Allgemeine Zeitung, Nr. 87, 27. März 1848.[Spaltenumbruch]
namentlich beinahe sämmtliche Mitglieder des hiesigen Kreis-Gerichts- Auch unsere neuesten Stuttgarter Briefe versichern daß sich die Gr. Baden. Karlsruhe, 24 März. In der heutigen Sitzung Die Deutsche Zeitung sagt über die Berliner Ereignisse und Rastatt, 24 März. Diesen Morgen ist eine Abtheilung des [Spaltenumbruch]
namentlich beinahe ſämmtliche Mitglieder des hieſigen Kreis-Gerichts- Auch unſere neueſten Stuttgarter Briefe verſichern daß ſich die Gr. Baden. Karlsruhe, 24 März. In der heutigen Sitzung Die Deutſche Zeitung ſagt über die Berliner Ereigniſſe und Raſtatt, 24 März. Dieſen Morgen iſt eine Abtheilung des <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div type="jArticle" n="4"> <p><pb facs="#f0004" n="1380"/><cb/> namentlich beinahe ſämmtliche Mitglieder des hieſigen Kreis-Gerichts-<lb/> hofes eingereiht haben, übt ſich bereits eifrig in den Waffen. Am heu-<lb/> tigen Morgen wurde auf dem mittleren Thurme der die Stadt beherr-<lb/> ſchenden Wilhelmsburg eine prachtvolle <hi rendition="#g">ſchwarz-roth-goldene</hi> Fahne<lb/> mit dem <hi rendition="#g">Reichsadler</hi>, den Befehlen des deutſchen Bundes gemäß, in<lb/> Gegenwart ſämmtlicher bei dem Feſtungsbau beſchäftigter Officiere auf-<lb/> geſteckt. Möchte dieſes deutſche Nationalzeichen, deſſen Anerkennung<lb/> endlich officiell erfolgt iſt, für alle Zeiten das Symbol der Einigkeit und<lb/> Verbrüderung aller deutſchen Volksſtämme ſeyn und bleiben und kein<lb/> anderes Banner mehr dasſelbe verdrängen!</p> </div><lb/> <div type="jComment" n="4"><lb/> <p>Auch unſere neueſten <hi rendition="#g">Stuttgarter</hi> Briefe verſichern daß ſich die<lb/> Lärmgerüchte als Erfindungen des Schreckens ausgewieſen hätten. Da<lb/> dieſer Schrecken aber an das Gefühl der Hülfloſtgkeit erinnert in wel-<lb/> cher, militäriſch betrachtet, ein guter Theil von Südweſtdeutſchland ſich<lb/> befindet, ſo liegt darin Mahnung genug die nöthigen Rüſtungen und<lb/> Vorkehrungen nicht länger aufzuſchieben. — Die Stuttgarter Kammer-<lb/> verhandlungen müſſen wir auf morgen vertagen. Geſtern ſchon ha-<lb/> ben wir kurz angeführt daß die Kammer der Abgeordneten das Ablö-<lb/> ſungsgeſetz, gegen nur wenige verneinende Stimmen, angenom-<lb/> men hat.</p> </div> </div><lb/> <div n="3"> <head><hi rendition="#g">Gr. Baden</hi>.</head><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline><hi rendition="#b">Karlsruhe</hi>, 24 März.</dateline><lb/> <p>In der heutigen Sitzung<lb/> der zweiten Kammer wurde unter allſeitiger lebhafter Zuſtimmung fol-<lb/> gender Antrag des Abg. Baſſermann einſtimmig angenommen: Die<lb/> Vertreter des badiſchen Volkes erklären für ſich ſelbſt und erwarten von<lb/> ihren Mitbürgern daß ſie ſowohl für die ſchleunigſte Herſtellung eines<lb/> freien, einigen Deutſchlands und eines wahrhaft freien Rechtszuſtandes<lb/> in Baden, als auch gegen jede dieſem edlen Streben der Nation hinder-<lb/> liche Störung der geſetzlichen Ordnung aus allen Kräften wirken. Sie<lb/> erklären zugleich und erwarten von ihren Mitbürgern daß ſie der Regie-<lb/> rung, ſolange dieſelbe auf dem Wege der Verfaſſung wandelt, den kräf-<lb/> tigſten Beiſtand leiſten werden in der Erfüllung ihrer Pflicht diejenigen<lb/> zur geſetzlichen Verantwortung zu ziehen welche die Sache der Freiheit<lb/> durch freventliche Handlungen gegen Perſonen und Eigenthum gefähr-<lb/> den. (<hi rendition="#g">Karlsr</hi>. Z.)</p> </div><lb/> <div type="jComment" n="4"><lb/> <p>Die <hi rendition="#g">Deutſche Zeitung</hi> ſagt über die Berliner Ereigniſſe und<lb/> die Erklärung des Königs: „Wir maßen uns nicht an in dieſem Au-<lb/> genblick die ganze Schwere jener Ereigniſſe für den nächſten Augenblick<lb/> richtig zu ſchätzen. Das fühlen wir deutlich daß über das Licht, in dem<lb/> noch vorgeſtern unſere deutſchen Sachen ſtanden, ein tiefer, ſchwarzer<lb/> Schatten gefallen iſt. Eine große, glänzende Sühne ſcheint uns nöthig,<lb/> wenn der heitere Geiſt wieder gewonnen werden ſoll mit dem man bis<lb/> daher der Umgeſtaltung der deutſchen Verhältniſſe oblag, wenn man<lb/> ſich in Preußen mit der Dynaſtie und der Monarchie wieder aufrichtig<lb/> ausſöhnen ſoll. Dieß ſind nicht Zeiten um Rückſichten und Rückhalte<lb/> zu haben. Wir ſagen daher mit offenem Bekenntniß: es ſcheint uns<lb/> wünſchenswerth daß der König und der Prinz von Preußen reſigniren<lb/> und dem Sohne des letzteren die Krone abtreten, dem für die kurze Zeit<lb/> ſeiner Minderjährigkeit ſeine edle, freiſtnnige Mutter zur Regentin bei-<lb/> gegeben werden mag. Wir verkennen den ganzen Uebelſtand einer Mi-<lb/> norennität und Regentiſchaft in dieſen Zeiten durchaus nicht; man mag,<lb/> wenn wir dennoch dieſen Uebelſtand vorziehen, den Ernſt unſerer Ueber-<lb/> zeugung daraus ermeſſen daß eine geringere Sühne die Freudigkeit und<lb/> das Vertrauen weder in Preußen noch in Deutſchland ungetrübt her-<lb/> ſtellen wird. In dem Moment wo wir ſchreiben leſen wir die Nachrich-<lb/> ten von den verſöhnenden Scenen in Berlin. Große Handlungen, wahre<lb/> Hingebung an die Nation und ihren erhabenen Aufſchwung können viel-<lb/> leicht doch noch retten. Wir fühlen uns gewachſen die Früchte unſerer<lb/> Regeneration im Innern zu pflücken und zugleich eine wohlthätige Aus-<lb/> ſaat nach außen zu ſtreuen. Die Diverſion nach außen wird es uns ſo-<lb/> gar erleichtern unſere heimiſche Ernte ſicherer einzuthun. Spreche der<lb/> König von Preußen ohne Verzug ſeine Abſicht aus den polniſchen Theil<lb/> von Poſen als Baſts eines herzuſtellenden Polens herauszugeben. Lade<lb/> er Oeſterreich ein mit Galizien beizutreten; wenn es weiſe iſt, wird es<lb/> keine Stunde zögern. Rüſte er gegen Rußland: die Stunde des Kriegs<lb/> wird nur verfrüht werden; er iſt auf die Länge doch unvermeidlich, denn<lb/> die Freiheit kann nicht ſo nahe an die Sklaverei gränzen. Mögen<lb/> dann die Polen zu Pferde ſitzen um ſich Litthauen, die Kuren, die<lb/> Liven, die Finnen, um ſich ihre Nationalität wieder zu erkämpfen.<lb/> Wir Deutſchen wollen dann nicht zurückbleiben; wir wollen nicht allein<lb/> mit Freiheiten, ſondern zugleich mit Thaten in die Geſchichte eintre-<lb/><cb/> ten. Für unſere gemeindeutſche Sache iſt nach jener furchtbaren Ver-<lb/> ſtimmung irgend ein großer Schritt dieſer Art, ſey es der Reſignation, ſey<lb/> es der großen That, eine Nothwendigkeit. Das Patent vom 18 März hätte<lb/> ohne die nachfolgenden Ereigniſſe ga nz Deutſchland in Einen Jubel ver-<lb/> ſetzt. Es war fertig, ſagt man ehe überhaupt in Berlin Unruhen ent-<lb/> ſtanden. Warum zögerte man es bekannt zu machen? Man war ſich<lb/> in jedem Winkel von Deutſchland klar darüber welchen Werth jetzt<lb/> die Stunden und Minuten haben, nur in Berlin nicht. Der Tag,<lb/> der große Tag auf den man Jahrzehende bei uns gewartet hatte, war<lb/> mit dieſem Patente für Preußen, für Deutſchland erſchienen. Denn<lb/> alles was wir wünſchten war hier mit vollen Händen gegeben, und<lb/> zum erſtenmale in einer Sprache geſagt die plan, rund, ſtaatsmän-<lb/> niſch, warm und beſtimmt zugleich war. Wir haben der Verſamm-<lb/> lung in Heidelberg beigewohnt, und glauben ſagen zu dürfen daß nie-<lb/> mand dort ſolche Grundzüge der künftigen Geſtaltung Deutſchlands<lb/> von Preußen, von dem Bunde, von irgendeinem Hofe Deutſchlands<lb/> ausgehen zu ſehen erwartet hätte. Um dieſes Programm hätte ſich<lb/> Deutſchland mit Jauchzen geſchaart, ſich ſchaaren dürfen und müſſen.<lb/> Jetzt iſt es wie zu Boden gefallen, ſeine Züge wie verblaßt und ver-<lb/> wiſcht. Es iſt als ob ſich niemand im Angeſicht dieſer blutigen Vor-<lb/> gänge getraute das Werk zu loben das mitten in ſie hineinfiel; als<lb/> ob niemand wagte der Aufrichtigkeit des Patentes zu vertrauen, da<lb/> man nach ſeinem Erlaſſe einen halbtägigen Bürgerkrieg fortwüthen<lb/> ließ. Es iſt die Pflicht der Preſſe — wie undankbar ſie auch ſeyn<lb/> möge — die trübe Stimmung der Leidenſchaft zuerſt zu bemeiſtern<lb/> und die erhitzten Gemüther zur Ruhe und Beſonnenheit zu bringen.<lb/> Sehen wir die Dinge nicht mit perſönlicher Erregung an, ſehen wir<lb/> auf das Ganze, ermannen wir uns zu einer gefaßten Betrachtung,<lb/> ſelbſt wenn ſie hart und kalt erſchiene. Die Berliner Bluttaufe, wenn<lb/> auch nicht die Veränderung auf dem Throne vorgeht die uns räth-<lb/> lich und wohlgethan ſcheint, iſt vielleicht allein im Stande geweſen<lb/> die eingewurzelten Begriffe des altmonarchiſchen Princips in den Ge-<lb/> müthern vöklig zu tilgen und das Volk der Hauptſtadt, das die Schick-<lb/> ſale in eine jahrhundertlange Apathie geworfen hatten, ſo aufzurüt-<lb/> teln daß es fernerhin, wie es der erſten Stadt des Reiches gebührt,<lb/> an der Spitze und auf der Hochwacht der politiſchen Dinge in Preu-<lb/> ßen ſtehe und ſich darauf behaupte. Der politiſche Indifferentismus hat<lb/> eine harte und grauſame Buße erleiden müſſen; dafür iſt auch der<lb/> Anbruch einer neuen Zeit deſto gewiſſer und geſicherter. Für den<lb/> Ernſt der Vorſchläge, für die Ausführung der Forderungen ferner<lb/> die das Patent an die deutſchen Bundesgenoſſen ſtellt, iſt jene Blut-<lb/> taufe ein deſto feſterer Bürge. Laſſen wir uns alſo das dort Ver-<lb/> heißene durch die Ereigniſſe in Berlin in keiner Weiſe verkümmern.<lb/> Halten wir uns unverrückt daran weil es das Rechte, das Tüchtige,<lb/> das Nothwendige iſt. Wer in den Dingen des Staates eine Stimme<lb/> haben will, muß frühzeitig lernen die häusliche Feinfühligkeit abzu-<lb/> legen; das Gemüth wird von vielen Sachen verletzt und erſchüttert,<lb/> die gleichwohl der politiſche Verſtand zu ergreifen und zu benutzen<lb/> ſuchen muß. Preußen ſoll feſthalten an dieſem Patente, es ſoll es<lb/> ausführen, <hi rendition="#g">aber ohne allen Zeitverluſt</hi>. Es ſoll einen conſti-<lb/> tuirenden Bundestag nach Frankfurt ausſchreiben, deſſen Glieder, in<lb/> nicht zu geringer, in nicht zu großer Zahl, <hi rendition="#g">von</hi> den deutſchen Stän-<lb/> den, nicht <hi rendition="#g">aus</hi> den Ständen, ſondern in ganz freier Wahl aus je-<lb/> dem Ort und jeder Klaſſe von deutſchen Bürgern gewählt würden.<lb/> Es ſoll nicht warten bis jeder Bundesfürſt eingeſtimmt hat zu kom-<lb/> men und zu beſchicken, es ſoll einladend ausſchreiben...“</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline><hi rendition="#b">Raſtatt,</hi> 24 März.</dateline><lb/> <p>Dieſen Morgen iſt eine Abtheilung des<lb/> dritten Infanterieregiments auf der Eiſenbahn nach Kehl abgegangen.<lb/> Es hängt dieſe Maßregel ohne Zweifel mit der Nachricht zuſammen daß<lb/> deutſche Arbeiter welche aus Paris und Frankreich ausgewieſen werden<lb/> in bewaffneten Haufen über den Rhein dringen wollen. So eben (Mit-<lb/> tags 1 Uhr) geht ein weiteres Bataillon nach der Ortenau und dem<lb/> Hanauiſchen ab, während einige Compagnien von dem Dorfe Au an,<lb/> gegenüber von Lauterburg, längs dem Rhein aufwärts eine Art mobiler<lb/> Colonne bilden um die öffentliche Sicherheit zu wahren. Unzählige Ge-<lb/> rüchte von dem Einbruch franzöſiſcher und deutſcher Arbeiter ſind längs<lb/> dem ganzen Rheinſtrom verbreitet, und haben, wenn ſich auch die Ge-<lb/> rüchte als unwahr darſtellen, doch immer den Nachtheil daß unſere dieſ-<lb/> ſeitige Bevölkerung, in Erinnerung der neunziger Jahre, ſtets in Allarm<lb/> iſt. Die Bewachung der Rheingränze iſt darum dringend geboten.<lb/> (<hi rendition="#g">Karlsr. Zig</hi>.)</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1380/0004]
namentlich beinahe ſämmtliche Mitglieder des hieſigen Kreis-Gerichts-
hofes eingereiht haben, übt ſich bereits eifrig in den Waffen. Am heu-
tigen Morgen wurde auf dem mittleren Thurme der die Stadt beherr-
ſchenden Wilhelmsburg eine prachtvolle ſchwarz-roth-goldene Fahne
mit dem Reichsadler, den Befehlen des deutſchen Bundes gemäß, in
Gegenwart ſämmtlicher bei dem Feſtungsbau beſchäftigter Officiere auf-
geſteckt. Möchte dieſes deutſche Nationalzeichen, deſſen Anerkennung
endlich officiell erfolgt iſt, für alle Zeiten das Symbol der Einigkeit und
Verbrüderung aller deutſchen Volksſtämme ſeyn und bleiben und kein
anderes Banner mehr dasſelbe verdrängen!
Auch unſere neueſten Stuttgarter Briefe verſichern daß ſich die
Lärmgerüchte als Erfindungen des Schreckens ausgewieſen hätten. Da
dieſer Schrecken aber an das Gefühl der Hülfloſtgkeit erinnert in wel-
cher, militäriſch betrachtet, ein guter Theil von Südweſtdeutſchland ſich
befindet, ſo liegt darin Mahnung genug die nöthigen Rüſtungen und
Vorkehrungen nicht länger aufzuſchieben. — Die Stuttgarter Kammer-
verhandlungen müſſen wir auf morgen vertagen. Geſtern ſchon ha-
ben wir kurz angeführt daß die Kammer der Abgeordneten das Ablö-
ſungsgeſetz, gegen nur wenige verneinende Stimmen, angenom-
men hat.
Gr. Baden.
Karlsruhe, 24 März.
In der heutigen Sitzung
der zweiten Kammer wurde unter allſeitiger lebhafter Zuſtimmung fol-
gender Antrag des Abg. Baſſermann einſtimmig angenommen: Die
Vertreter des badiſchen Volkes erklären für ſich ſelbſt und erwarten von
ihren Mitbürgern daß ſie ſowohl für die ſchleunigſte Herſtellung eines
freien, einigen Deutſchlands und eines wahrhaft freien Rechtszuſtandes
in Baden, als auch gegen jede dieſem edlen Streben der Nation hinder-
liche Störung der geſetzlichen Ordnung aus allen Kräften wirken. Sie
erklären zugleich und erwarten von ihren Mitbürgern daß ſie der Regie-
rung, ſolange dieſelbe auf dem Wege der Verfaſſung wandelt, den kräf-
tigſten Beiſtand leiſten werden in der Erfüllung ihrer Pflicht diejenigen
zur geſetzlichen Verantwortung zu ziehen welche die Sache der Freiheit
durch freventliche Handlungen gegen Perſonen und Eigenthum gefähr-
den. (Karlsr. Z.)
Die Deutſche Zeitung ſagt über die Berliner Ereigniſſe und
die Erklärung des Königs: „Wir maßen uns nicht an in dieſem Au-
genblick die ganze Schwere jener Ereigniſſe für den nächſten Augenblick
richtig zu ſchätzen. Das fühlen wir deutlich daß über das Licht, in dem
noch vorgeſtern unſere deutſchen Sachen ſtanden, ein tiefer, ſchwarzer
Schatten gefallen iſt. Eine große, glänzende Sühne ſcheint uns nöthig,
wenn der heitere Geiſt wieder gewonnen werden ſoll mit dem man bis
daher der Umgeſtaltung der deutſchen Verhältniſſe oblag, wenn man
ſich in Preußen mit der Dynaſtie und der Monarchie wieder aufrichtig
ausſöhnen ſoll. Dieß ſind nicht Zeiten um Rückſichten und Rückhalte
zu haben. Wir ſagen daher mit offenem Bekenntniß: es ſcheint uns
wünſchenswerth daß der König und der Prinz von Preußen reſigniren
und dem Sohne des letzteren die Krone abtreten, dem für die kurze Zeit
ſeiner Minderjährigkeit ſeine edle, freiſtnnige Mutter zur Regentin bei-
gegeben werden mag. Wir verkennen den ganzen Uebelſtand einer Mi-
norennität und Regentiſchaft in dieſen Zeiten durchaus nicht; man mag,
wenn wir dennoch dieſen Uebelſtand vorziehen, den Ernſt unſerer Ueber-
zeugung daraus ermeſſen daß eine geringere Sühne die Freudigkeit und
das Vertrauen weder in Preußen noch in Deutſchland ungetrübt her-
ſtellen wird. In dem Moment wo wir ſchreiben leſen wir die Nachrich-
ten von den verſöhnenden Scenen in Berlin. Große Handlungen, wahre
Hingebung an die Nation und ihren erhabenen Aufſchwung können viel-
leicht doch noch retten. Wir fühlen uns gewachſen die Früchte unſerer
Regeneration im Innern zu pflücken und zugleich eine wohlthätige Aus-
ſaat nach außen zu ſtreuen. Die Diverſion nach außen wird es uns ſo-
gar erleichtern unſere heimiſche Ernte ſicherer einzuthun. Spreche der
König von Preußen ohne Verzug ſeine Abſicht aus den polniſchen Theil
von Poſen als Baſts eines herzuſtellenden Polens herauszugeben. Lade
er Oeſterreich ein mit Galizien beizutreten; wenn es weiſe iſt, wird es
keine Stunde zögern. Rüſte er gegen Rußland: die Stunde des Kriegs
wird nur verfrüht werden; er iſt auf die Länge doch unvermeidlich, denn
die Freiheit kann nicht ſo nahe an die Sklaverei gränzen. Mögen
dann die Polen zu Pferde ſitzen um ſich Litthauen, die Kuren, die
Liven, die Finnen, um ſich ihre Nationalität wieder zu erkämpfen.
Wir Deutſchen wollen dann nicht zurückbleiben; wir wollen nicht allein
mit Freiheiten, ſondern zugleich mit Thaten in die Geſchichte eintre-
ten. Für unſere gemeindeutſche Sache iſt nach jener furchtbaren Ver-
ſtimmung irgend ein großer Schritt dieſer Art, ſey es der Reſignation, ſey
es der großen That, eine Nothwendigkeit. Das Patent vom 18 März hätte
ohne die nachfolgenden Ereigniſſe ga nz Deutſchland in Einen Jubel ver-
ſetzt. Es war fertig, ſagt man ehe überhaupt in Berlin Unruhen ent-
ſtanden. Warum zögerte man es bekannt zu machen? Man war ſich
in jedem Winkel von Deutſchland klar darüber welchen Werth jetzt
die Stunden und Minuten haben, nur in Berlin nicht. Der Tag,
der große Tag auf den man Jahrzehende bei uns gewartet hatte, war
mit dieſem Patente für Preußen, für Deutſchland erſchienen. Denn
alles was wir wünſchten war hier mit vollen Händen gegeben, und
zum erſtenmale in einer Sprache geſagt die plan, rund, ſtaatsmän-
niſch, warm und beſtimmt zugleich war. Wir haben der Verſamm-
lung in Heidelberg beigewohnt, und glauben ſagen zu dürfen daß nie-
mand dort ſolche Grundzüge der künftigen Geſtaltung Deutſchlands
von Preußen, von dem Bunde, von irgendeinem Hofe Deutſchlands
ausgehen zu ſehen erwartet hätte. Um dieſes Programm hätte ſich
Deutſchland mit Jauchzen geſchaart, ſich ſchaaren dürfen und müſſen.
Jetzt iſt es wie zu Boden gefallen, ſeine Züge wie verblaßt und ver-
wiſcht. Es iſt als ob ſich niemand im Angeſicht dieſer blutigen Vor-
gänge getraute das Werk zu loben das mitten in ſie hineinfiel; als
ob niemand wagte der Aufrichtigkeit des Patentes zu vertrauen, da
man nach ſeinem Erlaſſe einen halbtägigen Bürgerkrieg fortwüthen
ließ. Es iſt die Pflicht der Preſſe — wie undankbar ſie auch ſeyn
möge — die trübe Stimmung der Leidenſchaft zuerſt zu bemeiſtern
und die erhitzten Gemüther zur Ruhe und Beſonnenheit zu bringen.
Sehen wir die Dinge nicht mit perſönlicher Erregung an, ſehen wir
auf das Ganze, ermannen wir uns zu einer gefaßten Betrachtung,
ſelbſt wenn ſie hart und kalt erſchiene. Die Berliner Bluttaufe, wenn
auch nicht die Veränderung auf dem Throne vorgeht die uns räth-
lich und wohlgethan ſcheint, iſt vielleicht allein im Stande geweſen
die eingewurzelten Begriffe des altmonarchiſchen Princips in den Ge-
müthern vöklig zu tilgen und das Volk der Hauptſtadt, das die Schick-
ſale in eine jahrhundertlange Apathie geworfen hatten, ſo aufzurüt-
teln daß es fernerhin, wie es der erſten Stadt des Reiches gebührt,
an der Spitze und auf der Hochwacht der politiſchen Dinge in Preu-
ßen ſtehe und ſich darauf behaupte. Der politiſche Indifferentismus hat
eine harte und grauſame Buße erleiden müſſen; dafür iſt auch der
Anbruch einer neuen Zeit deſto gewiſſer und geſicherter. Für den
Ernſt der Vorſchläge, für die Ausführung der Forderungen ferner
die das Patent an die deutſchen Bundesgenoſſen ſtellt, iſt jene Blut-
taufe ein deſto feſterer Bürge. Laſſen wir uns alſo das dort Ver-
heißene durch die Ereigniſſe in Berlin in keiner Weiſe verkümmern.
Halten wir uns unverrückt daran weil es das Rechte, das Tüchtige,
das Nothwendige iſt. Wer in den Dingen des Staates eine Stimme
haben will, muß frühzeitig lernen die häusliche Feinfühligkeit abzu-
legen; das Gemüth wird von vielen Sachen verletzt und erſchüttert,
die gleichwohl der politiſche Verſtand zu ergreifen und zu benutzen
ſuchen muß. Preußen ſoll feſthalten an dieſem Patente, es ſoll es
ausführen, aber ohne allen Zeitverluſt. Es ſoll einen conſti-
tuirenden Bundestag nach Frankfurt ausſchreiben, deſſen Glieder, in
nicht zu geringer, in nicht zu großer Zahl, von den deutſchen Stän-
den, nicht aus den Ständen, ſondern in ganz freier Wahl aus je-
dem Ort und jeder Klaſſe von deutſchen Bürgern gewählt würden.
Es ſoll nicht warten bis jeder Bundesfürſt eingeſtimmt hat zu kom-
men und zu beſchicken, es ſoll einladend ausſchreiben...“
Raſtatt, 24 März.
Dieſen Morgen iſt eine Abtheilung des
dritten Infanterieregiments auf der Eiſenbahn nach Kehl abgegangen.
Es hängt dieſe Maßregel ohne Zweifel mit der Nachricht zuſammen daß
deutſche Arbeiter welche aus Paris und Frankreich ausgewieſen werden
in bewaffneten Haufen über den Rhein dringen wollen. So eben (Mit-
tags 1 Uhr) geht ein weiteres Bataillon nach der Ortenau und dem
Hanauiſchen ab, während einige Compagnien von dem Dorfe Au an,
gegenüber von Lauterburg, längs dem Rhein aufwärts eine Art mobiler
Colonne bilden um die öffentliche Sicherheit zu wahren. Unzählige Ge-
rüchte von dem Einbruch franzöſiſcher und deutſcher Arbeiter ſind längs
dem ganzen Rheinſtrom verbreitet, und haben, wenn ſich auch die Ge-
rüchte als unwahr darſtellen, doch immer den Nachtheil daß unſere dieſ-
ſeitige Bevölkerung, in Erinnerung der neunziger Jahre, ſtets in Allarm
iſt. Die Bewachung der Rheingränze iſt darum dringend geboten.
(Karlsr. Zig.)
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(2022-04-08T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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