Wochen in Vöhmen platzgriff. Gerüchte ſind auf-
getaucht des Inhalts, daß der fendale Adel endlich den
Widerſtand gegen ein Kompromiß mit der deut-
ſchen verfaſſungstreuen Gruppe aufgeben wolle

und bereit ſei, von den 70 Laudtagsmandaten, die er inne-
hat, eine Anzahl, etwa 20, der deutſchen Minorität zu über-
laſſen. Hoffentlich eilt hier nicht der Wunſch den Thatſachen
voraus. Das Verhalten des feudalen Adels, insbeſondere
ſeines Führers, des Fürſten Georg Lobkowitz, in dieſer
Frage wird der Prüfſtein dafür ſein, ob auf dieſer Seite
ernſtlich an die Herſtellung des inneren Friedens gedacht wird.
Auch nach einer anderen Richtung zeigt ſich das Unhaltbare
in der ſchroffen Haltung, welche ein Theil des hohen Adels
und des Klerus in Böhmen gegenüber allen Rathſchlägen der
Mäßigung einnahm. Der unverſöhnlichſte unter allen böhmi-
ſchen Biſchöfen iſt Dr. Brynych von Königgrätz, ein Heiß-
ſporu, der ſich auch mit ſeinen kirchlichen Vorgeſehten übel
verträgt. Es fiel ſchon auf, daß er unmittelbar nach der
Inthroniſation des neuen Erzbiſchofs von Prag, Baron
Skrbensky, Prag verließ, an der Feſttafel nicht theilnahm,
daß er ſich ebenſo des Beſuchs in Rom enthielt, zu welchem
dem Brauche nach jeder Biſchof nach ſeiner Einſetzung ver-
pflichtet iſt. Schließlich mußte er von der Kurie ad audiendum
verbum
nach Rom berufen werden. Indeſſen folgte er,
wie die „Narodni Liſty“ melden, dieſer Aufforderung nicht,
mit dem Hinweiſe darauf, daß die Aerzte ihm die Reiſe nach
Rom verbieten. Es iſt ganz unwahrſcheinlich, daß die Mah-
nung der Kurie von der öſterreichiſchen Regierung veranlaßt
wurde, da das Miniſterium Koerber die Anzahl der Konflikte
im Lande gewiß nicht vergrößern will. Es zeigt ſich eben,
daß Naturen wie Biſchof Brynych nicht bloß in nationalen,
ſondern auch in kirchlichen Angelegenheiten dazu nicht zu ver-
[Spaltenumbruch] halten find, die Wege des Friedens und der Verſöhnung zu
gehen. Die tſchechiſchen Blätter nehmen natürlich ſeine Partei,
da er der Tſchechiſirung im Visthum Königgrätz mit allen
Kräften Vorſchub leiſtet. Die Ernennung eines ſolchen Heiß-
ſporns zum Viſchof war nur zu einer Zeit möglich geweſen,
da es als Grundſatz galt, über das deutſche Element in Oeſter-
reich hinwegzuſchreiten.

Der deutſche Kronprinz in Ungarn?

F. Eine intereſſante Meldung kommt aus Ungarn, die
an den Beſuch anknüpft, den der preußiſche Hauptmann
v. Bülow, ein Bruder des Staatsſekretärs, und Major
Greziczky im Auftrage des Deutſchen Kaiſers dem 7. Huſaren-
regiment in Debrezin abſtatteten, deſſen Inhaber Kaiſer
Wilhelm iſt. Wie Debreziner Blätter melden, machten die
deutſchen Gäſte bei einem vom Offizierkorps ihnen zu Ehren
veranſtalteten Banket die Mittheilung, der deutſche Kron-
prinz Friedrich Wilhelm
beabſichtige, im Herbſt d. J.
zum Beſuche des Regiments, deſſen Leutnant er iſt, nach
Debrezin zu kommen.

Großbritannien.
Die Dum-Dums im Parlament.

Im Parlament fragte Abgeord-
neter Middlemore, „ob Dum-Dum-Kugeln in dieſem
Krieg von den engliſchen Soldaten verwendet wurden“.
Darauf kam es zu folgendem, recht intereſſanten Zwiegeſpräch
zwiſchen Unterſtaatsſekretär Wyndham und dem iriſchen
Abg. Dillon: Unterſtaatsſekretär Wyndham: „Die Kugel,
die in Südafrika für die Gewehre benutzt wird, iſt Marke II,
ein feſtes Geſchoß, Kugeln der Marke V wurden zurück-
beordert und ſind niemals von den Truppen verwendet
worden. Auch Dum-Dum-Kugeln ſind von den Truppen
nicht benutzt worden.“ Abg. Dillon: „Iſt es nicht That-
ſache,
daß eine ungeheure Auzahl Kugeln Marke IV,
expanſive Hohlſpitzkugeln, an die Truppen nach Südaſrika
geſchickt wurden?“ Wyndham:Nein, das kann nicht
Thatſache ſein; ich denke, der Abgeordnete kennt die That-
ſache. Die Kugel Marke IV war das vorſchrifts-
mäßige Geſchoß
und die urſprüngliche Garniſon in Süd-
afrika hatte dieſelbe, aber die Kugeln ſind zurückbeordert und
ſind niemals in dieſem Krieg gebraucht worden.“ Ab-
geordneter Dillon: „Ich frage nur, ob thatſächlich viele
Millionen Kugeln der Marke IV in den Händen der Truppen
in Südafrika waren oder nicht.“ Wyndham: „Sie wurden
zurückbeordert, ohne gebraucht zu ſein. Sie wurden in
Magazine gelegt.“ Abg. Dillon: „Aber ſie wurden nicht nach
England zurückgebracht?“ Wyndham: „Das weiß ich nicht.
Der Abg. Jeffrey’s fragt, ob die Buren in dieſem Kriege
Exploſivkugeln benntzt haben, erhält indeſſen keine Antwort.
Es iſt alſo nach den Erklärungen des Unterſtaatsſekretärs
für Krieg Thatſache, daß die ſüdafrikaniſchen Garniſonen die
berüchtigten Expanſivkugeln, die ſich hinter der unſchuldigen
Bezeichnung Marke IV verbergen, gehabt haben. Es iſt der
Auftrag gegeben, ſie zurückzuſenden, aber der Unterſtaats-
ſekretär weiß nicht, ob das geſchehen iſt, und ſagt ins-
beſondere auch nicht, wann ſie zurückbeordert worden ſind.
Die Buren behaupten, gerade von der berüchtigten Marke IV große
Mengen gefunden zu haben, und da ſie nach letzten Depeſchen
mehrere Kiſten dieſer Geſchoſſe, die ſie in Natal erbentet
haben, an das Kriegsminiſterium nach London als Beweis-
material eingeſchickt haben, ſo läßt ſich doch wohl annehmen,
daß Lord Roberts ſich auch in ſeiner geharniſchten Erklärung
betreffend die Nichtverwendung expanſiver Kugeln getänſcht
hat. Seine eigenen und die ſpäterhin von England ab-
geſandten Truppen mögen feſte Kugeln führen, aber die Zu-
rückbeorderung der expanſiven Kugeln von den Truppen in
Natal, die die erſte Garniſon bildeten, ſcheint zu ſpät erfolgt
oder nicht beachtet worden zu ſein. Das Gravirendſte an
der Sache iſt, daß der Kriegsſekretär „nicht weiß“, was in
ſeinem Reſſort vorgeht.

Die Beziehungen zu Frankreich.

Tel. In ſeiner geſtrigen Rede
bei dem Feſtmahl der Stadtverbände beſprach der Handels-
miniſter Ritchie die Behauptung der franzöſiſchen Blätter,
daß England Frankreich nach einer glücklichen Beendigung



[Spaltenumbruch]

des Geliebten. Aber ſie geht ſachte aus der Welt, faſt heim-
lich, wie auf den Zehenſpitzen ſchleicht ſie ſich durch die dunkle
Thür des Todes, das liebe Geſchöpf; ihre letzte Bitte, daß
der ſoeben mit der „Andern“ vermählte Geliebte ſich ihres
Kindes, ſeines Kindes, annehme, daß die Andere das ſelt-
ſame Brautgeſchenk mit gütiger Seele und ſanſten Armen
empfange, wer vermöchte ſie ihr abzuſchlagen? Laßt die äugſt-
lichen, dicken Spießbürger immerhin über den unerhörten Fall
ihren hochweiſen Familienrath halten, zwei wackere junge
Herzen finden ſich doch zufammen; ſowie Gilberte Gewißheit
erlangt hat, daß ſie keinen Grund habe, auf die Todte eifer-
ſüchtig zu ſein, jubelt ſie ihrem kleinen Maler entgegen: „Da
bin ich, da haſt du mich, nimm mich!“ Aber das Kind?
„Ich will nicht kleiner ſein als ſie! Wo iſt das Kind?“ Auf-
regung und Verwirrung löſen ſich ſo mit zarter und an-
muthiger Menſchlichkeit. — „Muſotte“ wurde bisher in
Deutſchland gewöhnlich in der dreiaktigen Bearbeitung ge-
geben, in der die pſychologiſche Feinheit und epiſche Anſchau-
lichkeit auf Koſten der dramatiſchen Technik hervortreten.
Geſtern im Schauſpielhaus wurde leider nur der zweite Akt
geſpielt, der am Sterbebett Muſotte’s, und dadurch die feine
pſychologiſche Studie Maupaſſants zur rührenden Soloſcene
für die Darſtellerin der Titelrolle, während doch der Schwer-
punkt in der ausgezeichneten Milieuſchilderung und vor allem
im Charakter der Gilberte liegt. Regie und Darſtellung
machten gut, was durch die Streichung der zwei Akte ge-
ſündigt war. Frl. Rauch als Muſotte war von rührender
Lieblichkeit. Auf die beiden anderen Einakter einzugehen,
liegt kein Grund vor, da ſie Repertoireſtücke ſind.

x. Der Lehrergeſang-Verein brachte am vergangenen
Samſtag im Kaimſaal die „Antigone“ von Sophokles (in
der Douner’ſchen Uebertragung) mit Mendelsſohns Muſik für
Chor, Doppelchor und Orcheſter zur Aufführung. Mendels-
ſohn ſchrieb die Kompoſition im Jahre 1840 auf Veranlaſſung
des Königs Friedrich Wilhelm IV. Er hatte großen Erfolg
damit. Der bedeutendere Theil der zeitgenöſſiſchen Kritik erſah
in der Arbeit ein Wunder von Stiltreue, und die verſchie-
denen Männerchorvereinigungen riſſen ſich um die Wieder-
gabe. Heute, nach dem muſikdramatiſchen Reformations-
ſturm, iſt die Schätzung des Werkes auf das liefſte Niveau
geſunken: man hat nur Augen für die Mängel und man
ſpricht bei jeder, ſtets ſeltener ſich wiederholenden Aufführung
lediglich von „Pictät gegen den Meiſter“. Das geht zu weit.
Wenn auch nicht geleugnet werden kann, daß die Anlage
[Spaltenumbruch] durch die unnatürliche Miſchung: verbindende Dichtung
(geſprochen) — Melodram — Chorgeſang, ſchon in den
Grundriſſen total verzeichnet iſt, und daß Mendelsſohns
muſikaliſcher Deklamation die unglaublichſten Schnitzer be-
gegnen (woran das gräciſirte Deutſch der Donner’ſchen Ueber-
ſetzung freilich die meiſte Schuld trägt), ſo darf man doch
nicht überſehen, wie edel und tief der Tonſetzer den gewaltigen
Gehalt der Tragödie empfunden hat, wie eindringlich er den
betrachtenden Chor ſprechen läßt und welchen Reichthum an
glänzenden Detailzügen er im Orcheſter vor uns ausbreitet.
Der Vortrag des Werkes verlangt tüchtige Kräfte. Nur ein
ſo vorzüglich gebildeter Chor wie der Lehrergeſangverein iſt
imſtande, über die Schwächen der Anlage hinweg des Hörers
Intereſſe emporzuheben und ganz auf die einzelnen Schön-
heiten zu konzentriren. Der Eindruck war denn auch ſehr
erfreulich. Die Direktion lag in den Händen des Hrn. Albin
Sturm; den verbindenden Text ſprach Hr. Lothar Schmidt
mit hohem künſtleriſchen Verſtande und deutlichſter Accentuirung.
Den genußreichen Abend eröffnete Beethovens Ouverture „Die
Geſchöpfe des Prometheus“, vom Kaim-Orcheſter unter Sieg-
mund v. Hauseggers Leitung temperamentvoll geſpielt.
War ſie nothwendig?

Der alte Holtei weiß in ſeinen
„Vierzig Jahren“ Wunder von der Unwiderſtehlichkeit der
Theaterpaſſion zu melden. Blaublut und kleine Leute zieht
ſie in ihren Wirbel. Sie ſtiftet die abenteuerlichſten, mehr
oder (meiſt) weniger legitimen Liebesbündniſſe, verleitet Reiche
zu koſiſpieligen Bühnengründungen, bringt Theaternarren,
wie den Grafen Hahn an den Bettelſtab, verklärt Häßliche
zum Abgott der Weiber u. ſ. w. Die gleiche heilloſe (nur
durch behutſame Vermögensverwaltung abgekühlte) Theater-
gluth lodert in einem Wiener Millionär, deſſen Familjen-
name in der Induſtrie Weltruf hat: Philipp Haas. Der
Mann iſt kürzlich vom Kaiſer baroniſirt worden. Er huldigt
dem Waidwerk, iſt Großgrundbeſitzer, ſtattlich von Anſehen
und des Irrglaubens, daß er Theaterſtücke ſchreiben, ſceniren
und als Hauptdarſteller beleben kann. Vor einigen Jahren
trat er zu wohlthätigem Zweck (der gar oft die ärgſten Un-
thaten gegen den guten Geſchmack decken muß) im Hamburger
Thalia-Theater auf. Seither wiederholte er das Wageſtück
im Carl-Theater und endlich ſpielte er vor Kaiſer Franz Joſeph
dieſer Tage im Raimund-Theater in einer ſelbſtverfaßten
Komödie „Andreas Gerhard“. „Muaß dös ſein?“ ſo
fragt eine komiſche Figur in Anzengrubers „Heimg’funden“.

[Spaltenumbruch]

Nikolaus Dumba †. Nicht
einen Künſtler im gewöhnlichen Sinne, aber einen ſeltenen
Kunſtfreund, Kunſtförderer und - beſchützer, einen vornehmſten
Lebenskünſtler haben wir in Excellenz Dumba verloren, der
geſtern in Budapeſt einem Schlaganfall erlag. Am 24. Juli
hätte er das Jubiläumsalter, das 70. Jahr, erreicht, der Tod
hat ihn nunmehr, jäh und mild, den vielfachen Ehrungen
entzogen, womit Wien, ſeine Vaterſtadt, ihn bedacht hätte.
Was dieſer Wiener aus makedoniſchem Blute in künſtleriſcher
Beziehung für Wien gethau, füllt ein ſchönſtes und beſtes
Blatt der Kaiſerſtadtannalen. Er förderte nicht allein die
Kunſt, er kämpfte für ſie und die Künſtler, denen er auch
einen Theil jener ſozialen Stellung erſtritt, welche ſie heute
in Wien genießen. Jede Stunde, welche er ſeiner politiſchen
Thätigkeit, ſeinen geſchäftlichen Sorgen, die ihm als vielfachem
Millionär nicht erſpart blieben, abtrotzen konnte, war der
Kunſt, der Muſik und der bildenden Kunſt, gewidmet. Dumba,
dem begeiſterten Schubert-Verehrer und Schubert-Sänger, ver-
danken wir das Kundmann’ſche Schubert-Denkmal, das erſte
einem Künſtler in Wien gewidmete. Unter den Köſtlich-
keiten, welche das Dumba-Palais am Parkring beſitzt,
iſt der Schubert-Schatz mit die köſtlichſte. Ohne ihn
hätte es keine Schubert-Ausſtellung gegeben. Und die bil-
dende Kunſt! Sie ſchuldet ihm ein Denkmal. Makarts ſo
fruchtbare venetianiſche Reiſe, die vielfach beſtimmend für die
Weiterentwicklung des großen Koloriſten geweſen, iſt eine der
glücklichſten Anregungen Dumba’s geweſen. Die Plafond-
und Wandgemälde im Arbeitszimmer Dumba’s ſind ein koſt-
barer Theil des Makart-Werkes. Einen neuen Muſikſaal
und Speiſefaal ließ ſich der reiche Mäcen in den letzten Jahren
durch Guſtav Klimt und Franz Matſch maleriſch aus-
ſchmücken. Im erſteren Prachtraum, deſſen Empireformen
Klimt’ſche Eutwürfe ſind, befinden ſich des Künſtlers be-
kaunte Bilder „Die Muſik“ und „Schubert am Klavier“. Den
herrlichen Muſen-Fries im Speiſeſaal hat Matſch gemalt, die
lichttragenden Hermen ſind von Zumbuſch, Hellmer, Kund-
mann und Weyr. Dumba war Mitglied des Herrenhauſes,
Geheimrath und einer der reichſten Männer Wiens, aber
auch einer der liebenswürdigſten. Im Verkehr mit ihm
hatte man niemals das Gefühl ſeiner Millionen. Und das
war nicht der letzte der vielen Vorzüge, die dieſen Mann ſo
populär gemacht haben.



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[2/0002] München, Montag Allgemeine Zeitung. 26. März 1900. Nr. 83. nehmungsgeiſtes in Kleinaſien erreicht wurde, weſentlich auf die ebenſo liebenswürdige wie beſtimmte Energie der deutſchen Diplomatie zurückzuführen iſt. Im übrigen weiß man ſpeziell auch in den deutſchfeindlichen Lagern in Eng- land, daß die Gelegenheit einer finanziellen Betheiligung an den deutſchen Bahnunternehmungen auch dem eng- liſchen Kapital gegeben iſt. Beilänſig ſei bemerkt, daß diejenigen zu weit gehen, welche von einer Geneigtheit des Sultans ſprechen, der deutſchen Koloniſation von Kleinaſien Vorſchub zu leiſten. Wie wenig Kleinaſien für eine deutſche Koloniſation in Betracht kommen kann, iſt erſt vor kurzem von ſachver- ſtändiger Seite in der Allg. Ztg. dargelegt worden. Jeden- falls kann ſich keine befreundete Macht, und ſpeziell auch Rußland nicht beſchweren, daß die Gewinnung von Stütz- punkten und Garantien für die Bethätigung des wirth- ſchaftlichen Unternehmungsgeiſtes in Kleinaſien von deut- ſcher Seite erſtrebt worden iſt oder erſtrebt werde auf Koſten des Einfluſſes oder der Rechte Anderer. Vom Tage. * Berlin, 26. März. Tel. Prinz Heinrich von Preußen traf geſtern Vormittag in Begleitung des Hof- marſchalls v. Seckendorff in Bremerhaven ein und be- ſuchte das Kaiſerdock, die Modellverſuchsſtation, den Nord- deutſchen Lloyd und den Dampfer „Kaiſer Wilhelm der Große“. Der Präſident des Verwaltungsraths des Nord- deutſchen Lloyd, Geo Plate, daukte in ſeinem Toaſt dem Prinzen für das hohe Intereſſe, welches er dem Norddeutſchen Lloyd entgegenbringe. Dem perſönlichen Auftreten des Prinzen Heinrich in Oſtaſien ſei der gewaltige Auf- ſchwung des deutſchen Handels dort mitzu- verdanken. Binnen Jahresfriſt werde der Lloyd dort 40 Küſtendampfer in Betrieb haben. Prinz Heinrich ant- wortete mit einem Hoch auf den Norddeutſchen Lloyd und verſicherte dieſen ſeiner dauernden Sympathie. Um 2½ Uhr trat Prinz Heinrich die Nückreiſe nach Bremen an. Die Erbgroßherzogin von Oldenburg wurde geſtern von einem Prinzen und einer Prinzeſſin glücklich entbunden. Beide Kinder ſind bald nach der Geburt geſtorben. Im hieſigen Nathhausſaale tagte geſtern eine vom Komitee gegen die kunſt- und literaturfeindlichen Be- ſtrebungen der lex Heinze einberufene Verſammlung. Es waren nur Herren geladen. Unter Anderen ſprachen Pro- feſſor Eberlein, Engelhorn, Vorſitzender des Börſenvereins deutſcher Buchhändler, Direktor Brahm vom Deutſchen Theater und zum Schluß Hermann Sudermann, der die Gründung eines Goethe-Bundes empfahl. Die endgültige Beilegung des Tiſchlerſtriles wurde geſtern in einer von mehr als 5000 Tiſchlergeſellen beſuchten, ſehr ſtürmiſch verlaufenen Generalverſammlung beſchloſſen. Der „Nat. Korr.“ zufolge wird der Hochwaſſer- und Ueberſchwemmungsſchaden in Preußen pro 1899 auf einer Fläche von 275,443 Hektar auf 21,384,650 M. geſchätzt. Parlamentariſches. * Berlin, 25. März. Aus der für die morgen im Reichstag ſtattſindende dritte Etatsberathung vor- liegenden Zuſammenſtellung der Beſchlüſſe zweiter Leſung ergibt ſich, daß in der letzteren der Etat nur nuweſentliche Aenderungen erfahren hat. Während der Etat nach der Regierungsvorlage mit 2,058,333,551 M. balanzirte, balanzirt er nach den Beſchlüſſen der zweiten Leſung mit 2,059,825,412 Mark; neu hinzugefügt iſt im Etatsgeſetz die Ermächtigung an den Reichskanzler, zur Beſtreitung einmaliger außer- ordentlicher Ausgaben der Verwaltungen des Reichsheeres, der Marine und der Reichseiſenbahn 72,620,029 M. im Wege des Kredits flüſſig zu machen. Als § 6 ſind dem Etatsgeſetz die bekannten Grundſätze über die proviſoriſche Regelung des Poſtſcheckverkehrs hinzugefügt worden mit der Schlußklauſel, daß das Poſtſcheckweſen ſpäteſtens bis zum 1. April 1905 auf dem Weg der Geſetzgebung geregelt werden ſoll. Rück- ſtändig ſind aus der zweiten Leſung des Etats ſieben Reſo- lutionen geblieben; die Abſtimmung darüber iſt infolge der jedesmaligen Beſchlußunfähigkeit bis zur dritten Berathung ausgeſetzt worden. Dieſe Reſolutionen betreffen folgende Materien: die für die Ausrüſtungsgegenſtände von Schiffen beſtehende Zollfreiheit aufzuheben; den Verkauf der künſt- lichen Süßſtoffe an die Apotheken zu verweiſen mit der Maßgabe, daß ſie nur auf ärztliche Anordnung ausgegeben werden dürfen; die Erhöhung des Stempelſteuer- ſatzes für Looſe öffentlicher Lotterien von 10 auf 20 Proz.; die Herabſetzung der Patentgebühren; die Gleichſtellung der Roßärzte in der Armee mit den entſprechenden Klaſſen der Veterinärärzte der bayeriſchen Armee; die Forderung der Maturitätsprüfung für die militärärztliche Laufbahn und die Feſtſetzung des thierärztlichen Studiums auf neun Semeſter. Eine Reſolution zum Heeresetat geht dahin, jedem Heeres- pflichtigen mindeſtens einmal während der Ableiſtung der aktiven Dienſtzeit einen Heimathsurlaub mit unentgeltlicher Eiſenbahnbeförderung zu gewähren. Schließlich ſollen durch einen Nachtragsetat die Gehälter der Bureau-Aſſiſtenten und Kanzliſten der Reichspoſt- und Telegraphenverwaltung und der Poſt- und Telegraphenaſſiſtenten und Poſtverwalter in der Weiſe normirt werden, daß ſie von 1500 auf 3000 M. ſteigen, und zwar in der erſten Stufe um 300 M. und in den folgenden um je 200 M., während zur Zeit die 300 M.- Stufe die letzte iſt. Oeſterreich-Ungarn. Adel und Klerns in Böhmen. F. Wien, 25. März. Der Schlüſſel zur böhmiſchen Frage liegt, wie zum Verſtändniß der Sache nicht ſcharf genug hervorgehoben werden kann, in der Hand des hohen Adels dieſes Landes, insbeſondere der feudalen Gruppe, welcher durch geſchickt gelegte Fäden thatſächlich die Führung der tſchechiſchen Abgeordneten zugefallen iſt. In dieſem Kreiſe nun ſcheint ein gewiſſer Umſchwung eingetreten zu ſein. Der feudale Großgrund beſitz, der dem Ausgleich der beiden Volksſtämme längere Zeit große Schwierigkeiten in den Weg legte, befreundet ſich allgemach mit dem Gedanken einer Veilegung des Streites; bisher war gerade für die hervorragendſten Mitglieder dieſer Gruppe der Gedanke maßgebend, daß der Gegenſatz der Nationalitäten ihre Macht im Lande verſtärke; doch bricht nunmehr die Einſicht durch, daß dem hohen Adel die Macht aus den Händen gleiten müßte, wenn die Gegenſätze ſich noch mehr verſchärfen und die Radikalen in beiden nationalen Lagern die Führung an ſich reißen und damit den ſtaatlichen Organismus be- drohen. So iſt die mildere Stimmung zu erklären, die in den letzten Wochen in Vöhmen platzgriff. Gerüchte ſind auf- getaucht des Inhalts, daß der fendale Adel endlich den Widerſtand gegen ein Kompromiß mit der deut- ſchen verfaſſungstreuen Gruppe aufgeben wolle und bereit ſei, von den 70 Laudtagsmandaten, die er inne- hat, eine Anzahl, etwa 20, der deutſchen Minorität zu über- laſſen. Hoffentlich eilt hier nicht der Wunſch den Thatſachen voraus. Das Verhalten des feudalen Adels, insbeſondere ſeines Führers, des Fürſten Georg Lobkowitz, in dieſer Frage wird der Prüfſtein dafür ſein, ob auf dieſer Seite ernſtlich an die Herſtellung des inneren Friedens gedacht wird. Auch nach einer anderen Richtung zeigt ſich das Unhaltbare in der ſchroffen Haltung, welche ein Theil des hohen Adels und des Klerus in Böhmen gegenüber allen Rathſchlägen der Mäßigung einnahm. Der unverſöhnlichſte unter allen böhmi- ſchen Biſchöfen iſt Dr. Brynych von Königgrätz, ein Heiß- ſporu, der ſich auch mit ſeinen kirchlichen Vorgeſehten übel verträgt. Es fiel ſchon auf, daß er unmittelbar nach der Inthroniſation des neuen Erzbiſchofs von Prag, Baron Skrbensky, Prag verließ, an der Feſttafel nicht theilnahm, daß er ſich ebenſo des Beſuchs in Rom enthielt, zu welchem dem Brauche nach jeder Biſchof nach ſeiner Einſetzung ver- pflichtet iſt. Schließlich mußte er von der Kurie ad audiendum verbum nach Rom berufen werden. Indeſſen folgte er, wie die „Narodni Liſty“ melden, dieſer Aufforderung nicht, mit dem Hinweiſe darauf, daß die Aerzte ihm die Reiſe nach Rom verbieten. Es iſt ganz unwahrſcheinlich, daß die Mah- nung der Kurie von der öſterreichiſchen Regierung veranlaßt wurde, da das Miniſterium Koerber die Anzahl der Konflikte im Lande gewiß nicht vergrößern will. Es zeigt ſich eben, daß Naturen wie Biſchof Brynych nicht bloß in nationalen, ſondern auch in kirchlichen Angelegenheiten dazu nicht zu ver- halten find, die Wege des Friedens und der Verſöhnung zu gehen. Die tſchechiſchen Blätter nehmen natürlich ſeine Partei, da er der Tſchechiſirung im Visthum Königgrätz mit allen Kräften Vorſchub leiſtet. Die Ernennung eines ſolchen Heiß- ſporns zum Viſchof war nur zu einer Zeit möglich geweſen, da es als Grundſatz galt, über das deutſche Element in Oeſter- reich hinwegzuſchreiten. Der deutſche Kronprinz in Ungarn? F. Eine intereſſante Meldung kommt aus Ungarn, die an den Beſuch anknüpft, den der preußiſche Hauptmann v. Bülow, ein Bruder des Staatsſekretärs, und Major Greziczky im Auftrage des Deutſchen Kaiſers dem 7. Huſaren- regiment in Debrezin abſtatteten, deſſen Inhaber Kaiſer Wilhelm iſt. Wie Debreziner Blätter melden, machten die deutſchen Gäſte bei einem vom Offizierkorps ihnen zu Ehren veranſtalteten Banket die Mittheilung, der deutſche Kron- prinz Friedrich Wilhelm beabſichtige, im Herbſt d. J. zum Beſuche des Regiments, deſſen Leutnant er iſt, nach Debrezin zu kommen. Großbritannien. Die Dum-Dums im Parlament. # London, 25. März. Im Parlament fragte Abgeord- neter Middlemore, „ob Dum-Dum-Kugeln in dieſem Krieg von den engliſchen Soldaten verwendet wurden“. Darauf kam es zu folgendem, recht intereſſanten Zwiegeſpräch zwiſchen Unterſtaatsſekretär Wyndham und dem iriſchen Abg. Dillon: Unterſtaatsſekretär Wyndham: „Die Kugel, die in Südafrika für die Gewehre benutzt wird, iſt Marke II, ein feſtes Geſchoß, Kugeln der Marke V wurden zurück- beordert und ſind niemals von den Truppen verwendet worden. Auch Dum-Dum-Kugeln ſind von den Truppen nicht benutzt worden.“ Abg. Dillon: „Iſt es nicht That- ſache, daß eine ungeheure Auzahl Kugeln Marke IV, expanſive Hohlſpitzkugeln, an die Truppen nach Südaſrika geſchickt wurden?“ Wyndham: „Nein, das kann nicht Thatſache ſein; ich denke, der Abgeordnete kennt die That- ſache. Die Kugel Marke IV war das vorſchrifts- mäßige Geſchoß und die urſprüngliche Garniſon in Süd- afrika hatte dieſelbe, aber die Kugeln ſind zurückbeordert und ſind niemals in dieſem Krieg gebraucht worden.“ Ab- geordneter Dillon: „Ich frage nur, ob thatſächlich viele Millionen Kugeln der Marke IV in den Händen der Truppen in Südafrika waren oder nicht.“ Wyndham: „Sie wurden zurückbeordert, ohne gebraucht zu ſein. Sie wurden in Magazine gelegt.“ Abg. Dillon: „Aber ſie wurden nicht nach England zurückgebracht?“ Wyndham: „Das weiß ich nicht.“ Der Abg. Jeffrey’s fragt, ob die Buren in dieſem Kriege Exploſivkugeln benntzt haben, erhält indeſſen keine Antwort. Es iſt alſo nach den Erklärungen des Unterſtaatsſekretärs für Krieg Thatſache, daß die ſüdafrikaniſchen Garniſonen die berüchtigten Expanſivkugeln, die ſich hinter der unſchuldigen Bezeichnung Marke IV verbergen, gehabt haben. Es iſt der Auftrag gegeben, ſie zurückzuſenden, aber der Unterſtaats- ſekretär weiß nicht, ob das geſchehen iſt, und ſagt ins- beſondere auch nicht, wann ſie zurückbeordert worden ſind. Die Buren behaupten, gerade von der berüchtigten Marke IV große Mengen gefunden zu haben, und da ſie nach letzten Depeſchen mehrere Kiſten dieſer Geſchoſſe, die ſie in Natal erbentet haben, an das Kriegsminiſterium nach London als Beweis- material eingeſchickt haben, ſo läßt ſich doch wohl annehmen, daß Lord Roberts ſich auch in ſeiner geharniſchten Erklärung betreffend die Nichtverwendung expanſiver Kugeln getänſcht hat. Seine eigenen und die ſpäterhin von England ab- geſandten Truppen mögen feſte Kugeln führen, aber die Zu- rückbeorderung der expanſiven Kugeln von den Truppen in Natal, die die erſte Garniſon bildeten, ſcheint zu ſpät erfolgt oder nicht beachtet worden zu ſein. Das Gravirendſte an der Sache iſt, daß der Kriegsſekretär „nicht weiß“, was in ſeinem Reſſort vorgeht. Die Beziehungen zu Frankreich. * London, 26. März. Tel. In ſeiner geſtrigen Rede bei dem Feſtmahl der Stadtverbände beſprach der Handels- miniſter Ritchie die Behauptung der franzöſiſchen Blätter, daß England Frankreich nach einer glücklichen Beendigung des Geliebten. Aber ſie geht ſachte aus der Welt, faſt heim- lich, wie auf den Zehenſpitzen ſchleicht ſie ſich durch die dunkle Thür des Todes, das liebe Geſchöpf; ihre letzte Bitte, daß der ſoeben mit der „Andern“ vermählte Geliebte ſich ihres Kindes, ſeines Kindes, annehme, daß die Andere das ſelt- ſame Brautgeſchenk mit gütiger Seele und ſanſten Armen empfange, wer vermöchte ſie ihr abzuſchlagen? Laßt die äugſt- lichen, dicken Spießbürger immerhin über den unerhörten Fall ihren hochweiſen Familienrath halten, zwei wackere junge Herzen finden ſich doch zufammen; ſowie Gilberte Gewißheit erlangt hat, daß ſie keinen Grund habe, auf die Todte eifer- ſüchtig zu ſein, jubelt ſie ihrem kleinen Maler entgegen: „Da bin ich, da haſt du mich, nimm mich!“ Aber das Kind? „Ich will nicht kleiner ſein als ſie! Wo iſt das Kind?“ Auf- regung und Verwirrung löſen ſich ſo mit zarter und an- muthiger Menſchlichkeit. — „Muſotte“ wurde bisher in Deutſchland gewöhnlich in der dreiaktigen Bearbeitung ge- geben, in der die pſychologiſche Feinheit und epiſche Anſchau- lichkeit auf Koſten der dramatiſchen Technik hervortreten. Geſtern im Schauſpielhaus wurde leider nur der zweite Akt geſpielt, der am Sterbebett Muſotte’s, und dadurch die feine pſychologiſche Studie Maupaſſants zur rührenden Soloſcene für die Darſtellerin der Titelrolle, während doch der Schwer- punkt in der ausgezeichneten Milieuſchilderung und vor allem im Charakter der Gilberte liegt. Regie und Darſtellung machten gut, was durch die Streichung der zwei Akte ge- ſündigt war. Frl. Rauch als Muſotte war von rührender Lieblichkeit. Auf die beiden anderen Einakter einzugehen, liegt kein Grund vor, da ſie Repertoireſtücke ſind. x. Der Lehrergeſang-Verein brachte am vergangenen Samſtag im Kaimſaal die „Antigone“ von Sophokles (in der Douner’ſchen Uebertragung) mit Mendelsſohns Muſik für Chor, Doppelchor und Orcheſter zur Aufführung. Mendels- ſohn ſchrieb die Kompoſition im Jahre 1840 auf Veranlaſſung des Königs Friedrich Wilhelm IV. Er hatte großen Erfolg damit. Der bedeutendere Theil der zeitgenöſſiſchen Kritik erſah in der Arbeit ein Wunder von Stiltreue, und die verſchie- denen Männerchorvereinigungen riſſen ſich um die Wieder- gabe. Heute, nach dem muſikdramatiſchen Reformations- ſturm, iſt die Schätzung des Werkes auf das liefſte Niveau geſunken: man hat nur Augen für die Mängel und man ſpricht bei jeder, ſtets ſeltener ſich wiederholenden Aufführung lediglich von „Pictät gegen den Meiſter“. Das geht zu weit. Wenn auch nicht geleugnet werden kann, daß die Anlage durch die unnatürliche Miſchung: verbindende Dichtung (geſprochen) — Melodram — Chorgeſang, ſchon in den Grundriſſen total verzeichnet iſt, und daß Mendelsſohns muſikaliſcher Deklamation die unglaublichſten Schnitzer be- gegnen (woran das gräciſirte Deutſch der Donner’ſchen Ueber- ſetzung freilich die meiſte Schuld trägt), ſo darf man doch nicht überſehen, wie edel und tief der Tonſetzer den gewaltigen Gehalt der Tragödie empfunden hat, wie eindringlich er den betrachtenden Chor ſprechen läßt und welchen Reichthum an glänzenden Detailzügen er im Orcheſter vor uns ausbreitet. Der Vortrag des Werkes verlangt tüchtige Kräfte. Nur ein ſo vorzüglich gebildeter Chor wie der Lehrergeſangverein iſt imſtande, über die Schwächen der Anlage hinweg des Hörers Intereſſe emporzuheben und ganz auf die einzelnen Schön- heiten zu konzentriren. Der Eindruck war denn auch ſehr erfreulich. Die Direktion lag in den Händen des Hrn. Albin Sturm; den verbindenden Text ſprach Hr. Lothar Schmidt mit hohem künſtleriſchen Verſtande und deutlichſter Accentuirung. Den genußreichen Abend eröffnete Beethovens Ouverture „Die Geſchöpfe des Prometheus“, vom Kaim-Orcheſter unter Sieg- mund v. Hauseggers Leitung temperamentvoll geſpielt. War ſie nothwendig? ∞ Wien, 25. März. Der alte Holtei weiß in ſeinen „Vierzig Jahren“ Wunder von der Unwiderſtehlichkeit der Theaterpaſſion zu melden. Blaublut und kleine Leute zieht ſie in ihren Wirbel. Sie ſtiftet die abenteuerlichſten, mehr oder (meiſt) weniger legitimen Liebesbündniſſe, verleitet Reiche zu koſiſpieligen Bühnengründungen, bringt Theaternarren, wie den Grafen Hahn an den Bettelſtab, verklärt Häßliche zum Abgott der Weiber u. ſ. w. Die gleiche heilloſe (nur durch behutſame Vermögensverwaltung abgekühlte) Theater- gluth lodert in einem Wiener Millionär, deſſen Familjen- name in der Induſtrie Weltruf hat: Philipp Haas. Der Mann iſt kürzlich vom Kaiſer baroniſirt worden. Er huldigt dem Waidwerk, iſt Großgrundbeſitzer, ſtattlich von Anſehen und des Irrglaubens, daß er Theaterſtücke ſchreiben, ſceniren und als Hauptdarſteller beleben kann. Vor einigen Jahren trat er zu wohlthätigem Zweck (der gar oft die ärgſten Un- thaten gegen den guten Geſchmack decken muß) im Hamburger Thalia-Theater auf. Seither wiederholte er das Wageſtück im Carl-Theater und endlich ſpielte er vor Kaiſer Franz Joſeph dieſer Tage im Raimund-Theater in einer ſelbſtverfaßten Komödie „Andreas Gerhard“. „Muaß dös ſein?“ ſo fragt eine komiſche Figur in Anzengrubers „Heimg’funden“. v. V. Wien, 24. März. Nikolaus Dumba †. Nicht einen Künſtler im gewöhnlichen Sinne, aber einen ſeltenen Kunſtfreund, Kunſtförderer und - beſchützer, einen vornehmſten Lebenskünſtler haben wir in Excellenz Dumba verloren, der geſtern in Budapeſt einem Schlaganfall erlag. Am 24. Juli hätte er das Jubiläumsalter, das 70. Jahr, erreicht, der Tod hat ihn nunmehr, jäh und mild, den vielfachen Ehrungen entzogen, womit Wien, ſeine Vaterſtadt, ihn bedacht hätte. Was dieſer Wiener aus makedoniſchem Blute in künſtleriſcher Beziehung für Wien gethau, füllt ein ſchönſtes und beſtes Blatt der Kaiſerſtadtannalen. Er förderte nicht allein die Kunſt, er kämpfte für ſie und die Künſtler, denen er auch einen Theil jener ſozialen Stellung erſtritt, welche ſie heute in Wien genießen. Jede Stunde, welche er ſeiner politiſchen Thätigkeit, ſeinen geſchäftlichen Sorgen, die ihm als vielfachem Millionär nicht erſpart blieben, abtrotzen konnte, war der Kunſt, der Muſik und der bildenden Kunſt, gewidmet. Dumba, dem begeiſterten Schubert-Verehrer und Schubert-Sänger, ver- danken wir das Kundmann’ſche Schubert-Denkmal, das erſte einem Künſtler in Wien gewidmete. Unter den Köſtlich- keiten, welche das Dumba-Palais am Parkring beſitzt, iſt der Schubert-Schatz mit die köſtlichſte. Ohne ihn hätte es keine Schubert-Ausſtellung gegeben. Und die bil- dende Kunſt! Sie ſchuldet ihm ein Denkmal. Makarts ſo fruchtbare venetianiſche Reiſe, die vielfach beſtimmend für die Weiterentwicklung des großen Koloriſten geweſen, iſt eine der glücklichſten Anregungen Dumba’s geweſen. Die Plafond- und Wandgemälde im Arbeitszimmer Dumba’s ſind ein koſt- barer Theil des Makart-Werkes. Einen neuen Muſikſaal und Speiſefaal ließ ſich der reiche Mäcen in den letzten Jahren durch Guſtav Klimt und Franz Matſch maleriſch aus- ſchmücken. Im erſteren Prachtraum, deſſen Empireformen Klimt’ſche Eutwürfe ſind, befinden ſich des Künſtlers be- kaunte Bilder „Die Muſik“ und „Schubert am Klavier“. Den herrlichen Muſen-Fries im Speiſeſaal hat Matſch gemalt, die lichttragenden Hermen ſind von Zumbuſch, Hellmer, Kund- mann und Weyr. Dumba war Mitglied des Herrenhauſes, Geheimrath und einer der reichſten Männer Wiens, aber auch einer der liebenswürdigſten. Im Verkehr mit ihm hatte man niemals das Gefühl ſeiner Millionen. Und das war nicht der letzte der vielen Vorzüge, die dieſen Mann ſo populär gemacht haben.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 83, 26. März 1900, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine83_1900/2>, abgerufen am 03.12.2024.