Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 2. Burg/Berlin, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

27 Conversations=Blatt. 28
[Beginn Spaltensatz] Tapferkeit und Großmuth. Seine Gerechtigkeitsliebe
und treffliche Staatseinrichtung mehrten das Glück und
den Wohlstand seiner Lande. Jhm selbst aber waren
herbe Erfahrungen in seinem häuslichen Leben beschie-
den. Er war mit Anna, der Tochter des Grafen
von Würtemberg vermählt, welche ihm einen Sohn und
eine Tochter gebar. Der Erstere erhielt des Vaters,
die Letztere der Mutter Namen. Aber die Ehe des
Grafen Philipp ward doch sehr getrübt durch den stol-
zen, herrschsüchtigen und unfreundlichen Charakter seiner
Gemahlin. Jhre Dienerschaft hart, und ihre Kinder
mit Gleichgültigkeit behandelnd, konnte sich die Gräfin
Anna keine Liebe, sondern nur Furcht und Abneigung
schaffen. Dem Gatten wurden ihr Eigensinn, ihr her-
risches Wesen und ihre unaufhörlichen Ränke am Ende
so unerträglich, daß er sich von ihr trennte und ihr
die Burg Lichtenberg zum Aufenthalte anwies. Aber
auch von hier aus bereitete sie ihm noch vielen Aerger
und Gram. Schon hatte er seinen Kanzler nach Rom
mit der Bitte an den Papst gesandt: daß der Kir-
che Oberhaupt das Band dieser unglücklichen Ehe lösen
möge, als der in Folge eines Blutsturzes erfolgte Tod
der Gräfin Anna den wackern Philipp aller fernern
Weitläuftigkeiten und Opfer überhob.

    (Schluß folgt.)



Die beiden Kaiser
oder
das Hazardspiel.

Eine Szene aus dem Kriegsleben des Jahres 1812
von
Freimund Ohnesorgen.
(Fortsetzung.)

Durch diesen eigenen Parlementair, erfuhr man,
daß die beobachtenden Russen von jener Seite bemerkt
hatten, wie einer der gefangenen Jhrigen, bei dem ge-
fallenen Segür niedergehauen wurde. Sie klagten über-
verletzten rechtlichen Kriegsgebrauch, und gekränktes Völ-
kerrecht, um so mehr, da die Franzosen ohne Kriegser-
klärung in ihr Land eingebrochen wären und räuberisch
sie anfielen und verfolgten, selbst wo man ihnen aus
dem Wege ginge. Sie ließen erklären, daß sie noch
von keinem Kriege wüßten, und verlangten die Auslie-
ferung des Schuldigen, um ihn zur gerechten Strafe
ziehen zu können.

Mürat ärgerlich, daß die Russen nicht bloß einer
Schlacht aus dem Wege gingen, sondern noch nicht ein-
mal etwas vom Kriege wissen wollten, wies, an sein
Schwerdt schlagend, alle Maulfechtereien zurück. Nächst
den verhaßten Diplomaten, kannte er nichts in der gan-
zen Kriegskunde, was ihm so zuwider gewesen wäre,
als die Parlamentäre, die ihm schon öfter seine größ-
ten Vergnügungen verdorben hatten. - Um sich indessen
nicht an Großmuth von den Russen übertreffen zu las-
sen, befahl er zugleich, für den gemeinen Franzosen den
russischen Offizier zurückzusenden und diesen mit der
Antwort zu beauftragen.

[Spaltenumbruch]

Der freigegebene Gefangene fuhr auf gleiche Weise,
wie der Franzose über die Wilia gekommen war, zu
den Seinigen zurück, und bestätigte näher, was die Ko-
sacken nur aus der Ferne beobachtet hatten.

Auf der russischen Seite bemerkte man sogleich ei-
ne eigene Bewegung.

Es schien auf Repressalien abgesehen zu sein. Die
Gefangenen wurden auf einen am Wilia=Ufer gelegenen
Hügel geführt, damit die gegenüberstehenden Franzosen
sehen sollten, wie die Russen keine Frevelthat ungeahn-
det ließen. Wollte man ihnen kein Recht geben, so
wollten sie das Recht mit eigener Hand nehmen. Fran-
kenblut sollte das widerrechtlich vergossene Blut eines
der Jhrigen sühnen. - So wollte es der General Alsu-
fiew, ein echter Russe, welcher Barclay's Ariergarde kom-
mandirte. Dem befreiten Offizier wurde die Vollzie-
hung der Execution übertragen, um für den verlorenen
leiblichen Bruder auch seiner Seits an der gerechten
Rache thätigen Antheil zu nehmen.

"General, ich als Deutscher finde eine andere Ra-
che für meinen Bruder würdiger," meinte der Offizier.
"Sie heißt Verzeihung!"

"Einerlei, Sie sind jetzt Russe, die Uniform und
darin die Nation ist beleidigt," entgegnete finster im
Sinne seines alten Suwarow's der russische General.

Er befahl die Gefangenen sogleich zu decimiren,
nach guten Kriegsgebrauch, da es doch einmal nach dem
Wunsche der Franzosen Krieg sein solle.

"Sie befehlen also, daß es nicht anders sei, als
eine Decimirung?"

"Nicht anders, bei meinem Wort!"

"Gut, so bemerke ich, daß ich sie nicht decimi-
ren kann?"

"Können etwa die Deutschen nicht bis zehn zählen?"

"Nein, dort nicht, wo nur Neune sind."

Der General überblickte die Gefangenen. Nur
Neune. - Den Zehnten - richtig - den hatte er
ja selbst vorher zurückgesendet. - Er hatte sein Wort
gegeben. - Doch seinen strengen Willen gab er noch
nicht auf, denn die Section der Grenadire, die zur Fü-
seliade kommandirt waren, blieben da, und einige Ko-
sacken, die er herbeiwinkte, warfen sich auf ihre zotti-
gen Gaule und huschten am Ufer fort in das Gebüsch.

Auf französischer Seite hielt man nach den beo-
bachteten Vorbereitungen, die Gefangenen drüben für
verloren. Das arme Weib, welches ihren Gatten un-
ter den Unglücklichen sah, stand händeringend am Ufer.

"Wer rettet meinen tapfern Vertheidiger?" fragte
Segür mit matter Stimme, als er die Ursache des
Schmerzes seiner Pflegerin erfuhr.

"Das bin ich, wenn mir's gestattet ist eine heilige
Pflicht zu üben," rief der Bruder der Klagenden.

"Geduld arme Schwester!" fuhr er zu dieser ge-
wendet fort, "um einer edlen That Deines braven Man-
nes sollst Du heute nicht zur Witwe werden."

Segür reichte dem wackern Husaren die Hand.

"Was willst Du thun, Bruder?" fragte ängst-
lich das Weib.

[Ende Spaltensatz]

27 Conversations=Blatt. 28
[Beginn Spaltensatz] Tapferkeit und Großmuth. Seine Gerechtigkeitsliebe
und treffliche Staatseinrichtung mehrten das Glück und
den Wohlstand seiner Lande. Jhm selbst aber waren
herbe Erfahrungen in seinem häuslichen Leben beschie-
den. Er war mit Anna, der Tochter des Grafen
von Würtemberg vermählt, welche ihm einen Sohn und
eine Tochter gebar. Der Erstere erhielt des Vaters,
die Letztere der Mutter Namen. Aber die Ehe des
Grafen Philipp ward doch sehr getrübt durch den stol-
zen, herrschsüchtigen und unfreundlichen Charakter seiner
Gemahlin. Jhre Dienerschaft hart, und ihre Kinder
mit Gleichgültigkeit behandelnd, konnte sich die Gräfin
Anna keine Liebe, sondern nur Furcht und Abneigung
schaffen. Dem Gatten wurden ihr Eigensinn, ihr her-
risches Wesen und ihre unaufhörlichen Ränke am Ende
so unerträglich, daß er sich von ihr trennte und ihr
die Burg Lichtenberg zum Aufenthalte anwies. Aber
auch von hier aus bereitete sie ihm noch vielen Aerger
und Gram. Schon hatte er seinen Kanzler nach Rom
mit der Bitte an den Papst gesandt: daß der Kir-
che Oberhaupt das Band dieser unglücklichen Ehe lösen
möge, als der in Folge eines Blutsturzes erfolgte Tod
der Gräfin Anna den wackern Philipp aller fernern
Weitläuftigkeiten und Opfer überhob.

    (Schluß folgt.)



Die beiden Kaiser
oder
das Hazardspiel.

Eine Szene aus dem Kriegsleben des Jahres 1812
von
Freimund Ohnesorgen.
(Fortsetzung.)

Durch diesen eigenen Parlementair, erfuhr man,
daß die beobachtenden Russen von jener Seite bemerkt
hatten, wie einer der gefangenen Jhrigen, bei dem ge-
fallenen Segür niedergehauen wurde. Sie klagten über-
verletzten rechtlichen Kriegsgebrauch, und gekränktes Völ-
kerrecht, um so mehr, da die Franzosen ohne Kriegser-
klärung in ihr Land eingebrochen wären und räuberisch
sie anfielen und verfolgten, selbst wo man ihnen aus
dem Wege ginge. Sie ließen erklären, daß sie noch
von keinem Kriege wüßten, und verlangten die Auslie-
ferung des Schuldigen, um ihn zur gerechten Strafe
ziehen zu können.

Mürat ärgerlich, daß die Russen nicht bloß einer
Schlacht aus dem Wege gingen, sondern noch nicht ein-
mal etwas vom Kriege wissen wollten, wies, an sein
Schwerdt schlagend, alle Maulfechtereien zurück. Nächst
den verhaßten Diplomaten, kannte er nichts in der gan-
zen Kriegskunde, was ihm so zuwider gewesen wäre,
als die Parlamentäre, die ihm schon öfter seine größ-
ten Vergnügungen verdorben hatten. – Um sich indessen
nicht an Großmuth von den Russen übertreffen zu las-
sen, befahl er zugleich, für den gemeinen Franzosen den
russischen Offizier zurückzusenden und diesen mit der
Antwort zu beauftragen.

[Spaltenumbruch]

Der freigegebene Gefangene fuhr auf gleiche Weise,
wie der Franzose über die Wilia gekommen war, zu
den Seinigen zurück, und bestätigte näher, was die Ko-
sacken nur aus der Ferne beobachtet hatten.

Auf der russischen Seite bemerkte man sogleich ei-
ne eigene Bewegung.

Es schien auf Repressalien abgesehen zu sein. Die
Gefangenen wurden auf einen am Wilia=Ufer gelegenen
Hügel geführt, damit die gegenüberstehenden Franzosen
sehen sollten, wie die Russen keine Frevelthat ungeahn-
det ließen. Wollte man ihnen kein Recht geben, so
wollten sie das Recht mit eigener Hand nehmen. Fran-
kenblut sollte das widerrechtlich vergossene Blut eines
der Jhrigen sühnen. – So wollte es der General Alsu-
fiew, ein echter Russe, welcher Barclay's Ariergarde kom-
mandirte. Dem befreiten Offizier wurde die Vollzie-
hung der Execution übertragen, um für den verlorenen
leiblichen Bruder auch seiner Seits an der gerechten
Rache thätigen Antheil zu nehmen.

„General, ich als Deutscher finde eine andere Ra-
che für meinen Bruder würdiger,“ meinte der Offizier.
„Sie heißt Verzeihung!“

„Einerlei, Sie sind jetzt Russe, die Uniform und
darin die Nation ist beleidigt,“ entgegnete finster im
Sinne seines alten Suwarow's der russische General.

Er befahl die Gefangenen sogleich zu decimiren,
nach guten Kriegsgebrauch, da es doch einmal nach dem
Wunsche der Franzosen Krieg sein solle.

„Sie befehlen also, daß es nicht anders sei, als
eine Decimirung?“

„Nicht anders, bei meinem Wort!“

„Gut, so bemerke ich, daß ich sie nicht decimi-
ren kann?“

„Können etwa die Deutschen nicht bis zehn zählen?“

„Nein, dort nicht, wo nur Neune sind.“

Der General überblickte die Gefangenen. Nur
Neune. – Den Zehnten – richtig – den hatte er
ja selbst vorher zurückgesendet. – Er hatte sein Wort
gegeben. – Doch seinen strengen Willen gab er noch
nicht auf, denn die Section der Grenadire, die zur Fü-
seliade kommandirt waren, blieben da, und einige Ko-
sacken, die er herbeiwinkte, warfen sich auf ihre zotti-
gen Gaule und huschten am Ufer fort in das Gebüsch.

Auf französischer Seite hielt man nach den beo-
bachteten Vorbereitungen, die Gefangenen drüben für
verloren. Das arme Weib, welches ihren Gatten un-
ter den Unglücklichen sah, stand händeringend am Ufer.

„Wer rettet meinen tapfern Vertheidiger?“ fragte
Segür mit matter Stimme, als er die Ursache des
Schmerzes seiner Pflegerin erfuhr.

„Das bin ich, wenn mir's gestattet ist eine heilige
Pflicht zu üben,“ rief der Bruder der Klagenden.

„Geduld arme Schwester!“ fuhr er zu dieser ge-
wendet fort, „um einer edlen That Deines braven Man-
nes sollst Du heute nicht zur Witwe werden.“

Segür reichte dem wackern Husaren die Hand.

„Was willst Du thun, Bruder?“ fragte ängst-
lich das Weib.

[Ende Spaltensatz]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div xml:id="Bergschloss1" type="jArticle" n="1">
        <p><pb facs="#f0006"/><fw type="header" place="top">27 <hi rendition="#c">Conversations=Blatt.</hi> <hi rendition="#right">28</hi></fw><cb type="start" n="27"/>
Tapferkeit und Großmuth. Seine Gerechtigkeitsliebe<lb/>
und treffliche Staatseinrichtung mehrten das Glück und<lb/>
den Wohlstand seiner Lande. Jhm selbst aber waren<lb/>
herbe Erfahrungen in seinem häuslichen Leben beschie-<lb/>
den. Er war mit <hi rendition="#g">Anna,</hi> der Tochter des Grafen<lb/>
von Würtemberg vermählt, welche ihm einen Sohn und<lb/>
eine Tochter gebar. Der Erstere erhielt des Vaters,<lb/>
die Letztere der Mutter Namen. Aber die Ehe des<lb/>
Grafen Philipp ward doch sehr getrübt durch den stol-<lb/>
zen, herrschsüchtigen und unfreundlichen Charakter seiner<lb/>
Gemahlin. Jhre Dienerschaft hart, und ihre Kinder<lb/>
mit Gleichgültigkeit behandelnd, konnte sich die Gräfin<lb/>
Anna keine Liebe, sondern nur Furcht und Abneigung<lb/>
schaffen. Dem Gatten wurden ihr Eigensinn, ihr her-<lb/>
risches Wesen und ihre unaufhörlichen Ränke am Ende<lb/>
so unerträglich, daß er sich von ihr trennte und ihr<lb/>
die Burg Lichtenberg zum Aufenthalte anwies. Aber<lb/>
auch von hier aus bereitete sie ihm noch vielen Aerger<lb/>
und Gram. Schon hatte er seinen Kanzler nach Rom<lb/>
mit der Bitte an den Papst gesandt: daß der Kir-<lb/>
che Oberhaupt das Band dieser unglücklichen Ehe lösen<lb/>
möge, als der in Folge eines Blutsturzes erfolgte Tod<lb/>
der Gräfin Anna den wackern Philipp aller fernern<lb/>
Weitläuftigkeiten und Opfer überhob.</p><lb/>
        <p>
          <space dim="horizontal"/>
          <ref target="nn_conversationsblatt03_1838#Bergschloss2">(Schluß folgt.)</ref>
        </p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div xml:id="Hazard2" type="jArticle" n="1">
        <head> <hi rendition="#fr">Die beiden Kaiser</hi><lb/> <hi rendition="#g">oder</hi><lb/> <hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">das Hazardspiel</hi>.</hi> </head><lb/>
        <argument>
          <p>Eine Szene aus dem Kriegsleben des Jahres 1812<lb/>
von<lb/><hi rendition="#g">Freimund Ohnesorgen.</hi><lb/><ref target="nn_conversationsblatt01_1838#Hazard1">(Fortsetzung.)</ref></p>
        </argument><lb/>
        <p>Durch diesen eigenen Parlementair, erfuhr man,<lb/>
daß die beobachtenden Russen von jener Seite bemerkt<lb/>
hatten, wie einer der gefangenen Jhrigen, bei dem ge-<lb/>
fallenen Segür niedergehauen wurde. Sie klagten über-<lb/>
verletzten rechtlichen Kriegsgebrauch, und gekränktes Völ-<lb/>
kerrecht, um so mehr, da die Franzosen ohne Kriegser-<lb/>
klärung in ihr Land eingebrochen wären und räuberisch<lb/>
sie anfielen und verfolgten, selbst wo man ihnen aus<lb/>
dem Wege ginge. Sie ließen erklären, daß sie noch<lb/>
von keinem Kriege wüßten, und verlangten die Auslie-<lb/>
ferung des Schuldigen, um ihn zur gerechten Strafe<lb/>
ziehen zu können.</p><lb/>
        <p>Mürat ärgerlich, daß die Russen nicht bloß einer<lb/>
Schlacht aus dem Wege gingen, sondern noch nicht ein-<lb/>
mal etwas vom Kriege wissen wollten, wies, an sein<lb/>
Schwerdt schlagend, alle Maulfechtereien zurück. Nächst<lb/>
den verhaßten Diplomaten, kannte er nichts in der gan-<lb/>
zen Kriegskunde, was ihm so zuwider gewesen wäre,<lb/>
als die Parlamentäre, die ihm schon öfter seine größ-<lb/>
ten Vergnügungen verdorben hatten. &#x2013; Um sich indessen<lb/>
nicht an Großmuth von den Russen übertreffen zu las-<lb/>
sen, befahl er zugleich, für den gemeinen Franzosen den<lb/>
russischen Offizier zurückzusenden und diesen mit der<lb/>
Antwort zu beauftragen.</p><lb/>
        <cb n="28"/>
        <p>Der freigegebene Gefangene fuhr auf gleiche Weise,<lb/>
wie der Franzose über die Wilia gekommen war, zu<lb/>
den Seinigen zurück, und bestätigte näher, was die Ko-<lb/>
sacken nur aus der Ferne beobachtet hatten.</p><lb/>
        <p>Auf der russischen Seite bemerkte man sogleich ei-<lb/>
ne eigene Bewegung.</p><lb/>
        <p>Es schien auf Repressalien abgesehen zu sein. Die<lb/>
Gefangenen wurden auf einen am Wilia=Ufer gelegenen<lb/>
Hügel geführt, damit die gegenüberstehenden Franzosen<lb/>
sehen sollten, wie die Russen keine Frevelthat ungeahn-<lb/>
det ließen. Wollte man ihnen kein Recht geben, so<lb/>
wollten sie das Recht mit eigener Hand nehmen. Fran-<lb/>
kenblut sollte das widerrechtlich vergossene Blut eines<lb/>
der Jhrigen sühnen. &#x2013; So wollte es der General Alsu-<lb/>
fiew, ein echter Russe, welcher Barclay's Ariergarde kom-<lb/>
mandirte. Dem befreiten Offizier wurde die Vollzie-<lb/>
hung der Execution übertragen, um für den verlorenen<lb/>
leiblichen Bruder auch seiner Seits an der gerechten<lb/>
Rache thätigen Antheil zu nehmen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;General, ich als Deutscher finde eine andere Ra-<lb/>
che für meinen Bruder würdiger,&#x201C; meinte der Offizier.<lb/>
&#x201E;Sie heißt Verzeihung!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Einerlei, Sie sind jetzt Russe, die Uniform und<lb/>
darin die Nation ist beleidigt,&#x201C; entgegnete finster im<lb/>
Sinne seines alten Suwarow's der russische General.</p><lb/>
        <p>Er befahl die Gefangenen sogleich zu decimiren,<lb/>
nach guten Kriegsgebrauch, da es doch einmal nach dem<lb/>
Wunsche der Franzosen Krieg sein solle.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sie befehlen also, daß es nicht anders sei, als<lb/>
eine Decimirung?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nicht anders, bei meinem Wort!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Gut, so bemerke ich, daß ich sie nicht decimi-<lb/>
ren kann?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Können etwa die Deutschen nicht bis zehn zählen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nein, dort nicht, wo nur Neune sind.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der General überblickte die Gefangenen. Nur<lb/>
Neune. &#x2013; Den Zehnten &#x2013; richtig &#x2013; den hatte er<lb/>
ja selbst vorher zurückgesendet. &#x2013; Er hatte sein Wort<lb/>
gegeben. &#x2013; Doch seinen strengen Willen gab er noch<lb/>
nicht auf, denn die Section der Grenadire, die zur Fü-<lb/>
seliade kommandirt waren, blieben da, und einige Ko-<lb/>
sacken, die er herbeiwinkte, warfen sich auf ihre zotti-<lb/>
gen Gaule und huschten am Ufer fort in das Gebüsch.</p><lb/>
        <p>Auf französischer Seite hielt man nach den beo-<lb/>
bachteten Vorbereitungen, die Gefangenen drüben für<lb/>
verloren. Das arme Weib, welches ihren Gatten un-<lb/>
ter den Unglücklichen sah, stand händeringend am Ufer.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wer rettet meinen tapfern Vertheidiger?&#x201C; fragte<lb/>
Segür mit matter Stimme, als er die Ursache des<lb/>
Schmerzes seiner Pflegerin erfuhr.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das bin ich, wenn mir's gestattet ist eine heilige<lb/>
Pflicht zu üben,&#x201C; rief der Bruder der Klagenden.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Geduld arme Schwester!&#x201C; fuhr er zu dieser ge-<lb/>
wendet fort, &#x201E;um einer edlen That Deines braven Man-<lb/>
nes sollst Du heute nicht zur Witwe werden.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Segür reichte dem wackern Husaren die Hand.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Was willst Du thun, Bruder?&#x201C; fragte ängst-<lb/>
lich das Weib.</p><lb/>
        <cb type="end"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0006] 27 Conversations=Blatt. 28 Tapferkeit und Großmuth. Seine Gerechtigkeitsliebe und treffliche Staatseinrichtung mehrten das Glück und den Wohlstand seiner Lande. Jhm selbst aber waren herbe Erfahrungen in seinem häuslichen Leben beschie- den. Er war mit Anna, der Tochter des Grafen von Würtemberg vermählt, welche ihm einen Sohn und eine Tochter gebar. Der Erstere erhielt des Vaters, die Letztere der Mutter Namen. Aber die Ehe des Grafen Philipp ward doch sehr getrübt durch den stol- zen, herrschsüchtigen und unfreundlichen Charakter seiner Gemahlin. Jhre Dienerschaft hart, und ihre Kinder mit Gleichgültigkeit behandelnd, konnte sich die Gräfin Anna keine Liebe, sondern nur Furcht und Abneigung schaffen. Dem Gatten wurden ihr Eigensinn, ihr her- risches Wesen und ihre unaufhörlichen Ränke am Ende so unerträglich, daß er sich von ihr trennte und ihr die Burg Lichtenberg zum Aufenthalte anwies. Aber auch von hier aus bereitete sie ihm noch vielen Aerger und Gram. Schon hatte er seinen Kanzler nach Rom mit der Bitte an den Papst gesandt: daß der Kir- che Oberhaupt das Band dieser unglücklichen Ehe lösen möge, als der in Folge eines Blutsturzes erfolgte Tod der Gräfin Anna den wackern Philipp aller fernern Weitläuftigkeiten und Opfer überhob. (Schluß folgt.) Die beiden Kaiser oder das Hazardspiel. Eine Szene aus dem Kriegsleben des Jahres 1812 von Freimund Ohnesorgen. (Fortsetzung.) Durch diesen eigenen Parlementair, erfuhr man, daß die beobachtenden Russen von jener Seite bemerkt hatten, wie einer der gefangenen Jhrigen, bei dem ge- fallenen Segür niedergehauen wurde. Sie klagten über- verletzten rechtlichen Kriegsgebrauch, und gekränktes Völ- kerrecht, um so mehr, da die Franzosen ohne Kriegser- klärung in ihr Land eingebrochen wären und räuberisch sie anfielen und verfolgten, selbst wo man ihnen aus dem Wege ginge. Sie ließen erklären, daß sie noch von keinem Kriege wüßten, und verlangten die Auslie- ferung des Schuldigen, um ihn zur gerechten Strafe ziehen zu können. Mürat ärgerlich, daß die Russen nicht bloß einer Schlacht aus dem Wege gingen, sondern noch nicht ein- mal etwas vom Kriege wissen wollten, wies, an sein Schwerdt schlagend, alle Maulfechtereien zurück. Nächst den verhaßten Diplomaten, kannte er nichts in der gan- zen Kriegskunde, was ihm so zuwider gewesen wäre, als die Parlamentäre, die ihm schon öfter seine größ- ten Vergnügungen verdorben hatten. – Um sich indessen nicht an Großmuth von den Russen übertreffen zu las- sen, befahl er zugleich, für den gemeinen Franzosen den russischen Offizier zurückzusenden und diesen mit der Antwort zu beauftragen. Der freigegebene Gefangene fuhr auf gleiche Weise, wie der Franzose über die Wilia gekommen war, zu den Seinigen zurück, und bestätigte näher, was die Ko- sacken nur aus der Ferne beobachtet hatten. Auf der russischen Seite bemerkte man sogleich ei- ne eigene Bewegung. Es schien auf Repressalien abgesehen zu sein. Die Gefangenen wurden auf einen am Wilia=Ufer gelegenen Hügel geführt, damit die gegenüberstehenden Franzosen sehen sollten, wie die Russen keine Frevelthat ungeahn- det ließen. Wollte man ihnen kein Recht geben, so wollten sie das Recht mit eigener Hand nehmen. Fran- kenblut sollte das widerrechtlich vergossene Blut eines der Jhrigen sühnen. – So wollte es der General Alsu- fiew, ein echter Russe, welcher Barclay's Ariergarde kom- mandirte. Dem befreiten Offizier wurde die Vollzie- hung der Execution übertragen, um für den verlorenen leiblichen Bruder auch seiner Seits an der gerechten Rache thätigen Antheil zu nehmen. „General, ich als Deutscher finde eine andere Ra- che für meinen Bruder würdiger,“ meinte der Offizier. „Sie heißt Verzeihung!“ „Einerlei, Sie sind jetzt Russe, die Uniform und darin die Nation ist beleidigt,“ entgegnete finster im Sinne seines alten Suwarow's der russische General. Er befahl die Gefangenen sogleich zu decimiren, nach guten Kriegsgebrauch, da es doch einmal nach dem Wunsche der Franzosen Krieg sein solle. „Sie befehlen also, daß es nicht anders sei, als eine Decimirung?“ „Nicht anders, bei meinem Wort!“ „Gut, so bemerke ich, daß ich sie nicht decimi- ren kann?“ „Können etwa die Deutschen nicht bis zehn zählen?“ „Nein, dort nicht, wo nur Neune sind.“ Der General überblickte die Gefangenen. Nur Neune. – Den Zehnten – richtig – den hatte er ja selbst vorher zurückgesendet. – Er hatte sein Wort gegeben. – Doch seinen strengen Willen gab er noch nicht auf, denn die Section der Grenadire, die zur Fü- seliade kommandirt waren, blieben da, und einige Ko- sacken, die er herbeiwinkte, warfen sich auf ihre zotti- gen Gaule und huschten am Ufer fort in das Gebüsch. Auf französischer Seite hielt man nach den beo- bachteten Vorbereitungen, die Gefangenen drüben für verloren. Das arme Weib, welches ihren Gatten un- ter den Unglücklichen sah, stand händeringend am Ufer. „Wer rettet meinen tapfern Vertheidiger?“ fragte Segür mit matter Stimme, als er die Ursache des Schmerzes seiner Pflegerin erfuhr. „Das bin ich, wenn mir's gestattet ist eine heilige Pflicht zu üben,“ rief der Bruder der Klagenden. „Geduld arme Schwester!“ fuhr er zu dieser ge- wendet fort, „um einer edlen That Deines braven Man- nes sollst Du heute nicht zur Witwe werden.“ Segür reichte dem wackern Husaren die Hand. „Was willst Du thun, Bruder?“ fragte ängst- lich das Weib.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt02_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt02_1838/6
Zitationshilfe: Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 2. Burg/Berlin, 1838, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt02_1838/6>, abgerufen am 03.12.2024.