Allgemeine Zeitung, Nr. 86, 26. März 1848.[Spaltenumbruch]
in den jetzt versammelten oder demnächst sich versammelnden Stände- * Aus Württembergisch-Franken, 16 März. (Die Gleiche Ursachen gleiche Wirkungen. Veränderte, gemilderte Ur- Ganz gewiß ist von diesen Klagen viel, viel im einzelnen übertrie- [Spaltenumbruch]
in den jetzt verſammelten oder demnächſt ſich verſammelnden Stände- * Aus Württembergiſch-Franken, 16 März. (Die Gleiche Urſachen gleiche Wirkungen. Veränderte, gemilderte Ur- Ganz gewiß iſt von dieſen Klagen viel, viel im einzelnen übertrie- <TEI> <text> <body> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div type="jPoliticalNews" n="2"> <div n="3"> <div type="jArticle" n="4"> <p><pb facs="#f0010" n="1370"/><cb/> in den jetzt verſammelten oder demnächſt ſich verſammelnden Stände-<lb/> kammern der einzelnen deutſchen Länder binnen kurzem zur Erörterung<lb/> kommen müſſen.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline>* <hi rendition="#b">Aus Württembergiſch-Franken,</hi> 16 März.</dateline> <p><hi rendition="#g">(Die<lb/> Bauernunruhen.)</hi> Vielleicht iſt es Ihnen nicht unwillkommen aus<lb/> dem Urſitze des alten Bauernkrieges und aus der Nähe des Stammſitzes<lb/> des alten Götz v. Berlichingen einiges Sichere über den ſogenannten<lb/> neuen Bauernkrieg zu vernehmen. Und glücklich werden Sie unſer<lb/> Vaterland, unſer Jahrhundert preiſen, wenn Sie in alle Welt hinaus<lb/> ſagen können: der Charakter dieſer gegenwärtigen Bauernunruhen iſt<lb/> himmelweit von dem der alten verſchieden, und mitten im traurigen<lb/> Unrecht erſcheint als Hoffnungsſtrahl die Geſittung einer denn doch auch<lb/> moraliſch fortgeſchrittenen Zeit. Die Menſchen ſind ſeit 300, ſeit 50<lb/> Jahren doch menſchlicher geworden.</p><lb/> <p>Gleiche Urſachen gleiche Wirkungen. Veränderte, gemilderte Ur-<lb/> ſachen haben auch mildere Wirkungen im Gefolge. Die Zeit der Leib-<lb/> eigenſchaft iſt vorüber; die Tage ſind dahin wo eine Gutsherrſchaft<lb/> ganze Dörfer aufbot mitten in der Erntezeit ihr Schneckenhäuschen zu<lb/> ſuchen, oder weil die Edelfrau das Gequack der Fröſche im Hofgarten-<lb/> teiche nicht hören konnte, alt und jung vom Dorf Abend und Nächte<lb/> lang hinſtellte um mit Ruthenſtreichen den ungebetenen Kammerſängern<lb/> das Concert zu verleiden; kein Ulrich hängt einen Hutten mehr im<lb/> Schönbuchwalde, kein Edelherr ſeine Grundholden blutbannrechtlich<lb/> um einer geſtohlenen Rübe willen am Galgen auf. So jagt man auch<lb/> vor Weinsberg keinen Helfenſtein mehr durch die Spieße. In einer Zeit<lb/> da das Schwert zur Feder worden iſt, in der Zeit der Schreiber und<lb/> Bücher geht’s nicht mehr auf Blut und Leben, ſondern auf Schriften<lb/> und Bücher, höchſtens noch auf die dahinter ſich verkriechenden Feder-<lb/> helden. Noch keiner einzigen Gutsherrſchaft wurde ein Leid angethan.<lb/> Fingen ſich die alten Aufrührer zu ihrem Jäckle von Rohrbach und<lb/> andern Vormännern hin den alten Götz v. Berlichingen als Schutzherrn<lb/> und Führer gegen die Edelleute, ſo verſprachen dießmal die guten und<lb/> „ſchlechten Leute“ des gegenwärtigen gleichnamigen Urenkels jener alten<lb/> Eiſenfauſt auf Schloß Jarthauſen allen Schutz und Trutz ihrem Herren-<lb/> hauſe gegen feindlichen Ueberfall. Unſer Volk iſt gutartig und bieder,<lb/> trotz allem was ihm aus neuer Zeit Uebles angeflogen und angethan<lb/> ſeyn mag. Es läßt den Edelleuten nicht einmal die Entfremdung ent-<lb/> gelten in welche ſie gegenüber dem Volke ſich begaben, vollends in der<lb/> neueſten Zeit, da die alte Adelskette ſich wieder über Deutſchlands Gaue<lb/> zuſammenſchweißen wollte, und einen viel vornehmeren, höheren, her-<lb/> riſcheren Ton anzunehmen für zeitgemäß hielt. Nachdem die Julius-<lb/> revolution den alten Ton und Gang ſo kleinlaut gemacht hatte, und die<lb/> wirthſchaftlichen Verhältniſſe der meiſten Edelgüter wahrlich auch ſo<lb/> herabgekommen waren daß lautes und hohes Auftreten unmöglich war,<lb/> begann mit der Sicherung des äußern Friedens und der innerlich alle<lb/> Fäden wieder ſtraff anziehenden Beamtenherrſchaft ein mächtiger Wett-<lb/> eifer der Feudalbarone mit den Geldbaronen. Im Gegenſatz zu Baden<lb/> wurden mit Hülfe einer dem Volke ſich in die Schreibſtuben entziehenden<lb/> Regierungsweiſe in Württemberg ſehr günſtige, in Bayern gar keine<lb/> Ablöſungen der Grundlaſten ins Werk geſetzt. Die Klugen griffen zu<lb/> und gingen Verträge mit den Grundholden über die wichtigeren Feudal-<lb/> ablöſungen ein. Den Landleuten, ſo weit ſie nur Geld hatten, waren<lb/> letztere erwünſcht; im 20fachen Betrag hätten ſie von Herzen gern alles,<lb/> im 25fachen Betrage haben ſie vieles abgelöst. Dieß Abkommen war<lb/> gewiß für die „Berechtigten“ höchſt günſtig. Handelt es ſich doch faſt<lb/> überall um Rechte denen keine oder faſt keine Pflichten entſprachen.<lb/> Aber manchen war ein mehr als 25facher Betrag nicht genug! Die ſich<lb/> genügen ließen, machten die beſten Geſchäfte von der Welt. Durch die<lb/> Ablöſungen wurden ſie in den Beſitz großer Baarſummen geſetzt. Da-<lb/> von wurden Schulden getilgt, Actien gekauft, glänzenderes Auftreten<lb/> beſtritten, landwirthſchaftliche Verbeſſerungen eingeführt, gewerbliche<lb/> Unternehmungen (namentlich Bierbrauereien) begonnen oder erweitert,<lb/> ganz beſonders wurden die flüſſigen Gelder in liegenden Gütern ange-<lb/> legt. Erſte große Landesklage: wo ein Grundherr auf ein Aeckerlein<lb/> bieten läßt, das ihm zur Abrundung ſeines Landbeſitzes dienen mag,<lb/> kann und darf faſt der geringe Mann nicht beikommen. So kauften<lb/> einzelne Herrſchaften halbe Dorfmarkungen von den verarmenden Ge-<lb/> meinden an. Zweite Klage: der übrige Güterbeſitz der Gemeinden wird<lb/> dadurch ſo geſchmälert und in Theilchen zerſplittert, daß die ſich ver-<lb/> mehrende Bevölkerung nicht mehr davon leben kann. Zu Beſtreitung<lb/><cb/> der täglichen Nothdurft werden Schulden auf Schulden gehäuft, die<lb/> Steuern und Abgaben bleiben in ewigem Rückſtand, ein Stückchen, ein<lb/> Häuschen ums andere muß veräußert werden, Grund und Boden fließt<lb/> mehr und mehr in den Herrenbeſitz zurück, und die Leute werden zu<lb/> Pächtern, Taglöhnern, Bettlern — eine neue Art von Leibeigenſchaft.<lb/> Dritte Klage: die Feudalherren ſind frei von den Gemeindeſteuern und<lb/> Schädenumlagen. Je mehr zu ihren Gunſten der Gemeindebeſitz ſchmilzt,<lb/> je mehr Pächter-, Taglöhner- und Bettlerfamilien heranwachſen, deſto<lb/> drückender werden die Gemeindelaſten, zumal die Unterhaltung der<lb/> Schulen, Kirchen und Armen für diejenigen welche noch etwas im Be-<lb/> ſitz haben. Vierte Klage: macht ſchon auf königlichem Boden die Ge-<lb/> meinde- und Amtsſteuer die größte Laſt, ſo daß bei den öffentlichen<lb/> Rechnungsablagen der Finanzminiſter, die bloß die Staatsſteuern im<lb/> Auge behielten, ein gar nicht ſo hartes Steuerweſen in Württemberg<lb/> ſich ergab: ſo hatten die edelmänniſchen und fürſtlichen Unterthanen den<lb/> andern Staatsbürgern gegenüber die dreifache Laſt der Gemeinde-,<lb/> Staats- <hi rendition="#g">und</hi> Feudalabgaben. Darin hatten ſich ihre Verhältniſſe ſeit<lb/> der Mediatiſirung der Standesherren weſentlich verſchlimmert: die<lb/> alten Herrſchaftsabgaben <hi rendition="#g">und</hi> die neuen Staatslaſten! Wären aber<lb/> nur die einfachen alten Herrſchaftsabgaben geblieben. Das iſt die große<lb/> fünfte Klage: je mehr die Herrſchaften ſich durch die neue Ordnung der<lb/> Dinge und Gelder in die Höhe kommen ſahen, deſto eifriger forſchten<lb/> ihre Schatzgräber, Rentamtleute und Domänenräthe genannt, in den<lb/> Tiefen der Urkundenſammlungen, und ſchürften jedes hellerswerth alte,<lb/> abgekommene, unbillige Rechtlein aus dem um- und umgeriſſenen „Acker<lb/> der Könige“, den man „das Recht“ zu nennen übereingekommen iſt.<lb/> Man braucht nur ſich an die ungeheuerlichen Namen dieſer Gefälle zu<lb/> erinnern, dieſe Unmaſſe von Abgaben bis zum Hellerzins und Krauts-<lb/> kopf herab zu überblicken, man braucht nur zu berechnen wie durch<lb/> Sterbfall und Handlohn durch die unbegreiflichen Procente jedes Gut<lb/> und Haus je von der dritten Hand dem Gutsherrn faſt aufs neue bezahlt<lb/> wird, man braucht hiezu die gegenwärtigen Brod- und Geldverhältniſſe,<lb/> da das Gewerbe ſeinen Mann kaum, der Landbau nur eben noch er-<lb/> nährt, zu vergleichen, um in Wahrheit die bisherige Geduld und Red-<lb/> lichkeit dieſer Grundholden anzuerkennen. Sie hatten nur Pflichten,<lb/> die Herren nur Rechte; ſie Armuth, jene friſchen Reichthum; ſie den<lb/> Schweiß, jene das Brod und was nicht alles mehr! Und war im Schweiß<lb/> des Angeſichtes geſäet — ſechste verzweifelte Klage — ſo kam ein Rudel<lb/> Hirſche und Haſen und fraß es weg, oder zertrat und verwüſtete das<lb/> Feld. Die Klagen aber, die Klagen über Wildſchaden, wie ſchwer ſind<lb/> ſie ihrer Natur nach auch mit dem beſten Willen zu erledigen, wenn ſie<lb/> vor Gericht kommen! Das machte nun die böſen Sieben voll: wer ſucht<lb/> der findet ältere und älteſte Gerechtſame; wer den Staub von hundert-<lb/> jährigen Acten klopft, dem öffnet ſich auf vergilbten, vermoderten Blät-<lb/> tern ein kaum geahntes Himmelreich von Namen und Zahlen, die nur<lb/> in Gruppen und neu aufs geduldige Papier gebracht zu werden brauchen<lb/> um ſich als das liebenswürdigſte Recht, auf der Rückſeite aber zur ver-<lb/> dammteſten Schuldigkeit zu geſtalten. Der Pflichtige wehrt ſich, denn<lb/> dieß und das hatte ſein Vater und Großvater nicht zu leiſten; es kann<lb/> nicht richtig ſeyn mit dieſer Anrechnung und jener Forderung. Umge-<lb/> kehrt: von jeher hat die Herrſchaft die Kirche, die Schule, das Pfarr-<lb/> haus der Gemeinde gebaut und erhalten, dieſe und jene Beſoldungen<lb/> beſtritten: plötzlich ſoll’s der armen, blutarmen Gemeinde obliegen; die<lb/> Kirche muß geſchloſſen, unterm Thurm kann nicht mehr geläutet wer-<lb/> den, die Schule hat keinen guten Ziegel und kein ganzes Fenſter, einen<lb/> Ofen längſt nicht mehr: die Gemeinde und wieder die Gemeinde ſoll’s<lb/> leiden. Einem bei der Kirche oder Schule Angeſtellten hat die Herrſchaft<lb/> ſeit Urzeiten ſo viel Holz gegeben, jetzt ſoll’s weniger ſeyn, hat’s ihm<lb/> vor’s Haus liefern laſſen: jetzt ſoll er’s ſelbſt holen. Kurz die Placke-<lb/> reien beginnen und haben kein Ende. Da fangen die Proceſſe an, die<lb/> theuern, die giftigen Proceſſe. Sie ſind aber den Gemeinden und Pflich-<lb/> tigen gar zu oft entweder ohne Ausgang oder verloren, denn — denn<lb/> die angeblichen oder wirklichen Urkunden dieſer Rechte und Pflichten<lb/> bleiben dreifach verſchloſſen in den rentamtlichen Actenkäſten. Dieß die<lb/> höchſte und ſtärkſte Klage über eine faſt unglaubliche Unbill.</p><lb/> <p>Ganz gewiß iſt von dieſen Klagen viel, viel im einzelnen übertrie-<lb/> ben, ja ganz erfunden. Keine Frage, es gab und gibt unter Herren und<lb/> Amtleuten nicht wenige Ehrenleute voll Menſchlichkeit und Rechtsgefühl:<lb/> ſie ſeyen glücklich in ihrem Bewußtſeyn und ſelig in ihrer That. Ander-<lb/> wärts waren wenigſtens die Herrſchaften mild und menſchlich, aber die<lb/> Schreiber, die Reut- und Domänenbeamten hatten das Heft in der<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [1370/0010]
in den jetzt verſammelten oder demnächſt ſich verſammelnden Stände-
kammern der einzelnen deutſchen Länder binnen kurzem zur Erörterung
kommen müſſen.
* Aus Württembergiſch-Franken, 16 März. (Die
Bauernunruhen.) Vielleicht iſt es Ihnen nicht unwillkommen aus
dem Urſitze des alten Bauernkrieges und aus der Nähe des Stammſitzes
des alten Götz v. Berlichingen einiges Sichere über den ſogenannten
neuen Bauernkrieg zu vernehmen. Und glücklich werden Sie unſer
Vaterland, unſer Jahrhundert preiſen, wenn Sie in alle Welt hinaus
ſagen können: der Charakter dieſer gegenwärtigen Bauernunruhen iſt
himmelweit von dem der alten verſchieden, und mitten im traurigen
Unrecht erſcheint als Hoffnungsſtrahl die Geſittung einer denn doch auch
moraliſch fortgeſchrittenen Zeit. Die Menſchen ſind ſeit 300, ſeit 50
Jahren doch menſchlicher geworden.
Gleiche Urſachen gleiche Wirkungen. Veränderte, gemilderte Ur-
ſachen haben auch mildere Wirkungen im Gefolge. Die Zeit der Leib-
eigenſchaft iſt vorüber; die Tage ſind dahin wo eine Gutsherrſchaft
ganze Dörfer aufbot mitten in der Erntezeit ihr Schneckenhäuschen zu
ſuchen, oder weil die Edelfrau das Gequack der Fröſche im Hofgarten-
teiche nicht hören konnte, alt und jung vom Dorf Abend und Nächte
lang hinſtellte um mit Ruthenſtreichen den ungebetenen Kammerſängern
das Concert zu verleiden; kein Ulrich hängt einen Hutten mehr im
Schönbuchwalde, kein Edelherr ſeine Grundholden blutbannrechtlich
um einer geſtohlenen Rübe willen am Galgen auf. So jagt man auch
vor Weinsberg keinen Helfenſtein mehr durch die Spieße. In einer Zeit
da das Schwert zur Feder worden iſt, in der Zeit der Schreiber und
Bücher geht’s nicht mehr auf Blut und Leben, ſondern auf Schriften
und Bücher, höchſtens noch auf die dahinter ſich verkriechenden Feder-
helden. Noch keiner einzigen Gutsherrſchaft wurde ein Leid angethan.
Fingen ſich die alten Aufrührer zu ihrem Jäckle von Rohrbach und
andern Vormännern hin den alten Götz v. Berlichingen als Schutzherrn
und Führer gegen die Edelleute, ſo verſprachen dießmal die guten und
„ſchlechten Leute“ des gegenwärtigen gleichnamigen Urenkels jener alten
Eiſenfauſt auf Schloß Jarthauſen allen Schutz und Trutz ihrem Herren-
hauſe gegen feindlichen Ueberfall. Unſer Volk iſt gutartig und bieder,
trotz allem was ihm aus neuer Zeit Uebles angeflogen und angethan
ſeyn mag. Es läßt den Edelleuten nicht einmal die Entfremdung ent-
gelten in welche ſie gegenüber dem Volke ſich begaben, vollends in der
neueſten Zeit, da die alte Adelskette ſich wieder über Deutſchlands Gaue
zuſammenſchweißen wollte, und einen viel vornehmeren, höheren, her-
riſcheren Ton anzunehmen für zeitgemäß hielt. Nachdem die Julius-
revolution den alten Ton und Gang ſo kleinlaut gemacht hatte, und die
wirthſchaftlichen Verhältniſſe der meiſten Edelgüter wahrlich auch ſo
herabgekommen waren daß lautes und hohes Auftreten unmöglich war,
begann mit der Sicherung des äußern Friedens und der innerlich alle
Fäden wieder ſtraff anziehenden Beamtenherrſchaft ein mächtiger Wett-
eifer der Feudalbarone mit den Geldbaronen. Im Gegenſatz zu Baden
wurden mit Hülfe einer dem Volke ſich in die Schreibſtuben entziehenden
Regierungsweiſe in Württemberg ſehr günſtige, in Bayern gar keine
Ablöſungen der Grundlaſten ins Werk geſetzt. Die Klugen griffen zu
und gingen Verträge mit den Grundholden über die wichtigeren Feudal-
ablöſungen ein. Den Landleuten, ſo weit ſie nur Geld hatten, waren
letztere erwünſcht; im 20fachen Betrag hätten ſie von Herzen gern alles,
im 25fachen Betrage haben ſie vieles abgelöst. Dieß Abkommen war
gewiß für die „Berechtigten“ höchſt günſtig. Handelt es ſich doch faſt
überall um Rechte denen keine oder faſt keine Pflichten entſprachen.
Aber manchen war ein mehr als 25facher Betrag nicht genug! Die ſich
genügen ließen, machten die beſten Geſchäfte von der Welt. Durch die
Ablöſungen wurden ſie in den Beſitz großer Baarſummen geſetzt. Da-
von wurden Schulden getilgt, Actien gekauft, glänzenderes Auftreten
beſtritten, landwirthſchaftliche Verbeſſerungen eingeführt, gewerbliche
Unternehmungen (namentlich Bierbrauereien) begonnen oder erweitert,
ganz beſonders wurden die flüſſigen Gelder in liegenden Gütern ange-
legt. Erſte große Landesklage: wo ein Grundherr auf ein Aeckerlein
bieten läßt, das ihm zur Abrundung ſeines Landbeſitzes dienen mag,
kann und darf faſt der geringe Mann nicht beikommen. So kauften
einzelne Herrſchaften halbe Dorfmarkungen von den verarmenden Ge-
meinden an. Zweite Klage: der übrige Güterbeſitz der Gemeinden wird
dadurch ſo geſchmälert und in Theilchen zerſplittert, daß die ſich ver-
mehrende Bevölkerung nicht mehr davon leben kann. Zu Beſtreitung
der täglichen Nothdurft werden Schulden auf Schulden gehäuft, die
Steuern und Abgaben bleiben in ewigem Rückſtand, ein Stückchen, ein
Häuschen ums andere muß veräußert werden, Grund und Boden fließt
mehr und mehr in den Herrenbeſitz zurück, und die Leute werden zu
Pächtern, Taglöhnern, Bettlern — eine neue Art von Leibeigenſchaft.
Dritte Klage: die Feudalherren ſind frei von den Gemeindeſteuern und
Schädenumlagen. Je mehr zu ihren Gunſten der Gemeindebeſitz ſchmilzt,
je mehr Pächter-, Taglöhner- und Bettlerfamilien heranwachſen, deſto
drückender werden die Gemeindelaſten, zumal die Unterhaltung der
Schulen, Kirchen und Armen für diejenigen welche noch etwas im Be-
ſitz haben. Vierte Klage: macht ſchon auf königlichem Boden die Ge-
meinde- und Amtsſteuer die größte Laſt, ſo daß bei den öffentlichen
Rechnungsablagen der Finanzminiſter, die bloß die Staatsſteuern im
Auge behielten, ein gar nicht ſo hartes Steuerweſen in Württemberg
ſich ergab: ſo hatten die edelmänniſchen und fürſtlichen Unterthanen den
andern Staatsbürgern gegenüber die dreifache Laſt der Gemeinde-,
Staats- und Feudalabgaben. Darin hatten ſich ihre Verhältniſſe ſeit
der Mediatiſirung der Standesherren weſentlich verſchlimmert: die
alten Herrſchaftsabgaben und die neuen Staatslaſten! Wären aber
nur die einfachen alten Herrſchaftsabgaben geblieben. Das iſt die große
fünfte Klage: je mehr die Herrſchaften ſich durch die neue Ordnung der
Dinge und Gelder in die Höhe kommen ſahen, deſto eifriger forſchten
ihre Schatzgräber, Rentamtleute und Domänenräthe genannt, in den
Tiefen der Urkundenſammlungen, und ſchürften jedes hellerswerth alte,
abgekommene, unbillige Rechtlein aus dem um- und umgeriſſenen „Acker
der Könige“, den man „das Recht“ zu nennen übereingekommen iſt.
Man braucht nur ſich an die ungeheuerlichen Namen dieſer Gefälle zu
erinnern, dieſe Unmaſſe von Abgaben bis zum Hellerzins und Krauts-
kopf herab zu überblicken, man braucht nur zu berechnen wie durch
Sterbfall und Handlohn durch die unbegreiflichen Procente jedes Gut
und Haus je von der dritten Hand dem Gutsherrn faſt aufs neue bezahlt
wird, man braucht hiezu die gegenwärtigen Brod- und Geldverhältniſſe,
da das Gewerbe ſeinen Mann kaum, der Landbau nur eben noch er-
nährt, zu vergleichen, um in Wahrheit die bisherige Geduld und Red-
lichkeit dieſer Grundholden anzuerkennen. Sie hatten nur Pflichten,
die Herren nur Rechte; ſie Armuth, jene friſchen Reichthum; ſie den
Schweiß, jene das Brod und was nicht alles mehr! Und war im Schweiß
des Angeſichtes geſäet — ſechste verzweifelte Klage — ſo kam ein Rudel
Hirſche und Haſen und fraß es weg, oder zertrat und verwüſtete das
Feld. Die Klagen aber, die Klagen über Wildſchaden, wie ſchwer ſind
ſie ihrer Natur nach auch mit dem beſten Willen zu erledigen, wenn ſie
vor Gericht kommen! Das machte nun die böſen Sieben voll: wer ſucht
der findet ältere und älteſte Gerechtſame; wer den Staub von hundert-
jährigen Acten klopft, dem öffnet ſich auf vergilbten, vermoderten Blät-
tern ein kaum geahntes Himmelreich von Namen und Zahlen, die nur
in Gruppen und neu aufs geduldige Papier gebracht zu werden brauchen
um ſich als das liebenswürdigſte Recht, auf der Rückſeite aber zur ver-
dammteſten Schuldigkeit zu geſtalten. Der Pflichtige wehrt ſich, denn
dieß und das hatte ſein Vater und Großvater nicht zu leiſten; es kann
nicht richtig ſeyn mit dieſer Anrechnung und jener Forderung. Umge-
kehrt: von jeher hat die Herrſchaft die Kirche, die Schule, das Pfarr-
haus der Gemeinde gebaut und erhalten, dieſe und jene Beſoldungen
beſtritten: plötzlich ſoll’s der armen, blutarmen Gemeinde obliegen; die
Kirche muß geſchloſſen, unterm Thurm kann nicht mehr geläutet wer-
den, die Schule hat keinen guten Ziegel und kein ganzes Fenſter, einen
Ofen längſt nicht mehr: die Gemeinde und wieder die Gemeinde ſoll’s
leiden. Einem bei der Kirche oder Schule Angeſtellten hat die Herrſchaft
ſeit Urzeiten ſo viel Holz gegeben, jetzt ſoll’s weniger ſeyn, hat’s ihm
vor’s Haus liefern laſſen: jetzt ſoll er’s ſelbſt holen. Kurz die Placke-
reien beginnen und haben kein Ende. Da fangen die Proceſſe an, die
theuern, die giftigen Proceſſe. Sie ſind aber den Gemeinden und Pflich-
tigen gar zu oft entweder ohne Ausgang oder verloren, denn — denn
die angeblichen oder wirklichen Urkunden dieſer Rechte und Pflichten
bleiben dreifach verſchloſſen in den rentamtlichen Actenkäſten. Dieß die
höchſte und ſtärkſte Klage über eine faſt unglaubliche Unbill.
Ganz gewiß iſt von dieſen Klagen viel, viel im einzelnen übertrie-
ben, ja ganz erfunden. Keine Frage, es gab und gibt unter Herren und
Amtleuten nicht wenige Ehrenleute voll Menſchlichkeit und Rechtsgefühl:
ſie ſeyen glücklich in ihrem Bewußtſeyn und ſelig in ihrer That. Ander-
wärts waren wenigſtens die Herrſchaften mild und menſchlich, aber die
Schreiber, die Reut- und Domänenbeamten hatten das Heft in der
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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