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Allgemeine Zeitung, Nr. 86, 26. März 1848.

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Nr. 86.
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Beilage zur Allgemeinen Zeitung.
[Spaltenumbruch] 26 März 1848.


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Die neue Zeit in Deutschland.

V. Die Revolution in Berlin und die Russen.

* So hat denn die Revolution ihren Lauf durch Deutschland voll-
endet, und auch die preußische Regierung, in der sich die Militär-
Aristokratie und ein übermüthiges Junkerthum am schroffsten dem Bür-
gerthum der neuen Zeit entgegensetzten, ist vor dem bewaffneten Volk
gefallen. Wir wagen kaum zu entscheiden welcher Schlag, der in Wien
oder der in Berlin, bedeutungsvoller ist, jedenfalls droht der letztere
unmittelbarere Folgen für Deutschland herbelzuführen. Wir lassen vor-
erst die Frage über die möglichen Folgen dieses Ereignisses für die in-
nern Verhältnisse Deutschlands ganz aus dem Spiel, um auf die Be-
Beziehungen zu Rußland hinzuweisen. Das Volk in Berlin hat die
Gefinnungen der ganzen Nation bildlich ausgesprochen, indem es nach
dem Siege alsbald vor das Gefängniß der Polen eilte und diese in
Freiheit setzte, als seyen sie die Märtyrer seiner eigenen Freiheit. Da-
mit hat das preußische Volk gegen die ganze von seiner Regierung seit
achtzig Jahren, besonders aber seit den letzten dreißig Jahren einge-
haltene Politik protestirt. Schon vorher hatte die Macht der öffent-
lichen Meinung in Preußen dem König im Vollgenuß seiner Gewalt
das Gesetz der mildesten Bestrafung der unglücklichen Polen auferlegt,
und mit der ersten Stunde der freien Bewegung führte das Volk die
Gefangenen im Triumph aus dem Kerker. Diese Protestation des
preußischen Volkes gegen die bisherige Politik seiner Herrscher kommt
fast einer Kriegserklärng gegen Rußland gleich, und reißt mit rauher
Hand den Schleier hinweg der bis jetzt die Verhältnisse zu diesem Nach-
barstaat barg.

Es ist überflüssig hier auf die alte unselige Geschichte der Ge-
waltthaten gegen Polen einzugehen, sie sind in jedermanns Gedächtniß,
wir erinnern bloß an Eine Episode in der Reihenfolge der Begeben-
heiten die seit achtzig Jahren über das unglückliche Land hereingebrochen
sind. Im Jahr 1790 erwachte Preußen zum Gefühl der ihm durch
die Zertümmerung Polens drohenden Gefahr, und schloß mit Polen,
Holland und England ein Bündniß zur Erhaltung des damaligen Be-
standes der Republik. Zwei Jahre nachher ließ es sich wieder von
Rußland umgarnen, und mit dem bedeutendsten Theil des Raubes für
seine politische Treulosigkeit bezahlen. Der Antheil Preußens an der
dritten Theilung war der stärkste, außer allem Verhältniß mit dem von
Oesterreich und Rußland, denn damals galt es Preußen zurückzuhalten
in dem Zauberkreis der russischen Politik. Die Folgen sind bekannt,
Preußen verlor wieder den größten Theil seines Raubes, und Rußland
erreichte seinen Zweck kein unabhängiges Polen bestehen zu lassen und
fast dessen Namen von der Karte Europa's zu vertilgen. Zu welchen
traurigen Resultaten Rußlands Absperrungssystem geführt hat -- ein
System zu dessen Ausführung Preußen selbst durch den Kartellvertrag
die Hand bot -- ist bekannt, und wir nehmen keinen Anstand die russische
Politik des preußischen Hofs als die wahre und fast einzige Quelle
der Revolution zu betrachten. Tief fühlte das Volk daß ihm der Erb-
feind im Nacken sitze, und daß das Stammland der Monarchie fast
schutzlos seinen Angriffen bloßgelegt sey; zudem ist das russische Sperr-
system die Quelle der Verarmung für einen großen Theil Schlefiens,
für West- und Ostpreußen. So lange das russische Sperrsystem Polen
abschließt, ist an ein kräftiges Aufblühen dieser Provinzen nicht zu
denken, und man kann sich leicht vorstellen welche Stimmung dieser
Zustand erweckte und auch fortdauernd wach erhielt. Man strebte nach
der Freiheit, nicht aus theoretischer Vorliebe, sondern um der verräthe-
rischen Freundschaft Rußlands, das nach der Ansicht des Volkes seine
bezahlten Anhänger selbst im Palast des Königs hatte, durch die Kraft
der öffentlichen Meinung los zu werden.

Rußland muß in Polen eine Gewaltherrschaft üben, der sich die
Polen nie gutwillig unterwerfen können: die Großrussen sind seit Jahr-
hunderten in der Knechtschaft erzogon, die Polen genossen eine nur
allzu große Freiheit, eine Freiheit welche sie ins Verderben führte, die
aber auch in Sklavenketten einen unbezwinglichen Trotz zurückließ. Nur
über die Leiche Polens konnte Rußland gegen das Herz Deutschlands
vorschreiten, nur die Unterdrückung jeder Freiheit in Deutschland konnte
auch in Polen die Herrschaft der Knute sichern. Jetzt hat Deutschland
seine Bande gesprengt, und somit muß früh oder spät Polen wieder er-
[Spaltenumbruch] stehen; ersteht aber dieses aus seinem Grabe, so ist Rußland zurückge-
worfen über Düna und Dniepr, und wird mit Einem Schlag eine Macht
zweiten Ranges. Um diesen Punkt handelt es sich jetzt, und es ent-
steht die große Frage: was wird, was kann Rußland thun? Vor al-
lem muß Preußen und ganz Deutschland wünschen daß keinem preußi-
schen Prinzen der Einfall komme sich nach Petersburg oder ins russische
Hauptquartier in Polen zu begeben; jeder solche Schritt würde aus-
gelegt als suche man mit russischer Hülfe den Geist der Freiheit in
Deutschland und Preußen zu bannen, und ein solcher Versuch hätte den
Abfall der Armee in Preußen, den Aufstand des Volks, vielleicht die Ver-
jagung der Dynastie, und damit den Verlust des letzten Rettungsankers
der übrigen Dynastien Deutschlands zur alsbaldigen und unvermeidlichen
Folge. Man täusche sich in diesem Punkte nicht über den Geist des
Volkes, ein Irrthum würde die unseligsten Folgen nach sich ziehen.

Was soll aber jetzt werden, wo der Aufstand Berlins Rußland
den Fehdehandschuh hingeworfen? Das hängt von der Art ab wie der
russische Kaiser die Ereignisse aufnimmt. Die Befreiung der polni-
schen Gefangenen ist gerade so viel als ob man ihm erklärte er solle
zurückweichen über Düna und Dniepr. Wird er sogleich mit gewaffneter
Hand auftreten, oder wird er zögern? Ersteres ist wohl zu gefährlich,
denn einestheils würde er die preußische Königsfamilie der größten
Gefahr aussetzen, und andrerseits würde bei der jetzigen Aufregung
in Preußen auch eine russische Armee von 150 bis 180,000 Mann
wenig ausrichten, ganz abgesehen davon daß eine solche Armee sich der
Gefahr aussetzte daß hinter ihr das ganze Land aufsteht und ihr die
Verbindungen abschneidet. Man wird darum wohl zögern, man wird
die schlimmen Folgen einer solchen Erschütterung sich entwickeln lassen,
die Völker mürbe machen wollen, damit Intriguen allerlei Art wieder
Eingang finden. Dagegen gilt es sich zu wahren, und das Mittel liegt
nahe zur Hand, Preußen muß sich durch das innigste Anschließen an
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gibt es nicht. Möge nur die Nation sich nicht einschläfern lassen; zwi-
schen Rußland und Deutschland besteht ein moralischer Krieg der, wenn
nicht früher, jedenfalls durch die geringste Bewegung der Polen zum
Ausbruch kommen muß, denn ohne Kampf wird Rußland nicht weichen,
und durch den Fall der preußischen Regierungspolitik hat das russische
System seinen Halt in Polen zugleich verloren. Rußland hat seine Bundes-
genossen Oesterreich und Preußen in sein System von Polenverfolgung
hineingezogen, mit den Ereignissen von Wien und Berlin muß diese
ein Ende nehmen, und wenn auch im Augenblick, was wir im Interesse
Polens sehnlich wünschen, keine gewaltsamen Ausbrüche erfolgen, so ist
schon die Erhebung des polnischen Volksgeistes für Rußland ein Ereig-
niß von der ernstesten Bedeutung. Europa ist dadurch mehr als durch
die französische Revolution aus den Angeln gehoben, und die Folgen
werden -- ob schnell oder langsam, mag dahingestellt bleiben -- mit
unfehlbarer Consequenz sich entwickeln.



Deutschland.

+ Vom Neckar. (Die Bundesgewalt.) "Oesterreich, gedenke
der Stunde!" Diesen Ausruf las ich vor kurzem in einem trefflichen Auf-
satze, den die Allgemeine Ztg. von der Ostsee gebracht hat. Oester-
reich hat der Stunde gedacht, das Volk und sein Regentenhaus. Es
ist nicht zu beschreiben welche ungeheure Sensation, welches Erstaunen
die Nachrichten aus Wien im Südwesten von Deutschland, wo das
österreichische Volk im allgemeinen gänzlich mißkannt war, hervorge-
bracht haben. Jeder dem die Freiheit und Einheit Deutschlands am
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Sturz die drohendste Gefahr einer stegreichen Reaction gegen die Keime
einer Umgestaltung Deutschlands verschwunden ist. Von ganz besonde-
rer Wichtigkeit für die Wiedergeburt Deutschlands ist der Umschwung
in Oesterreich auch deßhalb weil die Frage über die an die Spitze
Deutschlands zu stellende vollziehende Gewalt jetzt eine befriedigende Lö-
sung zuläßt. Eine starke auf Einer Person ruhende vollziehende Ge-
walt für ganz Deutschland thut uns vor allem noth; sie bedingt selbst
die Wirksamkeit und das Ansehen einer allgemeinen deutschen Volks-
kammer. Die Frage nach dem obersten Haupte des neu zu bildenden
deutschen Reiches und über die ihm einzuräumenden Rechte wird daher

Nr. 86.
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Beilage zur Allgemeinen Zeitung.
[Spaltenumbruch] 26 März 1848.


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Die neue Zeit in Deutſchland.

V. Die Revolution in Berlin und die Ruſſen.

* So hat denn die Revolution ihren Lauf durch Deutſchland voll-
endet, und auch die preußiſche Regierung, in der ſich die Militär-
Ariſtokratie und ein übermüthiges Junkerthum am ſchroffſten dem Bür-
gerthum der neuen Zeit entgegenſetzten, iſt vor dem bewaffneten Volk
gefallen. Wir wagen kaum zu entſcheiden welcher Schlag, der in Wien
oder der in Berlin, bedeutungsvoller iſt, jedenfalls droht der letztere
unmittelbarere Folgen für Deutſchland herbelzuführen. Wir laſſen vor-
erſt die Frage über die möglichen Folgen dieſes Ereigniſſes für die in-
nern Verhältniſſe Deutſchlands ganz aus dem Spiel, um auf die Be-
Beziehungen zu Rußland hinzuweiſen. Das Volk in Berlin hat die
Gefinnungen der ganzen Nation bildlich ausgeſprochen, indem es nach
dem Siege alsbald vor das Gefängniß der Polen eilte und dieſe in
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mit hat das preußiſche Volk gegen die ganze von ſeiner Regierung ſeit
achtzig Jahren, beſonders aber ſeit den letzten dreißig Jahren einge-
haltene Politik proteſtirt. Schon vorher hatte die Macht der öffent-
lichen Meinung in Preußen dem König im Vollgenuß ſeiner Gewalt
das Geſetz der mildeſten Beſtrafung der unglücklichen Polen auferlegt,
und mit der erſten Stunde der freien Bewegung führte das Volk die
Gefangenen im Triumph aus dem Kerker. Dieſe Proteſtation des
preußiſchen Volkes gegen die bisherige Politik ſeiner Herrſcher kommt
faſt einer Kriegserklärng gegen Rußland gleich, und reißt mit rauher
Hand den Schleier hinweg der bis jetzt die Verhältniſſe zu dieſem Nach-
barſtaat barg.

Es iſt überflüſſig hier auf die alte unſelige Geſchichte der Ge-
waltthaten gegen Polen einzugehen, ſie ſind in jedermanns Gedächtniß,
wir erinnern bloß an Eine Epiſode in der Reihenfolge der Begeben-
heiten die ſeit achtzig Jahren über das unglückliche Land hereingebrochen
ſind. Im Jahr 1790 erwachte Preußen zum Gefühl der ihm durch
die Zertümmerung Polens drohenden Gefahr, und ſchloß mit Polen,
Holland und England ein Bündniß zur Erhaltung des damaligen Be-
ſtandes der Republik. Zwei Jahre nachher ließ es ſich wieder von
Rußland umgarnen, und mit dem bedeutendſten Theil des Raubes für
ſeine politiſche Treuloſigkeit bezahlen. Der Antheil Preußens an der
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Oeſterreich und Rußland, denn damals galt es Preußen zurückzuhalten
in dem Zauberkreis der ruſſiſchen Politik. Die Folgen ſind bekannt,
Preußen verlor wieder den größten Theil ſeines Raubes, und Rußland
erreichte ſeinen Zweck kein unabhängiges Polen beſtehen zu laſſen und
faſt deſſen Namen von der Karte Europa’s zu vertilgen. Zu welchen
traurigen Reſultaten Rußlands Abſperrungsſyſtem geführt hat — ein
Syſtem zu deſſen Ausführung Preußen ſelbſt durch den Kartellvertrag
die Hand bot — iſt bekannt, und wir nehmen keinen Anſtand die ruſſiſche
Politik des preußiſchen Hofs als die wahre und faſt einzige Quelle
der Revolution zu betrachten. Tief fühlte das Volk daß ihm der Erb-
feind im Nacken ſitze, und daß das Stammland der Monarchie faſt
ſchutzlos ſeinen Angriffen bloßgelegt ſey; zudem iſt das ruſſiſche Sperr-
ſyſtem die Quelle der Verarmung für einen großen Theil Schlefiens,
für Weſt- und Oſtpreußen. So lange das ruſſiſche Sperrſyſtem Polen
abſchließt, iſt an ein kräftiges Aufblühen dieſer Provinzen nicht zu
denken, und man kann ſich leicht vorſtellen welche Stimmung dieſer
Zuſtand erweckte und auch fortdauernd wach erhielt. Man ſtrebte nach
der Freiheit, nicht aus theoretiſcher Vorliebe, ſondern um der verräthe-
riſchen Freundſchaft Rußlands, das nach der Anſicht des Volkes ſeine
bezahlten Anhänger ſelbſt im Palaſt des Königs hatte, durch die Kraft
der öffentlichen Meinung los zu werden.

Rußland muß in Polen eine Gewaltherrſchaft üben, der ſich die
Polen nie gutwillig unterwerfen können: die Großruſſen ſind ſeit Jahr-
hunderten in der Knechtſchaft erzogon, die Polen genoſſen eine nur
allzu große Freiheit, eine Freiheit welche ſie ins Verderben führte, die
aber auch in Sklavenketten einen unbezwinglichen Trotz zurückließ. Nur
über die Leiche Polens konnte Rußland gegen das Herz Deutſchlands
vorſchreiten, nur die Unterdrückung jeder Freiheit in Deutſchland konnte
auch in Polen die Herrſchaft der Knute ſichern. Jetzt hat Deutſchland
ſeine Bande geſprengt, und ſomit muß früh oder ſpät Polen wieder er-
[Spaltenumbruch] ſtehen; erſteht aber dieſes aus ſeinem Grabe, ſo iſt Rußland zurückge-
worfen über Düna und Dniepr, und wird mit Einem Schlag eine Macht
zweiten Ranges. Um dieſen Punkt handelt es ſich jetzt, und es ent-
ſteht die große Frage: was wird, was kann Rußland thun? Vor al-
lem muß Preußen und ganz Deutſchland wünſchen daß keinem preußi-
ſchen Prinzen der Einfall komme ſich nach Petersburg oder ins ruſſiſche
Hauptquartier in Polen zu begeben; jeder ſolche Schritt würde aus-
gelegt als ſuche man mit ruſſiſcher Hülfe den Geiſt der Freiheit in
Deutſchland und Preußen zu bannen, und ein ſolcher Verſuch hätte den
Abfall der Armee in Preußen, den Aufſtand des Volks, vielleicht die Ver-
jagung der Dynaſtie, und damit den Verluſt des letzten Rettungsankers
der übrigen Dynaſtien Deutſchlands zur alsbaldigen und unvermeidlichen
Folge. Man täuſche ſich in dieſem Punkte nicht über den Geiſt des
Volkes, ein Irrthum würde die unſeligſten Folgen nach ſich ziehen.

Was ſoll aber jetzt werden, wo der Aufſtand Berlins Rußland
den Fehdehandſchuh hingeworfen? Das hängt von der Art ab wie der
ruſſiſche Kaiſer die Ereigniſſe aufnimmt. Die Befreiung der polni-
ſchen Gefangenen iſt gerade ſo viel als ob man ihm erklärte er ſolle
zurückweichen über Düna und Dniepr. Wird er ſogleich mit gewaffneter
Hand auftreten, oder wird er zögern? Erſteres iſt wohl zu gefährlich,
denn einestheils würde er die preußiſche Königsfamilie der größten
Gefahr ausſetzen, und andrerſeits würde bei der jetzigen Aufregung
in Preußen auch eine ruſſiſche Armee von 150 bis 180,000 Mann
wenig ausrichten, ganz abgeſehen davon daß eine ſolche Armee ſich der
Gefahr ausſetzte daß hinter ihr das ganze Land aufſteht und ihr die
Verbindungen abſchneidet. Man wird darum wohl zögern, man wird
die ſchlimmen Folgen einer ſolchen Erſchütterung ſich entwickeln laſſen,
die Völker mürbe machen wollen, damit Intriguen allerlei Art wieder
Eingang finden. Dagegen gilt es ſich zu wahren, und das Mittel liegt
nahe zur Hand, Preußen muß ſich durch das innigſte Anſchließen an
Deutſchland und durch eine Nationaltribune ſtärken, ein anderes Mittel
gibt es nicht. Möge nur die Nation ſich nicht einſchläfern laſſen; zwi-
ſchen Rußland und Deutſchland beſteht ein moraliſcher Krieg der, wenn
nicht früher, jedenfalls durch die geringſte Bewegung der Polen zum
Ausbruch kommen muß, denn ohne Kampf wird Rußland nicht weichen,
und durch den Fall der preußiſchen Regierungspolitik hat das ruſſiſche
Syſtem ſeinen Halt in Polen zugleich verloren. Rußland hat ſeine Bundes-
genoſſen Oeſterreich und Preußen in ſein Syſtem von Polenverfolgung
hineingezogen, mit den Ereigniſſen von Wien und Berlin muß dieſe
ein Ende nehmen, und wenn auch im Augenblick, was wir im Intereſſe
Polens ſehnlich wünſchen, keine gewaltſamen Ausbrüche erfolgen, ſo iſt
ſchon die Erhebung des polniſchen Volksgeiſtes für Rußland ein Ereig-
niß von der ernſteſten Bedeutung. Europa iſt dadurch mehr als durch
die franzöſiſche Revolution aus den Angeln gehoben, und die Folgen
werden — ob ſchnell oder langſam, mag dahingeſtellt bleiben — mit
unfehlbarer Conſequenz ſich entwickeln.



Deutſchland.

Vom Neckar. (Die Bundesgewalt.) „Oeſterreich, gedenke
der Stunde!“ Dieſen Ausruf las ich vor kurzem in einem trefflichen Auf-
ſatze, den die Allgemeine Ztg. von der Oſtſee gebracht hat. Oeſter-
reich hat der Stunde gedacht, das Volk und ſein Regentenhaus. Es
iſt nicht zu beſchreiben welche ungeheure Senſation, welches Erſtaunen
die Nachrichten aus Wien im Südweſten von Deutſchland, wo das
öſterreichiſche Volk im allgemeinen gänzlich mißkannt war, hervorge-
bracht haben. Jeder dem die Freiheit und Einheit Deutſchlands am
Herzen liegt, athmet jetzt leichter, ſeitdem er weiß daß mit Metternichs
Sturz die drohendſte Gefahr einer ſtegreichen Reaction gegen die Keime
einer Umgeſtaltung Deutſchlands verſchwunden iſt. Von ganz beſonde-
rer Wichtigkeit für die Wiedergeburt Deutſchlands iſt der Umſchwung
in Oeſterreich auch deßhalb weil die Frage über die an die Spitze
Deutſchlands zu ſtellende vollziehende Gewalt jetzt eine befriedigende Lö-
ſung zuläßt. Eine ſtarke auf Einer Perſon ruhende vollziehende Ge-
walt für ganz Deutſchland thut uns vor allem noth; ſie bedingt ſelbſt
die Wirkſamkeit und das Anſehen einer allgemeinen deutſchen Volks-
kammer. Die Frage nach dem oberſten Haupte des neu zu bildenden
deutſchen Reiches und über die ihm einzuräumenden Rechte wird daher

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[0009] Nr. 86. Beilage zur Allgemeinen Zeitung. 26 März 1848. Die neue Zeit in Deutſchland. V. Die Revolution in Berlin und die Ruſſen. * So hat denn die Revolution ihren Lauf durch Deutſchland voll- endet, und auch die preußiſche Regierung, in der ſich die Militär- Ariſtokratie und ein übermüthiges Junkerthum am ſchroffſten dem Bür- gerthum der neuen Zeit entgegenſetzten, iſt vor dem bewaffneten Volk gefallen. Wir wagen kaum zu entſcheiden welcher Schlag, der in Wien oder der in Berlin, bedeutungsvoller iſt, jedenfalls droht der letztere unmittelbarere Folgen für Deutſchland herbelzuführen. Wir laſſen vor- erſt die Frage über die möglichen Folgen dieſes Ereigniſſes für die in- nern Verhältniſſe Deutſchlands ganz aus dem Spiel, um auf die Be- Beziehungen zu Rußland hinzuweiſen. Das Volk in Berlin hat die Gefinnungen der ganzen Nation bildlich ausgeſprochen, indem es nach dem Siege alsbald vor das Gefängniß der Polen eilte und dieſe in Freiheit ſetzte, als ſeyen ſie die Märtyrer ſeiner eigenen Freiheit. Da- mit hat das preußiſche Volk gegen die ganze von ſeiner Regierung ſeit achtzig Jahren, beſonders aber ſeit den letzten dreißig Jahren einge- haltene Politik proteſtirt. Schon vorher hatte die Macht der öffent- lichen Meinung in Preußen dem König im Vollgenuß ſeiner Gewalt das Geſetz der mildeſten Beſtrafung der unglücklichen Polen auferlegt, und mit der erſten Stunde der freien Bewegung führte das Volk die Gefangenen im Triumph aus dem Kerker. Dieſe Proteſtation des preußiſchen Volkes gegen die bisherige Politik ſeiner Herrſcher kommt faſt einer Kriegserklärng gegen Rußland gleich, und reißt mit rauher Hand den Schleier hinweg der bis jetzt die Verhältniſſe zu dieſem Nach- barſtaat barg. Es iſt überflüſſig hier auf die alte unſelige Geſchichte der Ge- waltthaten gegen Polen einzugehen, ſie ſind in jedermanns Gedächtniß, wir erinnern bloß an Eine Epiſode in der Reihenfolge der Begeben- heiten die ſeit achtzig Jahren über das unglückliche Land hereingebrochen ſind. Im Jahr 1790 erwachte Preußen zum Gefühl der ihm durch die Zertümmerung Polens drohenden Gefahr, und ſchloß mit Polen, Holland und England ein Bündniß zur Erhaltung des damaligen Be- ſtandes der Republik. Zwei Jahre nachher ließ es ſich wieder von Rußland umgarnen, und mit dem bedeutendſten Theil des Raubes für ſeine politiſche Treuloſigkeit bezahlen. Der Antheil Preußens an der dritten Theilung war der ſtärkſte, außer allem Verhältniß mit dem von Oeſterreich und Rußland, denn damals galt es Preußen zurückzuhalten in dem Zauberkreis der ruſſiſchen Politik. Die Folgen ſind bekannt, Preußen verlor wieder den größten Theil ſeines Raubes, und Rußland erreichte ſeinen Zweck kein unabhängiges Polen beſtehen zu laſſen und faſt deſſen Namen von der Karte Europa’s zu vertilgen. Zu welchen traurigen Reſultaten Rußlands Abſperrungsſyſtem geführt hat — ein Syſtem zu deſſen Ausführung Preußen ſelbſt durch den Kartellvertrag die Hand bot — iſt bekannt, und wir nehmen keinen Anſtand die ruſſiſche Politik des preußiſchen Hofs als die wahre und faſt einzige Quelle der Revolution zu betrachten. Tief fühlte das Volk daß ihm der Erb- feind im Nacken ſitze, und daß das Stammland der Monarchie faſt ſchutzlos ſeinen Angriffen bloßgelegt ſey; zudem iſt das ruſſiſche Sperr- ſyſtem die Quelle der Verarmung für einen großen Theil Schlefiens, für Weſt- und Oſtpreußen. So lange das ruſſiſche Sperrſyſtem Polen abſchließt, iſt an ein kräftiges Aufblühen dieſer Provinzen nicht zu denken, und man kann ſich leicht vorſtellen welche Stimmung dieſer Zuſtand erweckte und auch fortdauernd wach erhielt. Man ſtrebte nach der Freiheit, nicht aus theoretiſcher Vorliebe, ſondern um der verräthe- riſchen Freundſchaft Rußlands, das nach der Anſicht des Volkes ſeine bezahlten Anhänger ſelbſt im Palaſt des Königs hatte, durch die Kraft der öffentlichen Meinung los zu werden. Rußland muß in Polen eine Gewaltherrſchaft üben, der ſich die Polen nie gutwillig unterwerfen können: die Großruſſen ſind ſeit Jahr- hunderten in der Knechtſchaft erzogon, die Polen genoſſen eine nur allzu große Freiheit, eine Freiheit welche ſie ins Verderben führte, die aber auch in Sklavenketten einen unbezwinglichen Trotz zurückließ. Nur über die Leiche Polens konnte Rußland gegen das Herz Deutſchlands vorſchreiten, nur die Unterdrückung jeder Freiheit in Deutſchland konnte auch in Polen die Herrſchaft der Knute ſichern. Jetzt hat Deutſchland ſeine Bande geſprengt, und ſomit muß früh oder ſpät Polen wieder er- ſtehen; erſteht aber dieſes aus ſeinem Grabe, ſo iſt Rußland zurückge- worfen über Düna und Dniepr, und wird mit Einem Schlag eine Macht zweiten Ranges. Um dieſen Punkt handelt es ſich jetzt, und es ent- ſteht die große Frage: was wird, was kann Rußland thun? Vor al- lem muß Preußen und ganz Deutſchland wünſchen daß keinem preußi- ſchen Prinzen der Einfall komme ſich nach Petersburg oder ins ruſſiſche Hauptquartier in Polen zu begeben; jeder ſolche Schritt würde aus- gelegt als ſuche man mit ruſſiſcher Hülfe den Geiſt der Freiheit in Deutſchland und Preußen zu bannen, und ein ſolcher Verſuch hätte den Abfall der Armee in Preußen, den Aufſtand des Volks, vielleicht die Ver- jagung der Dynaſtie, und damit den Verluſt des letzten Rettungsankers der übrigen Dynaſtien Deutſchlands zur alsbaldigen und unvermeidlichen Folge. Man täuſche ſich in dieſem Punkte nicht über den Geiſt des Volkes, ein Irrthum würde die unſeligſten Folgen nach ſich ziehen. Was ſoll aber jetzt werden, wo der Aufſtand Berlins Rußland den Fehdehandſchuh hingeworfen? Das hängt von der Art ab wie der ruſſiſche Kaiſer die Ereigniſſe aufnimmt. Die Befreiung der polni- ſchen Gefangenen iſt gerade ſo viel als ob man ihm erklärte er ſolle zurückweichen über Düna und Dniepr. Wird er ſogleich mit gewaffneter Hand auftreten, oder wird er zögern? Erſteres iſt wohl zu gefährlich, denn einestheils würde er die preußiſche Königsfamilie der größten Gefahr ausſetzen, und andrerſeits würde bei der jetzigen Aufregung in Preußen auch eine ruſſiſche Armee von 150 bis 180,000 Mann wenig ausrichten, ganz abgeſehen davon daß eine ſolche Armee ſich der Gefahr ausſetzte daß hinter ihr das ganze Land aufſteht und ihr die Verbindungen abſchneidet. Man wird darum wohl zögern, man wird die ſchlimmen Folgen einer ſolchen Erſchütterung ſich entwickeln laſſen, die Völker mürbe machen wollen, damit Intriguen allerlei Art wieder Eingang finden. Dagegen gilt es ſich zu wahren, und das Mittel liegt nahe zur Hand, Preußen muß ſich durch das innigſte Anſchließen an Deutſchland und durch eine Nationaltribune ſtärken, ein anderes Mittel gibt es nicht. Möge nur die Nation ſich nicht einſchläfern laſſen; zwi- ſchen Rußland und Deutſchland beſteht ein moraliſcher Krieg der, wenn nicht früher, jedenfalls durch die geringſte Bewegung der Polen zum Ausbruch kommen muß, denn ohne Kampf wird Rußland nicht weichen, und durch den Fall der preußiſchen Regierungspolitik hat das ruſſiſche Syſtem ſeinen Halt in Polen zugleich verloren. Rußland hat ſeine Bundes- genoſſen Oeſterreich und Preußen in ſein Syſtem von Polenverfolgung hineingezogen, mit den Ereigniſſen von Wien und Berlin muß dieſe ein Ende nehmen, und wenn auch im Augenblick, was wir im Intereſſe Polens ſehnlich wünſchen, keine gewaltſamen Ausbrüche erfolgen, ſo iſt ſchon die Erhebung des polniſchen Volksgeiſtes für Rußland ein Ereig- niß von der ernſteſten Bedeutung. Europa iſt dadurch mehr als durch die franzöſiſche Revolution aus den Angeln gehoben, und die Folgen werden — ob ſchnell oder langſam, mag dahingeſtellt bleiben — mit unfehlbarer Conſequenz ſich entwickeln. E. W. Deutſchland. † Vom Neckar. (Die Bundesgewalt.) „Oeſterreich, gedenke der Stunde!“ Dieſen Ausruf las ich vor kurzem in einem trefflichen Auf- ſatze, den die Allgemeine Ztg. von der Oſtſee gebracht hat. Oeſter- reich hat der Stunde gedacht, das Volk und ſein Regentenhaus. Es iſt nicht zu beſchreiben welche ungeheure Senſation, welches Erſtaunen die Nachrichten aus Wien im Südweſten von Deutſchland, wo das öſterreichiſche Volk im allgemeinen gänzlich mißkannt war, hervorge- bracht haben. Jeder dem die Freiheit und Einheit Deutſchlands am Herzen liegt, athmet jetzt leichter, ſeitdem er weiß daß mit Metternichs Sturz die drohendſte Gefahr einer ſtegreichen Reaction gegen die Keime einer Umgeſtaltung Deutſchlands verſchwunden iſt. Von ganz beſonde- rer Wichtigkeit für die Wiedergeburt Deutſchlands iſt der Umſchwung in Oeſterreich auch deßhalb weil die Frage über die an die Spitze Deutſchlands zu ſtellende vollziehende Gewalt jetzt eine befriedigende Lö- ſung zuläßt. Eine ſtarke auf Einer Perſon ruhende vollziehende Ge- walt für ganz Deutſchland thut uns vor allem noth; ſie bedingt ſelbſt die Wirkſamkeit und das Anſehen einer allgemeinen deutſchen Volks- kammer. Die Frage nach dem oberſten Haupte des neu zu bildenden deutſchen Reiches und über die ihm einzuräumenden Rechte wird daher

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2022-04-08T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 86, 26. März 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine86_1848/9>, abgerufen am 21.11.2024.