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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 10. Berlin-Charlottenburg, 23. März 1905.

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P. Kampffmeyer: Feile Weiberstädte.

Jn ruhigen Mittelstädten kann eben zur Not die Prostitution kaserniert
werden, in belebten Großstädten entstehen schnell und leicht in Winkelkneipen
usw. Herde, die das unreine Feuer der käuflichen Liebe heimlich unterhalten
und nähren.

Jn den Großstädten beschwor -- das muß vor allem stark unterstrichen
werden -- die Kasernierung der Prostitution mitunter die himmelschreiendsten
Skandale, die brutalsten Ausschreitungen herauf. Der Kgl. Polizei-
Direktor Kassels
äußert sich über die Schäden, die an die Kasernierung
der Prostitution in Kassel geknüpft waren, folgendermaßen: "Die Prosti-
tutierten wohnten bis Ende des vorigen Jahrhunderts in einem engen abge-
legenen Stadtteil, Haus an Haus, auf nur wenige Straßen verteilt. Die ver-
steckte Lage dieses Stadtteils, die alte und unvollkommene Bauart und Be-
leuchtung seiner Stadtteile und Straßen, die dadurch bedingte Unvollkommen-
heit der Beaufsichtigung begünstigten neben der Anhäufung so vieler Prosti-
tuierten auf kleinen Raum das gefährliche Treiben der Zuhälter derart, daß
sich nicht nur Lärm= und Prügelszenen, sondern auch Messerstechereien und
schwere Schlägereien in bedrohlicher Weise häuften, und kein Passant jenes
Stadtteils bei Nacht seines Lebens sicher war. Die Polizeibehörde sah sich
daher veranlaßt, das Wohnen der Prostituierten in jenen Stadtteilen zu ver-
bieten. Zur Zeit wohnen die setzhaften Prostituierten im ganzen Stadtbezirk."

Von Zeit zu Zeit, wenn das verbrecherische Zuhältertum ein Menschen-
opfer wieder gefordert hat, dann schreit die von den Polizeiorganen bediente
Presse mit ganzer Lungenkraft nach einer Kasernierung der Prostitution in
unseren Großstädten. Diese Schreihälse sind sich natürlich durchweg nicht be-
wußt, welche Ungeheuerlichkeit sie da mit ihrem unvernünftigen Gebrüll an-
streben. Die Kasernierung der Prostitution würde für eine Großstadt die
Gründung einer wirklichen neuen Stadt bedeuten, sie würde die grauenvolle
Anhäufung der Roheiten und Schamlosigkeiten einer nach Tausenden von
Köpfen zählenden Prostitutionsarmee an einem Ort, in einem gewaltigen
Heereslager heißen. Nachdem sich das furchtbare Zuhälterdrama Heinze Akt
um Akt vor den Berliner Geschworenen abgespielt hatte, da erhielten bei
dem sinnverwirrenden Massenruf nach Kasernierung der Prostitution die from-
men Elemente, die rücksichtslos unserer Prostitution zu Leibe gehen wollen,
einen merkwürdig klaren Kopf über die eigentliche Bedeutung der Kasernierung
der Prostitution für unsere Großstädte. Jn einer Petition des Zentralaus-
schusses für Jnnere Mission an das Preußische Staatsministerium ( "Zur Frage
der öffentlichen Sittlichkeit" ) stoßen wir auf folgende Ausführungen: "Das
System der Kasernierung muß gleich dem Bordellwesen ein weibliches Sklaven-
tum erzeugen, welches empörender ist, als die schwarze Sklaverei... Wir
wagen es kaum zu denken, daß, was in Afrika und Amerika mit Aufbietung
aller Kräfte verfolgt wird, in anderer noch schimpflicherer Gestalt inmitten
unserer sich christlich nennenden Kultur aufgerichtet werden soll. Fügt man
noch hinzu, daß das Jnteresse der die Dirnen beherbergenden Hausbesitzer oder
Wirte notwendig die Versorgung ihrer Häuser mit möglichst anziehenden und
dazu wechselnden Personen fordern, so stellt sich ein ausgedehnter, durch nichts-
würdige Agenten vermittelter inländischer und internationaler Sklavenhandel
in Aussicht, der leider im Jnteresse des Bordellwesens bereits besteht, von den

P. Kampffmeyer: Feile Weiberstädte.

Jn ruhigen Mittelstädten kann eben zur Not die Prostitution kaserniert
werden, in belebten Großstädten entstehen schnell und leicht in Winkelkneipen
usw. Herde, die das unreine Feuer der käuflichen Liebe heimlich unterhalten
und nähren.

Jn den Großstädten beschwor — das muß vor allem stark unterstrichen
werden — die Kasernierung der Prostitution mitunter die himmelschreiendsten
Skandale, die brutalsten Ausschreitungen herauf. Der Kgl. Polizei-
Direktor Kassels
äußert sich über die Schäden, die an die Kasernierung
der Prostitution in Kassel geknüpft waren, folgendermaßen: „Die Prosti-
tutierten wohnten bis Ende des vorigen Jahrhunderts in einem engen abge-
legenen Stadtteil, Haus an Haus, auf nur wenige Straßen verteilt. Die ver-
steckte Lage dieses Stadtteils, die alte und unvollkommene Bauart und Be-
leuchtung seiner Stadtteile und Straßen, die dadurch bedingte Unvollkommen-
heit der Beaufsichtigung begünstigten neben der Anhäufung so vieler Prosti-
tuierten auf kleinen Raum das gefährliche Treiben der Zuhälter derart, daß
sich nicht nur Lärm= und Prügelszenen, sondern auch Messerstechereien und
schwere Schlägereien in bedrohlicher Weise häuften, und kein Passant jenes
Stadtteils bei Nacht seines Lebens sicher war. Die Polizeibehörde sah sich
daher veranlaßt, das Wohnen der Prostituierten in jenen Stadtteilen zu ver-
bieten. Zur Zeit wohnen die setzhaften Prostituierten im ganzen Stadtbezirk.“

Von Zeit zu Zeit, wenn das verbrecherische Zuhältertum ein Menschen-
opfer wieder gefordert hat, dann schreit die von den Polizeiorganen bediente
Presse mit ganzer Lungenkraft nach einer Kasernierung der Prostitution in
unseren Großstädten. Diese Schreihälse sind sich natürlich durchweg nicht be-
wußt, welche Ungeheuerlichkeit sie da mit ihrem unvernünftigen Gebrüll an-
streben. Die Kasernierung der Prostitution würde für eine Großstadt die
Gründung einer wirklichen neuen Stadt bedeuten, sie würde die grauenvolle
Anhäufung der Roheiten und Schamlosigkeiten einer nach Tausenden von
Köpfen zählenden Prostitutionsarmee an einem Ort, in einem gewaltigen
Heereslager heißen. Nachdem sich das furchtbare Zuhälterdrama Heinze Akt
um Akt vor den Berliner Geschworenen abgespielt hatte, da erhielten bei
dem sinnverwirrenden Massenruf nach Kasernierung der Prostitution die from-
men Elemente, die rücksichtslos unserer Prostitution zu Leibe gehen wollen,
einen merkwürdig klaren Kopf über die eigentliche Bedeutung der Kasernierung
der Prostitution für unsere Großstädte. Jn einer Petition des Zentralaus-
schusses für Jnnere Mission an das Preußische Staatsministerium ( „Zur Frage
der öffentlichen Sittlichkeit“ ) stoßen wir auf folgende Ausführungen: „Das
System der Kasernierung muß gleich dem Bordellwesen ein weibliches Sklaven-
tum erzeugen, welches empörender ist, als die schwarze Sklaverei... Wir
wagen es kaum zu denken, daß, was in Afrika und Amerika mit Aufbietung
aller Kräfte verfolgt wird, in anderer noch schimpflicherer Gestalt inmitten
unserer sich christlich nennenden Kultur aufgerichtet werden soll. Fügt man
noch hinzu, daß das Jnteresse der die Dirnen beherbergenden Hausbesitzer oder
Wirte notwendig die Versorgung ihrer Häuser mit möglichst anziehenden und
dazu wechselnden Personen fordern, so stellt sich ein ausgedehnter, durch nichts-
würdige Agenten vermittelter inländischer und internationaler Sklavenhandel
in Aussicht, der leider im Jnteresse des Bordellwesens bereits besteht, von den

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[461/0029] P. Kampffmeyer: Feile Weiberstädte. Jn ruhigen Mittelstädten kann eben zur Not die Prostitution kaserniert werden, in belebten Großstädten entstehen schnell und leicht in Winkelkneipen usw. Herde, die das unreine Feuer der käuflichen Liebe heimlich unterhalten und nähren. Jn den Großstädten beschwor — das muß vor allem stark unterstrichen werden — die Kasernierung der Prostitution mitunter die himmelschreiendsten Skandale, die brutalsten Ausschreitungen herauf. Der Kgl. Polizei- Direktor Kassels äußert sich über die Schäden, die an die Kasernierung der Prostitution in Kassel geknüpft waren, folgendermaßen: „Die Prosti- tutierten wohnten bis Ende des vorigen Jahrhunderts in einem engen abge- legenen Stadtteil, Haus an Haus, auf nur wenige Straßen verteilt. Die ver- steckte Lage dieses Stadtteils, die alte und unvollkommene Bauart und Be- leuchtung seiner Stadtteile und Straßen, die dadurch bedingte Unvollkommen- heit der Beaufsichtigung begünstigten neben der Anhäufung so vieler Prosti- tuierten auf kleinen Raum das gefährliche Treiben der Zuhälter derart, daß sich nicht nur Lärm= und Prügelszenen, sondern auch Messerstechereien und schwere Schlägereien in bedrohlicher Weise häuften, und kein Passant jenes Stadtteils bei Nacht seines Lebens sicher war. Die Polizeibehörde sah sich daher veranlaßt, das Wohnen der Prostituierten in jenen Stadtteilen zu ver- bieten. Zur Zeit wohnen die setzhaften Prostituierten im ganzen Stadtbezirk.“ Von Zeit zu Zeit, wenn das verbrecherische Zuhältertum ein Menschen- opfer wieder gefordert hat, dann schreit die von den Polizeiorganen bediente Presse mit ganzer Lungenkraft nach einer Kasernierung der Prostitution in unseren Großstädten. Diese Schreihälse sind sich natürlich durchweg nicht be- wußt, welche Ungeheuerlichkeit sie da mit ihrem unvernünftigen Gebrüll an- streben. Die Kasernierung der Prostitution würde für eine Großstadt die Gründung einer wirklichen neuen Stadt bedeuten, sie würde die grauenvolle Anhäufung der Roheiten und Schamlosigkeiten einer nach Tausenden von Köpfen zählenden Prostitutionsarmee an einem Ort, in einem gewaltigen Heereslager heißen. Nachdem sich das furchtbare Zuhälterdrama Heinze Akt um Akt vor den Berliner Geschworenen abgespielt hatte, da erhielten bei dem sinnverwirrenden Massenruf nach Kasernierung der Prostitution die from- men Elemente, die rücksichtslos unserer Prostitution zu Leibe gehen wollen, einen merkwürdig klaren Kopf über die eigentliche Bedeutung der Kasernierung der Prostitution für unsere Großstädte. Jn einer Petition des Zentralaus- schusses für Jnnere Mission an das Preußische Staatsministerium ( „Zur Frage der öffentlichen Sittlichkeit“ ) stoßen wir auf folgende Ausführungen: „Das System der Kasernierung muß gleich dem Bordellwesen ein weibliches Sklaven- tum erzeugen, welches empörender ist, als die schwarze Sklaverei... Wir wagen es kaum zu denken, daß, was in Afrika und Amerika mit Aufbietung aller Kräfte verfolgt wird, in anderer noch schimpflicherer Gestalt inmitten unserer sich christlich nennenden Kultur aufgerichtet werden soll. Fügt man noch hinzu, daß das Jnteresse der die Dirnen beherbergenden Hausbesitzer oder Wirte notwendig die Versorgung ihrer Häuser mit möglichst anziehenden und dazu wechselnden Personen fordern, so stellt sich ein ausgedehnter, durch nichts- würdige Agenten vermittelter inländischer und internationaler Sklavenhandel in Aussicht, der leider im Jnteresse des Bordellwesens bereits besteht, von den

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 10. Berlin-Charlottenburg, 23. März 1905, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0110_1905/29>, abgerufen am 23.11.2024.