Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 458, Czernowitz, 12.07.1905.12. Juli 1905. Czernowitzer Allgemeine Zeitung. [Spaltenumbruch] Iwanowo, 9. Juli. (Gonvernement Wladimir.) Gestern Die Ursachen der Meuterei. Bukarest, 10. Juli. In Konstanza erklärte der Matrose Petersburg, 10. Juli. Wie der in Odessa weilende Das russische Torpedoboot "267". Wien, 10. Juli. Die Mannschaft des von Konstanza Das Briefgeheimnis. Petersburg, 9. Juli. Die im größten Maßstabe von Die Aussichten der russischen Presse. Petersburg, 8. Juli. (Orig.-Korr.) Es kann Dom Tage. Czernowitz, 11. Juli 1905. Die Einigung zwischen Frankreich und Deutschland. Paris, 10. Juli. "Temps" vervollständigt seine An- Ein neuer Verschleppungstrick in der maze- donischen Frage. 1. Konstantinopel, 7. Juli. (Orig.-Korr.) Schier Bunte Chronik. Czernowitz, 11. Juli 1905. Die Manöver in Südtirol. Aus Bozen wird der Friedliches aus Rußland. Es wird manchem über- Die Friedensverhandlungen auf dem Wasser. Eine ganz nagelneue und wirklich brillante Idee ist in Was- 12. Juli 1905. Czernowitzer Allgemeine Zeitung. [Spaltenumbruch] Iwanowo, 9. Juli. (Gonvernement Wladimir.) Geſtern Die Urſachen der Meuterei. Bukareſt, 10. Juli. In Konſtanza erklärte der Matroſe Petersburg, 10. Juli. Wie der in Odeſſa weilende Das ruſſiſche Torpedoboot „267“. Wien, 10. Juli. Die Mannſchaft des von Konſtanza Das Briefgeheimnis. Petersburg, 9. Juli. Die im größten Maßſtabe von Die Ausſichten der ruſſiſchen Preſſe. Petersburg, 8. Juli. (Orig.-Korr.) Es kann Dom Tage. Czernowitz, 11. Juli 1905. Die Einigung zwiſchen Frankreich und Deutſchland. Paris, 10. Juli. „Temps“ vervollſtändigt ſeine An- Ein neuer Verſchleppungstrick in der maze- doniſchen Frage. 1. Konſtantinopel, 7. Juli. (Orig.-Korr.) Schier Bunte Chronik. Czernowitz, 11. Juli 1905. Die Manöver in Südtirol. Aus Bozen wird der Friedliches aus Rußland. Es wird manchem über- Die Friedensverhandlungen auf dem Waſſer. Eine ganz nagelneue und wirklich brillante Idee iſt in Waſ- <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0003" n="3"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">12. Juli 1905. Czernowitzer Allgemeine Zeitung.</hi> </fw><lb/> <cb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline><hi rendition="#b">Iwanowo,</hi> 9. Juli.</dateline> <p>(Gonvernement Wladimir.) Geſtern<lb/> zerſtörten ausſtändige Arbeiter die Telephon- und<lb/> Telegraphenleitungen, plünderten Läden und legten mehrfach<lb/> Feuer an. Die Bevölkerung verläßt den Ort. (zirka 15.000<lb/> Einwohner.)</p> </div> </div><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Die Urſachen der Meuterei.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline><hi rendition="#b">Bukareſt,</hi> 10. Juli.</dateline> <p>In Konſtanza erklärte der Matroſe<lb/> Matuſchenko vom „Potemkin“, der der eigentliche Leiter der<lb/> Meuterei geweſen iſt, er ſei ſchon vorher als Arbeiter<lb/> bewußter Sozialdemokrat geweſen. Als Matroſe gehörte er<lb/> der ſozial-revolutionären Organiſation an und hatte auf dem<lb/> „Potemkin“ eifrige Propapanda entwickelt. Nur er und einige<lb/> Kameraden wußten, daß eine allgemeine Revolte des Ge-<lb/> ſchwaders beabſichtigt ſei. Verabredet war ein gewiſſes<lb/> Zeichen, daß ein Schiff, das er nicht nennen will, geben<lb/> ſollte. Da geſchah es, daß der zweite Kapitän Giliarowski<lb/> den Matroſen Vakuliliniciuk, der namens der Mannſchaft<lb/> über ſchlechte Beköſtigung klagte, erſchoß. Blind vor Empörung<lb/> ergriff Matuſchenko ſein Gewehr und ſchoß Giliarowski nieder.<lb/> Dies war das Zeichen für die allgemeine Meuterei. Der erſte<lb/> Kapitän Golikow wurde gleichfalls getötet, Leutnant Minior<lb/> feuerte zwei Revolverſchüſſe gegen Matuſchenko, die ihn dicht<lb/> unter der Schläfe ſtreiften und Zeichen hinterließen, die noch<lb/> jetzt ſichtbar ſind. Darauf übernahm Matuſchenko und einige<lb/> Genoſſen die Leitung des Schiffes. Munition war im<lb/> Ueberfluß vorhanden. Sie fuhren nach Odeſſa. Es ſei<lb/> unwahr, daß Matuſchenko die Disziplin der Beſatzung mit<lb/> ſtrengen Mitteln habe erhalten müſſen; er hatte genügend<lb/> moraliſchen Einfluß. Alle Mann waren eifrig auf ihrem<lb/> Platz. Schließlich fehlte aber Kohle und Waſſer. Die<lb/> Maſchinen wurden mit Seewaſſer geſpeiſt, wodurch ein Teil<lb/> der Keſſel defekt wurde. Die Mannſchaft wollte Städte nicht<lb/> beſchießen, aber wenn die Schwarzmeerflotte angegriffen<lb/> hätte, ſo wäre eine Schlacht unvermeidlich geweſen; die<lb/> Kanonen waren geladen.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <dateline><hi rendition="#b">Petersburg,</hi> 10. Juli.</dateline> <p>Wie der in Odeſſa weilende<lb/> Prieſter des Rebellenſchiffes „Potemkin“ erzählt, haben ſich<lb/> entſetzliche Szenen, die jeder Beſchreibung ſpotten, bei der<lb/> Meuterei zugetragen. So wurde der verwundete Kommandeur<lb/> und die Mehrzahl der bleſſierten Offiziere lebendig über<lb/> Bord geworfen, doch blieben noch 11 Offiziere übrig, die von<lb/> der Beſatzung aus der Kajüte auf Deck berufen wurden.<lb/> Dieſen wurde bedeutet, daß ſie ſich als Kriegsgefangene zu be-<lb/> trachten hätten. Darauf ſprangen 6 von ihnen über Bord, wurden<lb/> jedoch, als ſie wieder an die Oberfläche des Meeres kamen,<lb/> von den Matoſen erſchoſſen. Die übrigen fünf wurden zum<lb/> Tode verurteilt, aber von dem Rebellen-Kommandeur<lb/> Fähnrich <hi rendition="#g">Alexejew</hi> begnadigt und in Odeſſa ans Land<lb/> geſetzt. Unter den mit knapper Not dem Tode Entronnenen<lb/> befand ſich der Oberſt Schulz vom Techniſchen Komitee der<lb/> Artillerie-Abteilung, der auf den „Knjäs Potemkin“ kom-<lb/> mandiert war.</p> </div> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Das ruſſiſche Torpedoboot „267“.</hi> </head><lb/> <dateline><hi rendition="#b">Wien,</hi> 10. Juli.</dateline> <p>Die Mannſchaft des von Konſtanza<lb/> nach Sebaſtopol abgegangenen Torpedoboots „267“ hofft,<lb/> wie ſie vor ihrer Abfahrt erklärte, auf milde Behandlung<lb/> weil ſie von der Mannſchaft des „Potemkin“ terroriſiert<lb/> worden ſei. Sie ſcheint die Tragweite ihres Handelns nicht<lb/> zu begreifen.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Das Briefgeheimnis.</hi> </head><lb/> <dateline><hi rendition="#b">Petersburg,</hi> 9. Juli.</dateline> <p>Die im größten Maßſtabe von<lb/> der ruſſiſchen Regierung betriebene Verletzung des Briefge-<lb/> heimniſſes iſt von ihr zu wiederholten Malen zugegeben<lb/> worden, wobei die angegebene Zahl der geöffneten Briefe<lb/> in die Zehntauſende ſtieg. Um nicht mit gewiſſen Paragraphen<lb/> der Berner Konvention in offenen Konflikt zu kommen, wurde<lb/> vor Kurzem ein Geſetz erlaſſen, das außerhalb Rußlands in<lb/> ruſſiſcher Sprache gedruckte Schriften mit einem hohen Zoll<lb/> belegt. Auf der Suche nach ſolchen verzollbaren Druckſachen<lb/> kann jeder Brief aus dem Auslande unbeanſtandet geöffnet<lb/> werden. Beim umgekehrten Fall, d. h. wenn ein Brief aus<lb/> Rußland ins Ausland befördert wird und dieſer famoſe Zoll-<lb/> paragraph ſich nicht in Anwendung bringen läßt, iſt das<lb/> Verfahren noch einfacher, da es ja ſonſt gut wie gar keine<lb/> Kläger geben kann, denn die Klage eines ruſſiſchen Untertans<lb/> wird nicht berückſichtigt und einem Ausländer zahlt man<lb/> ſchlimmſtenfalls für einen verloren gegangenen eingeſchriebenen<lb/> Brief die 10 Rubel Erſatz, falls er klagbar zu werden<lb/> Geduld und Energie haben ſollte. Für nicht eingeſchriebene<lb/> Briefe übernimmt die ruſſiſche Poſt nicht die geringſte Ver-<lb/> antwortung. Der Briefverluſt in Rußland iſt denn auch ein<lb/> maſſenhafter, aber die Verletzung des Briefgeheimniſſes ent-<lb/> ſpricht allem Möglichen, nur nicht ihrem eigenen Zweck der<lb/> politiſchen Spionage nämlich, da die ruſſiſche freiheitliche<lb/> Bewegung längſt andere ſichere Wege und Mittel gefunden hat,<lb/> um ihre Korreſpondenz zu befördern, die ſchon längſt nicht mehr<lb/> der ohnehin wenig zuverläſſigen ruſſiſchen Poſt anvertraut wird.<lb/><cb/> Trotzdem erſetzt das Petersburger Zollamt eine neue Vorſchrift an<lb/> die Zollbeamten, in der dieſe angehalten werden, aus dem Auslande<lb/> einlaufende Bücher aufs genaueſte zu unterſuchen, ehe ſie dieſe<lb/> an die Zenſur weitergeben. Alſo doppelte Kontrolle. Zuerſt<lb/> wird der Zollbeamte jedes Buch mit wenig ſauberen Händen<lb/> durchblättern, dann kommt es in die Hände des Zenſors der<lb/> ungeniert und ungeſtraft auch das koſtbare Werk mit ſeinem<lb/> Blauſtift verdirbt, um anzuzeigen, daß es geſtattet iſt. Zähne-<lb/> knirſchend ſieht der Bücherfreund das ominöſe „P“ des<lb/> Zenſors, das ſich durch keinen Radiergummi wieder vom<lb/> Tittelblatt oder Umſchlag entfernen läßt, auf ſeinen Büchern,<lb/> ganz abgeſehen von dem übrigen Vandalismus der Zenſur,<lb/> die mit ſchwarzer klebriger Tünche und mit der Schere auch<lb/> das ſeltenſte Prachtwerk bearbeitet, wenn eine Seite, ja eine<lb/> Zeile bloß ihr nicht konveniert. Dieſe lächerliche Barbarei,<lb/> die nicht im geringſten ihren Zweck erreicht, wohl aber<lb/> Empörung hervorruft, trägt natürlich dem Regime mehr als<lb/> einen Feind ein, unter denen, die unter der zyniſchen Borniert-<lb/> heit dieſer Maßregeln zu leiden haben.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Die Ausſichten der ruſſiſchen Preſſe.</hi> </head> <dateline><hi rendition="#b">Petersburg,</hi> 8. Juli.</dateline> <bibl> <hi rendition="#g">(Orig.-Korr.)</hi> </bibl> <p>Es kann<lb/> keinem Zweifel mehr unterliegen, daß die Tätigkeit der<lb/> Kommiſſion Kobeko, die Vorſchläge zur Preßreform machen<lb/> ſollte, der Regierung auch nicht den mindeſten Anſtoß zu<lb/> einer freieren Auffaſſung ihrer Stellung zu den Organen der<lb/> öffentlichen Meinung gegeben hat. Die Unterdrückung von<lb/> Blättern wie „Ruß“, „Wetſchernaja Potſchta“, „Rußkaja<lb/> Mysl“ zeigt, daß mit dem gegenwärtigen Syſtem der<lb/> Zwangsbehandlung vorläufig nicht gebrochen werden ſoll.<lb/> Dagegen heißt es, daß Schipow, der neuerdings ſehr ernſthaft<lb/> als Nachfolger des „amtsmüden“ Bulygin in der Leitung<lb/> des Miniſteriums des Innern genannt wird, die Gewährung<lb/> der Preßfreiheit als Bedingung für eine etwaige Ueber-<lb/> nahme des Portefeuilles aufgeſtellt habe. Schipow gehörte<lb/> bekanntlich zu jenen Semſtwomitgliedern, die ſich prinzipiell<lb/> gegen die Verfaſſungsidee ausſprachen und dadurch die<lb/> Sympathie der Regierung erwarben. Erſt im Mai ſchloß<lb/> er ſich der verfaſſungsfreundlichen Majorität an und gilt<lb/> nun als eine Art Politiker der mittleren Linie, der gewiſſe<lb/> Reformen befürworten würde, ohne mit dem alten Syſtem<lb/> ganz zu brechen. Ob die Preſſe von ihm tatſächlich viel zu<lb/> erwarten hat, muß noch bezweifelt werden.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <head> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#b">Dom Tage.</hi> </hi> </head><lb/> <dateline><hi rendition="#g">Czernowitz,</hi> 11. Juli 1905.</dateline><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Die Einigung zwiſchen Frankreich und<lb/> Deutſchland.</hi> </head><lb/> <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 10. Juli.</dateline> <p>„Temps“ vervollſtändigt ſeine An-<lb/> gaben über das morgen in der Kammer zu verleſende deutſch-<lb/> franzöſiſche Schriftſtück. Die wichtigſte dieſer Angaben iſt,<lb/> daß das Dokument die Verträge nicht aufzählt, welche<lb/> Frankreich, Marokko betreffend, bis heute abgeſchloſſen hat.<lb/> Dieſe Verträge bleiben, weil ſie in den deutſch-franzöſiſchen<lb/> Verhandlungen außerhalb der Diskuſſion ſtanden, in der<lb/> Note unerwähnt, und dies gilt nicht allein von denjenigen<lb/> des Jahres 1904, ſondern auch von den vorangegangenen<lb/> Abmachungen der Jahre 1845, 1900 und 1901. Daraus<lb/> folgt, daß die Konferenz in dieſem Betracht vollkommen un-<lb/> beeinflußt entſcheiden wird, welche Reformen kraft des von<lb/> niemand auch von Deutſchland nicht beſtrittenen Vorzugs-<lb/> rechtes Frankreich zur Durchführung ſollen übertragen werden.<lb/> In der Note werden Frankreichs Sonderintereſſen nicht bloß<lb/> damit begründet, daß es eine ausgedehnte Grenze zu ſchützen<lb/> hat, ſondern auch mit der Notwendigkeit, die muſelmaniſche<lb/> Bevölkerung Algeriens vor ſtörenden marokkaniſchen Einflüſſen<lb/> zu bewahren. Kurze Erwähnung finden in den einleitenden<lb/> Zeilen die drei Prinzipien, über welche Deutſchland und<lb/> Frankreich von Anbeginn einig geweſen, nämlich: Souveränität<lb/> des Sultans, Integrität Marokkos und die „offene Tür!“<lb/> Ein Datum für die Dauer der Handelsfreiheit iſt nicht an-<lb/> gegeben.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Ein neuer Verſchleppungstrick in der maze-<lb/> doniſchen Frage.</hi> </head> <dateline>1. <hi rendition="#b">Konſtantinopel,</hi> 7. Juli.</dateline> <bibl> <hi rendition="#g">(Orig.-Korr.)</hi> </bibl> <p>Schier<lb/> unerſchöpflich iſt der Erfindungsgeiſt der Männer in der<lb/> engeren Umgebung des Sultans, wenn es ſich darum handelt,<lb/> den Mächten — eine Naſe zu drehen. Die Proteſtnoten, in<lb/> denen die in Konſtantinopel akkreditierten Geſandten die<lb/> Durchführung von Reformen in Mazedonien, die immer<lb/> wieder hinausgeſchoben wird, verlangten, waren in der letzten<lb/> Zeit ſo häufig geworden, daß irgendetwas zur Beſchwichtigung<lb/> der europäiſchen Meinung geſchehen mußte. Die türkiſche<lb/> Regierung hat nun beſchloſſen, eine Volkszählung in Maze-<lb/> donien vorzunehmen, um zunächſt einmal feſtzuſtellen, inwie-<lb/><cb/> weit die religiöſen und nationalen Anſprüche der verſchiedenen<lb/> in der Provinz anſäſſigen Völkerſchaften Berückſichtigung<lb/> verdienen. Jeder Kenner des mazedoniſchen Problems be-<lb/> greift ohne Weiteres, wie viel von einer ſolchen Volkszählung<lb/> abhängig iſt. Sowohl von griechiſcher als auch von<lb/> bulgariſcher Seite iſt in der letzten Zeit wiederholt der<lb/> Verſuch gemacht worden, durch Heranziehung von Ziffern<lb/> die in der Tat nur oberflächliche Schätzungen waren, den<lb/> Anſpruch des einen oder anderen Volksſtammes auf die<lb/> Vorherrſchaft in Mazedonien zu begründen. Genaue Daten<lb/> über die Verteilung der Nationen ſuchen aber auch die Ver-<lb/> treter der Mächte ſchon ſeit längerer Zeit zu erhalten, und<lb/> unter ihnen tauchte wohl zuerſt der Plan auf, eine Volks-<lb/> zählung zu veranſtalten, um auf der durch ſie geſchaffenen<lb/> Grundlage einige Ordnung in die Verwaltung des Landes<lb/> zu bringen. Dadurch, daß nun die Pforte den Vorſchlägen<lb/> der Mächte zuvorkommt, hat ſie gewiſſermaßen zwei Fliegen<lb/> mit einem Schlage getroffen. Sie kann den europäiſchen<lb/> Staaten wieder einmal ihren Reformdrang und ihre Bereit-<lb/> willigkeit zur Herſtellung geordneter Verhältniſſe im günſtigſten<lb/> Licht darſtellen, andrerſeits hat ſie die Möglichkeit, die<lb/> Zählung nach bewährter türkiſcher Methode vorzunehmen,<lb/> das heißt durch eine falſche Darſtellung der Verhältniſſe<lb/> das an ſich nicht einfache Problem noch weiter zu verwirren.<lb/> Sehr wahrſcheinlich iſt es, daß die Türkei alle Anhänger<lb/> des Propheten ohne Rückſicht auf ihre Nationalität zu einer<lb/> Zahlengruppe vereinigen wird, während ſie die Chriſten vor-<lb/> ausſichtlich nach ihren religiöſen Schattierungen und natio-<lb/> nalen Unterſchieden zu ſondern gedenkt. Das würde natürlich<lb/> ein ganz verkehrtes Bild geben, mit dem ſich aber ſeitens<lb/> der Pforte trefflich operieren ließe. Der europäiſchen Diplo-<lb/> matie bliebe es dann vorbehalten, die Reſultate der türkiſchen<lb/> Zählung noch einmal zu überprüfen, zu dieſem Zweck eine<lb/> Kommiſſion einzuſetzen, ꝛc. ꝛc., kurz, die Reformpolitik wäre<lb/> wieder einmal auf einem toten Punkt angelangt. So weit<lb/> aber ſind wir vorläufig noch nicht. Noch iſt es den Mächten<lb/> möglich, an die Pforte das Verlangen zu ſtellen, daß die<lb/> Zählung, von deren Reſultaten vielleicht das ganze künftige<lb/> Schickſal Mazedoniens abhängt, unter europäiſcher Kontrolle<lb/> ſtattfinde. Eine ſolche Forderung bedeutet zwar ein ziemlich<lb/> ſtarkes Mißtrauensvotum in die Tätigkeit der türkiſchen<lb/> Behörden, aber die Regierung des Sultans hat wohl keinen<lb/> Anſpruch darauf, daß auf ihre Empfindlichkeit nach der<lb/> Richtung hin auch nur die geringſte Rückſicht genommen wird.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jVarious" n="1"> <head> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#b">Bunte Chronik.</hi> </hi> </head><lb/> <dateline><hi rendition="#g">Czernowitz,</hi> 11. Juli 1905.</dateline><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Die Manöver in Südtirol.</hi> </head> <p>Aus <hi rendition="#g">Bozen</hi> wird der<lb/> „Korr. Wilhelm“ gemeldet: Den größten Uebungen in Süd-<lb/> tirol wird heuer Se. Majeſtät der <hi rendition="#g">Kaiſer</hi> beiwohnen. Das<lb/> Operationsterrain iſt im großen und ganzen das Nonstal, das<lb/> ſich mit ſeinen Seitentälern bis in die Eiswildniſſe der Pre-<lb/> ſanella- und Ortler-Gruppe verzweigt. Als Hauptquartier des<lb/> Monarchen wurde die Ortſchaft <hi rendition="#g">Romeno,</hi> ſüdweſtlich des<lb/> Mendel-Paſſes, beſtimmt. Der Ort mit 130 Häuſern und 900<lb/> Einwohnern liegt 962 Meter über der Adria und iſt mittels<lb/> Poſtwagen von der Station Mendel in einer Stunde<lb/> zu erreichen. Eine Hof- und Militär-Kommiſſion hat bereits<lb/> im Mai d. J. in dieſer Station die Ouartiere für Se. Ma-<lb/> jeſtät den <hi rendition="#g">Kaiſer</hi> und Ihre k. u. k. Hoheiten die durchlauch-<lb/> tigſten Herren Erzherzoge <hi rendition="#g">Franz Ferdinand. Fried-<lb/> rich</hi> und <hi rendition="#g">Rainer</hi> beſtimmt. Die Manöver-Uebungsleitung<lb/> wird in <hi rendition="#g">Cavareno.</hi> eine Viertelſtunde von Romeno entfernt,<lb/> untergebracht ſein. Das Eintreffen Sr. Majeſtät des Kaiſers<lb/> in Bozen wird am 27. Auguſt d. J. früh erwartet. Die<lb/> Manöver dürften in die Zeit vom 25. bis 31. Auguſt fallen.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Friedliches aus Rußland.</hi> </head> <p>Es wird manchem über-<lb/> raſchend wie auch wohltuend ſein, aus Rußland der Abwechs-<lb/> lung halber auch einmal von etwas anderem als von Kata-<lb/> ſtrophen zu hören. Man berichtet aus St. Petersburg vom<lb/> 3. Juli: Im Laufe dieſer Woche werden zwiſchen Petersburg<lb/> und Moskau telegraphiſche Verſuche mit dem G. G. Pickart’ſchen<lb/> Syſtem angeſtellt werden, das darin beſteht, daß die Depeſche<lb/> in einen Phonographen <hi rendition="#g">hineingeſprochen</hi> wird. Die<lb/> Vibration der Glimmerplatte in der Membrane am Ende des<lb/> Trichters teilt ſich vermittels einer Feder einem Stift mit, der<lb/> das Oeffnen und Schließen des Stroms, wie beim Telegraphen<lb/> beſorgt. Auf der Empfrngsſtation ruft das Oeffnen und<lb/> Schließen des Stroms eine entſprechende Bewegung des<lb/> Elektromagneten hervor, an deſſen Hebel ein Stift befeſtigt<lb/> iſt, der die wächſerne Fläche einer phonographiſchen Walze be-<lb/> ſchreibt. Hierauf reproduziert die Walze nach dem aufgezeich-<lb/> neten Phonogramm den Wortlaut der Depeſche. — Aus den<lb/> in letzter Zeit ſo oft genannten Putilow-Werken wird ferner<lb/> berichtet: Auf den Putilow-Werken wird eben das Rotations-<lb/> aerophon genannte, angeblich lenkbare Luftſchiff hergeſtellt, das<lb/> von Ingenieur Lipkowski erfunden worden iſt. Der Apparat<lb/> wird Ende Auguſt fertiggeſtellt ſein, und es werden dann ſo-<lb/> gleich Verſuche mit ihm angeſtellt werden. Die Tragkraft des<lb/> Apparats beträgt über 240 ruſſiſche Pfund.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Die Friedensverhandlungen auf dem Waſſer.</hi> </head><lb/> <p>Eine ganz nagelneue und wirklich brillante Idee iſt in Waſ-<lb/> hington bezüglich der ruſſiſch-japaniſchen Friedensverhandlungen<lb/> aufgetaucht. Man hatte bekanntlich anfangs gezögert, Waſhington<lb/> für die Verhandlungen zu beſtimmen, weil das Sommerklima<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [3/0003]
12. Juli 1905. Czernowitzer Allgemeine Zeitung.
Iwanowo, 9. Juli. (Gonvernement Wladimir.) Geſtern
zerſtörten ausſtändige Arbeiter die Telephon- und
Telegraphenleitungen, plünderten Läden und legten mehrfach
Feuer an. Die Bevölkerung verläßt den Ort. (zirka 15.000
Einwohner.)
Die Urſachen der Meuterei.
Bukareſt, 10. Juli. In Konſtanza erklärte der Matroſe
Matuſchenko vom „Potemkin“, der der eigentliche Leiter der
Meuterei geweſen iſt, er ſei ſchon vorher als Arbeiter
bewußter Sozialdemokrat geweſen. Als Matroſe gehörte er
der ſozial-revolutionären Organiſation an und hatte auf dem
„Potemkin“ eifrige Propapanda entwickelt. Nur er und einige
Kameraden wußten, daß eine allgemeine Revolte des Ge-
ſchwaders beabſichtigt ſei. Verabredet war ein gewiſſes
Zeichen, daß ein Schiff, das er nicht nennen will, geben
ſollte. Da geſchah es, daß der zweite Kapitän Giliarowski
den Matroſen Vakuliliniciuk, der namens der Mannſchaft
über ſchlechte Beköſtigung klagte, erſchoß. Blind vor Empörung
ergriff Matuſchenko ſein Gewehr und ſchoß Giliarowski nieder.
Dies war das Zeichen für die allgemeine Meuterei. Der erſte
Kapitän Golikow wurde gleichfalls getötet, Leutnant Minior
feuerte zwei Revolverſchüſſe gegen Matuſchenko, die ihn dicht
unter der Schläfe ſtreiften und Zeichen hinterließen, die noch
jetzt ſichtbar ſind. Darauf übernahm Matuſchenko und einige
Genoſſen die Leitung des Schiffes. Munition war im
Ueberfluß vorhanden. Sie fuhren nach Odeſſa. Es ſei
unwahr, daß Matuſchenko die Disziplin der Beſatzung mit
ſtrengen Mitteln habe erhalten müſſen; er hatte genügend
moraliſchen Einfluß. Alle Mann waren eifrig auf ihrem
Platz. Schließlich fehlte aber Kohle und Waſſer. Die
Maſchinen wurden mit Seewaſſer geſpeiſt, wodurch ein Teil
der Keſſel defekt wurde. Die Mannſchaft wollte Städte nicht
beſchießen, aber wenn die Schwarzmeerflotte angegriffen
hätte, ſo wäre eine Schlacht unvermeidlich geweſen; die
Kanonen waren geladen.
Petersburg, 10. Juli. Wie der in Odeſſa weilende
Prieſter des Rebellenſchiffes „Potemkin“ erzählt, haben ſich
entſetzliche Szenen, die jeder Beſchreibung ſpotten, bei der
Meuterei zugetragen. So wurde der verwundete Kommandeur
und die Mehrzahl der bleſſierten Offiziere lebendig über
Bord geworfen, doch blieben noch 11 Offiziere übrig, die von
der Beſatzung aus der Kajüte auf Deck berufen wurden.
Dieſen wurde bedeutet, daß ſie ſich als Kriegsgefangene zu be-
trachten hätten. Darauf ſprangen 6 von ihnen über Bord, wurden
jedoch, als ſie wieder an die Oberfläche des Meeres kamen,
von den Matoſen erſchoſſen. Die übrigen fünf wurden zum
Tode verurteilt, aber von dem Rebellen-Kommandeur
Fähnrich Alexejew begnadigt und in Odeſſa ans Land
geſetzt. Unter den mit knapper Not dem Tode Entronnenen
befand ſich der Oberſt Schulz vom Techniſchen Komitee der
Artillerie-Abteilung, der auf den „Knjäs Potemkin“ kom-
mandiert war.
Das ruſſiſche Torpedoboot „267“.
Wien, 10. Juli. Die Mannſchaft des von Konſtanza
nach Sebaſtopol abgegangenen Torpedoboots „267“ hofft,
wie ſie vor ihrer Abfahrt erklärte, auf milde Behandlung
weil ſie von der Mannſchaft des „Potemkin“ terroriſiert
worden ſei. Sie ſcheint die Tragweite ihres Handelns nicht
zu begreifen.
Das Briefgeheimnis.
Petersburg, 9. Juli. Die im größten Maßſtabe von
der ruſſiſchen Regierung betriebene Verletzung des Briefge-
heimniſſes iſt von ihr zu wiederholten Malen zugegeben
worden, wobei die angegebene Zahl der geöffneten Briefe
in die Zehntauſende ſtieg. Um nicht mit gewiſſen Paragraphen
der Berner Konvention in offenen Konflikt zu kommen, wurde
vor Kurzem ein Geſetz erlaſſen, das außerhalb Rußlands in
ruſſiſcher Sprache gedruckte Schriften mit einem hohen Zoll
belegt. Auf der Suche nach ſolchen verzollbaren Druckſachen
kann jeder Brief aus dem Auslande unbeanſtandet geöffnet
werden. Beim umgekehrten Fall, d. h. wenn ein Brief aus
Rußland ins Ausland befördert wird und dieſer famoſe Zoll-
paragraph ſich nicht in Anwendung bringen läßt, iſt das
Verfahren noch einfacher, da es ja ſonſt gut wie gar keine
Kläger geben kann, denn die Klage eines ruſſiſchen Untertans
wird nicht berückſichtigt und einem Ausländer zahlt man
ſchlimmſtenfalls für einen verloren gegangenen eingeſchriebenen
Brief die 10 Rubel Erſatz, falls er klagbar zu werden
Geduld und Energie haben ſollte. Für nicht eingeſchriebene
Briefe übernimmt die ruſſiſche Poſt nicht die geringſte Ver-
antwortung. Der Briefverluſt in Rußland iſt denn auch ein
maſſenhafter, aber die Verletzung des Briefgeheimniſſes ent-
ſpricht allem Möglichen, nur nicht ihrem eigenen Zweck der
politiſchen Spionage nämlich, da die ruſſiſche freiheitliche
Bewegung längſt andere ſichere Wege und Mittel gefunden hat,
um ihre Korreſpondenz zu befördern, die ſchon längſt nicht mehr
der ohnehin wenig zuverläſſigen ruſſiſchen Poſt anvertraut wird.
Trotzdem erſetzt das Petersburger Zollamt eine neue Vorſchrift an
die Zollbeamten, in der dieſe angehalten werden, aus dem Auslande
einlaufende Bücher aufs genaueſte zu unterſuchen, ehe ſie dieſe
an die Zenſur weitergeben. Alſo doppelte Kontrolle. Zuerſt
wird der Zollbeamte jedes Buch mit wenig ſauberen Händen
durchblättern, dann kommt es in die Hände des Zenſors der
ungeniert und ungeſtraft auch das koſtbare Werk mit ſeinem
Blauſtift verdirbt, um anzuzeigen, daß es geſtattet iſt. Zähne-
knirſchend ſieht der Bücherfreund das ominöſe „P“ des
Zenſors, das ſich durch keinen Radiergummi wieder vom
Tittelblatt oder Umſchlag entfernen läßt, auf ſeinen Büchern,
ganz abgeſehen von dem übrigen Vandalismus der Zenſur,
die mit ſchwarzer klebriger Tünche und mit der Schere auch
das ſeltenſte Prachtwerk bearbeitet, wenn eine Seite, ja eine
Zeile bloß ihr nicht konveniert. Dieſe lächerliche Barbarei,
die nicht im geringſten ihren Zweck erreicht, wohl aber
Empörung hervorruft, trägt natürlich dem Regime mehr als
einen Feind ein, unter denen, die unter der zyniſchen Borniert-
heit dieſer Maßregeln zu leiden haben.
Die Ausſichten der ruſſiſchen Preſſe. Petersburg, 8. Juli. (Orig.-Korr.) Es kann
keinem Zweifel mehr unterliegen, daß die Tätigkeit der
Kommiſſion Kobeko, die Vorſchläge zur Preßreform machen
ſollte, der Regierung auch nicht den mindeſten Anſtoß zu
einer freieren Auffaſſung ihrer Stellung zu den Organen der
öffentlichen Meinung gegeben hat. Die Unterdrückung von
Blättern wie „Ruß“, „Wetſchernaja Potſchta“, „Rußkaja
Mysl“ zeigt, daß mit dem gegenwärtigen Syſtem der
Zwangsbehandlung vorläufig nicht gebrochen werden ſoll.
Dagegen heißt es, daß Schipow, der neuerdings ſehr ernſthaft
als Nachfolger des „amtsmüden“ Bulygin in der Leitung
des Miniſteriums des Innern genannt wird, die Gewährung
der Preßfreiheit als Bedingung für eine etwaige Ueber-
nahme des Portefeuilles aufgeſtellt habe. Schipow gehörte
bekanntlich zu jenen Semſtwomitgliedern, die ſich prinzipiell
gegen die Verfaſſungsidee ausſprachen und dadurch die
Sympathie der Regierung erwarben. Erſt im Mai ſchloß
er ſich der verfaſſungsfreundlichen Majorität an und gilt
nun als eine Art Politiker der mittleren Linie, der gewiſſe
Reformen befürworten würde, ohne mit dem alten Syſtem
ganz zu brechen. Ob die Preſſe von ihm tatſächlich viel zu
erwarten hat, muß noch bezweifelt werden.
Dom Tage.
Czernowitz, 11. Juli 1905.
Die Einigung zwiſchen Frankreich und
Deutſchland.
Paris, 10. Juli. „Temps“ vervollſtändigt ſeine An-
gaben über das morgen in der Kammer zu verleſende deutſch-
franzöſiſche Schriftſtück. Die wichtigſte dieſer Angaben iſt,
daß das Dokument die Verträge nicht aufzählt, welche
Frankreich, Marokko betreffend, bis heute abgeſchloſſen hat.
Dieſe Verträge bleiben, weil ſie in den deutſch-franzöſiſchen
Verhandlungen außerhalb der Diskuſſion ſtanden, in der
Note unerwähnt, und dies gilt nicht allein von denjenigen
des Jahres 1904, ſondern auch von den vorangegangenen
Abmachungen der Jahre 1845, 1900 und 1901. Daraus
folgt, daß die Konferenz in dieſem Betracht vollkommen un-
beeinflußt entſcheiden wird, welche Reformen kraft des von
niemand auch von Deutſchland nicht beſtrittenen Vorzugs-
rechtes Frankreich zur Durchführung ſollen übertragen werden.
In der Note werden Frankreichs Sonderintereſſen nicht bloß
damit begründet, daß es eine ausgedehnte Grenze zu ſchützen
hat, ſondern auch mit der Notwendigkeit, die muſelmaniſche
Bevölkerung Algeriens vor ſtörenden marokkaniſchen Einflüſſen
zu bewahren. Kurze Erwähnung finden in den einleitenden
Zeilen die drei Prinzipien, über welche Deutſchland und
Frankreich von Anbeginn einig geweſen, nämlich: Souveränität
des Sultans, Integrität Marokkos und die „offene Tür!“
Ein Datum für die Dauer der Handelsfreiheit iſt nicht an-
gegeben.
Ein neuer Verſchleppungstrick in der maze-
doniſchen Frage. 1. Konſtantinopel, 7. Juli. (Orig.-Korr.) Schier
unerſchöpflich iſt der Erfindungsgeiſt der Männer in der
engeren Umgebung des Sultans, wenn es ſich darum handelt,
den Mächten — eine Naſe zu drehen. Die Proteſtnoten, in
denen die in Konſtantinopel akkreditierten Geſandten die
Durchführung von Reformen in Mazedonien, die immer
wieder hinausgeſchoben wird, verlangten, waren in der letzten
Zeit ſo häufig geworden, daß irgendetwas zur Beſchwichtigung
der europäiſchen Meinung geſchehen mußte. Die türkiſche
Regierung hat nun beſchloſſen, eine Volkszählung in Maze-
donien vorzunehmen, um zunächſt einmal feſtzuſtellen, inwie-
weit die religiöſen und nationalen Anſprüche der verſchiedenen
in der Provinz anſäſſigen Völkerſchaften Berückſichtigung
verdienen. Jeder Kenner des mazedoniſchen Problems be-
greift ohne Weiteres, wie viel von einer ſolchen Volkszählung
abhängig iſt. Sowohl von griechiſcher als auch von
bulgariſcher Seite iſt in der letzten Zeit wiederholt der
Verſuch gemacht worden, durch Heranziehung von Ziffern
die in der Tat nur oberflächliche Schätzungen waren, den
Anſpruch des einen oder anderen Volksſtammes auf die
Vorherrſchaft in Mazedonien zu begründen. Genaue Daten
über die Verteilung der Nationen ſuchen aber auch die Ver-
treter der Mächte ſchon ſeit längerer Zeit zu erhalten, und
unter ihnen tauchte wohl zuerſt der Plan auf, eine Volks-
zählung zu veranſtalten, um auf der durch ſie geſchaffenen
Grundlage einige Ordnung in die Verwaltung des Landes
zu bringen. Dadurch, daß nun die Pforte den Vorſchlägen
der Mächte zuvorkommt, hat ſie gewiſſermaßen zwei Fliegen
mit einem Schlage getroffen. Sie kann den europäiſchen
Staaten wieder einmal ihren Reformdrang und ihre Bereit-
willigkeit zur Herſtellung geordneter Verhältniſſe im günſtigſten
Licht darſtellen, andrerſeits hat ſie die Möglichkeit, die
Zählung nach bewährter türkiſcher Methode vorzunehmen,
das heißt durch eine falſche Darſtellung der Verhältniſſe
das an ſich nicht einfache Problem noch weiter zu verwirren.
Sehr wahrſcheinlich iſt es, daß die Türkei alle Anhänger
des Propheten ohne Rückſicht auf ihre Nationalität zu einer
Zahlengruppe vereinigen wird, während ſie die Chriſten vor-
ausſichtlich nach ihren religiöſen Schattierungen und natio-
nalen Unterſchieden zu ſondern gedenkt. Das würde natürlich
ein ganz verkehrtes Bild geben, mit dem ſich aber ſeitens
der Pforte trefflich operieren ließe. Der europäiſchen Diplo-
matie bliebe es dann vorbehalten, die Reſultate der türkiſchen
Zählung noch einmal zu überprüfen, zu dieſem Zweck eine
Kommiſſion einzuſetzen, ꝛc. ꝛc., kurz, die Reformpolitik wäre
wieder einmal auf einem toten Punkt angelangt. So weit
aber ſind wir vorläufig noch nicht. Noch iſt es den Mächten
möglich, an die Pforte das Verlangen zu ſtellen, daß die
Zählung, von deren Reſultaten vielleicht das ganze künftige
Schickſal Mazedoniens abhängt, unter europäiſcher Kontrolle
ſtattfinde. Eine ſolche Forderung bedeutet zwar ein ziemlich
ſtarkes Mißtrauensvotum in die Tätigkeit der türkiſchen
Behörden, aber die Regierung des Sultans hat wohl keinen
Anſpruch darauf, daß auf ihre Empfindlichkeit nach der
Richtung hin auch nur die geringſte Rückſicht genommen wird.
Bunte Chronik.
Czernowitz, 11. Juli 1905.
Die Manöver in Südtirol. Aus Bozen wird der
„Korr. Wilhelm“ gemeldet: Den größten Uebungen in Süd-
tirol wird heuer Se. Majeſtät der Kaiſer beiwohnen. Das
Operationsterrain iſt im großen und ganzen das Nonstal, das
ſich mit ſeinen Seitentälern bis in die Eiswildniſſe der Pre-
ſanella- und Ortler-Gruppe verzweigt. Als Hauptquartier des
Monarchen wurde die Ortſchaft Romeno, ſüdweſtlich des
Mendel-Paſſes, beſtimmt. Der Ort mit 130 Häuſern und 900
Einwohnern liegt 962 Meter über der Adria und iſt mittels
Poſtwagen von der Station Mendel in einer Stunde
zu erreichen. Eine Hof- und Militär-Kommiſſion hat bereits
im Mai d. J. in dieſer Station die Ouartiere für Se. Ma-
jeſtät den Kaiſer und Ihre k. u. k. Hoheiten die durchlauch-
tigſten Herren Erzherzoge Franz Ferdinand. Fried-
rich und Rainer beſtimmt. Die Manöver-Uebungsleitung
wird in Cavareno. eine Viertelſtunde von Romeno entfernt,
untergebracht ſein. Das Eintreffen Sr. Majeſtät des Kaiſers
in Bozen wird am 27. Auguſt d. J. früh erwartet. Die
Manöver dürften in die Zeit vom 25. bis 31. Auguſt fallen.
Friedliches aus Rußland. Es wird manchem über-
raſchend wie auch wohltuend ſein, aus Rußland der Abwechs-
lung halber auch einmal von etwas anderem als von Kata-
ſtrophen zu hören. Man berichtet aus St. Petersburg vom
3. Juli: Im Laufe dieſer Woche werden zwiſchen Petersburg
und Moskau telegraphiſche Verſuche mit dem G. G. Pickart’ſchen
Syſtem angeſtellt werden, das darin beſteht, daß die Depeſche
in einen Phonographen hineingeſprochen wird. Die
Vibration der Glimmerplatte in der Membrane am Ende des
Trichters teilt ſich vermittels einer Feder einem Stift mit, der
das Oeffnen und Schließen des Stroms, wie beim Telegraphen
beſorgt. Auf der Empfrngsſtation ruft das Oeffnen und
Schließen des Stroms eine entſprechende Bewegung des
Elektromagneten hervor, an deſſen Hebel ein Stift befeſtigt
iſt, der die wächſerne Fläche einer phonographiſchen Walze be-
ſchreibt. Hierauf reproduziert die Walze nach dem aufgezeich-
neten Phonogramm den Wortlaut der Depeſche. — Aus den
in letzter Zeit ſo oft genannten Putilow-Werken wird ferner
berichtet: Auf den Putilow-Werken wird eben das Rotations-
aerophon genannte, angeblich lenkbare Luftſchiff hergeſtellt, das
von Ingenieur Lipkowski erfunden worden iſt. Der Apparat
wird Ende Auguſt fertiggeſtellt ſein, und es werden dann ſo-
gleich Verſuche mit ihm angeſtellt werden. Die Tragkraft des
Apparats beträgt über 240 ruſſiſche Pfund.
Die Friedensverhandlungen auf dem Waſſer.
Eine ganz nagelneue und wirklich brillante Idee iſt in Waſ-
hington bezüglich der ruſſiſch-japaniſchen Friedensverhandlungen
aufgetaucht. Man hatte bekanntlich anfangs gezögert, Waſhington
für die Verhandlungen zu beſtimmen, weil das Sommerklima
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