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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 10. Berlin-Charlottenburg, 23. März 1905.

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P. Kampffmeyer: Feile Weiberstädte.
delle im polizeitechnischen Sinne besitzt, über die Frage: Jst denn
heute schon das letzte Kind aus den uneigentlichen Freudenhäusern, aus den
nicht polizeitechnischen Bordellen, verschwunden?!

Jn allen größeren Bordellstädten wie in Nürnberg, Mainz, Leipzig, Ham-
burg, Magdeburg tummelt sich außerhalb der Bordelle ein reglementiertes und
nicht reglementiertes Dirnentum. Was der gesetzlosen Zerstörungswut der
interessierten zünftigen Prostitution des Mittelalters in den damaligen wenig
köpfereichen Städten nicht gelang: die Beseitigung der Winkelhurennester, das
wird der sich in gesetzlichen Bahnen bewegenden Sittenpolizei unserer verkehrs-
reichen Riesenstädte nicht glücken. Kein mit drakonischer Strenge aufgeherrschter
Bordellzwang für alle Prostituierten würde heute die geheime Prostitution
der Großstädte vernichten können. Selbst in Mittelstädten wie Worms, in der
schon zwei Bordelle mit je 7 bis 8 Dirnen für die Geschlechtsbedürfnisse dieser
Stadt sorgen, lockt die geheime Prostitution in allen Straßen und Plätzen.
Die Polizeiverwaltung der Stadt Worms macht ihrem bedrängten Herzen Luft
durch folgende bewegliche Klage über die geheime Prostitution der dortigen
Kellnerinnen:

"Diese Kellnerinnen bekommen meistens keinen Lohn, sondern sind nur
auf die Trinkgelder der Gäste angewiesen, und daß solche Personen schon der
Trinkgelder wegen leicht zugänglich sind, liegt auf der Hand. Wir haben es
an der erforderlichen Ueberwachung nicht fehlen lassen, bei der großen Zahl
derartiger Wirtschaften ist das aber äußerst schwierig. Wie lange solche Kell-
nerinnen ansteckend wirken, kann man sich vorstellen, wenn man bedenkt, daß
diese Personen erst notgedrungen den Arzt aufsuchen. Die Richtigkeit unserer
Ansicht, daß durch Kellnerinnen in erster Linie Geschlechtskrankheiten verbreitet
werden, dürfte sich aus der Tatsache erhellen, daß von den wegen Ge-
werbeunzucht aufgegriffenen Kellnerinnen wenigstens

80--90 Prozent geschlechtlich krank waren. Von 10 im
hiesigen städtischen Krankenhause an Geschlechtskrank-
heiten behandelten Weibspersonen sind durchschnittlich

8 Kellnerinnen. "

Die Kasernierung der Prostitution in einigen Straßen ist in Altona,
Kiel, Bremen, Düsseldorf, Halle a. S., Posen, Krefeld, Lübeck, Metz, Pforz-
heim, Hildesheim, Gera, Halberstadt, Karlsruhe, Straßburg i. E. durchgeführt.
Doch flutet der Prostitutionsverkehr über die "Bordellstraßen" dieser Städte
weit, weit hinaus. Nur hochbefriedigt von den Erfolgen der Kasernierung der
Prostitution fühlen sich die Verwaltungen zweier Mittelstädte, von Karlsruhe
und Hildesheim.

Die Polizeiverwaltung von Hildesheim schreibt über die Resultate
der Kasernierung der dortigen Prostitution an die "Deutsche Gesellschaft zur Be-
kämpfung der Geschlechtskrankheiten" folgende Zeilen:

"Die städtischen Straßen, die früher von den Dirnen in bedenklichster
Weise unsicher gemacht wurden, sind sozusagen rein geworden. Damen können,
abgesehen von einzelnen, wohl überall vorkommenden Roheiten, gut bis 10 Uhr
abends allein über die Straßen gehen, die Reinhaltung der Häuser, namentlich
in denen Kinder wohnen, von dem Gifte der Prostitution ist, soweit überhaupt
möglich, gelungen, und es ist der Verbreitung von Geschlechtskrankheiten ein
starker Abbruch getan."

P. Kampffmeyer: Feile Weiberstädte.
delle im polizeitechnischen Sinne besitzt, über die Frage: Jst denn
heute schon das letzte Kind aus den uneigentlichen Freudenhäusern, aus den
nicht polizeitechnischen Bordellen, verschwunden?!

Jn allen größeren Bordellstädten wie in Nürnberg, Mainz, Leipzig, Ham-
burg, Magdeburg tummelt sich außerhalb der Bordelle ein reglementiertes und
nicht reglementiertes Dirnentum. Was der gesetzlosen Zerstörungswut der
interessierten zünftigen Prostitution des Mittelalters in den damaligen wenig
köpfereichen Städten nicht gelang: die Beseitigung der Winkelhurennester, das
wird der sich in gesetzlichen Bahnen bewegenden Sittenpolizei unserer verkehrs-
reichen Riesenstädte nicht glücken. Kein mit drakonischer Strenge aufgeherrschter
Bordellzwang für alle Prostituierten würde heute die geheime Prostitution
der Großstädte vernichten können. Selbst in Mittelstädten wie Worms, in der
schon zwei Bordelle mit je 7 bis 8 Dirnen für die Geschlechtsbedürfnisse dieser
Stadt sorgen, lockt die geheime Prostitution in allen Straßen und Plätzen.
Die Polizeiverwaltung der Stadt Worms macht ihrem bedrängten Herzen Luft
durch folgende bewegliche Klage über die geheime Prostitution der dortigen
Kellnerinnen:

„Diese Kellnerinnen bekommen meistens keinen Lohn, sondern sind nur
auf die Trinkgelder der Gäste angewiesen, und daß solche Personen schon der
Trinkgelder wegen leicht zugänglich sind, liegt auf der Hand. Wir haben es
an der erforderlichen Ueberwachung nicht fehlen lassen, bei der großen Zahl
derartiger Wirtschaften ist das aber äußerst schwierig. Wie lange solche Kell-
nerinnen ansteckend wirken, kann man sich vorstellen, wenn man bedenkt, daß
diese Personen erst notgedrungen den Arzt aufsuchen. Die Richtigkeit unserer
Ansicht, daß durch Kellnerinnen in erster Linie Geschlechtskrankheiten verbreitet
werden, dürfte sich aus der Tatsache erhellen, daß von den wegen Ge-
werbeunzucht aufgegriffenen Kellnerinnen wenigstens

80—90 Prozent geschlechtlich krank waren. Von 10 im
hiesigen städtischen Krankenhause an Geschlechtskrank-
heiten behandelten Weibspersonen sind durchschnittlich

8 Kellnerinnen.

Die Kasernierung der Prostitution in einigen Straßen ist in Altona,
Kiel, Bremen, Düsseldorf, Halle a. S., Posen, Krefeld, Lübeck, Metz, Pforz-
heim, Hildesheim, Gera, Halberstadt, Karlsruhe, Straßburg i. E. durchgeführt.
Doch flutet der Prostitutionsverkehr über die „Bordellstraßen“ dieser Städte
weit, weit hinaus. Nur hochbefriedigt von den Erfolgen der Kasernierung der
Prostitution fühlen sich die Verwaltungen zweier Mittelstädte, von Karlsruhe
und Hildesheim.

Die Polizeiverwaltung von Hildesheim schreibt über die Resultate
der Kasernierung der dortigen Prostitution an die „Deutsche Gesellschaft zur Be-
kämpfung der Geschlechtskrankheiten“ folgende Zeilen:

„Die städtischen Straßen, die früher von den Dirnen in bedenklichster
Weise unsicher gemacht wurden, sind sozusagen rein geworden. Damen können,
abgesehen von einzelnen, wohl überall vorkommenden Roheiten, gut bis 10 Uhr
abends allein über die Straßen gehen, die Reinhaltung der Häuser, namentlich
in denen Kinder wohnen, von dem Gifte der Prostitution ist, soweit überhaupt
möglich, gelungen, und es ist der Verbreitung von Geschlechtskrankheiten ein
starker Abbruch getan.“

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[460/0028] P. Kampffmeyer: Feile Weiberstädte. delle im polizeitechnischen Sinne besitzt, über die Frage: Jst denn heute schon das letzte Kind aus den uneigentlichen Freudenhäusern, aus den nicht polizeitechnischen Bordellen, verschwunden?! Jn allen größeren Bordellstädten wie in Nürnberg, Mainz, Leipzig, Ham- burg, Magdeburg tummelt sich außerhalb der Bordelle ein reglementiertes und nicht reglementiertes Dirnentum. Was der gesetzlosen Zerstörungswut der interessierten zünftigen Prostitution des Mittelalters in den damaligen wenig köpfereichen Städten nicht gelang: die Beseitigung der Winkelhurennester, das wird der sich in gesetzlichen Bahnen bewegenden Sittenpolizei unserer verkehrs- reichen Riesenstädte nicht glücken. Kein mit drakonischer Strenge aufgeherrschter Bordellzwang für alle Prostituierten würde heute die geheime Prostitution der Großstädte vernichten können. Selbst in Mittelstädten wie Worms, in der schon zwei Bordelle mit je 7 bis 8 Dirnen für die Geschlechtsbedürfnisse dieser Stadt sorgen, lockt die geheime Prostitution in allen Straßen und Plätzen. Die Polizeiverwaltung der Stadt Worms macht ihrem bedrängten Herzen Luft durch folgende bewegliche Klage über die geheime Prostitution der dortigen Kellnerinnen: „Diese Kellnerinnen bekommen meistens keinen Lohn, sondern sind nur auf die Trinkgelder der Gäste angewiesen, und daß solche Personen schon der Trinkgelder wegen leicht zugänglich sind, liegt auf der Hand. Wir haben es an der erforderlichen Ueberwachung nicht fehlen lassen, bei der großen Zahl derartiger Wirtschaften ist das aber äußerst schwierig. Wie lange solche Kell- nerinnen ansteckend wirken, kann man sich vorstellen, wenn man bedenkt, daß diese Personen erst notgedrungen den Arzt aufsuchen. Die Richtigkeit unserer Ansicht, daß durch Kellnerinnen in erster Linie Geschlechtskrankheiten verbreitet werden, dürfte sich aus der Tatsache erhellen, daß von den wegen Ge- werbeunzucht aufgegriffenen Kellnerinnen wenigstens 80—90 Prozent geschlechtlich krank waren. Von 10 im hiesigen städtischen Krankenhause an Geschlechtskrank- heiten behandelten Weibspersonen sind durchschnittlich 8 Kellnerinnen. “ Die Kasernierung der Prostitution in einigen Straßen ist in Altona, Kiel, Bremen, Düsseldorf, Halle a. S., Posen, Krefeld, Lübeck, Metz, Pforz- heim, Hildesheim, Gera, Halberstadt, Karlsruhe, Straßburg i. E. durchgeführt. Doch flutet der Prostitutionsverkehr über die „Bordellstraßen“ dieser Städte weit, weit hinaus. Nur hochbefriedigt von den Erfolgen der Kasernierung der Prostitution fühlen sich die Verwaltungen zweier Mittelstädte, von Karlsruhe und Hildesheim. Die Polizeiverwaltung von Hildesheim schreibt über die Resultate der Kasernierung der dortigen Prostitution an die „Deutsche Gesellschaft zur Be- kämpfung der Geschlechtskrankheiten“ folgende Zeilen: „Die städtischen Straßen, die früher von den Dirnen in bedenklichster Weise unsicher gemacht wurden, sind sozusagen rein geworden. Damen können, abgesehen von einzelnen, wohl überall vorkommenden Roheiten, gut bis 10 Uhr abends allein über die Straßen gehen, die Reinhaltung der Häuser, namentlich in denen Kinder wohnen, von dem Gifte der Prostitution ist, soweit überhaupt möglich, gelungen, und es ist der Verbreitung von Geschlechtskrankheiten ein starker Abbruch getan.“

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 10. Berlin-Charlottenburg, 23. März 1905, S. 460. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0110_1905/28>, abgerufen am 23.11.2024.