Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 31. Burg/Berlin, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

487 Conversations=Blatt. 488
[Beginn Spaltensatz] schlund dieser unwirthlichen Bucht getrieben werden
möchte. Erwartung funkelte in ihren Augen, die voll
Beutegier suchend, spähend, rückwärts und vorwärts, in
der Ferne und Nähe, über die Wasserwüste schweiften
- es waren Wreckers (Strandräuber) . Auch Weiber
und Kinder, und nicht wenige, waren unter ihnen; und
diese ebenfalls nicht unvorgesehen für das Annähern der
ersehnten Beute - Alle schienen ihre bestimmte Stand-
orte zu haben; von denen sie nur etwa einen oder zwei
Schritte wichen, um in der nächsten Minute gleich wie-
der an ihren Platz zu treten. Gesprochen wurde wenig.

Jn einem und demselben Augenblick drehte sich fast
jeder Kopf gegen die Klippe empor nach dem wilden
Gellruf, der von ihr sich loßriß.

's nur die Kate," schrie da Einer oder dort, als
die Tolle pfeilschnell eine Spalte niederstieg, die Wenige
der Zuschauenden versucht haben möchten, und dann nur
mit behutsamstem Fuß.

"Die verrückte Schlumpe bricht gewiß den Hals,"
sprach gleichgültig Einer zum Andern. Doch ihre Toll-
heit oder ihr Nichtfühlen der Gefahr geleitete sie heil
herab, und in wenigen Sekunden stand sie mitten unter
ihnen.

"Ein feiner Tag - ein schöner, feiner Tag!"
rief sie den Ersten, auf den sie zukam, an. "Gut Glück
euch! Noch etwas...... - Nein, nein," fuhr sie
fort, sich selbst Antwort gebend; "weiß gegen Mitter-
nacht - weiß gegen Abend - weiß gegen Mittag -
weiß Alles; nicht ein Fleck auf'm Wasser. Aber 's
kommt! kommt! kommt!" wiederholte sie und ließ ihre
Stimme zum tiefsten Tone herabsinken; "ich sah's hier
verwichene Nacht - ein großer schwarzer Rumpf -
ein Mast noch aufrecht, von dreien - Kanonen und
Vorräthe über Bord - steigend und sinkend - wie-
gend und taumelnd - mit aller Macht antreibend,
aufstoßend am Riff, wo vor sieben verfluchten Jahren
die William und Mary scheiterte: ich sah's," wieder-
holte sie und augte die Umstehenden mit einem Blick,
der jedem Ungläubigen Trotz sprach; dann sank ihre
Stimme plötzlich zum Geflüster herab; "st! st!" wis-
perte sie; "es giebt eine Handvoll oder zwei für Dich
- und eine Traglast für Dich - und mehr als ein
Mensch schleppen kann für Dich," bald an Diesen, bald
an Jenen der Reihe nach ihr Wort richtend; "Fässer,
und Kisten und Kasten, Kleider und Gold.......
was wird's aber geben für den schwarzen Norris? Oh,
für den wird's einen prächtigern Tag geben, als für
irgend einen von Euch. Wann, sagen sie denn, sei seine
Zeit um?"

"Wessen Zeit?" fragte einer aus der Gruppe, an
die sie hinsprach.

"Eins, zwei, drei," fuhr sie, ohne die Frage zu
beachten, fort, bis sie sieben gezählt hatte; "letzten Mai
waren sie um - seine sieben Jahre. Drei Jahre war
er deportirt, als sein hoffnungsvoller Sohn meinen Va-
ter mordete."

"'hscht! Du verrücktes Weibsbild!" riefen die um sie:
"wenn der Norris Dich hört, könnt 's leicht zum
[Spaltenumbruch] Schwimmen kommen mit Dir in der Einbucht, wo er
jetzt steht."

"Verrückt!" hallte sie nach. "Ja; dem Himmel
sei Dank, der mich's werden ließ; Er weiß am Besten,
was er thut. Jch sah meinen Vater morden, wenn
schon sein Mörder mich nicht sah; sie stritten hart mit-
einander, wessen die Beute sein solle. Des alten Nor-
ris Messer entschied's! Jch war machtlos vor Schrecken!
Konnte nicht sprechen! Mich nicht rühren! Mein Hirn
verwirrte sich, und der Richter wollte mir nicht glau-
ben! Jetzt könnte ich meine Geschichte besser erzählen;
aber was hülf' es; sie sagen ja, ich sei noch verrückt.
Da ist's!" schrie sie auf, und zeigte mit dem Finger
nach der offenen See am Südende der Bay.

"Wo - wo - wo?" fragten ihre Hörer.

"Nein, nein," hob sie nach einer minutenlangen
Pause wieder an, während ihre Augäpfel starr ange-
strengt dorthinaus schauten, wo sie hingedeutet hatte.
"Nein," hob sie wieder an, und ließ ihre Hand sinken:
"aber es kommt; und dem schwarzen Norris wird's
nicht fehlen an Dach und Tisch, Gold oder Geräth,
den Vater daheim willkomm zu heißen, der ihn zu
seinem Gewerbe auferzog. Doch, wo ist er?" frug sie;
"wo anders als auf dem langen Riff, wo ich ihn sah!"
Bei den Worten machte sie sich rasch nach der Süd-
spitze der Bucht auf.

Außerhalb der regelmäßigen Reihe, auf dem land-
eingekehrten Ende eines mächtigen Klippenriffs, das sich
allmälig in die See tauchte, saß, wie zur Spähwacht,
eine kräftige stämmige Mannsgestalt. Das schwarze,
straffe, aus einem schwarzgelben abstoßenden Gesicht,
zurückgestrichene Haar hing ihm halb über die Schul-
tern nieder; das schwarze, kleine, funkelnd helle Auge
flog, der See zugerichtet, in rascher, rastloser Bewegung
überall zugleich, auf und nieder. Auf seinen Knieen
herrüber lag, mit beiden Händen fest gefaßt, ein langer
Bootshaken; und in einem um die Hüfte geschnallten
Gurt, stack ein Einschlagmesser von mehr als gewöhn-
licher Größe und ein Beil. Die Brandungswoge spülte
mehr als einmal über den untern Theil seines Körpers
herauf, doch achtete er ihrer so wenig, als sei er ein
Stück von dem Felsen, der sie in Sprühnebel zerschellte.

"Ein feiner Tag - ein schöner feiner Tag!" rief
die Jrre, als sie ihm sich näherte. "Wie geht Dir's,
schwarzer Norris? Nicht doch - ich bin jetzt gut,"
fuhr sie in bittendem Tone fort; sieh nicht zornig d'rein.
Will's nie wieder sagen, daß Du's warst."

Der Strandräuber machte mit der Hand eine Be-
wegung nach seinem Messer.

"Halt, halt, schwarzer Norris," rief sie schmei-
chelnd und die Hand auf seinen Arm legend; "hebe 's
für andere Arbeit auf! Du wirst's nöthig haben, heute;
eh' es nachtet, giebt's einen Schiffsrumpf am Strand'.
Es wird zu thun geben für Messer und Beil und Ha-
ken und was all; denn der Sturm regt sich frisch, und
die See zeigt noch keine Lust, zur Ruh' zu gehen -
die Brandungswellen überstürzen sich fort und fort lu-
stig über's Ufer. Sieh nur, wie sie die Strandkiesel
auffegen und wieder zurück! Werden bald etwas Ande-
[Ende Spaltensatz]

487 Conversations=Blatt. 488
[Beginn Spaltensatz] schlund dieser unwirthlichen Bucht getrieben werden
möchte. Erwartung funkelte in ihren Augen, die voll
Beutegier suchend, spähend, rückwärts und vorwärts, in
der Ferne und Nähe, über die Wasserwüste schweiften
– es waren Wreckers (Strandräuber) . Auch Weiber
und Kinder, und nicht wenige, waren unter ihnen; und
diese ebenfalls nicht unvorgesehen für das Annähern der
ersehnten Beute – Alle schienen ihre bestimmte Stand-
orte zu haben; von denen sie nur etwa einen oder zwei
Schritte wichen, um in der nächsten Minute gleich wie-
der an ihren Platz zu treten. Gesprochen wurde wenig.

Jn einem und demselben Augenblick drehte sich fast
jeder Kopf gegen die Klippe empor nach dem wilden
Gellruf, der von ihr sich loßriß.

's nur die Kate,“ schrie da Einer oder dort, als
die Tolle pfeilschnell eine Spalte niederstieg, die Wenige
der Zuschauenden versucht haben möchten, und dann nur
mit behutsamstem Fuß.

„Die verrückte Schlumpe bricht gewiß den Hals,“
sprach gleichgültig Einer zum Andern. Doch ihre Toll-
heit oder ihr Nichtfühlen der Gefahr geleitete sie heil
herab, und in wenigen Sekunden stand sie mitten unter
ihnen.

„Ein feiner Tag – ein schöner, feiner Tag!“
rief sie den Ersten, auf den sie zukam, an. „Gut Glück
euch! Noch etwas...... – Nein, nein,“ fuhr sie
fort, sich selbst Antwort gebend; „weiß gegen Mitter-
nacht – weiß gegen Abend – weiß gegen Mittag –
weiß Alles; nicht ein Fleck auf'm Wasser. Aber 's
kommt! kommt! kommt!“ wiederholte sie und ließ ihre
Stimme zum tiefsten Tone herabsinken; „ich sah's hier
verwichene Nacht – ein großer schwarzer Rumpf –
ein Mast noch aufrecht, von dreien – Kanonen und
Vorräthe über Bord – steigend und sinkend – wie-
gend und taumelnd – mit aller Macht antreibend,
aufstoßend am Riff, wo vor sieben verfluchten Jahren
die William und Mary scheiterte: ich sah's,“ wieder-
holte sie und augte die Umstehenden mit einem Blick,
der jedem Ungläubigen Trotz sprach; dann sank ihre
Stimme plötzlich zum Geflüster herab; „st! st!“ wis-
perte sie; „es giebt eine Handvoll oder zwei für Dich
– und eine Traglast für Dich – und mehr als ein
Mensch schleppen kann für Dich,“ bald an Diesen, bald
an Jenen der Reihe nach ihr Wort richtend; „Fässer,
und Kisten und Kasten, Kleider und Gold.......
was wird's aber geben für den schwarzen Norris? Oh,
für den wird's einen prächtigern Tag geben, als für
irgend einen von Euch. Wann, sagen sie denn, sei seine
Zeit um?“

„Wessen Zeit?“ fragte einer aus der Gruppe, an
die sie hinsprach.

„Eins, zwei, drei,“ fuhr sie, ohne die Frage zu
beachten, fort, bis sie sieben gezählt hatte; „letzten Mai
waren sie um – seine sieben Jahre. Drei Jahre war
er deportirt, als sein hoffnungsvoller Sohn meinen Va-
ter mordete.“

„'hscht! Du verrücktes Weibsbild!“ riefen die um sie:
„wenn der Norris Dich hört, könnt 's leicht zum
[Spaltenumbruch] Schwimmen kommen mit Dir in der Einbucht, wo er
jetzt steht.“

„Verrückt!“ hallte sie nach. „Ja; dem Himmel
sei Dank, der mich's werden ließ; Er weiß am Besten,
was er thut. Jch sah meinen Vater morden, wenn
schon sein Mörder mich nicht sah; sie stritten hart mit-
einander, wessen die Beute sein solle. Des alten Nor-
ris Messer entschied's! Jch war machtlos vor Schrecken!
Konnte nicht sprechen! Mich nicht rühren! Mein Hirn
verwirrte sich, und der Richter wollte mir nicht glau-
ben! Jetzt könnte ich meine Geschichte besser erzählen;
aber was hülf' es; sie sagen ja, ich sei noch verrückt.
Da ist's!“ schrie sie auf, und zeigte mit dem Finger
nach der offenen See am Südende der Bay.

„Wo – wo – wo?“ fragten ihre Hörer.

„Nein, nein,“ hob sie nach einer minutenlangen
Pause wieder an, während ihre Augäpfel starr ange-
strengt dorthinaus schauten, wo sie hingedeutet hatte.
„Nein,“ hob sie wieder an, und ließ ihre Hand sinken:
„aber es kommt; und dem schwarzen Norris wird's
nicht fehlen an Dach und Tisch, Gold oder Geräth,
den Vater daheim willkomm zu heißen, der ihn zu
seinem Gewerbe auferzog. Doch, wo ist er?“ frug sie;
„wo anders als auf dem langen Riff, wo ich ihn sah!“
Bei den Worten machte sie sich rasch nach der Süd-
spitze der Bucht auf.

Außerhalb der regelmäßigen Reihe, auf dem land-
eingekehrten Ende eines mächtigen Klippenriffs, das sich
allmälig in die See tauchte, saß, wie zur Spähwacht,
eine kräftige stämmige Mannsgestalt. Das schwarze,
straffe, aus einem schwarzgelben abstoßenden Gesicht,
zurückgestrichene Haar hing ihm halb über die Schul-
tern nieder; das schwarze, kleine, funkelnd helle Auge
flog, der See zugerichtet, in rascher, rastloser Bewegung
überall zugleich, auf und nieder. Auf seinen Knieen
herrüber lag, mit beiden Händen fest gefaßt, ein langer
Bootshaken; und in einem um die Hüfte geschnallten
Gurt, stack ein Einschlagmesser von mehr als gewöhn-
licher Größe und ein Beil. Die Brandungswoge spülte
mehr als einmal über den untern Theil seines Körpers
herauf, doch achtete er ihrer so wenig, als sei er ein
Stück von dem Felsen, der sie in Sprühnebel zerschellte.

„Ein feiner Tag – ein schöner feiner Tag!“ rief
die Jrre, als sie ihm sich näherte. „Wie geht Dir's,
schwarzer Norris? Nicht doch – ich bin jetzt gut,“
fuhr sie in bittendem Tone fort; sieh nicht zornig d'rein.
Will's nie wieder sagen, daß Du's warst.“

Der Strandräuber machte mit der Hand eine Be-
wegung nach seinem Messer.

„Halt, halt, schwarzer Norris,“ rief sie schmei-
chelnd und die Hand auf seinen Arm legend; „hebe 's
für andere Arbeit auf! Du wirst's nöthig haben, heute;
eh' es nachtet, giebt's einen Schiffsrumpf am Strand'.
Es wird zu thun geben für Messer und Beil und Ha-
ken und was all; denn der Sturm regt sich frisch, und
die See zeigt noch keine Lust, zur Ruh' zu gehen –
die Brandungswellen überstürzen sich fort und fort lu-
stig über's Ufer. Sieh nur, wie sie die Strandkiesel
auffegen und wieder zurück! Werden bald etwas Ande-
[Ende Spaltensatz]

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div xml:id="Strand2" type="jArticle" n="1">
        <p><pb facs="#f0006"/><fw type="header" place="top">487 <hi rendition="#c">Conversations=Blatt.</hi> <hi rendition="#right">488</hi></fw><cb type="start" n="487"/>
schlund dieser unwirthlichen Bucht getrieben werden<lb/>
möchte. Erwartung funkelte in ihren Augen, die voll<lb/>
Beutegier suchend, spähend, rückwärts und vorwärts, in<lb/>
der Ferne und Nähe, über die Wasserwüste schweiften<lb/>
&#x2013; es waren <hi rendition="#g">Wreckers</hi> (Strandräuber) . Auch Weiber<lb/>
und Kinder, und nicht wenige, waren unter ihnen; und<lb/>
diese ebenfalls nicht unvorgesehen für das Annähern der<lb/>
ersehnten Beute &#x2013; Alle schienen ihre bestimmte Stand-<lb/>
orte zu haben; von denen sie nur etwa einen oder zwei<lb/>
Schritte wichen, um in der nächsten Minute gleich wie-<lb/>
der an ihren Platz zu treten. Gesprochen wurde wenig.</p><lb/>
        <p>Jn einem und demselben Augenblick drehte sich fast<lb/>
jeder Kopf gegen die Klippe empor nach dem wilden<lb/>
Gellruf, der von ihr sich loßriß.</p><lb/>
        <p>'s nur die Kate,&#x201C; schrie da Einer oder dort, als<lb/>
die Tolle pfeilschnell eine Spalte niederstieg, die Wenige<lb/>
der Zuschauenden versucht haben möchten, und dann nur<lb/>
mit behutsamstem Fuß.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Die verrückte Schlumpe bricht gewiß den Hals,&#x201C;<lb/>
sprach gleichgültig Einer zum Andern. Doch ihre Toll-<lb/>
heit oder ihr Nichtfühlen der Gefahr geleitete sie heil<lb/>
herab, und in wenigen Sekunden stand sie mitten unter<lb/>
ihnen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ein feiner Tag &#x2013; ein schöner, feiner Tag!&#x201C;<lb/>
rief sie den Ersten, auf den sie zukam, an. &#x201E;Gut Glück<lb/>
euch! Noch etwas...... &#x2013; Nein, nein,&#x201C; fuhr sie<lb/>
fort, sich selbst Antwort gebend; &#x201E;weiß gegen Mitter-<lb/>
nacht &#x2013; weiß gegen Abend &#x2013; weiß gegen Mittag &#x2013;<lb/>
weiß Alles; nicht ein Fleck auf'm Wasser. Aber 's<lb/>
kommt! kommt! kommt!&#x201C; wiederholte sie und ließ ihre<lb/>
Stimme zum tiefsten Tone herabsinken; &#x201E;ich sah's hier<lb/>
verwichene Nacht &#x2013; ein großer schwarzer Rumpf &#x2013;<lb/>
ein Mast noch aufrecht, von dreien &#x2013; Kanonen und<lb/>
Vorräthe über Bord &#x2013; steigend und sinkend &#x2013; wie-<lb/>
gend und taumelnd &#x2013; mit aller Macht antreibend,<lb/>
aufstoßend am Riff, wo vor sieben verfluchten Jahren<lb/>
die William und Mary scheiterte: ich sah's,&#x201C; wieder-<lb/>
holte sie und augte die Umstehenden mit einem Blick,<lb/>
der jedem Ungläubigen Trotz sprach; dann sank ihre<lb/>
Stimme plötzlich zum Geflüster herab; &#x201E;st! st!&#x201C; wis-<lb/>
perte sie; &#x201E;es giebt eine Handvoll oder zwei für Dich<lb/>
&#x2013; und eine Traglast für Dich &#x2013; und mehr als ein<lb/>
Mensch schleppen kann für Dich,&#x201C; bald an Diesen, bald<lb/>
an Jenen der Reihe nach ihr Wort richtend; &#x201E;Fässer,<lb/>
und Kisten und Kasten, Kleider und Gold.......<lb/>
was wird's aber geben für den schwarzen Norris? Oh,<lb/>
für den wird's einen prächtigern Tag geben, als für<lb/>
irgend einen von Euch. Wann, sagen sie denn, sei seine<lb/>
Zeit um?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wessen Zeit?&#x201C; fragte einer aus der Gruppe, an<lb/>
die sie hinsprach.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Eins, zwei, drei,&#x201C; fuhr sie, ohne die Frage zu<lb/>
beachten, fort, bis sie sieben gezählt hatte; &#x201E;letzten Mai<lb/>
waren sie um &#x2013; seine sieben Jahre. <hi rendition="#g">Drei</hi> Jahre war<lb/>
er deportirt, als sein hoffnungsvoller Sohn meinen Va-<lb/>
ter mordete.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;'hscht! Du verrücktes Weibsbild!&#x201C; riefen die um sie:<lb/>
&#x201E;wenn der Norris Dich hört, könnt 's leicht zum<lb/><cb n="488"/>
Schwimmen kommen mit Dir in der Einbucht, wo er<lb/>
jetzt steht.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Verrückt!&#x201C; hallte sie nach. &#x201E;Ja; dem Himmel<lb/>
sei Dank, der mich's werden ließ; Er weiß am Besten,<lb/>
was er thut. Jch sah meinen Vater morden, wenn<lb/>
schon sein Mörder mich nicht sah; sie stritten hart mit-<lb/>
einander, wessen die Beute sein solle. Des alten Nor-<lb/>
ris Messer entschied's! Jch war machtlos vor Schrecken!<lb/>
Konnte nicht sprechen! Mich nicht rühren! Mein Hirn<lb/>
verwirrte sich, und der Richter wollte mir nicht glau-<lb/>
ben! Jetzt könnte ich meine Geschichte besser erzählen;<lb/>
aber was hülf' es; sie sagen ja, ich sei noch verrückt.<lb/>
Da ist's!&#x201C; schrie sie auf, und zeigte mit dem Finger<lb/>
nach der offenen See am Südende der Bay.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wo &#x2013; wo &#x2013; wo?&#x201C; fragten ihre Hörer.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nein, nein,&#x201C; hob sie nach einer minutenlangen<lb/>
Pause wieder an, während ihre Augäpfel starr ange-<lb/>
strengt dorthinaus schauten, wo sie hingedeutet hatte.<lb/>
&#x201E;Nein,&#x201C; hob sie wieder an, und ließ ihre Hand sinken:<lb/>
&#x201E;aber es kommt; und dem schwarzen Norris wird's<lb/>
nicht fehlen an Dach und Tisch, Gold oder Geräth,<lb/>
den Vater daheim willkomm zu heißen, der ihn zu<lb/>
seinem Gewerbe auferzog. Doch, wo ist er?&#x201C; frug sie;<lb/>
&#x201E;wo anders als auf dem langen Riff, wo ich ihn sah!&#x201C;<lb/>
Bei den Worten machte sie sich rasch nach der Süd-<lb/>
spitze der Bucht auf.</p><lb/>
        <p>Außerhalb der regelmäßigen Reihe, auf dem land-<lb/>
eingekehrten Ende eines mächtigen Klippenriffs, das sich<lb/>
allmälig in die See tauchte, saß, wie zur Spähwacht,<lb/>
eine kräftige stämmige Mannsgestalt. Das schwarze,<lb/>
straffe, aus einem schwarzgelben abstoßenden Gesicht,<lb/>
zurückgestrichene Haar hing ihm halb über die Schul-<lb/>
tern nieder; das schwarze, kleine, funkelnd helle Auge<lb/>
flog, der See zugerichtet, in rascher, rastloser Bewegung<lb/>
überall zugleich, auf und nieder. Auf seinen Knieen<lb/>
herrüber lag, mit beiden Händen fest gefaßt, ein langer<lb/>
Bootshaken; und in einem um die Hüfte geschnallten<lb/>
Gurt, stack ein Einschlagmesser von mehr als gewöhn-<lb/>
licher Größe und ein Beil. Die Brandungswoge spülte<lb/>
mehr als einmal über den untern Theil seines Körpers<lb/>
herauf, doch achtete er ihrer so wenig, als sei er ein<lb/>
Stück von dem Felsen, der sie in Sprühnebel zerschellte.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ein feiner Tag &#x2013; ein schöner feiner Tag!&#x201C; rief<lb/>
die Jrre, als sie ihm sich näherte. &#x201E;Wie geht Dir's,<lb/>
schwarzer Norris? Nicht doch &#x2013; ich bin jetzt gut,&#x201C;<lb/>
fuhr sie in bittendem Tone fort; sieh nicht zornig d'rein.<lb/>
Will's nie wieder sagen, daß Du's warst.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der Strandräuber machte mit der Hand eine Be-<lb/>
wegung nach seinem Messer.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Halt, halt, schwarzer Norris,&#x201C; rief sie schmei-<lb/>
chelnd und die Hand auf seinen Arm legend; &#x201E;hebe 's<lb/>
für andere Arbeit auf! Du wirst's nöthig haben, heute;<lb/>
eh' es nachtet, giebt's einen Schiffsrumpf am Strand'.<lb/>
Es wird zu thun geben für Messer und Beil und Ha-<lb/>
ken und was all; denn der Sturm regt sich frisch, und<lb/>
die See zeigt noch keine Lust, zur Ruh' zu gehen &#x2013;<lb/>
die Brandungswellen überstürzen sich fort und fort lu-<lb/>
stig über's Ufer. Sieh nur, wie sie die Strandkiesel<lb/>
auffegen und wieder zurück! Werden bald etwas Ande-<lb/><cb type="end"/>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0006] 487 Conversations=Blatt. 488 schlund dieser unwirthlichen Bucht getrieben werden möchte. Erwartung funkelte in ihren Augen, die voll Beutegier suchend, spähend, rückwärts und vorwärts, in der Ferne und Nähe, über die Wasserwüste schweiften – es waren Wreckers (Strandräuber) . Auch Weiber und Kinder, und nicht wenige, waren unter ihnen; und diese ebenfalls nicht unvorgesehen für das Annähern der ersehnten Beute – Alle schienen ihre bestimmte Stand- orte zu haben; von denen sie nur etwa einen oder zwei Schritte wichen, um in der nächsten Minute gleich wie- der an ihren Platz zu treten. Gesprochen wurde wenig. Jn einem und demselben Augenblick drehte sich fast jeder Kopf gegen die Klippe empor nach dem wilden Gellruf, der von ihr sich loßriß. 's nur die Kate,“ schrie da Einer oder dort, als die Tolle pfeilschnell eine Spalte niederstieg, die Wenige der Zuschauenden versucht haben möchten, und dann nur mit behutsamstem Fuß. „Die verrückte Schlumpe bricht gewiß den Hals,“ sprach gleichgültig Einer zum Andern. Doch ihre Toll- heit oder ihr Nichtfühlen der Gefahr geleitete sie heil herab, und in wenigen Sekunden stand sie mitten unter ihnen. „Ein feiner Tag – ein schöner, feiner Tag!“ rief sie den Ersten, auf den sie zukam, an. „Gut Glück euch! Noch etwas...... – Nein, nein,“ fuhr sie fort, sich selbst Antwort gebend; „weiß gegen Mitter- nacht – weiß gegen Abend – weiß gegen Mittag – weiß Alles; nicht ein Fleck auf'm Wasser. Aber 's kommt! kommt! kommt!“ wiederholte sie und ließ ihre Stimme zum tiefsten Tone herabsinken; „ich sah's hier verwichene Nacht – ein großer schwarzer Rumpf – ein Mast noch aufrecht, von dreien – Kanonen und Vorräthe über Bord – steigend und sinkend – wie- gend und taumelnd – mit aller Macht antreibend, aufstoßend am Riff, wo vor sieben verfluchten Jahren die William und Mary scheiterte: ich sah's,“ wieder- holte sie und augte die Umstehenden mit einem Blick, der jedem Ungläubigen Trotz sprach; dann sank ihre Stimme plötzlich zum Geflüster herab; „st! st!“ wis- perte sie; „es giebt eine Handvoll oder zwei für Dich – und eine Traglast für Dich – und mehr als ein Mensch schleppen kann für Dich,“ bald an Diesen, bald an Jenen der Reihe nach ihr Wort richtend; „Fässer, und Kisten und Kasten, Kleider und Gold....... was wird's aber geben für den schwarzen Norris? Oh, für den wird's einen prächtigern Tag geben, als für irgend einen von Euch. Wann, sagen sie denn, sei seine Zeit um?“ „Wessen Zeit?“ fragte einer aus der Gruppe, an die sie hinsprach. „Eins, zwei, drei,“ fuhr sie, ohne die Frage zu beachten, fort, bis sie sieben gezählt hatte; „letzten Mai waren sie um – seine sieben Jahre. Drei Jahre war er deportirt, als sein hoffnungsvoller Sohn meinen Va- ter mordete.“ „'hscht! Du verrücktes Weibsbild!“ riefen die um sie: „wenn der Norris Dich hört, könnt 's leicht zum Schwimmen kommen mit Dir in der Einbucht, wo er jetzt steht.“ „Verrückt!“ hallte sie nach. „Ja; dem Himmel sei Dank, der mich's werden ließ; Er weiß am Besten, was er thut. Jch sah meinen Vater morden, wenn schon sein Mörder mich nicht sah; sie stritten hart mit- einander, wessen die Beute sein solle. Des alten Nor- ris Messer entschied's! Jch war machtlos vor Schrecken! Konnte nicht sprechen! Mich nicht rühren! Mein Hirn verwirrte sich, und der Richter wollte mir nicht glau- ben! Jetzt könnte ich meine Geschichte besser erzählen; aber was hülf' es; sie sagen ja, ich sei noch verrückt. Da ist's!“ schrie sie auf, und zeigte mit dem Finger nach der offenen See am Südende der Bay. „Wo – wo – wo?“ fragten ihre Hörer. „Nein, nein,“ hob sie nach einer minutenlangen Pause wieder an, während ihre Augäpfel starr ange- strengt dorthinaus schauten, wo sie hingedeutet hatte. „Nein,“ hob sie wieder an, und ließ ihre Hand sinken: „aber es kommt; und dem schwarzen Norris wird's nicht fehlen an Dach und Tisch, Gold oder Geräth, den Vater daheim willkomm zu heißen, der ihn zu seinem Gewerbe auferzog. Doch, wo ist er?“ frug sie; „wo anders als auf dem langen Riff, wo ich ihn sah!“ Bei den Worten machte sie sich rasch nach der Süd- spitze der Bucht auf. Außerhalb der regelmäßigen Reihe, auf dem land- eingekehrten Ende eines mächtigen Klippenriffs, das sich allmälig in die See tauchte, saß, wie zur Spähwacht, eine kräftige stämmige Mannsgestalt. Das schwarze, straffe, aus einem schwarzgelben abstoßenden Gesicht, zurückgestrichene Haar hing ihm halb über die Schul- tern nieder; das schwarze, kleine, funkelnd helle Auge flog, der See zugerichtet, in rascher, rastloser Bewegung überall zugleich, auf und nieder. Auf seinen Knieen herrüber lag, mit beiden Händen fest gefaßt, ein langer Bootshaken; und in einem um die Hüfte geschnallten Gurt, stack ein Einschlagmesser von mehr als gewöhn- licher Größe und ein Beil. Die Brandungswoge spülte mehr als einmal über den untern Theil seines Körpers herauf, doch achtete er ihrer so wenig, als sei er ein Stück von dem Felsen, der sie in Sprühnebel zerschellte. „Ein feiner Tag – ein schöner feiner Tag!“ rief die Jrre, als sie ihm sich näherte. „Wie geht Dir's, schwarzer Norris? Nicht doch – ich bin jetzt gut,“ fuhr sie in bittendem Tone fort; sieh nicht zornig d'rein. Will's nie wieder sagen, daß Du's warst.“ Der Strandräuber machte mit der Hand eine Be- wegung nach seinem Messer. „Halt, halt, schwarzer Norris,“ rief sie schmei- chelnd und die Hand auf seinen Arm legend; „hebe 's für andere Arbeit auf! Du wirst's nöthig haben, heute; eh' es nachtet, giebt's einen Schiffsrumpf am Strand'. Es wird zu thun geben für Messer und Beil und Ha- ken und was all; denn der Sturm regt sich frisch, und die See zeigt noch keine Lust, zur Ruh' zu gehen – die Brandungswellen überstürzen sich fort und fort lu- stig über's Ufer. Sieh nur, wie sie die Strandkiesel auffegen und wieder zurück! Werden bald etwas Ande-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt31_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt31_1837/6
Zitationshilfe: Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 31. Burg/Berlin, 1837, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt31_1837/6>, abgerufen am 21.11.2024.