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Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 2. Burg/Berlin, 1838.

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29 Conversations=Blatt. 30
[Beginn Spaltensatz]

"Dir den wieder geben, der in diesen Strudel
von Gefahren nur allein Dich beschützen kann!" rief
er, riß sich los aus ihren Armen, warf sich in die
Wogen der Wilia und schwamm hinüber.

"Unglücklicher! was willst Du hier?" fragte ihn
betroffen der russische Offizier.

"Für den tapfern Gatten meiner Schwester mich
stellen."

"Um Dich und ihn mit den Uebrigen in eine neue
Gefahr zu stürzen."

"Aha! da ist der Zehnte," lachte Alsufiew, dem
die Ankunft dieses Separat = Bittstellers gemeldet war.
"Nun ist die Zahl zur Decimirung unerwartet voll ge-
worden; es ist ein Fingerzeig des Himmels die gerechte
Rache zu erfüllen."

"General; es ist ja kein Gefangener," wendete
der Offizier ein.

"Einerlei, doch ein Franzose."

"Er war mein Lebensretter."

"Sie können ihm jetzt vergelten, wenn Sie das
Loos nun auf einen andern fallen lassen."

Der Offizier war in Verlegenheit, wie er jetzt hel-
fen sollte. Er bat nur um Erlaubniß, noch einmal
hinüber senden zu dürfen, daß der eigentliche Thäter
ausgeliefert, oder daß sonst genügende Satisfaction ge-
geben würde.

Der General, dem es weniger um Blut zu thun
war, als nur um durch Ausübung gerechter Rache dem
unsichtbar waltenden Fatum zu fröhnen und dasselbe nicht
gegen sich zu erzürnen, gestattete die Bitte, doch nur
unter der Bedingung, daß, wenn nicht bald die Sache
von drüben freiwillig erledigt sei, durch das Loos hier
unter den Zurückgebliebenen entschieden werden solle.

Der letztgekommene Husar kehrte zu den Franzosen
zurück, und auf seine Botschaft, die er brachte, blickte
Alles sich nach Jgnatis um, ob er nicht selbst jetzt
hochherzig genug sein würde, diejenigen zu retten, die seine
Schuld büßen sollten. Man erwartete das um so eher,
da eine freiwillige herzhafte Auslieferung der eigenen
Person, den feindlichen tapfern General gewiß zu mil-
dern Gesinnungen stimmen würde.

Selbst Mürat war der Meinung; doch war auch
er bereit, wenn der russische General unter Satisfaction
etwa eine Persönlichkeit verstehe, er selber sogleich dazu
bereit sei.

Die Husaren sahen sich indessen nach ihren neuen
litthauischen Kameraden um; allein er hatte auf einer
Seitenpatrouille sich still in das Gehölz verloren und lag
wohl im eigenen Versteck.

Das Nachrücken der französischen Truppen von
Wilna her, besonders die Seitendetachirung Ney's, um
Oudinot zu unterstützen, welcher das Wittgensteinsche
Corps von Develtowo bis Wilkomir zurückwarf, veran-
laßte den mißtrauischen Alsufiew zur Eile mit dem ein-
mal festbestimmten Gericht. Er befahl dem Offizier,
durch das Loos das Opfer zu bestimmen, und diesem
im Angesicht der Franzosen sogleich erschießen zu lassen.

Der Offizier mußte jetzt ohne Widerrede gehor-
chen; doch sendete er heimlich einen Kosacken an den
[Spaltenumbruch] jungen General Eugen St. Priest, einen gebornen Fran-
zosen und Liebling des Kaisers, ab, um ihn von dem
Vorfalle zu unterrichten.

Es wurde indessen auf der Mitte des mit Wa-
chen umstellten Hügels eine Decke vor den Gefangenen
ausgebreitet. Man reichte ihnen Würfel und überließ
es ihnen, jetzt unter sich selber, denjenigen zu bestim-
men, der als Sühn = Opfer dem augenblicklichen Tode
verfallen sollte.

    (Beschluß folgt.)



Die schwimmenden Dörfer
in China
.

mitgetheilt
von
Freimund Ohnesorgen
.

Jn dem theilweise so übervölkerten China, nament-
lich in der Provinz Canton oder Quan=fu, leben viele
Tausende von Menschen auf dem Wasser. Auf den
Wogen des Gelben= und des Blauen=Stromes schwimmt
die Heimath vieler betriebsamen, industriösen Chinesen,
die auf dem Lande kein Plätzchen fanden, eine Hütte
für sich und ihre Familien zu gründen. - Während
Viele von der ebenen Erde verdrängt, die Felsen er-
klettern und an Seilen sich auf die Abhänge herablas-
sen, um die Vorsprünge mit Erde zu bedecken und zu
bebauen, sind andere zu den Wässern hinabgestiegen,
um hier ihr Asyl zu gründen. Auf ungeheuren Flößen,
mit Erde bedeckt, sind Aecker ausgebreitet, zierliche Häu-
ser gebaut, und grünende Gärten, mit Obstbäumen und
Fruchtstauden angelegt. So sind Flöße an Flöße zu
großen Dorfschaften, herangewachsen und es herrscht in
diesen das regste Leben. Jn den Straßen sieht man,
wie in den Canälen Venedigs, zahllose Gondeln hin und
her fliegen. Vor den Thüren der Häuser mit vorge-
bauten, auf Säulen ruhenden Dächern sitzen die gemäch-
lichen Reichen, die durch Wohlbeleibtheit ihre Ansprüche
auf Würde kund geben, während ihre Weiber mit den
Fliegenwedel und den Tabackspfeifen, dienstbar neben
ihnen knieen und Histörchen erzählen müssen. Auf den
künstlichen Aeckern arbeiten die Aermern und um aus Al-
lem, was die Natur ihnen bietet, Vortheil zu ziehen, sieht
man sie selbst auf ihren Schiebekarren Segel ausspan-
nen, um den Wind zu benutzen. Auf den fetten Wei-
den, die von unten ihre Nahrung aus dem Wasser zie-
hen, sieht man reiche Heerden von kleinen Kühen und
großen Schaafen. Auf dem Wasser zahllose Heerden
der rothschnabligen chinesischen Enten. Auf den wirth-
lichen Höfen die kleinen chinesischen Hühner mit den
verkehrt sitzenden von hinten nach vorne gesträubten Fe-
dern. - Ohne Bedürfnisse vom Festlande gewinnen diese
Jnsulaner auf ihrem selbstgeschaffenen Vaterlande ihren
reichlichen Unterhalt und es giebt viele, die nie ihren
Fuß auf fester Erde setzten. Die größeren schwimmen-
den Ortschaften sind zum Theil an Boden und Ufer
der Flußbette festgewurzelt, die kleineren aber hängen
bald hier bald dort sich an, so daß die geographische
Lage dieser künstlichen Jnseln nie dieselbe bleibt.



[Ende Spaltensatz]
29 Conversations=Blatt. 30
[Beginn Spaltensatz]

„Dir den wieder geben, der in diesen Strudel
von Gefahren nur allein Dich beschützen kann!“ rief
er, riß sich los aus ihren Armen, warf sich in die
Wogen der Wilia und schwamm hinüber.

„Unglücklicher! was willst Du hier?“ fragte ihn
betroffen der russische Offizier.

„Für den tapfern Gatten meiner Schwester mich
stellen.“

„Um Dich und ihn mit den Uebrigen in eine neue
Gefahr zu stürzen.“

„Aha! da ist der Zehnte,“ lachte Alsufiew, dem
die Ankunft dieses Separat = Bittstellers gemeldet war.
„Nun ist die Zahl zur Decimirung unerwartet voll ge-
worden; es ist ein Fingerzeig des Himmels die gerechte
Rache zu erfüllen.“

„General; es ist ja kein Gefangener,“ wendete
der Offizier ein.

„Einerlei, doch ein Franzose.“

„Er war mein Lebensretter.“

„Sie können ihm jetzt vergelten, wenn Sie das
Loos nun auf einen andern fallen lassen.“

Der Offizier war in Verlegenheit, wie er jetzt hel-
fen sollte. Er bat nur um Erlaubniß, noch einmal
hinüber senden zu dürfen, daß der eigentliche Thäter
ausgeliefert, oder daß sonst genügende Satisfaction ge-
geben würde.

Der General, dem es weniger um Blut zu thun
war, als nur um durch Ausübung gerechter Rache dem
unsichtbar waltenden Fatum zu fröhnen und dasselbe nicht
gegen sich zu erzürnen, gestattete die Bitte, doch nur
unter der Bedingung, daß, wenn nicht bald die Sache
von drüben freiwillig erledigt sei, durch das Loos hier
unter den Zurückgebliebenen entschieden werden solle.

Der letztgekommene Husar kehrte zu den Franzosen
zurück, und auf seine Botschaft, die er brachte, blickte
Alles sich nach Jgnatis um, ob er nicht selbst jetzt
hochherzig genug sein würde, diejenigen zu retten, die seine
Schuld büßen sollten. Man erwartete das um so eher,
da eine freiwillige herzhafte Auslieferung der eigenen
Person, den feindlichen tapfern General gewiß zu mil-
dern Gesinnungen stimmen würde.

Selbst Mürat war der Meinung; doch war auch
er bereit, wenn der russische General unter Satisfaction
etwa eine Persönlichkeit verstehe, er selber sogleich dazu
bereit sei.

Die Husaren sahen sich indessen nach ihren neuen
litthauischen Kameraden um; allein er hatte auf einer
Seitenpatrouille sich still in das Gehölz verloren und lag
wohl im eigenen Versteck.

Das Nachrücken der französischen Truppen von
Wilna her, besonders die Seitendetachirung Ney's, um
Oudinot zu unterstützen, welcher das Wittgensteinsche
Corps von Develtowo bis Wilkomir zurückwarf, veran-
laßte den mißtrauischen Alsufiew zur Eile mit dem ein-
mal festbestimmten Gericht. Er befahl dem Offizier,
durch das Loos das Opfer zu bestimmen, und diesem
im Angesicht der Franzosen sogleich erschießen zu lassen.

Der Offizier mußte jetzt ohne Widerrede gehor-
chen; doch sendete er heimlich einen Kosacken an den
[Spaltenumbruch] jungen General Eugen St. Priest, einen gebornen Fran-
zosen und Liebling des Kaisers, ab, um ihn von dem
Vorfalle zu unterrichten.

Es wurde indessen auf der Mitte des mit Wa-
chen umstellten Hügels eine Decke vor den Gefangenen
ausgebreitet. Man reichte ihnen Würfel und überließ
es ihnen, jetzt unter sich selber, denjenigen zu bestim-
men, der als Sühn = Opfer dem augenblicklichen Tode
verfallen sollte.

    (Beschluß folgt.)



Die schwimmenden Dörfer
in China
.

mitgetheilt
von
Freimund Ohnesorgen
.

Jn dem theilweise so übervölkerten China, nament-
lich in der Provinz Canton oder Quan=fu, leben viele
Tausende von Menschen auf dem Wasser. Auf den
Wogen des Gelben= und des Blauen=Stromes schwimmt
die Heimath vieler betriebsamen, industriösen Chinesen,
die auf dem Lande kein Plätzchen fanden, eine Hütte
für sich und ihre Familien zu gründen. – Während
Viele von der ebenen Erde verdrängt, die Felsen er-
klettern und an Seilen sich auf die Abhänge herablas-
sen, um die Vorsprünge mit Erde zu bedecken und zu
bebauen, sind andere zu den Wässern hinabgestiegen,
um hier ihr Asyl zu gründen. Auf ungeheuren Flößen,
mit Erde bedeckt, sind Aecker ausgebreitet, zierliche Häu-
ser gebaut, und grünende Gärten, mit Obstbäumen und
Fruchtstauden angelegt. So sind Flöße an Flöße zu
großen Dorfschaften, herangewachsen und es herrscht in
diesen das regste Leben. Jn den Straßen sieht man,
wie in den Canälen Venedigs, zahllose Gondeln hin und
her fliegen. Vor den Thüren der Häuser mit vorge-
bauten, auf Säulen ruhenden Dächern sitzen die gemäch-
lichen Reichen, die durch Wohlbeleibtheit ihre Ansprüche
auf Würde kund geben, während ihre Weiber mit den
Fliegenwedel und den Tabackspfeifen, dienstbar neben
ihnen knieen und Histörchen erzählen müssen. Auf den
künstlichen Aeckern arbeiten die Aermern und um aus Al-
lem, was die Natur ihnen bietet, Vortheil zu ziehen, sieht
man sie selbst auf ihren Schiebekarren Segel ausspan-
nen, um den Wind zu benutzen. Auf den fetten Wei-
den, die von unten ihre Nahrung aus dem Wasser zie-
hen, sieht man reiche Heerden von kleinen Kühen und
großen Schaafen. Auf dem Wasser zahllose Heerden
der rothschnabligen chinesischen Enten. Auf den wirth-
lichen Höfen die kleinen chinesischen Hühner mit den
verkehrt sitzenden von hinten nach vorne gesträubten Fe-
dern. – Ohne Bedürfnisse vom Festlande gewinnen diese
Jnsulaner auf ihrem selbstgeschaffenen Vaterlande ihren
reichlichen Unterhalt und es giebt viele, die nie ihren
Fuß auf fester Erde setzten. Die größeren schwimmen-
den Ortschaften sind zum Theil an Boden und Ufer
der Flußbette festgewurzelt, die kleineren aber hängen
bald hier bald dort sich an, so daß die geographische
Lage dieser künstlichen Jnseln nie dieselbe bleibt.



[Ende Spaltensatz]
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Der Offizier mußte jetzt ohne Widerrede gehor- chen; doch sendete er heimlich einen Kosacken an den jungen General Eugen St. Priest, einen gebornen Fran- zosen und Liebling des Kaisers, ab, um ihn von dem Vorfalle zu unterrichten. Es wurde indessen auf der Mitte des mit Wa- chen umstellten Hügels eine Decke vor den Gefangenen ausgebreitet. Man reichte ihnen Würfel und überließ es ihnen, jetzt unter sich selber, denjenigen zu bestim- men, der als Sühn = Opfer dem augenblicklichen Tode verfallen sollte. (Beschluß folgt.) Die schwimmenden Dörfer in China. mitgetheilt von Freimund Ohnesorgen. Jn dem theilweise so übervölkerten China, nament- lich in der Provinz Canton oder Quan=fu, leben viele Tausende von Menschen auf dem Wasser. 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Vor den Thüren der Häuser mit vorge- bauten, auf Säulen ruhenden Dächern sitzen die gemäch- lichen Reichen, die durch Wohlbeleibtheit ihre Ansprüche auf Würde kund geben, während ihre Weiber mit den Fliegenwedel und den Tabackspfeifen, dienstbar neben ihnen knieen und Histörchen erzählen müssen. Auf den künstlichen Aeckern arbeiten die Aermern und um aus Al- lem, was die Natur ihnen bietet, Vortheil zu ziehen, sieht man sie selbst auf ihren Schiebekarren Segel ausspan- nen, um den Wind zu benutzen. Auf den fetten Wei- den, die von unten ihre Nahrung aus dem Wasser zie- hen, sieht man reiche Heerden von kleinen Kühen und großen Schaafen. Auf dem Wasser zahllose Heerden der rothschnabligen chinesischen Enten. 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Zitationshilfe: Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 2. Burg/Berlin, 1838, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt02_1838/7>, abgerufen am 21.11.2024.